9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €
«‹Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel.› Meine Erfahrung ist, dass sie Geld immer gern nehmen.» «Was soll bloß mal werden, wenn ich dereinst heimgerufen werde? Denn bei der Bank haben die AKTIEN für mich gekauft. Ich war fix und fertig, da nuschelte der Bankmensch, dass die Papiere von 30 € auf 280 € das Stück gestiegen sind, und aus meinen 8000 € wären … Rechnen Se mal! Meine Güte! Ich brauche Korn.» Unsere Online-Omi kommt zu Reichtum, den es vor Tochter Kirsten zu schützen, mit Gertrud, Ilse und Kurt zu feiern und mit Stefan und seinen Liebsten zu teilen gilt. Nebenbei greift Renate die ganz großen Fragen des Lebens auf: Wer bekommt welche Sammeltasse? In welcher Leibwäsche sollte man bestattet werden? Und ist eine neue Liebe wirklich wie ein neues Leben?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 228
Renate Bergmann
Wer erbt, muss auch gießen
Die Online-Omi teilt auf
Ihr Verlagsname
«‹Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel.› Meine Erfahrung ist, dass sie Geld immer gern nehmen.»
«Was soll bloß mal werden, wenn ich dereinst heimgerufen werde? Denn bei der Bank haben die AKTIEN für mich gekauft. Ich war fix und fertig, da nuschelte der Bankmensch, dass die Papiere von 30 € auf 280 € das Stück gestiegen sind, und aus meinen 8000 € wären … Rechnen Se mal! Meine Güte! Ich brauche Korn.»
diesmal verrate ich aber nicht, wer hier schreibt. Sie wissen das bestimmt auch so, es steht ja auf dem Deckel vom Buch drauf. «RENATE BERGMANN». Huch, nun habe ich es doch getippt … aber es ist ja auch in Ordnung, Sie sollen ruhig wissen, wer Ihnen hier Geschichten aus ihrem Leben erzählt.
Wissen Se, es ist ja ständig was. Immer, wenn man denkt, jetzt ist mal ein bisschen Ruhe, die nächsten Wochen lege ich die Füße hoch und lese ein schönes Buch oder wage mich an das neue Muster für die Häkelstola, das Ilse aus der Handarbeitszeitung bei ihrer Augenärztin gemopst hat, dann passiert wieder was. Wenn ich eins gelernt habe im Leben, dann das: Wenn man sich erst mal damit abgefunden hat, dass nichts bleibt, wie es ist, dann lebt es sich leichter.
Bevor wir jetzt loslegen, stelle ich Ihnen mal meine Leutchen vor. Ganz kurz nur, ich will Sie schließlich nicht langweilen.
Gucken Se, ich bin jetzt 82, und ich muss sagen, dass ich viel Glück hatte im Leben – vier Ehemänner habe ich überlebt, die Hüftoperation letzten Sommer und sogar den «Musikantenstadl». Da kann ich froh sein, dass ich noch so gut allein zurechtkomme und auch noch klar im Oberstübchen bin. Trotzdem muss man der Tatsache ins Auge schauen, dass da vielleicht nicht mehr viel kommt. Vielleicht zwei Jahre, vielleicht fünf, wenn ich Glück habe, zehn. Gehen Se davon aus, dass ich noch ordentlich Rambazamba machen werde, solange ich hier bin, aber für den Fall der Fälle, dass der da oben mich zu sich ruft … Ich habe mich in den letzten Wochen um mein Testament gekümmert. Das ist kein Thema, über das man sich gern Gedanken macht. Man schiebt das lange auf die Seite. «Willste erben, muss einer sterben», so heißt es, und wer redet schon gern über den Tod? Aber es gehört dazu, und wenn man älter wird, muss man sich damit befassen, ob man will oder nicht. Schließlich möchte man seine Dinge gut geregelt wissen, wenn es dereinst so weit ist. Dann muss das Testament eben auch angegangen werden. Da ist eine Renate Bergmann eine Frau der Tat. Auch unangenehme Themen muss man offen ansprechen. Bei mir wird nicht lange gefackelt, sondern gehandelt. Da heißt es gucken, dass die Zähne drin sind, Augen zu und durch.
Alles fing damit an, dass meine Tochter Kirsten Geld wollte. Ich habe mich erst mal schwerhörig gestellt, um Zeit zu gewinnen – wissen Se, das machen wir älteren Damen manchmal so, das verrate ich jetzt einfach mal. Wenn eine unangenehme Frage kommt, warte ich erst mal eine Minute ab und tue so, als hätte ich nichts gehört. Wenn derjenige dann noch mal nachhakt und ich noch immer keine kluge Antwort weiß, lächle ich, halte die Hand ans Ohr und frage «Bitte?». Wichtig ist, dass man lächelt und ein Stück zurückweicht, denn meist brüllen se einem die Frage noch mal so laut entgegen, dass es dröhnt.
Aber jetzt bin ich schon mitten beim Erzählen, und dabei wollte ich Ihnen doch nur «Guten Tag» sagen und Ihnen viel Vergnügen beim Lesen wünschen …
Das mache ich dann jetzt auch. Lassen Se uns loslegen.
Viel Freude wünscht
Renate Bergmann
Letztes Ostern gab es kein Entrinnen: Kirsten kam auf Besuch. Ich habe gelernt, dass es gar nichts bringt, sich da noch rauszuwinden. Sie kommt doch, wenn sie will. Um Ausreden bin ich bestimmt nicht verlegen und kenne jeden Trick, aber Kirsten ist eben meine Tochter – sie hat einen gewissen Biss und lässt sich nichts vormachen. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.
Also diskutierte ich nicht lange, sondern machte eine ganz klare Ansage, wie Stefan das immer nennt: Sie sollte mir mit ihrer Weganesserei kein Theater machen! Wissen Se, ich stehe von früh bis spät in der Küche und begieße das Lamm, rasple den Rotkohl und rolle die Klöße – und dann doppelte Arbeit, weil das Fräulein kein Lamm isst? Lamm ist so lecker, ich verstehe das nicht. Das kriegt nur Gras und Kartoffeln bei Schäfer Hacksler, das ist doch wegan! Das Mädel hat sich da dumm, nee. Man hat keine Worte! Ich habe jedenfalls gesagt, sie soll nicht erwarten, dass ich ihr extra Rouladen mache, nur weil sie kein Lamm isst – aber das war der Dame auch nicht recht. «Rouladen erst recht nicht, Mama», hieß es. So was. Nee. Meine Männer haben sich alle zehn Finger geleckt nach meinen Rouladen! Nun gut, außer Franz, der hatte seit dem Unfall mit dem Schlachtermesser nur noch acht Finger, aber Sie wissen schon, was ich meine.
«Du musst eben gucken, dass du von dem was isst, was es gibt, Kind», habe ich klipp und klar gesagt. «Ich stelle mich nicht extra hin und mache noch großen Bahnhof.» Sie hätte Rotkohl und Grünkohl essen können mit ein bisschen Soße und Klößen, aber das wollte sie auch nicht. Sie hielt mir einen Vortrag und machte ein Gezeter, weil ich ein BISSCHEN Gänseschmalz an den Rotkohl mache. Gottchen, ja! Aber so schmeckt es doch kräftiger. Was glaubte das Kind denn, woher der Geschmack kommt? Von welken Gänseblümchen ja wohl nicht. Und ein Stich Butter oder Schmalz muss ran, sonst kann der Körper die Fittamine gar nicht verarbeiten. Kirsten sprach jedoch, ich solle mir keinen Aufwand und keine Gedanken machen, sie hätte ein neues Zaubergerät für die gesunde Ernährung, das Neueste vom Neuesten, das würde sie mitbringen und sich damit selbst versorgen. Ich müsste mich um nichts kümmern.
Wenn ich das schon höre! Das ist wie, wenn Kurt zu Ilse sagt «WIR könnten doch mal wieder Gulasch machen». Wer steht dann in der Küche und rührt in der Pfanne? Es bleibt doch alles an der Hausfrau hängen, egal, was die alten Männer sagen. Oder meine Kirsten.
Dann war es so weit, sie kam angebraust mit dem Auto aus dem Sauerland. Ich hatte schon zwei Wochen vorher angefangen, diese Kapseln mit Johanniskraut zu nehmen. Das entspannt einen, sag ich Ihnen, damit bin ich sogar prima durch die Wechseljahre gekommen. Mit Johanniskraut und Korn würde es schon gehen.
Kirsten sagte gleich bei der Begrüßung, dass ich mir um das Essen wirklich keine Sorgen machen solle, sie hätte alles dabei. Dann lud sie eine große Kiste mit Gemüse und Kräutern aus dem Kofferraum und schleppte zu guter Letzt noch eine Küchenmaschine rein. Ich rückte die Brille zurecht und betrachtete mir das Ding. Es war eine Art Standmixer, der ordentlich was wegschaffte und alles, was man reinwarf, zu einem Brei zermalmte. Ein Smufiemacher. Kirsten pürierte sich damit das Obst flüssig, sagte sie. So ein Blödsinn, sie hat noch alle Zähne und mahlt sich die Äpfel zu Brei … ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass Kirsten laut ihrer Frau Dokter besonders ist, oder daran, dass es den jungen Leuten heute einfach zu gut geht. Ich würde jedenfalls sonst was dafür geben, wenn ich wieder kraftvoll in einen Apfel reinbeißen könnte, statt ihn gerieben zu schnabbulieren. Diese jungen Dinger haben es zu leicht, sage ich Ihnen.
Kirsten sprach mit einer Bewunderung von der Maschine, als könnte sie Rheuma heilen oder zum Mond fliegen. Ich habe es mir genau erklären lassen: Erst zerrührte Kirsten reifes Obst und Gemüse jeglicher Art zu Pamps damit, und dann füllte sie mit Apfelsaft auf, bis alles halbwegs flüssig war. Natürlich Bio-Apfelsaft. Der sieht aus wie Morgenurin, wussten Sie das? Ich habe die Maschine erst mal gut sauber gemacht, nachdem Kirsten mit ihrer Vorführung fertig war – wissen Se, bei diesen Geräten ist das ja immer ganz verrückt: Zwei Minuten benutzt man sie, und eine halbe Stunde putzt man sie. Der Grint setzt sich in den Schlitzen und Ecken ab, da müssen Se dann mit der Zahnbürste ran. Aber ich habe meine Tricks. Ich füllte sie bis zur Hälfte mit Wasser auf und gab einen Teelöffel Waschpulver dazu. Dann drückte ich auf «SPRUDEL» – also, eigentlich stand da «POWA» und nicht «SPRUDEL», aber so kann ich es mir besser merken – und das Gerät machte einen Schaum, ach, es war herrlich! Mein Hausfrauenherz hüpfte vor Freude, Johanniskraut hin oder her. Der Smufiemacher blitzte, und das Schaumwasser habe ich in den Ausguss gegeben und gut einwirken lassen. Ich mache das auch mit dem heißen Kartoffelwasser, dann setzt sich nix fest und man hat immer einen reinen Ausfluss. Denken Se sich nur, die Hausverwaltung macht mal Kontrolle und dann riecht es aus dem Ausguss? Nee, ich bin eine reinliche Person. Ich gebe grundsätzlich kein schmuddeliges Zeug in den Ausguss, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankanne. Kiste.
Wo war ich? Ach ja. Als alles wieder reine war, guckte ich mir den Schredderautomaten genau an. Man musste ja staunen, was für eine Kraft der Apparat hatte! Der machte einen Apfel kurz und klein, und trotzdem ließ er die Fittamine am Leben, sagte Kirsten. Das Mädel musste es wissen. Ich war neugierig geworden und guckte, was es im Kühlschrank Schönes gab, schließlich war die Mittagszeit auch für Kirsten ran. Ich hatte noch Entenklein vom Braten für den Ostermontag … wissen Se, wenn man eine Ente schlachtet, na, dann sind da auch immer die Innereien, der Bürzel, der Hals und die Flüchtel. So was behält man als gute Hausfrau zurück und legt es nicht mit zur Brust und Keule auf die Anrichteplatte, wenn Gäste kommen. Das wird hinterher gegessen. Ich warf den Bürzel in den Mixer, gab einen Klecks Grünkohl dazu – Kirsten hatte gesagt «grüne Smufies sind am gesündesten!» – und füllte mit Möhrensaft auf. Ich musste nicht mal zehn Sekunden drücken, dann war alles samtig weich und flüssig. Ich staunte. Vorsichtig nahm ich ein bisschen davon auf einen Teelöffel und zog ihn durch die Zähne. Oooch, mit ein bisschen Salz und Pfeffer war das gar nicht übel. Da konnte man nicht meckern. Ich hatte auch noch dieses komische arabische Fischgewürz, das Kirsten vom Antiätching am Comer See angeschleppt hatte. Das nehme ich nie. Das riecht nach Blumen und Zimt, aber hier passte es. Ich krümelte ein paar Brösel rein und drückte noch mal kurz SPRUDEL. Kirsten kam zur Küchentür rein. «Was hast du mir denn da Schönes gezaubert, Mama?», fragte sie. Ich konnte gar nicht so schnell antworten, da hatte sie schon einen Löffel im Mund und schmatzte.
«Mmmmmmmh … Mama! Das ist ja lecker! Was hast du da reingetan?» Kirsten kratzte mit dem Teelöffel noch die letzte Neige vom Boden und kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus.
«Ach Kind, lass mich mal überlegen … weißte, eine Hausfrau hat ja keine Rezepte, sondern guckt, was im Kühlschrank ist … ein Klecks Grünkohl ist drin und Mohrrübensaft, und Gewürze …»
Den Entenbürzel erwähnte ich nicht. Ich bin 82 Jahre und damit in einem Alter, wo niemand mehr erwarten kann, dass ich mich an jede Kleinigkeit erinnere. Also wirklich.
Das Mädel strahlte vor Glück, und auch ich war gerührt. Das bisschen Wahrheit hätte da nur gestört. Schon Oma Strelemann hat immer gesagt: «Wahrheit ist nur was für Leute, die sie auch vertragen.»
«Mama, das ist mit Abstand der leckerste vegane Smoothie, den ich je getrunken habe!», legte das Kind nach.
So einfach war das also. Einem harmonischen Osterfest stand nichts mehr im Weg.
In den folgenden Tagen wurde Kirsten immer fröhlicher. Am Ostersonntag kam sie sogar mit zum Spaziergang mit Gertrud, Gunter Herbst, Ilse und Kurt. Für Kirsten hatten wir ein paar Tomaten versteckt statt Eier, wegen wegan. Ach, es war sehr nett, auch wenn Kurt es nicht gerecht fand, dass Kirsten Tomaten suchen durfte und er Eier. Die Tomaten wären viel leichter zu sehen, meinte er. Aber Kurt kann Kirsten nicht leiden, seit sie Ilse eingeredet hat, Kurts Augen würden vielleicht besser, wenn er kein Fleisch mehr isst. Ilse hat den Quatsch geglaubt, und nun kriegt er immer das kleinere Schnitzel. Deshalb mag Kurt die Kirsten nicht und hat immer was rumzumeckern an ihr.
Als wir gegen Abend nach Hause kamen und es Zeit für das Essen wurde, trällerte sie sogar «Überrasch mich mit einer deiner schöneren Kreationen, Mama!».
Na bitte. Wenn sie mein Essen mit Messer und Gabel nicht wollte, bekam sie es eben püriert. Es war zwar im Grunde ein Jammer, schließlich gibt man sich viel Mühe beim Kochen – aber wenn es so sein sollte, bitte schön. Wenigstens aß das Kind so, und ich hatte nicht das Gestocher im Kressesalat am Tisch. Die Maschine wurde mein Lieblingsgerät, schließlich sorgte es doch für friedliche Festtage mit meiner Kirsten. Ich hätte es nicht mehr für möglich gehalten. Wie oft hatten wir uns gestritten an hohen Feiertagen, und jahrelang haben wir sie gar nicht miteinander begangen, weil wir dem Krach aus dem Wege gehen wollten. Und nun sorgte der Smufiemacher für Harmonie zwischen Mutter und Kind. Kirsten war so umgänglich, sie guckte sogar «Michel in der Suppenschüssel» mit mir. Ach, das war so schön. Es ist ganz egal, wie alt man ist – wenn der kleine Michel mit dem kranken Alfred durch den Schneesturm nach Mariannelund fährt, dann wird einem ganz warm ums Herz. Sogar an Ostern. Immer, wenn ich in die Küche kam, streichelte ich dankbar über den Smufieapparat. Seitdem ich von meinem Franz damals die Heimdauerwelle zum Geburtstag geschenkt bekam, hatte ich nicht mehr so ein praktisches Gerät im Haus gehabt! Kirsten war so auffallend freundlich, dass ich langsam ins Grübeln geriet. Nicht mal, als ich aus Versehen ihren Therapie-Puffreis gegessen habe, machte sie Theater. Ich hatte beim Fernsehen Appetit auf was Süßes, und da kam mir der Puffreis ganz recht. Viel darf ich ja nicht, wegen dem Zucker, aber Kirsten hatte so kleine Gläschen rumstehen überall, das war genau die richtige Menge. Es schmeckte nach gar nichts. Wie diese Schaumstoffkügelchen, die manchmal in den Paketen vom Teleschoppingglück 24 drinliegen, damit beim Versand nichts kaputtgeht. Nach zwei Portionen reichte es mir, mein Appetit war gestillt und die Werbung im Fernsehen vorbei, Uschi Glas ermittelte weiter. Kirsten sah die leeren Fläschchen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, beließ es ansonsten aber bei einem einfachen «Mama, man kann dich aber auch keinen Moment allein lassen!». Sie murmelte etwas von Globuli und dass ich nun entweder gut schlafen oder reichlich Wasser lassen würde. Vielleicht beides. Es passierte aber gar nichts, ich trank einen Korn auf den Schreck, ging ins Bett, und am nächsten Morgen war ich um fünf munter, ging austreten wie immer und pullerte zwei Fingerbreit. Globussi, ich bitte Sie!
Humbug!
Einmal hat Kirsten mich dabei ertappt, wie ich dem Gerät übers Chrom gestrichen hab. Sie nahm mich in den Arm und sagte: «Weißt du, Mama, wenn du so viel Freude an dem Ding hast, dann schenke ich es dir.» So ein liebes Mädel! Ich küsste sie auf die Wange, holte gleich ein Pflaster aus dem Sanitätsschränkchen im Flur und schrieb mit dem Kuli KIRSTEN drauf. Ich klebte es unter die Maschine und machte es mit zwei Streifen Tesakleber wischfest. Können Se sich ja wohl denken, dass bei mir nicht nur der Behälter gründlich durchgespült wird, sondern dass ich so einen teuren Automaten auch von unten regelmäßig feucht abwische, nich wahr? Es ist wie beim Menschen: Da setzen sich so schnell Keime fest, und dann hat man Durchfall oder Pusteln. So weit kommt es noch! Kirsten guckte komisch.
«Sag mal, Mama, was machst du denn da? Kannst du dir nicht merken, von wem du das Geschenk bekommen hast, und musst es dranschreiben? Du bist doch gar nicht so vergesslich!»
Ich atmete erst mal tief durch, damit ich unsere frische Harmonie nicht zerstöre. Richtig atmen habe ich schon Ostern 2005 von meiner Kirsten gelernt, das Kind gibt sogar Kurse auf dem Gebiet.
«Kirsten. Kind. Von wem das Geschenk ist, das ist doch egal. Aber ich bin 82, und wenn ich mal heimgerufen werde … ich weiß doch, was das dann hier für ein Gewühl wird. Du bist am Heulen und räucherst mit deinen Stäbchen hier rum, weil es angeblich nach alter Frau riecht, Ilse und Gertrud sortieren die Konserven und die Leibwäsche durch, und Stefan ist der Einzige, der klaren Kopf behält. Da ist er dankbar über jeden Hinweis, wer mal was erben soll, über die Nachlassinformationen.»
Im Vertrauen: Früher dachte ich auch immer «Nee, diese ollen Leute!». Aber je älter man wird, desto schrulliger wird man auch. Oder sagen wir lieber: besonderer. Da kann man gar nichts machen. Irgendwann wird einem auch gewahr, dass das Leben wie ein Maßband ist, von dem jedes Jahr ein Stückchen abgeschnitten wird. Keiner weiß, wie lang das Maßband ist, aber wenn man schon 82 Schnipsel abgeschnitten hat, na, da muss man schon auf den Daumen aufpassen, wenn das Leben wieder die Schere ansetzt. Da kommt nicht mehr viel. Aber daraus muss man das Beste machen, und als alter Mensch will man eben, dass die schönen Dinge in gute Hände kommen, wenn das Maßband mal alle ist.
«MAMA!», unterbrach mich Kirsten unwirsch. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, ob sie in dem Moment richtig geatmet hat. Hihi. «Jetzt ist es aber gut. Dass du immer vom Sterben anfangen musst!» Ich streichelte ihr den Arm. Im Grunde meinte sie es gut.
«Kirsten, man muss den Dingen ins Auge sehen. Das kann ganz schnell gehen. Die Hettie Bemmann hat es neulich auch erwischt, ohne Vorwarnung – einfach umgefallen und tot. Am Tag vorher habe ich sie noch bei der Fußpflege gesehen!»
«Ach du liebe Zeit», sagte Kirsten entgeistert. «Tante Hettie ist tot? Wie ist denn das passiert?»
«Kirsten. Kind! Sie war 89. Glaubst du, sie ist beim Rollschuhlaufen gestürzt? Sie ist gestorben, weil sie alt war!» Wenigstens hatte sie frisch beschnittene Fußnägel, obwohl man die ja selbst bei einem offenen Sarg nicht sieht. Ich klebte eine dritte Lage Tesakleber über das Namensschild. «Du wirst mir noch dankbar sein für die Erbinformation. Glaub mir nur. Ich sehe euch hier dereinst schon weinend aufräumen, und dann seid ihr doch froh, wenn es schnell geht und ihr nicht noch einen Monat länger die Miete überweisen müsst.» Eine Renate Bergmann denkt praktisch, auch über den Tod hinaus.
Kirsten wandte sich ab. Ich konnte mir schon denken, wie es mal kommen würde. Sie würden die schöne Smufiemaschine einfach wegschmeißen oder der Berber geben, was im Grunde dasselbe ist. So ist die Jugend, wenn es etwas Neueres gibt, muss das Alte weg. Ob es ein Telefon ist oder Anziehsachen. So ein Blödsinn! Ich habe noch die Brotmaschine, die meine Großmutter 1908 zur silbernen Hochzeit geschenkt bekommen hat. Das ist noch Qualität! Die ist aus ganz massivem Holz und hat ein geschmiedetes Schneideblatt. Das schleift mir Kurt alle zwei Jahre, und dann kurbele ich meine Stullen ab. Ohne Elektro und so einen Quatsch. Gertrud hat eine elektrische Brotmaschine. Sicher, die ist auch schön, aber sie braucht Strom, und wenn man nicht aufpasst, gibt es Kurzschluss. Bei Gewitter darf man sie auch nicht anstellen, sonst zieht es den Blitz an. Nun denken Se sich mal, es ist ein schlimmes Gewitter und Sie können sich nicht mal eine Stulle schmieren! Wenn man auf Gertruds Brotmaschine Schinken schneidet, verheddern sich die Scheiben und man muss den Fettrand mit dem Zahnstocher lose polken. Sie musste sogar schon eine neue kaufen, kaum dass sie 20 Jahre gehalten hatte. Gertrud muss jedenfalls keine Pflaster kleben mit Informationen für den Nachlassverwalter, die Plastebrotmaschine hält sowieso nicht so lange. Die bauen die Geräte doch extra so, dass sie schnell kaputtgehen, damit man neu nachkauft! Ach, ich rege mich schon wieder auf.
Aber der Smufiemacher war ein Zauberding. So fein kriegen Se das Zeug mit der Küchenreibe gar nicht zerkleinert. Da wäre mir Kirsten bestimmt ganz schnell draufgekommen, dass da Fleisch drin ist. Der Häcksler machte es alles schön sämig, und sie schwärmte mir bei jeder Mahlzeit vor, wie gut es ihr schmeckte.
Und es hatte noch einen weiteren Vorteil: Man bekam endlich mal den Kühlschrank leer! Wissen Se, Leute aus meiner Generation, die die schweren Jahre nach dem Krieg noch miterlebt haben, schmeißen Essen nicht gern weg. Wir verwerten das noch. Salzkartoffeln werden die Woche über gesammelt, und am Sonnabend gibt es Bratkartoffeln. Und wenn Bratensoße übrig bleibt, wird ein Ei reingeschlagen. Mit einer Scheibe Brot dazu