Wer mit Hunden schläft - Harald Darer - E-Book

Wer mit Hunden schläft E-Book

Harald Darer

4,8

Beschreibung

Der Herr Norbert spricht mit seinem Hund. Der Herr Norbert spricht aber auch mit seinem Therapeuten in der Männerberatungsstelle. Er erzählt vor allem von seiner Kindheit in einem Dorf an der steirischen Südbahnstrecke. Norberts Mutter war Magd auf dem Leitenbauerhof, Norbert ihr Bankert, von der Familie geduldet, von der Mutter geliebt. Von der Mutter jedoch auch unter Tränen in die Stadt verschickt: Norbert hatte sie beim Tête-à-Tête mit dem Hofherrn erwischt und diesen niedergeschlagen. Worauf der Bauer das ohnedies unnütze Kind in einen Zug setzen und ins Kinderheim schaffen ließ. Dass den kleinen Norbert nur kurze Zeit später die Nachricht vom Tod seiner Mutter erreichte, stellte die Weichen für sein Leben: Das will und will nicht glücken, auch als er eine Ausbildungsstelle und später eine Arbeit findet; die Frauen misst er alle an seiner einzigen großen Liebe, die ihm entzogen wurde. In unverwechselbarem Ton, gemahnend an Thomas Bernhard, schockierend wie Franz Innerhofer, gibt Harald Darer in seinem grandiosen Debüt dem Herrn Norbert eine Stimme, einen unwiderstehlichen Erzählfluss, der den Leser dort packt, wo es am meisten wehtut: in der Seele.

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Seitenzahl: 220

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HARALD DARER

WER MIT HUNDEN SCHLÄFT

Copyright © 2013 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Andreas Reeg/VISUM creative Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5160-7 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

HARALD DARER

WER MIT HUNDEN SCHLÄFT

ROMAN

PICUS VERLAG WIEN

Der Grundsatz, nach dem ich entscheide ist: Die Schuld ist immer zweifellos.

FRANZ KAFKA, In der Strafkolonie

I

Wie jeden Freitag sitzt der Herr Norbert bei seiner vom Gericht verordneten Therapiesitzung im kleinen Therapieraum der ihm zugewiesenen Männerberatungsstelle auf dem abgewetzten Drehsessel. Ihm gegenüber lehnt sein Lebensberater schief in einem für diese Therapieräume typischen schwarzen Ledersofa und kaut an der Spitze eines Kugelschreibers herum. »Kreisky, sag ich zu meinem Hund, geht doch alle scheißen, hab ich mir seinerzeit beim Abschied gedacht, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert.

Seine Mutter hat den Herrn Norbert weggegeben, als er noch ein Bub war. Setzte ihren lieben kleinen Norli, wie sie ihn nannte, mit ihrer Hand seine Haare zerwühlend, am Bahnhof von Pichlberg in den Regionalzug nach Mürzzuschlag, von wo aus er den Zug nach Wien nehmen musste. Zum Anlass der Abschiebung des kleinen Norli durch die Mutter in das Arnautovič Kinderheim der Stadt Wien war er von ihr in das üblicherweise nur zu feierlichen Anlässen zu tragende Gewand gezwungen worden. Ein Kindersteireranzug war es, wie seine Mutter das Gewand nannte. Ein Anzug, den man Kindern anzieht, damit sie aussehen wie kleine Erwachsene. Aussehen wie ausgewachsene Menschen, denen man Erwachsenenangelegenheiten zutraut, die aber in Wirklichkeit noch Minderjährige sind. Hauptbestandteil dieses Kindersteireranzugs des Norbert war ein hellblauer Walkjanker. Diesen hellblauen Walkjanker hat der Norbert schon aufgrund seiner rauen, jedes blanke Hautstück irritierenden und aufwetzenden Oberflächenbeschaffenheit immer schon gehasst. Vor keinem Gewand hat ihm mehr gegraust als vor diesem körperfeindlichen Walkjanker, weshalb ihm somit auch jeder dazugehörende feierliche Anlass ein Graus war. Leider stand gerade dieses Kleidungsstück, beziehungsweise das Gewand aus gewalktem Material im Generellen, bei den Pichlbergern immer an oberster Stelle, bei der Beliebtheit jetzt. Kein Pichlberger ohne seinen Walkjanker!, hat der Leitenbauer immer ausgerufen, jener Leitenbauer, bei dem die Mutter des Norbert als Landarbeiterin, als Dirn also, wie diese im Volksmund heutzutage immer noch heißen, angestellt war. Als Leitenbauerdirn war sie auch nur bei den Leuten in Pichlberg bekannt. Die Leitenbauerdirn mit ihrem unehelichen Bankert, womit sie den Norbert gemeint haben, von Anfang an. So wie sie auch den Leitenbauer nur als Leitenbauer bezeichnet haben, weil das, wie in der Steiermark üblich, sein Hofname, sein Vulgoname also, war. Und das deshalb, weil der Leitenbauerhof am Ende eines großflächigen Hanges, eben dieser Leiten, lag. Hat man über ihn und seine Familie gesprochen, ist immer über den Leitenbauer, über die Leitenbauerischen geredet worden. Haben sie vom Norbert und seiner Mutter geredet, hat es immer die Leitenbauerdirn und ihr Bankert geheißen. Die Frau des Leitenbauer hieß Leitenbauerin. Nicht Leitenbäuerin, wie man es vielleicht hätte glauben mögen, sondern Leitenbauerin. Vom Moment der Heirat an ist sie zur Leitenbauerin geworden. Die Eheschließung hat blitzartig das Individuelle in ihr zerstört. Der Leitenbauer und die Leitenbauerin haben sich vereinigt, nicht nur kirchlich jetzt, sondern auch geistig und vom Ausschauen her. Die Leitenbauerin ist zum Leitenbauer ohne Schnurrbart, dafür mit Brüsten, geworden. Diese Brüste, deren palatschinkenartige Konturen durch den Dirndlstoff sichtbar wurden, quetschte sie meistens in ein viel zu enges Dirndlkleid. Der Leitenbauer hat die Leitenbauerin von der attraktiven Frau zum Arbeitstier gemacht, zum Muli, wie er sie auch nannte. Ist das Fressen schon fertig, du Muli, hat der Leitenbauer nicht nur einmal zu ihr gesagt und ihr die Wange getätschelt dabei, so fest oder so locker, dass es gerade noch als Tätscheln durchging und kein Fotzen war. Seiner Meinung nach ist der Norbert am Leitenbauerhof als uneheliches Kind der Dirn von den Leitenbauerischen immer nur geduldet gewesen, nie erwünscht. Als eben dieser Bankert benannt, hatte der Norbert von Anfang an kein schönes Leben am Leitenbauerhof, wie er immer sagt. Und als ihn dann die Mutter in das besagte Kinderheim gegeben, ihr eigenes Kind weggegeben hat, wie ihr die Pichlberger hinterrücks immer vorhielten, ohne die wahren Hintergründe zu kennen, die haben sie nicht interessiert, hat ihn das in der momentanen Situation nicht in diesem tragischen Maße getroffen, wie man hätte meinen können. Viel mehr getroffen hat ihn der aufgezwungene Kindersteireranzug mit dem hellblauen Walkjanker als dessen Hauptbestandteil. Die hellblaue Farbe war zu den marternden Eigenschaften des Walkstoffs nur noch das Tüpfelchen auf dem i, wie man so schön sagt. Der unter den Eltern also äußerst beliebte und vom Norbert am meisten gehasste Kinderwalkjanker wurde aus unbekannten Gründen lediglich in zwei Farben hergestellt. Nämlich in rot und in hellblau. Der Norbert war der Ansicht, wenn schon einen Walkjanker, dann einen schönen roten. Aus einem weiteren unbekannten Grund durften aber die roten Walkjanker alleinig die Mädchen tragen. Kein Elternteil wäre je auf die absolut absurde Idee gekommen, seiner Tochter einen hellblauen oder seinem Sohn einen roten Walkjanker zu schenken, weil der Walkjanker immer von den Eltern oder Verwandten meist zu einem traditionellen Anlass geschenkt wurde. Niemals wurde je ein steirisches Kind mit einem Glied mit einem roten oder je ein steirisches Kind mit einer Scheide mit einem hellblauen Walkjanker gesichtet. So ist auch der Norbert an diesem für ihn bedeutungsvollen, ja schicksalsträchtigen Tag, wie solche Ereignisse genannt werden, nicht in einem roten, sondern traditionellerweise in einem hellblauen Walkjanker auf dem Bahnsteig in Pichlberg gestanden und hat sich, auf den Regionalzug nach Mürzzuschlag wartend, vielmehr über das Tragen des hellblauen Walkjankers als über die Tatsache, von seiner Mutter weggegeben zu werden, aufgeregt. Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter, die sich dem Anlass entsprechend quasi die Augen ausweinte. , hat die Mutter gesagt zwischen dem Schluchzen, et cetera, und hat die Aufregung des Norbert über den Walkjanker im Zuge eines so dramatischen Ereignisses, wie es eine Kindsweggabe ohne Zweifel ist, überhaupt nicht verstanden, verständlicherweise. Insgeheim hatte sich der Norbert schon Wochen vor der Abreise auf die Zugfahrt gefreut. Jahrelang hatte er die Züge bei der Ein- und Abfahrt beobachtet, wünschte sich immer in einem der Waggons zu sitzen, um in die Stadt zu fahren, wo es keine Bäume, keine Wiesen, keine Kühe und Schweine und Steireranzüge gab, geschweige denn Kindersteireranzüge, anstatt wieder zurück zum Leitenbauerhof zu gehen. Während die Mutter auf dem Boden kniend, ihr Gesicht fest an die Brust des Norbert gedrückt, in dessen Walkjanker hineinweinte und den Verlust ihres Kindes kaum verkraftete, sind die Wangerln des Norbert vor lauter Aufregung wegen der bevorstehenden Zugfahrt und der Flucht vom Leitenbauerhof und Pichlberg im Allgemeinen, ganz rot angelaufen. Geht doch alle scheißen, hat sich der Norbert gedacht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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