Schnitzeltragödie - Harald Darer - E-Book

Schnitzeltragödie E-Book

Harald Darer

4,9

Beschreibung

Als wäre er nie dagewesen: Ein junger Mann putzt seine Wohnung vor der Übergabe besenrein. Mit seiner Frau und der neugeborenen Tochter zieht er weg. Er lässt zurück: sein Dreihundertfünfundsechziggutenachtgeschichtenbuch. Mit Vatergeschichten, Frauengeschichten, Küchengeschichten - allesamt unwiderstehlich komische Tragödien. Da ist der Häftling auf Freigang, der sein brodelndes Inneres nicht für sich behalten kann und seine Erregung an der Mutter auslässt. Oder die ehemalige Miss Austria, die sich wegen einer Semmel Vorwürfe macht. Der HTL-Lehrer, der auf einer Wanderung eine Kuh malträtiert. Der eigene Vater, auf Arbeitseinsatz im Irak und nicht zuletzt der Rollenwechsel des jungen Mannes selbst, vom Sohn zum Vater. Unverwechselbar und tiefgründig, amüsant und erschütternd: Harald Darer erwischt seine Leser wieder einmal beim schaurigen Lachen über Grausames aus dem tiefen Fundus des vergessen Geglaubten.

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HARALD DARER

Schnitzel

tragödie

Copyright © 2016 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © marion blomeyer/bobsairport ISBN 978-3-7117-2032-0 eISBN 978-3-7117-5305-2

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

Harald Darer, geboren 1975 in Mürzzuschlag, Steiermark, begann nach der Lehre zum Elektroinstallateur und einschlägigen Weiterbildungen mit dreißig Jahren zu schreiben. Seither zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sein Debütroman »Wer mit Hunden schläft« erschien 2013 im Picus Verlag, 2015 folgte »Herzkörper«. Harald Darer lebt und arbeitet in Wien. www.der-darer.net

HARALD DARER

Schnitzel

tragödie

ROMAN

PICUS VERAG WIEN

Nachdem ich, die Beamten spürbar im Rücken, die Wohnung verlassen, die Tür abgesperrt und die Haustorschlüssel im Stiegenhaus selbigen übergeben habe, fällt mir beim Blick auf den Klingeltaster das darunter noch angebrachte Schild mit meinem in Großbuchstaben aufgedruckten Namen auf. Gerade noch rechtzeitig!, denke ich und bitte einen der Beamten, das Schild freundlicherweise zu entfernen, was dieser wortlos tut und mir den kleinen Karton ebenso wortlos in die Hand drückt. Ab jetzt ist jede Verbindung zu mir gekappt. Als wäre ich nie dagewesen. Ich gehe die Stiegen hinunter und verlasse, ohne mich noch einmal umzudrehen, den Wohnbau.

#

Mit dem Stempel Unbekannt verzogen werden alle an mich gerichteten Dokumente an die Absender retourniert werden. Meine Forderung an mich selbst ist, von dort, wo ich herkomme, verschwunden zu sein. Alle Spuren verwischt, die Wurzeln herausgerissen. Wurzeln sind ja sofort überall und in jedem geschlagen: Die Tasten einer Tastatur angegriffen, einen Touchscreen oder einen Menschen berührt, und in der Sekunde sind Wurzeln geschlagen beziehungsweise hineingeschlagen, so wie andere ebenfalls bei jeder Berührung ihre Wurzeln in einen hineinschlagen. Darum gehört die Wohnung vor dem Auszug ausgemistet, gesäubert, die Wände ausgemalt, lupen- und besenrein den Nachfolgenden übergeben.

Mit der Aussage Unbekannt verzogen werden alle mich Suchenden von meinen Nachmietern weggeschickt werden. Ich werde nichts zurückgelassen, alles an mich Erinnernde, wie die Teile der zerstückelten Leiche, in einen großen schwarzen Müllsack gepackt und zum Müllraum gebracht haben. Welche zerstückelte Leiche?, werden Sie sich denken. Dazu später mehr, das heißt, so ich mich, wenn ich mit mir fertig bin, noch daran erinnern werde. Die Schuhschachteln mit Erinnerungen und Briefen werde ich gelupft, die Notizbücher gehoben haben. Die Tragödien in den Schuhschachteln und Notizblöcken werde ich ausgeräumt und zur Verarbeitung hergerichtet haben. Wozu die Tragödien mitsiedeln? Tragödien wachsen so schnell nach wie die Himbeerstauden im Garten, die ich ebenso ausgerissen haben werde wie die üblicherweise nur Friedhöfe und Eigenheimgrundstückchen sowie deren Bewohner vergatternden und Friedhöfe und Eigenheimgrundstückchen sowie deren Bewohner mit ihrem Geruch verstinkenden Thujen und die Tragödien in mir, samt den Tragödientatorten und die an den Tragödien Beteiligten: Mitwisser, Täter, Opfer, alle herausgerissen aus dem größten Tragödienspeicher, wo das vermeintlich Vergessene lagert, das erfahrungsgemäß irgendwann wieder auftaucht. Immer dann wieder aus dem Tragödienspeicher auftaucht, wenn am wenigsten damit gerechnet wird, wie ein vor Jahren aufgegebener, verschollener und aus unerfindlichen Gründen plötzlich zugestellter Brief, der wieder an die Tragödie erinnert, der die Gefühle aufleben lässt, die man damals gehabt hat. Die Schmerzen, die sich genauso anfühlen wie damals. Als wäre die Tragödie erst gestern passiert, als wäre alles auf die Tragödie Zulaufende erst gestern passiert, und es ist mir beim Ausreißen, Ausmisten, Heben und Lupfen auch wirklich so vorgekommen, als wäre alles erst gestern gewesen.

Mit der Aussage Unbekannt verzogen werden alle in mir Suchenden von mir weggeschickt werden. Ich werde nichts zurückgelassen, alles mich, alles sie, und womöglich auch Sie Erinnernde – wer weiß?, die Welt ist ein Dorf! – und zur Verarbeitung Hergerichtete, auf weiße, leere Seiten gepackt, die Tragödien und Tatsachen vorher unkenntlich gemacht: zerrissen, zerquetscht, fein säuberlich zerhackt und zerstört haben, mit dem Fleischwolf, der ich bin. Werde die Tatsachen und Untatsachen entstellt haben, bevor sie mich selbst entstellen. Bevor der Tragödienkeller und der Tragödiendachboden plötzlich das ganze Haus verstellen, die Wohnräume, Gänge, Fenster, Türen, die Auswege und die womöglich schöne Aussicht hinaus verstellen. Nur, wo den Anfang finden, von dem sprichwörtlich behauptet wird, dass aller schwer sei? Egal, es wird überall und irgendwo ein Beispiel zu finden sein! Ich nehme mich meiner Nussholzküche an, bücke mich und schaue hinter die Sockelblende des Bewusst-Robust-Gorenje-Standherds, vor dem Mutter und Großmutter in der von Generation zu Generation weitervererbten, von mit Leberknödelresten verklebten Fingern rotbraun beschmierten Gänseblümchenschürze, mit blickdichten Stützstrumpfhosen und Birkenstockschlapfen Hunderte Stunden ihrer Lebenszeit zu unserem Besten verschweinsbraten haben, wo jahrzehntelang Bröckchen von Weihnachts- und Geburtstagsbäckereien, Topfenstrudeln oder verkohlten, selbst gemachten Erdäpfelnudelteigresten vom Backblech hinunter, durch den wegen der ausgemergelten Scharniere entstandenen Ofentürspalt hinter die Sockelblende gebröselt sind, und fische als anfänglichen Tragödienabortus, der in Form eines Dattelkerns zwischen einer eingetrockneten, wie ein Mumienfingernagel eingerollten und mit Spinnweben umsponnenen Leberkäsrinde und dem abgetrennten Arm eines Zwetschkenkrampus liegt, folgende Tragödie heraus.

Datteltragödie

Herzinfarkt führte zu Tragödie in Datteln, titelte die Lokalzeitung. Eine fröhliche Ausflugsfahrt am Sonntag endete in einer Tragödie, als ein aus einer Nebenstraße biegender Traktor …: Stopp, falsch, ganz falsch! Andere Länder, andere Datteln. Andere Datteln, andere Tragödien. Die Datteln, um die es hier geht, liegen zum Trocknen auf dem gut durchlüfteten Schuhschachtelbalkon einer kreditfinanzierten Eigentumswohnung, günstigerweise im letzten Stock auf der Sonnenseite eines von der sogenannten Rottenmanner Siedlungsgenossenschaft in die Mur-Mürz-Furche hineingebauten Mehrfamilienhauses. Als Trocknungsunterlage dienen den Datteln auf dem Betonbalkonboden ausgelegte Kleine-Tageszeitungs-Seiten mit Schlagzeilen vergangener und mutmaßlicher Wichtigkeiten der beginnenden neunzehnhundertachtziger Jahre. Drei Datteln verdecken das Wort Nittel der Zeile Nittel von Palästinenser erschossen, zwei Datteln verdecken das Wort Thriller der Zeile Michael Jacksons Thriller stürmt die Ö3-Charts, eine Dattel das Wort Sau der Zeile Saurer Regen – Stirbt unser Wald? Erinnert werden wird beim Verzehr von Datteln zukünftig das Wort .

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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