Werke für die Bühne - Carl Hauptmann - E-Book

Werke für die Bühne E-Book

Carl Hauptmann

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Beschreibung

Carl Ferdinand Max Hauptmann, Pseudonym Ferdinand Klar, war ein deutscher Dramatiker und Schriftsteller. Dieser Band beinhaltet seine wichtigsten Dramen und Bühnenwerke: Tobias Buntschuh Gaukler, Tod und Juwelier Musik Die armseligen Besenbinder Ephraims Breite Im goldenen Tempel-Buche verzeichnet Der Antiquar Frau Nadja Bielew Fasching

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Werke für die Bühne

Carl Hauptmann

Inhalt:

Carl Hauptmann – Biografie und Bibliografie

Tobias Buntschuh

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Gaukler, Tod und Juwelier

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Musik

Erster Akt

Personen.

Zweiter Akt

Personen.

Dritter Akt

Personen.

Vierter Akt

Personen.

Die armseligen Besenbinder

Personen.

Erster Akt.

Zweiter Akt.

Dritter Akt.

Vierter Akt.

Fünfter Akt.

Ephraims Breite

Personen.

Erster Akt

Zweiter Akt.

Personen.

Dritter Akt.

Personen.

Vierter Akt.

Personen.

Fünfter Akt.

Personen.

Im goldenen Tempel-Buche verzeichnet

Dichtung in drei Vorgängen

Erster Vorgang

Zweiter Vorgang

Dritter Vorgang

Der Antiquar

Frau Nadja Bielew

Fasching

Erster Vorgang

Zweiter Vorgang

Werke für die Bühne, C. Hauptmann

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849627249

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Dieses Werk bzw. Inhalt und Zusammenstellung steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Die Details der Lizenz und zu der Weiterverwertung dieses Werks finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/. Der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon wurden der TextGrid-Datenbank entnommen, wo der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon ebenfalls unter voriger Lizenz verfügbar sind. Eine bereits bestehende Allgemeinfreiheit der Texte bleibt von der Lizensierung unberührt.

Carl Hauptmann – Biografie und Bibliografie

Deutscher Schriftsteller, geboren am 11. Mai 1858 in Obersalzbrunn, Niederschlesien, verstorben am 4. Februar 1921 in Schreiberhau, Niederschlesien. Bruder von Gerhard Hauptmann. Nach dem Abschluss der Realschule 1880 studierte H. Naturwissenschaft und Philosophie an der Universität Jena und promoviert 1883 zum Dr. phil. Heirat mit Martha Thienemann ein Jahr später und Fortsetzung seines Studiums in Zürich. Erst 1889 kehrt H. nach Deutschland (Berlin) zurück und bezieht zwei Jahre später mit Bruder Gerhard ein Haus in Schreiberhau im Riesengebirge. 1908 Scheidung von Martha und erneute Hochzeit mit Maria Rohne.

Wichtige Werke:

1893 Metaphysik in der modernen Physiologie

1894 Marianne (Drama)

1896 Waldleute (Drama)

1897 Sonnenwanderer (Sammlung von Erzählungen)

1899 Ephraims Breite (Drama, erneut 1920 unter dem Titel Ephraims Tochter)

1902 Die Bergschmiede

1902 Mathilde. Zeichnungen aus dem Leben einer armen Frau (Roman)

1903 Des Königs Harfe (Bühnenspiel)

1905 Austreibung (Drama)

1907 Einhart, der Lächler (Roman, 2 Bände)

1909 Panspiele (vier Dramen)

1911 Napoleon Bonaparte (Drama)

1912 Nächte (Novellen)

1912 Ismael Friedmann (Roman)

1913 Schicksale (Erzählungen)

1913 Die lange Jule (Drama)

1913 Die armseligen Besenbinder (Drama)

1914 Krieg. Ein Tedeum (Drama)

1916 Tobias Buntschuh (Lustspiel)

1916-18 Die goldnen Straßen (Dramen-Trilogie)

1919 Rübezahlbuch

1919 Der abtrünnige Zar (Drama)

1920 Drei Frauen (Erzählungen)

1927 Tantaliden (Roman)

Tobias Buntschuh

Eine burleske Tragödie in fünf Akten

Personen.

Tobias Buntschuh

Philipp Wendelborn

Fräulein Luisa, Kunstreiterin und Drahtseiltänzerin

Radiana, Schlangenmädchen

Vater Buntschuh

Mutter Buntschuh

Clown Odebrecht

Clown Ambrois

Der Sekretär

Diener Franz

Diener Jakob

Ein dritter Diener

Ein Arzt

Ein Herr

Eine Dame

Ein Jüngling

Stallmeister

Ein Kellner

Clowns

Allerlei Zirkusherren, Zirkusdamen, Diener, eine Musikkapelle

Erster Akt

Garderobenstube im Zirkus. Auf einem Schube hockt ein blondes Mädchen von sehr bestimmten, aber sanften Gesichtszügen. In einem Teufelskostüm. Sie brütet nur melancholisch vor sich hin. Von draußen hört man die Gavotte Louis XIV.

Erste Szene

EIN CLOWN schlendert achtlos herein. Den grauen Zylinder in den Nacken geschoben. In höchst elegantem, fleischfarbenen, langschößigen Frack. Eine große Rose im Knopfloch. Pluderhose Weste und Schuhe sind von derselben silbergrauen Farbe wie der Hut. Er spielt mit einem kurzen Stöckchen in der linken Hand, während er sofort in Unruhe auf- und niedergeht. Nach einer Weile. Was hockst du hier, Bestie ... was willst du hier ...

RADIANA. Fräulein Luisa bedienen ...

DER CLOWN. Fräulein Luisa bedienen ... dieses Fräulein Luisa bedienen ... so ... dieses Fräulein Luisa muß wohl alle Welt bedienen ... Er pfeift ungeduldig vor sich hin, während hinter der Szene starker Applaus ausbricht. eine solche Raserei wieder ... da muß ja dieses Fräulein Luisa vollends verrückt werden ... ist denn dieser Nabob ... dieser große Arbeiterkönig ... dieses Erfindergenie heute auch wieder unter der heulenden Menge ...

RADIANA. Das weiß ich nicht ... ich kenne den Menschen nicht ... ich habe den Menschen noch niemals gesehen ...

DER CLOWN. Natürlich ... du Katze ... du hast den Menschen noch niemals gesehen ...

RADIANA. Ich lüge niemals ... ich habe den Menschen noch niemals gesehen ...

Wieder großer Applaus hinter der Szene.

Radiana ist sofort aufgesprungen und kramt aus einem großen Schranke einen kostbaren Mantel aus, den sie ausbreitet, um gleich damit wie ein wartender Lakei dazustehen.

Zweite Szene

EIN STALLMEISTER reißt die Tür auf und schreit herein. Hinaus ... hinaus aus dem Weiberwinkel ... Odebrecht ... es ist hier kein Aufenthalt für die Herren ... es ist ausdrücklich untersagt, daß die Herren in der Garderobe der Damen getroffen werden ... ich sage Ihnen das heute nur noch einmal ...

Er wirft die Tür wieder zu.

DER CLOWN schreit in Wut. Quatschen Sie nicht, Krause ...

DER STALLMEISTER reißt die Tür neu auf. Mögen Ihre Beziehungen zu der Dame noch so intime sein ... oder meinetwegen auch schon gewesen sein ... mein lieber Odebrecht ... also bitte ...

Der Clown entfernt sich pfeifend sogleich hinter dem Stallmeister her. Die Musik schweigt eine Weile. Unterdessen stürmischer Applaus. Dann Tusch.

Dritte Szene

Luisa kommt völlig erhitzt und erschöpft, fast nur mechanisch noch mit einer Art eleganten Sprunges und dem stereotypen Lächeln. Sie ist in einem äußerst schlanken Trikot als Drahtseiltänzerin. Radiana wirft ihr dienstbeflissen den Mantel um.

LUISA hat sich sofort in einen großen, unbezogenen Lehnstuhl geworfen, der neben dem kleinen Holztische steht, atmet nur hastig, den Kopf zurückgelehnt, und schließt die Augen. Runter, runter ... das Fußzeug erst runter ... und aufschnüren, aufschnüren ... Liebchen ... aufschnüren ... wo ist denn nur Anne ...

RADIANA. Sei nicht böse, Luisa ... ich war so traurig ... ich mußte etwas zu tun haben ... ich habe deine Zofe heimgeschickt, ich will dich bedienen ...

LUISA. Strählchen ... Sonnenblume ... kleine Schlange ... hahahaha – – du möchtest mich bedienen ... du witterst wohl auch jetzt den Goldregen in meinem Schoße ...

RADIANA. Pfui ... daß du alles immer vergiften magst ...

LUISA. Weißer Hase ... Lilie ... Unschuld ... sorge, daß endlich der Kellner kommt ...

Vierte Szene

In diesem Moment hat der Kellner auch schon die Tür geöffnet und schwenkt auf einem Tablett einen Teller dampfender Suppe und ein großes Glas Bier herein.

LUISA. Machen Sie rasch – – – unschuldig war auch ich einmal ... machen Sie rasch, daß Sie wieder hinauskommen aus dem Weiberwinkel ... darüber sind sich doch aber die Menschen jetzt einig geworden, daß das ewige Unschuldiggetue furchtbar langweilig ist ... hahahaha ... ach, du wirst auch bald deine Nebenbuhlerin am liebsten erdrosseln, wenn der sogenannte Jugendflaum von den Flügeln noch vollends herunter ist ... ich sage dir ... bist du erst einmal oben, da wirst du auf deine kleinen Sünden auch nur gnädig herablächeln ...

Der Kellner ist wieder verschwunden.

Fünfte Szene

Der Clown kommt wieder herein. Er stellt sich sofort mit den Händen rückwärts an einen kleinen Kachelofen, während er dann und wann Luisa prüfend ansieht.

LUISA hat gierig zu essen angefangen.

RADIANA hat sich wieder auf den Schub gehockt.

DER CLOWN. Du ... scherst dich jetzt ... einfach ...

RADIANA erhebt sich zögernd. Er droht mir mit dem Stocke ... soll ich gehen, Luisa ... befiehlst du es ...

LUISA. Ha ... gehe nur ... meinetwegen ...

RADIANA geht gedehnt und zögernd zur Tür.

DER CLOWN spielt mit seinem Stöckchen an der Fußspitze und seufzt.

LUISA ruft Radiana nach. Du kommst wieder, sobald ich klingle ...

Radiana ab.

Sechste Szene

DER CLOWN mit verzehrtem, starrem Blick jetzt. Luisa ...

LUISA essend und trinkend. Geh ab, Kanaille ... ich sage dir ... stier mich nur an ... millionenmal rennt das alles so verführerisch in der Welt rum ... und liegt wie rote Apfelsinenschalen ausgesogen in allen Gemüllhaufen ... was willst du eigentlich von mir ... falle mich nur wieder an wie gestern ... als ich heimging ... denn du maskierter Laffe warst es doch ... man sollte es wahrhaftig nicht denken ... ein Clown ... ein Allerwelts-zum-Lachenbringer ... ein Bojazz ... ein Schwelger ... ein Männchen »Überall« – – – und ein Frömmler dazu, der aus Aberglauben jeden Sonntag in die Kirche rennt und die Papageireden anhört ... das ewige Nachgeplärre aus der Bibel ... damit ja der liebe Gott die Sprünge über zehn Pferde segne ... und den blöden Volksapplaus reichlich spende ... und das gute Wachstum der Gage gelingen lassen möge ... damit die tollen Freuden in den Wochennächten üppig aufsprießen wie die giftigen Pilze ... Immer erregter. Teufel ... mit den überfüllten Tränendrüsen ... schmachte ... meinetwegen ... du ... ich gerate in Wut ... ich werfe dir das leere Glas an den Schädel Sie hat das Glas, das zerklirrt, nach ihm geworfen.  ... ich sag es dir ... ich bin nicht für meinesgleichen ... ich bin eine Kunstreiterin ... eine Athletin ... eine Tochter der Anmut und der Kraft ... ja ...

DER CLOWN ohne sich irgendwie zu bewegen, ganz trocken. Du bist wie alle ...

LUISA. Ich habe dich im Leben weiß Gott genug genossen ... ich habe nun einmal Zigeunerblut ... ich bin von einer Zigeunerin, die schwarzhaarig war, aber von einem englischen Vater aus Liebe erzeugt ... und vereinige die Kälte mit der Glut ... ich hasse alle Männer, die nichts sind als Clowns und Seiltänzer und Lustigmacher ... es ist ein Schandgewerbe ... lächerlich ... dein Glotzen ... nackt hast du mich hundertmal gesehen ... du kannst doch nicht verlangen, daß ich mit dir in einer Dauerehe lebe und womöglich solche Clowns zeuge, wie du bist ... und solches teuflisches Weibsgezücht wie ich selber ... bitte ... wenn ich schon Kinder haben soll, sollen sie in einer Bauernhütte aufwachsen ... wie Blumen auf dem Felde ... oder besser noch in einem Palaste des Reichtums ... und das sage ich dir ... jeder meiner zehn Diener soll mit einem Prügel jeden wahnsinnigen Artisten von der Schwelle treiben ... denn wenn ihr Pack hört, daß einer eurer Kollegen in einem Palaste wohnt, da lauft ihr doch Sturm gegen seinen Reichtum ... bis ihr ihm mit Süßlichkeiten oder Gewalt seinen letzten Pfennig wieder abgeknöpft habt ...

DER CLOWN. Ambrois' dressierte Beuteltiere machen eben ihre letzten Hupfer ... also ...

LUISA. Ach ... laß mich in Ruh mit Ambrois' dressierten Beuteltieren ... alle Menschen sind dressierte Beuteltiere ...

DER CLOWN ganz phlegmatisch. Hahahaha ... ja ... du bist wie alle ... und ich könnte dich hassen ... wenn nicht eben der Zufall es gefügt hätte, daß ich dich liebe ...

LUISA. Und du bist auch wie alle ... und ich könnte dich lieben ... hahahaha ... wenn nicht eben der Zufall es gefügt hätte, daß ich dich hasse ... und heute nur noch Männer ertragen kann, die nicht nur wie ein gekaufter Papagei auf der Stange sitzen ... sondern die gewissermaßen eine Sicherheit haben ... die mit mir hinter versilberten Eichentüren in einem seidenen Himmelbett schlafen ... wo eine goldene Klingel am Bette steht ... mit der meine Hand dann hell bimmelt, wenn ich am Morgen den Kakao auf Silbertablett serviert ans Bett wünsche ...

DER CLOWN in Luisa vertieft. Und wenn ich dich hundertmal nackt sehe ... nämlich ... was geht mich alles Nackte an ... ich sehe dich eben gar nicht nackt ... ich sehe auch nicht mehr, daß du eine Kanaille bist wie alle ... ich sehe auch nicht mehr, daß du aus Gier zusammengesetzt bist und nur einen Goldregen in deinen Schoß ersehnst ... wie heißt denn die berühmte – – ... Danae ... ich sehe dich wie eine Göttin ... wie eine unsägliche Erfüllung meiner Sehnsucht ... du kannst mich totschlagen ... Luisa ... nur wenn du mir einmal mit deiner kleinen, sanften Hand so ganz leise über mein Gesicht und mein Haar streicheln wolltest ... so etwas raubtierhaft Sicheres und Süßes hast du in deinen Händen ... wie es überhaupt dein ganzer geschmeidiger Leib ausströmt ...

LUISA. Hahahaha ... so streicheln ... wie ich dem Meister Wendelborn zehnmal über Gesicht und Hände streicheln könnte, wenn nur dieser lächerlich zopfige Kerl es vertrüge ...

DER CLOWN. Wendelborn ... auch den möchtest du liebkosen ...

LUISA. Ja ... – wenn er mir nur einmal unter die Finger käme ... hahahaha ... natürlich muß man da Unterschiede machen ... du ... soll ich dir jetzt einmal einen seligen Blick zuwerfen wie einem Geliebten ... soll ich ... oder wie einem, der mich mit Perlen und Gold behängt ... Schmachtend. soll ich dir Liebe zeigen, als wollte ich mit dir ins Reich der Träume fahren ... so entrückt, weißt du ... in eine süße Rosenlaube ... oder soll ich dich unbarmherzig an mich reißen, daß du wähnst, meine Liebe sei eine Tigerkatze ... und wenn du dich ihr nicht gutwillig ergibst, zerfleische ich dich ...

DER CLOWN ganz sanft. Was geht mich all dein Gerede an ... hinter all deinem Gerede sitzt eben doch nur ein Mensch ... ein Mädchen ... noch ein schamhaftes, gutes, liebendes Kind ... mit einem Schmetterling auf der Schulter ... mit einer weißen Rose im Haar ... mit einer Lilie in der Hand ... mit einer Stimme, die schweigt ... mit Augen, die sich nach Mond und Sternen sehnen ... die das Morgenlicht anweinen ... verflucht wie ich ... zerrissen wie ein Clown ... Luisa ...

LUISA will seinen Kopf nehmen, herunterbeugen und küssen.

DER CLOWN sträubt sich. Ganz sanft redend. Nein ... nein ... Luisa ... küsse mich jetzt nicht, wo du so freche Worte, einen ganzen Strom, aus dir herausgeschüttet hast ... wo dein Herz zu all den Gemeinheiten hart geschlagen hat ... du erweckst mich aus meiner Seligkeit ... aus meiner Blindheit ... aus meinem heiligen Wahnsinn ... der mich allein noch glücklich macht in diesem verfluchten Narrengeschäft ...

LUISA psalmodiert melancholisch.

Auf einer Flur,

wo fetter Klee

und Gänseblümchen

stand ...

Odebrecht ... ist doch dein veritabler Name ... hör mich ... Odebrecht ... ich sage dir ja ... wenn ich einmal ganz in mich hineinverschwinde ... ohne Kleider bin ... womöglich überhaupt nicht mehr weiß, daß ich noch das sündige Fleisch auf mir habe ... nur ganz in mich verkrochen bin ... da denke ich noch immer nur an dich ... Odebrecht ... Plötzlich auftrumpfend. aber man kann doch so verkrochen nicht leben, mein Junge ... man braucht doch das Gold auch ... du willst doch auch dein Leben genießen ... du ... Odebrecht ... sage es doch ... du hast gar keinen Grund, mich zu verachten ... nein ernstlich ... bitte ... sei mir ja nicht böse ... gib mir einen Handkuß ... gib mir einen Kuß auf die Stirn ... gib mir einen Kuß auf das rechte Augenlid ... hahahaha ... der bucklige Krösus ... dieser große Erfinder fängt doch den lieben Gott aus dem Himmel ein ... zwingt ihn richtig, wie er es selbst sagt, in seine Metallplatten und Glasplatten hinein wie den Teufel in die Flasche ... um zu sehen, was der liebe Gott eigentlich für die Menschen leisten kann ... da ist er natürlich dadurch reich geworden ... ganz unsinnig ... daß er sich sogar einen Meister Wendelborn halten kann ... und gleich drei Goldsäcke auf einmal ausschüttet, wenn seine leere Brunst auf ein Weib fällt ... hahahaha ... du ... den küsse ich auf die Augenlider, damit er nichts sieht ... und lasse mein Herz pochen wie einen Hammer ... aber dich küsse ich sanft, Odebrechtlein ... mit deiner Seelenjämmerlichkeit ...

Sie küßt ihn, ohne daß der Clown sich rührt.

In diesem Augenblick wird der vor der Tür hängende Vorhang weggezogen. Ein Mannesgesicht guckt durch den Spalt, gerade als der Clown vor Luisa niederkniet und sie umfassen will.

DER CLOWN plötzlich wütend. Schreit. Verfluchte Neugier ... was gibts denn wieder ...

Siebente Szene

LUISA unterdessen sich der Vorhang wieder geschlossen hat, ruft, die Lage sofort erkennend. Wir küssen uns nämlich nur, weil wir uns eben kräftig den Magen gefüllt haben ... und einstweilen noch nichts Besseres vorhanden ist ...

WENDELBORN zieht den Vorhang wieder zurück und steht, als vornehmer Weltmann gekleidet, mit dem hohen Hute in der Hand da. Ein sanftes, bartloses Gesicht mit sehr gütigen, aber sehr bestimmten Augen. Darf ich, Fräulein Luisa ...

DER CLOWN schroff und gereizt. Bleiben Sie gefälligst draußen, Herr Wendelborn ... verfluchte Unsitte, in die Garderoben zu dringen ... das ist niemand gestattet ... ich werde Sie hinausschmeißen, Sie Schmarotzer ...

LUISA lachend. Ich haue dir doch mit deiner eigenen Reitpeitsche eins ... du Mißgeburt ...

WENDELBORN arglos entschieden und nur ganz freundlich. Tritt näher.

LUISA. Kommen Sie nur getrost in unseren Käfig herein ... eifersüchtige Tiere werden hier mit der Knute sicher gebändigt ... willst du wohl sanft sein zu Herrn Wendelborn, Herr Clown ... wenn ich dir nicht meine Gnade auf der Stelle kündigen soll ...

WENDELBORN. Von dieser Gnade sagen Sie nur ja nicht auch nur den geringsten Muckser Herrn Tobias Buntschuh ... von Eifersucht und Mißtrauen hat sein Blut leider im Leben schon genug auszustehen ...

LUISA. Nun ... willst du nicht Abbitte tun, mein Freund ...

WENDELBORN. Ist er denn wirklich auch Ihr Freund, der lustige Max ... Zum Clown. Sie wollten mich eigentlich kränken ... es reizt Sie, daß auch ich gerade von Buntschuhs Reichtum lebe ... Gott ja ... das ist wahr ... ein Künstler wie ich ... der sich auf das Ausrechnen des Goldwertes seiner Phantasiegespinste gar nicht recht eingelassen hat ... sich nie recht gekümmert hat um das sogenannte Geschäft ... ums Einheimsen ... der nur glücklicherweise immer des Schaffens voll war ... durch diesen göttlichen Zufall immer frei und reich aus seinen Phantasiequellen hinausgeben konnte ... nun erlauben Sie einmal ... Sie kennen Buntschuh und mein Verhältnis nicht ... ich werde Ihnen beschreiben, wie mein Freund Tobias Buntschuh eigentlich ist ... Er kramt ein Schmuckstück aus seiner Tasche hervor und hüllt es aus. Tobias Buntschuh ist der scharfsinnigste Mathematiker ... und Physiker ... und auch ein glänzender Chemiker ... hat den Kopf sozusagen voll der feinsten Ideengespinste, die wie die Sonnenstrahlen innig fein alle Welt durchsetzen ... ... verstehen Sie ... ich verstehe es nämlich selbst gar nicht ... berechnet aufs spürsinnigste ... und hat auf diesem Wege wirklich vermocht, schon manchen von unseres Herrgotts einäugigen Riesen aus ihren Weltenhöhlen hervorzustöbern, um sie in unsere menschlichen Geschirre zu spannen ... das ist natürlich nur ein Bild, wissen Sie ... und daß er für solchen Zauber ein unsinniges Geld einheimst, das begreifen Sie völlig ... aber die Sache hat eine Kehrseite ... es bleibt ihm gar keine Zeit für Schönheit und Anmut ... oder vielleicht ist auch gleich sein Scharfsinn so kolossal geraten, daß für die anderen Organe seines Leibes und seiner Seele gar kein Stoff mehr übrigblieb ... Sie verstehen schon ... über seine drollige Leiblichkeit brauche ich ja doch nicht erst zu reden ... Gott schafft auch Höckertiere ... nicht das Sichtbare seiner Körpergestalt kommt bei ihm als Hauptsache in Betracht ... nur das Unsichtbare ... die unerhört raffinierte Gehirnsubstanz ... hahahaha ... er sieht vom ewigen Denken gelb aus wie eine Zitrone ... aus der nur die hungrigen Augen herausbrennen ... ja ... nun sehen Sie einmal her, Fräulein Luisa ... das ist ein neuer Schmuck für Sie ... den ich Ihnen nur heute in Buntschuhs Auftrag abgeben sollte ... Tobias Buntschuh arbeitet nämlich schon seit Tagen wieder wie besessen an seiner höchsten und letzten Idee ... da ... Er hat ein zweites Etui aus seiner Tasche geholt und reicht es dem Clown. Herr lustiger Max ... das ist für Sie ...

DER CLOWN nimmt das Etui und öffnet es, genau mit demselben Erstaunen wie auch Luisa ihrem Kästchen ganz behutsam einen kostbaren Schmuck entnommen hat.

WENDELBORN steht dabei ganz achtlos.

LUISA. Das ist aber ein großartiges Entgelt für die Tage meiner gänzlichen Witwenschaft ...

DER CLOWN beim Betrachten des Schmuckes. Mein Name ist Odebrecht, wenn ich einen solchen Diamanten anstarre, heiße ich nur wie ein Weltmann Odebrecht ...

WENDELBORN. Ja ... diesen großen Diamanten hat Buntschuh ausdrücklich für Sie ausgesucht – ... und befohlen, ihn in eine ausgelassene Fasson einzurahmen ... nicht wahr ... das ist ein köstliches Ding ... eine sehr gelungene Ersinnung ... ein kleiner Sarg aus Gold und Steinsplittern ... der Sarg ist aufgeklappt ... ein Frauengerippe mit kostbarem Goldröckchen darin ... und einem Goldhütchen ... und an der Stelle, wo das Herz liegt, da steckt dieser kostbare Stein ...

DER CLOWN. Wissen Sie ... dreitausend Mark ... für dreitausend Mark könnte ich mir diese Agraffe nicht beschaffen ... ja ... nur simuliere ich immer ... es ist wohl ein Sinnbild ... es soll wohl gar eine Anspielung sein ... ich merke jetzt schon, wo das hinaus will ...

LUISA. Was heißt denn das ... was merkst du denn wieder ... warum sprichst du denn plötzlich wieder gereizt ... Herr Gott ... vor solchen Schätzen ... ich dächte, die könnten dir doch den Mund jetzt stopfen ...

DER CLOWN. Ja, ja, ... es ist eine sinnreiche, köstliche Sache ... ich begreife es völlig ... dieser aus Elfenbein gebildete Clown, der neben dem entwichenen Weibe steht, das soll wohl ich sein ... nicht wahr ... Herr Wendelborn ... Sie werden mir doch nicht etwa einreden wollen, daß dieses große Erfindergenie sich auch noch solche Kunstwerke ausdenkt ... das tut doch nur sein Goldschmied Wendelborn ... sagen Sie es mir nur gefälligst offen ins Gesicht ... dieser hoffnungslose Weibersklave und Clown soll ich sein ...

WENDELBORN lacht harmlos. Tja ... haben Sie etwas dawider, daß ein Künstler wie ich aus Ihrem Leben Schmuckstücke macht ...

LUISA mit zappelnden Abwehrbewegungen. Ich kann diesen Menschen nicht hören und sehen ... er ist ewig melancholisch ... und nimmt sich immer furchtbar wichtig ... als ob es auf einen solchen Kobolzschießer in dieser Welt überhaupt ankäme ...

DER CLOWN guckt wieder in das Etui und lacht plötzlich clownhaft. Hahahaha ... ich soll wohl einen dreifachen Salto mortale machen ... ja verflucht ... wenn solche Steine reden ... da schweigen in der Tat für einen Augenblick die anständigsten Gefühle ... Luisa ... mach dich nicht großartiger, als du bist ... du weißt ... wenn ich meine Sauen tanzen lasse, bin auch ich ein Herr und Gebieter ... und fuchtle mit meiner Peitsche herum ... also ... Im anderen Tone. entschuldigen Sie vielmals ... mein tiefstes Kompliment, Herr Wendelborn, an Herrn Buntschuh ... meine tiefste Ergebenheit ... meine ganze Ehrerbietung ... meine untertänigste Dankbarkeit ... das ist wirklich ein großartiges Geschenk ... Sie haben mich mißverstanden ... konnten Sie denn wirklich denken, ich wollte Sie aus diesem jämmerlichen Rückzugswinkel für armselige Artisten vertreiben ... wenn ich wirklich, ohne zu wissen, wer ...

LUISA. Red dich nicht raus ... das ist erbärmlich ... wenn du auch in deinem ernsten Lebensgeschäft ein Clown bist, bist du doch auch ein Mann ... und hast also nicht feige zu sein ... du wußtest sehr gut, wer den Vorhang aufhob ... du hattest schon vorher Herrn Wendelborn einen Schmarotzer genannt ... und schriest wieder Schmarotzer ...

WENDELBORN sehr gütig. Nein bitte ... es lohnt sich ja gar nicht, weiter darüber zu sprechen ... was wahr ist, muß wahr bleiben ... ich bin erst durch Buntschuhs Reichtum wirklich der berühmte Goldschmied geworden ...

Radiana schleicht sich wieder herein, hockt sich scheu auf ihren Schub hin.

LUISA. Mach deinen Fußfall, Kanaille ...

WENDELBORN in Gedanken weiterredend. Obwohl ich im übrigen immer ein Mensch war, der nur für die Idee der Kunstarbeit Leidenschaft besaß ... für diese herrliche Idee, das grauingraue Leben der Pflicht- und Zweckmenschen ins Fröhliche und Bunte und Sinngebende zu verfärben ...

LUISA. Mach deinen Fußfall ... ich bestehe darauf ...

DER CLOWN. Herr Wendelborn, den Kleidersaum küsse ich Ihnen ...

Er wendet sich zum Gehen.

WENDELBORN während ihn Radiana scharf anstarrt. Nein nein ... gehen Sie ja nicht ... oder ich gehe wenigstens mit Ihnen, Herr Odebrecht ... ich muß nämlich unbedingt in Buntschuhs Nähe sein, wenn er wieder neu zum gemeinen Leben aufwacht ...

DER CLOWN steht und bestarrt neu den Schmuck.

LUISA steht jetzt vor dem Spiegel. Sehen Sie wenigstens mich erst einmal ordentlich an ... wie diese Perlen meinen federweichen Frauenhals geradezu betörend schmücken ...

WENDELBORN lacht und tritt vor den Spiegel. Ja ... das habe ich für meinen geliebten Buntschuh vortrefflich gemacht, nicht ...

LUISA. Berauscht Sie nicht ein solcher Anblick völlig, Herr Wendelborn ... Buntschuh ist ein Verschwender ...

WENDELBORN ganz achtlos. Ja, ja ... freilich ... ein Verschwender ist er ... aber vor allem ist er fein und zart und grundgütig ... hat eine reine Kindsseele ... und deshalb sage ich es Ihnen auch immer wieder ... Sie müssen ihm die erdenklichste Zärtlichkeit zeigen ... wenn man Buntschuh seit der Jugend kennt wie ich, weiß man, daß er volle Liebe verdient ... adjüs, Fräulein Luisa ... auch Ihnen, Herr Clown, sage ich das ausdrücklich ... auch Sie vergessen mir das ja nicht ... zärtlich ... natürlich voller Ehrerbietung zu Herrn Buntschuh ... aber zärtlich ... nennen Sie mich dann, wie Sie wollen ... mich stört das gar nicht ... hahahaha ... ich habe in diesem Punkte noch immer das beste Gewissen ... ja ... ich habe Buntschuh schon leidenschaftlich geliebt, als er noch ein ganz armer Teufel war ... aber natürlich schon mit dem unglaublichsten göttlichen Scharfsinn alles überglänzte ... schon in der Schulzeit ... ... schon damals war es mir ordentlich ein Glück, sein heißbegehrter Schmarotzer zu sein ...

Radiana springt auf, läuft sprunghaft zu Wendelborn, der schon die Vorhangsfalte in der Hand hat, küßt ihm die Hand und läuft wieder auf ihren Schub zurück.

WENDELBORN. Ih ... dumme Kleine ... was hat's denn nur ...

LUISA. Hocken bleibst du ... sie ist ein verrücktes Ding ...

WENDELBORN lachend und winkend. Adjüs, adjüs ... Ab.

Achte Szene

DER CLOWN wie Wendelborn hinaus ist, starrt nur den Schmuck lange an ... Mir ist himmelangst ...

LUISA. Wovor denn ...

DER CLOWN. Vor mir und vor dir ...

LUISA steht noch immer vor dem Spiegel. Von solchem Schmuck bin ich richtig besoffen, als hätte ich eine ganze Buddel Sekt auf einmal heruntergestürzt ...

DER CLOWN. Oh du Gott der Gaukler ... für Diamanten und Gold verhandeln wir unser Leben ...

LUISA. Hahahaha ...

DER CLOWN. Luisa ... ich liebe dich ... mehr als alle Reichtümer ... und ich verachte dich ... mehr als alle Reichtümer ...

LUISA. Ach quatsch nicht ... geh jetzt ... du bist jetzt dran ...

DER CLOWN. Ich will dir auch gerne diesen Schmuck noch schenken ... da ... nimm ihn ... Wie Luisa sich nicht darnach wendet. meinetwegen auch in die Ecke damit ... Erde zu Erde ... Er hat den Schmuck in den Winkel geworfen.

LUISA. Behalte hübsch den offenen Sarg mit dem Totengerippe eines Frauenzimmers ... ich weiß schon ... du möchtest mir einen Zauber antun ... so eine kleine Vorbedeutung meines Todes mir geschickt ins Blut hineinspritzen ... damit ich womöglich vom Drahtseil falle ... mich Herrn Buntschuh gar nicht mehr hingeben könnte ... in der Manege einfach verreckte ... und du dann dastehen könntest als etruskische Tränenflasche ... dich vor den Leuten als trauernder Liebhaber satt flennen könntest ... den Gefallen tu ich dir nicht ...

DER CLOWN hebt seinen Schmuck wieder auf. Für kalte Steine verhandeln wir unser Leben ... Ab.

LUISA hinter ihm drein lachend. Hahahaha ...

Neunte Szene

LUISA noch immer vor dem Spiegel. Die Augenlider werde ich ihm küssen dafür ... die Füße werde ich ihm küssen dafür ...

RADIANA. Wem ...

LUISA. Ein Weib darf niemals das letzte sagen ... du bist wohl schon eifersüchtig ... du willst mir wohl schon in die Karten sehen ...

RADIANA. Inwiefern ihm die Augenlider küssen ... ist denn das der Herr, der eben ging ...

LUISA. Quatsch ... Unsinn ... frag nicht so albern ... das weißt du alleine ... das wäre mir so einer ... der ... ist selber nur ein Schmarotzer ... der berühmte Goldschmied Wendelborn bringt doch den Schmuck nur im Auftrage von Herrn Tobias Buntschuh ... der sein Herr ist ...

RADIANA. Und für die kalten Steine und das gelbe Gold willst du dich diesem Herrn Buntschuh zu Füßen werfen ... und seine hingebende Sklavin sein ...

LUISA. Fällt mir nicht ein, Sklavin sein ... Herrin bin ich immer ...

RADIANA. Ist der so mächtig, daß er sich einen solchen Herrn Wendelborn halten kann ... oh, Herrn Wendelborn möcht ich liebkosen ...

LUISA. Hahahaha ... Gott ... ein Mädel wie du ... das möchte manche, jetzt wo er durch Buntschuhs Gnade auch immer Geld hat ...

RADIANA. Ach ... der hat eine Freundseele ... mit dem Herrn Wendelborn möchte ich auch nur einen einzigen Augenblick auf der Blumenwiese der Seligkeit spielen ...

LUISA plötzlich zornig. Gar nichts hast du dich um diese Männer zu kümmern ... um beide nicht ... meinetwegen hat sich dieser Herr Wendelborn den herrlichen Schmuck ausdenken müssen ... nicht deinetwegen ... meinetwegen hat Buntschuh diesen Menschen hierher geschickt ... nicht deinetwegen ... fang nur mit solchen Frechheiten an ...

Eine lustige Stakkatomelodie beginnt hinter der Szene, während Luisa ihren Schmuck erregt in das Kästchen legt und dann in eine Handtasche sorgfältig einschließt.

Der Vorhang fällt.

Zweiter Akt

Ein runder, sehr vornehmer Gartensaal in dem Stadthause des Tobias Buntschuh. Rechts zwei Haupttüren. Zur Linken tiefer eine Haupttür. Mehr vorne eine Tapetentür. Die gläserne Flügeltür in der Tiefenwand führt ohne Stufen in den weiten blühenden Garten. Alle Türen sind geschlossen. Sofa, Tisch und Sessel in sehr wohliger Form an der linken Hand. Vornehme Pfeilertischchen, eins mit Standuhr, andere mit sonstigen Kostbarkeiten. Schwerer, heller Teppich.

Erste Szene

Ein runzliges Mannesgesicht guckt behutsam und scheu zur rechten, vorderen Tür herein. Leise und verschmitzt lachend.

Hahahaha ... es ist ja noch Totenstille hier ...

Jetzt tritt er in Pantoffeln schlürfend herein. Es ist der

VATER BUNTSCHUH ein etwa achtzigjähriger, sonderbarer, dürftig mit einer Eisenbahnarbeitermütze und verschabtem Jackett angetaner Mann, mit langem strähnigen, weißen Haar. Er steht  wieder still und guckt sich nur pfiffig amüsiert um. Dabei spricht er flüsternd für sich. Nu ja ... es ist ja noch Totenstille hier ... und warum sollte denn hier auch nicht Totenstille sein ... da wohnt doch der König Herodes ... da wohnt doch der König aus dem Mohrenlande ... ja ... der hat Vater und Mutter ... der hat Mohren aus dem Mohrenlande ... und seine Mutter ist wunderbar schön ... und sein Vater ist wunderbar köstlich ... und der Sohn selber ist wunderbar köstlich ... ach so wunderbar köstlich ... und die Gartenbäume sind wunderbar köstlich ... und der ganze Morgenhimmel ist doch wunderbar köstlich ...

Zweite Szene

In diesem Augenblick kommt behutsam, aber eilig die

MUTTER BUNTSCHUH eine alte, etwa sechsundsiebzigjährige, noch rüstige, aber gebeugte Frau, in einfacher Kattunjacke und einem Chenillennetz über dürftigem Haar, einen Handbesen in der Hand. Vater ... du sollst doch nicht immer fortrennen ... du sollst mir doch helfen ... bleib gefälligst oben in der Stube bei mir ... du störst doch Tobias ... er steckt ja noch tief in der Arbeit ... komm nur wieder ...

Dritte Szene

DIENER FRANZ erscheint wie aufgescheucht aus der Tapetentür. Oh ... man schläft richtig ein, wenn Stunde um Stunde so totenstill hingeht –

MUTTER BUNTSCHUH. Wie lange geht's denn schon wieder ...

DIENER FRANZ. Seit drei Uhr nachts ... wo der gnädige Herr aus seinem Schlafzimmer in seine Arbeitsräume hinüber schlürfte ...

MUTTER BUNTSCHUH. Ja, ja ... schlürfte ... im Nachthemde womöglich ... halb nackt und bloß ... hatte er wenigstens den Schlafrock um ... und die Pantoffel an den Füßen ... Sie geht zur Gartentür. macht nur die Tür auf, damit die schöne Luft reinkommt ... Bei diesen Worten hat sie selber die Tür aufgeriegelt und weit geöffnet. es geht ja schon auf zwölf ...

DIENER FRANZ. Ja ... es geht schon auf zwölf, wie ich eben sehe ... und wer weiß noch, wie lange es weiter geht ...

MUTTER BUNTSCHUH. Du kommst jetzt, Vater ...

DIENER FRANZ. Gehen Sie nur ja, Herr Buntschuh ...

VATER BUNTSCHUH mit abwehrendem, verächtlichem Blick gegen den Diener, zu Mutter Buntschuh gehend und ihre Hand fassend. Ach ... Herr Buntschuh ... Blödsinn ... wenn auch mein Sohn mein Sohn ist ... ganz gleichgültig ... nennen Sie mich gefälligst Siebenhaar ... wie mein alter Onkel Siebenhaar hieß ... der sein ganzes Leben lang nur immer mühsam auf dem Schusterschemel hockte ... ja ... Mutter Buntschuh führt ihn und zieht ihn behutsam durch die rechte, vordere Tür fort, während er noch zurückspricht. und überhaupt nicht eine Minute übrig hatte in seinem Leben, sich seine sieben Haare wieder zum Beispiel rot zu färben ... nicht ... Mutterle ... Beide ab.

Vierte Szene

Diener Franz guckt durch das Schlüsselloch in der rechten, tieferen Tür. Da klopft es an der Tapetentür vorn. Er geht hin und öffnet sie. Es steht ein reich livrierter, Mohr mit Silbergeschirr auf einem Silbertablett sichtbar davor.

DIENER FRANZ. Nein nein ... ih bewahre ... immer noch nicht ... immer noch nicht ... für Napoleon mußte man auch erst immer zwölf Hühner braten, ehe er eins verschlingen konnte ... wenn die Schlacht ging, sagt Herr Buntschuh ...

Er schließt wieder die Tür.

Fünfte Szene

DER SEKRETÄR ein Mann von etwa 28 Jahren, kommt aus der rechten, vorderen Haupttür. Eilig. Es fehlt ja doch nicht mehr viel zu zwölf Uhr ... und der gnädige Herr halten die üblichen Empfangsstunden schon wieder nicht ein ...

Sechste Szene

Gleich dahinter erscheint.

PHILIPP WENDELBORN den leichten Überzieher über einer Art Arbeitsschürze, eine samtene Meistermütze auf dem Kopfe, die er in den Nacken geschoben hat. Er hat einen eleganten, kleinen Handkoffer mit sich. Ebenfalls aus der rechten, vorderen Haupttür. Nun ... wie steht es ... noch nicht ...

DIENER FRANZ. Nein ... noch immer nicht ... seit drei Uhr nachts ...

WENDELBORN setzt sich breit auf einen Sessel, starrt den Diener, dann den Sekretär lustig an. Acht Stunden und neunundfünfzig Minuten ... und auf einem Fleck angepicht ... na ... ich sitze doch wenigstens einmal zur Abwechslung an meinem Bechstein und spiele mir ein Bachsches Präludium vor ... oder schäkere mit meinem Jungen, wenn der aus der Schule kommt, Blaubeeren in der einen Tasche und Heuschrecken in der anderen ... aber bei dem gebrechlichen Leibe obendrein diese ununterbrochene Arbeitskraft ... das ist das Kolossale bei dem Kerle ... schon in der Studentenzeit kriegte er mitten in der Nacht ... und wenns im tieffsten Winter war ... den Denkrappel ... hockte bei der rauchenden Petroleumlampe auf eine alte Holzkiste nieder ... soff zur inneren Illumination die helle Menge eiskalten Kaffee runter ... und saß dann noch am hellen Mittag in Hemd und zerfranstem Havelock und malte seine Zahlen ... Zu dem Sekretär gewandt. schicken Sie nur am besten die wartenden Menschen wieder fort ... Sie wissen ja doch ... jetzt, wo er als graues Gespenst über den dunklen Abgründen der Begriffe taumelt, kommt er doch nur scheu wie eine Eule ans Tageslicht ...

DER SEKRETÄR im Abgehen. Na natürlich ... schicke ich die wartenden Leute einfach wieder weg ...

Ab, wo er gekommen ist.

Siebente Szene

WENDELBORN läuft in Ungeduld hin und her. Wissen Sie ... solch eine sonderbare, meinetwegen ganz einseitige Veranlagung, die kann man wirklich nicht bloß bestaunen ... die muß man einfach bewundern und lieben ... nur so wird doch letztes Menschenmögliches überhaupt erst zustande gebracht ... ein solcher Grad von Vertiefung, wo zwölf Stunden gar keine Zeit sind ... na ... Er bleibt stehen und sieht den Diener an. jedenfalls ... Er weist auf den auf den Tisch gestellten Koffer. der Kram bleibt einstweilen hier stehen ... aber ich muß noch das Telephon in die Hand nehmen ... denn sonst arbeiten mich meine Kerls zu Hause in Grund und Boden ... Franz ... wenn Herr Buntschuh ruft ... ich bin unten im Telephonzimmer ...

Ab durch die rechte Tür vorne, während Diener Franz wieder an der tieferen Tür rechts durchs Schlüsselloch beobachtet.

Achte Szene

DER SEKRETÄR kommt wieder. Ich bringe den Herrn Generaldirektor nicht wieder auf die Socken ... er schimpft und wartet ...

DIENER FRANZ. Jetzt wird jedermann unbarmherzig fortgeschickt ...

DER SEKRETÄR. Aber der Herr Generaldirektor erregt sich unten ... er tritt eine größere Reise an ... muß Herrn Buntschuh unbedingt sprechen ...

DIENER FRANZ. Und die Herren Baumeister werden auch ihre Gründe wissen ... und der Herr Küchenchef wird auch fluchen ... und der Herr Parkdirektor wird vor Ungeduld einen Kranz roter Rosen selber auffressen ... jetzt wird einfach jedermann fortgeschickt ...

DER SEKRETÄR. Ich hasse derlei Auftritte ... erklären Sie es ihm, wenn Sie mögen ... sonst rennt dieser Generaldirektor doch noch die Mauern durch ...

Beide nach rechts vorn ab.

Neunte Szene

Man sieht jetzt im Garten, durch die geöffnete Flügeltür, Radiana erstaunt und neugierig näherschleichen. Sie ist in ein dürftiges Mäntelchen gehüllt. Ihr Haar in spitzem Knoten über den Kopf gebunden. Ihre Füße stecken, mit fleischfarbenem Trikot bekleidet, in einer Art schmiegsamer, grauer Tanzschuhe. Nur die Knöchel sind unter dem Mantel sichtbar. Aber man hat das Gefühl, als wenn sie unter dem Mantel in einem engen Seiltänzerkostüm steckte. Bei einem geringsten Geräusch springt sie sofort wie eine Katze zurück und verschwindet wieder in der Tiefe des Gartens.

Zehnte Szene

Die rechte Tür in der Tiefe wird ganz leise aufgetan. Scheu guckt der von langen, braunen Locken umhangene, hohe Schädel.

BUNTSCHUHS heraus. Und eine hohe Stimme ruft ziemlich kläglich. Philippchen ... Philippchen ...

Man sieht Tobias Buntschuh, einen zirka achtunddreißigjährigen, kleinen, buckligen Mann, mit länglicher Nase, dünnen Beinchen in weißseidenen Unterhosen und Hemd, einen alten violetten Seidenmantel um, die baren Füße in vertretenen violetten Schlafschuhen, die schattende Hand über die Augen, blinzelnd aus der Tür treten. Schritt um Schritt ängstlich.

Wo denn ... wo bist du denn ... es kam mir doch plötzlich so vor ... es guckte doch ein zärtliches Auge durch das Schlüsselloch ... lauert ihr wieder ... Franz ... nein ja nicht ... du warst es, Philippchen ... ich bin jetzt so fröhlich ... ich bin jetzt so fröhlich ...

Er hat sich in einen Lehnstuhl gehockt.

Elfte Szene

WENDELBORN tritt aus der rechten Haupttür vorn herein. Guten Morgen, Tobby ...

BUNTSCHUH in den Lehnstuhl gehockt. Philippchen ... ich werde die höchste Macht noch gewinnen ... ich werde alle Kräfte des Weltalls beherrschen ... was nutzt denn der ganze idealistische Dunst ... was nutzt denn all dieses Glauben und Lieben und Meinen ... ich glaube gar nichts ... was nutzen denn eure Theaterstücke ... was nutzen denn all die steinernen Figuren ... möcht ich nur wissen ... was nutzen denn all die poetischen Redensarten im Leben ... nein ... schweige nur still ... und sage gar nichts ... was nutzen all diese Gaukelspiele ... sie können einem nicht den geringsten Zahnschmerz vertreiben ... ich bin jetzt so fröhlich ... Gewichtig. der Scharfsinn macht Reichtum ... und Reichtum macht fröhlich ... nur mit Reichtum hat man göttliche Macht ... reich ist Gott ... reich ist der Teufel ...

WENDELBORN betrachtet ihn pfiffig gütig. Ich freue mich, wenn du fröhlich bist, Tobby ... wenn ich auch die Einseitigkeit deiner Auffassung in diesem Augenblick nicht völlig teile ...

BUNTSCHUH ganz prahlerisch. Ja ... ich werde bald alle Kräfte des Weltalls beherrschen ... es dauert gar nicht mehr lange ... da werde ich auch die große Sonne zu meinem Mahlochsen gekürt haben ... und damit die irdischen Goldmühlen drehen ... ich bin schon heute der kühnste Beherrscher ... hahahaha ... ein ganz anderer noch als der König Salomo ... ein ganz anderer noch als der berühmte Gold- und Weihrauchkönig ...

In sich hineinlächelnd.

WENDELBORN betrachtet ihn immer kindlicher und liebevoller. Ich freue mich, wenn du fröhlich bist, Tobby ... und wenn dir wieder Großes gelungen ist ... du redest ja heute richtig, als wenn du auf einem Kriegsrosse mit goldener Schabracke säßest ... und nur so als Triumphator verächtlich bei mir vorbeitänzeln wolltest ... du weißt, daß ich dein sieghaftes Genie liebe ... das ist doch viel schöner, als wenn du dir manchmal wie eine Laus vorkommst ... dich jämmerlich zerfrißt ... und dann wie eine traurige Mißgeburt heulst ...

BUNTSCHUH scharf. Schweig ... du sollst mich an Häßliches jetzt nicht erinnern ...

WENDELBORN sehr gütig. Tobby ... ich begreife es ja völlig, daß es dir nach solcher erfolgreichen Arbeit nach Tagen und Wochen wieder einmal die letzte Seligkeit vorgaukelt ...

BUNTSCHUH lächelnd. Ich werde mit meinen Erfindungen ganz gewiß noch die letzte Seligkeit mir gewinnen ...

WENDELBORN. Ich weiß ja, Tobby ... das ist ja hundertmal dein Glaube ... und zum schönen und zum großen Tun muß man den letzten Glauben haben ... sonst kann nichts gelingen ... vielleicht erfindest du es so weit, daß man deine Sonnenstrahlen auch noch persönlich essen kann, um damit zum Beispiel das schönste Kunstwerk hervorzubringen ... oder daß man dadurch eine göttliche Stimme bekommt, wie Caruso ... oder daß man dadurch ein Auge bekommt mit göttlicher Sehschärfe bis zum fernsten Fixstern ...

BUNTSCHUH blinzelnd giftig. Rede nur weiter ... was du noch sagen willst ...

WENDELBORN gütig. Du, ich bin harmlos ... was will ich noch sagen ...

BUNTSCHUH. Ich weiß es ...

WENDELBORN. Da sag's doch ...

BUNTSCHUH. Vielleicht kannst du es noch so weit bringen, daß du wieder aufrecht gehst wie Apollon ... und keinen Krummbuckel mehr hast wie dieser Buntschuh ...

WENDELBORN. Tobby ... jeder Mensch besteht mindestens aus Zweien ... aus einem Superklugen und aus einem Weisen im Innern – ... aber du Dämon bist doch extra gemischt ... du hast doch wenigstens drei Götter und neun Teufel in dir ... und das hämische Zeug, das du eben redest, redet doch nicht etwa der hellerlichte Strahlenmensch in dir ...

Buntschuh schweigt.

WENDELBORN. Weißt du, Tobby ... du solltest dich an deinem Schicksal nicht versündigen ... du hast solch eine geistige Gewalt mit auf deinen Lebensweg bekommen, daß du wirklich damit zufrieden sein solltest ... Lustig. dein geliebter Höcker und dein eingedrückter Brustkasten gehört ja doch offenbar zu deinem exorbitanten Tiefblick und Spürsinn in die Geheimnisse dieser Welt aus Dreck und Feuer völlig mit hinzu ...

BUNTSCHUH heftig. Schweig, du beleidigst mich ...

WENDELBORN. Junge ... dem Unvermeidlichen kann auf dieser Erde niemand entgehen ... das greift unbarmherzig noch in jedes Leben ...

BUNTSCHUH. Ich werde es euch schon klarmachen noch, daß ich auf Erden der schönste Mann bin ...

WENDELBORN. Tobby ... Vernunft ... du willst wieder einmal einen beliebigen Streit vom Zaune brechen ...

BUNTSCHUH hat plötzlich aus seinem Schlafrock einen ziemlich großen Silberspiegel genommen und beginnt mit seinem Spiegelbild heimlich ein  Spiel zu treiben. Sein Lachen wird krampfhaft. Hahahahahahahaha ... göttlicher Buntschuh ... göttlicher Buckelhans ... hahahahahahahaha ... du kannst dir doch mit deinem Scharfsinn die köstlichsten Paradiesfrüchte aus Golde erhandeln ... warum solltest du dir denn nicht mit deinem Scharfsinn das herrlichste Menschenglück hier auf Erden erhandeln ... hahahahahahahaha ... Tobiaschen ... du bist doch ein Erfindergenie ...

WENDELBORN. Wer dich nicht kennte, müßte in einem solchen Momente ein bissel vor dir erschrecken ... jedenfalls müßte er denken, du redest im Wahnsinn ...

BUNTSCHUH. Ich weiß schon ... ich weiß schon ... das ärgert dich furchtbar, wenn ich mich göttlicher Kräfte rühme ...

WENDELBORN. Glaube, daß es mich ärgert ... den Spaß sollst du haben ... ich weiß ja doch, wie unsinnig in dir die Gegensätze beieinander wohnen ... und wie gerade du um so jämmerlicher aus allen Himmeln herabfällst, je mehr du dir wieder einmal den Wahn deiner Macht vergrößert hast ...

BUNTSCHUH. Ich habe die Macht ... ich habe niemals den Wahn einer Macht ...

WENDELBORN. Trotzdem wirst du es nicht aus der Welt schaffen, daß gerade der idealistische Dunst, wie du es nennst, das ganze göttliche Phantasieleben des Menschen, die höchste und wichtigste Macht ist ... wenn es nur die greifbaren Dinge wären ... selbst Berge Belugakaviar ... oder die bunten Langusten auf den Schüsseln ... oder die Goldhaufen in den Goldschränken ... dann wäre die Welt reif für den Schindanger ... denn dann würden nur gierige Leiber sich um diese Greifbarkeiten reißen ... im übrigen brauche ich dir das gar nicht erst zu sagen ... denn ich weiß nicht erst von heut und gestern, aus welchen heimlichen Gründen du heute wieder einmal mit der Lanze in die Arena reitest ...

BUNTSCHUH. Aus welchen heimlichen Gründen reite ich denn mit der Lanze in die Arena ... da sag' es doch offen ...

Zwölfte Szene

VATER BUNTSCHUH schleicht sich wieder in diesem Augenblick zur rechten, vorderen Tür herein. Er umschleicht sofort kindlich devot und lächelnd den in dem Lehnstuhl hingelümmelten Tobias. Aah, ja ... nu da ist ja der König Herodes wieder von den Toten erwacht ... hahahaha ... da atmet er wieder ... aber seine Augen sind gar so aufgequollen ... er hat wohl geweint ... er sieht gar nicht schön aus ... Er beginnt zu weinen. Jesus ... Jesus ...

WENDELBORN. Machen Sie Tobias nicht erst zornig, Herr Buntschuh ... gehen Sie lieber wieder zu Frau Buntschuh hinauf ...

BUNTSCHUH hat den Vater Buntschuh nur verächtlich angestarrt. Zieht nur wieder seinen silbernen Handspiegel heraus und treibt mit seinem Spiegelbilde wieder ein Spiel. Hahahahahahahaha ... göttlicher Buntschuh ... göttlicher Buckelhans ... hahahahahahahaha ... dein Vater und deine Mutter stammen ja doch nur aus Armutsblut ... und du bist gar noch bucklig geraten ... hahahahahahahaha ...

Plötzlich klingelt er herrisch.

Dreizehnte Szene

DIENER FRANZ erscheint.

BUNTSCHUH. Vorwärts ... vorwärts ... führe Vater zu Mutter hinauf ... sie soll ihn bewachen ... daß er nicht 'rumirrt ...

DIENER FRANZ bemüht sich sogleich, Vater Buntschuh durch die rechte, vordere Haupttür wieder hinauszuführen. Kommen Sie ... kommen Sie nur freundlichst, Herr Buntschuh ...

VATER BUNTSCHUH unwillig. Ach ... Herr Buntschuh ... Blödsinn ... nennen Sie mich nur gefälligst Siebenhaar ... wie meinen alten Onkel Siebenhaar ... der auch Siebenhaar hieß ... und der immer schneeweiße Haare hatte ... und der niemals Zeit hatte ... sich seine Haare, zum Beispiel ...

DIENER FRANZ mit Vater Buntschuh ab.

BUNTSCHUH krampfhaft lachend. Hahahahahahahaha ... nennen Sie mich nur gefälligst auch Siebenhaar ... hahahahahahahaha ...

Vierzehnte Szene

WENDELBORN. Tobby ... du bist von dem unsinnigen Denken richtig wie verdreht ...

BUNTSCHUH nimmt eine gereizte Haltung an. Was soll denn der Koffer ... zeig das Spielzeug her ... ich werd es bezahlen ...

WENDELBORN. Du läßt den Koffer stehen ... er gehört nicht hierher ... ich werd mich mit meinen schönen Dingen jetzt durchaus nicht brüsten ... ich bin doch in diesem deinem menschlichen Hochmomente nicht geschmacklos genug, den güldenen und kostbaren Kleinkram hier auszubreiten ...

BUNTSCHUH. Ja ... eben ... was bringst du denn erst diesen güldenen und kostbaren Kleinkram überhaupt hierher ... ich erlebe meine höchste Stunde heute ... ich brauche weiß Gott mit kostbaren Ködern niemanden erst noch an mich zu locken ...

WENDELBORN. Ich sage es dir ja, Tobby ... ich begreife vollkommen dieses erhabene Gefühl ...

BUNTSCHUH. Ich brauche auch keine schöne Dame mit Gold und Diamanten erst an mich zu locken ...

WENDELBORN lachend. Lieber Tobby ... eine kindliche, keusche, reine Frauennatur ... die gar nichts verlangt ... eine, die dir nur selber zwei Hände voll Güte entgegenbringt ... eine Fromme ... sozusagen eine nur Hingebende ... hahahaha ... eine, deren Blut das Tröpflein wahrer Seligkeit und Einigkeit zugemischt ist ... das bekanntermaßen aus Gottes glitzerndem Ölfläschchen direkt herstammt ... die kann man eben mit Gold und Diamanten gar nicht an sich locken ... die wirst also auch du mit deinem Gold und deinen Diamanten niemals an dich locken.

BUNTSCHUH heftig ausbrechend. Weil dein Weib rechtzeitig gestorben ist ... in der ersten Blüte und du dir jetzt beständig ihr Andenken recht sentimental ausmalen kannst ... und vor deinem zehnjährigen Bengel prahlen kannst ... deshalb redest du ...

WENDELBORN. Tobby ... nun lache ... ich ... na ... niemals ... ich nehme den Namen meines Weibes niemals auch nur in den Mund vor dir ... das schlucke ich gefälligst stets runter vor dir ... aber ... du weißt doch ... ich habe doch genug Einsicht ... viel zu viel ... in deine eigenen, letzten Lebenssehnsuchten ... und in deine furchtbaren Schmerzen ...

BUNTSCHUH schreit. Wenn du mich so erniedrigen willst, stelle ich dir den Stuhl vor die Türe ...

WENDELBORN lachend. Du bist doch ein ebenso törichter wie ganz gemeiner Kerl, Tobby ... wirklich manchmal im Gemüte noch der reine Weichenstellerjunge im Straßengraben ...

BUNTSCHUH wieder schreiend. Ich hasse dich, Philipp ... ich hasse dich, Philipp ...

Fünfzehnte Szene

In diesem Augenblick sieht man im tieferen Garten eine Sekunde das Gewand der Radiana.

WENDELBORN der in den Garten hinausgestarrt hatte, sagt sogleich bedachtsam. Tobby ... bitte ... Haltung ... es sind Leute im Garten ...

BUNTSCHUH schleicht hastig in die Tür, guckt verkniffen und empört zurück und spricht heraus. Scharf. Jag das Gesindel hinaus aus dem Garten ... jag das Gesindel hinaus aus dem Garten ... Ab.

Sechzehnte Szene

WENDELBORN der in der Flügeltür steht. Nein ... was ist denn das da für eine kleine Vogelscheuche ... solch ein freches Ding ... sie kommt wahrhaftig ganz dreist und gottesfürchtig hier durch den Park ... Zurückrufend nach Buntschuh. potz Donner ... das Frauenzimmerchen will doch nur dich jetzt sehen ... da bleib doch gefälligst ...

Siebzehnte Szene

Man sieht jetzt, wie Radiana im Garten immer näher, ganz scheu herankommt.

WENDELBORN. Nein ... sagen Sie ... das ist wohl die kleine Radiana ... was ... wie ... wie kommen Sie denn hier herein ... Sie müssen ja doch über Mauern und Wassergraben gekommen sein ...

RADIANA. Ja ... jawohl ... über Mauern und Wassergraben ... was ist denn dabei ... ich bin nach der Probe gleich weggelaufen ...

WENDELBORN. Und auch durch die Wachthunde sind Sie durch ...

RADIANA. Ja ... jawohl ... die Wachthunde habe ich nur gestreichelt ... gebissen hat mich keiner ... sie haben alle nur gewedelt ...

WENDELBORN. So ... hahahaha ... verstehen Sie das alles ...

RADIANA stutzig und anmutig. Ja ... jawohl ... das verstehe ich ... ich heiße nämlich eigentlich gar nicht Radiana ... das ist nur so ein roter Klecks auf der Stirn ... ich heiße eigentlich ganz gewöhnlich Lotte Grasmück ... nur als Schlangenmädchen heiße ich Radiana ... nur für die Kunststücke im Zirkus heiße ich Radiana ... weil ich noch so junge und gewandte Glieder habe ... sonst bin ich ein ganz gewöhnliches Mädel ... über die höchsten Mauern kann ich klettern wie eine Eidechse oder wie eine Schlange ... Hunde kann ich auch gleich von der Ferne so ansehen, daß sie mich lieben ... das können so junge, geschickte Mädchen oft ...

WENDELBORN. Das können Sie wohl gar auch mit Männern schon ... Sie sind ein lustiges Ding ... ich habe Sie ja schon manchmal bei Fräulein Luisa sitzen sehen ... was wollen Sie denn aber nur hier ...

RADIANA plötzlich sehr verlegen. Das weiß ich selbst nicht ... wo auch Sie gerade so unerwartet noch vor mir auferstehen ... nein richtig ... Sie zieht unterm Mantel einen Brief hervor. das ist von Luisa an Herrn Buntschuh ... ich bin nur ein gemeiner Schicketanz heute ...

WENDELBORN lachend. Das hätten Sie aber bequemer haben können ... wenn Sie zum Beispiel nur unten in der Kanzlei den Brief einfach an den Portier abgegeben hätten ... nicht ...

RADIANA. Ja ... jawohl ... es war nur ein Abenteuer ...

WENDELBORN mit dem Finger drohend. Na na na ... wie heißen Sie ... Lotte Grasmück heißen Sie ... Einbrecher sollten Sie heißen ... da wollten Sie sich wohl den großen Erfinder Buntschuh einmal gründlich besehen ... Die tiefere rechte Tür hat sich wieder aufgetan, und Buntschuh mit  immer demütiger verzogenem Gesicht nähert sich.

RADIANA die ein wenig erschrocken auf ihn starrt. Nein ... gar nicht das Einzelne ... ich wollte nur diese ganze Herrlichkeit einmal betrachten ... lieben tu ich weder den Prunk noch die Menschen ... die Wolken und die Kühe und Lämmer liebe ich viel mehr ... und die Wiesenblumen liebe ich auch ... zum Beispiel eine Schafherde liebe ich mehr wie mein Leben, wenn die so mit gesenkten Schafsköpfen auf einer Kleestoppel in Sonne herumschrobt ... aber ich bin sehr neugierig ...

BUNTSCHUH geht Radiana immer näher und will sie streicheln.

RADIANA ganz erschrocken. Oh nein ... bitte ja nicht ... wenn ich auch aus dem Zirkus bin ... angreifen darf mich niemand ... sonst schreie ich um Hilfe ... außerdem ... wenn das Luisa wüßte, da erdrosselte sie mich ...

Sie ist jetzt nahe daran, in Verlegenheit fortzuspringen.

BUNTSCHUH immer demütiger. Schenk ihr doch Schmuckstücke ... schenk ihr doch Schmuckstücke ...

RADIANA sehr bestimmt. Gott bewahre ... ich muß fort ... es ist ja doch schon ganz spät am Tage ... ich müßte mich längst zu einem vernünftigen Menschen hergerichtet haben ... wie ich nur aussehe ... manchmal bin ich so töricht ... manchmal setze ich mich plötzlich auf einen Ofen ...

WENDELBORN. Hahahaha ... was man bei dir nicht alles erleben kann, Tobby ...

RADIANA. Die Menschen reden eben so unsinniges Zeug, was hinter diesen Mauern alles verborgen sein sollte ... da ist es kein Wunder, wenn einen die Neugierde überwältigt ...

WENDELBORN wieder lachend. Wollen Sie nicht wenigstens erst ein Stück Torte essen, kleine Lotte ... das ist nämlich hier in diesem Zauberschloß zu haben wie auf dem Tischlein deck dich ...

RADIANA plötzlich fortspringend in den Garten. Dann stehen bleibend. Nein ... weder Kuchen noch sonst etwas ... weder angreifen lasse ich mich ... noch lasse ich mir etwas schenken ... da denke ich gleich, man will mich vergiften ... das leide ich gar nicht ... ich will jetzt überhaupt die Augen ganz schließen vor mir und vor Ihnen ... Sie müssen auch jetzt die Augen schließen, und niemand darf wissen von meiner Frechheit ...

Sie läuft wieder ein Stück fort.

WENDELBORN ihr nachrufend. Da bleiben Sie doch ... Sie brauchen doch nicht wieder über die Mauern zu planken ...

RADIANA wieder stehen bleibend. Warum denn nicht ... dabei ist doch gar nichts ...

WENDELBORN sehr bestimmt. Nein ... nun befehle ich es aber ... Sie kommen mit mir ... ich führe Sie jetzt den normalen Weg durchs Treppenhaus ... da können Sie noch die Wandmalereien bewundern ... und das große Gemälde an der Decke, worauf die genialen Erfindungen des Herrn Tobias Buntschuh in allegorischen Gestalten verherrlicht sind ...

RADIANA. Meinetwegen ... obwohl mich das gar nicht interessiert, was man so mit Ölfarbe an die Decken und Wände kleckst ... aber wenn Sie es mir sagen, muß ich gehorchen ... ich will nur vorher Herrn Buntschuh noch einmal bitten, mir nicht böse zu sein ... nicht wahr ... Herr Buntschuh ... bitte, bitte ... es war eine richtige Dreistigkeit von mir ... ich halte mich manchmal gar nicht im Zaume ... da breche ich aus, als wäre ich wild ...

WENDELBORN steht bereits an der offenen Tür. Hahahaha ... Tobby ... was man bei dir nicht alles erleben kann ... da ... der Brief von Fräulein Luisa für dich liegt dort auf dem Tische ...

BUNTSCHUH. Halte sie doch ... nein ... halte sie doch ...

RADIANA hat Buntschuh ein tiefes, züchtiges Kompliment gemacht, scheu mit dem Kopfe schüttelnd. Nein ... nimmer ... nimmer ...

WENDELBORN. Kommen Sie nur, Sie kleiner Verbrecher ... in meiner Hut sind Sie gut geborgen ... Menschen zu hüten, das ist nämlich mein Lebensgeschäft ... am besten werden Sie im Auto heimgefahren ...

Beide sind schon durch die Tür.

RADIANAS Stimme noch hörbar. Um Gotteswillen ... das wäre mein Tod ...

Achtzehnte Szene

BUNTSCHUH hat Radiana fortwährend nur wie gebannt angestarrt. Ganz in sich gekrochen. Verkniffen lächelnd. Die Hände halb schon ausgestreckt. Wie sie nun mit Wendelborn verschwindet, streckt er plötzlich die Arme nach ihr aus in die Luft und ruft sehnsüchtig. Oooh ... oooh ... oooh ... ich bin so zärtlich ... ich bin so zärtlich ... ich bin so zärtlich ...

Der Vorhang fällt.

Dritter Akt

Im Zirkus. Am Eingang aus dem Stalle. Schwere Vorhänge. Dahinter Blick in den Zirkus.

Erste Szene

Man sieht Stallmeister mit abgewandten Gesichtern in den Vorhangspalten stehen. Hinter dem Vorhang Gekreisch von Clowns. Ausgelassene, sinnliche Glockenmusik, wozu ein Clown singt.

Ach, liebste Phyllis,

hör mein Musizieren ...

und laß mich stumm

in deinem Schoß pausieren ...

Geklatsch dazwischen. Wieder Geklatsch. Der Clown mit dem Glockenbehang drängt sich aus der Manege durch den Vorhang. Beim Lupfen des Vorhangs hat man das Spiel des Jongleurs mit bunten und drolligen Gegenständen gesehen. Der Vorhang wieder geschlossen. Neu feierliche Ruhe, so daß man den Jongleur jetzt mit irgendwelchen Gegenständen, etwa Flaschen, auf einem Brett dumpf den Takt schlagen hört. Eine Kunstreiterin als Balletteuse ist jetzt von links vorn, abwartend

und horchend, lässig an den Vorhang getreten. Hinter dem Vorhang Clownsgerede und Lachen. Zwei Clowns kommen neu mit Geschrei durch die Vorhangsfalten gestürzt und verschwinden nach links vorn, jeder zur wartenden Balletteuse, die sich nicht rührt, eine galante Gebärde machend. Ein dickes, weißes Manegepferd ist jetzt ebenfalls dicht an den Vorhang herangeführt. Geklatsch. Musik. Tusch. Die Vorhänge gehen flüchtig auseinander. Der Jongleur erscheint nun und verschwindet eilig nach links vorn. Man trägt ihm bunte Dinge nach. Clowns kreischen ihm hinterdrein.

Zweite Szene

Nun neu feierliche Musik der Klosterglocken. Das Pferd verschwindet hinter dem Vorhang. Die Balletteuse verschwindet ebenfalls hinter dem Vorhang. Stallmeister treten wieder in die Vorhangspalten.

Dritte Szene

Clown Odebrecht drückt sich durch die Vorhangsfalten heraus. Sackartiger Frack, Hose und Weste in einem. Ganz schwarz. Mächtiger purpurroter Schlips. Alles übermäßig. Der riesige, hohe Hut in nach oben sich breitender Form, total zerdrückt. Er geht während des Spiels vor dem Vorhang hin und her, die Hände auf dem Rücken, samt dem Hute.

Clown Ambrois mit langer Peitsche als lottriger, frecher Schweinejunge gekleidet, drückt sich ebenfalls durch den Vorhang heraus.

CLOWN ODEBRECHT. Prost die Mahlzeit ...Ambrois ...

CLOWN AMBROIS. Morjen ... Morjen ...Er guckt durch die Vorhangspalte in den Zirkus und kehrt sich zurück.