Wie man in eine Seifenblase schlüpft - Albrecht Beutelspacher - E-Book

Wie man in eine Seifenblase schlüpft E-Book

Albrecht Beutelspacher

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Beschreibung

Man zieht an einem Seil, ein Reifen hebt sich nach oben, dabei bildet sich eine Seifenhaut und man schlüpft für einige Augenblicke in eine große Seifenblase. Dieses und weitere 99 mathematische Experimente beschreibt Albrecht Beutelspacher. Und er erklärt, wie aus diesen Erfahrungen „wie von selbst“ mathematische Erkenntnisse werden. Ob „Würfelschlange“, „Chaospendel“, „Faxenspiegel“, „Quadreieck“, „Verschwundenes Kind“, „Parabelrechner“ oder eben die „Riesenseifenhaut“: Alle hier vorgestellten Experimente stammen aus dem Mathematikum in Gießen, dem weltberühmten Mitmachmuseum für Mathematik.

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Albrecht Beutelspacher

Wie man ineine Seifenblaseschlüpft

Die Welt der Mathematikin 100 Experimenten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

Zum Buch

Man zieht an einem Seil, ein Reifen hebt sich nach oben, dabei bildet sich eine Seifenhaut und man schlüpft für einige Augenblicke in eine große Seifenblase.

Dieses und weitere 99 mathematische Experimente beschreibt Albrecht Beutelspacher. Und er erklärt, wie aus diesen Erfahrungen „wie von selbst“ mathematische Erkenntnisse werden.

Ob „Würfelschlange“, „Chaospendel“, „Faxenspiegel“, „Quadreieck“, „Verschwundenes Kind“, „Parabelrechner“ oder eben die „Riesenseifenhaut“: Alle hier vorgestellten Experimente stammen aus dem Mathematikum in Gießen, dem weltberühmten Mitmachmuseum für Mathematik.

Über den Autor

Prof. Dr. Dr. h.c. Albrecht Beutelspacher ist Professor für Diskrete Mathematik und Geometrie an der Universität Gießen sowie Gründungsdirektor des Mathematikums. Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und Preise, darunter des Communicator-Preises des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft (2000), des Deutschen IQ-Preis (2004), des Hessischen Kulturpreises (2008) sowie der Medaille für naturwissenschaftliche Publizistik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (2014). Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: Albrecht Beutelspachers Kleines Mathematikum. Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten zur Mathematik (32010); Geheimsprachen. Geschichte und Techniken (52013); Zahlen. Geschichte, Gesetze, Geheimnisse (2013).

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Zahlen und Zählen

1. Die ältesten Zahlen

2. Römische Zahlen

3. Ein Brotstein

4. Pythagoras und die Musik

5. Der Zahlenschrank

Kapitel 2: Zahlen und Unendlichkeit

6. Wer ragt am weitesten heraus?

7. Primzahlen

8. Pi

9. Mein Geburtstag in Pi

10. Unendlich viele Bruchzahlen

Kapitel 3: Hier wird gerechnet

11. Der Abakus

12. Die Binäruhr

13. Hochstapelei

14. Pi binär

15. Die Unendlichkeitsmaschine

Kapitel 4: «Kombiniere!»

16. Wörtersalat

17. Das Wabenpuzzle

18. Das musikalische Würfelspiel

19. Bunte Steine

20. Magische Quadrate

21. Lights on!

22. Der Pentomino-Kalender

Kapitel 5: Die Macht des Zufalls

23. Die Würfelschlange

24. Rote Würfel raus!

25. Das Galtonbrett

26. Zwei an einer Linie

27. Der Zweite ist immer der Erste

28. Smarties

29. Das Chaospendel

Kapitel 6: Verwürfelte Buchstaben

30. Knack den Code!

31. Geheimcodes mit Schablonen

32. Die ENIGMA

33. Zeichen im Nebel

Kapitel 7: Gut in Form!

34. Der Formenschrank

35. Das Tangram

36. Das T

37. Das Quadreieck

38. Der Soma-Würfel

39. Der Conway-Cube

Kapitel 8: Pythagoras

40. Pythagoras zum Wiegen

41. Pythagoras zum Legen

42. Pythagoras beweisen

43. Das Quadratpuzzle

Kapitel 9: Viele Wenig ergeben ein Viel

44. Das Känguru-Puzzle

45. Wie viele Bären?

46. Das Penrose-Puzzle

47. Kreispackungen

48. Schwingende Kugeln

49. Das verschwundene Kind

Kapitel 10: Körper mit Ecken und Kanten

50. Die Kugelpyramide

51. Die Pyramiden

52. Platonische Körper

53. Tetraeder im Würfel

54. Formen fühlen

55. Schatten von Körpern

Kapitel 11: Spieglein, Spieglein an der Wand

56. Der Faxenspiegel

57. Spiegelbuchstaben

58. Blick in die Unendlichkeit

59. Der Drehspiegel

60. Das Spiegelbuch

61. Der Eckspiegel

62. Das Riesenkaleidoskop

63. Der Spiegeltrichter

Kapitel 12: Hauptsache, die Proportionen stimmen

64. Der goldene Schnitt

65. Fibonacci-Zahlen

66. Fibonacci-Zahlen in der Natur

67. Der goldene Schnitt in der Kunst

68. Der Vitruvianische Mann

Kapitel 13: Alles eine Frage der Perspektive

69. Auf den Blickpunkt kommt es an

70. Was ist perspektivisches Zeichnen?

71. Groß und Klein

72. Alle Dreiecke sind gleich

73. Die Eins

74. Der schiefe Raum

75. Das unmögliche Dreieck

Kapitel 14: Rasante Kurven

76. Die Sinuskurve

77. Wo geht’s am schnellsten runter?

78. Gleichdicks

79. Die Kettenlinie

80. Quadratische Räder

Kapitel 15: Der Weg ist das Ziel

81. Eulers Linien

82. Die Deutschlandtour

83. Die Leonardo-Brücke

84. Ich bin eine Funktion

85. Funktionen fühlen

86. Weltbevölkerung

Kapitel 16: Kegel trifft Ebene

87. Kegel und Kegelschnitte

88. Ellipsen

89. Eine Parabel durch Drehung

90. Der Parabelrechner

Kapitel 17: Lob der Oberfläche

91. Wunderbare Seifenhäute

92. Die Riesenseifenhaut

93. Alles gerade, trotzdem rund!

94. Kürzeste Wege auf dem Globus

95. Das Möbiusband

Kapitel 18: Geschichten und Legenden

96. Die Geschichte vom Schachbrett

97. Der Turm von Ionah

98. Sokrates und der Junge

99. Die besten MathematikerInnen

100. Mathematische Träume

 

Anhang

Literaturhinweise

Bildnachweis

Der Autor

Vorwort

Das Mathematikum in Gießen ist das erste mathematische Mitmachmuseum (Science Center) der Welt. Es hat das Ziel, Menschen einen neuen Zugang zur Mathematik zu erschließen. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2002 haben die vielen Experimente jährlich etwa 150.000 Besucher angezogen.

Dieses Buch ist für die Besucher des Mathematikums nützlich, die mehr über die Experimente erfahren möchten. In gleicher Weise ist dieses Buch aber auch für Leser geeignet, die das Mathematikum nicht besucht haben. Sie gewinnen einen Einblick in die faszinierende Welt mathematischer Experimente und damit auch einen ersten Eindruck von der Mathematik selbst.

Mit der Vermittlung von Mathematik durch Experimente hat das Mathematikum Neuland betreten. Der spielerische Zugang über Knobelspiele, durch Brückenbauen, durch Experimentieren mit Seifenhäuten hat eine Haltungsänderung gegenüber der Mathematik bewirkt. Jedenfalls äußern sich viele Besucher geradezu beglückt über den befreienden Zugang, den sie im Mathematikum zur Mathematik gefunden haben. Die «Mathematik zum Anfassen» mit Experimenten zu den Themen Zahlen, Funktionen und Zufall hat viele Lehrerinnen und Lehrer motiviert, ihren Mathematikunterricht für Experimente zu öffnen. Das Mathematikum hat eine ganze Reihe von vergleichbaren Institutionen angeregt oder war sogar stilbildend, so zum Beispiel für das Erlebnisland Mathematik Dresden, das MoMath New York und das Museu de Mathemàtiques a Catalunya in Barcelona.

Das zugrunde liegende Prinzip hat bereits eine Geschichte. So war schon für den Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) der Dreiklang «Kopf, Herz und Hand» die Grundlage für die Unterstützung kindlicher Entwicklung. In der heutigen englischsprachigen Science-Center-Szene heißt das entsprechende Schlagwort «hands-on, minds-on, hearts-on».

Nun könnte man einwenden, dass in der Mathematik Experimente keine Rolle spielen. In den Naturwissenschaften – Physik, Chemie und Biologie – werden Experimente durchgeführt, um Naturgesetze zu verifizieren beziehungsweise Hypothesen zu falsifizieren. Demgegenüber beruht die Wahrheitssicherung in der Mathematik ausschließlich auf dem logischen Argumentieren, den berühmten Beweisen.

In der Mathematik haben Experimente eine ganz andere Funktion als in den Naturwissenschaften. Äußerlich haben sie alles, was ein Experiment ausmacht: Man sieht bunte Klötze, die darauf warten, zusammengesetzt zu werden, vor einem liegen Kugeln, die man eine Bahn hinabrollen lässt, man möchte mit einer Schnur einen Weg nachlegen. Man spricht auch von «interaktiven Experimenten». Das bringt zum Ausdruck, dass jedes Experiment nur dann funktioniert, wenn es zu einer Interaktion, einem Zusammenspiel zwischen eigentlichem Experiment und dem Besucher kommt. Es verändert sich etwas: Das Experiment sieht nach dem Experimentieren anders aus als vorher. Aber auch beim Besucher verändert sich etwas. Denn das Experimentieren regt die eigenen Gedanken an. Man kann gar nicht anders, als sich Fragen zu stellen: Ist das wirklich so? Wie kann das sein? Wie kann ich mir das erklären? Daraus bilden sich Vorstellungen, und schließlich bekommt man Einsichten. Es macht «klick», weil man plötzlich erkennt, wie alles zusammenhängt. Diese Aha-Momente mit einer plötzlichen Erkenntnis sind charakteristisch für die Mathematik, sie sind die Augenblicke, in denen man ausgesprochen positiv erlebt, dass man etwas verstanden hat!

Welche Eigenschaften muss nun ein Experiment haben, das unsere Gedanken stimulieren kann? Die Idee, die wir im Mathematikum verfolgen, besteht aus zwei Aspekten.

Zum einen gewähren die Experimente einen außerordentlich niedrigschwelligen Zugang. In der Regel bestehen die Experimente aus physischen Objekten, mit denen man ohne Schwierigkeiten hantieren kann. Nur in Ausnahmefällen sind die Experimente elektronisch gestützt: Die Besucher erfahren echte Phänomene und nicht durch Computer vermittelte Effekte. Der erste Eindruck suggeriert einem, dass das Experiment einfach durchzuführen ist, dass keine Vorkenntnisse vorausgesetzt werden, kurz: dass es ein Experiment für jeden ist.

Zum anderen ist es allerdings so, dass die Experimente keineswegs so einfach sind, wie sie zunächst scheinen. Denn beim Ausprobieren stellt sich bald eine unerwartete Schwierigkeit, eine Überraschung oder eine Verblüffung ein. Und genau diese Stolperstelle bringt unser Denken in Bewegung.

Man fängt dann unwillkürlich an, sich mit anderen Besuchern zu unterhalten und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Wenn man diese gefunden hat, ist man glücklich und stolz. Zu Recht, denn man hat ein Erfolgserlebnis, das einem niemand wegdiskutieren kann. Denn der Erfolg steht sichtbar vor einem: Ich habe die Pyramide zusammengesetzt, wir haben den Bogen gebaut, ich habe den Code geknackt.

Diese Art der Beschäftigung mit der Mathematik

• macht deutlich, dass Mathematik mit Denken zu tun hat und dass man durch eigenes Nachdenken zu Ergebnissen kommt,

• ermöglicht eine Haltungsänderung gegenüber der Mathematik und Naturwissenschaften im Allgemeinen,

• macht die Menschen nicht klein, sondern stärkt ihr Selbstbewusstsein.

Das Mathematikum in Gießen, das erste mathematische Mitmachmuseum der Welt

Der Zugang zur Mathematik über Experimente funktioniert für alle Menschen. Und tatsächlich ist das Mathematikum Gießen ein Magnet für alle möglichen Besucher, für Besucher jeden Alters und jeden Bildungshintergrunds (und übrigens auch jeden Geschlechts).

Sie sehen eine große Themenvielfalt, in der Tat werden viel mehr Themen aufgegriffen, als der Schulunterricht (der ja andere Ziel hat) dies vermag. Denn kein Bereich der Mathematik ist ausgeschlossen. Natürlich gibt es Experimente zu Geometrie, aber auch Algebra, insbesondere die Zahlen, und Analysis, insbesondere die Funktionen, sind vertreten. Überraschend viele Experimente findet man im Bereich Stochastik, also der Lehre vom Zufall. Und viele Experimente und Objekte zur Kombinatorik, zur Topologie und auch zur Geschichte der Mathematik sind zu finden.

Es gibt natürlich viele Experimente, die eng an den Schulunterricht anschließen, etwa der Satz des Pythagoras, die Berechnung der Kreiszahl Pi, das Galtonbrett, aber auch zahlreiche attraktive Experimente, deren formal-mathematische Behandlung im Schulunterricht nicht möglich ist. Beispiele dafür sind die Seifenhäute (Minimalflächen), die Brachystochrone, die Deutschlandtour (das Travelling Salesman Problem). Insofern bietet das Mathematikum einem Blick in die Mathematik, der repräsentativer ist als die Sicht des Schulunterrichts.

Das gesamte Mathematikum und die einzelnen Exponate sind so gestaltet, dass die Besucher die größtmögliche Autonomie haben. Sie dürfen beginnen, wo sie wollen, sie müssen keinem roten Faden folgen und können wählen, mit welchen Experimenten sie sich intensiv beschäftigen und welche sie nur oberflächlich betrachten. Es gibt kein heimliches Curriculum. Und trotz dieser Freiheit – vielleicht gerade deswegen – bleiben die Besucher an den Experimenten hängen, bilden sich selbst ein Bild und erklären sich selbst die Phänomene.

Das Lernmodell des Mathematikums basiert auf einem radikal konstruktiven Ansatz. Tatsächlich ist jeder Besucher ein Forscher, der bei jedem Experiment ein Problem lösen kann. Dabei werden die Lösungen nicht verraten, sondern die Besucher haben – alleine oder in einer kleinen Gruppe – selbst Erfolgserlebnisse.

Das Mathematikum ermöglicht einen ersten Schritt in die Mathematik. Und das bedeutet zweierlei. Es ist tatsächlich ein Schritt in die Mathematik, denn man löst das Problem durch eigenes Nachdenken. Es ist aber auch nur ein erster Schritt in die Mathematik, denn man kann zum Beispiel in der Ausstellung praktisch keine vertiefte und schon gar keine formale Behandlung der Phänomene vornehmen.

Was ist dieses Buch?

Dieses Buch ist keine Voraussetzung dafür, die Experimente im Mathematikum durchzuführen. Im Gegenteil: Das Mathematikum ist – wie andere Science Center auch – ein Haus, in dem man auch ohne Vorbildung und ohne Vorbereitung viel verstehen kann und ein Besuch auch ohne Führung erkenntnisreich ist.

Aber jedes gute mathematische Experiment ist auch anschlussfähig an weitergehende Überlegungen und Erkundungen, seien sie mathematisch, seien sie historisch, … Dazu soll dieses Buch beitragen. Es zeigt die große Vielfalt mathematischer Experimente, es beschreibt das Potenzial dieser Experimente, stellt historische Bezüge her und beleuchtet den mathematischen Hintergrund. Dadurch wird ein zweiter Schritt in die Mathematik möglich. In 100 Abschnitten wird ein Großteil der Experimente des Mathematikums vorgestellt.

Natürlich habe ich beim Schreiben dieses Buches zuerst an die Besucher des Mathematikums gedacht, die es vielleicht nach ihrem Besuch zur Hand nehmen. Wenn sie in diesem Buch blättern, erinnern sie sich an das eine oder andere Exponat, manches klingt in ihnen nach, über viele Exponate können sie Neues erfahren – und sie werden zahlreiche Experimente entdecken, die Ihnen bei Ihrem Besuch gar nicht aufgefallen sind.

Ich kann mir auch vorstellen, dass vor allem Lehrerinnen und Lehrer das Buch zur Vorbereitung eines Besuchs benutzen. Sie können sich informieren, welche Experimente zu sehen sind und auf welche Besonderheiten und Finessen zu achten ist, damit sie ihren Schülerinnen und Schülern die entsprechenden Impulse geben können. Das Ziel eines Besuchs sollte es dennoch sein, die Schülerinnen und Schüler möglichst vieles selbst entdecken zu lassen und ihnen nicht zu viel vorher zu «verraten».

Man muss dieses Buch übrigens nicht von vorne bis hinten systematisch durcharbeiten. Blättern Sie einfach mal. Vielleicht fällt Ihr Blick auf ein Foto und Sie wollen wissen, was das ist. Oder eine Überschrift weckt Ihr Interesse. Oder eine Beschreibung führt Sie in ein Ihnen noch unbekanntes Gebiet der Mathematik. Sie können mit jedem der 100 Abschnitte direkt anfangen – und Sie werden in jedem Abschnitt etwas Neues erfahren!

Ich wünsche Ihnen und mir, dass sich die Begeisterung, die die Besucher des Mathematikums erfahren, auch bei der Lektüre der Experimente in diesem Buch einstellt.

Ich habe an diesem Buch seit Gründung des Mathematikums, also seit vielen Jahren, gearbeitet und bin außerordentlich glücklich, dass es nun zu einem guten Ende gekommen ist.

Viele Menschen haben in unterschiedlicher Weise daran mitgewirkt: Sie haben Texte gelesen und korrigiert, sie haben mich bei der Auswahl und der Wahl des Niveaus beraten, und sie haben nicht zuletzt immer wieder gemahnt, das Buch doch endlich zu Ende zu bringen. Ich bin vor allem folgenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der letzten Jahre zu großem Dank verpflichtet: Christoph Beutelspacher, Mirjam Elett, Anne Hukelmann, Carola Kahlen, Elisabeth Maaß, Lisa Peter, Laila Samuel, Sabrina Schneider, Brigitte Strakeljahn, Jonas Wagner, Rosina Weber, Hanni Weller.

Herr Dr. Marc-A. Zschiegner gehörte schon zu denen, die vor über zehn Jahren den ersten Katalog verfassten. Er hat jetzt insbesondere die instruktiven Zeichnungen gestaltet. Dieses Buch lebt auch von den vielen Fotos, die fast ausschließlich von unserem Fotografen Rolf K. Wegst stammen. Er hat nicht nur Tausende von Fotos geschossen, sondern konnte auch die ausgefallensten Wünsche professionell erfüllen.

Kapitel 1

Zahlen und Zählen

Zählen können gehört zu den frühesten kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Vermutlich hat sich das Zählen durch die – zunächst unbewusste – Aufnahme der «Rhythmen des Lebens» entwickelt: Man hat den Auf- und Untergang der Sonne beobachtet, war fasziniert vom Wachsen und Schrumpfen des Mondes, hat beim Gehen irgendwelche Geräusche «im Takt» gemacht und so weiter. Wann diese Rhythmen im engeren Sinne sprachlich erfasst wurden und wann die Menschheit über ein 1, 2, 1, 2, … hinauskam und 1, 2, 3, … sagen lernte, wird man wohl nie wissen.

Aber schon früh war die Erfassung der Zeit bis hin zur Herstellung von Kalendern eine herausfordernde Aufgabe, und dazu waren Zahlen unabdingbar.

1Die ältesten Zahlen

Geschriebene Zahlen gehören zu den ältesten überlieferten Kulturobjekten. Die frühesten Zeugnisse sind 20.000 bis 30.000 Jahre alt.

Berühmt ist der Ishango-Knochen, der 1950 in der Nähe von Ishango in der heutigen Demokratischen Republik Kongo gefunden wurde. Dieser Knochen, dessen Alter auf 20.000 Jahre geschätzt wird, zeigt an verschiedenen Stellen Zahlen. Sie sind durch die entsprechende Anzahl von Kerben dargestellt, stehen aber nicht alleine, sondern haben eine Beziehung untereinander. So stoßen wir zum Beispiel auf die Zahlenpaare 3–6, 4–8 und 10–5. Hier wird also die Verdoppelung und Halbierung von Zahlen thematisiert. Noch interessanter ist die Zahlenfolge 11–13–17–19. Wer denkt dabei nicht an die Primzahlen zwischen 10 und 20?

Der Wolfsknochen

Noch älter als der Ishango-Knochen ist der Wolfsknochen, der im Mathematikum zu sehen ist. Er gehört definitiv zu den frühesten Zahldarstellungen der Welt. Es handelt sich um einen etwa 18 cm langen Speichenknochen eines jungen Wolfes. Er stammt aus Dolní Vestonice, einer gut dokumentierten Mammutjägersiedlung in Tschechien. Dieser Knochen wurde 1936 von dem Ausgräber Karel Absolon (1877–1960) gefunden, der ausführlich über den Fund berichtet hat.

Das Alter des Knochens wird auf 25.000 bis 30.000 Jahre geschätzt; diese Datierung beruht auf den C14-Analysen von Holzkohleproben aus dem Fundgebiet. Durch einen Brand gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ist der Originalknochen stark zerstört worden. Das Exponat im Mathematikum ist ein Replikat, welches schon zuvor angefertigt worden war.

Auf dem Wolfsknochen sind deutlich viele Einkerbungen zu erkennen. Diese sind in zwei Gruppen aufgeteilt, die durch eine doppelte Einkerbung, die den ganzen Knochen umläuft, getrennt sind. Auf der einen Seite zählt man 30 Einkerbungen, auf der anderen 25. Man meint sogar, auf den beiden Seiten Fünferbündelungen erkennen zu können. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass diese Einkerbungen Zahlen darstellen.

Wozu diese Einkerbungen gedient haben, wissen wir allerdings nicht. Absolon vermutete, dass es sich um die Stückzahl von Jagdbeute handelt, aber das ist reine Spekulation. Eines ist sicher: Vor 30.000 Jahren hielt jemand eine Zahl für so wichtig, dass er sich der Mühe unterzogen hat, die entsprechende Anzahl von Kerben in einen Knochen einzuritzen.

 

2Römische Zahlen

Noch heute sind uns die römischen Zahlzeichen geläufig: Die Zeichen I, V, X, L, C, D und M stehen für 1, 5, 10, 50, 100, 500 und 1000. Andere Zahlen erhält man, indem man die römischen Zahlensymbole in der entsprechenden Anzahl zusammenstellt: III ist 3, VII ist 7, XXVI ist 26. Zunächst schrieben die Römer auch IIII für die Zahl 4; dies wurde später aber durch IV ersetzt. Die Regel ist: Wenn ein kleineres Zahlzeichen vor einem größeren steht, wird dies abgezogen: IX ist 9 und XLII ist 42.

Römische Zahlen wurden und werden vor allem benutzt, um Nummern und Jahreszahlen aufzuschreiben beziehungsweise in Stein zu meißeln.

Römischer Hohlziegel

Der römische Hohlziegel auf der nächsten Seite, zeigt eine Zahl. Es ist die Zahl XXII, also 22, die darauf zu sehen ist.

Hohlziegel wurden damals für den Bau von Fußbodenheizungen (Hypokaustanlagen) verwendet. Man brachte die Hohlziegel an Innenwänden an, wo sie die warme Luft vom Boden in die Wände leiteten. Badeanlagen wurden häufig so beheizt; in Wohnhäusern ist diese Technik seltener zu finden.

Dieser Ziegel stammt aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. und wurde im Römerkastell Saalburg im Taunus gefunden. Er trägt einen Stempel, welcher nicht nur verrät, von wem er hergestellt wurde, sondern der zudem eine römische Zahl zeigt. Die Inschrift beginnt nämlich mit LEG XXII, was für «legio XXII», also die 22. Legion, steht. Diese Legion war in Mainz stationiert und unter anderem für die dortige Ziegelproduktion zuständig.

Es folgt der Legionsname, welcher «primigenia» (die Erstgeborene) lautet und mit P abgekürzt wurde. Die beiden letzten Buchstaben P und F stehen für besondere Auszeichnungen dieser Legion, sie galt nämlich als besonders pflichtbewusst («pia») und treu («fidelis»).

Römische Münzen

Schon als Münzen längst übliche Zahlungsmittel waren, wurde deren Wert nicht unbedingt durch eine Zahl angegeben, vielmehr erkannte man diesen an der Größe oder der Art der Gestaltung. Stets aber zeigten sie das Bild einer Göttin oder des Herrschers und gewannen dadurch Authentizität.

Aber spätestens als auch im Alltag viel mit verschiedenen Münzen bezahlt und gerechnet werden musste, erwies es sich als sinnvoll, den Wert einer Münze auf ihr selbst als Zahl zu vermerken.

Bei den Römern wurde ab dem Jahr 211 v. Chr. der Denar in das Währungssystem eingeführt. Das X, welches auf der Münze oben links neben dem Kopf der Göttin Roma zu sehen ist, zeigt an, dass diese 10 Asse wert war. Der As war die Grundeinheit der römischen Währung.

Auch die Münze oben rechts trägt ein Wertzeichen. Es ist ein sogenannter Quinar. Auf ihm ist die römische Zahl V (fünf Asse) zu sehen.

Spätestens im 1. Jahrhundert vor Christus war der Denar 16 Asse wert. Zunächst zeigte man dies mit dem Zeichen XVI an. Später wurde es verkürzt, in Form eines Sterns, wiedergegeben (Münze unten links).

Nach wie vor hatten aber nicht alle Münzen ein Wertzeichen. Viele zeigten nur ein Münzbild, so etwa der Denar (auf der Abbildung unten rechts) mit dem Kopf der Göttin Iuno Moneta. Moneta war die Schutzgöttin der römischen Münzstätte. Das lateinische Wort «moneta» bedeutet Münze oder Geld und ist ihrem Namen entlehnt.

 

3Ein Brotstein

Das Original dieses Steins stammt aus dem Mittelalter. Er ist an einer Kirche angebracht und dort Teil eines Ensembles von Normmaßen (Längenmaßen und Flächenmaßen). Wer beim Handel auf dem nahen Markt Zweifel hatte, ob seine Ware richtig gemessen wurde, konnte sich an der Kirche vergewissern, ob alles mit rechten Dingen zuging.

Der Stein zeigt eine Jahreszahl. Die Inschrift beginnt mit A D («Anno Domini» = n. Chr.). Dahinter kommt die Jahreszahl MCCCXX, also 1320. Es ist nicht einfach, die Zahlzeichen zu lesen, denn der Steinmetz hat versucht, jedes Zeichen zu einem kleinen quadratischen Bild zu machen. Die kleinen Kringel dienen dabei nur zur Trennung der Zeichen.

Der Kreis rechts ist die damalige «Normgröße» für ein Brot. Die Inschrift ist ein «Brotmaß» und sagt also insgesamt: In diesem Jahr muss jeder verkaufte Brotlaib genau dieses Maß haben.

Der Originalstein ist am Freiburger Münster zu sehen. Die dortige Münsterbauhütte hat dieses Replikat eigens für das Mathematikum gefertigt.

 

4Pythagoras und die Musik

Monochord

Das «Monochord» ist das älteste mathematische Experiment, vielleicht das älteste Experiment überhaupt.

Das schon in der Antike bekannte Musikinstrument besteht aus einer einzigen Saite (deshalb «Mono-chord»). Durch einen Schieber kann man die Saite aber in zwei Teile aufteilen. Die Teile können gleich lang sein, gewöhnlich sind sie es jedoch nicht. Nun kann man erst den linken und dann den rechten Teil der Saite anzupfen und wird zwei verschiedene Töne hören: Der längere ergibt einen tieferen, der kürzere einen höheren Ton.

Die Pythagoreer haben im 6. Jahrhundert v. Chr. eine Entdeckung gemacht, die die Mathematik und die (abendländische) Musik bis heute beeinflusst. Sie wollten es nämlich genau wissen und maßen das linke und rechte Stück der Saite nach. Dabei stellten sie fest, dass die Längenverhältnisse mit den Tonintervallen in engster Verbindung stehen. Bei einem Längenverhältnis von 2 : 1 (zum Beispiel 80 cm zu 40 cm) erklingt eine Oktave, der reinste Klang. Bei einem Längenverhältnis von 3 : 2 hört man eine Quinte, ebenfalls ein sehr reiner Klang.

Generell stellten die Pythagoreer eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen der Welt der Zahlen und dem Reich der Töne fest. Genauer gesagt machten sie folgende Beobachtung: Je einfacher das Zahlenverhältnis ist (wie etwa 2 : 1, 3 : 2), desto reiner ist der Klang. Und je komplizierter das Zahlenverhältnis ist (13 : 7 oder Ähnliches), desto «unschöner», schriller, spannender, aufregender … ist der Klang. Dieser Zusammenhang zwischen den Klängen und den Verhältnissen von Zahlen muss die Pythagoreer derart beeindruckt haben, dass sie unweigerlich zu der Erkenntnis kamen: «Alles ist Zahl!»

Die folgende Tabelle gibt einige musikalisch interessante Verhältnisse wieder.

Röhren zum Hören

Die Pythagoreer haben diese Verhältnisse nicht nur an Saiteninstrumenten, sondern an Instrumenten aller Art erforscht. Besonders überzeugend kann man die Längenverhältnisse auch bei Blasinstrumenten (Flöten, Trompeten, Posaunen, Orgelpfeifen) verifizieren. Im Mathematikum gibt es dafür das Experiment «Röhren zum Hören».

Jede der Röhren hat vorne ein Loch, an das man sein Ohr halten kann. Pro Röhre hört man einen Ton, und zwar immer den gleichen. Die Röhre filtert aus dem Umgebungslärm den Ton heraus, der zu ihrer Länge passt.

Und auch hier ist es so: Ist das Verhältnis der Längen von zwei Röhren 2 : 1, dann bilden die beiden Töne eine Oktave; ist es 3 : 2, dann kann man eine Quinte hören und so weiter.

Pythagoras in der Schmiede

Eine aus der Antike überlieferte Legende erzählt, dass Pythagoras eines Tages an einer Schmiede vorbeigegangen sei. Dabei habe er, wie schon oft zuvor, gehört, wie der Schmied mit seinen Hämmern auf das Eisen schlug. Diesmal aber sei ihm der besondere Wohlklang der Töne der einzelnen Schläge aufgefallen. Als er überprüfte, wie das zustande kam, soll er bemerkt haben, dass das Gewicht der Hämmer in einem bestimmten Zahlenverhältnis stand. Die Verhältnisse entsprachen – der Legende nach – genau den Verhältnissen, die später am Monochord entdeckt wurden.

Diese Legende ist kaum zu glauben. Denn jeder, der schon einmal Klänge erzeugt hat, indem er Metall auf Metall geschlagen hat, weiß, wie komplex die Tonerzeugung ist. Sicher hängt sie nicht in so direkter Weise vom Gewicht der Hämmer ab. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass Pythagoras ein solches Klangerlebnis hatte und es zum Anlass nahm, den Klängen und den entsprechenden Zahlenverhältnissen genauer nachzugehen.

Weiterwirkung

Die Erkenntnis der Pythagoreer hat langfristig nicht nur die Musiktheorie, sondern das abendländische Bildungssystem insgesamt beeinflusst. Denn während des gesamten Mittelalters umfasste das Grundstudium das sprachenorientierte «Trivium» sowie das mathematisch ausgerichtete «Quadrivium». Letzteres bestand aus den vier Fächern Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Wenn man bedenkt, dass die Musik im Quadrivium weitgehend pythagoreische Zahlenlehre war, so beinhaltete das Quadrivium fast nur Mathematik.

Die folgende Abbildung aus dem Lehrbuch «Theorica Musice» (1492) von Franchino Gaffurio (1451–1522) zeigt, wie präsent die pythagoreische Intervallarithmetik noch am Ende des Mittelalters war.

 

5Der Zahlenschrank

«Alles ist Zahl!» war der Wahlspruch der Pythagoreer. Sie meinten damit, dass sich alles in der Welt entweder durch eine natürliche Zahl (1, 2, 3, …) oder durch ein Verhältnis von natürlichen Zahlen darstellen lässt. Wir sind heute – manchmal sehr oberflächlich – davon überzeugt, dass man alles mit Zahlen ausdrücken kann: die Wichtigkeit eines Menschen durch sein Gehalt, seine körperliche Fitness durch den Body-Mass-Index und seine intellektuelle Potenz durch den IQ.

Der «Zahlenschrank» zeigt uns in vergnüglicher Weise, was wir alles mit Zahlen beschreiben.

Man steht vor einem Schrank mit vielen Schubladen. Auf jeder steht eine Zahl, und jede hat einen einladenden Griff. Da man im Mathematikum alles anfassen darf und soll, zieht man an einem Griff. Die Schublade geht auf und zum Vorschein kommt ein Objekt, das mit der Zahl an der Vorderseite der Schublade zu tun hat.

Manchmal ist der Inhalt der Schublade lustig (das Martinshorn bei 112), manchmal – zumindest im Nachhinein! – klar (die 10 Gebote), manchmal überraschend (Was verbirgt sich hinter 440?) und manchmal auch rätselhaft (Was bedeutet der Kronkorken in der Schublade mit der Nummer 21?).

In jedem Fall ist der Zahlenschrank ein fröhliches Exponat, das zu eigenen Entdeckungen und zu Gesprächen über das Vorkommen von Zahlen in unserer Welt einlädt. Vielleicht lassen Sie sich dadurch anregen, einen eigenen, Ihren persönlichen Zahlenschrank zu entwerfen – und sei es nur auf dem Papier oder als Modell.

Kapitel 2

Zahlen und Unendlichkeit

In der Mathematik gibt es nichts Konkreteres als die Zahlen. Wir «wissen» genau, was zum Beispiel 5 bedeutet. Und in der Tat bilden die Zahlen die Grundlage für die gesamte Mathematik. Ohne sie wären Zählen und Rechnen unmöglich. Funktionen beschreiben im Grunde nichts anderes als Zusammenhänge von Zahlen, auch die Wahrscheinlichkeiten sind Zahlen und selbst die Geometrie kann mit Zahlen betrieben werden.

Manchmal führt eine Zahl weit über sich selbst hinaus. Sie ist dann nicht nur sie selbst, etwas Endliches und Beherrschbares, sondern ermöglicht uns einen Blick in die Unendlichkeit. Das kann schon in der Zahl selbst begründet sein, wie etwa der Zahl π, es kann aber auch daher kommen, dass die Zahl Teil einer unendlichen Folge von Zahlen ist, wie etwa bei den Primzahlen.

6Wer ragt am weitesten heraus?

Fünf quadratische Platten sollen auf einem Podest waagerecht so aufeinandergeschichtet werden, dass eine Platte möglichst weit übersteht, ja sie soll sogar vollkommen über dem Abgrund schweben! Was auf den ersten Blick wie ein Puzzle anmutet, zeigt uns in Wirklichkeit eine faszinierende Zahlenfolge.

Das Schöne an diesem Experiment ist, dass es viele verschiedene Lösungen gibt. Erstaunlicherweise ist die mathematisch «schönste» Lösung nicht die beste!

Die «mathematische» Lösung funktioniert wie folgt: Zu Beginn stapeln wir die Steine fein säuberlich übereinander zu einem Block und setzen diesen direkt an die Kante des Podests.

Nun arbeiten wir von oben nach unten. Als Erstes schieben wir den obersten Stein so weit heraus, dass er gerade noch hält. Dann verschieben wir den zweitobersten Stein (mit dem obersten obendrauf) ebenfalls so weit, bis er gerade noch nicht kippt. Dann den drittobersten und so weiter.

Wenn man das Experiment auf diese Weise durchführt, schafft man es, dass die oberste Scheibe tatsächlich in Gänze übersteht. Dass dies so ist, kann man auch ausrechnen. Den ersten Stein kann man um genau die Hälfte seiner Länge herausschieben. Den zweitobersten um ein Viertel. Jetzt steht der oberste Stein 3/4 über und der zweitoberste 1/4, dafür ist dieser noch mit 3/4 seiner Länge über dem Podest, der oberste hingegen mit 1/4. Also ist der Stapel in Balance.

Die Zahlen, die zur Beschreibung dieser Lösung dienen, haben mit einer berühmten Zahlenfolge zu tun. Wenn man die Summe 1/2 + 1/4 + 1/6 + 1/8 + … mit 2 multipliziert, erhält man die Reihe 1 + 1/2 + 1/3 + 1/4 + … Diese Reihe heißt «harmonische Reihe»; sie wurde von Gottfried Wilhelm Leibniz untersucht (siehe unten). In der Tat wird unser Experiment in der mathematischen Literatur meistens im Zusammenhang mit der harmonischen Reihe diskutiert; die erste Erwähnung geht zurück auf J. G. Coffin, der das Problem 1923 veröffentlichte.

Die Idee ist aber schon viel älter. Bevor die Römer den Rundbogen erfunden haben, bauten sie «Kragbrücken». Dabei wurden die Steine von beiden Seiten aus so aufeinandergesetzt, dass sie immer weiter treppenartig zur Mitte hin vorspringen («kragen»).

Neben der «klassischen» mathematischen Lösung des Problems gibt es auch ganz andere Lösungsversuche. Meistens sind sie so geartet, dass nicht die oberste Scheibe diejenige ist, die am weitesten nach außen ragt. (Siehe zum Beispiel: M. Paterson, Y. Peres, M. Thorup, P. Winkler, U. Zwick: Maximum Overhang. Amer. Math. Monthly 116 (2009), 763–787.) Dort wird auch das folgende Beispiel diskutiert, bei dem einer von vier Steinen fast 17 Prozent (genauer (7–4√2)/8) übersteht.

Eine geniale Methode besteht darin, die Steine nicht in «Normallage» zu benutzen, sondern den einen oder anderen Stein um 45 Grad zu drehen. Probieren Sie selbst aus, wie weit Sie mit vier Steinen nach außen kommen können!

Anstelle von Quadraten kann man auch Dreiecke verwenden. Überraschenderweise ist die Aufgabe mit Dreiecken einfacher zu lösen. So benötigt man beispielsweise nur zwei Dreiecke, damit das oberste so weit außen ist, dass es die Kante lediglich berührt. Und schon mit drei Dreiecken kommt man weit über die Grenze hinaus. Das liegt daran, dass bei einem Dreieck der Schwerpunkt nicht auf halber Höhe liegt, sondern viel tiefer. Bei einem gleichseitigen Dreieck liegt er bei einem Drittel der Höhe!

 

7Primzahlen

Jeder weiß, was eine Primzahl ist, aber niemand kennt all ihre Geheimnisse. Jeder kann einfache Fragen stellen (Gibt es eine Formel für Primzahlen?), die kein Mensch beantworten kann. Diese Spannung zwischen naiven Fragen und Problemen, die die größten Mathematiker zum Verzweifeln bringen, macht die Faszination der Primzahlen aus.

Eine Primzahl ist eine ganze Zahl, die größer als 1 ist und nur durch 1 und sich selbst ohne Rest teilbar ist. Die ersten Primzahlen sind 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19. Die Zahl 6 ist keine Primzahl, weil sie außer durch 1 und sich selbst auch noch durch 2 und 3 teilbar ist. Die Primzahlen sind unteilbar und damit so etwas wie die Atome im Reich der Zahlen.

Das ist so ähnlich wie in der Chemie. Jedes Molekül ist aus Atomen zusammengesetzt, deren Anzahl genau feststeht. Wasser hat die Formel H2O, und das bedeutet, dass ein Wassermolekül aus genau zwei Wasserstoffatomen (H) und einem Sauerstoffatom (O) besteht.

Primzahlmusik

Diese Musik ist merkwürdig. Man hört immer den gleichen Ton, aber in einem sehr unregelmäßigen Rhythmus. Man denkt an etwas Zufälliges wie den radioaktiven Zerfall. Es handelt sich aber nicht um ein physikalisches, sondern um ein ausgesprochen mathematisches Experiment. Und es hat auch nichts mit Zufall zu tun. Was man hört, sind Primzahlen. In dem Experiment «Primzahlmusik» kann man Primzahlen bis zu einer Million sehen und hören. Man gibt irgendeine Zahl zwischen 1 und 999.999 ein. Dann geht der Computer 500 Zahlen durch, wobei er bei der gewählten Zahl startet. Wann immer die Zahl, auf die der Computer trifft, eine Primzahl ist, wird in dem Feld ein rotes Quadrat angezeigt und gleichzeitig ein Ton gespielt.