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"Das Buch von Rolf Arnold ist wieder ein Knaller, der voll in mein Konzept passt. Ich fühle mich bei meiner Lehrerausbildung nur noch sicherer." Joachim Seibt, Landesinstitut für Lehrerbildung/Studienseminar Cottbus "Fast alle fordern es, kaum jemand weiß, wie es geht: lehren, ohne zu belehren. Rolf Arnold zeigt es uns jetzt: nicht als Rezept, sondern als Konzept, zu 29 Regeln verdichtet, die 'keine Wirkungsversprechen abgeben, sondern Alternativen eröffnen', in klarer Sprache geschrieben, die Lesen zu Lust macht." Prof. em. Dr. H.-G. Rolff, TU Dortmund, Dortmunder Akademie für Schulleitung "Das Lena-Kompetenzprofil, das Arnold entwickelt, ist zwar für TrainerInnen in der Erwachsenenbildung gedacht, dennoch empfehle ich das Buch allen im pädagogischen Feld Tätigen. Die Sichtweise von Lernen und der Orientierung an den Kompetenzen der Lernenden, die dem Buch zugrunde liegt, machen das Studium des Buches zu einem Gewinn." Cornelia Tsirigotis, Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung "Zusammenfassend ist das Werk allen Pädagogen zu empfehlen, die dem konventionellen Selbstverständnis des Lehrens verpflichtet sind, jedoch eine Notwendigkeit zur Umorientierung verspüren und hierfür nach Orientierungshilfen suchen." Personalführung, Zeitschrift der DGFP "Wenn es darum geht, als Lehrer die eigene Haltung zum Lernen und Lehren grundsätzlich zu überdenken, ist das Buch eine gute Anregung." Rhein-Neckar Zeitung "Fast alle fordern es, kaum jemand weiß, wie es geht: lehren, ohne zu belehren. Rolf Arnold zeigt es uns jetzt: nicht als Rezept, sondern als Konzept, zu 29 Regeln verdichtet, die keine Wirkungsversprechen abgeben, sondern Alternativen eröffnen, in klarer Sprache geschrieben, die Lesen zu Lust macht." Prof. em. Dr. H.-G. Rolff Lehren, ohne zu belehren Lernen kann man nicht erzwingen, sondern lediglich anregen, fördern und begleiten. Damit dieses gelingt, müssen Lehrkräfte wissen, wie Lernen funktioniert, und sie müssen in der Lage sein, Lernprozesse zu initiieren, zu arrangieren, zu beraten und zu begleiten. Das Lernmodell LENA steht für Lebendigkeit und Nachhaltigkeit. Rolf Arnold leitet daraus 29 Regeln ab, die sowohl in der Schule als auch in der universitären oder Erwachsenenbildung helfen, typische Lehr-Lern-Situationen zu gestalten. Checklisten und Planungsraster sowie Instrumente zur Selbstreflexion unterstützen die Lehrenden bei der Umsetzung dieser neuen Unterrichtspraxis. Protokolle aus Weiterbildungsseminaren dokumentieren die Widerstände, aber auch das große Potenzial dieses Paradigmenwechsels. Arnold ermuntert zu einer vielfältigen und systemisch-professionellen Form des Umgangs mit dem Lernen – stets wertschätzend und ressourcenorientiert. Der Autor:Rolf Arnold, Prof. Dr. Dr. h. c., Professor für Pädagogik; Senior Professor an der TU Kaiserslautern; Systemischer Berater im nationalen und internationalen Rahmen. Schwerpunkte: Berufs- und Erwachsenenbildung, Systemische Pädagogik, Emotionale Bildung, Führungskräftebildung und Interkulturelle Bildung. Lehrtätigkeiten an den Universitäten Bern, Heidelberg und Klagenfurt sowie an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Veröffentlichungen u. a.: Ich lerne, also bin ich (3. Auflage 2018), Seit wann haben Sie das? (3. Auflage 2019), Wie man ein Kind erzieht, ohne es zu tyrannisieren – 29 Regeln für eine kluge Erziehung (2. Auflage 2014), Wie man führt, ohne zu dominieren (4. Aufl. 2019), Wie man liebt, ohne (sich) zu verlieren (2. Auflage 2016).
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Seitenzahl: 222
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Rolf Arnold
29 Regeln für eine kluge LehreDas LENA-Modell
Sechste überarbeitete und aktualisierte Auflage, 2024
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
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Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Sechste überarbeitete und aktualisierte Auflage, 2024
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Vorwort des Autors
Lehren und Lernen: Zwei Seiten einer Medaille
Regeln für eine kluge Lehre
Regel 1: Überprüfen Sie Ihre eigene Lerntheorie!
Gelernt habe ich anderswo
»Wir alle sind lernfähig, aber oft lernentwöhnt«
Regel 2: Unterstützen Sie die Lernenden dabei, ihre Kompetenzkompetenz zu stärken!
Regel 3: Stärken Sie die Selbstlernfähigkeit der Lernenden!
Wenn Sie merken, es geht eigentlich nicht, lassen Sie es sein!
Was tun?
Regel 4: Konstruieren Sie den Inhalt des Lernens aus den Erfahrungen der Lernenden!
Regel 5: Üben Sie sich im kompetenzentwickelnden Lehren!
Die Lernenden neu erfinden
Wie vermeide ich Lernziele und ermögliche trotzdem das Ankommen?
Regel 6: Üben Sie sich im situativen und reflexiven didaktischen Handeln!
Vorbereitung zweiter Ordnung
Regel 7: Beziehen Sie Ihr Lehrhandeln auf Kompetenzprofile!
»Portfolio ergo sum«?
Regel 8: Üben Sie sich in der Entwicklung von Lern-Arrangements!
Regel 9: Fördern Sie das selbstgesteuerte eLearning der Lernenden!
Regel 10: Schauen Sie »triumviral«, wenn Sie auswählen, vorbereiten und anbieten!
Regel 11: Inszenieren Sie Lernprozesse als wirksames Erleben!
Regel 12: Achten Sie auf die Kriterien eines lebendigen und nachhaltigen Lernens!
Regel 13: Üben Sie sich im »Unterricht im Stereoton«!
Regel 14: Trainieren Sie Ihre Fähigkeiten des wertschätzenden Umgangs!
Regel 15: Bieten Sie die Struktur und das Baumaterial für die Lernprojekte der Lernenden an!
Regel 16: Nutzen Sie die Konzepte des handlungsorientierten Lernens!
Regel 17: Widmen Sie sich Ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung!
Lehrende als Mentoren
Wege aus dem pädagogischen Narzissmus
Regel 18: Überraschen Sie die Lernenden mit methodischer Fantasie!
Vom allmählichen Verschwinden des vermittelten Lernens
Regel 19: Erweitern Sie Ihr Methodenrepertoire!
Regel 20: Prüfen Sie Ihren eigenen Lehrstil!
Regel 21: Nutzen Sie bevorzugt »offene Medien«, die Sie mit den Lernenden entwickeln!
Medien sollten Ausdrucksformen des Lernsubjekts werden!
Regel 22: Lösen Sie sich von vorschnellen Typisierungen!
Die Unterschiede im Lernverhalten sind breit erforscht
Lerntypen vermeiden: All-inclusive-Didaktik
Regel 23: Üben Sie sich im Ansprechen von »Unterrichts-Störungen«!
Regel 24: Steuern Sie Ihr Lehrhandeln vom Outcome und den inneren Aneignungsprozessen her!
Regel 25: Verfolgen Sie die didaktische Debatte!
Didaktische Professionalität
Didaktik – die Berufswissenschaft professionell Lehrender
Regel 26: Entwickeln und nutzen Sie professionelle Prüfungsformen!
Regel 27: Erhöhen Sie die Feedbackmöglichkeiten Ihrer Nutzer!
Regel 28: Beteiligen Sie sich an der Organisations- und Teamentwicklung!
Regel 29: Planen Sie Ihre eigene professionelle Kompetenzentwicklung!
Nachwort
Anmerkungen zur Rezeptphobie von Pädagogen und Bildungstheoretikern
ANHANG 1:Das LENA-Kompetenzprofil für die Erwachsenenbildung
ANHANG 2:Ausgewählte Selbstlernmethoden
1. Der Selbstlernreflektor
2. Entdecken Sie Ihre »Lerntypen«
3. Prüfungen erfolgreich vorbereiten
4. Unterpflügen von Texten
5. Strukturen aufdecken und einprägen
6. Ich-Botschaften gebrauchen und Du-Botschaften vermeiden
7. Reden Sie sich frei!
8. Destruktive Emotionalisierungen meiden
Literatur
Über den Autor
»Lehren« und »Lernen« sind nur zwei Begriffe, die unser Denken über einen wesentlichen Aspekt der menschlichen Entwicklung ausdrücken, die aber auch unser Verhalten prägen. Und auch für diese beiden Worte gilt, dass sie Sinngehäuse und Sinngefängnisse zugleich sind: Sie bündeln unsere Erfahrungen, bringen diese »auf den Punkt«, aber sie lassen uns auch vieles übersehen. Wofür wir keinen Begriff haben, das können wir nicht begreifen, und die Begriffe, über die wir verfügen, stiften uns eine Wirklichkeit, von der wir dann überzeugt sind, dass sie so und nicht anders gegeben ist. Dieser »Sprachabhängigkeit des Denkens, Erkennens, Handelns, der Vernunft und der Subjektivität« (Wellmer 2007, S. 7) können wir kaum entkommen – es sei denn, wir fassen unsere Begriffe mit spitzen Fingern an und betrachten sie unter der Lupe.
Studienanfänger wurden gebeten, spontan alle Assoziationen aufzuschreiben, die das Wort »Lernen« bei ihnen auslöst. Die Bilder, Eindrücke und Gedanken, die dabei zutage traten, waren u. a.: »Lernen ist anstrengend«, »Zum Lernen muss ich mich überwinden«, »Lernen löst unangenehme Erinnerungen an meine Schulzeit aus«, »Lernen ist wie Strafe für etwas, was man nicht getan hat«, »Ich lerne, weil es sein muss und um Nachteile zu vermeiden«, »Das Lernen wurde mir in der Schule gründlich verleidet«, »Beim Lernen ist das Leben anderswo« …
Diese Bilder und Assoziationen zeigen recht deutlich, dass »Lernen« von vielen als eine eher ungeliebte und oft auch gemiedene Aktivität empfunden wird. In ähnlicher Weise lösen auch die bildungspolitischen Slogans, wie »Lebenslanges Lernen« oder »Lernen im Lebenslauf« (vgl. Arnold u. Pachner 2011) nicht nur Begeisterung, Zustimmung oder gar Vorfreude aus. Zahlreiche Menschen sind ihrem eigenen Lernen gegenüber entfremdet (worden), d. h., sie erleben Lernen als eine von außen auf sie zukommende »Zumutung«, der sie nachgeben, die in ihnen aber Gefühle der Uneigentlichkeit und Unzuständigkeit entstehen lässt. Die Lernerinnerungen der Menschen sind häufig auch Erinnerungen an Leistungsdruck, Stress, Versagensängste und Entfremdung – eine »Lebensform am Rande der (Selbst-) Zerstörung«1, die sogar zu seelischen Erschöpfungen, Krankheiten oder gar zum Tod führen kann, wie Schulpsychologen zu berichten wissen.
Nicht alle Lernerfahrungen und Lernerinnerungen der Menschen sind Ausdruck eines grob entfremdeten Lernens. Es gibt auch die beglückenden Erlebnisse, etwas herausgefunden zu haben, nach langem Bemühen schließlich etwas zu können, was man zuvor nicht vermochte (z. B. eine Fremdsprache, Tanzen), oder einen Zusammenhang in einem neuen Lichte betrachten zu können, wodurch auch bisher ungeahnte Wege zum Umgang mit Fragen und Problemen sichtbar werden. Gleichwohl kann man den Eindruck gewinnen, dass solche selbstwirksamen – signifikanten – Lernerlebnisse bei vielen Menschen nicht zu den prägenden Erfahrungen im Umgang mit Lernen und Lehren gehören.
Auf die Frage »Wann haben Sie sich in Ihrem bisherigen Leben als aktive Lernende erlebt und gespürt, dass Sie selbst es sind, die sich durch Lernen verändern können?« berichteten die Studienanfänger überwiegend aus außerschulischen Kontexten: »Ich erinnere mich an einen Skikurs, wo es mir innerhalb kürzester Zeit leicht und spielerisch gelang, Skifahren zu lernen«, »Ich habe während meines dreimonatigen Praktikums in Lyon mehr Französisch gelernt als in den sechs Schuljahren zuvor«, »Für mich begann ein nicht-enden-wollender Lernprozess während meiner Ausbildungszeit, wobei ich am Arbeitsplatz, während der Bearbeitung von Werkstücken und im Gespräch mit Kollegen fast alles wie von selbst gelernt habe« und »Vielleicht gehört es nicht hierher, aber seit ich von zu Hause ausgezogen bin, erlebe ich alles, was ich da so selbst jetzt auf die Reihe kriegen muss, als einen aufregenden Lernprozess – das reicht vom Einkaufen, der Planung meiner Veranstaltungen bis hin zum Wäschewaschen: Alles ist aufregend, und ich lerne jeden Tag Neues«.
Diese Erfahrungen – die unangenehmen ebenso wie die beglückenden – prägen unsere inneren Bilder vom Lernen und Lehren. Dabei erscheinen uns die Situationen, denen wir begegnen, so, wie wir sie »kennen«: Es ist zumeist immer noch der Lehrende, der als »zuständig« für den eigenen Lernprozess erlebt wird – ganz egal, ob er dies sein möchte oder nicht. »Lernen« setzen wir dabei nämlich vornehmlich mit den Situationen gleich, in denen wir zur Aufmerksamkeit, Anpassung (an Erwartungen anderer) oder nachvollziehenden Aktivität gezwungen werden oder uns selbst zwingen. Wir kennen auch die überlieferten Slogans eines solchen »entfremdeten« Lernens und wissen, dass wir uns »am Riemen reißen« und »den inneren Schweinehund überwinden«2 sollten.
Gefangen halten uns jedoch nicht nur unsere Erfahrungen, sondern auch die Sprache: Die Begriffe, die wir verwenden, wenn wir über Lehren und Lernen nachdenken oder uns darüber austauschen, sind nicht unsere Begriffe. Sie sind vielmehr historisch kontaminiert und legen uns durch die Lesarten fest, die in ihnen mitschwingen.
Durch Sprache bilden wir unsere Vorstellungen von der Welt, und durch Begriffe »be-greifen« wir das, was wir verstehen oder zu verstehen meinen. Nur selten denken wir darüber nach, woher die Begriffe kommen, die wir verwenden, und warum diese die Unterscheidungen transportieren, die sie transportieren. Solche sprachtheoretischen Überlegungen sind auch im Hinblick auf die Frage nach dem Zusammenhang von Lehren und Lernen dazu geeignet, uns Selbstverständlichkeiten fragwürdig werden zu lassen. Denn die Unterscheidung zwischen Lehren und Lernen isoliert einen Wirkungszusammenhang, der in der Wirklichkeit vielleicht weniger durch Unterscheidung als vielmehr durch Wechselwirkung und wechselseitige Voraussetzung gekennzeichnet ist:
Man kann nicht nicht lernen. Lernen ist die kontinuierliche Aneignung von und die kontinuierliche Auseinandersetzung des Subjekts mit den Anregungen, Aufgaben und Anforderungen seiner Umwelt, d. h. seiner Lebenswelt und der Gesellschaft. Dabei werden Erfahrungen gesammelt und Kompetenzen entwickelt.
Folgt man den etymologischen Erklärungen, so gehört »Lernen« zur Wortgruppe von »leisten«, was so viel bedeutet wie »einer Spur nachgehen« oder »eine Spur hinterlassen« – auch »List« gehört zu dieser Wortgruppe. Zugrunde liegt das gotische lais, was so viel bedeutet wie »ich weiß«. Auch das indogermanische lis (= »gehen«) deutet darauf hin, dass »lernen« ursprünglich den Weg bezeichnet, den ein Mensch zurücklegen muss, um zu Wissen zu gelangen.3
Blickt man auf das griechische Wort didaskein, so stellt man verwundert fest, dass dieses Wort von seinem Ursprung her sowohl »lernen«, als auch »lehren« bezeichnet. Diese Janusköpfigkeit der Wortbedeutung ist ein starker Hinweis darauf, dass auch das soziale Geschehen, welches mit diesem Wort ursprünglich bezeichnet wurde, als etwas Zusammenhängendes empfunden wurde – als zwei Seiten einer Medaille: Das Eine ist ohne das Andere in seiner eigentlichen Substanz nicht vorstellbar.
Eine Lehrerin aus Zürich wies in einem Gespräch über die Worte »Lehren« und »Lernen« darauf hin, dass das Schweizerdeutsch in einigen Regionen der Schweiz »Lehren« für das Lernen und Lehren verwende. Sagt ein Kind »ich gang go lehre«, bedeutet dies, dass es (in die Schule) geht, um zu lernen. Oder man sagt auch seinen Schulkindern nach dem Mittagessen: »Zerscht lehre, dänn spille« (»zuerst lernen, dann spielen«).
In diesem Sinne schrieb der bekannte Potsdamer Didaktiker Lothar Klingberg (1926–1999):
»Lernen und Lehren sind genetisch eng beieinander und miteinander verschränkt; sie gehören zur vitalen Grundausstattung des Menschen, zu seiner Vorgeschichte, aber auch zu seiner eigentlichen Geschichte als gesellschaftlichem Wesen. Am ›Anfang‹ dieser Entwicklung stehen elementare Akte des Zeigens, Vormachens und Nachmachens, und diese Akte finden wir auch in entwickelten Unterrichtsprozessen als ›Urphänomene‹« (Klingberg, 1997).
Es ist diese ganzheitliche Sicht auf die sich interaktiv entwickelnden Kompetenzen des Menschen, die den seit dem 17. Jahrhundert artikulierten Vorstellungen der Didaktik mehr und mehr abhandenkam. Didaktik entwickelte sich zur »Lehrkunst«, während die Prozesse des Lernens lange Zeit unerforscht und ihre Erklärung schließlich der Psychologie – genauer: der Lernpsychologie – überlassen blieb. Es ist nicht ganz abwegig zu vermuten, dass diese Arbeitsteilung ihre Wurzeln in einem religiös-obrigkeitsstaatlichen Kontext hatte, in dem nichts dem Zufall oder gar dem Eigensinn der Subjekte überlassen werden durfte. Didaktik wurde so zu einer Art Wissenschaft über die Beeinflussbarkeit der lernenden Entwicklung Nachwachsender. Sie war getragen und durchdrungen von der meist unausgesprochenen Erwartung, dass Lehren »machbar« sei und letztlich als vornehmliche Instanz das Lernen der Menschen bestimmen könne – mit verhängnisvollen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Gestaltung der Lernräume.
Die Wiederentdeckung des lernenden Subjekts in der neueren didaktischen Diskussion ist deshalb nicht bloß eine Gegenbewegung gegen die überlieferten Belehrungskulturen, sie bahnt auch eine Rückkehr zur ursprünglichen Einheit von Lehren und Lernen an. Diese Bewegung wird auch durch die Ergebnisse der aktuellen Lern- und Gehirnforschung nahegelegt. Beide liefern seit vielen Jahren eindrucksvolle Hinweise darauf, dass Menschen lernen, wenn man sie nur lässt. Es scheint demnach viel für die Einschätzung zu sprechen:
Lernen ist die Fähigkeit, durch welche die Menschen ihren Vorsprung im evolutionären Wettkampf der Gattungen gewinnen konnten.
Lernen ist Aneignung und Anpassung. Der Mensch war schon stets in der Lage, sich unterschiedlichsten Umgebungen und auch neuen Situationen anzupassen. Hierzu entwickelte er seine Fähigkeiten zur Prüfung und Analyse des Neuen, trainierte seine Kompetenzen, aus Fehlern zu lernen, und er verstand es auch, seine Erfahrungen weiterzugeben, um seine Nachkommen auf das Leben vorzubereiten. Und auch das Infragestellen, Sich-die-Dinge-anders-Vorstellen und Erproben geeigneterer Wege sind wesentliche Lernbewegungen, die menschliche Kultur und soziales Zusammenleben erst möglich werden ließen.
Das vorliegende Buch möchte zu dieser Wieder-Verbindung von Lehren und Lernen beitragen. Gleichzeitig wendet es sich der Lehrpraxis in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu, indem es »Regeln« zu formulieren versucht, die die Lehrenden bei ihren Bemühungen unterstützen, stärker vom Lernenden her zu lehren. Deshalb beziehen sich diese »Regeln« auf ausgewählte Fragen des Unterrichtsalltags – insgesamt 29 an der Zahl. Diese Zahl bedeutet nichts, außer dass sie Unvollständigkeit signalisiert – fragt man sich doch: Warum nicht 30, 50 oder gar 300, wie in den »dreihundert Lebensregeln« in Baltasa Graciáns (1601–1658) Handorakel (Gracián o. J.). Es ist genau diese Unvollständigkeit und Unfertigkeit der hier zusammengestellten »Regeln«, welche durch die Zahl 29 ausgedrückt werden soll.
Die hier vorgestellten Regeln sind jedoch nicht nur »unfertig«, sondern auch »gefertigt«. Sie enthalten Beschreibungen und Bezeichnungen, mit deren Hilfe Beobachtungen handlungsbezogen aufbereitet und regelhaft gestaltet werden können. Um diese Fabriziertheit des Erkennens und Beschreibens niemals aus dem Auge zu verlieren, wurden die in diesem Buch zusammengestellten Anregungen und gestalteten Instrumente (z. B. Checklisten, Schrittfolgen) immer wieder zu AKRONYMEN verdichtet – eine vielleicht ermüdende Redundanz, die aber auch zeigt, was Regeln sind: eine Fabrikation von wirksamen Wegen oder, um es mit den Worten der Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny zu sagen:
»Heute geht es nicht mehr um die Annahme einer unveränderlichen Wahrheit. Die Hülle, die den epistemischen Kern umgibt, hat sich als durchlässiger erwiesen, als es eine Wissenschaft, die den Verlockungen des von ihr selbst konstruierten Weltbildes immer wieder erlegen ist, eingestehen wollte. Alle Elemente des epistemischen Kerns erscheinen als kontextgebundener und daher wandelbarer, als es die Verpflichtung des wissenschaftlichen Wissens auf universelle Wahrheiten zuzulassen bereit war« (Nowotny 1999, S. 31 f.).
In diesem Sinne sind auch Regeln konstruiert und wandelbar. Sie repräsentieren einen Weg für ein funktionierendes Vorgehen – vorläufig, kontextgebunden und wandelbar, und nur als solche sind Regeln auch denkbar und verantwortbar. In dem erwähnten Handorakel rät der Jesuit Baltasar Gracián seinen Lesern bezüglich des Umgangs mit Regeln:
»Die genaue Beschaffenheit der Umstände können die Meisten nicht sehen, sondern bloß den guten oder schlechten Erfolg. (…) Ein gutes Ende übergoldet alles, wie sehr auch immer das Unpassende der Mittel dagegen sprechen mag. Zuzeiten besteht die Kunst darin, dass man gegen die Regeln der Kunst verfährt, wenn ein glücklicher Ausgang anders nicht zu erreichen steht« (Gracián o. J., S. 66).
1 Vgl. http://schulpsychologie.wordpress.com/2009/11/19/warnung-entfremdete-lebens-und-lernverhaltnisse-konnen-todlich-sein/?p=936 [16.7.2011].
2 Es ist sicherlich nicht ganz uninteressant, dass beide Redensarten gewaltsamen Kontexten entstammen, nämlich der militärischen Welt und der der Jagd: Wer sich am Riemen reißt, der prüft und festigt nochmals den Sitz seiner Uniform und seines Gürtels. Und der Schweinhund ist der »verbissene« Hund, den man in der Wildschweinjagd dem verfolgten Schwein ins Dickicht hinterherschickt.
3 Vgl. http://www.h-age.net/hinter-den-kulissen/144-was-ist-lernen-etymologische-wurzeln-definitionen.html [24.6.2011].
Menschen sind lernfähig, aber unbelehrbar. Beschäftigen Sie sich deshalb mit den Forschungsergebnissen der Lern- und der Hirnforschung und überprüfen Sie Ihre eigene Lerntheorie!
Die Lernfähigkeit der Menschen ist schier unbegrenzt. Lernen wird deshalb von vielen Anthropologen als die Fähigkeit angesehen, der die Menschen ihren Vorsprung im evolutionären Wettkampf der Gattungen verdanken: Während die Dinosaurier vor 200 Millionen Jahren durch ihre massige Gestalt und ihre Kräfte eine vorherrschende Position erkämpften, und Löwe oder Tiger durch ihre Kraft und Schnelligkeit auch dem Menschen überlegen waren, ist es doch der Mensch, der das strategische Denken und die Bündelung seiner Energien in einer Weise zu beherrschen lernte, mit der er den anderen Gattungen auf der Welt überlegen werden konnte. Auch jeder einzelne Mensch blickt auf eine erfolgreiche Lerngeschichte zurück. Man stelle sich nur vor, wie jeder Einzelne zu dem geworden ist, was er heute darstellt. Denken wir nur, mit welcher Leichtigkeit wir die Muttersprache gelernt haben. Wir lernten nicht nur, uns auszudrücken und uns im Alltag zurechtzufinden. Wir erwarben durch die Sprache vielmehr auch die Möglichkeit, die Welt lesend, fragend und diskutierend zu begreifen. Immer, wenn wir uns etwas vorstellen, einen Plan machen, eine Behauptung überprüfen, bedienen wir uns deshalb nicht nur unseres Gehirns, sondern zehren auch von unserer eigenen Lernerfolgs-Story. Ohne diese Lernerfahrungen wäre unser Gehirn ebenso unnütz wie ein Ferrari ohne Kraftstoff.
Ihre bisherigen Lernerfahrungen sind die Energie, mit der Sie ihr Leben in die Hand nehmen, »Ihren Kopf gebrauchen« und Ihre Kompetenzen entwickeln. Wann haben Sie das letzte Mal vollgetankt?
Doch anders als bei einem Ferarri, wo jeder Mensch weiß, dass dieser nur fährt, wenn er betankt ist, ignorieren wir den Kraftstoff unseres Lebens: das Lernen. Wir laufen durchs Leben und sind nach Schul- und Ausbildungsabschlüssen froh, das Lernen – endlich – hinter uns zu haben. Und nicht wenige erschrecken, wenn man ihnen die Notwendigkeiten eines lebenslangen Lernens schmackhaft zu machen versucht. Mit Lernen verbinden viele Menschen nämlich oft auch unangenehme Erinnerungen: Sie denken an öden, langweiligen Schulunterricht, an die Paukereien und Ängste, die so mancher Prüfung vorangingen, und an die Erleichterung, die sich einstellte, als sie endlich »ausgelernt« hatten.
Während der Supervision einer Lehrergruppe berichtet eine Lehrerin über ihre eigenen Lernerfahrungen und stellte fest: »Also eigentlich verstehe ich meine Schülerinnen und Schüler nur zu gut. Wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke, war das eine einzige Quälerei. ›Lernen‹ ist für mich ein für alle Mal mit ›Mühsal‹, ›Angst‹ und ›Scheitern‹ kontaminiert. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich – kaum daheim angekommen – mich meinen eigenen Projekten widmete. Und was ich dabei alles mit Leichtigkeit lernte: Klavierspielen, Italienisch, weil ich eine italienische Freundin hatte, und Schreinern in der Werkstatt meines Großvaters. Später im Studium war das nur teilweise so. Am meisten lernte ich auch da in den Seminaren, an denen ich aus purem Interesse teilnahm, und in der hochschulpolitischen Studentengruppe, der ich angehörte. Manchmal frage ich mich, ob meine Schüler nicht mehr lernen würden, wenn wir sie ein Jahr aus der Schule rausnehmen würden und sie in Altenheimen, Sozialeinrichtungen oder auch in der Berufswelt mitmachen ließen. Menschen lernen selbstgesteuert oder gar nicht, finde ich. Und ich stehe immer wieder vor der Aufgabe, ihnen etwas vermitteln zu sollen, was ihre Gehirne nur freiwillig aufnehmen können. Diese Auffassung kann man auch in der Literatur immer häufiger nachlesen. Doch was dies konkret für meinen Unterricht bedeuten soll, habe ich noch nicht herausgefunden.«
»Schüler und Schülerinnen aus der Schule herausnehmen?« Solche Vorstellungen muten gerade in Zeiten der internationalen Schulvergleichstests und der Bildungsstandards weltfremd an, doch vielleicht sind es in Wahrheit unsere Vorstellungen vom Lernen, die weltfremd sind? Vielleicht haben wir uns – unbewusst und unbeabsichtigt – von der genuin menschlichen Bewegung des Lernens schon längst verabschiedet? »Teachers, leave us kids alone!« – mehr als nur ein eingängiger Song? So plädiert auch der deutsche Pädagoge Hartmut von Hentig für eine »Entschulung« des Lernens und schreibt:
»Der Hauptschuldige am Nachlassen der Bindekräfte schulischer Veranstaltungen ist jedoch ihre älteste Schwäche: ihre Unfähigkeit, die Gegenstände des Lernens mit dem Leben – den Freuden und den Nöten – der Kinder zu verbinden. Voll Lernbegier kommen sie in die Schule; über etliche Jahre hin ist das, was die Schule bringt, so anders als das, was sie ›draußen‹ erlebt haben, dass es neunzig Prozent von ihnen voll beschäftigt und befriedigt; dann erstickt die Langeweile, die es auch vorher gab, ihre Lernfreude allmählich« (von Hentig 2006, S. 35).
Diese schulische Lernerfahrung hat mit dazu beigetragen, Menschen von ihrem eigenen Lernen und den beiden grundlegenden Haltungen, auf denen ihre Lernfähigkeit basiert, zu entfremden: nämlich der Haltung »Ich bin neugierig und wissbegierig« und der Haltung »Ich kann es selbst tun!«.
Der Verlust dieser beiden Lernhaltungen scheint die gravierendste Nebenwirkung eines verschulten Lernens zu sein. Sie hat auch viele Erwachsene bereits früh von ihrem eigenen Lernen distanziert. Junge Menschen reagieren in den pulsierendsten Phasen ihrer Entwicklung deshalb durch eine Art »innere Kündigung«. Ihre Gehirne haben »gelernt«, wie der Hirnforscher Manfred Spitzer berichtet, dass sie zwischen 8 Uhr morgens und 13 Uhr mittags »auf Sleepmodus schalten« können, weil in dieser Zeit nicht wirklich etwas »los sei« (vgl. Spitzer 2007). Sie entfremden sich von ihrer eigenen Lernfähigkeit, die vielfach ungeübt und ungenutzt brachliegt – eine verhängnisvolle Lektion für eine Gesellschaft, die sich als »Lerngesellschaft« versteht und auf die – lebenslange – Lernbereitschaft der Menschen auch tatsächlich wie nie zuvor angewiesen ist.
Mit diesem Satz ließen sich die Ergebnisse der aktuellen Lern- und Gehirnforschung zusammenfassen. Diese liefern seit vielen Jahren eindrucksvolle Hinweise darauf, dass Menschen als kompetente Lerner auf die Welt kommen und Erstaunliches lernen können, wenn man sie nur lässt und nicht kränkt, entmutigt und langweilt. Und allmählich weitet sich der Blick auf das Lernen, und wir entdecken die Kraft des informellen Lernens, die erklärt, weshalb Menschen die meisten Kompetenzen außerhalb der Bildungsinstitutionen und ohne professionelle Lehrkräfte oder Lernbegleiter erwerben. Die Rede ist in internationalen Studien davon, dass Erwachsene 70–80 % ihrer Kompetenzen außerhalb und losgelöst von Bildungseinrichtungen erwerben (vgl. Dohmen 2001, S. 179; Rohs 2016).
Lernen ist eine spontane Lebensbewegung, die den Menschen zu dem werden lässt, was er ist. Diese kann geübt und gestärkt werden, sie kann aber auch brachliegen und verkümmern. Dann verlernen die Menschen ihr Lernen und »lernen«, dass Lernen und Bildungserfolg »nichts für sie« sind. Dies ist die »gelernte Hilflosigkeit« (Seligman) des Lernenden – bisweilen zu entmutigenden Regelsätzen verdichtet, wie: »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!«
Lernen ist selbstgesteuerte Aneignung und Anpassung. Der Mensch war in seiner Entwicklung schon stets in der Lage, sich unterschiedlichsten Umgebungen und auch neuen Situationen anzupassen. Hierzu entwickelte er seine Fähigkeiten zur Prüfung und Analyse des Neuen, trainierte seine Kompetenzen, aus Fehlern zu lernen und neue Wege zu versuchen, und er verstand es auch, seine Erfahrungen auszuwerten und weiterzugeben – auch ohne Anleitung, spontan, kontinuierlich und selbstbestimmt.
Die vorliegenden Lerntheorien älteren und neueren Datums gehen sehr unterschiedlich mit der Selbstgesteuertheit von Lernen und Aneignung um. Die meisten der klassischen Lerntheorien erweisen sich eigentlich bei genauerer Betrachtung als Lehrtheorien: Sie beschreiben das menschliche Lernen unter dem Gesichtspunkt der Anregung, um nicht zu sagen: Belehrung oder gar Manipulation. Ihnen liegt unausgesprochen das Bild des Homo scholasticus zugrunde. Erst die neueren Lerntheorien gehen vom Bild des selbsttätigen Lerners (»homo discens«) aus. Dabei tritt auch die Fokussierung auf das jugendliche Lernen (das »Auslernen«) zurück und öffnet den Blick auf das »Lernen im Lebenslauf« – eine Blickausweitung, welche die Lernforschung und Didaktik dann mit dem Sachverhalt konfrontiert: »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans hinterher« (Stern 2006). Und für die Anregung, Begleitung und Gestaltung dieses Hinterher-Lernens gilt: Menschen sind »lernfähig, aber unbelehrbar« (Siebert 2014). Aus diesem Grunde ist kluge Lehre stets Lernzutrauen und Lernbegleitung, keine Belehrung oder gar bloße Erledigung von Lerninhalten. Denn es sind die Lernenden, die dabei »erledigt« werden, da oft an ihnen vorbei agiert und ihre eigene Lernfähigkeit ignoriert oder gar dementiert wird (Motto: »Meine Teilnehmer können dies nicht!«). Kluge Lehre benötigt deshalb Lerntheorien, die die selbsttätige Aneignung der Lernenden angemessen beschreiben, um aus ihnen Hinweise für eine nachhaltige Gestaltung lebendiger Aneignung abzuleiten.
Tafel
1
: Lernansätze (nach: Arnold u. Gómez Tutor 2007, S. 64 ff.; Schüßler 2007, S. 176 ff.)
»Bei den Teilnehmern, mit denen ich es zu tun habe, ist dies nicht so«, konterte ein erfahrener Weiterbilder in einer erwachsenendidaktischen Fortbildung: »Die wollen, dass ich vorne stehe und ihnen die Dinge erläutere. Wenn ich die nach ihren eigenen Lernprojekten und Deutungen frage, kommt nichts, aber auch gar nichts. Die sind das nicht gewohnt. Und wenn ich gute Bewertungen als Dozent haben will, muss ich dem Rechnung tragen!« Im Anschluss an dieses Statement entspann sich zunächst eine hitzige Debatte, in der viele versuchten, den Skeptiker im Raum von seiner Sicht der Dinge abzubringen, was nicht gelang. Lediglich eine Äußerung machte ihn etwas nachdenklich, nämlich die Fragen einer Kollegin: »Könnte es sein, dass wir gar nicht wirklich wissen, was die Lernenden wollen und können? Und könnte es sein, dass wir sie einfach durch die Brille unserer Erfahrungen betrachten – so nach dem Motto ›das war schon immer so, und deshalb wird es schon richtig sein‹? Und auch die Teilnehmenden selbst spüren unsere Erwartungen und erwarten deshalb von uns, dass wir uns erwartungsgemäß präsentieren. Um die Frage, ob dabei wirklich nachhaltig gelernt wird, geht es doch dabei gar nicht, obgleich wir alle hier so unsere Zweifel haben. Und könnte es sein, dass wir zwar hier als Lehrende tätig sind, aber selbst den Kontakt zu unserem eigenen lebendigen Lernen bereits früh verloren haben?«
Nimmt man die Lerntheorien der Didaktik und der Erziehungswissenschaft in den Blick, so zeichnen diese ein recht differenziertes Bild über die internen Voraussetzungen und Bewegungen eines nachhaltigen Lernens, auf welche eine »kluge Lehre« sich einstellen sollte. Dafür ist es für Lehrende notwendig, sich mit den Befunden der vorliegenden Lerntheorien nüchtern auseinanderzusetzen. Dabei sollte der Satz gelten:
Ich orientiere meine Lerntheorien nicht an meiner eigenen Praxis als Lernender und Lehrender, sondern versuche vielmehr, diese neu an dem auszurichten, was die Lernforschung über die Bedingungen und Formen eines nachhaltigen Lernens herausgefunden hat.
Lernen ist eine eigene innere Bewegung, die jeder nur für sich alleine vollziehen kann. Unterstützen Sie deshalb die Lernenden, indem Sie ihnen Gelegenheit geben, ihre Kompetenzkompetenz zu stärken und Erschließungswerkzeuge kennenzulernen!
Kluge Lehrende wissen, dass »lehren« zu Unrecht ein transitives Verb ist. Man kann Menschen nicht »etwas« lehren, man kann sie lediglich bei ihrem Lernen unterstützen. Auch das bei Lehrenden so beliebte Verbum »vermitteln« bezeichnet eine Absicht, keine Wirkung.4 Hierzu berichtet die Hirnforschung: