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Thich Nhat Hanhs romanhaft erzählte Buddha-Biografie ist zugleich eine brillante Einführung in den Buddhismus. In lebendigen Bildern schildert der bekannte Zen-Meister die Lebensgeschichte Siddhartha Gautamas, des historischen Buddha. Dabei zeigt er ihn nicht als mythisches, übernatürliches Wesen, sondern als einen Menschen, der uns nahe ist, der uns berührt und sein volles Potenzial verwirklicht: Nach vielen Jahren der spirituellen Sinnsuche wird Siddhartha zum Buddha, zum "Erwachten". Thich Nhat Hanh ist neben dem Dalai Lama der bekannteste Vertreter des Buddhismus im Westen. Er verwebt in dieser außergewöhnlichen Biografie kongenial das Leben und Wirken des Buddha mit einer Einführung in die buddhistische Geisteswelt und vermittelt in einfacher und verständlicher Form die wichtigsten Weisheits-Lehren des Buddhismus. Als Quellen dienen ihm Texte aller buddhistischen Schulen, was die Biografie zu einem traditionsübergreifenden Standardwerk macht. "Dieses Buch macht verstehbar, warum der Buddhismus heute, hier im Westen, immer mehr Menschen fasziniert." Wegweiser-Magazin
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Seitenzahl: 874
Thich Nhat Hanh
Eine Einführung in den Buddhismus
Aus dem amerikanischen Englisch von Ursula Richard
Knaur eBooks
Thich Nhat Hanhs romanhaft erzählte Buddha-Biografie ist zugleich eine brillante Einführung in den Buddhismus.
In lebendigen Bildern schildert der bekannte Zen-Meister die Lebensgeschichte Siddhartha Gautamas, des historischen Buddha. Dabei zeigt er ihn nicht als mythisches, übernatürliches Wesen, sondern als einen Menschen, der uns nahe ist, der uns berührt und sein volles Potenzial verwirklicht: Nach vielen Jahren der spirituellen Sinnsuche wird Siddhartha zum Buddha, zum „Erwachten“.
Thich Nhat Hanh ist neben dem Dalai Lama der bekannteste Vertreter des Buddhismus im Westen. Er verwebt in dieser außergewöhnlichen Biografie kongenial das Leben und Wirken des Buddha mit einer Einführung in die buddhistische Geisteswelt und vermittelt in einfacher und verständlicher Form die wichtigsten Weisheits-Lehren des Buddhismus. Als Quellen dienen ihm Texte aller buddhistischen Schulen, was die Biografie zu einem traditionsübergreifenden Standardwerk macht.
Erstes Buch
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
Zweites Buch
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
51. Kapitel
52. Kapitel
53. Kapitel
54. Kapitel
55. Kapitel
Drittes Buch
56. Kapitel
57. Kapitel
58. Kapitel
59. Kapitel
60. Kapitel
61. Kapitel
62. Kapitel
63. Kapitel
64. Kapitel
65. Kapitel
66. Kapitel
67. Kapitel
68. Kapitel
69. Kapitel
70. Kapitel
71. Kapitel
72. Kapitel
73. Kapitel
74. Kapitel
75. Kapitel
76. Kapitel
77. Kapitel
78. Kapitel
79. Kapitel
80. Kapitel
81. Kapitel
Anhang
Eine Anmerkung des Autors
Kurze Kapitelübersicht und Quellenangaben
Abkürzungen
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Sanskrit – Entsprechungen der Namen und Orte in Pali-Terminologie
Gehen, um zu gehen
Im Schatten des grünen Bambus saß der junge Bhikkhu Svasti mit verschränkten Beinen, seine Aufmerksamkeit ganz auf den Atem gerichtet. Er meditierte bereits seit mehr als einer Stunde, und Hunderte anderer Bikkhus übten mit ihm im Schatten des Bambus oder in ihren eigenen Hütten aus Stroh.
Der große Lehrer Gautama, den die Menschen liebevoll ›Buddha‹ nannten, lebte hier in einem Kloster mit fast vierhundert Schülern. Und obwohl sie so viele waren, herrschte doch eine sehr friedvolle Atmosphäre. Vierzig Morgen Land umgaben das Kloster, und viele verschiedene Bambusarten aus ganz Magadha wuchsen hier. Das Bambuswald-Kloster, das nur einen dreißigminütigen Fußmarsch entfernt nördlich der Hauptstadt Rajagaha lag, war dem Buddha und seiner Gemeinschaft sieben Jahre zuvor von König Bimbisara übergeben worden.
Svasti rieb seine Augen und lächelte. Seine Beine fühlten sich noch ganz geschmeidig an, als er sie langsam aus der Verschränkung löste. Er war einundzwanzig Jahre alt; drei Tage zuvor hatte ihn der Ehrwürdige Sariputta, einer der ältesten Mönche des Buddha, ordiniert. Während dieser Zeremonie war auch Svastis dickes, braunes Haar abrasiert worden.
Svasti war überglücklich, nun auch ein Teil der Gemeinschaft des Buddha zu sein. Viele Bhikkhus waren von edler Herkunft, wie der Ehrwürdige Nanda, ein Bruder des Buddha, Devadatta, Anuruddha und Ananda. Auch wenn Svasti diesen Männern noch nicht vorgestellt worden war, so hatte er sie doch schon von Ferne beobachtet. Sie trugen einfache, verblichene Roben, aber ihre edle Haltung war unverkennbar.
»Es wird noch eine lange Zeit dauern, bis ich mit Menschen von solch nobler Herkunft Freundschaft schließen kann«, dachte Svasti. War nicht aber der Buddha gar der Sohn eines Königs? – dennoch empfand Svasti keinerlei Kluft zwischen ihnen beiden. Svasti gehörte schließlich zu den ›Unberührbaren‹; diese Menschen galten als die Niedrigsten der Niederen; sie standen noch unterhalb der untersten und ärmsten Kaste. So sah es das Kastensystem in Indien zu dieser Zeit. Über zehn Jahre lang hatte er Wasserbüffel gehütet, doch seit zwei Wochen lebte und übte er nun mit Mönchen aus allen Kasten. Alle waren sehr freundlich zu ihm, lächelten ihm voller Wärme zu und verbeugten sich tief; doch fühlte er sich noch nicht völlig heimisch. Vielleicht würde es noch Jahre dauern, so vermutete er, bis er sich vollkommen wohlfühlen könnte.
Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, das tief aus seinem Inneren kam; er hatte gerade an Rahula, den achtzehnjährigen Sohn des Buddha, gedacht. Rahula lebte seit seinem zehnten Lebensjahr als Novize in der Gemeinschaft, und in den vergangenen zwei Wochen waren er und Svasti bereits gute Freunde geworden. Es war Rahula gewesen, der Svasti gelehrt hatte, wie man während der Meditation dem Atem folgt. Auch wenn Rahula noch kein Mönch war – erst mit zwanzig Jahren konnte er die volle Ordination empfangen –, so nahm er doch die Lehren des Buddha mit tiefem Verständnis auf.
Svasti erinnerte sich daran – es war erst vor zwei Wochen gewesen –, wie der Buddha nach Uruvela gekommen war, dem kleinen Dorf nahe Gaya, in dem er lebte, um ihn einzuladen, Mönch zu werden. Als der Buddha an seiner Hütte ankam, waren Svasti und sein Bruder Rupak gerade außer Haus, denn sie hüteten die Büffel. Seine beiden Schwestern, die sechzehnjährige Bala und die zwölfjährige Bhima, waren aber zu Hause, und Bala erkannte den Buddha sofort wieder. Sie wollte schon loslaufen, um Svasti zu suchen, doch der Buddha erklärte ihr, das sei nicht nötig. Er selbst, die Mönche, die mit ihm reisten, und Rahula würden zum Fluss gehen, um ihren Bruder dort zu finden.
Am späten Nachmittag trafen sie schließlich auf Svasti und Rupak, die gerade ihre neun Büffel im Wasser der Neranjara kräftig abschrubbten. Kaum erblickten die jungen Männer den Buddha, liefen sie an das Ufer des Flusses, legten ihre Handflächen so zusammen, dass diese eine Lotusblüte formten, und verbeugten sich tief.
»Du bist sehr gewachsen«, sagte der Buddha und lächelte Svasti und seinen Bruder liebevoll an. Svasti war sprachlos, und es rührte ihn zu Tränen, das friedvolle Gesicht des Buddha wiederzusehen, sein warmes und großherziges Lächeln und seinen strahlenden, durchdringenden Blick. Der Buddha trug eine safrangelbe Robe, die aus aneinandergenähten Flicken bestand, wie das Muster eines Reisfeldes. Noch immer ging er barfuß, wie schon vor zehn Jahren, als Svasti ihn unweit dieses Ortes zum ersten Male getroffen hatte. Damals hatten sie viele Stunden lang gemeinsam an den Ufern der Neranjara gesessen oder im Schatten des Bodhi-Baumes, der nur einen zehnminütigen Fußweg vom Flussufer entfernt stand.
Svasti warf einen Blick auf die zwanzig Bhikkhus, die hinter dem Buddha standen, und er sah, dass auch sie barfuß gingen; ihre Roben waren von der gleichen Farbe wie die des Buddha und bestanden ebenfalls aus aneinandergenähten Flicken. Als er näher hinschaute, bemerkte Svasti, dass die Robe des Buddha eine Handbreit länger war als die der anderen. Neben dem Buddha stand ein Novize, ungefähr in Svastis Alter, der ihn direkt ansah und ihm zulächelte. Der Buddha legte sanft seine Hände auf die Köpfe von Svasti und Rupak und erklärte ihnen, dass er auf dem Weg zurück nach Rajagaha sei und hier haltgemacht habe, um sie zu besuchen. Er wolle gerne warten, sagte er, bis Svasti und Rupak mit dem Baden der Büffel fertig seien, so dass sie dann alle zusammen zu Svastis Hütte zurückgehen könnten.
Während des Rückweges stellte der Buddha den beiden Jungen seinen Sohn Rahula vor. Er war der junge Novize, der Svasti so wunderschön angelächelt hatte. Rahula war drei Jahre jünger als Svasti, doch sie waren gleich groß. Er war ein samanera, ein Novize, aber er war fast genauso gekleidet wie die älteren Bhikkhus. Rahula ging zwischen Svasti und Rupak. Er übergab Rupak seine Almosenschale und legte die Arme liebevoll um die Schultern seiner beiden neuen Freunde. Von seinem Vater hatte er bereits so viel über Svasti und dessen Familie gehört, dass er das Gefühl hatte, sie alle gut zu kennen. Die beiden Brüder sonnten sich in der Wärme von Rahulas Liebe.
Als sie an Svastis Hütte angelangt waren, lud der Buddha ihn ein, sich der Gemeinschaft der Bhikkhus anzuschließen und das Dharma mit ihm zu ergründen. Vor zehn Jahren, bei seiner ersten Begegnung mit dem Buddha, hatte Svasti den Wunsch geäußert, bei ihm zu lernen, und der Buddha hatte damals zugestimmt, ihn als Schüler anzunehmen. Nun war Svasti einundzwanzig Jahre alt, und der Buddha war zurückgekehrt. Er hatte sein Versprechen nicht vergessen.
Rupak führte die Büffel zurück zu Herrn Rambhul, ihrem Besitzer. Derweil saß der Buddha auf einem schmalen Schemel vor Svastis Hütte, und die Bhikkhus standen hinter ihm. Die winzige Lehmhütte mit Strohdach war viel zu klein, als dass sie alle darin hätten Platz finden können. Bala sagte schließlich zu Svasti: »Bruder, bitte geh mit dem Buddha. Rupak ist jetzt schon stärker, als du es gewesen bist, damals, als du angefangen hast, die Büffel zu hüten, und ich bin durchaus in der Lage, für unser Heim zu sorgen. Du hast dich zehn Jahre lang um uns gekümmert, nun können wir auf unseren eigenen Füßen stehen.« Bhima, die direkt neben der Regenwassertonne saß, schaute zu ihrer großen Schwester auf, ohne ein Wort zu sagen. Svasti betrachtete Bhima. Sie war ein hübsches kleines Mädchen. Damals, als er dem Buddha zum ersten Mal begegnet war, war Bala sechs Jahre alt, Rupak drei, und Bhima war noch ein Säugling. Bala hatte für die Familie gekocht, während Rupak noch im Sand spielte.
Sechs Monate nach dem Tod des Vaters war auch ihre Mutter bei Bhimas Entbindung gestorben. Svasti, gerade elf Jahre alt geworden, trug nun die Verantwortung für die ganze Familie. Er fand eine Arbeit als Wasserbüffelhirt, und da er fleißig war, verdiente er genug, um sie alle zu ernähren. Sogar Büffelmilch konnte er für die kleine Bhima mit nach Hause bringen.
Bhima lächelte nun, denn sie hatte verstanden, dass ihr Bruder sie nach ihren Gefühlen fragen wollte. Sie zögerte einen Moment und sagte dann sanft: »Bruder, geh mit dem Buddha.« Sie wandte ihr Gesicht schnell ab, um ihre Tränen zu verbergen. Sie hatte Svasti so oft von seinem Wunsch reden hören, bei dem Buddha zu lernen, und sie wollte wirklich, dass er ginge, aber nun, da der Moment gekommen war, konnte sie ihre Traurigkeit nicht verbergen.
In diesem Augenblick kehrte Rupak aus dem Dorf zurück, und als er Bhimas Worte »Geh mit dem Buddha« hörte, da wurde ihm klar, dass die Zeit gekommen war. Er sah Svasti an und sagte: »Ja, Bruder, bitte geh mit dem Buddha.« Und nun schwieg die ganze Familie. Rupak schaute zum Buddha hin und sagte: »Ehrwürdiger Herr, ich hoffe, du wirst meinem Bruder erlauben, bei dir zu lernen. Ich bin nun alt genug, um für unsere Familie zu sorgen.« Er wandte sich zu Svasti und bat, mühsam seine Tränen zurückhaltend: »Bruder, frag doch bitte den Buddha, ob du zurückkommen und uns von Zeit zu Zeit besuchen kannst.«
Der Buddha stand auf und strich sanft über Bhimas Haar. »Esst jetzt bitte, Kinder. Morgen früh hole ich Svasti ab, damit wir zusammen nach Rajagaha gehen können. Die Mönche und ich ruhen heute Nacht unter dem Bodhi-Baum.« Als der Buddha das Tor erreicht hatte, drehte er sich noch einmal zu Svasti um und sagte: »Du brauchst morgen früh nichts mitzunehmen. Die Kleider, die du trägst, sind genug.«
In dieser Nacht blieben die Geschwister noch lange wach. Wie ein Vater, der fortgehen muss, gab Svasti ihnen letzte Ratschläge, wie sie gut füreinander und den gemeinsamen Haushalt sorgen könnten. Jedes Kind hielt er lange in den Armen. Die kleine Bhima schluchzte, als ihr ältester Bruder sie umarmte, denn nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Aber dann schaute sie zu ihm hoch, atmete tief ein und aus und lächelte ihn an. Sie wollte nicht, dass Svasti sich traurig fühlte. Die Öllampe warf nur ein mattes Licht, doch es war hell genug, dass Svasti ihr Lächeln sehen konnte, und er war ihr dankbar dafür.
In der Frühe des nächsten Morgens kam Sujata, Svastis Freundin, um sich zu verabschieden. Auf ihrem Weg zum Flussufer war sie am Abend zuvor dem Buddha begegnet, und er hatte ihr erzählt, dass Svasti sich dem Mönchsorden anschließen würde. Sujata war die Tochter des Dorfvorstehers; sie war zwei Jahre älter als Svasti, und auch sie hatte Gautama gekannt, bevor er der Buddha wurde. Sujata schenkte Svasti ein kleines Gefäß mit Heilkräutern, das er stets bei sich tragen sollte. Sie konnten nur noch kurz miteinander sprechen, denn da kamen auch schon der Buddha und seine Schüler.
Svastis Geschwister waren bereits wach, um den Aufbruch ihres Bruders mitzuerleben. Sanft sprach Rahula zu ihnen, ermutigte sie darin, stark zu sein und füreinander zu sorgen. Er versprach ihnen, in Uruvela haltzumachen und sie zu besuchen, wann immer er in der Nähe sei. Svastis Geschwister und auch Sujata begleiteten den Buddha und die Bhikkhus bis zum Ufer des Flusses. Dort legten sie schließlich alle ihre Handflächen zusammen, um sich von dem Buddha, den Mönchen, Rahula und Svasti zu verabschieden.
Svasti verspürte einen Kloß in seinem Hals – und er fühlte sich von Angst, aber auch von Freude überwältigt. Dies war das erste Mal, dass er Uruvela verließ. Der Buddha hatte erklärt, dass sie zehn Tage brauchen würden, bis sie Rajagaha erreichten. Die meisten Menschen reisten gewöhnlich schneller, doch der Buddha und seine Bhikkhus gingen langsam und ganz entspannt. Als Svasti seine Schritte verlangsamte, beruhigte sich auch sein Herz. Von ganzem Herzen war er dem Buddha, dem Dharma und der Sangha zugetan, und dies war sein Weg. Er wandte sich noch einmal um, warf einen letzten Blick auf das einzige Land, das er kannte, die einzigen Menschen, die ihm vertraut waren, und er sah, wie Sujata und seine Familie nur noch Pünktchen waren, die langsam mit den Schatten der Bäume des Waldes verschmolzen.
Svasti schien es, als ginge der Buddha nur, um das Gehen zu genießen, ohne jede Sorge, irgendwo anzukommen. Und in dieser Weise gingen alle Bhikkhus. Niemand schien besorgt oder ungeduldig, ein Ziel erreichen zu müssen. Jeder Schritt war langsam, harmonisch und friedvoll. Gerade so, als machten sie zusammen einen angenehmen Spaziergang. Niemals schien einer der Mönche müde zu werden, und doch legten sie täglich ein gutes Stück Weg zurück.
Jeden Morgen machten sie im nächstgelegenen Dorf halt und bettelten um Nahrung. In einer langen Reihe gingen sie die Straßen entlang, der Buddha an der Spitze und ganz hinten Svasti, direkt hinter Rahula. Ruhig und würdig schritten sie einher, und sie beobachteten jeden Schritt und jeden Atemzug. Zuweilen blieben sie stehen, und Dorfbewohner füllten ihre Gaben in die Schalen. Einige Dorfbewohner knieten ehrerbietig am Straßenrand. Während die Bhikkhus die Speisen empfingen, rezitierten sie voller Ruhe für die Menschen einige Gebete.
Hatten sie den Almosengang beendet, verließen sie langsam das Dorf und suchten unter Bäumen oder auf einer Wiese nach einem Platz, wo sie essen konnten. Sie setzten sich in einem Kreis nieder und teilten das Essen gleichmäßig untereinander auf, sorgfältig darauf bedacht, dass jede Schale, die noch leer war, auch gefüllt wurde. Aus einem Fluss in der Nähe füllte Rahula einen Krug mit Wasser und trug ihn respektvoll zum Buddha hin. Der Buddha legte seine Handflächen so zusammen, dass sie die Form einer Lotusblüte bildeten, und Rahula schüttete das Wasser darüber, bis sie gesäubert waren. Dasselbe tat er für jeden von ihnen; als Letztes kam er zu Svasti. Svasti hatte noch keine eigene Schale, und so füllte Rahula die Hälfte seiner Speise auf ein frisches Bananenblatt und reichte es seinem neuen Freund. Bevor sie aßen, legten die Bhikkhus ihre Handflächen zusammen und rezitierten gemeinsam. Dann aßen sie in Schweigen, und sie nahmen jeden Bissen aufmerksam wahr.
Nach dem Essen übten einige Mönche Gehmeditation, andere meditierten im Sitzen, und wieder andere hielten ein kurzes Mittagsschläfchen. War der heißeste Teil des Tages vorüber, begaben sie sich wieder auf die Straße und schritten dort bis zur Abenddämmerung weiter entlang. Für ihre Nachtruhe eigneten sich am besten abgeschiedene Wälder, und so wanderten sie so lange weiter, bis sie einen guten Platz gefunden hatten. Jeder Bhikkhu hatte sein eigenes Sitzkissen, und so mancher von ihnen saß die halbe Nacht mit verschränkten Beinen in der Lotusposition, um dann endlich auch die Robe auszubreiten und sich zum Schlafen niederzulegen. Jeder Bhikkhu besaß zwei Roben; die eine, die er am Leibe trug, und eine weitere, die ihm als Schutz gegen Wind und Kälte diente. Svasti saß in Meditation wie alle anderen; er lernte, auf der Erde zu schlafen und eine Baumwurzel als Kopfkissen zu benutzen.
Als er am nächsten Morgen erwachte, sah er den Buddha und viele der Bhikkhus bereits wieder friedvoll in Meditation sitzen, und sie strahlten eine tiefe Ruhe und Erhabenheit aus. Sobald die Sonne über dem Horizont aufging, faltete jeder Bhikkhu die Robe, die ihm als Unterlage gedient hatte, zusammen, nahm seine Schale, und alle brachen zu ihrer Tagesreise auf. Auf diese Weise – sie gingen bei Tag und ruhten in der Nacht – dauerte es zehn Tage, bis sie Rajagaha, die Hauptstadt von Magadha, erreichten.
Zum ersten Mal in seinem Leben sah Svasti eine Stadt. Pferdekarren drängten sich durch die Straßen, die von überfüllten Wohnhäusern gesäumt waren, und von überallher waren Geschrei und Gelächter zu hören. Doch die Bhikkhus schritten unbeirrt weiter – so friedvoll, als wandelten sie an ruhigen Flussufern entlang oder zwischen Reisfeldern einher. Einige Bewohner blieben stehen, um sie zu betrachten, und manche von ihnen erkannten den Buddha und verbeugten sich tief, um ihm Respekt zu erweisen. Die Bhikkhus setzten ihren Weg ruhig fort, bis sie das Bambuswald-Kloster erreicht hatten, das direkt hinter der Stadt lag.
Schnell verbreitete sich im Kloster die Nachricht, dass der Buddha zurückgekehrt war, und innerhalb kürzester Zeit versammelten sich an die vierhundert Mönche, um ihn willkommen zu heißen. Der Buddha sprach nicht viel, doch er erkundigte sich nach dem Wohlergehen und der Meditationspraxis eines jeden. Er vertraute Svasti Sariputta an, der auch schon der spirituelle Lehrer von Rahula war. Sariputta war der Novizenmeister des Bambuswald-Klosters, und er wachte über die Studien von rund fünfzig Mönchen. Diese lebten alle erst weniger als drei Jahre in der Gemeinschaft. Der Abt des Klosters war ein Bhikkhu namens Kondanna.
Rahula wurde gebeten, Svasti in die klösterliche Lebensweise einzuführen; er sollte ihm zeigen, wie man geht, sitzt, steht, andere grüßt, Geh- und Sitzmeditation übt und den Atem beobachtet. Auch zeigte er Svasti, wie man eine Mönchsrobe trägt, wie man um Nahrung bettelt, Gebete rezitiert und seine Schale wäscht. Drei ganze Tage blieb Svasti an Rahulas Seite, sodass er diese Dinge richtig lernen konnte. Und obgleich Rahula ihn mit Leib und Seele unterwies, spürte Svasti doch, dass er noch Jahre brauchen würde, um dies alles auf entspannte und natürliche Weise tun zu können.
Nachdem er diese grundlegenden Belehrungen empfangen hatte, lud Sariputta Svasti in seine Hütte ein; dort erklärte er ihm die Regeln, denen ein Bhikkhu zu folgen hat. Ein Bhikkhu ist ein Mann, der seine Familie verlässt, um dem Buddha als seinem Lehrer zu folgen; er folgt dem Dharma als dem Pfad, der zum Erwachen führt, und er folgt der Sangha als der Gemeinschaft, die den Einzelnen auf diesem Pfad unterstützt. Das Leben eines Bhikkhu ist einfach und bescheiden. Die Bescheidenheit wird durch das Betteln um Almosen vertieft; das Betteln ist aber darüber hinaus auch eine Hilfe dabei, mit anderen in Verbindung zu treten und ihnen den Weg der Liebe und des Verstehens zu zeigen, den der Buddha lehrt.
Damals vor zehn Jahren, unter dem Bodhi-Baum, hatten Svasti und seine Freundinnen und Freunde genau zugehört, als der Buddha über den Pfad des Erwachens als dem Pfad der Liebe und des Verstehens gesprochen hatte, und so war es jetzt nicht schwer für ihn zu begreifen, was Sariputta ihm erklärte. Sariputtas Gesicht wirkte ernst, aber seine Augen und sein Lächeln strahlten große Wärme, großes Mitgefühl aus. Er ließ Svasti wissen, dass er durch eine Zeremonie nun auch formal in die Gemeinschaft der Bhikkhus aufgenommen würde, und er lehrte ihn die Worte, die er dabei zu rezitieren hatte.
Sariputta selbst leitete die Zeremonie, bei der ungefähr zwanzig Bhikkhus anwesend waren. Auch der Buddha und Rahula waren gekommen – dies vermehrte Svastis Glück noch. Leise rezitierte Sariputta eine Gatha und schnitt dann einige Locken von Svastis Haar ab. Er übergab das Rasiermesser Rahula, der die Rasur vollendete. Sariputta gab Svasti drei Roben, eine Schale und einen Wasserfilter. Und da Svasti bereits von Rahula gelernt hatte, wie man eine Robe trägt, konnte er sie jetzt ohne Schwierigkeiten anlegen. Dann verbeugte er sich vor dem Buddha und den anwesenden Mönchen, um seine tiefe Dankbarkeit auszudrücken.
Noch im Laufe des Morgens sollte Svasti zum ersten Mal als ordinierter Mönch betteln gehen. Die Mönche des Bambuswald-Klosters begaben sich in mehreren kleinen Gruppen nach Rajagaha; Svasti gehörte zu der Gruppe, die von Sariputta angeführt wurde. Als er ein paar Schritte gegangen war, erinnerte er sich daran, dass das Betteln ja ein Mittel war, um den Weg zu praktizieren. So begann er, seinen Atem zu beobachten, und machte jeden Schritt ruhig und achtsam. Rahula ging jetzt hinter ihm. Doch Svasti wusste, dass er, auch wenn er nun selbst ein Bhikkhu war, noch sehr viel weniger Erfahrung hatte als Rahula. Er gelobte von ganzem Herzen, Bescheidenheit und Tugend in sich wachsen und gedeihen zu lassen.
Das Hüten von Wasserbüffeln
Der Tag war angenehm kühl. Nachdem die Bhikkhus in Achtsamkeit zu Mittag gegessen hatten, wusch jeder seine Schale aus und legte sein Kissen so auf die Erde, dass er dem Buddha gegenübersitzen konnte. Die vielen Eichhörnchen, die im Bambuswald lebten, mischten sich ohne Scheu unter die Mönche, und einige kletterten die Bambusstämme hinauf, um die Versammlung von oben zu betrachten. Als Svasti sah, dass Rahula direkt vor dem Buddha saß, ging er ganz leise auf Zehenspitzen nach vorn und legte sein Kissen direkt neben Rahulas. Beide saßen in der Lotusposition. Niemand sprach ein Wort, und die Atmosphäre war voller Ruhe und Würde. Svasti wusste, dass jeder Bhikkhu achtsam seinem Atem folgte, während sie darauf warteten, dass der Buddha zu sprechen begänne.
Der Buddha saß auf einem Podium aus Bambus – hoch genug, dass ihn alle deutlich sehen konnten. Er sah entspannt und doch erhaben aus, wie ein junger Löwe. Seine Augen waren voller Güte, während er die Versammlung betrachtete. Als seine Augen auf Svasti und Rahula ruhten, lächelte er, und dann begann er zu sprechen:
»Heute möchte ich euch etwas über das Hüten von Wasserbüffeln erzählen – darüber, was ein guter Büffelhirt wissen und was er können muss. Der Junge, der gut für seine Wasserbüffel sorgt, erkennt jeden Büffel, der sich in seiner Obhut befindet, leicht wieder. Er weiß um den Charakter und die Neigungen jedes Tieres, versteht sie zu säubern, versorgt ihre Wunden, verjagt die Moskitos durch Rauch und findet sichere Wege, auf denen sie gut gehen können. Er liebt sie, sucht im Fluss nach sicheren und flachen Stellen, sodass sie ihn gut durchqueren können, versorgt sie mit saftigem Gras und frischem Wasser, schützt und erhält das Weideland und lässt die älteren Büffel als gute Vorbilder für die jungen Tiere dienen.
Hört, ihr Bhikkhus, genau so, wie ein Büffelhirt jeden einzelnen seiner Büffel kennt, so kennt ein Bhikkhu jedes grundlegende Element seines Körpers. Genau so, wie ein Büffelhirt um den Charakter und die Neigungen jedes Büffels weiß, genau so weiß ein Bhikkhu, welche Verrichtungen des Körpers, welche Art der Rede, welche Haltung des Geistes würdig sind und welche es nicht sind. Genau so, wie ein Büffelhirt seine Tiere säubert und reinigt, so muss ein Bhikkhu seinen Geist und seinen Körper von Begierden, Anhaftungen, Ärger und Abneigungen säubern und reinigen.«
Während der Buddha sprach, blickte er die ganze Zeit auf Svasti, und dieser fühlte, dass er selbst die Quelle für die Worte des Buddha war. Jahre zuvor, so erinnerte er sich, hatte der Buddha ihn einmal gebeten, ihm seine Arbeit – das Hüten der Wasserbüffel – in allen Einzelheiten zu beschreiben. Wie sonst hätte auch ein Prinz, aufgewachsen in einem Palast, so viel über Büffel wissen können?
Obwohl der Buddha in normaler Lautstärke sprach, war jeder Ton klar und deutlich zu hören, und keinem der Mönche entging auch nur ein Wort. »Genau so, wie ein Büffelhirt sich um die Wunden seiner Büffel kümmert, genauso aufmerksam wacht ein Bhikkhu über seine sechs Sinnesorgane – Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist –, sodass sie sich nicht in Zerstreuung verlieren. Genau so, wie ein Büffelhirt seine Büffel vor Moskitostichen schützt, indem er ein Feuer entfacht und dadurch Rauch schafft, so benutzt ein Bhikkhu die Lehre vom Erwachen dazu, den Menschen seiner Umgebung zu zeigen, wie man die Leiden von Körper und Geist vermeiden kann. In der gleichen Weise, wie der Hirt einen Weg für die Büffel findet, auf dem sie sicher und gut gehen können, so meidet der Bhikkhu Wege, die zu Verlangen nach Ruhm, Reichtum und sexuellem Vergnügen führen, und er meidet Orte wie Schenken und Theater. So, wie ein Büffelhirt seine Büffel liebt, so sehr schätzt der Bhikkhu die Freude und den Frieden der Meditation. Der Hirt findet stets einen sicheren, flachen Weg durch den Fluss, damit die Büffel ihn gut durchqueren können; ebenso stützt der Bhikkhu sich auf die Vier Edlen Wahrheiten, um dieses Leben zu meistern. Wie der Hirt, der immer saftiges Gras und frisches Wasser für seine Büffel findet, so weiß auch der Bhikkhu, dass die Vier Grundlagen der Achtsamkeit die Nahrung sind, die ihn schließlich zur Befreiung führt. So, wie der Hirt das Weideland bewahrt, indem er es nicht gänzlich abweiden lässt, so bemüht ist auch der Bhikkhu, die Beziehungen zu den nahe gelegenen Dörfern und Gemeinden zu bewahren, wenn er um Almosen bettelt. Wie der Hirt die älteren Büffel als gute Vorbilder für die jungen Tiere dienen lässt, so stützt sich der Bhikkhu auf die Weisheit und Erfahrung der älteren Mönche. Oh, ihr Bhikkhus – ein Bhikkhu, der diese elf Punkte beherzigt, wird die Arhatschaft in nur sechs Jahren Übung erlangen.«
Svasti lauschte mit wachsender Verwunderung. Der Buddha hatte sich an alles erinnert, was er ihm zehn Jahre zuvor erzählt hatte, und er konnte jede Einzelheit auf eine Übung für die Bhikkhus anwenden. Auch wenn Svasti wusste, dass der Buddha die gesamte Versammlung der Mönche belehrte, so hatte er doch das deutliche Empfinden, dass der Buddha ihn direkt ansprach. Und die Augen des jungen Mannes wandten sich kein einziges Mal von dem Gesicht des Buddha ab.
Dies waren Worte, die man im Herzen bewahren musste. Natürlich waren Worte darunter wie ›Sechs Sinnesorgane‹, ›Vier Edle Wahrheiten‹, ›Vier Grundlagen der Achtsamkeit‹ – Begriffe, die Svasti noch nicht verstand. Er würde später Rahula bitten, ihm diese Begriffe zu erklären, doch er wusste, dass er die wesentliche Bedeutung der Worte des Buddha erfasst hatte.
Der Buddha setzte seine Rede fort. Er erzählte der Versammlung, wie der Hirt einen sicheren Pfad wählt, auf dem die Büffel gehen können. Ist der Weg von Dornen überwuchert, so können sich die Büffel leicht verletzen, und die Wunden können sich infizieren. Weiß der Büffelhirt nicht, wie er die Wunden versorgen kann, so erkranken die Büffel schnell an Fieber und können sogar sterben. Und genau so ist es, wenn man den Weg praktiziert. Gelingt es dem Bhikkhu nicht, einen rechten Pfad zu finden, kann er an Körper und Geist verletzt werden. Gier und Zorn können seine Wunden weiter vergiften, bis sie so infiziert sind, dass der Weg zur Erleuchtung voller Hindernisse ist.
Der Buddha hielt inne. Er forderte Svasti auf, zu ihm heraufzukommen, an seine Seite. Lächelnd stellte er Svasti der Versammlung vor, während dieser mit zusammengelegten Handflächen dastand.
»Vor zehn Jahren habe ich Svasti im Wald nahe Gaya kennengelernt, kurz bevor ich den Weg verwirklichte. Damals war er elf Jahre alt, und er war es, der Kusagras für mich sammelte, das ich als Kissen benutzte, wenn ich unter dem Bodhi-Baum saß. All das, was ich euch über Wasserbüffel erzählt habe, lernte ich von ihm. Ich wusste, dass er ein guter Büffelhirt war, und ich weiß, dass er ein guter Bhikkhu sein wird.«
Aller Augen waren nun auf Svasti gerichtet, und er spürte, wie seine Ohren und seine Wangen brannten und sich röteten. Die Männer legten ihre Handflächen zusammen und verbeugten sich vor ihm, und darauf verbeugte er sich auch vor ihnen. Der Buddha beendete schließlich die Lehrrede und bat Rahula, abschließend die ›Sechzehn Methoden des Bewussten Atmens‹ zu rezitieren. Rahula stand auf, legte seine Handflächen zusammen, und mit einer Stimme, die so klar und rein war wie eine Glocke, rezitierte er jede Methode. Am Ende verbeugte er sich zur Gemeinschaft hin. Der Buddha erhob sich und ging langsamen Schrittes zu seiner Hütte zurück. Jetzt nahmen auch alle Mönche der Versammlung ihre Kissen auf und begaben sich ruhig wieder zu ihren jeweiligen Plätzen im Wald. Einige der Bhikkhus lebten in Hütten, doch die meisten schliefen und meditierten im Freien unter den Bambusstauden. Nur wenn es stark regnete, nahmen sie ihre Kissen und suchten in den Wohnhütten oder den Vortragshallen Schutz.
Svastis Lehrer Sariputta hatte ihm einen Platz im Freien neben Rahula zugewiesen. Als Rahula noch jünger war, musste er gemeinsam mit dem Lehrer, unter dessen Obhut er stand, in einer Hütte schlafen, doch nun hatte er einen Platz unter den Bäumen. Svasti war glücklich, mit Rahula zusammen sein zu können.
Am späten Nachmittag, nach der Sitzmeditation, übte Svasti allein Gehmeditation. Er suchte sich einen abgelegenen Pfad, um eine Begegnung mit anderen zu vermeiden, doch empfand er es als sehr schwierig, auf seinen Atem konzentriert zu bleiben. Seine Gedanken waren voller Sehnsucht nach seinem Bruder, seinen Schwestern und seinem Heimatdorf. Ganz deutlich erstand in seinem Geist das Bild des Pfades, der zur Neranjara führte. Er sah die kleine Bhima vor sich, wie sie ihren Kopf senkte, um ihre Trauer zu verbergen, und er sah Rupak, der nun ganz allein für Rambhuls Wasserbüffel sorgen musste. Er versuchte, diese Bilder zu verjagen und sich nur auf seine Schritte und seinen Atem zu konzentrieren, doch die Bilder überfluteten ihn weiter. Er empfand Beschämung darüber, dass er sich seiner Übung nicht richtig hingeben konnte, ja, er fühlte sich sogar des Vertrauens unwürdig, das der Buddha in ihn setzte. Nach der Gehmeditation, so dachte er, musste er Rahula bitten, ihm zu helfen. Außerdem gab es da verschiedene Dinge, die der Buddha in seiner Lehrrede erwähnt hatte, die er nicht völlig verstanden hatte, und er war sicher, dass Rahula sie ihm erklären konnte. Schon der Gedanke an Rahula ermutigte und beruhigte ihn, und es fiel ihm schon etwas leichter, seinem Atem und jedem seiner langsamen Schritte zu folgen.
Doch bevor Svasti Rahula noch suchen konnte, kam dieser schon herbei, um nach ihm zu sehen. Er führte Svasti zu einem Sitz unter einem Bambus und sagte: »Ich habe heute Nachmittag den Ehrwürdigen Ananda getroffen. Er möchte gerne alles über deine erste Begegnung mit dem Buddha erfahren.«
»Wer ist Ananda?«
»Ananda ist ein Prinz aus der Linie der Sakya, und er ist ein Vetter des Buddha. Vor sieben Jahren ist er Mönch geworden, und nun ist er einer der besten Schüler. Der Buddha liebt ihn innig, und Ananda sorgt für das Wohlergehen des Meisters. Er hat uns für morgen Abend in seine Hütte eingeladen. Auch ich möchte alles über jene Zeit wissen, als der Buddha im Gaya-Wald lebte.«
»Hat dir der Buddha nicht bereits davon erzählt?«
»Ja, schon, doch nicht in allen Einzelheiten. Ich bin sicher, dass du eine Menge Geschichten zu erzählen weißt.«
»Nun, da gibt es gar nicht so viel, aber ich will alles erzählen, woran ich mich erinnere. Rahula, wie ist denn Ananda so? Ich bin ein bisschen aufgeregt und nervös.«
»Mach dir keine Sorgen! Er ist sehr freundlich und liebenswürdig. Ich habe ihm von dir und deiner Familie erzählt, und er war hocherfreut. Sollen wir uns morgen früh, wenn wir betteln gehen, wieder an diesem Platz hier treffen? Ich muss jetzt gehen und meine Robe waschen, damit sie noch rechtzeitig trocknen kann.«
Als Rahula sich anschickte zu gehen, zupfte Svasti ihn leicht an der Robe. »Kannst du vielleicht noch einen Moment sitzen bleiben? Es gibt da einiges, das ich dich fragen möchte. Heute Morgen hat der Buddha von den elf Punkten gesprochen, denen ein Bhikkhu folgen muss, aber ich kann mich nicht mehr an alle elf erinnern. Kannst du sie noch einmal für mich wiederholen?«
»Ich kann mich auch nur noch an neun erinnern. Aber sorge dich nicht. Morgen können wir Ananda fragen.«
»Bist du denn sicher, dass der Ehrwürdige Ananda sich noch an alle erinnern kann?«
»Da bin ich absolut sicher. Und wenn es hundertelf gäbe, so würde Ananda sich noch an alle erinnern. Du kennst Ananda noch nicht, aber alle hier bewundern sein Gedächtnis. Es ist unbeschreiblich. Er kann alles, was der Buddha gesagt hat, fehlerlos wiederholen, ohne auch nur die kleinste Einzelheit auszulassen. Hier bezeichnen ihn alle als den gelehrtesten Schüler des Buddha. Hat also jemand etwas vergessen, das der Buddha gesagt hat, dann sucht er Ananda auf. Manchmal organisiert die Gemeinschaft auch Studienzeiten, in denen Ananda die grundlegenden Lehren des Buddha durchnimmt.«
»Dann haben wir ja großes Glück! Warten wir also und fragen ihn morgen. Aber da gibt es noch etwas, das ich dich gerne fragen möchte – wie beruhigst du deinen Geist während der Gehmeditation?«
»Willst du damit sagen, dass während der Gehmeditation Gedanken in deinen Geist gelangt sind? Zum Beispiel der Gedanke, dass du deine Familie vermisst?«
Svasti ergriff die Hand seines Freundes. »Woher weißt du das? Genau das ist passiert! Ich weiß auch nicht, warum ich meine Familie heute Abend so sehr vermisse. Ich fühle mich schrecklich, ich scheine nicht genug Entschlossenheit zu besitzen, den Weg zu praktizieren. Ich schäme mich so vor dir und dem Buddha.«
Rahula lächelte. »Aber nein – schäme dich nicht! In der ersten Zeit meines Lebens mit dem Buddha und den Bhikkhus vermisste ich meine Mutter, meinen Großvater und meine Tante sehr. Viele Nächte lang habe ich mein Gesicht im Kissen vergraben und geweint. Ich wusste, dass auch meine Mutter, mein Großvater und meine Tante mich vermissten. Doch nach einer Weile wurde es dann besser.«
Rahula half Svasti aufzustehen, und dann umarmte er ihn freundlich.
»Dein Bruder und deine Schwestern sind sehr lieb. Es ist nur natürlich, dass du sie vermisst. Aber du wirst dich an dein neues Leben gewöhnen. Wir haben hier eine Menge zu tun – wir müssen üben und lernen. Aber hör zu, wenn wir einmal die Gelegenheit dazu haben, werde ich dir von meiner Familie erzählen.«
Svasti hielt Rahulas Hand in seinen beiden Händen und nickte. Dann trennten sie sich; Rahula ging, um seine Robe zu waschen, und Svasti suchte nach einem Besen, mit dem er die Pfade von Bambusblättern säubern konnte.
Ein Armvoll Kusagras
Vor dem Einschlafen saß Svasti noch eine Weile unter einem Bambus; er erinnerte sich an die Zeit, als er dem Buddha zum ersten Male begegnet war. Damals war er gerade elf Jahre alt; seine Mutter war vor Kurzem gestorben und hatte die drei jüngeren Geschwister seiner Obhut überlassen. Für seine jüngste Schwester, noch ein Säugling, gab es keine Milch zu trinken. Da stellte ihn glücklicherweise ein Mann aus dem Dorf – sein Name war Rambhul – an, seine Wasserbüffel zu hüten – vier ausgewachsene Büffel und ein Kalb. So war Svasti in der Lage, jeden Tag eine Büffelkuh zu melken und seiner kleinen Schwester die Milch zu geben. Mit größter Sorgfalt hütete er die Wasserbüffel, denn er wusste, er durfte diese Arbeit nicht verlieren, sonst würden seine Geschwister hungern. Seit dem Tod des Vaters war ihr Dach noch nicht wieder ausgebessert worden, und wenn es regnete, musste Rupak schnell Gefäße unter die großen Löcher stellen, um das Regenwasser aufzufangen. Bala war erst sechs Jahre alt, doch hatte sie schon lernen müssen zu kochen, auf die kleine Schwester aufzupassen und im Wald Feuerholz zu sammeln. Obwohl sie noch ein kleines Kind war, konnte sie schon das Mehl kneten, um Chappattis für ihre Geschwister daraus zu machen. Ganz selten nur konnten sie sich ein wenig Currypulver leisten. Immer wenn Svasti die Büffel zurück in ihren Stall führte, ließ ihm der aufsteigende Curryduft, der aus Rambhuls Küche zu ihm herüberwehte, das Wasser im Munde zusammenlaufen. Seit dem Tod des Vaters waren Chappattis, eingetaucht in eine Currysoße mit Fleisch, ein ihnen unbekannter Luxus geworden.
Die Kleider der Kinder waren kaum mehr als Fetzen. Svasti besaß nur ein abgetragenes Lendentuch. War es kalt, so wickelte er ein altes braunes Tuch um seine Schultern. Es war verschlissen und verblichen, doch für ihn war es kostbar.
Svasti musste stets gute Weideplätze für die Büffel finden, denn Herr Rambhul würde ihn schlagen, wenn er sie hungrig in ihren Stall zurückbrächte. Zusätzlich musste er jeden Abend eine ansehnliche Menge Gras mitbringen, das die Büffel während der Nacht fressen konnten. An Abenden, an denen es besonders viele Moskitos gab, entfachte Svasti ein Feuer, um sie durch den Rauch zu vertreiben. Alle drei Tage bezahlte ihn Rambhul mit Reis, Mehl und Salz. Manchmal konnte Svasti auch ein paar Fische mit nach Hause bringen, die er im Fluss gefangen hatte, und Bhima bereitete sie dann zu.
Eines Nachmittags, er hatte die Büffel gebadet und Gras geschnitten, verspürte er Lust, noch einen ruhigen Moment allein im kühlen Wald zu verbringen. So ließ er die Büffel weiter am Waldesrand grasen und sah sich nach einem großen Baum um, an den er sich lehnen konnte. Plötzlich hielt er inne. Da war ein Mann, kaum mehr als zwanzig Fuß entfernt, der still unter einem Pippala-Baum saß. Svasti starrte ihn verwundert an. Niemals zuvor hatte er jemanden gesehen, der so schön sitzen konnte. Der Rücken des Mannes war vollkommen aufrecht, und seine Füße ruhten anmutig auf seinen Oberschenkeln. Die Haltung wirkte äußerst stabil und drückte große Entschlossenheit aus. Seine Augen schienen halb geschlossen, und seine gefalteten Hände ruhten leicht in seinem Schoß. Er trug eine verblichene gelbe Robe, bei der eine Schulter unbedeckt blieb. Sein ganzer Körper strahlte Frieden, Klarheit und Erhabenheit aus. Schon dieser eine Blick auf ihn hatte Svasti wunderbar erfrischt. Sein Herz bebte. Er verstand nicht, wie er so viel für jemanden empfinden konnte, den er nie zuvor gesehen hatte, doch er blieb, in tiefem Respekt, für einen langen Augenblick unbeweglich stehen.
Dann öffnete der Mann seine Augen. Zunächst sah er Svasti noch nicht; er nahm seine Beine auseinander und massierte sanft die Knöchel und die Fußsohlen. Dann stand er langsam auf und begann zu gehen. Doch weil er in die entgegengesetzte Richtung ging, erblickte er Svasti noch immer nicht. Ohne einen Laut von sich zu geben, beobachtete Svasti nun, wie der Mann langsame, ruhige, ganz entspannte Schritte auf dem Waldboden machte. Nach sieben oder acht Schritten drehte der Mann sich um – und in diesem Augenblick sah er Svasti.
Er lächelte den Jungen an. Noch niemand hatte Svasti mit solch sanfter Nachsicht angelächelt. Wie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, lief Svasti auf den Mann zu, aber wenige Schritte vor ihm blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen, denn ihm fiel ein, dass er ja nicht das Recht besaß, sich irgendjemandem aus einer höheren Kaste zu nähern.
Svasti war ein ›Unberührbarer‹. Er gehörte keiner der vier sozialen Kasten an. Sein Vater hatte ihm erklärt, dass die brahmana-Kaste die höchste Kaste war und dass Menschen, in diese Kaste hineingeboren, Priester und Lehrer wurden, die die veda und andere Schriften lesen und verstehen konnten und den Göttern opferten. Als Brahma die menschliche Rasse schuf, entsprangen die Brahmanen seinem Mund. Die ksatriya waren die nächsthöhere Kaste. Männer dieser Kaste hatten politische und militärische Positionen inne, denn sie entsprangen Brahmas Händen. Die aus der vaisya-Kaste waren Händler, Bauern und Handwerker, und sie waren Brahmas Schenkeln entsprungen. Die aus der sudra-Kaste waren Brahmas Füßen entsprungen, und sie gehörten zur niedersten der vier Kasten. Sie verrichteten nur die körperlichen Arbeiten, die nicht von Menschen höherer Kasten ausgeführt wurden. Doch Svastis Familienmitglieder waren ›Unberührbare‹ – sie gehörten überhaupt keiner Kaste an. Sie mussten ihre Wohnstätten außerhalb der Dorfgrenzen errichten, und sie verrichteten nur die allerniedrigsten Arbeiten wie Müllsammeln, Dungstreuen, Straßenbauen, Schweinefüttern und Büffelhüten. Jeder Mensch musste die Kaste, in die er hineingeboren wurde, akzeptieren. Die heiligen Schriften lehrten, dass Glücklichsein die Fähigkeit war, die eigene Stellung anzunehmen.
Wenn ein Unberührbarer wie Svasti einen Menschen aus einer höheren Kaste berührte, so schlug dieser ihn üblicherweise. In Uruvela war ein Mann schwer geprügelt worden, weil er einen Brahmanen mit der Hand berührt hatte. Ein Brahmane oder ein Ksatriya, der von einem Unberührbaren berührt worden war, galt als beschmutzt und musste zu Hause mehrere Wochen fasten und Buße tun, um sich wieder zu reinigen. Immer wenn Svasti die Büffel zurück in ihren Stall führte, gab er sich große Mühe, weder auf der Straße noch außerhalb von Rambhuls Haus nahe an einer Person aus einer höheren Kaste vorbeizugehen. Svasti schien es, dass selbst die Büffel vom Glück begünstigter waren als er, denn ein Brahmane konnte einen Büffel berühren, ohne dass ihn dies beschmutzt hätte. Und ein Unberührbarer konnte selbst dann erbarmungslos geschlagen werden, wenn ihn ohne sein Zutun eine Person höherer Kaste zufällig streifte.
Nun stand hier vor Svasti ein höchst ansehnlicher Mann, und sein ganzes Verhalten zeigte deutlich, dass sie nicht von gleicher sozialer Herkunft waren. Sicherlich würde ihn jemand, der so sanft und nachsichtig lächelte, nicht schlagen, selbst wenn Svasti ihn nun berührte, doch Svasti wollte nicht die Beschmutzung eines so ungewöhnlichen Menschen verursachen. Daher stand er wie erstarrt da, als dieser Mann und er nur noch ein paar Schritte voneinander entfernt waren. Der Mann bemerkte Svastis Zögern und ging auf ihn zu. Svasti wich nun zurück, um eine Berührung mit diesem Mann zu vermeiden, doch dieser war schneller, und ehe Svasti sichs versah, hatte der Mann ihn mit der linken Hand an der Schulter berührt. Mit der rechten Hand gab er Svasti einen leichten Klaps auf den Kopf. Noch niemand hatte ihn so sanft und liebevoll am Kopf berührt, und doch fühlte er sich plötzlich von panischer Angst erfasst.
»Kind, hab doch keine Angst«, sagte der Mann da mit sanfter und beruhigender Stimme.
Beim Klang dieser Stimme schwand Svastis Furcht. Er hob seinen Kopf und sah staunend, wie freundlich und nachsichtig der fremde Mann lächelte. Nach einem Moment des Zögerns stammelte er: »Herr, ich mag dich sehr.«
Der Mann hob mit seiner Hand Svastis Kinn etwas in die Höhe und sah dem Jungen in die Augen. »Und ich mag dich auch. Lebst du hier in der Nähe?«
Svasti antwortete nicht. Er nahm die linke Hand des Mannes in seine beiden Hände und stellte die Frage, die ihn die ganze Zeit so sehr beunruhigte: »Wenn ich dich berühre, bist du dann nicht beschmutzt?«
Der Mann lachte und schüttelte seinen Kopf. »Überhaupt nicht, Kind. Du bist ein menschliches Wesen, genauso wie ich. Du kannst mich nicht beschmutzen. Hör nicht auf das, was die Leute dir erzählen.«
Er nahm Svastis Hand und wanderte mit ihm zum Waldesrand. Friedlich grasten dort noch immer die Wasserbüffel. Der Mann blickte Svasti an und fragte: »Hütest du diese Büffel? Und das muss das Gras sein, das du für sie zum Abendessen schneidest? Wie heißt du? Ist dein Haus hier in der Nähe?«
Höflich antwortete Svasti: »Ja, Herr, für diese vier Büffel und dieses eine Kalb sorge ich, und dieses Gras habe ich geschnitten. Mein Name ist Svasti, und ich lebe auf der anderen Seite des Flusses, direkt hinter dem Dorf Uruvela. Bitte, Herr, sag mir, wie ist dein Name, und wo lebst du? Kannst du mir das sagen?«
Der Mann antwortete freundlich: »Natürlich kann ich das. Ich heiße Siddhartha, und meine Heimat liegt sehr weit von hier entfernt, doch im Moment lebe ich hier im Wald.«
»Bist du ein Einsiedler?«
Siddhartha nickte. Svasti wusste, dass Einsiedler normalerweise oben in den Bergen lebten und meditierten.
Obwohl sie sich gerade erst kennengelernt und nicht mehr als ein paar Worte miteinander gesprochen hatten, empfand Svasti eine tiefe Verbindung zu seinem neuen Freund. In Uruvela hatte ihn noch niemand in so freundlicher Weise behandelt und mit solcher Wärme zu ihm gesprochen. Ein großes Glücksgefühl stieg in ihm auf, und er wollte seiner Freude so gerne Ausdruck verleihen. Wenn er nur etwas bei sich hätte, das er Siddhartha schenken könnte? Aber in seiner Tasche war nicht die kleinste Münze, nicht einmal ein Stück Zuckerrohr oder ein Bonbon. Was könnte er ihm nur geben? Er hatte nichts, und so nahm er all seinen Mut zusammen und sagte:
»Herr, ich möchte dir so gern etwas schenken, aber ich habe nichts.«
Siddhartha sah Svasti an und lächelte. »Doch, doch, du hast etwas, das ich sehr gerne hätte.«
»Ich habe etwas?«
Siddhartha zeigte auf den Haufen Kusagras. »Dieses Gras, das du für die Büffel geschnitten hast, ist weich, und es riecht gut. Wenn du mir davon etwas abgeben könntest, kann ich mir für meine Meditation unter dem Baum ein Sitzkissen machen. Das würde mich sehr glücklich machen.«
Svastis Augen leuchteten auf. Er lief zu dem Grashaufen, raffte mit seinen dünnen Armen ein großes Bündel zusammen und reichte es Siddhartha. »Ich habe dieses Gras gerade unten am Fluss geschnitten. Bitte, nimm es an! Für die Büffel kann ich leicht noch mehr schneiden.«
Siddhartha legte seine Hände zusammen, sodass sie eine Lotusblüte formten, und nahm das Geschenk an. Er sagte: »Du bist ein sehr freundlicher Junge. Ich danke dir. Geh nun und schneide noch Gras für deine Büffel, bevor es zu spät wird. Und wenn es dir möglich ist, so komm doch morgen Nachmittag wieder und besuch mich im Wald.«
Der kleine Svasti verbeugte sich zum Abschied und sah zu, wie Siddhartha wieder im Wald verschwand. Er nahm seine Sichel und machte sich zum Ufer auf; sein Herz war von den glühendsten Empfindungen erfüllt. Es war früher Herbst. Das Kusagras war noch weich, und seine Sichel war erst kürzlich geschärft worden. So dauerte es gar nicht lange, bis Svasti wieder einen großen Armvoll Kusagras geschnitten hatte.
Svasti leitete die Büffel an einer flachen Stelle durch die Neranjara, um sie zu Rambhuls Haus zurückzubringen. Das Kalb verließ nur zögernd das süße Gras am Ufer, und Svasti musste ihm gut zureden. Das Grasbündel auf seiner Schulter war nicht schwer, und so watete Svasti mit den Büffeln durch den Fluss.
Der verwundete Schwan
Früh am nächsten Morgen führte Svasti seine Büffel zum Grasen. Um die Mittagszeit hatte er bereits so viel Gras geschnitten, dass er zwei Körbe damit füllen konnte. Svasti ließ die Büffel gern an der Uferseite des Flusses grasen, die an den Wald grenzte. So konnte er sich, wenn er genügend Gras gesammelt hatte, lang ausstrecken und die kühle Brise genießen; er brauchte sich hier nicht zu sorgen, dass die Büffel in irgendjemandes Reisfeldern herumwanderten. Er nahm nur seine Sichel mit, das Werkzeug, mit dem er sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Svasti öffnete das Bananenblatt, in das Bala ihm eine kleine Handvoll Reis zum Mittagessen eingepackt hatte, doch als er gerade mit dem Essen beginnen wollte, wanderten seine Gedanken zu Siddhartha.
»Ich könnte diesen Reis dem Einsiedler Siddhartha bringen«, dachte er. »Er wird ihn sicher nicht zu armselig finden.« Svasti wickelte den Reis wieder ein, ließ die Büffel am Waldesrand zurück und folgte dem Pfad, auf dem er am Vortage Siddhartha begegnet war.
Von Weitem schon sah er seinen neuen Freund unter dem großen Pippala-Baum sitzen. Doch Siddhartha war nicht allein. Vor ihm saß ein Mädchen, ungefähr in Svastis Alter, das in einen feinen weißen Sari gekleidet war. Und es standen auch Speisen vor ihnen; Svasti blieb wie angewurzelt stehen. Doch da sah Siddhartha hoch und rief ihm zu: »Svasti!«, und er bedeutete ihm, sich zu ihnen zu setzen.
Auch das Mädchen im weißen Sari sah auf, und Svasti erinnerte sich, auf der Dorfstraße schon oft an ihr vorbeigegangen zu sein. Als Svasti näher kam, setzte sie sich ein Stück weiter nach links, um für ihn Platz zu machen, und Siddhartha forderte ihn auf, sich zu setzen. Vor Siddhartha lag ein Bananenblatt mit einer Handvoll Reis und etwas Sesamsalz darauf. Siddhartha teilte den Reis in zwei Portionen.
»Kind, hast du schon gegessen?«
»Nein, Herr, das habe ich noch nicht.«
»Gut, dann lass uns dies hier teilen.«
Siddhartha reichte Svasti die Hälfte des Reises, und Svasti legte dankend seine Handflächen zusammen, doch nahm er den Reis nicht an. Stattdessen holte er seinen eigenen kümmerlichen Reis hervor und sagte: »Ich habe auch welchen mitgebracht.«
Er öffnete sein Bananenblatt, und es waren ganz grobe Körner braunen Reises, die da zum Vorschein kamen, ganz anders als der weiche, weiße Reis, der auf Siddharthas Blatt lag. Und es gab auch kein Sesamsalz auf seinem Reis. Siddhartha lächelte die beiden Kinder an und schlug vor: »Sollen wir all unseren Reis zusammentun und dann teilen?«
Er nahm die Hälfte des weißen Reises, tauchte sie in das Sesamsalz und überreichte sie Svasti. Dann brach er die Hälfte von Svastis Reisbällchen ab und aß sie mit sichtbarem Vergnügen. Svasti war verlegen, doch als er Siddharthas Ungezwungenheit sah, begann auch er zu essen.
»Dein Reis ist so köstlich, Herr.«
»Sujata hat ihn gebracht«, antwortete Siddhartha.
»So, ihr Name ist also Sujata«, dachte Svasti. Sie sah ein bisschen älter aus als er, vielleicht ein oder zwei Jahre. Ihre großen dunklen Augen funkelten. Svasti unterbrach sein Essen und sagte: »Ich habe dich schon auf der Dorfstraße gesehen, aber ich wusste nicht, dass du Sujata heißt.«
»Ja, ich bin die Tochter des Dorfvorstehers von Uruvela. Dein Name ist Svasti, nicht wahr? Lehrer Siddhartha hat mir gerade von dir erzählt«, sagte sie und fügte freundlich hinzu: »Svasti, es ist korrekter, einen Mönch mit ›Lehrer‹ als mit ›Herr‹ anzusprechen.«
Svasti nickte.
Siddhartha lächelte: »Gut, ich sehe, ich muss euch gar nicht miteinander bekannt machen. Wisst ihr, Kinder, warum ich schweigend esse? Diese Reis- und Sesamkörner sind so kostbar, und ich esse in Stille, damit ich sie vollkommen würdigen kann. Sujata, hast du jemals die Gelegenheit gehabt, braunen Reis zu probieren? Und selbst wenn du schon einmal welchen gegessen hast, so koste bitte ein wenig von Svastis Reis. Er ist ganz köstlich. Wir können nun schweigend essen, und wenn wir damit fertig sind, werde ich euch eine Geschichte erzählen.«
Siddhartha brach ein Stück von dem braunen Reis ab und reichte es Sujata. Sie legte ihre Handflächen in der Form einer Lotusblüte zusammen und nahm den Reis ehrerbietig an. Alle drei aßen nun still inmitten der tiefen Ruhe des Waldes.
Als Reis und Sesam gegessen waren, sammelte Sujata die Bananenblätter zusammen. Sie nahm den Krug voll frischen Wassers, der an ihrer Seite gestanden hatte, und schüttete etwas Wasser in die einzige Schale, die sie mitgebracht hatte. Sie hob die Schale und reichte sie Siddhartha. Er nahm sie in seine beiden Hände und reichte sie an Svasti weiter. Aufgeregt schwatzte Svasti los: »Bitte, Herr, ich meine, Lehrer, bitte, trink du den ersten Schluck.«
Mit sanfter Stimme antwortete Siddhartha: »Du trinkst als Erster. Ich möchte, dass du den ersten Schluck nimmst.«
Svasti war verwirrt, doch wusste er nicht, wie er eine solch ungewohnte Ehre zurückweisen konnte. Dankend legte er seine Handflächen zusammen und nahm die Schale. Mit einem einzigen langen Schluck trank er alles Wasser und gab die Schale dann an Siddhartha zurück. Siddhartha bat Sujata, sie ein zweites Mal zu füllen. Als sie gefüllt war, hob er sie an seine Lippen und trank langsam, mit Ehrfurcht und tiefem Genuss, das Wasser.
Sujatas Augen waren die ganze Zeit auf Siddhartha und Svasti gerichtet. Als Siddhartha die Schale leer getrunken hatte, bat er Sujata, sie ein drittes Mal zu füllen. Dieses Mal reichte er ihr die Schale. Sie stellte den Wasserkrug nieder, legte ihre Handflächen zusammen und nahm die Schale Wasser. Sie hob sie an ihre Lippen und trank das Wasser mit langsamen, kleinen Schlucken, genau wie Siddhartha dies getan hatte. Sie war sich wohl bewusst, dass sie zum ersten Mal mit einem Unberührbaren aus derselben Schale trank. Doch Siddhartha war ihr Lehrer, und wenn er es getan hatte, warum sollte sie es dann nicht auch tun? Und sie merkte, dass sie durchaus nicht das Gefühl hatte, in irgendeiner Weise beschmutzt zu sein. Spontan streckte sie ihre Hand aus und strich über das Haar des Büffelhirten. Es kam so überraschend, dass Svasti gar keine Zeit hatte, dem auszuweichen. Sujata trank ihr Wasser aus, stellte die leere Schale auf den Boden und lächelte ihren beiden Gefährten zu.
Siddhartha nickte. »Ihr Kinder habt verstanden. Menschen werden nicht mit einer Kaste geboren. Aller Menschen Tränen sind salzig, und aller Menschen Blut ist rot. Es ist falsch, die Menschen in Kasten einzuteilen und Uneinigkeit und Vorurteile zwischen ihnen zu schaffen. Das ist mir während meiner Meditation ganz klar geworden.«
Sujata sah ihn gedankenvoll an, dann sprach sie: »Wir sind deine Schüler, und wir glauben deiner Lehre. Aber es scheint auf der ganzen Welt sonst niemanden zu geben, der so ist wie du. Alle anderen glauben, dass die Sudras und die Unberührbaren aus den Füßen des Schöpfers hervorkamen. Selbst die Schriften sagen das. Und niemand wagt es, anders zu denken.«
»Ja, ich weiß. Doch die Wahrheit ist die Wahrheit, ob jemand sie glaubt oder nicht. Auch wenn eine Million Menschen eine Lüge glauben, bleibt sie doch eine Lüge. Es erfordert aber großen Mut, um der Wahrheit gemäß zu leben. Ich möchte euch gern eine Geschichte erzählen; sie passierte, als ich noch ein Junge war:
Eines Tages – ich war neun Jahre alt und spazierte allein im Garten umher – fiel plötzlich ein Schwan vom Himmel herunter und wand sich vor mir in großen Schmerzen. Ich lief auf ihn zu und nahm ihn hoch. Da entdeckte ich, dass sich ein Pfeil tief in seinen Flügel gebohrt hatte! Ich umklammerte fest den Schaft des Pfeils und zog ihn heraus; der Vogel schrie auf, als das Blut aus der Wunde sickerte. Mit meinem Finger drückte ich auf die Wunde, um die Blutung zu stillen; dann brachte ich den Vogel in den Palast und suchte nach Prinzessin Sundari, der Hofdame. Sie erklärte sich bereit, eine Handvoll heilkräftiger Blätter zu suchen und zu helfen, einen Verband an der Wunde des Vogels anzulegen. Der Schwan zitterte; so zog ich meine Jacke aus und wickelte sie um ihn. Dann setzte ich ihn ganz in die Nähe der königlichen Feuerstelle.«
Siddhartha hielt einen Moment inne und sah zu Svasti. »Svasti, ich habe dir das noch nicht erzählt, aber als ich jung war, war ich ein Prinz, der Sohn des Königs Suddhodana in der Stadt Kapilavatthu. Sujata weiß das bereits.
Ich war gerade dabei, etwas Reis für den Schwan zu holen, als mein achtjähriger Vetter Devadatta in den Raum stürzte. Pfeil und Bogen hielt er umklammert, und er fragte aufgeregt: ›Siddhartha, hast du einen weißen Schwan gesehen, der hier in der Nähe heruntergefallen ist?‹
Bevor ich antworten konnte, sah Devadatta den Schwan an der Feuerstelle ruhen. Er stürzte auf ihn zu, doch ich hielt ihn zurück.
›Du darfst den Vogel nicht nehmen.‹
Mein Vetter protestierte: ›Dieser Vogel gehört mir! Ich habe ihn selbst geschossen.‹
Ich stand da zwischen Devadatta und dem Schwan, fest entschlossen, ihn meinem Vetter nicht zu überlassen. Ich sagte zu ihm. ›Dieser Vogel ist verwundet. Ich beschütze ihn. Er muss hierbleiben.‹
Devadatta war störrisch und wollte nicht aufgeben. Er begann zu argumentieren: ›Hör zu, Vetter, als dieser Vogel am Himmel flog, gehörte er niemandem. Da ich derjenige bin, der ihn vom Himmel heruntergeschossen hat, gehört er rechtmäßig mir.‹
Sein Argument klang logisch, doch seine Worte machten mich wütend. Ich wusste, dass irgendetwas an seiner Schlussfolgerung falsch war, aber ich konnte noch nicht genau sagen, was. So stand ich nur da, war sprachlos und geriet immer mehr aus der Fassung. Ich hätte ihn gern geschlagen. Warum ich es nicht tat – ich weiß es nicht. Dann fiel mir eine Antwort ein:
›Hör zu, Vetter‹, sagte ich zu ihm, ›die, die einander lieben, leben zusammen, und die, die Feinde füreinander sind, leben getrennt. Du hast versucht, den Schwan zu töten, also seid ihr Feinde. Der Vogel kann mit dir nicht leben. Ich habe ihn gerettet, seine Wunde verbunden, ihn gewärmt, und ich war gerade dabei, etwas Essen für ihn zu holen, als du ankamst. Der Vogel und ich, wir lieben einander, und wir können zusammenleben. Der Vogel braucht mich, nicht dich.‹«
Sujata klatschte in die Hände. »Das ist richtig. Du hattest recht!«
Siddhartha sah Svasti an. »Und was denkst du, Kind, über meine Aussage?«
Svasti dachte einen Moment lang nach und antwortete dann langsam: »Ich denke, dass du recht hattest. Aber nur wenige Menschen würden dem zustimmen. Die meisten würden auf Seiten Devadattas sein.«
Siddhartha nickte: »Du hast recht. Die meisten Menschen folgen Devadattas Ansicht.
Ich will euch erzählen, was als Nächstes passierte: Da wir uns untereinander nicht einigen konnten, beschlossen wir, unsere Angelegenheit den Erwachsenen vorzutragen. An diesem Tag fand im Palast eine Versammlung der Regierung statt, und wir eilten zur Gerichtshalle, wo sie sich trafen. Ich hielt den Schwan, und Devadatta umklammerte seinen Bogen und die Pfeile. Wir stellten den Ministern unser Problem dar und baten sie, ein Urteil zu fällen. Die Staatsgeschäfte kamen zum Erliegen, als die Männer zunächst Devadatta und dann mir zuhörten. Ausführlich diskutierten sie die Angelegenheit, aber auch sie konnten sich nicht einig werden. Die Mehrheit schien Devadatta zustimmen zu wollen; da räusperte sich mein Vater, der König, auf einmal unvermittelt und hustete einige Male. Alle Minister hörten plötzlich auf zu reden, und dann, völlig übereinstimmend – findet ihr das nicht auch merkwürdig? –, einigten sie sich darauf, dass mein Standpunkt der richtige sei und der Vogel mir gegeben werden müsse. Devadatta war außer sich vor Zorn, aber er konnte natürlich nichts dagegen tun.
Ich hatte zwar nun den Vogel, aber ich war nicht wirklich glücklich. Auch wenn ich noch jung war, so wusste ich doch, dass mein Sieg alles andere als ehrenhaft gewesen war. Den Vogel hatte ich bekommen, weil die Minister meinem Vater gefallen wollten, nicht, weil sie die Wahrheit in dem, was ich sagte, sahen.«
»Das ist traurig«, sagte Sujata und runzelte die Stirn.
»Ja, das war es. Aber als meine Gedanken zu dem Vogel zurückkehrten, fand ich Trost in der Tatsache, dass er gerettet war. Andernfalls hätte er sicher in einem Kochtopf sein Ende gefunden.
In dieser Welt sehen nur wenige Menschen mit den Augen des Mitgefühls, und so sind wir oft grausam und unbarmherzig zueinander. Die Schwachen werden immer von den Starken unterdrückt. Ich sehe noch immer, dass mein Denken an jenem Tag richtig war, denn es erwuchs aus Liebe und Verstehen. Liebe und Verstehen können die Leiden aller Wesen lindern. Die Wahrheit ist die Wahrheit, ob sie nun von der Mehrheit akzeptiert wird oder nicht. Daher sage ich euch, Kinder, dass es großen Mutes bedarf, für das einzustehen, was richtig ist, und es zu beschützen.«
»Was geschah mit dem Schwan?«, fragte Sujata.
»Vier Tage lang habe ich für ihn gesorgt. Als ich sah, dass die Wunde verheilt war, ließ ich ihn frei, nachdem ich ihm noch zugeredet hatte, weit weg zu fliegen, damit er nicht erneut getroffen wird.«
Siddhartha sah die beiden Kinder an, deren Gesichter ruhig und ernst aussahen. »Sujata, du musst nach Hause zurückkehren, bevor deine Mutter sich zu sorgen beginnt. Svasti, ist es nicht Zeit für dich, zu deinen Büffeln zurückzugehen und noch etwas Gras für sie zu schneiden? Der Armvoll Kusagras, den du mir gestern gegeben hast, ergab ein wunderbares Kissen für die Meditation. Vergangene Nacht und heute Morgen habe ich darauf gesessen, und meine Meditation war sehr friedvoll. Ich sah viele Dinge in großer Klarheit. Du warst eine große Hilfe, Svasti. Wenn mein Verstehen sich vertieft, werde ich die Frucht meiner Meditation mit euch beiden teilen. Nun will ich weiter sitzen.«