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In Ludwig Tiecks Roman 'William Lovell' wird die Geschichte des namensgebenden Protagonisten erzählt, der auf der Suche nach seinem Platz in der Welt ist. Der Roman vereint Elemente des Sturm und Drang und der Romantik und präsentiert einen tiefgründigen Einblick in die Psyche des Protagonisten. Tiecks literarischer Stil zeichnet sich durch eine reiche Sprache und eine sorgfältige Charakterentwicklung aus, die den Leser tief in die Welt von William Lovell eintauchen lässt. Der Roman reflektiert auch die politischen und gesellschaftlichen Unruhen seiner Zeit, die Tiecks Werk prägten. Als einer der bekanntesten deutschen Romantiker hat Ludwig Tieck mit 'William Lovell' ein Meisterwerk geschaffen, das bis heute als wichtiger Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte gilt. Der Autor, der selbst als wichtige Figur in der Romantik gilt, brachte in diesem Werk seine eigenen philosophischen Überzeugungen und literarischen Ideale zum Ausdruck. Tiecks leidenschaftliches Engagement für die Befreiung des Individuums und seine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konventionen prägen 'William Lovell' und machen es zu einem einzigartigen und fesselnden Leseerlebnis. Dieses Buch ist unbedingt empfehlenswert für Leser, die an der deutschen Romantik interessiert sind und sich von einem reichhaltigen und psychologisch nuancierten Roman fesseln lassen möchten.
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Seitenzahl: 924
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We make ourselves fools, to disport ourselves; And spend our flatteries, to drink those men, Upon whose age we roid it up again, With poisonous spite, and envy. Who lives, that’s not Depraved, or depraves? who dies, that bears
Ich will und kann hier nur wenig sagen. Diese Geschichte hat vielleicht für diejenigen Leser einiges Interesse, die in einer Erzählung die Charaktere und ihre bestimmte Zeichnung für die Hauptsache halten: diejenigen, die sich daran gewöhnt haben, nur abenteuerliche, unzusammenhängende Begebenheiten anziehend zu finden, werden dieses Buch verdrüßlich aus der Hand werfen. Ich wende mich hier vorzüglich an alle die Leser, die irgend einen Beruf zum Rezensieren fühlen, um sie zu ersuchen, dieser Geschichte, die in drei Teilen erscheinen wird, nicht bloß nach diesem ersten ein Verdammungsurteil zu sprechen.
Bonstreet in Yorkshiream 17. Mai …
Wie kömmt es denn in aller Welt, daß Du nicht schreibst? Hundert Mutmaßungen sind mir schon durch den Kopf geflogen, aber auch nicht eine hat eine bleibende Stelle finden können. Bald halt’ ich Dich für tot, bald für verreist, bald glaub’ ich Dich irgend wodurch erzürnt zu haben, bald Deine Briefe auf der Post verloren. Doch, wie gesagt, von allem kann ich nichts glauben. – Oder bist Du etwa auch ein Überläufer geworden und hast zur schwarzen Fahne der traurigen, langweiligen Ernsthaftigkeit geschworen? – Es sollte mir leid um Dich tun; aber wenn Du mir nicht launige Briefe schreiben willst, so schicke mir wenigstens ernsthafte: doch, wie gesagt, ich will es nicht von Dir hoffen, denn Du bist wie dazu geboren, aus Deinem ganzen Leben einen Scherz zu machen und in der Laune, wie in Deinem Elemente zu leben. Ich habe noch bei niemand diese glückliche Mischung des Temperaments gefunden, die ihn mit vollen Segeln über die tanzenden Wellen hinführt, indes ihm die zeitlichen Sorgen schwer, unbeholfen und mit zerrissenem Tauwerk nachrudern, ohne ihn jemals einzuholen. – Ich schreibe Dir diesen Brief als eine Bittschrift, oder als eine Kriegserklärung, antworte mir freundschaftlich oder ergrimmt, – nur schreib! – Sei traurig, wehmütig, großherzig, kriegerisch, lustig, ernsthaft; lobe, tadle, verachte, schimpfe mich, – nur schreib!
Nach dieser pathetischen Anrufung bleibt mir nun nichts weiter übrig, als meinen eigentlichen Brief anzufangen, der Dir also vors erste sagen mag, daß ich hier in dem angenehmen Bonstreet noch gesund und wohl bin, daß ich an Dich denke, daß ich Dich zu sehn wünsche, daß London nicht Bonstreet und Bonstreet nicht London ist, und daß, wenn ich diesen Brief in dieser Manier zu schreiben fortfahre, Du ihn schwerlich zu Ende lesen wirst.
Nicht wahr, Du siehst mir das langweilige Leben hier auf dem Lande schon an? – So abgetrieben war mein Witz nicht, als ich in Euren lustigen Gesellschaften in London war, wo Wein, Gesang, Tanz und Küsse von den reizendsten Lippen uns begeisterten, wo unsre Laune mit sechs muntern Pferden über die ebne Chaussee des Leichtsinns und der Vergessenheit aller Wichtigkeiten und Armseligkeiten dieses Lebens dahinrollte, – nun, wir werden uns wiedersehn! – Hier komm’ ich mir vor wie eine Schnecke, die nur immer furchtsam mit halbem Leibe ihre Behausung verläßt und langsam und schwerfällig von einem Grashalme zum andern kriecht; – zwar ist die Gegend sehr schön, der Garten angenehm, auch veranstaltet uns der Himmel manchen prächtigen Sonnenuntergang, – aber was ist eine Gegend, sei sie noch so schön, ohne Freunde, die unsre Freuden mit genießen? nichts als ein Rahm ohne Gemälde; wir sehn nur die Veranlassung, die uns vergnügen könnte. So leb ich hier einen Tag fort, wie den andern, zuweilen bekommen wir Besuche und erwidern sie, – und so leben wir im ganzen nicht unangenehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht wäre!
Mein beständiger Gesellschafter ist William Lovell, der lebhafte, muntre Jüngling, den Du im vorigen Jahre einigemal in London sahst, er ist zum Besuche seines Busenfreundes Eduard Burton hier. William ist ein vortrefflicher junger Mann, der mir noch viel teurer sein würde, wenn er nur einmal erst neben mir festen Fuß fassen wollte; aber er gedeiht in keinem Boden. Kein Adler steht mit dem Äther und allen himmlischen Lüften in so gutem Vernehmen, als er; oft fliegt er mir so weit aus den Augen, daß ich ganz im Ernste an den armen Ikarus denke, – mit einem Wort: er ist ein Schwärmer. – Wenn ein solches Wesen einst fühlt, wie die Kraft seiner Fittige erlahmt, wie die Luft unter ihm nachgibt, der er sich vertraute, – so läßt er sich blindlings herunterfallen, seine Flügel werden zerknickt und er muß nachher in Ewigkeit kriechen.
Es mag an feuchten Abenden, besonders für einen Mann im Amte, recht angenehm sein, einen weiten warmen Mantel zu tragen, – – aber wenn man ihn nie ablegen sollte, wenn man ihn zum Schlafrocke und zum Jagdkleide brauchen müßte, so möcht’ ich dafür lieber beständig in meinem schlichten Fracke gehn. Der Trank der Hippokrene mag ein ganz gutes Wasser sein, aber sich den Magen damit zu erkälten und ein Fieber zu bekommen, kann doch so etwas besonders Angenehmes nicht sein. Es gibt aber Leute, die sich für die entgegengesetzte Meinung totschießen ließen; und unter diesen steht William wahrhaftig nicht im letzten Gliede. Wir haben sehr oft unsre kleinen Disputen darüber, und was das schlimmste ist, so werd’ ich jedesmal aus dem Felde geschlagen; aber ganz natürlich, denn wenn ich etwa nur Lust habe, mit leichter Reuterei zu scharmutzieren, so schießt er mir mit Vierundzwanzigpfündern unter meine besten Truppen: wenn sich zuweilen nur ein paar Husaren von witzigen Einfällen an ihn machen wollen, so schleppt er mit einemmale einen ganzen Train schwerer Allgemeinsätze herbei, als: Lachen sei nicht der Zweck des Lebens, unaufhörliche Lustigkeit setze einen Mangel aller feinem Empfindung voraus, u. s. w. Oder er zieht sich unter die Kanonen seiner Festung, seufzt und antwortet gar nicht.
Du wirst gewiß fragen: was den unbefangenen, leichtherzigen William zu einem so schwermütigen Träumer gemacht habe? – Ich will Dir die Ursache entdecken, ob er gleich gegen sich selbst geheim damit tut, – er ist verliebt! – Liebe, die den Menschen, froher, glücklicher machen, die seinen Ellenbogen einen Zentner Kraft zusetzen sollte, um alle Sorgen aus dem Wege auf die Seite zu stoßen: – die Liebe, – o Himmel! was hat die Liebe nicht schon in der Welt Böses getan?
Wenn noch irgend ein Stück von dem ehemaligen Mortimer an Dir ist, so wett’ ich, Du wirst wissen wollen, wer denn die allmächtige Sonne sei, die mit ihren brennenden Strahlen das Herz des armen William, – niemand anders, als meine Schwester. – Sie hat gewiß seine Liebe bemerkt, aber er scheint es nicht bemerkt zu haben, daß ihr diese Bemerkung nicht mißfallen hat, denn es fehlt nur wenig, so liebt sie ihn wieder. Es gibt die lächerlichsten Szenen, wie er ihr oft im Garten ausweicht und sie emsig in der nächsten Allee wieder sucht, wie sie Stunden lang miteinander zubringen, ohne fast nur eine Sylbe zu sprechen; wie er seufzt und sich wunder wie unglücklich fühlt, daß sie sich ihm nicht freiwillig in die Arme wirft; um kurz zu sein: er ist unglücklich, weil er glücklich ist, – aber auch wieder glücklich, weil er an Unglück Überfluß hat, denn glaube mir nur, er würde seine poetischen Leiden um vieles Geld nicht verkaufen.
Plötzlich kam die Nachricht: meine Schwester solle von hier abreisen. Ihr Besuch bei mir und beim alten Burton war so immer schon von einer Woche zur andern verlängert; – der Barometer stieg um viele Grade und immer mehr, je näher es dem Tage der Abreise kam. Fast jedermann bemerkte seine Schwermut, er behauptete aber jedem mit einer kecken verdrossenen Traurigkeit ins Gesicht: er wäre noch nie so aufgeräumt gewesen. Er machte sich itzt zuweilen an mich und ging auf den Spaziergängen lange neben mir auf und ab; ich fürchtete immer, plötzlich in die Rolle eines Vertrauten geworfen zu werden, und unter Bedrohung des Totschlages, des Untergangs der Welt, oder einer ähnlichen Kleinigkeit, ein öffentliches Geheimnis zu erfahren; aber nein, ich hatte geirrt, dazu hätt’ ich wenigstens vorher mein Probestück in Seufzen und Weinen ablegen müssen. – Mit einer so erzwungenen Kälte, daß ihm fast die Tränen in den Augen standen, fragte er mich: ob ich meine Schwester nicht zu Pferde begleiten würde? – nun merkte ich, wo er hinaus wollte. – Er wünschte, ich möchte meine Schwester einige Meilen begleiten, damit er einen Vorwand haben könnte, mitzureiten. Es hat mich wirklich gerührt, daß ihm an dieser Kleinigkeit so viel lag, er ist ein sehr guter Junge, – ich sagte sogleich ja, und bat ihn selbst um seine Gesellschaft. – Morgen reiten wir also. –
Sind die Menschen nicht närrische Geschöpfe? Wie manches Unglück in der Welt würde sich nicht ganz aus dem Staube machen und sein Monument bis auf die letzte Spur vertilgt werden, – wenn nicht jeder sorgsam selbst ein Sternchen oder einen Stein auf die große Felsenmasse würfe, – bloß um sagen zu können: er sei doch auch nicht müßig gewesen, er habe doch das Seinige auch dazu beigetragen? Gingen wir stets mit uns selbst gerade und ehrlich zu Werke, ließen wir uns nicht so gern von kränklichen Einbildungen hintergehn, glaube mir, die Welt wäre viel glücklicher und ihre Bewohner viel besser. – Aber denkst Du, daß ich es wage, ihm so etwas zu sagen? – Nie. – Sonderbar, daß ein Mensch vorsätzlich einschlafen kann und sich nachher nicht aus seinen Träumen will wecken lassen, weil er sich schon wachend glaubt, – und ihn mit kaltem Wasser zu begießen, halte ich für grausam.
Du siehst, wie mir die Landluft bekömmt, ich, ich fange an zu moralisieren, – doch, auch das gehört unter die menschlichen Schwächen und irgend eine Abgabe zur allgemeinen Kasse der Menschlichkeit muß doch jeder brave Erdbürger einreichen.
Gott schenke Dir ein recht langes Leben, damit ich mir keinen Vorwurf daraus zu machen brauche, daß ich Dir durch einen langen Brief so viel von Deiner Zeit genommen habe; doch willst Du mein Freund bleiben, so soll es mich eben nicht sehr gereuen, noch hinzuzusetzen, daß ich bin
der Deinige.
Nachschrift. Soeben lese ich meinen Brief noch einmal durch und bemerke mit Schrecken, daß ich Dir einen Bündel Stroh schicke, in welchem Du, mit Shakespeare zu reden, auch nicht ein einziges Korn finden wirst. Ich setzte mich nämlich nieder, Dir zu schreiben, daß meine Schwester nach London zurückgeht und daß Du sie nun also kannst kennen lernen; daß ich nicht nach London reise, weil es der alte Burton ebenso ungern als sein Sohn sehen würde, – der alte Mann scheint an meiner Gesellschaft Geschmack zu finden, – und wer weiß, ob ich es auch außerdem getan haben würde.
Wieso? hör’ ich dich fragen. – Könnt’ ich nun den Brief nicht schließen und Dich mit Deiner Frage im offnen Munde stehn lassen und das Petschaft besehn? – Hättest Du nicht Gelegenheit, in einem Briefe an mich Deinen Scharfsinn zu zeigen und mir tausend Erklärungen zu schicken, ohne auch nur der wahren mit einer Sylbe zu erwähnen? – –
Der junge Burton, – (der wirklich ein vortrefflicher Jüngling ist; schade, daß ich zeitlebens nicht so sein werde) – der junge Burton also hat eine Schwester, die zugleich die Tochter des Alten ist –
Sei nur ruhig, ich werde nie in die Grube fallen, die sich Lovell gegraben hat!
Ich habe mir ernsthaft vorgenommen, daß es keine Liebe werden soll, – denn, – sieh, wie schön das zusammenhängt! – denn mein Vermögen ist gegen das ihrige viel zu geringe. –
Du lachst? – Und würde die Welt nicht über Dich lachen, wenn Du den Zusammenhang hier vermißtest? –
Auch William Lovell kömmt nächstens nach London, und darum bilde Dir ein, daß ich soviel von ihm geschrieben haben könnte. –
Ich bin noch einmal, – (denn so etwas kann man nicht zu oft sein) – Dein zärtlichster Freund.
Karl Wilmont.
am 18ten Mai –
Ich schreibe Dir, Eduard, aus einem Wirtshause hinter York, es ist Nacht und Karl schläft im Nebenzimmer, – alles umher ist feierlich und still, die Klocke eines entfernten Dorfes tönt manchmal wie Grabgeläute zu mir herüber. –
Einsam sitz’ ich hier, wie ein Elender, der aus einem goldenen Traume in seiner engen Hütte erwacht. – Die schmelzenden Akkorde der Symphonie sind geschlossen, das Theater ist zugefallen, ein Licht nach dem andern verlöscht. – In diesem Gefühle schreib’ ich Dir, Freund, Bruder, meine Seele sucht Teilnahme und findet sie bei Dir am reinsten und wärmsten.
Ich bin nie so aufmerksam als in diesen Augenblicken darauf gewesen, wie von einem kleinen Zufalle, von einer unbedeutenden Kleinigkeit oft die Wendung unsers Charakters abhängt. Ein unmerklicher Schlag richtet und formt unsern Geist oft anders; wer kennt die Regeln, nach denen unser schützender Genius umgewechselt wird? – Eduard, eine dunkle, ungewisse Ahndung hat mich befallen, als sei hier, in diesen Momenten eine der Epochen meines Lebens, mir ist, als säh’ ich meinen guten Engel weinend von mir Abschied nehmen, der mich nun unbewacht dem Spiel des Verhängnisses überläßt, – als sei ich in eine dunkle Wüste hinausgestoßen, wo ich unter den dämmernden Schatten halb ungewisse feindselige Dämonen entdecke.
Ja Eduard, spotte nicht meiner Schwäche, ich bin in diesen Augenblicken abergläubig wie ein Kind, Nacht und Einsamkeit haben meine Phantasie gespannt, ich blicke wie ein Seher in den tiefen Brunnen der Zukunft hinab, ich nehme Gestalten wahr, die zu mir emporsteigen, freundliche und ernste, aber ein ganzes Heer furchtbarer Gebilde. Der ebne Faden meines Lebens fängt an, sich in unauflösliche Knoten zu verschlingen, über deren Auflösung ich vielleicht vergebens meine Existenz verliere.
Bis itzt ist mein Leben ein ununterbrochener Freudentanz gewesen, kindlich habe ich meine Jahre verscherzt und mich lachend der flüchtigen Zeit überlassen, in der hellen Gegenwart genoß ich und weidete mich an Träumen einer goldenen Zukunft, in der glücklichsten Beschränktheit liebt’ ich Gott wie einen Vater, die Menschen wie Brüder und mich selbst als den Mittelpunkt der Schöpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohltaten ziele. Itzt steh’ ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernster Grausamkeit verwiesen werde, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden, – und werd’ ich glücklicher sein, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zurückkehre?
Und hab’ ich denn ein Recht über mein Unglück zu klagen? und bin ich wirklich unglücklich? – Liebt mich denn Amalie, ist sie mein, daß mich ihre Entfernung traurig machen darf? Bin ich nicht der Sohn eines zärtlichen Vaters, der Freund eines edlen Freundes? und ich spreche von Elend? – Wozu dieser Eigensinn, daß ich mir einbilde, nur sie sei meine Seligkeit? Ja, Eduard, ich will meiner Schwäche widerstehn, aber Sehnsucht und Wünsche sind nicht Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schicksal rechten, aber Klagen sind der Schwäche des Menschen vergönnt; wer noch nie seufzte, hat noch nie verloren.
Wie ein Gewicht drückt eine ängstliche Beklemmung meine Brust, wenn ich an die wenigen glücklichen Tage in Bonstreet zurückdenke und damit die lange, lange freudenleere Zukunft vergleiche. Die Liebe zog mich ans Licht, das Morgenrot schwang durch den Himmel seine purpurrote Fahne, alle Berge umher glühten und flammten im freudenreichen Scheine, – itzt ist die Sonne wieder untergesunken, eine öde Nacht umfängt mich. Ich habe meinen lieben Gefährten verloren und rufe durch den dunkeln Wald vergeblich seinen Namen, ein hohles Echo wirft mir ihn ohne Trost zurück, die weite einsame Leere kümmert sich nicht um meinen Jammer. Ein schneidender Wind bläst schadenfroh über mein Haupt dahin und schüttelt das letzte Laub von den Bäumen.
Schwarz war die Nacht und dunkle Sterne brannten
Durch Wolkenschleier matt und bleich,
Die Flur durchstrich das Geisterreich,
Als feindlich sich die Parzen abwärts wandten
Und zorn’ge Götter mich ins Leben sandten.
Die Eule sang mir grause Wiegenlieder
Und schrie mir durch die stille Ruh
Ein gräßliches: Willkommen! zu.
Der bleiche Gram und Jammer sanken nieder
Und grüßten mich als längst gekannte Brüder.
Da sprach der Gram in banger Geisterstunde:
Du bist zu Qualen eingeweiht,
Ein Ziel des Schicksals Grausamkeit,
Die Bogen sind gespannt und jede Stunde
Schlägt grausam dir stets eine neue Wunde.
Dich werden alle Menschenfreuden fliehen,
Dich spricht kein Wesen freundlich an,
Du gehst die wüste Felsenbahn,
Wo Klippen dröhn, wo keine Blumen blühen,
Und nimmer matt der Sonne Strahlen glühen.
Die Liebe, die in allen Wesen klingt,
Des Erdenglückes schönste Freuden,
Die Götter selbst dem Menschen neiden,
Durch die er sich zum höchsten Äther schwingt,
Vermessen mit dem Glück des Himmels ringt –
Die Liebe sei auf ewig dir versagt.
Das Tor ist hinter dir geschlossen,
Auf der Verzweiflung wilden Rossen
Wirst du durchs öde Leben hingejagt,
Wo keine Freude dir zu folgen wagt.
Dann sinkst du in die ew’ge Nacht zurück,
Sieh tausend Elend auf dich zielen,
Im Schmerz dein Dasein nur zu fühlen!
Nur erst im ausgelöschten Todesblick
Begrüßt voll Mitleid dich das erste Glück. –
Ich komme mir in vielen Momenten wie ein Kind vor, welches jammert, ohne selbst zu wissen, worüber. Ich komme soeben von einem kleinen Spaziergange aus dem Felde zurück: der Mond zittert in wunderbaren Gestalten durch die Bäume, der Schatten flieht über das Feld und jagt sich hin und her mit dem Scheine des Mondes; die nächtliche Einsamkeit hat meine Gefühle in Ruhe gewiegt, ich sehe mich und die Welt gemäßigter an und kann itzt mein Unglück nur in mir selber finden. Ich ahnde eine Zeit, in welcher mir meine jetzigen Empfindungen wie leere kindische Träume vorschweben werden, wo ich mitleidig über diesen Drang des Herzens lächle, der itzt meine Qual und Seligkeit ist, – und soll ich es Dir gestehn, Eduard? – Diese Ahndung macht mich traurig. – Wenn dieses glühende Herz nach und nach erkaltet, dieser Funke der Gottheit in mir zur Asche ausbrennt und die Welt mich vielleicht verständiger nennt, – was wird mir die innige Liebe ersetzen, mit der ich die Welt umfangen möchte? – Die Vernunft wird die Schönheiten anatomieren, deren holder Einklang mich itzt berauscht: ich werde die Welt und die Menschen mehr kennen, aber ich werde sie weniger lieben, – sobald man die Auflösung zum sinnreichsten Rätsel gefunden hat, erscheint es abgeschmackt.
Mein Brief scheint mir itzt übertrieben, ich möchte ihn zerreißen, ich bin unwillig auf mich selbst, – aber nein, ich will mir meine Beschämung vor Dir nicht ersparen. Ich will Dir daher auch gestehen, daß, indem ich schrieb, eine Art von Trost für mich in dem Bewußtsein lag, daß ich auch Dich nun bald verlassen müsse; dadurch schien mir meine Bitterkeit gegen mein Schicksal gerechtfertigt. – Doch itzt sind alle diese Träume verschwunden, itzt fühl’ ich es innig, daß Du meiner Existenz unentbehrlich bist, aber ebenso tief empfind’ ich es auch, daß mir das Andenken an Amalien nie wie ein trüber Traum erscheinen wird, in einem Momente nur konnte mich diese Ahndung hintergehn, – ihre Gegenliebe würde mich zum Gott machen! Nie werde ich den Blick vergessen, mit dem sie mich so oft betrachtet hat, die holdselige Güte, mit der sie zu mir sprach, alles, alles hat sich so in alle meine Empfindungen verflochten, so innig bis an meine frühsten Erinnerungen gereiht, daß ich nichts davon verlieren kann, ohne an Glück zu verlieren. – Ach, Eduard, – wenn sie mich liebte! – Mein volles Herz will vor Wehmut bei dem Gedanken zerspringen, – wenn sie mich liebte, – warum bin ich dann nicht an ihren Busen gesunken, – warum sitz’ ich dann hier und schreibe nieder, was ich empfinde und empfinden könnte? – Als der freie Platz im Walde kam, wo wir Abschied nehmen wollten, – alle Bäume und Hügel schwankten um mich her, – eine unbeschreibliche Angst drängte und wühlte in meinem Busen, – der Wagen wollte halten, ich ließ ihn weiterfahren und so immer in Gedanken von einem Baume zum andern fort, – immer noch eine kurze Frist gewonnen, in der ich sie sah, in der ich den Klang ihrer Stimme hörte, – endlich stand der Wagen. – Wir stiegen ab. – Sie umarmte ihren Bruder lange Zeit, – ich nahte mich zitternd, – ich wünschte diesen Augenblick im Innersten meines Herzens vorüber, – sie neigte sich mir entgegen, – ich schwankte und sähe sie an, – ich war im Begriffe in ihre Arme zu stürzen, – – ich bog mich ihr entgegen und küßte ihre Wange, – eine eisige Kälte überflog mich, – der Wagen rollte fort.
Bei einer Waldecke sah sie noch einmal mit dem holden göttlichen Blicke zurück, – o mir war’s, als würd’ ich in ein tiefes unterirdisches Gefängnis geschleppt. –
Warum hab’ ich ihr nicht gesagt, wie viel sie meiner Seele sei? – Wenn ich ihren letzten Blick nicht mißverstand, – war es nicht Schmerz, Traurigkeit, die daraus sprachen? – aber vielleicht für ihren Bruder? – Aber die Innigkeit, mit der sie mich betrachtete? – O, eine schreckliche Unruhe jagt das Blut ungestümer durch meine Adern!
Itzt schläft sie vielleicht. Ich muß ihr im Traume erscheinen, da ich so innig nur sie, nur sie einzig und allein denken kann. – Bald kömmt sie nun in London an, macht Bekanntschaften und erneuert alte, man schwatzt, man lobt, man vergöttert sie, schmeichlerische Lügner schleichen sich in ihr Herz – und ich bin vergessen! – Kein freundlicher Blick wendet sich zu mir in der nüchternen Einsamkeit zurück, ich stehe dann da in der freudenleeren Welt, einer Uhr gleich, auf welcher der Schmerz unaufhörlich denselben langsamen einförmigen Kreis beschreibt.
Karl lächelte als wir zurückritten. Ich hätte weinen mögen. – O, warum müssen denn Menschen so gern über die Schmerzen ihrer Brüder spotten? – Wenn es nun auch Leiden sind, von denen sie keine Vorstellung haben, oder die sie für unvernünftig halten, – o sie drücken darum das Herz nicht minder schwer. – Ich bedurfte Mitleid, ein empfindendes Herz, – und ein spottendes Lächeln, eine kalte Verachtung, o Eduard, mir war als klopft’ ich im Walde verirrt an eine Hütte und nichts anwortete mir aus dem verlassenen Hause, als ein leiser, öder Widerhall. –
Lebe wohl. Ich will itzt gleich auf einige Tage meine Tante Buttler in Waterhall besuchen, – grüße Deine liebe Schwester und verzeih mir meine Schwäche; doch ich kenne ja Dein Herz, das alle Leiden der Menschheit mitempfindet, über nichts spottet, was den Mut des schwächern Bruders erschüttert, der sich mit den Fröhlichen freut und mit den Weinenden weint. – Lebe wohl.
Bonstreet.
So wie ich’s vernommen, so hält sich ja jetzt mein lieber junger Herr auf Deinem Gute auf. – Bewirte ihn recht ordentlich und ich will es ansehen, als wäre es dem alten Willy geschehn. – Er ist also, wie gesagt, entweder schon da, oder er wird noch hinkommen, zu Pferde saß er wenigstens schon vorgestern und das so hübsch und geschickt, als nur ein Mensch in den drei Königreichen zu Pferde sitzen kann, der ein Frauenzimmer begleiten will, die in einer Chaise nach London fuhr. – Wie gesagt, Fräulein Malchen ist vorgestern also auch abgereist. So wird’s nun nach und nach bei uns leer, aber der lustige Herr Wilmont ist gestern schon mit seinem Schimmel zurückgekommen, er war ordentlich etwas müde und hatte nebenher ein Eisen verloren.
Der alte Toby hier im Dorfe ist nun endlich wirklich gestorben, von dem wir es immer schon vor 20 Jahren zusammen prophezeiten, – und ich dachte dabei an Dich, guter Tom, denn Du bist fast ebenso alt, als er nun gewesen ist, – aber ich hoffe, Gott wird Dir noch einmal einen kleinen Vorschuß tun, wie vor zehn Jahren, als Du die große Krankheit hattest, und ich immer des Nachts so viel für Dich beten mußte. – Dafür rechne ich nun aber auch auf Dich, was das Beten anbetrifft, vollends da ich nun bald in fremde Länder komme, wo man meine Sprache nicht mehr versteht.
Ja, lieber Tom, – Du kannst Dich immer wundern, ging es mir doch um kein Haar besser und ich hatt’ es doch schon vorher gewußt. – Ich soll mit meinen alten Augen noch fremde Länder sehn, – Italien, Frankreich, – je nun, wenn’s nur nicht in die Türkei ist, solange ich noch Religionsverwandte antreffe, denk’ ich immer noch unter guten Freunden zu sein, wo aber die Türken angehn, da ist es mit der Freundschaft aus, – denn wer nicht meinen Gott liebt, der kann auch mich nicht lieben, sie sollen a part einen Gott ganz für sich haben, und des Brot ich esse, des Lied ich singe.
Wenn ich aber meinen lieben Bruder nicht Wiedersehen sollte? Denn der Herr William sprach da so etwas von ein paar Jahren, die die Reise kosten würde; (das Geld abgerechnet) – Ja, wollt’, ich nur sagen, wenn ich nun so wiederkäme und hätte die ganze Welt gesehn, – was half’ es mir, wenn ich meinen Bruder Tom nicht mehr sehen könnte? – Mir war schon immer, als säh’ ich ein schwarzes Kreuz auf einem grünen Hügelchen da in der Ecke des Kirchhofs stehn, wo der große Nußbaum gewachsen ist, – und Deinen Namen Thomas, mit großen Buchstaben darauf, so recht als mir zur Kränkung; o lieber Bruder, ich würde lieber wünschen mit Dir hinterm Ofen gesessen zu haben, um uns vom Schottischen Kriege zu erzählen. – Darum besuche mich, ich hätte gestern fast geweint, und das schickt sich doch nicht, Thomas, für so einen alten Mann. Nicht wahr, darin gibst Du mir recht?
Vom Gelde sprich nicht wieder. Du bist ja mein Bruder, wir sind ja alte Männer; könnt’ ich Dir mit aller meiner Armseligkeit noch Leben ankaufen, frage nicht, ob ich’s täte. – Komm nach Bonstreet, oder laß Dich herfahren, denn Deine Füße sind in dem Alter nicht mehr zum Gehn geboren. – Das Geld ist Dein, Du bist lange krank gewesen, und mein Herr gibt mir immer mehr als ich brauche. – Wie kann ein Bruder dem andern etwas schuldig sein? Gott sind wir alles schuldig, und der behüte Dich deswegen.
Willy, Dein Bruder bis ewig.
Bonstreet.
Ich vermute, daß Du einige Tage in Waterhall bleiben wirst und darum schick’ ich Dir diesen Brief, der gestern angekommen ist. – Sei mein Freund, mehr kann ich Dir nicht sagen, und wenn Du es bist, so sei heitrer, kälter. – Ich füge nichts mehr hinzu, denn Du bist in einer Lage, in der Du mich fast mißverstehen mußt; könntest Du mich ganz verstehen, so wäre überdies alles überflüssig, was ich Dir sagen könnte. – Vergiß aber nie, daß Dein Wohl meinem Herzen näher liegt, als mein eigenes.
Eduard Burton.
London.
Du hast lange nicht geschrieben, lieber William, und daraus schließe ich und Deine Mutter, daß es Dir noch immer in den Armen Deines Freundes und der schönen Natur gefalle. – Diese Jahre, in denen Du lebst, sind die Jahre des reizendsten Genusses, darum genieße, wenn Du auch etwas von dem vergessen solltest, was Du ehemals wußtest: wenn Dein Verstand in der stillen Betrachtung der Natur und ihrer Schätze bereichert wird, so kannst Du gewisse Gedächtnissachen indes als ein Kapital irgendwo unterbringen und Du bekömmst sie nachher mit reichen Zinsen zurück. Vielleicht wird dadurch auch Deine Gesundheit so sehr befestigt, daß Du nicht, wie ich, von tausend Unfällen zu leiden hast, ungehindert können dann alle Deine Kräfte in der glücklichsten Tätigkeit wirken, wenn der Schwächere erst von tausend umgebenden Kleinigkeiten die Erlaubnis dazu erbitten muß.
Seit einigen Tagen bewohne ich ein Landhaus, ganz nahe bei London, dasselbe, von dem ich Dir schon mehrmals geschrieben habe, daß ich es vielleicht kaufen würde. Es liegt ziemlich angenehm, im Garten hat man eine schöne Aussicht, das Haus ist gut gebaut, simpel, aber mit Geschmack, alles ohne Pracht, aber auch ohne unbequeme bäurische Einfalt. – Meine Unpäßlichkeiten scheinen zurückgeblieben zu sein, ich halte die Luft hier in der Ebene für reiner und gesunder, als dort auf den Bergen. – Meine neuliche Krankheit hat mich aber wieder auf die Zerbrechlichkeit des Lebens aufmerksam gemacht, ich komme in ein Alter, in welchem man sich mehr von der Welt zurückzuziehn wünscht, und einen kleinen lieben Zirkel zu bilden, in dem ein jeder Gedanke und jedes Gefühl bekannt ist, – o lieber William, ich hab’ es mir so schön ausgemalt, was für ein Leben ich führen will, wenn Du nun als gebildeter Mann von Deinen Reisen zurückgekehrt sein wirst, wie ich dann meine letzten Tage in vollem frohen unbefangenen Genuß verleben will; dann will ich von allen Stürmen ausruhn, die so oft den Horizont meines Lebens trübten, – nur muß ich mich hüten, diesen Genuß zu weit hinauszuschieben, ich muß anfangen mit meinen Stunden zu sparen, ein Jahr ist schon eine sehr große Summe für mich, das der verschwendende, im Überflüsse frohlockende Jüngling oft so gleichgültig ansieht. Ich sah von ohngefähr in den Spiegel, meine Haare fangen wirklich schon an grau zu werden, darum wünscht’ ich sehnlich, daß Du Deine Reise so bald als möglich antreten mögest, noch früher, als wir neulich ausgemacht hatten, – antworte mir doch hierauf sogleich, oder besuche uns lieber selbst. Für einen ältern Freund zu Deiner Begleitung will ich indessen Sorge tragen. – Lebe wohl, bis ich Dich wieder an mein Herz drücken kann.
Dein Vater, Walter Lovell.
Waterhall.
In einigen Tagen komme ich zu Dir zurück, um auf lange Abschied zu nehmen. Mein Vater wünscht meine Abreise aus England früher, er ist fast immer krank und ich fürchte wirklich viel für ihn. Es ist also Kindespflicht, es ist die Pflicht des Menschen, daß ich jedem seiner Wünsche zuvorkomme, es könnte sonst eine Zeit kommen, wo es mich sehr reuen würde, nicht ganz seine Zärtlichkeit gegen mich erwidert zu haben. – Mein Vater wohnt itzt nahe bei London – und Eduard, ich werde sie wiedersehn! – Meine traurigen Ahndungen sind itzt nichts als Träume gewesen, über deren Schrecken man beim Aufgange der Sonne lacht. Hoffnungen wachen in meinem Busen auf, ich vertraue der Liebe meines Vaters; wenn ich es nun wagte, ihm ein Gemälde von dem Glücke zu entwerfen, wie ich es in ihren Armen genießen werde, wenn ich ihn in das innerste Heiligtum meines Herzens führte und ihm jenes reine und ewige Feuer zeigte, welches der holden Gottheit lodert? Würde er so hart sein, mich von dem Bilde zurückzureißen, mir meine schönsten Empfindungen zu nehmen, die Hallen des Tempels zu schleifen, um von den Ruinen eine armselige Hütte zu erbauen? – Aber ich fürchte, mein Vater betrachtet mein Glück aus einem ganz verschiedenen Standpunkte, er ist älter und jenes schöne Morgenrot der Phantasie ist von der Gegend verflogen, er mißt mit dem Maßstabe der Vernunft die Verhältnisse des Palastes, wo der jüngere Enthusiast in einer trunkenen Begeisterung anstaunt, – ach Eduard, er berechnet vielleicht mein Glück, indem ich wünsche daß er es fühlen möchte, er sucht mir vielleicht eine frohe Zukunft vorzubereiten und schiebt mir seine Empfindungen unter; er knüpft Verbindungen, um mir Ansehn zu verschaffen, um mich in der großen Welt emporzuheben, ohne daran zu denken, daß ich den ländlichen Schatten des Waldes vorziehe und in jener großen Welt nur ein unendliches Chaos von Armseligkeiten erblicke.
Ich habe hier einige Tage in einer süßen Schwermut verlebt, mir selbst und meinen mannichfaltigen Empfindungen überlassen, ich behorchte in mir leise die wehmütige Melodie meiner wechselnden Gefühle, man entdeckt in der Einsamkeit eine Menge von Ideen und Empfindungen in sich selbst, die man vorher nicht wahrgenommen hat, man schließt mit seiner Seele eine vertrautere Bekanntschaft: – und man ist auch nicht ganz einsam, es gibt in der Natur keine tote Wüste, alles umher sprach zu mir und meinem Schmerze. – Der Wald sprach mir mit seinem ernsten Rauschen freundlichen Trost zu, die Quellen weinten mit mir. Man kann nirgend verlassen wandeln; solange man kein Bösewicht ist, tritt dem leidenden Herzen die Natur mütterlich nah, Liebe und Wohlwollen spricht uns in jedem Klange an, Freundschaft streckt uns aus jedem Zweige einen Arm entgegen.
Itzt lacht der Himmel mit mir in seinem hellsten Sonnenscheine, die Blumen und Bäume stehn frischer und lieblicher da, das Gras nickt mir am See freundlich entgegen, die Wellen tanzen ans Ufer zu mir heran: – ich zweifle itzt, ob mich je eine Empfindung bis zur Verzweiflung führen könnte, ich glaube, daß dieser tiefe Schmerz eine unedle Selbstliebe voraussetzt, die jede Freundschaft, jede entgegenkommende Liebe zurückstößt. Ein edler Geist trägt die schwere Bürde stets mit Anstand und ohne jene wilden Verzuckungen, die ihn sich selber unähnlich machen.
Lebe wohl, ich sehe Dich bald.
Lovell.
Bonstreet.
Ich freue mich innig, daß Du heitrer bist, ich habe Deinen zweiten Brief mit Vergnügen gelesen, komm bald nach Bonstreet und ich will noch einige frohe Tage mit Dir genießen: dann gehst Du einer Menge von interessanten Gegenständen entgegen, Du betrittst die heiligen Gegenden, die die Heimat meiner lieblichsten Träume sind, Du wirst in den hohen Geist der Künste eingeweiht, Du wirst zu jenem Tempel des Genies hinzugelassen, den ich nur aus der Ferne anbeten darf.
O könnt’ ich doch Dein Begleiter sein! Dürft’ ich mit Dir zugleich in jene Heiligtümer treten, jene Schönheiten der Natur durchwandeln! Aber ich habe diese, einst meine liebste Hoffnung, schon seit lange aufgegeben, mein Vater würde die Zeit, die ich auf diese Art anwendete, für verloren ansehn, abtrotzen möchte ich ihm seine Einwilligung nicht. Er haßt die Begeisterung, mit der ich zuweilen von den Heroen des Altertums, oder der Göttlichkeit eines Künstlers sprach, er sieht mit Verachtung auf diese kindischen Aufwallungen des Bluts hinab, wie er jeden Enthusiasmus nennt, daher hat ihm auch stets mein Umgang mit Dir mißfallen. Er liebt Menschen, die sich nie aus den Gegenständen von denen sie umgeben werden, verlieren können, er spottet über alles, was man Erhabenheit der Gedanken und Gefühle nennt. Es gibt vielleicht wenig Menschen, die Vorurteile und Begriffe der Konvention so tief in ihr ganzes Dasein haben verwachsen lassen, – auch ich mißfalle ihm sehr, er nennt mich zuweilen einen jugendlichen Schwärmer, der die Welt nicht kennt und sie aus armseligen Büchern beurteilen will. Ist dies Menschenkenntnis, die aus ihm spricht, o so beneide ich sie ihm nicht, aber er muß sie teuer erkauft haben, da er sie für so richtig hält. – Kann es nicht aber auch das enge egoistische Gefühl seines eigenen Herzens sein? Ist dieser Glaube nicht auch vielleicht bloß aus Studium seiner selbst entstanden? – Wir glauben so oft einen Blick in die Seele andrer getan zu haben, wenn wir bloß das Flüstern unsers eignen Geistes vernommen hatten.
Er verzeihe mir die kleine Bitterkeit, die zuweilen und itzt eben in mir aufsteigt, aber ich muß oft von seiner Kälte leiden. Er ist älter als ich, er kann oft betrogen sein, die schönsten Gefühle sind vielleicht an ihm meineidig geworden, er hat vielleicht mit Mühe alles aus seinem Busen vertilgt, was ehemals so schön und herrlich blühte; – aber er wird nie verlangen, daß ich seinen Erfahrungen ungeprüft glaube, oder wenn ich sie bestätigt finde, daß ich darum ein Hartherziger werde und den Glauben an jeden harmonischen Klang verliere, weil alle Tangenten die ich anschlage auf zersprungene Saiten treffen, – nein, er soll in mir einen Sohn erziehen, der einst die Schuld bezahlt, die er mir zum Erbteile läßt, – es tut mir weh, denn er ist mein Vater – aber glaube mir, William, ich werde manchen Armen zu trösten und mancher Waise zu erstatten haben.
Zu Dir und zu niemand anders darf ich also sprechen. – Wie beneid’ ich Dich Glücklichen! Du wirst neue Gegenden und neue Menschen sehn! – Du wirst das Grabmal Virgils besuchen und den Ort, wo Brutus den Dolch der Freiheit schwang, – indes ich eingekerkert hier in Bonstreet sitze und mir in der Phantasie die schönen Szenen male, auf denen Du voll hohen Enthusiasmus wandelst. – Ich darf mir den traurigen Gedanken nicht weiter ausdenken. – Lebe wohl.
London.
Ich bin gestern in London angekommen, das Gewühl der Stadt, das Geräusch der Wagen und die lärmende Munterkeit kontrastierte sehr mit der Ruhe des Landes, die ich soeben verließ. – Es war traurig, wieder in die Straßen hineinzufahren, die ich so freudig verlassen hatte, mir war es, als wären es die Mauern eines großen Gefängnisses.
Seitdem hab’ ich oft an Dich und an meinen schönen Aufenthalt in Bonstreet gedacht. Die Gegend war doch sehr angenehm, die kleine Gesellschaft so zutraulich, man war mit jedem Gefühle und Gedanken des andern vertraut, alle machten gleichsam nur eine Seele, – und alles das im Glanze der Frühlingssonne, die so lieblich auf uns herabschien, – ach, ich bin vielleicht in sehr langer Zeit nicht wieder so vergnügt.
Grüße Lovell und danke ihm für seine freundliche Begleitung, – suche ihn doch fröhlicher zu machen, er schien immer so traurig.
London kömmt mir, ohngeachtet der vielen Menschen, sehr einsam vor, meine Zimmer sind mir ganz fremd geworden, alles ist so eng und düster, man sieht kein Feld, keinen Baum, – wenn ich dagegen an den reizenden Wald denke, an den kleinen Wasserfall neben der Wiese, an den grünen Hügel, von wo man die romantische Aussicht über den Fluß und die Felsenwände hat; – wie schön war es doch, wenn die Sonne hinter den Felsen unterging und der krummgewordene Strom in einen roten Glanz erglühte, – und dann jene Allee, wo die Nachtigall am Morgen im Lindenbaume sang, wo Lovell mir oft den Ossian vorlas, – ich war nur so kurze Zeit von hier entfernt, aber ich habe mich schon ganz verwöhnt.
Meine Eltern sind wohl, sie freuten sich recht herzlich, mich wiederzusehn, ich wollte, ich hätte mich ganz so freuen können, wie sie, – sie hatten aber auch unterdes London nicht verlassen.
Lieber Bruder, weiter hätt’ ich Dir nun nichts mehr zu sagen, außer daß Du Lovell grüßen sollst, – doch das hab’ ich ja schon einmal gesagt, das fatale Lärmen auf den Straßen hat mich schon ganz verwirrt gemacht. – Ich bin u. s. w.
London.
Warum ich Dir so lange nicht geschrieben habe, willst Du wissen? Du solltest Dich doch schon daran gewöhnt haben, daß es in dieser Sterblichkeit eine Menge von Vorfällen, Wirkungen, Handlungen, Unterlassungen ohne Ursache gibt, andre die, wenn sie Ursachen haben, oft schlimmer als gar keine Ursachen sind. – Es gibt Leute, die bei einem Allegro weinen können, oder die beim schmelzendsten Adagio einen unwiderstehlichen Beruf zum Tanzen fühlen, – wer wird hier nach den Ursachen fragen? Diese Leute sind nun einmal so und nicht anders. Ebenso habe ich zu gewissen Zeiten Perioden von Trägheit, wo mir jede Feder zuwider ist, wo mich ein Billet, was ich schreiben soll, in Schrecken setzen kann, ich bin aber noch nie darauf gefallen, tiefsinnige philosophische Betrachtungen darüber anzustellen, ob die Seele oder der Körper daran schuld sei, von welchen Mittelideen und Kombinationen die ganze Erscheinung abhänge.
Wir wollen also ganz davon abbrechen, erwarte keine Entschuldigungen, denn ich habe keine, ich kann Dich auch nicht um Verzeihung bitten, denn ich weiß, Du hast es nicht übel genommen; nur soviel will ich Dir zur Entschädigung sagen, daß diese Trägheit mit zu jenen Eigenschaften gehört, die ich mir mit der Zeit abgewöhnen will.
Deine Mutmaßung ist übrigens nicht ganz unrichtig, daß ich, wenn Du es durchaus so nennen willst, ernsthafter geworden bin. Mit Dir verließ uns der Geist unsrer lustigen Gesellschaften, und man darf nur etwas aufrichtig gegen sich selbst sein, so liegt so etwas Oberflächliches in dieser sogenannten genußreichen Art zu leben, eine Nüchternheit, in der ich mir oft die Langeweile des Tantalus recht lebhaft habe denken können. – Ich habe mich itzt darum aus dieser Gesellschaft mehr zurückgezogen, ich bin mehr allein und – Du wirst vielleicht lachen, – ich habe oft wieder angefangen zu studieren und mich dessen zu erinnern, was ich auf meinen Reisen gelernt habe.
Halte mich aber nicht für einen so schwachen Menschen, der aus einer Anwandlung von Langeweile sich gleich über Hals und Kopf in eine so steinharte Ernsthaftigkeit wirft, daß ihn die Hunde auf der Straße anbellen; denke nur etwa nicht, daß ich itzt mit einem essigherben Gesichte dasitze und wunder wie sehr meinen Geist zu beschäftigen glaube, indem mir die Kinnbacken vor Gähnen zerspringen möchten; halte mich nicht für ein Wesen, das sich seine Zeit verdirbt, indem es sich tausend unnütze Geschäfte macht und sich selbst zur Bewunderung über die Menge seiner Arbeiten zwingt, – nein Karl, ich bin noch immer der simple, unbefangene Mortimer, der noch ebenso gern lacht, als zuvor, und der nichts sehnlicher wünscht, als einmal mit Dir ein herzliches Duett lachen zu können. O ich möchte meine Dinte in schwarze Klagelieder ergießen, oder die erste beste Stelle aus Youngs Nachtgedanken abschreiben, um es Dir recht fühlbar zu machen, wie sehr Du mir fehlst.
Wenn das alles wahr ist, was Du mir von William Lovell schreibst, so steht es schlimm mit ihm, sehr schlimm, es tut mir jedesmal weh, wenn ich einen jungen Menschen sehe, der sich selbst um die Freuden seines Daseins bringt. – Gibt es etwas Abgeschmackters, als zu seufzen, zu weinen und alle Freuden der Welt aus einer Metapher in die andre zu jagen, – und zwar, wie äußerst sinnreich und vernünftig! – weil ein andres Wesen nicht auch jammert und klagt – und zwar darüber, weil ich es tue. – Denn wahrlich, ich habe schon Liebhaber gesehn, die so geliebt wurden, daß nur noch ein Gran gefehlt hätte und es wäre ihnen selber zur Last gefallen, – die aber beständig die unglücklichsten Geschöpfe in der Welt waren; denn ihr Mädchen war ihnen lachend entgegengekommen und sie hatten sie sich gerade weinend gedacht, weil sie einen Abschied auf zwei ewig lange Stunden nehmen sollten, um eine große Reise in die nächste Gasse zu ihrem Onkel zu tun, der ihnen einen Wechsel auszahlen wollte. – Es sind Schauspieler, die sich einen ellenhohen Kothurn angeschnallt haben, der nur dazu dient, sie in jedem Augenblicke fallen zu machen; sie sind unendlich über alle fade Sinnlichkeit erhaben und sitzen da und können sich tagelang von ihrer Geliebten über die Farbe eines Bandes unterrichten lassen; der Schoßhund ihres Mädchens ist ihnen mehr wert, als ein halbes Menschengeschlecht, sie schwärmen in allen Regionen der Phantasie umher, um endlich doch dahin zurückzukommen, wo sie sich wieder in die Reihe der übrigen sterblichen Menschen finden; denn, ich hoff’ es zur Ehre der Menschheit, daß von diesen Mondsüchtigen noch keiner die Ansprüche gemacht hat, seine Geliebte ohne Augen zu sehn und ohne Ohren zu hören, wenn sie auch vergessen haben, daß die Sinnlichkeit zu dem Hause das sie bewohnen die erste Etage ist, – am Ende sind sie eben dem Winde ausgesetzt, und sie ziehen wieder herunter.
Merkutio hat recht, wenn er sagt, das fadeste Gespräch hätte mehr Sinn, als das Selbstpeinigen dieser verlornen Söhne der Natur, die sich von Trebern nähren und diese in einem beklagenswürdigen Wahnsinne für Ambrosia halten.
Deine Schwester hab’ ich heut schon besucht, sie ist schön und scheint ebenso verständig, außer – daß sie traurig war und gewiß um Lovell, – es tut mir leid um sie. –
Es wäre übrigens wohl möglich, daß Du Dich in Deiner Einsamkeit ganz ernsthaft verliebtest. Dein Auge sieht keinen andern Gegenstand der Dich zerstreuen könnte, und die Gewohnheit ist auch hierin die zweite Natur. Diese allmächtige Gottheit macht ja sogar, daß so mancher mit seiner Frau zufrieden ist, die er außerdem gegen einen Star austauschen würde. Die müßige Phantasie nährt sich mit jeder reizenden Form; Regentropfen machen einen Stein hohl, und es wäre nicht das erste Beispiel, daß der größte Antiplatoniker zum regenbogenhinanfliegendem Schwärmer geworden wäre.
Ich erwarte also nächstens einen Brief voller Seufzer und mit einer Träne gesiegelt; bis dahin bin ich Dein treuer Freund
Mortimer.
London.
Ich bin auf dem Landhause meines Vaters, nahe bei London, ich sehe die Türme der Stadt, die Amalie bewohnt, ich höre ihre Klocken aus der Ferne, – o das Herz schlägt mir ängstlich und ungestüm daß ich sie so nahe bei mir weiß und sie noch nicht gesehen habe, – ja, ich muß sie heut noch sehn.
Mein Vater war ungemein fröhlich, da er mich wiedersah, seine Freude hatte einen Anstrich von Melancholie, die mich gerührt hat, er sah bleich und krank aus, er umarmte mich mit einer Herzlichkeit, in der ich ihn noch nie gesehn habe, er findet überhaupt sein Glück in dem meinigen und in der Zukunft die er mir ebnen will, er sprach so manches von Verbindungen, die er meinetwegen suchen würde, er schien mir ankündigen zu wollen, wie sehr er einst meine Verheiratung mit der Tochter der Lady B*** wünschen würde, – wer weiß, wie viel Unglück mir noch die trübe Zukunft aufbewahrt. – Ich überlasse mich zuweilen mit einer unbegreiflichen Trägheit der Zeit, um den Knäuel auseinanderzuwickeln, der mir zu verworren scheint.
Von Dir hab’ ich also nun auf lange Abschied genommen? – Bald werden sich Städte und Meere zwischen uns werfen, bald wird ein Brief von Dir zu mir Wochen auf seiner Reise brauchen. – Den Abend vor meiner Abreise von Bonstreet ging ich noch einmal durch die mir so bekannten Gärten, ich nahm von jedem Orte Abschied, der mir durch die Zeit, oder irgend eine Erinnerung wert geworden war, von der Linde, in die Amalie ihren Namen geschnitten hat und ich den meinigen so dicht daneben eingrub, daß auch nicht der kleinste Zug eines feindlichen andern Namens Raum zwischen uns findet. Ich stand lange und betrachtete die Charaktere, – dann zu der Allee, wo wir so oft den Ossian lasen, – ach Eduard, manche Stellen daraus werd’ ich nie, nie vergessen, die Seele des großen Barden sprach oft so innig mit der meinigen und eine wehmütige Freude zuckte durch alle Nerven, wie der erinnernde Anhauch einer frühem Bekanntschaft. – Aus den Wipfeln fiel eine schwere Ahndung auf mich herab, daß ich nie dort wieder wandeln würde, oder im Verluste aller dieser großen Gefühle, die den Geist in die Unendlichkeit drängen und uns aus unsrer eigenen Natur herausheben.
Wenn ich nun einst wiederkehrte, den Busen mit den schönsten Gefühlen angefüllt, mein Geist genährt mit den Erfahrungen der Vorwelt und eigenen Beobachtungen, – wenn ich nun bemüht gewesen wäre, die Schönheiten der ganzen Natur in mich zu saugen, – um dann ein fades, alltägliches Leben zu führen, von der Langenweile gequält, von allen meinen großen Ahndungen verlassen: – wie ein Gefangener der seinen Ketten entspringt, im hohen Taumel durch den sonnbeglänzten Wald schwärmt, – und dann zurückgeführt, von neuem an die kalte gefühllose Mauer geschmiedet wird. –
Doch, ich sehe Dich lächeln, – nun wohl, ich gebiete meiner Phantasie, sie winkt mit ihrem Zauberstabe, und diese schwarzen Gestalten sinken mit ihrem nächtlichen Dunkel vom Tuche herab, und ein liebliches Morgenrot dämmert empor, – da hebt sich nun die ganze Landschaft majestätisch und schön aus dem chaotischen Nebel empor, wie von der Hand eines Gottes angerührt steht die Natur in ihrer reizendsten Schöne da und die Phantasie verliert sich in den Gebirgen, den Grenzen des Horizontes. – Schon ist die Natur geschäftig, in fernen Landen alle meine Ideale zu realisieren, schon seh’ ich jede Landschaft wirklich, die ich einst als Gemälde bewunderte oder von der ich in einer Beschreibung entzückt ward, die Kunstwerke des großen Menschenalters stehn vor mir, die die grausame Hand der unerbittlichen Zeit selbst nicht zu zernichten wagte, um nicht die glänzendste Periode der Weltgeschichte auszulöschen, – die heiligen Haine, in denen die Nymphen und Dryaden wohnten, – meine Phantasie schwärmt schon in den ehrwürdigen Gebieten Griechenlands umher und wandelt mit heiligem Schauer unter den Trümmern, die uns freundlich ernst daran erinnern, was sie vordem waren. Ich muß auf der Stelle stehen, wo Leonidas fiel, wo Miltiades die Feinde schlug, – – und freilich, wo Alexander mit einer kindischen Zerstörungssucht die Blüte vom Baume herabschlug, ehe sie zur Frucht gereift war. –
Meine Aussicht wird heiterer, – Italien und Griechenland liegen perspektivisch vor mir, – hundert frohe Erwartungen erwärmen mein Herz, – wenn Amalie mich liebte! – Eduard, ja, ich werde sie heut noch sehn!
London.
Eduard, o freue Dich mit mir, Freund mit Deiner brüderlichen Seele, alle Zweifel sind gehoben, alle Rätsel aufgelöst, – Amalie liebt mich! – Dieses neue Bewußtsein hat mich aus allen kleinen armseligen Gefühlen zum hohen Genüsse eines Gottes emporgerissen, ich bin zu Empfindungen gereift, von denen mir auch keine Ahndung etwas sagte, ich stehe in einer Welt, wo der gütige Schöpfer Freude und Wonne an jeden Zweig gehängt und über jeden Hügel hingegossen hat, – alles was ich sehe, was ich höre, – alles was lebt ist vom Hauche der Liebe, – vom Hauche Gottes beseelt.
Wie unter mir alles zusammenschrumpft, was ich einst für groß und wichtig hielt! – Ich nehme es mit der Zukunft und allen ihren Begebenheiten auf, ein Ätherglanz ist auf mich herabgefallen, ein Gott hat meine Seele angerührt.
Wie gleichgültig und öde kam noch gestern die ganze Welt meinem Blicke entgegen, alles ist heut mein Freund, alles lächelt mich liebevoll an. – Eduard, – wie soll ich Dir die Empfindung beschreiben, als ich nun die Straße betrat, in der sie wohnt, – als ich vor ihrem Hause stand, – es war schon Abend, ein blasser Schimmer des Mondes brach sich durch graue Wolken, – mein Herz klopfte hörbar, als ich dem Bedienten meinen Namen sagte und die Treppen hinaufging. – Sie war allein, ich trat in das Zimmer. – Himmel! war es nicht, als käme mir ein Engel entgegen, um mich im Paradiese zu bewillkommen, wie ein heiliger Duft wehte mich die Luft an, in der sie atmete, – ich weiß nicht, was ich ihr sagte, ich weiß nicht was sie antwortete, aber meinen Namen sprach sie einigemal mit einer unaussprechlichen Süßigkeit. – Wir setzten uns, ich war in einer wehmütigen freudigen Stimmung, – sie sprach von der glücklichen Aussicht einer so schönen Reise, – mir war, als hätt’ ich Mühe, meine Tränen zurückzuhalten, – o Himmel, wie gütig sie zu mir sprach, wie jeder Ton im Innersten meiner Seele widerklang, jede Silbe foderte mich auf, mich dieser holdseligen Güte zu entdecken, – ich sank an ihren Busen und stammelte ihr das Bekenntnis meiner Liebe.
Ich war auf alles gefaßt, auf Zorn und Verachtung, auf Verlegenheit und Scham in ihrem Gesichte, auf die Bitte, sie nie wiederzusehn, – aber Eduard, nicht auf diese Milde eines glänzenden Engels, mit der sie mich schweigend noch fester an ihren Busen drückte. – Ich zweifelte in diesem Augenblicke an meinem Dasein, an meinem Bewußtsein, – an allem. Meine Freude hatte mich einer Ohnmacht nahe gebracht.