William Shakespeare
Edition Lempertz
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William Shakespeare wurde am 1564 in Stratford upon Avon als Sohn
eines wohlhabenden Handschuhmachers geboren. Im Alter von 18
Jahren heiratete er Ann Hathaway, mit der er drei Kinder hatte. Er kam
als Teilhaber des Globe Theaters und des Blackfriar Theaters in London
im Laufe der Jahre zu großem Wohlstand. 1611 zog er sich von der Welt
des 'Theaters zurück und lebte bis zu seinem Tod am 23.04.1616 in
Stratford.
Sein Schaffen umfasste neben einer Vielzahl von Verdichtungen vor
allem historische Dramen, Tragödien, Komödien und Märchenspiele,
denen eine Kernaussage gemeinsam ist: Nicht das Schicksal bestimmt
den Weg eines Menschen, sondern der in ihm selbst herrschende
Konflikt, den er zu bewältigen hat.
Shakespeare gilt als der berühmteste und auch produktivste Schriftsteller
aller Zeiten. Die Welt des Theaters und der Literatur wäre ohne seine
mitreißenden Dramen zweifellos ärmer, die Bühnen ohne Hamlet,
Macbeth und den König Lear leerer. Shakespeare schrieb über die ganz
großen Gefühle, über Liebe, Leid, Hass und Missgunst. Seine Charaktere
gehen bis an die Grenzen der menschlichen Fähigkeit zu erdulden und
zu ertragen, und dennoch: am Ende gibt es immer die Hoffnung auf ein
besseres Morgen.
Wir haben uns in diesem Buch für sechs seiner bekanntesten Dramen
entschieden. „Hamlet - Prinz von Dänemark“, „Othello - Der Moor von
Venedig“ „Macbeth“ und der unvergleichliche „König Lear“ gehören zu
den größten Tragödien, die jemals aufgeführt wurden. Mit dem
magischen Schauspiel „Der Sturm “ und der Komödie „ Wie es euch
gefällt“ möchten wir auch das heitere Element in Shakespeares Schaffen
aufzeigen. Eine Auswahl von über achtzig seiner schönsten Sonette
ergänzt unsere Ausgabe.
Lassen Sie sich von dem Zauberer Prospero auf die Insel der Luftgeister
entführen, erleben Sie Othellos überwältigende Eifersucht. Nehmen Sie
teil an Hamlets tragischem Kampf gegen die Intrigen am dänischen
Königshof, weinen sie mit König Lear um seine Tochter Cordelia und
SONETTE I
1.
Am besten dient mein Auge blinzend mir;
Denn unbeachtet geht der Tag an ihm vorüber:
Allein im Schlaf, im Traume sieht’s nach dir
Aus Nacht in Helligkeit, nachthell hinüber.
Du, dessen Schatten nun die Schatten so erhellt,
Wie wird am Tag erst deines Schattens Wesen Mit seinem
höchsten Licht erfreun die Welt,
Wenn blinde Augen schon am Schatten so genesen!
Wie selig, sag’ ich, wär mein Auge nun,
Hätt’ ich am heitern Tag erst dich gewahrt,
Wenn öde Nacht den Augen, wie sie ruhn,
Dein schönes bleiches Trugbild offenbart.
Mir scheint Nacht jeder Tag, getrennt von dir,
Und Nächte hell wie Tag, zeigst du im Traum dich mir.
2.
Wär meines Fleisches zäher Stoff Gedanke,
Dann hielt mich neidische Entfernung nicht;
Denn allem Raum zum Trotz entfloh ich jeder Schranke,
Die mich verbannt aus deinem Angesicht.
Dann gält mir gleich, ob auch am fernsten Strande
Mein Fuß stünd, weit von dir; denn unumschränkt
Springt der Gedanke über Meer und Lande
So schnell als er den Ort, wohin er fliehn will, denkt.
Doch ach! Tod ist dies Denken: nicht Gedanke
Zu sein, um Welten weit dir nachzufliehn;
Und dass ich so am Gram der lahmen Zeiten kranke,
Wenn Erd’ und Wasser mich zu Boden ziehn,
Die trägen Elemente, die mich nur
Mit Tränen nähren, ihres Jammers Spur.
3.
Die art’gen Sünden, die dein froher Mut Zuweilen,
mein vergessend, wohl begeht,
Stehn deiner Schönheit, deinen Jahren gut,
Weil, wo du gehst, Versuchung mit dir geht.
Du magst gewonnen werden; bist gelind;
Zum Angriff reizest du; denn du bist schön:
Und wenn ein Weib wirbt, welches Weibes Kind Ließ
mürrisch ungewährt sie weitergehn?
Ach mir! und doch, Kind, möchtest du bei Zeiten
Die Schönheit zügeln und der Jugend Lust,
Die dich in ihrem Taumel noch verleiten,
Dass du zwiefält’ge Treue brechen musst:
Die Ihre, denn du reizest sie zu dir;
Die Deine, denn dein Reiz macht dich zum Dieb an mir.
4.
Dass du sie hast, ist nicht mein ganzer Schmerz;
Und habe doch fürwahr sie treu geliebt.
Dass sie dich hat, ist meines Kummers Herz,
Ein Liebesraub, der tiefer mich betrübt.
Euch Liebessünder will ich so verteid’gen:
Du liebst sie, weil du weißt, dass sie mir wert;
Und so auch sie muss mich um meinethalb beleid’gen,
Erhörend meinen Freund, der meinethalb sie ehrt. Verlier’ ich
dich, mein Liebchen nimmt die Beute;
Verlier’ ich sie, gleich findet sie mein Freund:
Sie beide finden sich, und ich verliere beide,
Zu meiner Qual um meinethalb vereint.
Doch, Glück! Sind wir nicht eins, er mein, ich sein?
Holdsel’ger Traum! dann liebt sie mich allein.
5.
Ach, wohl ist’s wahr, ich schwärmte her und hin, Bot
mich der Welt zum Spielwerk; in die Seele Schnitt ich
mir selbst, gab Höchstes wohlfeil hin; Mit neuen
Trieben mehrt’ ich alte Fehle.
Sehr wahr ist’s: fremd und schielend und bedingt Sah
ich die Wahrheit. Doch, bei allen Mächten! Dies
Straucheln hat mein Herz mir nur verjüngt; Dich
besten Freund erprobt’ ich unter Schlechten. Nun ist
es alles, bis auf eins getan,
Das ewig währt. Nie kommt zu neuer Probe Des
alten Freundes mehr der Trieb mich an,
Des Liebesgottes, dem ich mich gelobe.
Gib nächst dem Himmel denn die höchste Lust, Den
Willkomm mir an deiner liebsten Brust!
6.
Nicht Götzendienst nennt meine Liebe! Nimmer
Betrachtet als mein Götzenbild den Freund:
Denn all mein Singen, all mein Loben, immer Von
einem, nur auf einen ist’s gemeint.
Gut ist mein Liebling heut, ist morgen gut;
Ein seltnes Wunder treuer Freundespflicht;
Und so, erfüllt von immer gleichem Mut,
Bedarf nicht der Verändrung mein Gedicht.
Schön, gut und wahr ist all mein Gegenstand;
Schön, gut und wahr, verändert nur nach Namen;
In einem drei: welch weites Wunderland!
In ihrem Wechsel aller Dichtung Samen.
Schön, gut und wahr; sie lebten oft zerstreut:
In einem nimmer, bis auf unsre Zeit.
7.
Mein Lieben, scheinbar schwächer, ist vermehrt; Nicht
lieb’ ich minder, weil sich’s mehr verhehlt; Die Lieb’ ist
Ware, deren reichen Wert Des Eigners Zunge aller Welt
erzählt.
Im Lenz war unsre Liebe neu; und helle Hab’ ich sie da
mit meinem Lied begrüßt,
Wie Philomele singt auf Sommers Schwelle,
Und spätem Tagen ihre Kehle schließt.
Nicht weil mir Sommer minder jetzt gefällt Als da ihr
Festlied noch die Nächte weihte;
Nein, weil Musik jetzt wild aus allen Zweigen gellt, Und
am Gewöhnlichen erstarrt die Freude.
Darum, wie sie, bin ich zuweilen still,
Weil ich mit Sang dich nicht betäuben will.
8.
So schalt ich früher Veilchen Übermut:
Wo stahlt ihr süßen Diebe euern Hauch,
Wenn nicht von seinem Mund? Die Purpurglut Auf euern
samtnen Wänglein habt ihr auch Nur schwach gefärbt in
seiner Adern Blut!
Den Lilien warf ich deine Hände vor;
Dass er dein Haar bestahl, dem Majoran.
Furchtsam auf Dornen stand der Rosen Chor,
Teils vor Verzweiflung weiß, teils rot vor
Scham: Und eine, weder rot noch weiß,
vermaß Von beidem sich, und stahl noch
deinen Atem: Allein zur Strafe kam ein
Wurm und fraß Im vollsten Prangen sie für
ihre Taten. - Nicht eine war von aller
Blumen Zahl,
Die dir nicht Farben oder Düfte stahl.
9.
Die ändern, lose Luft und läuternd Feuer, hangen,
Wo ich auch sein mag, immerfort an dir;
Luft, mein Gedanke; Feuer, mein Verlangen,
Im schnellsten Flug sind sie bald dort, bald hier.
Wenn sie, die leichtern Elemente, eben Mit zarter
Liebesbotschaft zu dir ziehn,
Sinkt mein aus vieren gleichgeschaffnes Leben Mit zween
allein in Todesschwermut hin:
Bis sich die Lebensstoffe neu vereinen,
Mit jener raschen Boten Wiederkehr,
Die eben jetzt von dir zurück erscheinen,
Von deinem Wohlsein bringend sichre Mähr.
Entzückt vernehm’ ich’s, aber froh nicht lang,
Send’ ich sie gleich zurück, und bin gleich wieder bang.
10.
Mein Herz und Aug’ entbrennen zwiegespalten Um deines
Anblicks Beute zum Gefecht.
Das Auge will dein Bild dem Herzen vorenthalten,
Dem Auge wehrt das Herz dies freigeborne Recht.
Das Herz gibt vor, du wohnst in ihm, dem Schrein,
Den kein kristallnes Auge noch gespalten:
Dagegen sagt der Widersacher, nein,
Dein schönes Gleichnis sei in ihm enthalten.
Ihr Recht zu prüfen wird ein Rat ernennt,
Gedanken, die dem Herzen untertan:
Und siehe, deren Richterspruch erkennt Zu gleichen Hälften
für befugt sie an:
Dass dein auswendig Teil den Augen bliebe,
Wenn sich das Herz erfreut der innern Herzensliebe.
11.
Wie ist von dir, dem Stern des flücht’gen Jahrs,
Die Trennung mir zum öden Winter worden!
Wie schüttelte mich Frost, wie dunkel war’s,
Wie dürr dezemberschaurig aller Orten!
Und doch war Sommer diese Trennungszeit,
Fruchtbarer Herbst, der schwellend überfloss,
Beladen mit des Frühlings Üppigkeit,
Wie nach des Gatten Tod der Witwe Schoß.
Doch vaterlose Frucht, Verwaisungszeichen Sah
ich in dieser Segensfülle nur:
Denn dir folgt Sommer und sein Glück; es schweigen Wo du
fehlst, selbst die Vögel auf der Flur.
Und sängen sie, es wär so bang zu hören,
Dass Blätter, winterscheu, ihr Grün verlören.
12.
Im Frühling war ich fern von dir, wenn bunter April im
vollen Schmuck mit Jugenddrang Auf Erden alles neu erfüllt,
dass munter Saturn, der träge, mit ihm lacht’ und sprang.
Doch nicht der Vögel Lieder, nicht der Auen Vielduft- und
farbenreiches Blumenspiel,
Sie konnten mir ein Sommerwort vertrauen:
Ich ließ sie stehn auf ihrem stolzen Stiel.
HAMLET, PRINZ VON DÄNEMARK
PERSONEN
Claudius, König von Dänemark
HAMLET, Sohn des vorigen und Neffe des gegenwärtigen Königs POLONIUS, Oberkämmerer
HORATIO, Hamlets Freund LAERTES, Sohn des Polonius
Voltimand, Cornelius, Rosenkranz, Güldenstern, Hofleute Osrick, ein Hofmann Ein
andrer Hofmann Ein Priester
Marcellus, Bernardo, Offiziere Francisco, ein Soldat Reinhold, Diener des Polonius
Ein Hauptmann Ein Gesandter
Der Geist von Hamlets Vater
Fortinbras, Prinz von Norwegen
Gertrude, Königin von Dänemark und Hamlets Mutter
Ophelia, Tochter des Polonius
Herren und Frauen vom Hofe, Offiziere, Soldaten, Schauspieler,
Totengräber, Matrosen, Boten und andres Gefolge
Die Szene ist in Helsingör.
ERSTER AUFZUG
Erste Szene
HELSINGÖR. EINE TERRASSE VOR DEM SCHLOSSE
Francisco auf dem Posten. Bernardo tritt auf.
Bernardo: Wer da?
Francisco: Nein, mir antwortet: steht und gebt Euch kund! Bernardo: Lang’
lebe der König!
Francisco: Bernardo?
BERNARDO: Er selbst.
Francisco: Ihr kommt gewissenhaft auf Eure Stunde.
Bernardo: Es schlug schon zwölf; mach’ dich zu Bett, Francisco! Francisco:
Dank für die Ablösung! ‘S ist bitter kalt,
Und mir ist schlimm zu Mut.
Bernardo: War Eure Wache ruhig?
Francisco: Alles mausestill.
Bernardo: Nun, gute Nacht!
Wenn Ihr auf meine Wachtgefährten stoßt,
Horatio und Marcellus, heißt sie eilen!
(Horatio und Marcellus treten auf)
Francisco: Ich denk’, ich höre sie. - He! halt! Wer da?
Horatio: Freund dieses Bodens.
Marcellus: Und Vasall des Dänen.
Francisco: Habt gute Nacht!
Marcellus: O grüß’ dich, wackrer Krieger:
Wer hat dich abgelöst?
Francisco: Bernardo hat den Posten.
Habt gute Nacht! (Ab)
Marcellus: Holla, Bernardo! Sprecht!
Bernardo: He, ist Horatio da?
Horatio: Ein Stück von ihm.
Bernardo: Willkommen Euch! Willkommen, Freund Marcellus! Horatio:
Nun, ist das Ding heut wiederum erschienen? Bernardo: Ich habe nichts
gesehn.
Marcellus: Horatio sagt, es sei nur Einbildung,
Und will dem Glauben keinen Raum gestatten An dieses
Schreckbild, das wir zweimal sahn.
Deswegen hab’ ich ihn hieher geladen,
Mit uns die Stunden dieser Nacht zu wachen,
Damit, wenn wieder die Erscheinung kommt,
Er unsern Augen zeug’ und mit ihr spreche.
Horatio: Pah, pah! Sie wird nicht kommen.
Bernardo: Setzt Euch denn,
Und lasst uns nochmals Euer Ohr bestürmen,
Das so verschanzt ist gegen den Bericht,
Was wir zwei Nächte sahn.
Horatio: Gut, sitzen wir,
Und lasst Bernardo uns hiervon erzählen!
Bernardo: Die allerletzte Nacht,
Als eben jener Stern, vom Pol gen Westen,
In seinem Lauf den Teil des Himmels hellte,
Wo jetzt er glüht: da sahn Marcell und ich,
Indem die Glocke eins schlug -
Marcellus: O still! halt’ ein! Sieh, wie’s da wieder kommt!
(Der Geist kommt)
Bernardo: Ganz die Gestalt wie der verstorbne König.
Marcellus: DU bist gelehrt: sprich du mit ihm, Horatio!
Bernardo: Sieht’s nicht dem König gleich? Schau’s an, Horatio! Horatio: Ganz
gleich; es macht mich starr vor Furcht und Staunen. Bernardo: Es möchte
angeredet sein.
Marcellus: Horatio, sprich mit ihm!
Horatio: Wer bist du, der sich dieser Nachtzeit anmaßt Und dieser edlen
krieg’rischen Gestalt,
Worin die Hoheit des begrabnen Dänemark Weiland einherging? Ich
beschwöre dich Beim Himmel, sprich!
MARCELLUS: ES ist beleidigt.
Bernardo: Seht, es schreitet weg.
Horatio: Bleib’, sprich! Sprich, ich beschwör’ dich, sprich!
(Geist ab)
Marcellus: Fort ist’s und will nicht reden.
Bernardo: Wie nun, Horatio? Ihr zittert und seht bleich:
Ist dies nicht etwas mehr als Einbildung?
Was haltet Ihr davon?
Horatio: Bei meinem Gott, ich dürfte dies nicht glauben, Hätt’ ich
die sichre, fühlbare Gewähr Der eignen Augen nicht.
Marcellus: Sieht’s nicht dem König gleich?
Horatio: Wie du dir selbst.
Genau so war die Rüstung, die er trug,
Als er sich mit dem stolzen Norweg maß;
So dräut’ er einst, als er in hartem Zweisprach Aufs Eis warf den
beschütteten Polacken.
‘S ist seltsam.
Marcellus: So schritt er, grad’ um diese dumpfe Stunde, Schon
zweimal krieg’risch unsre Wacht vorbei.
Horatio: Wie dies bestimmt zu deuten, weiß ich nicht; Allein so viel
ich insgesamt erachte,
Verkündet’s unserm Staat besondre Gärung.
Marcellus: Nun setzt euch, Freunde, sagt mir, wer es weiß, Warum
dies aufmerksame strenge Wachen Den Untertan des Landes
nächtlich plagt?
Warum wird Tag für Tag Geschütz gegossen Und in der Fremde
Kriegsgerät gekauft?
Warum gepresst für Werfte, wo das Volk Den Sonntag nicht vom
sauren Werktag trennt?
Was gibt’s, dass die schweißbetriefte Eil’
Die Nacht dem Tage zur Gehülfin macht?
Kann jemand mich belehren?
Horatio: Ja, ich kann’s;
Zum mind’sten heißt es so. Der letzte König Ward, wie ihr wisst,
durch Fortinbras von Norweg,
Den eifersücht’ger Stolz dazu gespornt,
Zum Kampf gefordert; unser tapfrer Hamlet
(Denn diese Seite der bekannten Welt Hielt ihn
dafür) schlug diesen Fortinbras,
Der laut dem untersiegelten Vertrag,
Bekräftiget durch Recht und Rittersitte,
Mit seinem Leben alle Länderei’n,
So er besaß, verwirkte an den Sieger;
Wogegen auch ein angemessnes Teil Von unserm
König ward zum Pfand gesetzt,
Das Fortinbras anheim gefallen wäre,
Hätt’ er gesiegt; wie durch denselben Handel Und Inhalt der
besprochnen Punkte seins An Hamlet fiel. Der junge
Fortinbras Hat nun, von wildem Feuer heiß und voll,
An Norwegs Ecken hier und da ein Heer Landloser
Abenteurer aufgerafft,
Für Brot und Kost, zu einem Unternehmen,
Das Herz hat; welches denn kein andres ist (Wie unser Staat
das auch gar wohl erkennt),
Als durch die starke Hand und Zwang der Waffen Die
vorbesagten Land’ uns abzunehmen,
Die so sein Vater eingebüßt: und dies Scheint mir der Antrieb
unsrer Zurüstungen,
Die Quelle unsrer Wachen und der Grund Von diesem Treiben
und Gewühl im Lande.
Bernardo: Nichts anders, denk’ ich, ist’s, als eben dies. Wohl
trifft es zu, dass diese Schreckgestalt In Waffen unsre Wacht
besucht, so ähnlich Dem König, der der Anlass dieses Kriegs.
Horatio: Ein Stäubchen ist’s, des Geistes Aug’ zu trüben. Im
höchsten palmenreichsten Stande Roms,
Kurz vor dem Fall des großen Julius, standen Die Gräber leer,
verhüllte Tote schrien Und wimmerten die röm’schen Gassen
durch.
Dann feu’rgeschweifte Sterne, blut’ger Tau,
Die Sonne fleckig; und der feuchte Stern,
Des Einfluss waltet in Neptunus’ Reich,
Krankt’ an Verfinst’rung wie zum Jüngsten Tag.
Und eben solche Zeichen grauser Dinge (Als
Boten, die dem Schicksal stets vorangehn,
Und Vorspiel der Entscheidung, die sich naht)
Hat Erd’ und Himmel insgeheim gesandt An unsern
Himmelsstrich und Landsgenossen.
(Der Geist kommt wieder)
Doch still! Schaut, wie’s da wieder kommt! Ich kreuz’ es, Und
sollt’ es mich verderben. - Steh, Phantom!
Hast du Gebrauch der Stimm’ und einen Laut:
Sprich zu mir!
Ist irgendeine gute Tat zu tun,
Die Ruh’ dir bringen kann und Ehre mir:
Sprich zu mir!
Bist du vertraut mit deines Landes Schicksal,
Das etwa noch Voraussicht werden kann:
O sprich!
Und hast du aufgehäuft in deinem Leben Erpresste Schätze in
der Erde Schoß,
Wofür ihr Geister, sagt man, oft im Tode Umhergeht: sprich
davon! verweil’ und sprich!
(Der Hahn kräht)
Halt’ es doch auf, Marcellus!
MARCELLUS: Soll ich nach ihm mit der Hellbarde schlagen? HORATIO:
TU’S, wenn’s nicht stehen will!
BERNARDO: ‘S ist hier.
HORATIO: ‘S ist hier.
MARCELLUS: ‘S ist fort. (Geist ab)
Wir tun ihm Schmach, da es so majestätisch,
Wenn wir den Anschein der Gewalt ihm bieten.
Denn es ist unverwundbar wie die Luft,
Und unsre Streiche nur boshafter Hohn.
BERNARDO: Es war am Reden, als der Hahn just krähte. HORATIO: Und
da fuhr’s auf, gleich einem sünd’gen Wesen
Auf einen Schreckensruf. Ich hab’ gehört,
Der Hahn, der als Trompete dient dem Morgen,
Erweckt mit schmetternder und heller Kehle Den Gott des Tages,
und auf seine Mahnung,
Sei’s in der See, im Feu’r, Erd’ oder Luft,
Eilt jeder schweifende und irre Geist In sein Revier; und von der
Wahrheit dessen Gab dieser Gegenstand uns den Beweis.
MARCELLUS: ES schwand erblassend mit des Hahnes Kräh’n.
Sie sagen, immer wann die Jahrszeit naht,
Wo man des Heilands Ankunft feiert, singe Die ganze Nacht
durch dieser frühe Vogel.
Dann darf kein Geist umhergehn, sagen sie,
Die Nächte sind gesund, dann trifft kein Stern,
Kein Elfe faht, noch mögen Hexen zaubern:
So gnadevoll und heilig ist die Zeit.
HORATIO: SO hört’ auch ich und glaube dran zum Teil.
Doch seht, der Morgen, angetan mit Purpur,
Betritt den Tau des hohen Hügels dort:
Lasst uns die Wacht aufbrechen, und ich rate,
Vertraun wir, was wir diese Nacht gesehn,
Dem jungen Hamlet; denn, bei meinem Leben,
Der Geist, so stumm für uns, ihm wird er reden.
Ihr willigt drein, dass wir ihm dieses melden,
Wie Lieb’ uns nötigt und der Pflicht geziemt?
MARCELLUS: Ich bitt’ Euch, tun wir das; ich weiß, wo wir Ihn am
bequemsten heute finden werden. (Ab)
Zweite Szene
EIN STAATSZIMMER IM SCHLOSSE
Der König, die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes, Völtimand, Cornelius, Herren vom Hofe und
Gefolge
KÖNIG: Wiewohl von Hamlets Tod, des werten Bruders,
Noch das Gedächtnis frisch; und ob es unserm Herzen
Zu trauen ziemte, und dem ganzen Reich,
In eine Stirn des Grames sich zu falten:
So weit hat Urteil die Natur bekämpft,
Dass wir mit weisem Kummer sein gedenken, Zugleich
mit der Erinn’rung an uns selbst.
Wir haben also unsre weiland Schwester,
Jetzt unsre Königin, die hohe Witwe Und Erbin dieses
kriegerischen Staats,
Mit unterdrückter Freude, so zu sagen Mit einem heitern,
einem nassen Aug’,
Mit Leichenjubel und mit Hochzeitklage,
In gleichen Schalen wägend Leid und Lust,
Zur Eh’ genommen; haben auch hierin Nicht eurer
bessern Weisheit widerstrebt,
Die frei uns beigestimmt. - Für alles, Dank!
Nun, wisst ihr, hat der junge Fortinbras,
Aus Minderschätzung unsers Werts, und denkend, Durch
unsers teuren sel’gen Bruders Tod Sei unser Staat
verrenkt und aus den Fugen:
Gestützt auf diesen Traum von seinem Vorteil,
Mit Botschaft uns zu plagen nicht ermangelt Um
Wiedergabe jener Länderei’n,
Rechtskräftig eingebüßt von seinem Vater An unsern
tapfern Bruder. - So viel von ihm;
Nun von uns selbst und eurer Herberufung.
So lautet das Geschäft: wir schreiben hier An Norweg,
Ohm des jungen Fortinbras,
Der schwach, bettlägrig, kaum von diesem Anschlag Des
Neffen hört, desselben fernem Gang Hierin zu hemmen;
sintemal die Werbung,
Bestand und Zahl der Truppen, alles doch Aus
seinem Volk geschieht; und senden nun Euch,
wackrer Voltimand, und Euch, Cornelius,
Mit diesem Gruß zum alten Norweg hin,
Euch keine weitre Vollmacht übergebend,
Zu handeln mit dem König, als das Maß Der hier erörterten
Artikel zulässt.
Lebt wohl, und Eil’ empfehle euren Eifer!
Cornelius und Voltimand: Hier, wie in allem, wollen wir ihn zeigen. König: Wir
zweifeln nicht daran. Lebt herzlich wohl!
(Voltimand und Cornelius ab)
Und nun, Laertes, sagt, was bringt Ihr uns?
Ihr nanntet ein Gesuch: was ist’s, Laertes?
Ihr könnt nicht von Vernunft dem Dänen reden,
Und Euer Wort verlieren. Kannst du bitten,
Was ich nicht gern gewährt’, eh’ du’s verlangt?
Der Kopf ist nicht dem Herzen mehr verwandt,
Die Hand dem Munde dienstgefäll’ger nicht,
Als Dänmarks Thron es deinem Vater ist.
Was wünschest du, Laertes?
Laertes: Hoher Herr,
Vergünstigung, nach Frankreich rückzukehren,
Woher ich zwar nach Dänmark willig kam,
Bei Eurer Krönung meine Pflicht zu leisten;
Doch nun gesteh’ ich, da die Pflicht erfüllt,
Strebt mein Gedank’ und Wunsch nach Frankreich hin Und neigt sich
Eurer gnädigen Erlaubnis.
König: Erlaubt’s der Vater Euch? Was sagt Polonius?
Polonius: Er hat, mein Fürst, die zögernde Erlaubnis Mir durch beharrlich
Bitten abgedrungen,
Dass ich zuletzt auf seinen Wunsch das Siegel Der schwierigen
Bewilligung gedrückt.
Ich bitt’ Euch, gebt Erlaubnis ihm zu gehn!
König: Nimm deine günst’ge Stunde: Zeit sei dein,
Und eigne Zierde; nutze sie nach Lust! -
Doch nun, mein Vetter Hamlet und mein Sohn -
Hamlet (beiseite): Mehr als befreundet, weniger als Freund.
König: Wie, hängen stets noch Wölken über Euch?
Hamlet: Nicht doch, mein Fürst, ich habe zu viel Sonne.
Königin: Wirf, guter Hamlet, ab die nächt’ge Farbe,
Und lass dein Aug’ als Freund auf Dänmark sehn!
Such’ nicht beständig mit gesenkten Wimpern Nach deinem
edlen Vater in dem Staub:
Du weißt, es ist gemein: was lebt, muss sterben Und Ew’ges
nach der Zeitlichkeit erwerben.
Hamlet: Ja, gnäd’ge Frau, es ist gemein.
Königin: Nun wohl,
Weswegen scheint es so besonders dir?
Hamlet: Scheint, gnäd’ge Frau? Nein, ist; mir gilt kein „scheint“. Nicht
bloß mein düstrer Mantel, gute Mutter,
Noch die gewohnte Tracht von ernstem Schwarz,
Noch stürmisches Geseufz’ beklemmten Odems,
Noch auch im Auge der ergieb’ge Strom,
Noch die gebeugte Haltung des Gesichts,
Samt aller Sitte, Art, Gestalt des Grames,
Ist das, was wahr mich kundgibt; dies scheint wirklich:
Es sind Gebärden, die man spielen könnte.
Was über allen Schein, trag’ ich in mir;
All dies ist nur des Kummers Kleid und Zier.
König: Es ist gar lieb und Eurem Herzen rühmlich, Hamlet, Dem Vater
diese Trauerpflicht zu leisten.
Doch wisst, auch Eurem Vater starb ein Vater;
Dem seiner, und der Nachgelassne soll,
Nach kindlicher Verpflichtung, ein’ge Zeit Die Leichentrauer halten.
Doch zu beharren In eigenwill’gem Klagen, ist das Tun Gottlosen
Starrsinns; ist unmännlich Leid;
Zeigt einen Willen, der dem Himmel trotzt,
Ein unverschanztes Herz und wild Gemüt;
Zeigt blöden, ungelehrigen Verstand.
Wovon man weiß, es muss sein; was gewöhnlich Wie das Gemeinste,
das die Sinne rührt:
Weswegen das in mürr’schem Widerstande Zu Herzen nehmen? Pfui!
es ist Vergehn Am Himmel; ist Vergehen an dem Toten,
Vergehn an der Natur; vor der Vernunft Höchst töricht,
deren allgemeine Predigt Der Väter Tod ist, und die immer
rief Vom ersten Leichnam bis zum heut Verstorbnen:
„Dies muss so sein.“ Wir bitten, werft zu Boden Dies
unfruchtbare Leid, und denkt von uns Als einem Vater;
denn wissen soll die Welt,
Dass Ihr an unserm Thron der Nächste seid,
Und mit nicht minder Überschwang der Liebe,
Als seinem Sohn der liebste Vater widmet,
Bin ich Euch zugetan. Was Eure Rückkehr Zur hohen
Schul’ in Wittenberg betrifft,
So widerspricht sie höchlich unserm Wunsch,
Und wir ersuchen Euch, beliebt zu bleiben,
Hier in dem milden Scheine unsers Aug’s,
Als unser erster Hofmann, Vetter, Sohn.
KÖNIGIN: Lass deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet: Ich
bitte, bleib’ bei uns, geh nicht nach Wittenberg! HAMLET: Ich
will Euch gern gehorchen, gnäd’ge Frau. KÖNIG: Wohl, das
ist eine liebe, schöne Antwort.
Seid wie wir selbst in Dänmark! - Kommt, Gemahlin! Dies
will’ge, freundliche Nachgeben Hamlets Sitzt lächelnd um
mein Herz; und dem zu Ehren Soll das Geschütz heut
jeden frohen Trunk,
Den Dänmark ausbringt, an die Wolken tragen,
Und wenn der König anklingt, soll der Himmel
Nachdröhnen ird’schem Donner. - Kommt mit mir! (König,
Königin, Laertes und Gefolge ab)
HAMLET: O schmölze doch dies allzu feste Fleisch, Zerging’,
und löst’ in einen Tau sich auf!
Oder hätte nicht der Ew’ge sein Gebot Gerichtet gegen
Selbstmord! - O Gott! O Gott!
Wie ekel, schal und flach und unersprießlich Scheint mir
das ganze Treiben dieser Welt!
Pfui! Pfui darüber! ’S ist ein wüster Garten,
Der auf in Samen schießt; verworfnes Unkraut Erfüllt ihn gänzlich.
Dazu musst’ es kommen!
Zwei Mond’ erst tot! - Nein, nicht so viel, nicht zwei;
Solch trefflicher Monarch! der neben diesem Apoll bei einem Satyr; so
meine Mutter liebend,
Dass er des Himmels Winde nicht zu rauh Ihr Antlitz ließ berühren.
Himmel und Erde!
Muss ich gedenken? Hing sie doch an ihm,
Als stieg’ der Wachstum ihrer Lust mit dem,
Was ihre Kost war. Und doch, in einem Mond -
Lasst mich’s nicht denken! - Schwachheit, dein Nam’ ist Weib! -
Ein kurzer Mond; bevor die Schuh’ verbraucht,
Womit sie meines Vaters Leiche folgte,
Wie Niobe, ganz Tränen - sie, ja sie;
O Himmel! würd’ ein Tier, das nicht Vernunft hat,
Doch länger trauern. - Meinem Ohm vermählt,
Dem Bruder meines Vaters, doch ihm ähnlich Wie ich dem Herkules:
in einem Mond!
Bevor das Salz höchst frevelhafter Tränen Der wunden Augen Röte
noch verließ,
War sie vermählt! - O schnöde Hast, so rasch In ein blutschänderisches
Bett zu stürzen!
Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut.
Doch brich, mein Herz! denn schweigen muss mein Mund. (Horatio,
Bernardo und Marcellus treten auf)
HORATIO: Heil Eurer Hoheit!
HAMLET: Ich bin erfreut, Euch wohl zu sehn.
HORATIO: Wenn ich nicht mich selbst vergesse?
HORATIO: Ja, Prinz, und Euer armer Diener stets.
HAMLET: Mein guter Freund; vertauscht mir jenen Namen!
Was macht Ihr hier von Wittenberg, Horatio?
Marcellus?
MARCELLUS: Gnäd’ger Herr -
HAMLET: Es freut mich, Euch zu sehn. Habt guten Abend!
Im Ernst, was führt Euch weg von Wittenberg?
Horatio: Ein müßiggängerischer Hang, mein Prinz. Hamlet: Das
möcht’ ich Euren Feind nicht sagen hören, Noch sollt Ihr
meinem Ohr den Zwang antun,
Dass Euer eignes Zeugnis gegen Euch
Ihm gültig wär\ Ich weiß, Ihr geht nicht müßig.
Doch was ist. Eu’r Geschäft in Helsingör?
Ihr sollt noch trinken lernen, eh’ Ihr reist.
Horatio: Ich kam zu Eures Vaters Leichenfeier.
Hamlet: Ich bitte, spotte meiner nicht, mein Schulfreund; Du
kamst gewiss zu meiner Mutter Hochzeit.
Horatio: Fürwahr, mein Prinz, sie folgte schnell darauf. Hamlet:
Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! Das Gebackne Vom
Leichenschmaus gab kalte Hochzeitschüsseln.
Hätt’ ich den ärgsten Feind im Himmel lieber Getroffen, als
den Tag erlebt, Horatio!
Mein Vater - mich dünkt, ich sehe meinen Vater. Horatio: Wo,
mein Prinz?
Hamlet: In meines Geistes Aug’, Horatio.
Horatio: Ich sah ihn einst, er war ein wackrer König. Hamlet: Er
war ein Mann, nehmt alles nur in allem,
Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.
Horatio: Mein Prinz, ich denk’, ich sah ihn vor’ge Nacht. Hamlet:
Sah? wen?
Horatio: Mein Prinz, den König, Euren Vater.
Hamlet: Den König, meinen Vater?
Horatio: Beruhigt das Erstaunen eine Weil’
Durch ein aufmerksam Ohr; bis ich dies Wunder,
Auf die Bekräftigung der Männer hier,
Euch kann berichten.
Hamlet: Um Gottes willen, lasst mich hören!
Horatio: Zwei Nächte nacheinander war’s den beiden,
Marcellus und Bernardo, auf der Wache In toter Stille tiefer
Mitternacht So widerfahren. Ein Schatte wie Eu’r Vater
Erscheint vor ihnen, geht mit ernstem Tritt
Langsam vorbei und stattlich; schreitet dreimal Vor ihren
starren, furchtergriffnen Augen,
So dass sein Stab sie abreicht; während sie,
Geronnen fast zu Gallert durch die Furcht,
Stumm stehn, und reden nicht mit ihm. Dies nun In
banger Heimlichkeit vertraun sie mir.
Ich hielt die dritte Nacht mit ihnen Wache;
Und da, wie sie berichtet, nach der Zeit,
Gestalt des Dings, buchstäblich alles wahr,
Kommt das Gespenst. Ich kannte Euren Vater:
Hier diese Hände gleichen sich nicht mehr.
HAMLET: WO ging dies aber vor?
Marcellus: Auf der Terrasse, wo wir Wache hielten. Hamlet: Ihr
sprächet nicht mit ihm?
Horatio: Ich tat’s, mein Prinz,
Doch Antwort gab es nicht; nur einmal schien’s,
Es hob’ sein Haupt empor und schickte sich Zu der Bewegung
an, als wollt’ es sprechen.
Doch eben krähte laut der Morgenhahn,
Und bei dem Tone schlüpft’ es eilig weg Und schwand aus
unserm Blick.
Hamlet: Sehr sonderbar.
Horatio: Bei meinem Leben, edler Prinz, ‘s ist wahr;
Wir hielten’s durch die Pflicht uns vorgeschrieben,
Die Sach’ Euch kundzutun.
Hamlet: Im Ernst, im Ernst, ihr Herrn, dies ängstigt mich. Habt
ihr die Wache heut?
Alle: Ja, gnäd’ger Herr.
Hamlet: Geharnischt, sagt ihr?
Alle: Geharnischt, gnäd’ger Herr.
Hamlet: Vom Wirbel bis zur Zeh?
Alle: Von Kopf zu Fuß.
Hamlet: So saht Ihr sein Gesicht nicht?
Horatio: O ja doch, sein Visier war aufgezogen.
Hamlet: Nun, blickt’ er finster?
Horatio: Eine Miene, mehr Des Leidens als des Zorns.
Hamlet: Blass oder rot?
Horatio: Nein, äußerst blass.
Hamlet: Sein Aug’ auf euch geheftet?
Horatio: Ganz fest.
Hamlet: Ich wollt’, ich wär’ dabei gewesen. Horatio: Ihr
hättet Euch gewiss entsetzt.
Hamlet: Sehr glaublich,
Sehr glaublich. Blieb es lang’?
Horatio: Derweil mit mäß’ger Eil’
Man hundert zählen konnte.
Marcellus, Bernardo: Länger, länger.
Horatio: Nicht, da ich’s sah.
Hamlet: Sein Bart war greis, nicht wahr?
Horatio: Wie ich’s an ihm bei seinem Leben sah, Ein
schwärzlich Silbergrau.
Hamlet: Ich will heut wachen.
Vielleicht wird’s wieder kommen.
Horatio: Zuverlässig.
Hamlet: Erscheint’s in meines edlen Vaters Bildung, So
red’ ich’s an, gähnt’ auch die Hölle selbst Und hieß’
mich ruhig sein. Ich bitt’ euch alle:
Habt ihr bis jetzt verheimlicht dies Gesicht,
So haltet’s ferner fest in eurem Schweigen;
Und was sich sonst zu Nacht ereignen mag,
Gebt allem einen Sinn, doch keine Zunge:
Ich will die Lieb’ euch lohnen; lebt denn wohl!
Auf der Terrasse zwischen elf und zwölf Besuch’ ich
euch.
ALLE: Eu’r Gnaden unsre Dienste!
HAMLET: Nein, eure Liebe, so wie meine euch.
Lebt wohl nun! (Horatio, Marcellus und Bernardo ab) Meines
Vaters Geist in Waffen!
Es taugt nicht alles: ich vermute was
Von argen Ränken. Wär’ die Nacht erst da!
Bis dahin ruhig, Seele! Schnöde Taten,
Birgt sie die Erd’ auch, müssen sich verraten. (Ab)
Dritte Szene
EIN ZIMMER IN POLONIUS’ HAUSE
Laertes und Ophelia treten auf.
Laertes: Mein Reisegut ist eingeschifft. Leb wohl,
Und, Schwester, wenn die Winde günstig sind Und
Schiffsgeleit sich findet, schlaf’ nicht, lass Von dir
mich hören!
Ophelia: Zweifelst du daran?
Laertes: Was Hamlet angeht und sein Liebsgetändel,
So nimm’s als Sitte, als ein Spiel des Bluts;
Ein Veilchen in der Jugend der Natur,
Frühzeitig, nicht beständig - süß, nicht dauernd,
Nur Duft und Labsal eines Augenblicks:
Nichts weiter.
Ophelia: Weiter nichts?
Laertes: Nur dafür halt’ es:
Denn die Natur, aufstrebend, nimmt nicht bloß An Groß’
und Sehnen zu; wie dieser Tempel wächst,
So wird der innre Dienst von Seel’ und Geist Auch
weit mit ihm. Er liebt Euch jetzt vielleicht;
Kein Arg und kein Betrug befleckt bis jetzt Die
Tugend seines Willens: doch befürchte,
Bei seinem Rang gehört sein Will’ ihm nicht!
Er selbst ist der Geburt ja untertan.
Er kann nicht, wie geringe Leute tun,
Für sich auslesen; denn an seiner Wahl Hängt
Sicherheit und Heil des ganzen Staats.
Deshalb muss seine Wahl beschränket sein Vom
Beifall und der Stimme jenes Körpers,
Von welchem er das Haupt. Wenn er nun sagt, er liebt dich,
Geziemt es deiner Klugheit, ihm zu glauben,
So weit er nach besonderm Recht und Stand Tat geben kann
dem Wort; das heißt, nicht weiter Als Dänemarks gesamte
Stimme geht.
Bedenk’, was deine Ehre leiden kann,
Wenn du zu gläubig seinem Liede lauschest,
Dein Herz verlierst, und deinen keuschen Schatz Vor seinem
ungestümen Drängen öffnest.
Fürcht’ es, Ophelia! fürcht’ es, liebe Schwester,
Und halte dich im Hintergrund der Neigung,
Fern von dem Schuss und Anfall der Begier!
Das scheuste Mädchen ist verschwend’risch noch, Wenn sie
dem Monde ihren Reiz enthüllt.
Selbst Tugend nicht entgeht Verleumdertücken,
Es nagt der Wurm des Frühlings Kinder an,
Zu oft noch eh’ die Knospe sich erschließt,
Und in der Früh’ und frischem Tau der Jugend Ist gift’ger
Anhauch am gefährlichsten.
Sei denn behutsam! Furcht gibt Sicherheit,
Auch ohne Feind hat Jugend innern Streit.
OPHELIA: Ich will den Sinn so guter Lehr’ bewahren, Als
Wächter meiner Brust; doch, lieber Bruder,
Zeigt nicht, wie heilvergess’ne Pred’ger tun,
Den steilen Dornenweg zum Himmel ändern, Derweil als
frecher, lockrer Wollüstling Er selbst den Blumenpfad der
Lust betritt Und spottet seines Rats.
LAERTES: O fürchtet nichts!
Zu lange weil’ ich - doch da kommt mein Vater. (Polonius
kommt)
Zwiefacher Segen ist ein zwiefach Heil:
Der Zufall lächelt einem zweiten Abschied.
POLONIUS: Noch hier, Laertes? Ei, ei! an Bord, an Bord! Der
Wind sitzt in dem Nacken Eures Segels,
Und man verlangt Euch. Hier mein Segen mit dir -
(Indem er dem Laertes die Hand aufs Haupt legt)
Und diese Regeln präg’ in dein Gedächtnis:
Gib den Gedanken, die du hegst, nicht Zunge,
Noch einem ungebührlichen die Tat!
Leutselig sei, doch keineswegs gemein!
Den Freund, der dein, und dessen Wahl erprobt,
Mit ehr’nen Haken klamm’r ihn an dein Herz!
Doch härte deine Hand nicht durch Begrüßung Von jedem
neugeheckten Bruder! Hüte dich,
In Händel zu geraten; bist du drin:
Führ’ sie, dass sich dein Feind vor dir mag hüten!
Dein Ohr leih’ jedem, wen’gen deine Stimme;
Nimm Rat von allen, aber spar’ dein Urteil!
Die Kleidung kostbar, wie’s dein Beutel kann,
Doch nicht ins Grillenhafte; reich, nicht bunt:
Denn es verkündigt oft die Tracht den Mann,
Und die vom ersten Rang und Stand in Frankreich Sind darin
ausgesucht und edler Sitte.
Kein Borger sei und auch Verleiher nicht:
Sich und den Freund verliert das Darlehn oft,
Und Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.
Dies über alles: sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
Leb wohl! mein Segen fördre dies an dir!
Laertes: In Ehrerbietung nehm’ ich Abschied, Herr. Polonius:
Euch ruft die Zeit; geht, Eure Diener warten. Laertes: Leb
wohl, Ophelia, und gedenk’ an das,
Was ich dir sagte!
Ophelia: Es ist in mein Gedächtnis fest verschlossen, Und Ihr
sollt selbst dazu den Schlüssel führen.
LAERTES: Lebt wohl. (Ab)
Polonius: Was ist’s, Ophelia, das er Euch gesagt? Ophelia: Wenn
Ihr erlaubt, vom Prinzen Hamlet war’s. Polonius: Ha, wohl
bedacht!
Ich höre, dass er Euch seit kurzem oft Vertraute Zeit geschenkt;
und dass Ihr selbst Mit Eurem Zutritt sehr bereit und frei wart.
Wenn dem so ist - und so erzählt man mir’s,
Und das als Warnung zwar -, muss ich Euch sagen,
Dass Ihr Euch selber nicht so klar versteht,
Als meiner Tochter ziemt und Eurer Ehre.
Was gibt es zwischen euch? Sagt mir die Wahrheit!
Ophelia: Er hat seither Anträge mir getan Von seiner Zuneigung.
Polonius: Pah, Zuneigung! Ihr sprecht wie junges Blut,
In solchen Fährlichkeiten unbewandert.
Und glaubt Ihr den Anträgen, wie Ihr’s nennt?
Ophelia: Ich weiß nicht, Vater, was ich denken soll? Polonius: So hört’s
denn: denkt, Ihr seid ein dummes Ding, Dass Ihr für bar Anträge
habt genommen,
Die ohn’ Ertrag sind. Nein, betragt Euch klüger,
Sonst (um das arme Wort nicht tot zu hetzen)
Trägt Eure Narrheit noch Euch Schaden ein.
Ophelia: Er hat mit seiner Lieb’ in mich gedrungen,
In aller Ehr’ und Sitte.
Polonius: Ja, Sitte mögt Ihr’s nennen: geht mir, geht! Ophelia: Und hat
sein Wort beglaubigt, lieber Herr,
Beinah’ durch jeden heil’gen Schwur des Himmels. Polonius: Ja,
Sprenkel für die Drosseln! Weiß ich doch, Wenn das Blut kocht,
wie das Gemüt der Zunge Freigebig Schwüre leiht. Dies Lodern,
Tochter,
Mehr leuchtend als erwärmend, und erloschen Selbst im
Versprechen, während es geschieht,
Nehmt keineswegs für Feuer! Kargt von nun an Mit Eurer
jungfräulichen Gegenwart Ein wenig mehr; schätzt Eure
Unterhaltung Zu hoch, um auf Befehl bereit zu sein!
Und was Prinz Hamlet angeht, traut ihm so:
Er sei noch jung, und habe freiem Spielraum,
Als Euch vergönnt mag werden. Kurz, Ophelia,
Traut seinen Schwüren nicht: denn sie sind Kuppler,
Nicht von der Farbe ihrer äußern Tracht,
Fürsprecher sündlicher Gesuche bloß,
Gleich frommen, heiligen Gelübden atmend,
Um besser zu berücken. Eins für alles:
Ihr sollt mir, grad’ heraus, von heute an Die Muße keines
Augenblicks so schmähn,
Dass Ihr Gespräche mit Prinz Hamlet pflöget.
Seht zu, ich sag’s Euch: geht nun Eures Weges!
Ophelia: Ich will gehorchen, Herr. (Ab)
Vierte Szene
Die Terrasse
Hamlet, Horatio und Marcellus treten auf.
Hamlet: Die Luft geht scharf, es ist entsetzlich kalt. Horatio:
‘S ist eine schneidende und strenge Lust. Hamlet: Was ist
die Uhr?
Horatio: Ich denke, nah an zwölf.
Marcellus: Nicht doch, es hat geschlagen.
Horatio: Wirklich schon?
Ich hört’ es nicht; so rückt heran die Stunde,
Worin der Geist gewohnt ist umzugehn.
(Trompetenstoß und Geschütz abgefeuert hinter der Szene)
Was stellt das vor, mein Prinz?
Hamlet: Der König wacht die Nacht durch, zecht vollauf, Hält
Schmaus und taumelt den geräusch’gen Walzer;
Und wie er Züge Rheinweins niedergießt,
Verkünden schmetternd Pauken und Trompeten
Den ausgebrachten Trunk.
Horatio: Ist das Gebrauch?
Hamlet: Nun freilich wohl:
Doch meines Dünkens (bin ich eingeboren Und
drin erzogen schon) ist’s ein Gebrauch,
Wovon der Bruch mehr ehrt als die Befolgung.
Dies schwindelköpfge Zechen macht verrufen Bei
ändern Völkern uns in Ost und West;
Man heißt uns Säufer, hängt an unsre Namen Ein
schmutzig Beiwort; und fürwahr, es nimmt Von
unsern Taten, noch so groß verrichtet,
Den Kern und Ausbund unsers Wertes weg.
So geht es oft mit einzlen Menschen auch,
Dass sie durch ein Naturmal, das sie schändet,
Als etwa von Geburt (worin sie schuldlos,
Weil die Natur nicht ihren Ursprung wählt)
Ein Übermaß in ihres Blutes Mischung,
Das Dämm’ und Schanzen der Vernunft oft einbricht,
Auch wohl durch Angewöhnung, die zu sehr
Den Schein gefäll’ger Sitten überrostet -
Dass diese Menschen, sag’ ich, welche so
Von einem Fehler das Gepräge tragen
(Sei’s Farbe der Natur, sei’s Fleck des Zufalls),
Und wären ihre Tugenden so rein Wie Gnade sonst, so
zahllos wie ein Mensch Sie tragen mag: in dem
gemeinen Tadel Steckt der besondre Fehl sie doch mit
an;
Der Gran von Schlechtem zieht des edlen Wertes
Gehalt herab in seine eigne Schmach.
(Der Geist kommt)
HORATIO: O seht, mein Prinz, es kommt!
HAMLET: Engel und Boten Gottes steht uns bei!
Sei du ein Geist des Segens, sei ein Kobold,
Bring’ Himmelslüfte oder Dampf der Hölle,
Sei dein Beginnen boshaft oder liebreich,
Du kommst in so fragwürdiger Gestalt,
Ich rede doch mit dir; ich nenn’ dich Hamlet,
Fürst, Vater, Dänenkönig: o gibt Antwort!
Lass mich in Blindheit nicht vergehn! Nein, sag:
Warum dein fromm Gebein, verwahrt im Tode,
Die Leinen hat gesprengt? warum die Gruft,
Worin wir ruhig eingeurnt dich sahn,
Geöffnet ihre schweren Marmorkiefern,
Dich wieder auszuwerfen? Was bedeutet’s,
Dass, toter Leichnam, du, in vollem Stahl,
Aufs Neu’ des Mondes Dämmerschein besuchst,
Die Nacht entstellend; dass wir Narren der Natur So
furchtbarlich uns schütteln mit Gedanken,
Die unsre Seele nicht erreichen kann?
HORATIO: ES winket Euch, mit ihm hinwegzugehn,
Als ob es eine Mitteilung verlangte Mit Euch allein.
Marcellus: Seht, wie es Euch mit freundlicher Gebärde Hinweist an
einen mehr entlegnen Ort:
Geht aber nicht mit ihm!
Horatio: Nein, keineswegs.
Hamlet: Es will nicht sprechen: wohl, so folg’ ich ihm. Horatio: Tut’s
nicht, mein Prinz!
HAMLET: Was wäre da zu fürchten?
Mein Leben acht’ ich keine Nadel wert;
Und meine Seele, kann es der was tun,
Die ein unsterblich Ding ist, wie es selbst?
Es winkt mir wieder fort, ich folg’ ihm nach.
Horatio: Wie, wenn es hin zur Flut Euch lockt, mein Prinz, Vielleicht
zum grausen Gipfel jenes Felsen,
Der in die See nickt über seinen Fuß,
Und dort in andre Schreckgestalt sich kleidet,
Die der Vernunft die Herrschaft rauben könnte Und Euch zum
Wahnsinn treiben? Oh, bedenkt!
Der Ort an sich bringt Grillen der Verzweiflung Auch ohne
weitern Grund in jedes Hirn,
Der so viel Klafter niederschaut zur See Und hört sie unten
brüllen.
Hamlet: Immer winkt es:
Geh nur! Ich folge dir.
Marcellus: Ihr dürft nicht gehn, mein Prinz!
HAMLET: Die Hände weg!
HORATIO: Hört uns, Ihr dürft nicht gehn!
Hamlet: Mein Schicksal ruft,
Und macht die kleinste Ader dieses Leibes
So fest als Sehnen des Nemeer Löwen. (Der Geist winkt)
Es winkt mir immerfort: lasst los! Beim Himmel,
(reißt sich los)
Den mach’ ich zum Gespenst, der mich zurückhält! - Ich
sage, fort! - Voran! Ich folge dir.
(Der Geist und Hamlet ab)
Horatio: Er kommt ganz außer sich vor Einbildung. Marcellus: Ihm nach!
Wir dürfen ihm nicht so gehorchen. Horatio: Kommt, folgen wir!
Welch Ende wird dies nehmen? Marcellus: Etwas ist faul im Staate
Dänemarks.
Horatio: Der Himmel wird es lenken.
Marcellus: Lasst uns gehn!
Fünfte Szene
EIN ABGELEGENER TEIL DER TERRASSE
Der Geist und Hamlet kommen.
HAMLET: WO führst du hin mich? Red’, ich geh nicht weiter. GEIST: Hör’ an!
Hamlet: Ich will’s.
Geist: Schon naht sich meine Stunde,
Wann ich den schweflichten, qualvollen Flammen Mich übergeben
muss.
Hamlet: Ach, armer Geist!
Geist: Beklag’ mich nicht, doch leih’ dein ernst Gehör Dem, was ich
kund will tun.
Hamlet: Sprich! mir ist’s Pflicht zu hören.
GEIST: ZU rächen auch, sobald du hören wirst.
HAMLET: Was?
Geist: Ich bin deines Vaters Geist:
Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern,
Und tags gebannt, zu fasten in der Glut,
Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit Hinweggeläutert sind.
Wär’ mir’s nicht untersagt,
Das Innre meines Kerkers zu enthüllen,
So hob’ ich eine Kunde an, von der Das kleinste Wort die Seele
dir zermalmte,
Dein junges Blut erstarrte, deine Augen Wie Stern’ aus ihren
Kreisen schießen machte,
Dir die verworrnen krausen Locken trennte Und sträubte jedes
einzle Haar empor,
Wie Nadeln an dem zorn’gen Stacheltier:
Doch diese ew’ge Offenbarung fasst
Kein Ohr von Fleisch und Blut. - Horch, horch! o horch!
Wenn du je deinen teuren Vater liebtest -
HAMLET: O Himmel!
Geist: Räch’ seinen schnöden, unerhörten Mord!
HAMLET: Mord?
Geist: Ja, schnöder Mord, wie er aufs Beste ist,
Doch dieser unerhört und unnatürlich.
HAMLET: Eil’, ihn zu melden: dass ich auf Schwingen, rasch Wie
Andacht und des Liebenden Gedanken,
Zur Rache stürmen mag.
GEIST: DU scheinst mir willig:
Auch wärst du träger als das feiste Kraut,
Das ruhig Wurzel treibt an Lethes Bord,
Erwachtest du nicht hier. Nun, Hamlet, höre:
Es heißt, dass, weil ich schlief in meinem Garten,
Mich eine Schlange stach; so wird das Ohr des Reichs Durch
den erlognen Hergang meines Todes Schmählich getäuscht;
doch wisse, edler Jüngling,
Die Schlang’, die deines Vaters Leben stach,
Trägt seine Krone jetzt.
HAMLET: O mein prophetisches Gemüt! Mein Oheim?
Geist: Ja, der blutschänderische Ehebrecher,
Durch Witzes Zauber, durch Verrätergaben (O arger
Witz und Gaben, die im Stand So zu verführen
sind!) gewann den Willen Der scheinbar
tugendsamen Königin Zu schnöder Lust. O Hamlet,
welch ein Abfall! Von mir, des Liebe von der
Echtheit war,
Dass Hand in Hand sie mit dem Schwure ging, Den
ich bei der Vermählung tat; erniedert Zu einem
Sünder, von Natur durchaus Armselig gegen mich!
Allein wie Tugend nie sich reizen lässt,
Buhlt Unzucht auch um sie in Himmelsbildung, So
Lust, gepaart mit einem lichten Engel,
Wird dennoch eines Götterbettes satt
Und hascht nach Wegwurf. -
Doch still! mich dünkt, ich wittre Morgenluft:
Kurz lass mich sein. - Da ich im Garten schlief,
Wie immer meine Sitte nachmittags,
Beschlich dein Oheim meine sichre Stunde,
Mit Saft verfluchten Bilsenkrauts im Fläschchen,
Und träufelt’ in den Eingang meines Ohrs Das
schwärende Getränk; wovon die Wirkung So mit
des Menschen Blut in Feindschaft steht, Dass es
durch die natürlichen Kanäle Des Körpers hurtig,
wie Quecksilber, läuft;
Und wie ein saures Lab, in Milch getropft,
Mit plötzlicher Gewalt gerinnen macht Das leichte,
reine Blut. So tat es meinem,
Und Aussatz schuppte sich mir augenblicklich, Wie
einem Lazarus, mit ekler Rinde Ganz um den glatten
Leib.
So ward ich schlafend und durch Bruderhand In
meiner Sünden Blüte hingerafft,
Ohne Nachtmahl, ungebeichtet, ohne Ölung; Die
Rechnung nicht geschlossen, ins Gericht
Mit aller Schuld auf meinem Haupt gesandt.
O schaudervoll! o schaudervoll! höchst schaudervoll! Hast
du Natur in dir, so leid’ es nicht;
Lass Dänmarks königliches Bett kein Lager Für Blutschand’
und verruchte Wollust sein!
Doch, wie du immer diese Tat betreibst,
Befleck’ dein Herz nicht; dein Gemüt ersinne Nichts gegen
deine Mutter: überlass sie Dem Himmel und den Dornen, die
im Busen Ihr stechend wohnen! Lebe wohl mit eins!
Der Glühwurm zeigt, dass sich die Frühe naht,
Und sein unwirksam Feu’r beginnt zu blassen.
Ade! Ade! Ade! Gedenke mein! (Ab)
Hamlet: O Heer des Himmels! Erde! - Was noch sonst? Nenn’
ich die Hölle mit? - O pfui! Halt, halt mein Herz! Ihr meine
Sehnen, altert nicht sogleich,
Tragt fest mich aufrecht! - Dein gedenken? Ja,
Du armer Geist, solang’ Gedächtnis haust In dem zerstörten
Ball hier. Dein gedenken?
Ja, von der Tafel der Erinn’rung will ich Weglöschen alle
törichten Geschichten,
Aus Büchern alle Sprüche, alle Bilder,
Die Spuren des Vergangnen, welche da Die Jugend
einschrieb und Beobachtung;
Und dein Gebot soll leben ganz allein Im
Buche meines Hirnes, unvermischt Mit
minder würd’gen Dingen. - Ja, beim
Himmel!
O höchst verderblich Weib!
O Schurke! lächelnder, verdammter Schurke! Schreibtafel
her! Ich muss mir’s niederschreiben,
Dass einer lächeln kann, und immer lächeln,
Und doch ein Schurke sein; zum wenigsten Weiß ich gewiss,
in Dänmark kann’s so sein.
Da steht Ihr, Oheim. Jetzt zu meiner Losung!
Sie heißt: „Ade, ade! Gedenke mein!“
Ich hab’s geschworen.
Horatio (hinter der Szene): Mein Prinz! Mein Prinz!
MARCELLUS (hinter der Szene): Prinz Hamlet!
Horatio (hinter der Szene): Gott beschütz’ ihn!
HAMLET: So sei es!
Marcellus (hinter der Szene): Heda! Ho! Mein Prinz!
HAMLET: Ha! heisa, Junge! Komm, Vögelchen, komm! (Horatio und
Marcellus kommen)
Marcellus: Wie steht’s, mein gnäd’ger Herr?
Horatio: Was gibt’s, mein Prinz?
Hamlet: Oh, wunderbar!
Horatio: Sagt, bester, gnäd’ger Herr!
Hamlet: Nein, ihr verratet’s.
Horatio: Ich nicht, beim Himmel, Prinz.
Marcellus: Ich gleichfalls nicht.
Hamlet: Was sagt ihr? Sollt’s ‘ne Menschenseele denken? -
Doch ihr wollt schweigen? -
Horatio, Marcellus: Ja, beim Himmel, Prinz!
Hamlet: Es lebt kein Schurk’ im ganzen Dänemark,
Der nicht ein ausgemachter Bube wär’.
Horatio: Es braucht kein Geist vom Grabe herzukommen, Um das
zu sagen.
Hamlet: Richtig; Ihr habt recht.
Und so, ohn’ alle weitre Förmlichkeit,
Denk’ ich, wir schütteln uns die Händ’ und scheiden;
Ihr tut, was euch Beruf und Neigung heißt - Denn jeder Mensch
hat Neigung und Beruf,
Wie sie denn sind - ich, für mein armes Teil,
Seht ihr, will beten gehn.
Horatio: Dies sind nur wirblige und irre Worte, Herr. Hamlet: Es tut
mir leid, dass sie Euch ärgern, herzlich;
Ja, mein’ Treu’, herzlich.
Horatio: Kein Ärgernis, mein Prinz.
Hamlet: Doch, bei Sankt Patrick, gibt es eins, Horatio, Groß
Ärgernis. Was die Erscheinung angeht,
Ich sag’ euch, ‘s ist ein ehrliches Gespenst.
Die Neugier, was es zwischen uns doch gibt,
Bemeistert, wie ihr könnt! Und nun, ihr Lieben,
Wofern ihr Freunde seid, Mitschüler, Krieger,
Gewährt ein Kleines mir!
HORATIO: Was ist’s? Wir sind bereit.
HAMLET: Macht nie bekannt, was ihr die Nacht gesehn! HORATIO, MARCELLUS:
Wir wollen’s nicht, mein Prinz.
HAMLET: Gut, aber schwört!
HORATIO: Auf Ehre, Prinz, ich nicht!
MARCELLUS: Ich gleichfalls nicht, auf Ehre!
HAMLET: Auf mein Schwert!
MARCELLUS: Wir haben schon geschworen, gnäd’ger Herr. HAMLET: Im
Ernste, auf mein Schwert, im Ernste!
GEIST (unter der Erde): Schwört!
HAMLET: Haha, Bursch! sagst du das? Bist du da, Grundehrlich? Wohlan
- ihr hört im Keller den Gesellen - Bequemt euch zu schwören!
HORATIO: Sagt den Eid!
HAMLET: Niemals von dem, was ihr gesehn, zu sprechen, Schwört auf
mein Schwert!
GEIST (unter der Erde): Schwört!
HAMLET: Hic et ubique? Wechseln wir die Stelle! - Hierher, ihr Herren,
kommt,
Und legt die Hände wieder auf mein Schwert:
Schwört auf mein Schwert,
Niemals von dem, was ihr gehört, zu sprechen!
GEIST (unter der Erde): Schwört auf sein Schwert!
HAMLET: Brav, alter Maulwurf! Wühlst so hurtig fort?
O trefflicher Minierer! - Nochmals weiter, Freunde!
HORATIO: Beim Sonnenlicht, das ist erstaunlich fremd.
HAMLET: SO heiß’ als einen Fremden es willkommen.
Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden,
Als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.
Doch kommt!
Hier, wie vorhin, schwört mir, so Gott euch helfe,
Wie fremd und seltsam ich mich nehmen mag,
Da mir’s vielleicht in Zukunft dienlich scheint,
Ein wunderliches Wesen anzulegen:
Ihr wollet nie, wenn ihr alsdann mich seht,
Die Arme so verschlingend, noch die Köpfe So schüttelnd,
noch durch zweifelhafte Reden,
Als: „Nun, nun, wir wissen“ - oder „Wir könnten, wenn wir
wollten“ - oder: Ja, wenn wir reden möchten“ - oder: „Es gibt
ihrer, wenn sie nur dürften“ - Und solch verstohlnes Deuten
mehr, verraten,
Dass ihr von mir was wisset: dieses schwört,
So Gott in Nöten und sein Heil euch helfe!
GEIST (unter der Erde): Schwört!
HAMLET: Ruh’, ruh’, verstörter Geist! - Nun, liebe Herrn,
Empfehl’ ich euch mit aller Liebe mich,
Und was ein armer Mann, wie Hamlet ist,
Vermag, euch Lieb’ und Freundschaft zu bezeugen,
So Gott will, soll nicht fehlen. Lasst uns gehn,
Und, bitt’ ich, stets die Finger auf den Mund!
Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram,
Dass ich zur Welt, sie einzurichten, kam!
Nun kommt, lasst uns zusammen gehn! (Alle ab)
ZWEITER AUFZUG
Erste Szene
EIN ZIMMER IM HAUSE DES POLONIUS
Polonius und Reinhold treten auf.
POLONIUS: Gib ihm dies Geld und die Papiere, Reinhold! REINHOLD: Ja, gnäd’ger
Herr.
Polonius: Ihr werdet mächtig klug tun, guter Reinhold,
Euch zu erkund’gen, eh’ Ihr ihn besucht,
Wie sein Betragen ist.
Reinhold: Das dacht’ ich auch zu tun.
Polonius: Ei, gut gesagt! recht gut gesagt! Seht Ihr,
Erst fragt mir, was für Dänen in Paris sind,
Und wie, wer, auf was Art, und wo sie leben,
Mit wem, was sie verzehren; wenn Ihr dann Durch diesen Umschweif
Eurer Fragen merkt,
Sie kennen meinen Sohn, so kommt Ihr näher.
Berührt alsdann es mit besondern Fragen,
Tut gleichsam wie von fern bekannt; zum Beispiel:
„Ich kenne seinen Vater, seine Freunde,
Und auch zum Teil ihn selbst.“ - Versteht Ihr, Reinhold? Reinhold:
Vollkommen, gnäd’ger Herr.
Polonius: „Zum Teil auch ihn; doch“, mögt Ihr sagen, „wenig, Und
wenn’s der rechte ist, der ist gar wild,
Treibt dies und das“ - dann gebt ihm nach Belieben Erlogne Dinge
schuld; nun, nichts so Arges,
Das Schand’ ihm brächte; davor hütet Euch!
Nein, solche wilde, ausgelassne Streiche,
Als hergebrachter Maßen die Gefährten Der Jugend und der Freiheit
sind.
Reinhold: Als spielen.
Polonius: Ja, oder trinken, raufen, fluchen, zanken,
Huren - so weit könnt Ihr gehn.
Reinhold: Das würd’ ihm Schande bringen, gnäd’ger Herr.
Polonius: Mein’ Treu’ nicht, wenn Ihr’s nur zu wenden wisst.
Ihr müsst ihn nicht in ändern Leumund bringen,
Als übermannt’ ihn Unenthaltsamkeit:
Das ist die Meinung nicht; bringt seine Fehler zierlich Ans Licht,
dass sie der Freiheit Flecken scheinen,
Der Ausbruch eines feurigen Gemüts,
Und eine Wildheit ungezähmten Bluts,
Die jeden anficht.
Reinhold: Aber, bester Herr - Polonius: Weswegen Ihr dies tun sollt?
Reinhold: Ja, das wünscht’ ich Zu wissen, Herr.
POLONIUS: Ei nun, mein Plan ist der,
Und, wie ich denke, ist’s ein Pfiff, der anschlägt:
Werft Ihr auf meinen Sohn so kleine Makeln,
Als wär’ er in der Arbeit was beschmutzt - Merkt wohl!
Wenn der Mitunterredner, den Ihr aushorcht,
In vorbenannten Lastern jemals schuldig Den jungen Mann gesehn,
so seid gewiss,
Dass selb’ger folgendergestalt Euch beitritt:
„Lieber Herr“, oder so; oder „Freund“, oder „mein Wertester“,
Wie nun die Redensart und Betitlung Bei Land und Leuten üblich
ist.
Reinhold: Sehr wohl.
Polonius: Und hierauf tut er dies: - Er tut - ja was wollte ich doch sagen?
Beim Sakrament, ich habe was sagen wollen. Wo brach ich ab? Reinhold:
Bei „folgendergestalt Euch beitritt“.
Polonius: Bei „folgendergestalt Euch beitritt“. - Ja,
Er tritt Euch also bei: „Ich kenn’ ihn wohl, den Herrn,
Ich sah ihn gestern oder neulich ‘mal,
Oder wann es war, mit dem und dem; und wie Ihr sagt,
Da spielt’ er hoch; da traf man ihn im Rausch;
Da rauft’ er sich beim Ballspiel“; oder auch:
„Ich sah ihn gehn in solch ein saubres Haus.“
(Will sagen: ein Bordell), und mehr dergleichen. - Seht nur, Eu’r
Lügenköder fängt den Wahrheitskarpfen;
So wissen wir, gewitzigt, helles Volk,
Mit Krümmungen und mit verstecktem Angriff Durch einen
Umweg auf den Weg zu kommen;
Und so könnt Ihr, wie ich Euch Anweisung Und Rat erteilet,
meinen Sohn erforschen.
Ihr habt’s gefasst, nicht wahr?
Reinhold: Ja, gnäd’ger Herr.
Polonius: Nun, Gott mit Euch! Lebt wohl!
Reinhold: Mein bester Herr -
Polonius: Bemerkt mit eignen Augen seinen Wandel! Reinhold: Das
will ich tun.
Polonius: Und dass er die Musik mir fleißig treibt!
Reinhold: Gut, gnäd’ger Herr. (Ab)
(Ophelia kommt)
Polonius: Lebt wohl! - Wie nun, Ophelia, was gibt’s? Ophelia: O lieber
Herr, ich bin so sehr erschreckt!
Polonius: Wodurch, in Himmels Namen?
Ophelia: Als ich in meinem Zimmer näht’, auf einmal Prinz Hamlet -
mit ganz aufgerissnem Wams,
Kein Hut auf seinem Kopf, die Strümpfe schmutzig Und
losgebunden auf den Knöcheln hängend;
Bleich wie sein Hemde, schlotternd mit den Knie’n;
Mit einem Blick, von Jammer so erfüllt,
Als wär’ er aus der Hölle losgelassen,
Um Greuel kundzutun, - so tritt er vor mich.
Polonius : Verrückt aus Liebe?
Ophelia: Herr, ich weiß es nicht.
Allein ich fürcht’ es wahrlich.
Polonius: Und was sagt er?
Ophelia: Er griff mich bei der Hand und hielt mich fest. Dann lehnt’
er sich zurück, so lang sein Arm;
Und mit der ändern Hand so überm Auge,
Betrachtet’ er so prüfend mein Gesicht,
Als wollt’ er’s zeichnen. Lange stand er so;
Zuletzt ein wenig schüttelnd meine Hand,
Und dreimal hin und her den Kopf so wägend,
Holt’ er solch einen bangen tiefen Seufzer,
Als sollt’ er seinen ganzen Bau zertrümmern Und endigen sein
Dasein. Dies getan,
Lässt er mich gehn; und über seine Schultern Den Kopf
zurückgedreht, schien er den Weg Zu finden ohne seine Augen;
denn Er ging zur Tür hinaus ohn’ ihre Hülfe,
Und wandte bis zuletzt ihr Licht auf mich.
Polonius: Geht mit mir, kommt: ich will den König suchen. Dies ist