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Maarten Sieverts, gebürtiger Ostfriese, lebt seit einigen Jahren in New York und ist Inhaber eines weltweit operierenden Ingenieurbüros. Als er eines Tages die Einladung zur Hochzeit seiner Schwester bekommt, fliegt er erstmals seit langer Zeit wieder in seine Heimat. Dort angekommen, begegnet er seinem alten Schulfreund Hauke. Hauke ist schwer erkrankt und vertraut Maarten die Vermutung an, man habe ihn an seinem Arbeitsplatz vergiftet. Als er kurze Zeit später stirbt, beschließt Maarten, der Sache eigenmächtig auf den Grund zu gehen und schließt ein Joint-Venture mit Haukes Firma – der N. S. Offshore-Power Ltd. in Emden, die in der Nordsee Offshore-Windkraft-Projekte realisiert. Gemeinsam mit einer Freundin aus Kindheitstagen nimmt er Nachforschungen vor und schon bald wird er hineingezogen in einem Strudel aus Machtgier, Manipulation und Intrigen …
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Elke Bergsma
Windbruch
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Umschlaggestaltung nach einer Idee der Autorin
Umschlagabbildung: Fotolia
Satz: Georg Stadler, München
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-008-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-009-5
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Für meinen Onkel
Gerhard Poppinga – einen wahren Ostfriesen.
Du fehlst!
»Herr Dr. Sieverts, als Sie in der Besprechung waren, kam ein Anruf aus Tokio rein. Irgendwas ist da mit der Anlage schiefgelaufen. Sie müssten sich mal darum kümmern.«
Maarten Sieverts nickte knapp und runzelte verärgert die Stirn. Schon wieder Tokio. Da gab es ständig Probleme. »Am besten fliege ich selbst mal hin und schau mir die Sache an«, sagte er dann zu seiner jungen Assistentin und legte ihr zwei prall gefüllte Aktenordner auf den Schreibtisch. »Wie sieht es terminlich aus?«
»Mitte nächsten Jahres wäre noch was frei oder ansonsten dann im übernächsten Jahr«, vermeldete Franziska Bintz sarkastisch und hob abwehrend die Hände. »Und sagen Sie jetzt bloß nicht: Das machen Sie schon, Franziska. Ich bin gerade froh, dass ich Ihr Date in Johannesburg für kommenden Monat auf die Reihe bekommen hab.«
»Ach, das machen Sie schon, Franziska«, sagte Maarten und versuchte ein Lächeln, was aber prompt in einem Gähnen mündete. »Entschuldigung«, murmelte er, während er sich die müden Augen rieb, und fügte dann hinzu: »Und buchen Sie für sich doch bitte auch einen Platz, ich brauche Sie dort drüben.« Damit wandte er sich seinem Büro zu.
»Sie sollten mal Urlaub machen, Herr Dr. Sieverts«, rief ihm Franziska hinterher, als er gerade mit einem Verbinden Sie mich bitte mit Tokio hinter seiner Bürotür verschwand.
»Ja, ja, sicher«, brummte Maarten und zog die Tür hinter sich zu. Urlaub machen. Wie ging das auch noch? Sein Doktorvater hatte mal zu ihm gesagt: Wer Urlaub braucht, hat den falschen Job. Kurz darauf war er einem Herzinfarkt erlegen. Damals hatte Maarten sich geschworen, dass er es nie so weit kommen lassen würde. Und jetzt?
Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich in seinen Schreibtischstuhl fallen und ließ seinen Blick über die imposante Skyline von Manhattan schweifen. In letzter Zeit hatte er tatsächlich das Gefühl, dass ihm alles über den Kopf wuchs. Erst gestern war er mitten in der Nacht aus Moskau zurückgekehrt, morgen ging es weiter nach Los Angeles, dann nach Buenos Aires. Und jetzt auch noch Tokio. Ein kaum merkliches Grinsen huschte über sein Gesicht, als er an die Reaktion seiner Assistentin dachte. Natürlich würde sie es hinbekommen, dass er in der japanischen Hauptstadt kurzfristig nach dem Rechten sehen konnte. Sie war erst seit einem knappen halben Jahr hier in New York, und er hatte sie ganz zufällig bei einem Geschäftstermin getroffen. Ihre frische Art hatte ihm sofort gefallen, genauso wie ihr immer leicht amüsierter Blick, der beständig den Eindruck erweckte, als würde sie das alles hier nicht so ernst nehmen. Sie war nicht wirklich hübsch zu nennen mit ihrer von Sommersprossen übersäten Stupsnase, den etwas zu weit auseinanderstehenden Augen und den meistens in alle Richtungen verwirbelten Haaren. Und für seinen Geschmack war sie auch ein wenig zu dünn. Aber sie hatte eindeutig eine Ausstrahlung, die ihn vom ersten Augenblick an fasziniert hatte. Und sie war mit Abstand die beste Assistentin, die er jemals gehabt hatte. Ja, sie war einfach Gold wert, ein absoluter Glücksgriff. Ab und zu klopfte er sich immer noch vor dem Spiegel auf die Schulter, weil er damals so geistesgegenwärtig gewesen war, ihr ohne besonderen Anlass seine Visitenkarte zu überreichen. Und wie der Zufall es wollte, hatte sich seine alte Assistentin wenig später unsterblich in einen Cowboy verliebt und war mit ihm nach Texas gegangen. Maarten wusste bis heute nicht, woher Franziska davon Wind bekommen hatte. Auf jeden Fall hatte sie schon sehr bald mit einem Hier bin ich vor seiner Tür gestanden – und schon am nächsten Tag ihren neuen Job angetreten. Lange hatte er überlegt, an wen ihn Franziska erinnerte. Und dann war es ihm ganz plötzlich, von einem Moment auf den anderen, klar geworden. Mit ihrer Gestik und ihrer Art zu sprechen erinnerte sie ihn an Swaantje, seine kleine Schwester. Auch die war immer ein kleiner Wirbelwind gewesen, und auch sie hatte immer ganz offen das ausgesprochen, was sie dachte. Was nicht immer allen Freude machte, aber das scherte sie nicht. Sie war, wie sie war, und das war auch gut so, fand sie. Ach ja, die kleine Swaantje …
»Herr Dr. Sieverts, ich habe Tokio am Apparat. Ich stelle durch«, wurde Maarten in seinen Gedanken jäh von Franziskas Stimme unterbrochen. »Und hier ist ein Fax gekommen, wirklich ganz entzückend, muss ich schon sagen.« Damit legte Franziska auf.
Maarten seufzte. Vorbei war’s mit der Tagträumerei. Er griff nach dem Hörer. »Hello, Mr. Yamamoto, how are you doing today?«
»Franziska, Sie sagten vorhin, es sei ein Fax für mich gekommen?«, fragte Maarten, nachdem er das Gespräch nach Japan beendet hatte und sich einen Kaffee aus dem Sekretariat holte. Früher hatte er sich seinen Kaffee bringen lassen, aber bei Franziska hatte er aus irgendeinem Grund Scheu, sie darum zu bitten. Und da sie es ihm auch nie angeboten hatte, kümmerte er sich eben selbst darum. So blieb er schließlich auch ein wenig in Bewegung.
»Ja, schauen Sie mal. Ist das nicht allerliebst?« Franziska strahlte wie ein Christbaumengel.
Neugierig nahm Maarten das Fax in die Hand, warf einen Blick darauf – und sofort traten ihm Tränen der Rührung in die Augen. Es war eine Kinderzeichnung. Zu sehen waren ein Deich mit einem kleinen Leuchtturm darauf, rundherum irgendwelche Kugeln mit offensichtlich vier Beinen. »Schafe«, murmelte er. »Wie bitte?«, fragte Franziska, die meinte, nicht richtig verstanden zu haben. »Schafe, auf dem Bild sind Schafe«, wiederholte Maarten und wischte sich verschämt eine Träne aus dem Augenwinkel. »Außerdem ist da die See, es ist Ebbe, ein paar Möwen laufen im Watt. Und unten drunter steht: Moin, Maarten. Mama und Papa heiraten, am 26. August im Pilsumer Leuchtturm. Du bist herzlich eingeladen. Es ist von meiner kleinen Nichte Jule aus Ostfriesland.«
Als Maarten aufblickte, stellte er fest, dass Franziska ihn mit einem unergründlichen Blick ansah. »Ja«, sagte er, »ist ja schon gut. Ich weiß, was ich zu tun habe.«
Wie lange war er nicht mehr in seiner Heimat gewesen? Sechs Jahre oder gar sieben? Maarten wusste es nicht mehr genau. Auf jeden Fall war es lange her, und er hatte auch nur einen Tag und eine Nacht dort verbracht. Es war zur Beerdigung seines Großvaters gewesen, an dem er als Kind sehr gehangen hatte. Die kleine Jule musste jetzt ungefähr sieben Jahre alt sein. Wenn er sich richtig erinnerte, sollte sie gerade in die Krabbelgruppe kommen, als er zum letzten Mal in Ostfriesland gewesen war. Jule war die Tochter seiner älteren Schwester Wiebke. Inzwischen gab es auch noch den kleinen Immo, Jules Bruder, aber den hatte Maarten noch nie gesehen.
Ostfriesland. Maarten schaute nachdenklich auf die Wolken unter sich, die wie riesige Watteknäuel über der Erde schwebten und nur ab und zu mal einen Blick auf den darunter liegenden Atlantik zuließen. Als leitender Ingenieur eines global tätigen Maschinenbauunternehmens hatte er sich so an das schnelle und aufregende Leben im Jetset gewöhnt, dass er nur noch selten an seine Heimatregion dachte. Ab und zu telefonierte er mal mit seinen Eltern oder bekam eine E-Mail von einer seiner Schwestern. Mit den meisten Leuten, deren Namen in diesen Telefonaten und Schreiben genannt wurden, konnte er zwar irgendwas anfangen. Aber genau genommen hörte er den Geschichten seiner Mutter um Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle nur mit halbem Ohr zu. Er führte sein eigenes Leben, und das hatte mit dem Leben seiner Eltern und Geschwister nichts gemeinsam.
Gleich nach dem Abitur hatte er sich ganz bewusst dafür entschieden, nach dem Zivildienst in München Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren. Ostfriesland war ihm immer zu eng gewesen. Er wollte mitten im Leben stehen, und das, so hatte er damals gedacht, fand überall statt, nur nicht in dem flachen Landstrich an der Nordsee. So war er also nach München gegangen, dann für ein paar Semester nach London und zur Doktorarbeit nach Detroit. Endlich hatte er das Gefühl gehabt, frei atmen zu können, hatte sie genossen, die Anonymität der Großstadt. Mit seiner Karriere als Ingenieur war es dann steil bergauf gegangen, in einem Tempo, das ihn noch heute manchmal schwindeln ließ. Ja, er hatte viel erreicht. Beruflich. Und privat? Sein Privatleben hatte er praktisch mit seiner gerahmten Promotionsurkunde an den Nagel gehängt, im Büro, über den Schreibtisch. Aber genauso wenig, wie er im Grunde diese Urkunde jemals in Augenschein nahm, dachte er darüber nach, was alles anders wäre, wenn er neben seinem Job auch noch eine Familie gehabt hätte. Das Thema Familienplanung hatte er niemals ernsthaft in Erwägung gezogen, alleine schon deshalb, weil es mit seinem Job unvereinbar gewesen wäre. Absolut unvereinbar. Und der Job ging vor. Immer.
Doch obwohl er eigentlich überzeugt war, dass er sich mit seinem jetzigen Leben den größten Wunsch seiner Kinder- und Jugendtage erfüllt hatte, so waren ihm in letzter Zeit doch Zweifel gekommen. Denn bekanntlich ist ein Traum nur so lange aufregend, wie er anhält. Wird er dann plötzlich Realität, kann man sich zwar für eine Weile daran erfreuen, aber schließlich ist auch er Alltag. Und dann? Dann muss ein neuer Traum her, für den es sich zu leben und zu arbeiten lohnt. Mit Ende dreißig aber war Maarten an einem Punkt angelangt, an dem er, würde ihn jemand nach seinem Traum fragen, keine Antwort wüsste. In den letzten Wochen kannte er nur noch ein Gefühl: Müdigkeit. Und er hatte zum ersten Mal in seinem Leben die Erfahrung machen müssen, dass es verdammt schwer war, durchschnittlich sechzehn Stunden am Tag hellwach und strebsam zu wirken. Immer wieder hatte er in Sitzungen und Symposien plötzliche Gähnanfälle bekommen und irritierte Blicke, wenn nicht gar Kopfschütteln auf sich gezogen. Peinlich, aber er konnte nichts dagegen tun. Er war ausgepowert. Sein Körper sendete eindeutige Signale. Er forderte ihn unmissverständlich auf, eine Pause einzulegen.
Doch noch deutlicher als sein Körper war Franziska geworden, als sie, zwei Tage nachdem die Einladung von Jule angekommen war, das Fax in dem Stapel Papier gefunden hatte, der für den Reißwolf bestimmt war. Sie hatte ihren Chef mit zusammengekniffenen Augen wortlos angeschaut, das Bild mit in ihr Büro genommen und es wenig später wiedergebracht. Aber nun hatte das Fax Gesellschaft bekommen, nämlich von einem Zettel, auf dem stand, der Flug nach Bremen über Frankfurt sei für den 16. August gebucht, Rückflug am 15. September. »Ihre Schwester freut sich riesig, dass Sie zu ihrer Hochzeit kommen. Sie konnte es kaum glauben. Aber ich habe ihr gesagt, dass Sie es gar nicht erwarten können, die Heimat mal wieder zu sehen und ein Krabbenbrot zu essen«, hatte seine Assistentin ihm im gleichen Tonfall zur Kenntnis gegeben, als würde sie ihm mitteilen, dass in der Sahara die Sonne scheint. Und im Übrigen habe sie schon all seine Termine in diesem Zeitraum auf seine Stellvertreter umgeschichtet.
Und nun saß er also hoch über dem Atlantik in der Businessklasse des Lufthansa-Fluges 7602 von New York nach Frankfurt. Er würde die Hochzeit seiner Schwester feiern. Aber auf keinen Fall würde er bis Mitte September bleiben. Dat is so kloor asn Doornkaat – hatte sein Opa immer gesagt.
Das Erste, was Maarten auffiel, als er vor der Tür seines Elternhauses aus dem Taxi stieg, war die frische Luft. Sogleich reckte und streckte er seine vom langen Sitzen steif gewordenen Gliedmaßen und atmete tief durch. Er hatte ganz vergessen, wie frisch es hier in Ostfriesland roch. Wenn er es sich richtig überlegte, hatte er, da er sich hauptsächlich in den Metropolen dieser Welt bewegte, schon sehr lange nicht mehr tief durchgeatmet und dabei das Gefühl gehabt, seine Lungen würden soeben einer Tiefenreinigung unterzogen. Und so setzte er seine Inhalationseinheit gleich noch intensiver fort, hob und senkte dabei seine Arme und zog abwechselnd die Knie an.
Maarten war so sehr mit seinen Leibesübungen beschäftigt, dass er zusammenzuckte, als sich neben ihm jemand hörbar räusperte. »Ich störe Sie ja nur ungern beim … na ja … was auch immer Sie da gerade tun, aber ich müsste dann mal weiter«, sagte der Taxifahrer, und seinem Blick war zu entnehmen, dass er Maarten für einen esoterischen Spinner oder ähnlich Seltsames hielt.
»Ähm, ja«, stotterte Maarten, und er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Schnell zückte er sein Portmonnaie und gab dem Fahrer über den reinen Fahrpreis hinaus noch ein üppiges Trinkgeld. Als das Taxi fort war, stellte Maarten seinen Koffer vor das Gartentor seiner Eltern. Noch schien seine Ankunft keiner bemerkt zu haben. Da er niemandem mitgeteilt hatte, wann genau er ankommen würde, vermutete er nach einem Blick auf seine teure Armbanduhr, dass seine Mutter vermutlich gerade das Mittagessen vorbereitete, während sein Vater im Gemüsegarten werkelte, wie er es bei jeder Gelegenheit tat, seit er in Rente war. Er schaute die Straße entlang, die ihm seit Kindertagen so vertraut war. Kein Mensch war zu sehen. Nichts schien sich verändert zu haben im Dieksweg. Ostfriesische Idylle pur. Rote Klinkerhäuschen standen, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, beidseitig der schmalen, ebenfalls mit roten Klinkersteinen gepflasterten Straße. In den gepflegten, mit Hecken oder Zäunen eingefassten Vorgärten, die allesamt aussahen, als hätten die in ihnen zahlreich aufgestellten Gartenzwerge persönlich Hand angelegt, entfaltete sich eine wahre Blütenpracht. Nur ein Garten fiel komplett aus der Reihe, wie Maarten auffiel. Schräg gegenüber, im Dieksweg 16, wo früher das ältere Ehepaar Harms gewohnt hatte, musste wohl ein Generationswechsel stattgefunden haben. Wenn ein Garten das Prädikat naturbelassen verdient hatte, dann sicherlich dieser. Aus einem der Fenster des spitzgiebeligen Hauses hing zudem eine Flagge mit Atomkraft nein danke. Hier herrschte Anarchie, das war mal klar, stellte Maarten mit einem Grinsen fest. Mal sehen, was seine Eltern darüber zu berichten hatten.
Gerade als Maarten beschlossen hatte, nun Vater und Mutter zu begrüßen, hob die Mittagsglocke der jahrhundertealten Kirche zu einem nahezu ohrenbetäubenden Gebimmel an. Maarten zwinkerte, die Hand zum Schutz vor der Sonne über die Augen gelegt, zum kleinen Kirchturm hinauf, der auf dem mächtigen Dach der Kirche etwas verloren aussah. Auf die Mittagsglocke hatte Groß Midlum lange Jahre verzichten müssen, aber nun hatte man anscheinend ausreichend Spendengelder zusammenbekommen, um sich eine neue leisten zu können. Begleitet von dem Gebimmel, nahm Maarten den Bügel seines Rollkoffers in die Hand und öffnete das kleine, grün-weiß gestrichene Gartentor. Es quietschte. Wie immer. Niemandem war es jemals gelungen, dieses Quietschen vollständig abzustellen. Und manche Dinge änderten sich anscheinend auch in Jahrzehnten nicht.
Vorteil dieses Gartentores war immer gewesen, dass Familie Sieverts auf einen Wachhund verzichten konnte. Keiner kam hier unbemerkt hindurch. So auch diesmal. Kaum dass das Tor Alarm geschlagen hatte, stand auch schon sein Vater vor ihm, in Flanellhemd und Arbeitsweste und mit einem Spaten in der Hand. Die schwieligen Hände voller Erde, glotzte er seinen Sohn erstaunt an. Dann rammte er den Spaten mit Schwung ins Blumenbeet und kam langsam auf ihn zu.
»Moin, mien Jung«, sagte er und hieb ihm kräftig mit der Hand auf die Schulter, was auf Maartens T-Shirt erdige Striemen hinterließ.
»Moin, Vadder«, erwiderte Maarten, ließ seinen Koffer los und umarmte seinen Vater mit einigen Klopfern auf den gebeugten Rücken.
»Warst lang nicht da.«
»Nun bin ich aber da.«
»Jo.«
»Ist Mutter auch da?«
»Jo. Gibt jetzt Middach. Kartoffeln und frischen Salat ausm Garten. Hab ich gerade geerntet. Dazu ’ne schöne Scholle. Hab ich geholt, in Greetsiel, am Hafen. Is ganz frisch.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach watt, ich red wieder zu viel. Komm einfach rein. Siehst ja selbst.«
Maarten grinste. Ja, für seinen Vater war das eine richtige Ansprache gewesen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er aufgeregt war. Einem plötzlichen Impuls folgend, legte er seinem Vater den Arm um die Schulter. »Es ist schön, wieder mal hier zu sein, Vadder.«
Doch noch ehe sein Vater etwas darauf erwidern konnte, stand plötzlich seine Mutter vor ihm und umarmte ihn so fest, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.
»Da bist du ja, mien Jung. Als Wiebke sagte, dass du kommst, wollte ich es gar nicht glauben. Aber nun bist du ja da. Ich freu mich so!« Als Maarten sah, dass sie sich eine Träne aus den Augen wischte, bekam er plötzlich ein schlechtes Gewissen. Es musste schwer sein für seine Mutter, den Sohn nur alle paar Jahre zu sehen und nur ab und zu mit ihm zu telefonieren. Er nahm sich vor, ihr in den wenigen Tagen, die er hier war, besonders viel Aufmerksamkeit zu schenken.
»Hast ja ’n ganz schmutziges T-Shirt, Maarten. Was has’n damit gemacht?« Frau Sieverts strich mehrmals kräftig mit der Hand über Maartens Rücken. Ohne Erfolg.
»Das is von mir«, sagte ihr Mann und hielt ihr seine Hände hin. »Ging nicht anners, musste den Jung ja anständich begrüßen.«
»Na, is ja nich schlimm. Schmeiß ich gleich inne Wäsche.« Frau Sieverts strahlte, als hätte Maarten ihr damit ein ganz besonderes Geschenk gemacht. »Jetzt komm mal essen, mien Jung. Hast ja bestimmt Hunger. Gibt Kartoffeln und Salat und frische Scholle aus Greetsiel.«
»Ja, hat Vadder schon gesagt.«
Maartens Mutter schüttelte den Kopf. »Was der alles redet in der kurzen Zeit. Na ja. Nu komm mal mit und erzähl mir alles. Hast ja sicher viel erlebt dahinten in Amerika.«
Wann hatte er zum letzten Mal eine so gute Scholle gegessen? Maarten konnte sich nicht erinnern. Zu Hause in New York ganz bestimmt nicht. Da aß er sowieso nur unregelmäßig. Eine warme Mahlzeit bekam er in der Regel nur, wenn er irgendwo zum Geschäftsessen war. »Es schmeckt ganz wunderbar«, sagte er zu seiner Mutter. Die strahlte über das ganze Gesicht und tätschelte ihm die Hand. »Iss du nur, mien Jung. Is ja genuch da. Und bist ja sowieso zu dünn. Kriegst wohl nichts, dahinten in Amerika. Brauchst mal ’ne Frau, die für dich kocht.«
Maarten erwiderte nichts darauf, sondern widmete sich weiter ausgiebig seinem Festmahl. Das Thema kam mit Sicherheit in den kommenden Tagen noch öfter auf.
Als er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, lehnte er sich zurück und rieb sich zufrieden seinen Bauch. Dabei schaute er sich in der Küche um. Auch hier hatte sich kaum etwas verändert. Die schlichte Küchenzeile aus hellem Eichenfurnier mit dem inzwischen fast antiken Gasherd musste um die dreißig Jahre alt sein. An der Wand stand nach wie vor die weiß lackierte Holzvitrine, ein Geschenk der Großeltern zur Hochzeit. Im oberen Teil der Vitrine, hinter den Glasscheiben, standen Gläser und Becher, schön sortiert und aufgereiht neben- und hintereinander. Aber Maarten wusste, dass es in den Schubladen und hinter den Türen darunter weniger ordentlich aussah. Da war schon damals alles gelandet, was ansonsten nicht zuzuordnen war. Es wäre sicherlich interessant mal zu schauen, was sich da im Laufe der Jahrzehnte so angesammelt hatte.
Die Sitzecke, in der sie gerade ihr Mittagessen zu sich nahmen, wurde dominiert von einem knallroten Ostfriesensofa. Hier durften die Gäste sitzen, so jetzt auch er. Ansonsten standen um den schweren Eichentisch herum nur ein paar einfache Stühle. An den Wänden hing alles, was sich eben als Wandschmuck im Laufe der Zeit so ansammelte: mehr oder weniger geschmackvoll gerahmte Kopien von Ölgemälden, Fotos von Kindern und Enkeln, ein fein säuberlich ausgefüllter, inzwischen aber reichlich vergilbter Geburtstagskalender, kleine Holztafeln mit Sprüchen wie Trautes Heim, Glück allein sowie ein kleines Regal mit allerhand Nippes. Neu war einzig eine Magnettafel, an der ein paar Postkarten hingen. Sie waren alle von ihm, wie Maarten feststellte. Und sofort überkam ihn wieder das schlechte Gewissen. So viel, wie er in der Welt herumreiste, müssten es eigentlich noch deutlich mehr sein. Aber meistens vergaß er einfach, eine zu schreiben.
Seine Mutter war seinem Blick gefolgt. »Die Magnettafel hat Swaantje mir mal geschenkt. Ich hatte ja die Postkarten immer an die Schränktüren geklebt. Aber so gehen sie nun nicht mehr kaputt, weil ich ja kein Tesafilm mehr brauche. Es ist lieb von dir, dass du immer an uns denkst. Wir freuen uns immer, wenn eine Karte kommt, nich, Focko? Und wir zeigen sie dann auch allen.«
Maartens Vater nickte, erwiderte aber nichts. Maarten schluckte. Er musste zukünftig einfach öfter daran denken, eine Karte zu schreiben, wenn es seinen Eltern so viel Freude machte.
Ihren Mittagsschlaf ließen sich seine Eltern nicht nehmen. Auch nicht, wenn der verlorene Sohn nach Jahren der Abwesenheit gerade heimgekehrt war. Und so beschloss Maarten, einen längeren Spaziergang zu machen und zu schauen, was seine Schwester Swaantje so trieb. Aber zunächst schälte er sich aus seinen nicht mehr ganz frischen Klamotten, nahm eine ausgiebige Dusche und zog sich dann eine leichte, helle Sommerhose an, dazu ein blaues T-Shirt. Als er sich im Spiegel sah, strich er sich unwillkürlich durch sein volles dunkles Haar. Es könnte mal wieder einen Friseur gebrauchen. Und müde sah er aus und blass. Keine Spur von Sommerbräune war zu sehen, obwohl schon August war. Er hatte wohl doch zu viel Zeit im Büro und in Konferenzsälen verbracht. Um seine blauen Augen herum hatten sich dunkle Ringe gebildet, und er meinte zu sehen, dass auch die Falten auf seiner Stirn tiefer geworden waren. Hm. In New York hatte er sich in solchen Fällen schon mal in die Hände einer professionellen Kosmetikerin begeben. Aber das konnte er sich hier in der Krummhörn schlecht vorstellen. Bestenfalls würde er das eine oder andere Kopfschütteln ernten. Schlimmstenfalls aber war er am nächsten Tag das Gesprächsthema in der Nachbarschaft, weil irgendein Bekannter ihn erkannt hatte. Das konnte er zum einen seinen Eltern nicht antun, und zum anderen wollte er hier nicht als eitler Gockel verschrien sein. Nicht in Ostfriesland, da war man ganz einfach kein eitler Gockel. Für so etwas hatten die Ostfriesen keinen Sinn.
Maarten ließ sich Zeit. Bis nach Pewsum, wo Swaantje wohnte, würde er einige Kilometer zurücklegen müssen, aber ihn hetzte ja keiner. Und so lief er über die Feldwege, die er noch aus seiner Kindheit kannte. Hier hatte er schon mit seinen Freunden aus Groß Midlum gespielt, meistens Cowboy und Indianer. Gleich in der Nähe sah Maarten den großen, erhabenen Gulfhof von Bauer Langhoff. Hier hatten die Kälberboxen den Cowboys immer als Gefängniszellen gedient. Außerdem hatte es im Stall einen kleinen, abschließbaren Holzverschlag gegeben. Der war so eng gewesen, dass gerade eine Person aufrecht darin stehen konnte. Hier kamen die Schwerverbrecher rein. Nur seine Schwester Wiebke hatte sich das nicht gefallen lassen, sondern lautstark gekreischt und um sich geschlagen, wenn jemand versucht hatte, sie da einzusperren. Sie hatte wohl Platzangst, was die Kinder damals natürlich nicht wussten. Für sie war Wiebke dann einfach eine Spielverderberin gewesen.
Der jüngere Sohn der Familie Langhoff war bis zum Abitur sein bester Freund gewesen, danach hatten sie sich aus den Augen verloren. Hauke. Was er heute wohl machte?
Maarten erkannte viele Stellen wieder, an denen sich kaum etwas verändert hatte. Verträumt ließ er seinen Blick in die Ferne schweifen, über die endlos weiten Wiesen und Ackerflächen, bis hin zum weiten Horizont, über dem der blaue Himmel wohl nirgends so hoch war wie in Ostfriesland. Es war gerade Heuernte, über den von der heißen Sommersonne ausgedörrten Wiesen hingen mächtige Staubwolken, die hinter den Traktoren aufstiegen. Maarten genoss es, den Duft des getrockneten Grases tief in sich einzusaugen. Früher hatte sein Freund Hauke Bauer Langhoff zur Erntezeit immer Wurstbrote und eine Thermoskanne Kaffee aufs Feld bringen müssen. An diesen glühend heißen Sommertagen hatte Maarten ihn oft begleitet und es genossen, barfuß durch das duftende Heu zu laufen oder über die bereits gepressten Ballen zu springen. Hinterher waren sie dann mit den Fahrrädern an den Kanal gefahren und hatten sich ein erfrischendes Bad gegönnt.
In den am Wegesrand entlanglaufenden Abwassergräben hatten sie als Kinder im Sommer, wenn sie ausgetrocknet waren, oft inmitten von Rohrkolben gesessen und versucht, diese zu rauchen. Als Zigarrenersatz. Es grenzte nahezu an ein Wunder, dass das ganze Gestrüpp dabei nicht einer weitgreifenden Brandrodung zum Opfer gefallen war. Manchmal war er mit seinen Freunden auch auf die Jagd nach Bisamratten gegangen. Die armen Tiere, sie hatten sie nicht geschont.
Eines aber hatte es damals noch nicht gegeben und Maarten war erstaunt, wie viel sich hier in den letzten Jahren getan hatte: Windkraftanlagen. Den ganzen Weg entlang standen sie in kleineren Gruppen, und die Rotorblätter durchschnitten die Luft, mal mehr, mal weniger schnell. Die schlicht gestalteten modernen Windmühlen mit ihrem hohen Mast und den drei Rotorblättern sahen nicht besonders beeindruckend aus. Aber als studierter Aerodynamiker wusste Maarten, wie viel Erfindungsreichtum und Technik sich in diesen Anlagen verbarg. Er blieb stehen und hörte dem leisen Surren der modernen Windmühlen für eine Weile zu. Für ostfriesische Verhältnisse gab es an diesem Tag nicht besonders viel Wind. Stärke vier vielleicht, schätzte er. Wie viel Strom wohl an einem solchen Tag von einer Mühle erzeugt wurde? Er nahm sich vor, sich in den kommenden Tagen intensiver mit dieser Technik auseinanderzusetzen. Vielleicht lohnte es sich ja, mal in das eine oder andere Projekt mit einzusteigen. Denn wie viele Menschen, die ein wenig oder auch mehr Geld übrig hatten, hatte auch Maarten in den Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise das Vertrauen in herkömmliche und riskante Anlageprodukte weitgehend verloren und war auf der Suche nach Alternativen. Vielleicht lohnte sich für ihn ja der Markt der erneuerbaren Energien.
Als er das kleine Städtchen Pewsum erreicht hatte, beschloss Maarten, nach so langer Zeit nicht mit leeren Händen vor seine Schwester zu treten. Und so kaufte er zunächst ein paar Teestangen ein. Von diesem Blätterteiggebäck hatte Swaantje in einer ihrer seltenen Mails mal geschwärmt, und ihr Bruder hatte sich gefragt, was an diesen Teestangen wohl so Besonderes sei. Nun, heute würde er sie mal probieren. Als er aus der Bäckerei trat, fiel sein Blick auf einen kleinen Blumenladen. Er trat ein und schaute sich um. Die Auswahl war riesig. Wo sollte er da anfangen? »Kann ich Ihnen behilflich sein, junger Mann?«, sprach ihn eine ältere Frau in Kittelschürze an und lächelte dabei freundlich.
»Ja, sehr gerne. Ich hätte gerne einen bunten Strauß für meine Schwester.«
»Wie heißt Ihre Schwester denn?«
»Ähm … wieso? Ich meine …«, stammelte Maarten. Wieso tat der Name seiner Schwester hier etwas zur Sache? Irritiert blickte er die Verkäuferin an, die aber schaute ihm nur abwartend ins Gesicht. »Ähm … sie heißt Swaantje … ähm … Sieverts. Swaantje Sieverts.«
»Ach, Swaantje. Ja, die mag gerne weiße Freesien und gelbe Rosen. Und ein bischen was Blaues darf auch dabei sein. Aber nicht so viel.« Sofort begann die Verkäuferin, einzelne Blumen aus den zahlreich herumstehenden Vasen zu zupfen. »So, dann musst du wohl Maarten sein, junger Mann.«
»Ähm … ja, ganz recht. Maarten. Maarten Sieverts.«
»Ja, hab schon gehört, dass du wieder im Land bist. Warst ja lang nich da.«
»Ähm … woher wissen Sie …«
»Ach, hier spricht sich alles schnell rum. Und Swaantje is ja die Freundin von meiner Heike. Sind ja zusammen im Boßelverein. Is ’ne gute Boßlerin, unsere Swaantje.«
Maarten zog die Augenbrauen in die Höhe. Swaantje boßelte? Davon hatte er ja noch gar nichts gewusst.
»So, Maarten, ist es so recht?« Nur wenig später hielt ihm die Frau in Kittelschürze einen ausladenden, herrlich farbenfrohen Blumenstrauß unter die Nase.
»Ja, prima. Und so … groß!« Was mochte der wohl kosten? Bestimmt ein Vermögen. Aber der Strauß war es auf jeden Fall wert. »Was macht das dann?«
»Genau zwanzig Euro.«
»Zwanzig Euro?« Maarten glaubte, sich verhört zu haben. Er erinnerte sich, erst kürzlich in München einen viel kleineren Strauß gekauft zu haben. Für die Frau eines Geschäftspartners. Und der hatte doch schon dreißig Euro gekostet.
»Zwanzig Euro. Oder findest du das zu teuer?« Die Verkäuferin sah ihn fragend, aber keineswegs unfreundlich an.
»Nein, äh, nein, ganz im Gegenteil. Ich wundere mich gerade, dass ein so schöner Strauß so günstig ist. Da bin ich ganz andere Preise gewöhnt«, beeilte sich Maarten zu antworten und reichte ihr einen 20-Euro-Schein über den Tresen.
»Ja, so ist das wohl woanners.« Die Frau zuckte mit den Schultern und nahm das Geld entgegen. »Dann wünsch ich viel Spaß damit, er wird Swaantje bestimmt gefallen. Und schönen Gruß.«
Maarten dankte und wollte gerade zur Tür hinaus, als die Frau hinter ihm herrief: »Ach ja, Maarten, und sach deiner Schwester, dass wir Samstach gegen Osteel boßeln. Freundschaftsspiel. Dann muss ich sie nich noch anrufen. Tschüß!«
»Ja, äh, klar, äh, mach ich. Samstag gegen Osteel. Tschüß!«
Kopfschüttelnd ging Maarten seines Weges. Er hatte ganz vergessen, wie familiär es hier in Ostfriesland zuging. Früher war es ihm immer furchtbar auf die Nerven gegangen, dass jeder sich kannte und immer alles über den anderen wusste. Aber, gestand er sich nun ein, so eine persönliche Ansprache im Blumengeschäft, das hatte auch was. Da fühlte man sich gleich gut aufgehoben. Da …
»Maarten?«, hörte er in seine Gedanken hinein jemanden sagen und drehte sich zur Seite. »Maarten! Mensch, du bist es ja wirklich!« Ehe er sich’s versah, klopfte ihm sein Gegenüber mit voller Wucht auf die Schulter. Fast wären ihm dabei die Blumen aus der Hand gefallen. »Mensch, Maarten, erkennst du mich nicht? Ich bin’s, Hauke!«
»Hauke! Mensch, hast mir ja gar keine Möglichkeit gelassen, dich zu erkennen. Bist ja gleich auf mich los, wie ein Berserker.« Maarten strahlte über das ganze Gesicht. Eben erst hatte er sich gefragt, was sein alter Kumpel so machte, und nun stand er vor ihm. Fast zwanzig Jahre war es her, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten.
»Hab schon gehört, dass du kommst, wegen Wiebkes Hochzeit.«
»Ja, hab schon gemerkt, dass hier jeder alles weiß.«
»Ja, weißt ja, wie das hier is. Haste Zeit fürn kühles Jever? Könnten zu Günni gehen.« Hauke zeigte auf eine kleine Eckkneipe, die es schon in ihren Jugendtagen gegeben hatte und der Treffpunkt für ihn und seine Kumpel gewesen war. Der Wirt hieß Günther, wurde aber von allen nur Günni genannt.
»Nee, Hauke, tut mir leid. Bin auf dem Weg zu Swaantje.« Er hielt den Blumenstrauß in die Höhe. »Antrittsbesuch.«
»Swaantje. Ja, die fällt bestimmt um vor Freude, dich zu sehen. War schon ganz hibbelig die letzten Tage.«
»Du siehst sie öfter?«
»Klar. Ihr Freund Simon und ich, wir boßeln doch zusammen.«
»Ach so, klar.«
»Wie sieht’s denn heute Abend aus? Sieben Uhr bei Günni?«
Maarten überlegte kurz. Eigentlich hatte er zeitig ins Bett gehen wollen; so langsam spürte er den Jetlag. Andererseits wollte er Hauke nicht einfach abwimmeln nach so langer Zeit. Er nickte. »Gerne.«
Hauke strahlte. »Na, dann bis dann.« Damit drehte er sich um und ging mit ausladenden Schritten davon.
Maarten schwirrte der Kopf. Natürlich hatte er gewusst, dass seine kleine Schwester ein temperamentvolles Energiebündel war. Und voller Rührung hatte er wahrgenommen, dass sie bei seinem Erscheinen sogar ein paar Freudentränen verdrückt hatte. Aber mehrere Stunden in ihrer Gesellschaft hießen nicht nur, viel zu lachen und mächtig Spaß zu haben. Nein, diese Stunden konnten auch einfach nur schlauchen, wenn man erst kurz zuvor den Atlantik überquert und dann noch ewig im Taxi auf Deutschlands verstopften Autobahnen im Stau gestanden hatte. Gerne hätte er sich also direkt nach dem Besuch ins Bett gelegt; aber da er Hauke versprochen hatte, noch bei Günni vorbeizuschauen, führte ihn sein nächster Weg direkt in die kleine Eckkneipe.
Als Maarten die Kneipe um kurz vor sieben betrat, war außer ihm nur ein weiterer Gast da. Hauke war noch nicht eingetroffen, und auch von Günni war weit und breit nichts zu sehen. »Moin. Günni is mal kurz wech, Frikadellen waren aus. Martha hat neue gemacht. Die holt er jetzt«, sagte der Gast mit einem Fingerzeig auf die Theke, als er Maartens fragenden Blick sah. Maarten nickte ihm nur zu und setzte sich auf einen der abgeschabten Barhocker. Er schaute sich um. Offensichtlich hatte auch Günni hier in den letzten zwanzig Jahren nichts verändert. Alles in der kleinen Eckkneipe sah noch genauso aus wie früher. Ein großer, rustikaler Tresen nahm mindestens die Hälfte des Raumes ein. An ihm hatten, wenn man etwas zusammenrückte, zwölf Personen Platz. Maarten und seine Freunde hatten das früher mal ausprobiert und für Günni dann ein Blechschild aus dem Fahrstuhl eines Emder Ärztehauses abgeschraubt, auf dem max. 12 Personen stand. Das Schild hing immer noch an der Stelle direkt neben den Whiskeyflaschen, wo Hauke es damals hingehängt hatte. Zwischen Tresen und Fenstern standen noch vier Tische mit jeweils sechs Stühlen. An der Wand hingen Regale und Vitrinen mit Vereinswimpeln und -pokalen. Die meisten vom Boßeln, aber auch vom Fußball waren welche dabei. Hinter dem Tresen, unter dem Regal mit den Schnapsflaschen, hingen verschiedene ältere Werbeschilder aus Blech, eines davon warb für Jever Pilsener. Maarten kannte das Bier schon aus seiner Kindheit. Damals war es nur auf dem regionalen Markt bekannt gewesen, aber erst kürzlich hatte er es sogar in einer Bar in New York bekommen. Friesisch herb. Nun, wenigstens das war es immer geblieben. In der Luft hing ein Geruch aus Zigaretten, Bratfett und abgestandenem Bier. Im Winter würde noch der Geruch von Grog hinzukommen.
»Nu, da bist du also auch mal wieder hier«, sagte plötzlich der Herr, der bereits vor Maarten da gewesen war. Maarten hatte bemerkt, dass er ihn die ganze Zeit gemustert hatte. Nun sah er erstaunt zu ihm rüber.
»Kennst mich wohl nich mehr, wa?«
Maarten sah sein Gegenüber genauer an. »Tjark?«, fragte er dann zögernd.
Tjark nickte. »So isses. Dein Vadder hat gesacht, dass du kommst. Wir kegeln immer noch einmal im Monat, weißt du. Auch wenn die alten Knochen nich immer so mitmachen. Aber was soll’s. Is eben so. Kannst nix dran tun.«
»Ich warte auf Hauke.«
Tjark nickte und nahm einen Schluck von seinem Bier. »Ja, Hauke«, sagte er dann. »Ob das alles so richtig ist«, fügte er kopfschüttelnd hinzu. Er leerte sein Glas, stand auf, griff sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Hüfte und humpelte dann in Richtung Tresen, wo er anfing, sich ein neues Bier zu zapfen. »Willst du auch eins?«, fragte er Maarten.
Maarten nickte. Dass man sich bei Günni selber sein Bier zapfte und dann einen Strich auf seinen Bierdeckel machte, kam immer mal wieder vor. Auch das kannte er noch von früher.
»Was ist nicht richtig?«, fragte er.
»Wat?«
»Du hast gesagt,ob das alles so richtig ist.«
Tjark bückte sich zum Eisfach und holte eine Flasche Doornkaat hervor. Er füllte zwei Schnapsgläser bis an den Rand und schob eines davon ungefragt zu Maarten rüber. »Prost!«, sagte er dann und trank seines in einem Zug leer. Maarten tat es ihm gleich, verzog das Gesicht und schüttelte sich. In New York trank er Cocktails.
»Er sacht ja nix. Aber es geht ihm nich gut in letzter Zeit. Das merk ich doch. Aber sagen tut der nix. Günni hat ihn mal gefracht, was denn is. Aber Hauke tut dann so, als wär nix.«
»Wie meinst du das, es geht ihm nicht gut?«, fragte Maarten und sah Tjark prüfend an. »Liebeskummer oder was?«, versuchte er dann zu scherzen und grinste breit.
»Nee, Jung, wenn’s das man wär. Aber er wankt immer so zwischendurch.«
»Er wankt? Wie, er wankt?«
»Na, so«, sagte Tjark und taumelte hin und her.
»Er hat Schwindelanfälle?« Maarten zog die Stirn in Falten. Das hörte sich nicht gut an. »Seit wann hat er das denn?«
»Weiß nich genau, seit ein paar Tagen vielleicht. Es wird schlimmer. Aber er tut so, als wär nix.« Tjark stellte das Pils vor Maarten ab. »Hab ihm gesacht, er soll zum Arzt gehen, aber er sacht, es ist nix.« Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und zündete sich gleich wieder eine neue an. »Aber das kann ja nich sein. Einfach so wankt man ja nich.«
Maarten fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, dann durch die Haare. Das, was er da hörte, gefiel ihm gar nicht. »Kümmert sich denn jemand um ihn, zu Hause, meine ich?«
»Ja, klar, er hat ja seine Sonja und die beiden Jungs. Nu, die Jungs sind ja noch klein, die merken nix. Aber Sonja, ja, die macht sich Sorgen. Aber was soll sie denn machen, der Kerl geht ja nich zum Doktor.«
Maarten nahm einen kräftigen Schluck Bier und schüttelte dann den Kopf. Er wollte gerade ansetzen, etwas zu erwidern, als die Kneipentür aufging.
»Moin, Maarten«, sagte ein untersetzter Mann mit lichtem Haar und führte seine rechte Hand an eine imaginäre Mütze. Er stellte eine große Porzellanschüssel auf den Tresen. Durch die Frischhaltefolie hindurch sah Maarten frische Frikadellen, und ihm knurrte prompt der Magen. Für Marthas Frikadellen hätte er früher alles stehen lassen. Ob sie immer noch so gut schmeckten?
»Moin, Günni. Darf ich eine?«, fragte er und deutete auf die Frikadellen.
»So viel du willst. Geb ich dir aus. Bist ja sowieso zu dünn. Gibt wohl nix zu essen da in Amerika.«
»Wenigstens keine Frikadellen von deiner Frau«, grinste Maarten und griff zu. »Danke, Günni.«
»Da nich für.«
»Ich warte auf Hauke. Er wollte um sieben hier sein«, sagte Maarten nach einem herzhaften Biss in die Frikadelle. Sie schmeckte köstlich, genauso wie früher. »Hm, Martha hat nichts verlernt«, stellte er fest und griff nach einer Serviette.
Auf Günnis Stirn zeichneten sich plötzlich tiefe Falten ab. »Du kannst es ja noch nicht wissen.«
»Was weiß ich noch nicht?« Bei Maarten schrillten alle Alarmglocken, so besorgt hatte Günni geklungen.
»Er is zusammengebrochen. Heute Nachmittag. Einfach so. Nu isser im Krankenhaus. In Emden.«
»Was?«, sagte Maarten, und ihm wurde plötzlich ganz schwummrig. »Aber das kann nicht sein, ich habe ihn heute Mittag gesehen, es ging ihm gut.«
»Es geht ihm schon seit Tagen nich mehr gut, wa, Tjark?«
Tjark nickte. »Jo, das hab ich Maarten auch gesacht, das mit den Anfällen und so.« Er sog tief an seiner Zigarette und stieß dann schwungvoll den Rauch aus. »Und nu isser also umgekippt. Mannomann.«
»Ja, hat Martha gerade gesacht. Sie hat den Krankenwagen gesehen und is gleich rüber. Hauke wollte gerade zum Einkaufen. Da isses passiert. Martha hat dann schnell die Jungs genommen, damit Sonja mit ins Krankenhaus kann.«
»Mist. Ich muss nach Hause. Kannste mir ein Taxi rufen, Günni?« Maarten war plötzlich ganz übel.
»Klar.« Günni griff zum Hörer. »Moin, Harm, ich bin’s. Schick mal’n Taxi.«
Wenig später war Maarten auf dem Weg nach Hause. Gleich morgen würde er sich um Hauke kümmern. Tjark hatte recht. Man bekam nicht einfach so Schwindelanfälle und kippte dann um. Hoffentlich war es nichts Ernstes. Maarten schlug sich mit der rechten Faust in die flache linke Hand. Warum nur mussten Ostfriesen immer so stur sein? Wofür, glaubten die eigentlich, gab es Ärzte?
Ostfriesenzeitung vom 22. August
Mysteriöses Fischsterben geht weiter
(Greetsiel) Erneut haben heimische und auswärtige Fischer am Wochenende unzählige tote Fische in ihren Netzen gehabt. Erstmals wurden auch an den Stränden der ostfriesischen Inseln Norderney und Juist Fischkadaver angespült.
»Nach wie vor können wir uns keinen Reim darauf machen, wo die Ursache für dieses mysteriöse Fischsterben liegt«, sagte Meeresbiologe Markus Renken von der Universität Kiel gegenüber dieser Zeitung. Einzelne Tiere seien zur Untersuchung ins Labor gebracht worden, es habe aber keine endgültige Aussage zur Todesursache gemacht werden können.
Indes haben bereits die ersten besorgten Urlauber bei den Behörden angerufen. Sie sind verunsichert und verlangen Aufklärung darüber, ob sie nach wie vor unbesorgt in der Nordsee baden können. Auch wollen sie wissen, ob der Fisch unbedenklich verzehrt werden kann.
Für eine Panik gebe es keinerlei Grund, so Renken. Wasserproben hätten keine außergewöhnlichen Belastungen ergeben. Und schließlich sei es auch in der Vergangenheit immer mal wieder zu vermehrtem Fischsterben gekommen. Man gehe derzeit davon aus, dass die Vorkommnisse mit dem ungewöhnlich heißen Sommer zusammenhingen, womöglich komme es hier und da zu akutem Sauerstoffmangel. Ein Indiz dafür sei auch die Tatsache, dass das Algenwachstum in der Nordsee deutlich höher ausgeprägt sei als in den vergangenen Jahren. Da nun laut Wetterbericht aber ein Wetterumschwung bevorstehe, sei zu hoffen, dass der Spuk bald ein Ende habe.
Erstmals hatten Fischer aus Greetsiel vor rund drei Wochen einen vermehrten Fang toter Fische verzeichnet (die OZ berichtete).
Wo gab es denn so was? Verärgert schüttelte Maarten den Kopf, als er vor der Schranke zum Parkplatz stand. Seit wann musste man denn für den Besucherparkplatz des Emder Hans-Susemihl-Krankenhauses Parkgebühren bezahlen? Still vor sich hin fluchend, stopfte er den Parkschein in seine Hosentasche und passierte die nun geöffnete Schranke.
Der Gang durch den langen, dunklen Flur bis zu den Fahrstühlen rief unangenehme Erinnerungen in ihm wach. Als Jugendlicher war er hier fast zwei Wochen lang beinahe täglich gewesen, nachdem ein sehr guter Kumpel von ihm einen schweren Mopedunfall gehabt hatte. Immer hatte er geglaubt, es würde ihm am nächsten Tag besser gehen, und er hatte mit Herzklopfen sein Zimmer betreten, in der Hoffnung, er würde ihm wie vorher fröhlich entgegengrinsen. Und tatsächlich schien es langsam aufwärtszugehen, nach zwölf Tagen konnte er die Intensivstation verlassen. Aber dann: Lungenembolie. Es ging alles so schnell, dass die Ärzte keine Chance hatten. Er starb ihnen unter den Händen weg. »Entschuldige, Micha, dass ich so lange nicht mehr an dich gedacht habe«, murmelte Maarten und nahm sich vor, Michas Grab auf dem Loppersumer Friedhof zu besuchen.
»Moin, Maarten, das ist ja schön, dass du kommst«, freute sich Hauke, als sein früherer Freund an sein Krankenbett trat und ihm zur Begrüßung die Hand drückte. »Tut mir leid, dass ich dich gestern versetzt habe. Aber siehst ja, die halten mich hier fest.«
»Da haben sie auch recht«, erwiderte Maarten und verzog den Mund. »Tjark und Günni sagen, es geht dir schon länger nicht gut. Warum bist du denn nicht zum Arzt gegangen?«
Hauke versuchte ein Grinsen, was ihm aber kläglich misslang. Er schien Schmerzen zu haben. Er war so blass, dass sich sein Gesicht kaum noch vom hellen Kissen abhob. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und erst jetzt fiel Maarten auf, wie dünn sein Jugendfreund geworden war. Hauke hatte immer viel Sport getrieben, aber jetzt sah er so aus, als könne er sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten. Was ja auch stimmte, wie sich gestern gezeigt hatte.
»Wie lange bleibst du denn diesmal?«, fragte Hauke und sah seinen Freund prüfend an. »Vielleicht schaffen wir ja doch noch ein kühles Jever bei Günni.«
Maarten zögerte. Eigentlich hatte er ja nur ein paar Tage bleiben wollen. Aber plötzlich verspürte er Lust, doch ein wenig länger zu bleiben. Vielleicht lag das an der ostfriesischen Luft, dachte er. Wenn man sie nicht gewohnt war, verfiel man schnell in einen Zustand der Dauererschöpfung und hatte das Gefühl, sich erst mal richtig erholen zu müssen, bevor man wieder loslegte. »Hm, mal sehen«, murmelte er. »Hab mich noch nicht entschieden.«
»Freut mich auf jeden Fall sehr, dass ich dich mal wieder seh. Erzähl mal, wie isses denn so in Amerika? Swaantje erzählt ja immer mal was von dir, aber ich glaub, so richtig weiß sie auch nicht, was du da eigentlich machst, oder?«
»Nu lenk ma nich ab«, erwiderte Maarten und bemerkte im selben Moment, wie er so langsam in den ostfriesisch breiten Singsang zurückfiel. Ziemlich stolz war er darauf, dass er sich, wie ihm häufiger bestätigt wurde, noch keinerlei amerikanischen Akzent zugelegt hatte. Normalerweise sprach er ein reinstes Hochdeutsch. Das hatte er sich nach seinem Wegzug aus Ostfriesland strikt antrainiert. In München war es ihm peinlich gewesen, gleich als Norddeutscher erkannt zu werden. In diesem Moment aber merkte er, dass er doch ein wenig stolz war, den Dialekt seiner Kindheit noch nicht ganz verdrängt zu haben. »Jetzt sag du erst mal, was los ist. Was sagen die Ärzte?«
Über Haukes Gesicht legte sich ein Schatten. »Sie tappen noch im Dunkeln, sagen sie. Irgendwelche inneren Blutungen. Aber sie haben noch keine Ahnung, woher sie kommen.« Im selben Moment krümmte er sich plötzlich zusammen. Hauke versuchte mit schmerzverzerrtem Gesicht, sich wieder aufzurichten, aber die Krämpfe zwangen ihn, in gebeugter Haltung zu verharren.
»Tjark sagt, das geht schon seit Tagen so. Warum hast du es denn nicht gleich untersuchen lassen?«
»Dachte, das geht von selber wieder wech. Is nur Stress, hab ich gedacht«, stöhnte Hauke. Er schien starke Schmerzen zu haben. Doch genauso schnell, wie die Krämpfe gekommen waren, hörten sie auch wieder auf. Mit einem erschöpften Seufzer ließ sich Hauke in die Kissen zurückfallen.
»Stress bei der Arbeit, oder was?«, hakte Maarten nach.
Hauke hob kurz die Hand, ließ sie aber sofort wieder sinken, so, als sei sie ihm zu schwer geworden. »Weißt ja, wie das ist. Immer länger arbeiten, immer weniger Zeit für die Familie. Seit ich den neuen Job hab, wird es immer schlimmer. Ich hätte nicht wechseln sollen. Aber das konnte ja keiner ahnen, so wie die einen damals umworben haben.«
Maarten fiel auf, dass er gar keine Ahnung hatte, was Hauke beruflich machte. Das war ihm peinlich, und er traute sich kaum, ihn danach zu fragen. Schließlich waren sie doch mal die besten Freunde gewesen. Und nun wusste er nicht mal mehr die einfachsten Dinge von ihm. Er gab sich einen Stoß. »Was ist das denn für ein neuer Job? Ich meine, ich hab ja gar keine Ahnung, was du überhaupt so machst, beruflich.«
»Ich bin Ingenieur, genau wie du. Verfahrenstechnik, wenn man’s genau nimmt. Hab früher bei VW hier in Emden gearbeitet.« Hauke zögerte kurz. »Ja«, sagte er dann und nickte, »da hätte ich auch bleiben sollen. Wusstest du, dass die Belegschaft da inzwischen sogar eine eigene Energiegenossenschaft hat? Photovoltaik. Is ’ne prima Sache.«
»Und für wen arbeitest du jetzt?«
»Ist so ’n internationaler Konzern. Hat seit drei Jahren hier in Emden ’ne Betriebsstätte. Baut Windkraftanlagen. Große. Für Offshore.«
»Das klingt doch gar nicht schlecht. Und was genau machst du da?«
»Beschichtungen für Rotorblätter. Forschung und Entwicklung.«
»Dann hast du auch mit Aerodynamik zu tun, genau wie ich bei meinen Flugzeugen«, rief Maarten. »Da sind wir ja gar nicht so weit voneinander weg.«
Statt zu antworten, bekam Hauke plötzlich einen heftigen Hustenanfall. Mit schmerzverzerrtem Gesicht deutete er auf ein Glas Wasser, und Maarten hielt es ihm sofort an den Mund. Aber kaum, dass Hauke einen Schluck genommen hatte, schien der Husten noch heftiger zu werden. Und plötzlich spuckte er Blut. Blut! Erschrocken hielt sich Maarten die Hand vor den Mund, drückte dann sofort den roten Alarmknopf. Hauke konnte sich noch immer nicht beruhigen. In seiner Panik lief Maarten auf den Gang und rief laut nach einer Schwester. »Mein Freund spuckt Blut! Er spuckt Blut! Nun machen Sie doch was, schnell!«, rief er aufgebracht, als eine junge Frau in weißem Kittel ihren Kopf aus einem der Krankenzimmer schob. Sie stürzte sofort herbei und bediente im Laufen einen Piepser. Im nächsten Moment kam auch schon ein Arzt um die Ecke.
Als sie zu dritt wieder ins Zimmer kamen, hatte der Hustenanfall nachgelassen. Haukes Brustkorb hob und senkte sich in leichten Zuckungen, er lag wie ermattet in seinen Kissen, aus seinem Mund lief Sabber. Auf der Bettdecke hatte sich eine blutig-schleimige Masse verteilt. Hauke sah Maarten an, als er in Begleitung von Arzt und Schwester zurückkam, und in seinen Augen sah Maarten Angst. Nackte Angst.
Der Arzt gab irgendwelche Anweisungen, woraufhin die Schwester eine Spritze aufzog. »Verlassen Sie bitte den Raum«, sagte der Arzt, während er sein Stethoskop an Haukes Brust hielt. Maarten nickte stumm und tat, wie ihm geheißen. Er war geschockt. Wie schlimm stand es wirklich um seinen Freund?
Eine knappe Viertelstunde war vergangen, als Arzt und Schwester Haukes Zimmer mit ernstem Gesichtsausdruck wieder verließen. »Darf ich wieder zu ihm?«, fragte Maarten leise. Statt einer Antwort hob der Arzt nur leicht den Arm und deutete mit einer knappen Bewegung auf die Tür. Was wohl so viel heißen sollte wie Ja. Also ging Maarten wieder hinein. Hauke lag völlig regungslos auf seinem Bett und starrte an die Decke. »Geht’s wieder?«, fragte Maarten und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie erschrocken er war. Hauke nickte schwach und drehte langsam seinen Kopf in Maartens Richtung. »Sie wollen mich auf die Intensivstation bringen«, sagte er röchelnd, und in seine Augen traten Tränen. Maarten schluckte. Sein Freund sah aus, als hätte ihm jemand allen Lebenssaft aus den Adern gesaugt. »Ist vielleicht besser. Da können sie dich besser beobachten«, sagte er und strich Hauke sanft über den Arm.
»Aber was ist denn mit mir, Maarten? Warum geht es mir plötzlich so schlecht?«
Maarten dachte, dass es Hauke nicht plötzlich, sondern schon seit Tagen schlecht ging. Aber er sagte nichts. »Die Ärzte werden dich weiter untersuchen und sicherlich bald wissen, woher die Blutungen kommen. Und dann wirst du schnell wieder gesund.« Maarten versuchte optimistisch zu klingen, aber er hörte selbst, dass es ihm nicht gelang.
Hauke deutete ein Nicken an. »Ich bin so müde, Maarten. Ich glaub, ich werde jetzt mal ein wenig schlafen.«
»Ja, mach das. Ich geh dann mal nach Hause.« Maarten klopfte Hauke zum Abschied leicht auf die Schulter. »Mach’s gut, Alter, und gute Besserung.«
»Kommst du wieder?«
»Natürlich, Hauke. Natürlich komme ich wieder.«
Nervös fingerte er an der Tablettenschachtel herum. Wie nur ging dieses verdammte Ding auf? Er brauchte dringend eine von diesen knallroten Kapseln. Und die alte Packung war längst leer.
Eigentlich hatte es eine Ausnahme sein sollen. Er war nervös gewesen, hektisch, gestresst. Was ja kein Wunder war, bei den beschissenen Arbeitsbedingungen hier. Und so hatte er sich diese Kapseln besorgt, ohne Rezept versteht sich, bei einem Freund, der sich mit so was auskannte. Nur eine Kapsel, hatte er gedacht, dann würde er wieder ruhig, könne seine Arbeit wieder machen, so wie früher, konzentriert und gewissenhaft.
Aber es war nicht besser geworden mit dem Stress. Und dann war auch noch die Geschichte mit der Windlady II hinzugekommen. Er hatte gedacht, das würde ein Kinderspiel, nachdem doch die Firstlady so einwandfrei lief. Aber dann sollte alles plötzlich ganz anders sein. Er hatte es nicht verstanden. Aber er tat, was ihm gesagt wurde. Das war sein Job. Und er wollte keinen Ärger, denn den hatte er schon genug.
Und dann war alles aus dem Ruder gelaufen. Er hatte es prophezeit, aber keiner hatte ihm zugehört. Na gut, einer, ja, der hatte, genau wie er, kritisch nachgefragt. Fehler. Man sah ja jetzt, was der davon hatte. Nein, er würde es anders machen. Er würde nicht mehr nachfragen, auf gar keinen Fall. Er würde nur seinen Job machen und dann abends nach Hause gehen. Zu seiner Frau. Die beschwerte sich schon laufend, dass er keine Zeit mehr für sie hatte und ständig so schlecht gelaunt war. Das würde von nun an wieder anders werden. So wie es früher gewesen war. Verdammt! Es gelang ihm einfach nicht, diese blöde Kapsel herauszudrücken. Seine Finger zitterten. Das war doch nicht normal!
Fahrig fuhr er sich über das mit kaltem Schweiß bedeckte Gesicht. Er war doch noch jung, er konnte noch so viel machen. Mit seiner Frau. Und im Job. Ja, er würde kündigen und noch mal ganz von vorne anfangen. Vielleicht hier in Ostfriesland. Vielleicht auch ganz woanders. Nur weg von hier, aus diesem Unternehmen, denn das hier machte ihn kaputt. Da, na endlich, eine der knallroten Kapseln fiel auf den Tisch und kullerte dem Abgrund entgegen. Schnell griff er nach ihr und schob sie sich mit zitternden Fingern in den Mund. Jetzt noch schnell einen Schluck Wasser – ja, schon besser.
Letzte Woche, da hatte er gedacht, alles würde besser werden. Nachts war er nicht mehr so oft schweißgebadet aufgewacht, die Tage schienen wieder heller, freundlicher. Ja, nachdem er beschlossen hatte, dass ihn die Schweinereien hier alle nichts angingen, dass er nur seinen Job machen wollte, da war er ruhiger geworden. Schließlich lag die Verantwortung nicht bei ihm, er ging nur seiner Arbeit nach.
Aber dann hatte er was gesehen. Und im Nachhinein wünschte er, er wäre an diesem Tag gar nicht erst zur Arbeit gegangen. Wäre einfach zu Hause geblieben. Dann hätte er es nicht mit ansehen müssen. Ihm hatte der Atem gestockt, und er hatte sich am Geländer festhalten müssen, so schwindlig war ihm plötzlich gewesen. Fast hätte ihn jemand gesehen, denn er war gegen eine alte Farbdose getreten, und die war dann runtergefallen, auf die nächsttiefere Etage. Es hatte ordentlich gescheppert, aber Gott sei Dank waren die Geräusche der See und des Windes so laut gewesen, dass das Geräusch nicht bis dahinten zu hören gewesen war. Er hatte sich dann schnell verdrückt, auf keinen Fall durfte jemand mitkriegen, dass er was gesehen hatte. Und er hatte für sich beschlossen, auch diesen Vorfall zu vergessen. Aber es gelang ihm nicht. Verdammt, es gelang ihm überhaupt nicht.
Der Wind war etwas aufgefrischt. Dennoch schwappten die Wellen nur leicht plätschernd ans Ufer. Es musste gerade Hochwasser sein, schloss Maarten aus dem Wasserstand. In den nächsten Stunden würde die See also Stück für Stück wieder zurückweichen, bis das Wasser nur noch weit hinten am Horizont zu sehen war. Mit fahrigen Bewegungen strich sich Maarten immer wieder über das Gesicht. Er bekam die Bilder nicht aus dem Kopf. Hauke, so blass und voller Angst im Krankenbett. Das Blut auf seiner Decke. Sein schmerzverzerrtes Gesicht.
Gestern war er nach dem Besuch im Krankenhaus zu seinen Eltern gefahren und hatte sich eigentlich gleich hinlegen wollen, so ausgelaugt hatte er sich plötzlich gefühlt. Doch dann hatte seine Schwester Wiebke mit ihrer Familie vor der Tür gestanden, nur wenig später dann auch noch Swaantje und Simon. Also hatten sie alle zusammen zu Abend gegessen, und es war noch ein richtig netter Abend geworden. Wiebke hatte einen richtig zufriedenen und ausgeglichenen Eindruck gemacht. Ihre Kinder, Jule und Immo, waren recht lebhaft, aber, wie Maarten fand, mit ihren glatten, strohblonden Haaren, den großen blauen Augen und den roten Bäckchen ganz reizend. Wiebkes langjährigen Lebensgefährten und Beinaheehemann Daniel hatte Maarten schon immer gut leiden können. Die beiden hatten sich während Wiebkes Ausbildung zur Hotelfachfrau kennengelernt, Daniel hatte in ihrem Ausbildungshotel als Koch gearbeitet. Inzwischen waren sie Inhaber eines kleinen Fischrestaurants in Norddeich.
In ein paar Tagen würden Wiebke und Daniel heiraten. Fast genau an der Stelle, wo Maarten jetzt saß. Er hatte sich inzwischen einen Mietwagen genommen und kurzerhand beschlossen, sich für ein paar Stunden einfach nur an den Deich bei Pilsum zu setzen. Doch er musste feststellen, dass es hier früher deutlich ruhiger gewesen war. Denn seitdem Otto Waalkes seinen Film am Pilsumer Leuchtturm gedreht hatte, war dieser praktisch zum Wallfahrtsort für Touristen geworden – und der untere Teil seines Korpus diente als Sammlung aller Freundlich- und Peinlichkeiten, die einem menschlichen Hirn entspringen konnten. Bis zu dieser Zeit hatte sich kaum jemand hierher verirrt, und man hatte Stunden am Deich sitzen können, ohne allzu vielen Menschen zu begegnen.
Maarten hatte sich einen Sitzplatz in angemessener Entfernung zum Leuchtturm gesucht und dort eine Picknickdecke ausgebreitet, auf der er jetzt saß und darüber nachdachte, was er für Hauke tun konnte. Auf jeden Fall würde er nicht wieder nach Amerika zurückkehren, ohne zu wissen, wie es mit seinem Freund weiterging. So viel stand fest. Am nächsten Tag würde er Franziska anrufen und ihr sagen, dass er seinen Aufenthalt auf unbestimmte Zeit verlängern würde. Damit musste sie jetzt klarkommen, schließlich war sie es gewesen, die ihn quasi genötigt hatte, zur Hochzeit seiner Schwester nach Ostfriesland zu fliegen. Das hatte sie nun davon, dachte er mit einem Schmunzeln. Aber solange Franziska im Vorzimmer seines New Yorker Büros saß, würde da auch ohne ihn alles rund laufen, daran hatte er keinerlei Zweifel.
Maarten versuchte, die düsteren Gedanken aus dem Kopf zu bekommen. Es war ein herrlicher Sommertag, und er beschloss, sich in seinen mitgebrachten Krimi zu vertiefen und diesen Sommertag genau hier, an diesem Platz am Deich, in vollen Zügen zu genießen. Während er las, holte er immer wieder tief Luft und erfreute sich am intensiven Geruch der salzigen Luft, einer Mischung aus Meer, Gras und – was war das? – Schaf. Schaf? Maarten schaute auf. Tatsächlich. Nicht weit von ihm trieb ein Schäfer Dutzende der wollweißen Tiere auf den Deich. Aber wie er mit einem zufriedenen Grunzen feststellte, verlief zwischen ihm und der Herde ein Zaun, sodass er seinen Platz nicht würde räumen müssen.
Gerade als Maarten beschlossen hatte, ein kleines Nickerchen an der frischen Luft zu machen, fiel ein Schatten auf sein Buch. Erstaunt drehte er sich um und schaute in ein bärtiges Gesicht. Der Körper zu diesem Gesicht steckte in einer Polizeiuniform.
»Moin, Maarten.«
»M… Moin. Kennen wir uns?«
»Das will ich meinen. Kannst dich nich mehr an mich erinnern, oder was?« Der Bärtige grinste breit. »Also, wenn ich das mal sagen darf, du hast dich ja überhaupt nich verännert. Siehst noch genauso aus wie damals inne Schule. Nur ’n bisschen älter. Aber wer von uns is das nich, ne?« Damit kramte der schlaksige Mann eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und bot Maarten eine an. Der schüttelte den Kopf und überlegte immer noch, wer da eigentlich vor ihm stand.
»So, immer noch Nichtraucher, wa? Hab dich hier so sitzen sehen, und da dachte ich, sachst ma guten Tach.« Er steckte sich umständlich eine Zigarette an und zwinkerte Maarten zu. »Und, drauf gekommen, wer ich bin?«
Erneutes Kopfschütteln. »Tut mir leid, keine Ahnung.«
»Harry. Ich bin Harry, Harry Veldkamp. Und? Klingelt’s?«
»Harry? Du bist Harry?« Maarten schaute sein Gegenüber irritiert von oben bis unten an. Natürlich kannte er Harry Veldkamp, aber in seiner Erinnerung war der klein und dick. Der Harry, den er kannte, hatte immer eine Packung Prinzenrolle in der Hand gehabt. Egal, wo er gerade war. Morgens, mittags, abends. Nie hatte er ihn ohne seine Prinzenrolle gesehen. Deswegen – und natürlich wegen seiner kompakten Statur – wurde er ja damals von allen auch nur Rolle genannt. »Du hast dich aber verändert, Rolle«, stellte er dann nüchtern fest.
Harry verzog das Gesicht. »Nee, nee, mien Jung. Die Zeiten von Rolle sind vorbei. Schon lange. Ging ja nich anners. Wollte ja unbedingt zur Polizei. Und die wollten keine Möpse. Also habe ich meine letzte Prinzenrolle noch aufgegessen und dann – Fitnessstudio. Jeden Tach. Und dann haben se mich genommen. Tja, und da bin ich heute noch.«
»Glückwunsch, tolle Leistung!« Maarten nickte anerkennend. »Willste dich nicht kurz zu mir setzen?«, bot er Harry dann einen Platz auf seiner Picknickdecke an.
»Jo, fünf Minuten geht wohl.« Er setzte sich, griff sich an den Rücken und verzog dabei das Gesicht. »Bandscheibe. Man is ja keine dreißig mehr.«
»Und was machst du hier am Deich mitten im Dienst?«
»Och, muss man ja immer mal nach ’m Rechten sehen, seit hier so viel los is. Meistens, wenn ich herkommen muss, hat einer von den Dösbaddeln den annern eingeparkt oder so.« Harry machte mit seinem Kopf eine Bewegung Richtung Leuchtturm, wo sich gerade mindestens vier Dutzend Urlauber tummelten. Anscheinend war ein ganzer Bus vorgefahren. Über ihnen machten ein paar Möwen ein ohrenbetäubendes Geschrei und warteten auf die Leckerbissen, die hier zuhauf vom Reiseproviant abfielen. »Tja, und da kümmer ich mich dann drum.«
Na, das klang ja nun nicht wirklich nach steiler Polizeikarriere, dachte Maarten. Aber Harry schien zufrieden zu sein.
»Und von da oben hast du mich erkannt?«, fragte Maarten ungläubig. Bis zum Leuchtturm waren es mindestens dreihundert Meter.
»Ach wat. Nee, ich lauf denn immer noch ’n bischen rum, mal Beine vertreten, weißt du. Jo, und da hab ich dich hier sitzen sehen und dachte, guck, den hast ja lange nich gesehn, sachst ma guten Tach.«
»Gute Idee.«
»Jo. Seit wann bissn hier?«
»Seit vorgestern.«
»Ja, hab schon gehört, dass du zu Wiebkes Hochzeit kommst. Wird ja auch mal Zeit, dass die heiraten. Sind so lange schon zusammen, und dann die zwei Lütten.«
»Gestern hab ich Hauke im Krankenhaus besucht«, machte Maarten einen Themenwechsel.
»Hauke. Jo. Böse Geschichte, das.«
»Ihm geht’s richtig schlecht. Gestern hat er Blut gespuckt. Und dann immer diese Krämpfe. Und keiner weiß, was er hat.«
»Jo, tragisch. Und dann hat er ja auch noch so Paranoia.«
Maarten stutzte. Wieso, litt Hauke etwa unter Verfolgungswahn? »Wie kommst du denn da drauf?«, fragte er.
»Ja nu, seit er diese Krämpfe hat, war er schon zweimal bei uns im Polizeirevier in Pewsum. Hat immer behauptet, man würde ihn vergiften. Aber nu mal ganz ehrlich. Wer soll Hauke wohl vergiften?«
Maarten sah Harry prüfend an. »Hat er denn mal einen Verdacht geäußert, wer ihn vergiften will?«
»Er meint, das sind die Kollegen bei der Arbeit.«