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Howgh! Zwei Möchte-(nicht)gern-Indianer auf
dem Kriegspfad ...
Klein, dick und bleichgesichtig – wie ein Indianer sieht der zehnjährige Max nun wirklich nicht aus. Macht aber nichts, denn er ist trotzdem einer. Der Häuptling sogar. Nur seinen Stamm hat er nicht so richtig im Griff: Sein Vater musste vor Kurzem aus dem Familientipi ausziehen und seine Mutter wandelt schon auf fremden Pfaden. Da kommt ihm eine Nachricht gerade recht: Die Karl-May-Festspiele suchen einen neuen Darsteller für Winnetous Sohn. Also trainiert er wie besessen für das Casting, wobei ihm ausgerechnet der gleichaltrige Morten hilft, der Indianer eigentlich nur doof findet …
Ausgezeichnet mit dem EMIL 2016 von TV Spielfilm für den besten Kinderkinofilm!
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Seitenzahl: 140
Brinx / Kömmerling
Das Buch zum Film
Kinder- und Jugendbuch-Verlagin der Verlagsgruppe Random House
1. Auflage 2015© 2015 by cbt Verlagin der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenAlle Rechte vorbehaltenVerwendung des Titelbestandteils »Winnetou« mit freundlicher Genehmigung des Karl-May-Verlags, BambergUmschlaggestaltung: basic-book-design, Karl Müller-Bussdorfunter Verwendung des FilmplakatsUmschlag- und Innenfotos:KINDERFILM GMBH (Fotograf: Stefan Erhard)mi ∙ Herstellung: kwSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN: 978-3-641-15508-7www.cbt-buecher.de
Geh aufrecht wie die Bäume. Lebe dein Leben so stark wie die Berge. Sei sanft wie der Frühlingswind. Bewahre die Wärme der Sonne im Herzen und der große Geist wird immer mit dir sein.
(Weisheit der Navajo)
Der Steinbruch des Todes. Die Sonne brennt auf das karge, staubige Stück Erde. Hoch oben auf einem Felsen wartet ein Geier darauf, dass die drei Bleichgesichter unten den Indianer endlich an den Baum knüpfen.
»Hängen sollst du, Winnetou«, grölt der eine und schleudert die leere Whiskyflasche gegen die Felsen. Sie zerbricht in tausend glitzernde Teile.
»Du bist die längste Zeit der Häuptling der Apachen gewesen!«, lacht ein anderer und zeigt seine faulen braunen Zähne. Der Dritte schießt einfach so in die Luft.
»Jim, Bill, jetzt hängt sie auf, die elende Rothaut!«
Winnetou steht mit ungerührtem, stolzem Gesicht auf einem Holzklotz, die Schlinge eines Seiles um den Hals, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Er schaut in die Weite der Prärie und würdigt die Bleichgesichter keines Blickes.
»Bye, bye, Amigo!« Gerade setzt Jim seinen staubigen Cowboystiefel an den Holzklotz, um ihn umzustoßen, da fällt ein Schuss und durchtrennt das Seil. Aufgeregt spritzen die Banditen auseinander, »in Deckung!«, »Achtung!«, »Zum Henker!«, und Winnetou landet lautlos auf seinen perlenbestickten Mokassins im Staub. Oben auf einer Anhöhe erscheint ein schwarzes Pferd, darauf ein etwa zehnjähriger Indianerjunge mit pechschwarzen Haaren und entschlossenem Gesicht. Immerzu weiterschießend kommt er herbeigeritten.
»Das ist sein Sohn!« »Das ist Winnetous Sohn!« Die Bleichgesichter versuchen mit ihren Revolvern auf ihn zu schießen, doch einen tritt er vorher weg, dem anderen kommt er mit seinem Schuss zuvor, den Dritten schlägt er mit seinem Gewehrkolben nieder.
Dann reitet er zu seinem Vater und in den sonst stets ungerührten Gesichtern steht große Freude.
»Vater!« Lässig springt er von dem wunderschönen Rappen.
»Mein Sohn!«
Schnell löst Winnetous Sohn die Fesseln seines Vaters, die beiden umarmen sich. »Der Sohn des großen Häuptlings war in tiefer Sorge.«
»Winnetou hätte auf seinen Sohn hören sollen!« Beide bemerken nicht, dass hinter einem Felsen ein vierter Bandit auftaucht, anscheinend ein Mexikaner, denn er trägt einen riesigen Hut. In der Hand hält er eine Dynamitstange. »Das Feuerwasser vergiftet die Herzen der Bleichgesichter und macht sie böse!«, spricht Winnetou mit finsterem Gesicht weiter. Sein Sohn steigt auf sein Pferd und legt eine Hand auf sein Herz. Der Mexikaner zündet die Dynamitstange an.
»Winnetous Sohn weiß, dass sein Vater, der Häuptling der Apachen, ein großer und tapferer Krieger ist!«
Grinsend hebt der Mexikaner die brennende Dynamitstange über den Kopf und will sie gerade zwischen die beiden Indianer schleudern … da klingelt ein Handy.
»Was soll das? Wer ist das? Das gibt es doch gar nicht!« Wütend geht der Regisseur des Stückes, das gerade auf der großen Freilichtbühne in Wolfitz einstudiert wird, dazwischen. Ein energischer Mann in Soldatenuniform, der soeben einen Tobsuchtsanfall bekommt. »Wie oft soll ich das denn noch sagen? HANDYS AUS!« Die Darsteller überprüfen hektisch ihre Taschen, klopfen sich ab, und Jim, der eigentlich erschossen auf dem Boden liegt, zieht das klingelnde Ding mit schlechtem Gewissen heraus. »So kann ich nicht arbeiten!«, schreit der Regisseur weiter und stürmt auf die Bühne.
»Entschuldigung!«, nuschelt Jim.
»Wenn das so weitergeht, werden wir nie fertig!« Während er weiter herumschreit, bemerkt der Darsteller, der den Mexikaner gibt, plötzlich, dass die Zündschnur der Dynamitstange gleich abgebrannt ist. Schnell wirft er das Ding weg, alle springen auseinander, Deckung, Ohren zuhalten. Aber dann macht es nur ganz leise plopp und das war’s. Erleichterung macht sich breit, der von seiner Wut ganz erschöpfte Regisseur lehnt sich an eine Pappkulisse, die die Felswand spielt und das Gewicht nicht aushält. Mit lautem Getöse fällt sie um, das Pferd, auf dem der Darsteller von Winnetous Sohn sitzt, steigt vor Schreck hoch, und der Junge fliegt in hohem Bogen, sich mehrfach überschlagend, runter.
1
Als Max im Schneidersitz unter dem Tisch saß, wusste er noch nicht, dass das, was in Wolfitz passiert war, für ihn sehr, sehr wichtig werden würde. Du kannst den Regenbogen nicht sehen, wenn es nicht irgendwo regnet, sagen die Indianer, und das wusste Max wiederum, damit hatten sie recht. Es muss etwas passieren, damit etwas passiert, oder auch, wenn es kein Unglück gibt, gibt’s auch kein Glück. Also hatte er gewartet und war unter den Wohnzimmertisch gezogen. Papa zu seinem Freund Olli, er unter den Tisch. Hier war es wie im Indianerzelt, ein Tipi, von allen Seiten geschützt, weil er die Decken drum herum genagelt hatte und bequem im Schneidersitz darunter sitzen konnte, um zu warten. Oder seine Mutter zu beobachten, die im Moment hektisch hin und her lief und dabei auf seinen Vater schimpfte.
»Das ist doch echt nicht zu fassen! Ich komme zu spät zum Flughafen. Wahrscheinlich ist es genau das, was Torsten will!« Max hielt den kleinen Handspiegel hoch und zog sich mit Mamas Lippenstift zwei fette rote Streifen über jede Wange. Kriegsbemalung. Obwohl er im Frieden auf Evis Ranch gehen würde. Er freute sich sogar. Sogar total. Wenn nur seine Mutter jetzt nicht so sauer wäre.
»Duuu hast meinen Lippenstift! Bist du wahnsinnig, weißt du, was der kostet? Komm jetzt, wir nehmen ein Taxi, dein Vater ist nicht zu erreichen!« Wütend schleuderte sie ihr Handy in die Handtasche. »Ist ja auch nichts Neues!« Max verzog keine Miene, die Würde eines richtigen Indianers ist nicht zu erschüttern. Auch wenn es nicht so ist, muss es wenigstens so aussehen. Er kroch aus dem Tipi und war bereit. Bereit für seine große Reise.
»Ja, ist denn schon Karneval?«, wollte der Taxifahrer wissen, als er Max in seiner zu engen Wildlederhose und der Indianerkette über dem dicken Bauch sah. In solchen Fällen wurde Mama Birte zur Steppenwölfin, die ihr Junges schützt. Obwohl sie selber dauernd über diesen Indianerkram schimpfte. Wenn es ein anderer tat, musste Manitu schleunigst seine schützende Hand über ihn halten.
»Lassen Sie den Jungen in Ruhe! Ich hab’s eilig. Evis Ranch, Ronsdorferstraße und dann so schnell wie möglich zum Flughafen!«
»Vielleicht ist Papas Uhr stehen geblieben?«, überlegte Max laut, und Birte schnalzte so mit der Zunge, wie er es nicht leiden konnte, schnalzte Verachtung.
»Welche Uhr?«
»Ja, oder er hat ein Vorspiel bei Lady Gaga, weiß man doch alles nicht.« Torsten spielte in einer Band. Gitarre. Er war immer ganz sicher gewesen, dass sie irgendwann den Durchbruch schaffen würden. Warum also nicht gerade jetzt? Birte klopfte ihrem Sohn auf den Wildlederhosenoberschenkel und schaute dabei nervös auf den Verkehr, weil es nicht voranging.
»Glaub mir, Max, ich weiß, dass er kein Vorspiel hat. Nirgendwo. Niemals, die Dinge ändern sich nicht. Fahren Sie da rechts, so kommen wir ja nicht weiter!«
Max schaute aus dem Fenster und lächelte. Mama! Sie hatte keine Ahnung. Die Dinge hatten sich doch auch jetzt geändert. Seit sie Papa vor die Tür gesetzt hatte, war alles anders. Warum sollte das nicht wieder zurücklaufen? Oder eine neue Wendung nehmen? Kurven machen? Papa konnte alles ändern. Er war ein Indianer, seit Max ihn kannte, seit er auf der Welt war, und hatte auch aus ihm einen gemacht. Zusammen waren sie als Indianer durch die Prärie ihrer Kleinstadt gezogen, und Papa hatte ihm alles beigebracht, was ein richtiger Indianer wissen und können musste. Schleichen, ungerührte Miene, Weisheiten aller Art, Bogenschießen und vieles mehr.
Einmal, vor Jahren, als sie noch eine Familie gewesen waren, hatten sie alle zusammen die Freilichtbühne in Wolfitz besucht. Gezeigt wurde der dritte Teil von »Winnetou«, über drei Stunden lang preschten die Indianer auf ihren Pferden auf der riesigen Bühne hin und her, bekämpften sich mit den fiesen Bleichgesichtern, versuchten ihr Land zu retten, ihre Ehre und das Überleben ihres Volkes. Winnetou war der größte aller Helden. Max hatte neben seinem Vater gesessen, beide in voller Montur, Indianer mit Leib und Seele, und Birte trug immerhin eine Feder schief in den Haaren. Drei Stunden hatte der kleine Max sich nicht bewegt und alles genau verfolgt. Er ballte seine Hände zu Fäusten, am liebsten wäre er mit Winnetou geritten und hätte ihm beigestanden, aber dann kam plötzlich dieser Schuss auf Old Shatterhand, und weil Winnetou eben so ein großer Held war, warf er sich dazwischen und … wurde getroffen. Und dann sagten sie auf einmal, dass Winnetou jetzt stirbt in den Armen seines Bruders, und die Glocken läuteten dazu, obwohl Winnetou bestimmt nicht katholisch war, das wusste Max ganz genau. Er konnte es nicht ertragen, wie er da lag und einfach verloren hatte. Und so klopfte er seinem Vater aufgeregt und mit Tränen in den Augen aufs Bein.
»Winnetou darf nicht sterben, Papa, er darf nicht sterben, tu doch was!« Birte und Torsten versuchten ihn zu beruhigen, auf den Schoß zu ziehen, aber Max war vollkommen außer sich, und da war Torsten, sein Vater, der Indianer, der das Leben träumt, aufgesprungen und hatte den Satz seines Sohnes nach vorne zur Bühne geschrien.
»Winnetou darf nicht sterben!« So laut, so lange, bis ein anderer Zuschauer sich anschloss, »genau, Winnetou darf nicht sterben!«, und noch einer und schließlich alle mitmachten und der sterbende Winnetou auf der Bühne den Kopf drehte und beschloss weiterzuleben. Papa konnte alles ändern, als er noch ein Indianer war, und Max würde ihn schon wieder daran erinnern.
»Hier, wir sind da, hier können Sie anhalten!« Birte sprang schon aus dem Wagen, als er noch gar nicht richtig stand, um Max’ Indianergepäck aus dem Kofferraum zu holen. »Warten Sie, wir fahren direkt weiter!«
Max wusste genau, was er auf Evis Ranch brauchte. Der Schlafsack und das Messer waren das Wichtigste. Damit würde er diesmal eine Friedenspfeife schnitzen.
»Mach’s gut, mein Süßer, viel Spaß! Lass dich nicht unterkriegen, am Sonntag bin ich wieder da.« Unterkriegen lassen? Auf Evis Ranch? Er? Max, genannt der Häuptling? Seine Mutter umarmte ihn und sprang zurück ins Auto. Er sagte ihr lieber nicht, dass seine Kriegsbemalung jetzt auf ihrer Bluse leuchtete, sie war eh schon so aufgeregt. Ein verlängertes Wochenende mit ihrer Freundin Kiki in London. Der würden die roten Flecken bestimmt egal sein. Das Taxi wirbelte Staub auf beim Losfahren, Birte winkte aus dem Fenster, und Max hob die Hand zum Gruß, wie die Indianer es taten und die Würde es verlangte. »Möge Manitu mit dir sein!« Das Taxi verschwand in der Wolke aus trockener Erde.
»Springendes Reh grüßt ihren Bruder, den Häuptling!«
Erfreut drehte Max einen Halbkreis. Da saß Evi auf dem pechschwärzesten und wildesten Pferd der Ranch, Iltschi, führte die Hand zum Herz und wieder in die Luft und strahlte ihn an. Evi, mit ihren blonden Strohhaaren unter dem vergilbten Cowboyhut, nie mit Helm, immer ohne Sattel. Sie war eine Indianerin aus tiefstem Herzen, und manchmal dachte Max, sie könnte sogar die Sprache all ihrer Tiere verstehen. Evi hatte erkannt, dass Max der Häuptling war, schon beim allerersten Mal, und hatte ihn gerne auf ihrer Ranch dabei. Diese Ranch war ihr Leben. Irgendwo am Rande der Stadt, mit den Pferden und Hühnern, Ziegen und Hunden, dem großen Lagerfeuerplatz und dem Gemeinschaftszelt, in dem die Kinder übernachteten, die hier alles lernten, was man als Indianer können muss. Evi lebte gerne in ihrem Wohnwagen und lauschte am Abend den Grillen, die sich auch über diesen idyllischen Platz in der Stadt wunderten und gerne für sie sangen. Reich konnte sie hier nicht werden und war es aus ihrer Sicht doch.
»Das Herz des Häuptlings ist voller Freude!« Max schnappte sich seinen Schlafsack, und Evi sprang vom Pferd, legte einen Arm um ihn, und alle zusammen gingen unter dem Holzschild durch, in das Evi »Evis Ranch« gebrannt hatte, und das wie in einem richtigen Western im Wind quietschte, wenn er wehte.
»Wie geht es Bronsky? Was macht Bob? Wo bleibt Pinky?« Max konnte es kaum erwarten, all seine tierischen Freunde wiederzusehen.
»Sie freuen sich auf dich. Und die anderen Kinder sind auch schon fast alle da!« Zwei Mädchen und zwei Jungs standen um Pinky herum, versuchten sie zu füttern und zu streicheln, und das kleinste Pony der Welt hatte seinen Spaß, ihnen an den Klamotten zu zupfen oder sie mit der gierigen Nase anzustübern. Nur einer von ihnen wich immer wieder ängstlich zurück, und da wusste Max gleich, wer in der Nacht im Tipi Heimweh bekommen würde.
»Hey Leute, alle mal herhören, ich möchte euch den Häuptling vorstellen!« Die Kinder drehten sich zu ihnen um und musterten Max, der mit häuptlingsmäßig verschränkten Armen und würdevollem Gesicht vor ihnen stand und ihnen durch seine Brille tief in die Augen schaute. Sie starrten ihn an, dann fing einer an zu grinsen.
»Der sieht aber nicht gerade aus wie ein Häuptling!« Max lächelte milde, er wusste ja, dass sie noch viel lernen mussten.
»Indianerhäuptlinge sind nie blond und dick!«, tönte eines der Mädchen noch obendrauf, und Evi legte ihr freundlich eine Hand auf die Schulter.
»Wie einer aussieht, ist ganz egal!« Sie deutete auf Max’ Kopf und die Stelle, wo das Herz in seiner Indianerbrust schlug. »Darauf kommt es an. Da zeigt sich, wer ein echter Indianer ist!«
Max nickte Evi zu und machte jetzt vorsichtshalber ein freundlicheres Gesicht.
»Springendes Reh hat gut gesprochen! Howgh!«
Da waren die Kinder still und Evi klatschte in die Hände.
»So, ich zeige euch jetzt mal alles und der Häuptling wartet hier auf unseren letzten Mohikaner.« Sie schaute in den Himmel, um die Uhrzeit abzuschätzen. »Müsste ja jeden Moment kommen!« Evi nahm den kleinen Ängstlichen an die Hand und zog mit der Truppe los, das Gelände zu erkunden, die Tiere kennenzulernen und einen Schlafplatz im großen Gemeinschaftstipi auszusuchen. Max drehte sich zum Eingangsschild, um die Ankunft des letzten Teilnehmers nicht zu verpassen, und ordnete die Indianerkette über seinem Bauch. Die Kette, die sein Vater ihm geschenkt hatte. Ein leichter Wind fegte den Staub über die ungepflasterte Straße, die zur Ranch führte. Es war ganz still. Wie die Ruhe vor dem Sturm.
2
In der Ferne verdichtete sich der Staub. Mit ihm verschwand die Stille, ein Motorengeräusch wurde schnell lauter und ein Lieferwagen bremste direkt unter dem Schild. Max machte den Rücken gerade und kniff die Adleraugen zusammen. Der Motor verstummte, der Staub legte sich und dann passierte erstmal nichts. Max rührte sich nicht. Plötzlich wurde die Beifahrertür aufgerissen und eine energische Frau sprang aus dem Wagen. »Wir sind da, alles aussteigen!« Es klang ein bisschen zu fröhlich. Sie wartete, verschränkte die Arme, schaute in den Himmel. »Morti!!!« Jetzt stieg auch der Fahrer aus, ein Mann mit leicht gequältem Gesichtsausdruck. Er schaute zu der Frau über den Wagen.
»Der Junge heißt Morten und er will nicht!«
Max zog eine Augenbraue hoch. Aha!
»Der Junge will gar nichts!« Die Frau klang plötzlich gar nicht mehr so fröhlich, eher genervt und sehr angespannt. »Du würdest ihn ja für immer in seinem Zimmer versauern lassen, aber nicht mit mir, nein, das mache ich nicht mit. Wir haben eine Verantwortung, Sven!« Der Mann seufzte.
»Ja, aber vielleicht ist jetzt ein Indianercamp auch nicht gerade das Richtige!«
»Was denn, was schlägst du denn vor? Ich habe dich hunderttausend Mal gefragt, aber da kommt ja nichts, irgendwer muss doch hier mal das Heft in die Hand nehmen…!« Die beiden stritten sich über die Ladefläche weiter und waren so vertieft in ihre Angelegenheiten, dass sie gar nicht bemerkten, dass der sogenannte Morti mit versteinertem Gesicht aus dem Wagen stieg. Max zog die andere Augenbraue auch noch hoch. Was war das denn für einer? Die Haare lang und dunkel, überhaupt dunkel der ganze Typ, man wunderte sich, dass er keine schwarze Wolke über dem Kopf mit sich herumtrug.
Ohne seine Eltern auch nur eines Blickes zu würdigen, zerrte er einen schwarzen Rollkoffer aus dem Auto, zog den Griff raus und ging mit Todesmiene unter dem Schild hindurch auf Evis Ranch. Von irgendwoher kam Mundharmonikamusik, aber das war wahrscheinlich nur in Max’ Kopf und gar nicht echt. Was hatte sein Vater ihm immer gesagt?
»Einen echten Indianer und Blutsbruder erkennst du so schnell, wie der Falke sein Opfer schlägt!« Hier war einer, das war für Max ganz eindeutig. Der konnte unglaublich gut ungerührt aussehen. Obwohl es wahrscheinlich in ihm kochte. Und man musste ihm sicher noch den richtigen Pfad weisen. Aber dafür war der Häuptling ja genau der Richtige.
Morten blieb vor Max stehen, hob zum ersten Mal den Blick und schaute ihn an.
»Wo ist mein Zimmer?«
Max drehte sich um und zeigte mit großer Geste auf das Gemeinschaftstipi. Der Junge seufzte und zog los, den Rollkoffer hinter sich her durch den Staub. Und sogar seine Eltern hatten jetzt bemerkt, dass ihr Sohn den Wagen verlassen hatte.