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Wenn das Fremde in Person eines mysteriösen Flüchtlings vor der Tür steht, gerät die Welt des durchschnittlichen Wohlstandsbürgers aus den Fugen – mit tödlichen Folgen. Idyllische Klänge läuten das Stück ein: Ein Heimatchor besingt eine Gemeinschaft, in der das WIR großgeschrieben wird. WIR sind alle gleich, werden 73 Jahre alt und haben mindestens drei Hobbys. WIR sind in diesem Fall Barbara und Mario und deren neue Nachbarn Linda und Paul. Auch wenn das erste Kennenlernen mehr als holprig verläuft, finden die beiden Pärchen doch ausreichend gemeinsame Interessen – Flachbildschirme für die Männer, Yoga für die Frauen –, um eine höfliche Freundschaft zu pflegen. Doch als eines Nachts ein Fremder auftaucht, dem Barbara kurzerhand Asyl in ihrer Wohnung gewährt, ist es mit den Höflichkeiten vorbei. Ist er hilfsbedürftig? Ist er eine Bedrohung? Oder stellt er eine exotische Verlockung dar? Noch bevor darüber endgültig entschieden werden kann, verschwinden Barbara und der Mann. Der Heimatchor hat sein Urteil bereits gefällt.
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Seitenzahl: 75
Philipp Löhle
Wir sind keine Barbaren!
Ihr Verlagsname
Stück für 4 Schauspieler und einen möglichst großen Chor.
Barbara
Mario
Linda
Paul
Anna
Es ist geradezu erwünscht, dass die Schauspielerin, die Barbara spielt, später auch Barbaras Schwester Anna spielt.
«Wir sind, wie wir sind, und andere sind, wie sie sind.»
Angela Merkel
«Man kann nur so weit denken, wie man sieht.»
Sprichwort der Pygmäen
(Der Heimatchor tritt auf oder ist schon da. Musik. Der Heimatchor singt die Nationalhymne[a].)
(Der Heimatchor)
Hier
Sind WIR
WIR sind viele
Kein Platz mehr sonst
WIR sind jeder für sich
Mit allen zusammen
WIR sind
Ein Volk
WIR führen
WIR führen an
WIR führen die Liste des
Human
Development
Index
Es
An
Denn
WIR sind glücklich
WIR werden zweiundachtzig Jahre alt
WIR gehen jeden Morgen joggen
WIR gehen jeden Tag zur Arbeit
Vier Komma Drei Wochen im Monat
Vierzig Stunden die Woche
Fünfundvierzig Jahre im Leben
Sechstausendzweihundertneunzehn brutto im Schnitt
Da macht man schon mal Überstunden
Work Life Balance
Quality Time
WIR haben mindestens drei Hobbys
Fuß- Tennis Handball
Reiten Rudern Ringen
WIR gehen gerne ins Kino
Oder ins Theater
Oder spazieren
Oder einkaufen
Oder ins Museum
Oder essen
Oder an einen historischen Ort
WIR sind gerne betroffen
Oder in den Zoo
Oder Musik
Oder Zirkus
Oder Kneipe
Oder oder oder
Und oder
WIR bleiben zu Hause
Wo
S
Am schönsten ist
Wo
S
Ruhig ist
Wo
WIR uns selbst töten
Wo vier uns selbst töten
Wo vier von uns sich selbst töten
Pro Tag
Nur vier
WIR
Sind d’accord
Der Heimatchor
(Barbara, essend, mindestens Kuchen oder so. Und Mario. Dumpfes Stöhnen durch die Wand.)
BARBARA:
Wo warst du denn?
MARIO:
Du bist schon da?
BARBARA:
Dein Auto steht draußen.
MARIO:
Ja. Ich. War da.
BARBARA:
Hier?
MARIO:
Ja. Hier.
BARBARA:
–
MARIO:
Ich war im Keller. Habe was gesucht.
BARBARA:
Was denn?
MARIO:
Ich kann doch mal im Keller was suchen.
BARBARA:
Ja, was hast du denn gesucht?
MARIO:
Mann! Einen Hammer habe ich gesucht.
BARBARA:
Einen Hammer. Der ist hier. Seit wann ist der Hammer im Keller?
MARIO:
Dann ist er halt nicht im Keller. Gut. Ist er hier. Sonst noch Fragen?
BARBARA:
Ja. Eine: Wieso suchst du einen Hammer? Willst du ein Bild aufhängen?
MARIO:
Och, Barbara, bitte. Wieso bist du denn überhaupt schon da?
BARBARA:
Geht dich nichts an.
MARIO:
Hä?
BARBARA:
Geschlossene Gesellschaft. Gab nur ein Buffet. Konnt ich früher weg.
MARIO:
Ach so. Schön.
BARBARA:
Ja.
MARIO:
Ich freu mich.
BARBARA:
Ist was?
MARIO:
Nein.
BARBARA:
Du grinst?
MARIO:
Ich habe nur nicht mit dir gerechnet.
BARBARA:
Und was ist daran so lustig?
MARIO:
Kann ich dir nicht sagen.
BARBARA:
Haben wir jetzt schon Geheimnisse voreinander, oder was?
MARIO:
Nur manchmal.
BARBARA:
Was soll denn das heißen?
MARIO:
Och, Barbara!
BARBARA:
Was ist?!
MARIO:
Ja, was ist?
BARBARA:
?
MARIO:
Am Samstag?
BARBARA:
Ach so! Du … Mensch, Mario! …
(Barbara grinst.)
MARIO:
Ja, Mensch, Mario!!! Eben. Mensch, Barbara! Du Schussel!
(Umarmung. Küsschen. Schweigen. Nur das dumpfe Stöhnen durch die Wand.)
BARBARA:
Sind das die Neuen?
(Sie hören dem Stöhnen zu.)
BARBARA:
Früher waren wir auch mal so.
MARIO:
Nein. So waren wir nie!
BARBARA:
Na ja, du denkst ja auch dein Hammer ist im Keller.
MARIO:
Witzig.
BARBARA:
Hast du sie schon gesehen?
MARIO:
Wen?
BARBARA:
Die Neuen.
MARIO:
Nur gehört!
BARBARA:
Wie lange brauchen die denn?
MARIO:
??
(Sie hören dem dumpfen Stöhnen zu.)
BARBARA:
Würdest du das machen? Einziehen und gleich losrammeln? Am selben Abend noch?
MARIO:
In einer Wohnung, in der sich der Vormieter in den Kopf geschossen hat? Danke.
BARBARA:
Vielleicht wissen sie es nicht.
MARIO:
Vielleicht macht es sie an.
(Sie hören dem Stöhnen zu.)
BARBARA:
Irgendwie macht es mich auch an.
MARIO:
Was?
BARBARA:
Na, komm her! Tiger!
MARIO:
Tiger?
BARBARA:
War ein Witz.
(Barbara geht. Würgen. Spülung.)
MARIO:
Barbara?
MARIO:
Das ist Barbara.
PAUL:
Linda.
BARBARA:
Mario.
LINDA:
Paul. Angenehm.
MARIO:
Sehr erfreut.
BARBARA:
Hallo.
PAUL:
Ich vergesse ja Namen unheimlich schnell.
BARBARA:
Sind doch nur zwei.
MARIO:
Sie …
LINDA:
Wollen wir du sagen?
BARBARA:
Gerne. Ich bin die Barbara.
PAUL:
Paul.
MARIO:
Mario.
LINDA:
Ja. Linda.
PAUL:
Linda.
MARIO:
Sie … Ihr … hat … Wie war der Umzug?
LINDA:
Oh. Schrecklich.
PAUL:
Meine Schwester hat so viel Zeug. Es ist furchtbar.
BARBARA:
Deine Schwester?
PAUL:
Na Linda.
BARBARA:
Ach, Linda ist …
LINDA:
Fitnesstrainerin.
PAUL:
Sie ist meine Schwester.
BARBARA:
Oh!
LINDA:
Selbständig. Deshalb habe ich ein paar Sachen mehr als andere.
PAUL:
’N «Paar»!
LINDA:
Ja. Okay. Auch größere. Andererseits: Vollkommene Unabhängigkeit. Ich kann praktisch überall wohnen. Ich meine, ich sage nur Fitness!
(Mario schaut auf seinen Bauch.)
LINDA:
Ich sage: Zumba. Ich sage: Pilates. Ich sage: Crossfit. Ich sage: Balance-Swing. Ich sage: Mixed-Martial-Arts-Body-Combats. Ich sage:
PAUL:
Linda.
LINDA:
Bokwa. Ich sage: Cortex. Und vor allem sage ich: Yoga. Auf Englisch. Für Kids.
MARIO:
Das sagt mir alles gar nichts.
PAUL:
Den mag ich.
(Paul will mit Mario High Five machen. Mario nicht. Paul nimmt die Hand wieder runter.)
LINDA:
Im Endeffekt ist es eh alles dasselbe. Aber: Psst! Nicht verraten.
(Linda kichert.)
BARBARA:
Und wo machst du das?
LINDA:
Wo? Überall. Mobil. Ich kann dir mal meine Karte geben.
PAUL:
Wir sind hier nicht auf Kundenfang.
LINDA:
Wenn sie fragt. Wir können das auch hier machen.
MARIO:
Hier?
BARBARA:
Ist doch gut. Gerne.
LINDA:
Gibt’s übrigens auch für Männer!
MARIO:
Was?
(Er versteckt seinen Bauch.)
PAUL:
Ich sage immer: Es bringt einfach nichts, beim Wiegen den Bauch einzuziehen.
(Paul lacht.)
MARIO:
Ja …
LINDA:
Wir können auch ne Gruppe machen, wenn ihr wollt. Oder gemischt.
(Sie hat eine Karte gefunden, hält sie hin.)
PAUL:
Vielleicht wollen sie ja gar nicht.
LINDA:
Müssen ja auch nicht. Ich sage ja nur.
BARBARA:
Doch. Klar.
(Barbara nimmt die Karte. Schaut sie an.)
MARIO:
Joa.
BARBARA:
Mario entwickelt Sounds für Elektroautos. Das ist auch verrückt.
MARIO:
Barbara.
BARBARA:
Ist doch verrückt? Die Autos sind zu leise, deshalb sucht Mario nach Tönen, die sie nach außen abgeben. Wegen der Blinden.
MARIO:
Nicht nur wegen der Blinden. Aber auch.
BARBARA:
Verrückt, oder?
(Pause.)
PAUL:
Auf jeden Fall!
LINDA:
–
MARIO:
Vielleicht wollt ihr ja … Was trinken?
PAUL:
Das ist doch mal ne gute Idee. Der gefällt mir.
(Paul bietet wieder ein High Five an.)
MARIO:
Wir haben noch einen köstlichen Rosé, oder? Barbara?
BARBARA:
Und Prosecco.
MARIO:
Oder Saft?
LINDA:
Also ich nehme ganz gern ein Wasser.
MARIO:
Gut. Haben wir auch.
(Paul lacht.)
MARIO:
Paul?
PAUL:
Haben wir auch. Fand ich gut.
MARIO:
Nein, was du trinken willst?
PAUL:
Ähm … Ach so. Von allem ein Schluck. Ha! Nee, ich nehme. Ach, Prosecco, wieso eigentlich nicht.
MARIO:
Du?
BARBARA:
’N Saft. Apfel. Danke.