Wir sind keine Barbaren! - Philipp Löhle - E-Book

Wir sind keine Barbaren! E-Book

Philipp Löhle

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Beschreibung

Wenn das Fremde in Person eines mysteriösen Flüchtlings vor der Tür steht, gerät die Welt des durchschnittlichen Wohlstandsbürgers aus den Fugen – mit tödlichen Folgen. Idyllische Klänge läuten das Stück ein: Ein Heimatchor besingt eine Gemeinschaft, in der das WIR großgeschrieben wird. WIR sind alle gleich, werden 73 Jahre alt und haben mindestens drei Hobbys. WIR sind in diesem Fall Barbara und Mario und deren neue Nachbarn Linda und Paul. Auch wenn das erste Kennenlernen mehr als holprig verläuft, finden die beiden Pärchen doch ausreichend gemeinsame Interessen – Flachbildschirme für die Männer, Yoga für die Frauen –, um eine höfliche Freundschaft zu pflegen. Doch als eines Nachts ein Fremder auftaucht, dem Barbara kurzerhand Asyl in ihrer Wohnung gewährt, ist es mit den Höflichkeiten vorbei. Ist er hilfsbedürftig? Ist er eine Bedrohung? Oder stellt er eine exotische Verlockung dar? Noch bevor darüber endgültig entschieden werden kann, verschwinden Barbara und der Mann. Der Heimatchor hat sein Urteil bereits gefällt.

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Seitenzahl: 75

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Philipp Löhle

Wir sind keine Barbaren!

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Über dieses Buch

Über Philipp Löhle

Inhaltsübersicht

PersonenAnmerkungMottos0. Bevors losgeht, noch mal einstimmen1. Die Lage der Nation2. Neue Nachbarn (I)3. Vorstellungsrunde4. Zum besseren Verständnis5. Vierunddreißig6. There’s a man going around taking names7. Vom guten Empfinden8. Verflechtungen9. Quelle est ton histoire quelle est ton douleur10. Heterogen11. Girls12. Boys13. Cape Fear14. Die Leere15. Cape Nightmare16. Geist17. Wildfang18. Alles, was recht ist19. Immer auf die Kleinen20. Verfahren21. Neue Nachbarn (II)

Personen

Stück für 4 Schauspieler und einen möglichst großen Chor.

Barbara

Mario

Linda

Paul

Anna

Anmerkung

Es ist geradezu erwünscht, dass die Schauspielerin, die Barbara spielt, später auch Barbaras Schwester Anna spielt.

«Wir sind, wie wir sind, und andere sind, wie sie sind.»

Angela Merkel

 

«Man kann nur so weit denken, wie man sieht.»

Sprichwort der Pygmäen

0.Bevors losgeht, noch mal einstimmen

(Der Heimatchor tritt auf oder ist schon da. Musik. Der Heimatchor singt die Nationalhymne[a].)

1.Die Lage der Nation

(Der Heimatchor)

Hier

Sind WIR

WIR sind viele

Kein Platz mehr sonst

WIR sind jeder für sich

Mit allen zusammen

WIR sind

Ein Volk

WIR führen

WIR führen an

WIR führen die Liste des

Human

Development

Index

Es

An

Denn

WIR sind glücklich

WIR werden zweiundachtzig Jahre alt

WIR gehen jeden Morgen joggen

WIR gehen jeden Tag zur Arbeit

Vier Komma Drei Wochen im Monat

Vierzig Stunden die Woche

Fünfundvierzig Jahre im Leben

Sechstausendzweihundertneunzehn brutto im Schnitt

Da macht man schon mal Überstunden

Work Life Balance

Quality Time

WIR haben mindestens drei Hobbys

Fuß- Tennis Handball

Reiten Rudern Ringen

WIR gehen gerne ins Kino

Oder ins Theater

Oder spazieren

Oder einkaufen

Oder ins Museum

Oder essen

Oder an einen historischen Ort

WIR sind gerne betroffen

Oder in den Zoo

Oder Musik

Oder Zirkus

Oder Kneipe

Oder oder oder

Und oder

WIR bleiben zu Hause

Wo

S

Am schönsten ist

Wo

S

Ruhig ist

Wo

WIR uns selbst töten

Wo vier uns selbst töten

Wo vier von uns sich selbst töten

Pro Tag

Nur vier

WIR

Sind d’accord

Der Heimatchor

2.Neue Nachbarn (I)

(Barbara, essend, mindestens Kuchen oder so. Und Mario. Dumpfes Stöhnen durch die Wand.)

BARBARA:

Wo warst du denn?

MARIO:

Du bist schon da?

BARBARA:

Dein Auto steht draußen.

MARIO:

Ja. Ich. War da.

BARBARA:

Hier?

MARIO:

Ja. Hier.

BARBARA:

MARIO:

Ich war im Keller. Habe was gesucht.

BARBARA:

Was denn?

MARIO:

Ich kann doch mal im Keller was suchen.

BARBARA:

Ja, was hast du denn gesucht?

MARIO:

Mann! Einen Hammer habe ich gesucht.

BARBARA:

Einen Hammer. Der ist hier. Seit wann ist der Hammer im Keller?

MARIO:

Dann ist er halt nicht im Keller. Gut. Ist er hier. Sonst noch Fragen?

BARBARA:

Ja. Eine: Wieso suchst du einen Hammer? Willst du ein Bild aufhängen?

MARIO:

Och, Barbara, bitte. Wieso bist du denn überhaupt schon da?

BARBARA:

Geht dich nichts an.

MARIO:

Hä?

BARBARA:

Geschlossene Gesellschaft. Gab nur ein Buffet. Konnt ich früher weg.

MARIO:

Ach so. Schön.

BARBARA:

Ja.

MARIO:

Ich freu mich.

BARBARA:

Ist was?

MARIO:

Nein.

BARBARA:

Du grinst?

MARIO:

Ich habe nur nicht mit dir gerechnet.

BARBARA:

Und was ist daran so lustig?

MARIO:

Kann ich dir nicht sagen.

BARBARA:

Haben wir jetzt schon Geheimnisse voreinander, oder was?

MARIO:

Nur manchmal.

BARBARA:

Was soll denn das heißen?

MARIO:

Och, Barbara!

BARBARA:

Was ist?!

MARIO:

Ja, was ist?

BARBARA:

?

MARIO:

Am Samstag?

BARBARA:

Ach so! Du … Mensch, Mario! …

(Barbara grinst.)

MARIO:

Ja, Mensch, Mario!!! Eben. Mensch, Barbara! Du Schussel!

(Umarmung. Küsschen. Schweigen. Nur das dumpfe Stöhnen durch die Wand.)

BARBARA:

Sind das die Neuen?

(Sie hören dem Stöhnen zu.)

BARBARA:

Früher waren wir auch mal so.

MARIO:

Nein. So waren wir nie!

BARBARA:

Na ja, du denkst ja auch dein Hammer ist im Keller.

MARIO:

Witzig.

BARBARA:

Hast du sie schon gesehen?

MARIO:

Wen?

BARBARA:

Die Neuen.

MARIO:

Nur gehört!

BARBARA:

Wie lange brauchen die denn?

MARIO:

??

(Sie hören dem dumpfen Stöhnen zu.)

BARBARA:

Würdest du das machen? Einziehen und gleich losrammeln? Am selben Abend noch?

MARIO:

In einer Wohnung, in der sich der Vormieter in den Kopf geschossen hat? Danke.

BARBARA:

Vielleicht wissen sie es nicht.

MARIO:

Vielleicht macht es sie an.

(Sie hören dem Stöhnen zu.)

BARBARA:

Irgendwie macht es mich auch an.

MARIO:

Was?

BARBARA:

Na, komm her! Tiger!

MARIO:

Tiger?

BARBARA:

War ein Witz.

(Barbara geht. Würgen. Spülung.)

MARIO:

Barbara?

3.Vorstellungsrunde

MARIO:

Das ist Barbara.

PAUL:

Linda.

BARBARA:

Mario.

LINDA:

Paul. Angenehm.

MARIO:

Sehr erfreut.

BARBARA:

Hallo.

PAUL:

Ich vergesse ja Namen unheimlich schnell.

BARBARA:

Sind doch nur zwei.

MARIO:

Sie …

LINDA:

Wollen wir du sagen?

BARBARA:

Gerne. Ich bin die Barbara.

PAUL:

Paul.

MARIO:

Mario.

LINDA:

Ja. Linda.

PAUL:

Linda.

MARIO:

Sie … Ihr … hat … Wie war der Umzug?

LINDA:

Oh. Schrecklich.

PAUL:

Meine Schwester hat so viel Zeug. Es ist furchtbar.

BARBARA:

Deine Schwester?

PAUL:

Na Linda.

BARBARA:

Ach, Linda ist …

LINDA:

Fitnesstrainerin.

PAUL:

Sie ist meine Schwester.

BARBARA:

Oh!

LINDA:

Selbständig. Deshalb habe ich ein paar Sachen mehr als andere.

PAUL:

’N «Paar»!

LINDA:

Ja. Okay. Auch größere. Andererseits: Vollkommene Unabhängigkeit. Ich kann praktisch überall wohnen. Ich meine, ich sage nur Fitness!

(Mario schaut auf seinen Bauch.)

LINDA:

Ich sage: Zumba. Ich sage: Pilates. Ich sage: Crossfit. Ich sage: Balance-Swing. Ich sage: Mixed-Martial-Arts-Body-Combats. Ich sage:

PAUL:

Linda.

LINDA:

Bokwa. Ich sage: Cortex. Und vor allem sage ich: Yoga. Auf Englisch. Für Kids.

MARIO:

Das sagt mir alles gar nichts.

PAUL:

Den mag ich.

(Paul will mit Mario High Five machen. Mario nicht. Paul nimmt die Hand wieder runter.)

LINDA:

Im Endeffekt ist es eh alles dasselbe. Aber: Psst! Nicht verraten.

(Linda kichert.)

BARBARA:

Und wo machst du das?

LINDA:

Wo? Überall. Mobil. Ich kann dir mal meine Karte geben.

PAUL:

Wir sind hier nicht auf Kundenfang.

LINDA:

Wenn sie fragt. Wir können das auch hier machen.

MARIO:

Hier?

BARBARA:

Ist doch gut. Gerne.

LINDA:

Gibt’s übrigens auch für Männer!

MARIO:

Was?

(Er versteckt seinen Bauch.)

PAUL:

Ich sage immer: Es bringt einfach nichts, beim Wiegen den Bauch einzuziehen.

(Paul lacht.)

MARIO:

Ja …

LINDA:

Wir können auch ne Gruppe machen, wenn ihr wollt. Oder gemischt.

(Sie hat eine Karte gefunden, hält sie hin.)

PAUL:

Vielleicht wollen sie ja gar nicht.

LINDA:

Müssen ja auch nicht. Ich sage ja nur.

BARBARA:

Doch. Klar.

(Barbara nimmt die Karte. Schaut sie an.)

MARIO:

Joa.

BARBARA:

Mario entwickelt Sounds für Elektroautos. Das ist auch verrückt.

MARIO:

Barbara.

BARBARA:

Ist doch verrückt? Die Autos sind zu leise, deshalb sucht Mario nach Tönen, die sie nach außen abgeben. Wegen der Blinden.

MARIO:

Nicht nur wegen der Blinden. Aber auch.

BARBARA:

Verrückt, oder?

(Pause.)

PAUL:

Auf jeden Fall!

LINDA:

MARIO:

Vielleicht wollt ihr ja … Was trinken?

PAUL:

Das ist doch mal ne gute Idee. Der gefällt mir.

(Paul bietet wieder ein High Five an.)

MARIO:

Wir haben noch einen köstlichen Rosé, oder? Barbara?

BARBARA:

Und Prosecco.

MARIO:

Oder Saft?

LINDA:

Also ich nehme ganz gern ein Wasser.

MARIO:

Gut. Haben wir auch.

(Paul lacht.)

MARIO:

Paul?

PAUL:

Haben wir auch. Fand ich gut.

MARIO:

Nein, was du trinken willst?

PAUL:

Ähm … Ach so. Von allem ein Schluck. Ha! Nee, ich nehme. Ach, Prosecco, wieso eigentlich nicht.

MARIO:

Du?

BARBARA:

’N Saft. Apfel. Danke.