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Franz Achleitner, Sohn des Försters, hat sich in die Sennerin Veronika von der Hochreiteralm verliebt. Doch die Beziehung zwischen dem schüchternen jungen Mann und seiner Geliebten steht unter keinem guten Stern, denn Veronikas skrupellose Brüder sind Wilderer. Als der Vater von Franz den Hochreiter-Brüdern auf die Spur kommt, bahnt sich eine Tragödie an …
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LESEPROBE zum E-Book© 2016 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheimwww.rosenheimer.com
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eISBN 978-3-475-54483-5 (epub)
Hans Ernst
Wo der Föhnwind weht
Franz Achleitner, Sohn des Försters, hat sich in die Sennerin Veronika von der Hochreiteralmverliebt. Doch die Beziehung zwischen dem schüchternen jungen Mann und seiner Geliebten steht unter keinem guten Stern, denn Veronikas skrupellose Brüder sind Wilderer. Als der Vater von Franz den Hochreiter-Brüdern auf die Spur kommt, bahnt sich eine Tragödie an …
Ein helles, nachhaltiges Klingeln unterbricht die Stille des Dachstübchens, bis ein dunkelblonder Haarschüppel jäh aus den Kissen auffährt und eine Hand sich gegen das Nachtkästchen hinstreckt, um den Wecker abzustellen.
Es ist halb drei Uhr morgens.
Gleich neben dem Bett befindet sich der Lichtschalter. Die Glühbirne erhellt den Raum.
Franz Achleitner, der Förstersohn, streckt sich, daß die Bettstatt in allen Fugen kracht. Nur einen Fuß streckt er vorerst aus dem Deckbett heraus. Zu weiterem ist er noch nicht fähig. Schlaf und Traum halten ihn noch zu fest umschlungen. Blinzelnd schaut er um sich. Die zwei kleinen, pausbäckigen Schutzengel über seinem Bett lächeln herab. Sie wirken ein wenig kitschig in ihrem Vielfarbendruck, aber es sind immerhin Schutzengel, die nach dem Glauben seiner Mutter seine Jugend noch ein wenig behüten sollen.
Teufel, wie ihm der Schädel brummt! Da hat er gestern bei der Geburtstagsfeier seiner Mutter wirklich ein paar Viertel von diesem Niersteiner Domtal getrunken. Er verträgt noch keinen Alkohol, und es ist nicht ganz vernünftig gewesen vom Vater, ihn immer wieder an seine Mannesehre zu erinnern, die es nicht zulassen dürfte, daß er immer bloß an seinem Glase nippt wie eine züchtige Halbnonne, der es noch erlaubt ist, von den weltlichen Dingen zu genießen, bevor sie ihre Gelübde ablegt.
Nichts gegen den Vater! Er will – welcher Vater will das nicht – einen gestandenen Kerl als Buben haben, der auch einmal ordentlich über den Durst trinken kann. Aber er könnte dann wenigstens heute ein Einsehen haben und ein paar Stunden später gen Berg steigen nach so einer fröhlich durchzechten Nacht. Ja, das könnte er wohl, wenn er nicht so vollends durchdrungen wäre von einem eisernen Pflichtgefühl. Der Förster Achleitner ist noch einer aus der alten Schule. Pflicht und Treue sind ihm zwei unzertrennliche Begriffe. Niemand darf daran rütteln, und es ist nicht einmal in den Jahren des allgemeinen Zerfalls und Niedergangs möglich gewesen, ihn von seinem geraden Weg abzubringen.
Ja, es hat eine Zeit gegeben, da ist es nicht schön gewesen, Förster zu sein. Da hat man zuschauen müssen, mit Kummer im Herzen, wie Besatzungssoldaten das Wild mit Maschinenpistolen abknallten. Auch in der Schonzeit.
Später ist es besser geworden. Auch unter den Siegern hat es gerechte Weidmänner gegeben, Freunde des Waldes und des Wildes, wie etwa jenen Major Murphy, der mit einem gezirkelten Blattschuß einen Zwölfender hat hinstrecken können, daß es selbst das verbitterte Herz des Försters Achleitner fröhlich gestimmt hat.
Gerade will Franz wieder einschlafen, als der dröhnende Baß des Vaters über die Stiege heraufklingt: „Was ist denn, Franzl? Raus aus den Federn!“
Mit beiden Füßen zugleich springt Franz Achleitner nun aus dem Bett, fährt in die kurze Lederhose, wirft im Hinauseilen die Hosenträger über den Kopf und eilt, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter.
Als er die Haustür öffnet, schlägt ihm kühler Wind entgegen. Ein paar Sterne funkeln über dem dunklen Tann. Über den Bergen aber beginnt es schon aufzuhellen, ein zarter, rötlicher Schein ist über die östlichen Spitzen hingegossen.
Leise plätschert das Wasser im Brunnentrog. Franz legt das Hemd ab, steckt den Kopf in das Wasser und läßt sich den kalten Strahl aus der Röhre über Nacken und Rücken rieseln.
Wie gut das tut! Das Summen im Kopf ist wie weggeblasen, und als er eine Weile später das Haus betritt, haben seine Augen schon wieder den hellen, fröhlichen Glanz. Der Vater sitzt bereits fertig angezogen hinter dem Tisch. Die Mutter schenkt Kaffee in die großen, geblümten Tassen, streicht ein paar Brote zurecht und legt sie dem Buben auf den Teller.
Franz zieht die Schwergenagelten an, schlüpft in die Joppe und setzt sich ebenfalls an den Tisch.
„Was macht der Kopf, Franzl? Kater?“, fragt der Förster und streicht sich seinen Bart, damit man das Lächeln nicht sehen soll, das um seinen Mund zuckt.
„Jetzt spür ich gar nichts mehr, Vater.“
„Hättest ihn halt noch ein paar Stunden schlafen lassen. So pressant ist es doch auch wieder nicht“, meint die Mutter mit leisem Vorwurf.
„Ja, freilich, sonst nichts mehr! Dienst ist Dienst! Wenn er woanders in der Lehre wär, dürfte er auch nicht liegenbleiben. Überhaupt – es wäre ja lächerlich, wenn der Bub mit neunzehn Jahren ein Viertel Wein nicht vertragen könnte.“
„Ein Viertel?“, fragt die Försterin und zählt die Flaschen, die im Hintergrund neben der Tür noch stehen. „Es sind zwölf Flaschen.“
„Was? Zwölf Flaschen?“ Der Förster dreht das Gesicht über die Schulter. „Tatsächlich! Donnerwetter, da haben wir nicht schlecht gesoffen. Macht aber nichts, Rosalie, du wirst nur einmal im Leben fünfzig Jahre.“
Der Förster steht auf, zieht die Weste herunter und greift nach seinem Hut mit dem Spielhahnstoß. Er prüft die zwei prall gefüllten Rucksäcke, die auf der Bank liegen, ob die Frau auch alles eingepackt habe. Dann nimmt er das Gewehr vom Rechen, hängt sich das Fernglas um den Hals und greift an seine Taschen, ob er die Patronen habe. Ein paar Minuten später ist auch Franzl fertig.
Als die zwei so nebeneinander stehen, sieht man, daß der Sohn den Vater sogar schon etwas überragt. Schlank und sehnig ist die Gestalt des Jungen. Der Vater dagegen wirkt durch seine Schulterbreite etwas wuchtiger. Der kurzgestutzte schwarze Kinnbart läßt den Förster etwas älter erscheinen, als er ist. Nur die hohe, freie Stirn und das dunkle Haar haben beide gemeinsam. Sonst aber sieht der Franzl mehr seiner Mutter gleich. Er hat die graublauen Augen mit den schnurgeraden, dunklen Brauen, die schmale Nase und den festen Mund mit dem eigenwilligen Zug und der etwas stärkeren Unterlippe. Auch im Wesen gleicht er der Mutter. Nicht, daß er etwa sentimental oder weibisch gewesen wäre. Nein, nur ein gewisser Hang zum Träumen ist da. Ein junger Mensch ist er einfach, der noch unwissend vor den Rätseln des Lebens steht.
„Sind wir fertig jetzt?“, fragt der Förster. „Hast du Patronen, Revierbüchl und Bleistift?“
Franzl nickt. „Alles hab ich, Vater.“ Dann faßt er der Mutter Hand. „B'hüt dich Gott, Mutter. Am Samstagnachmittag komm ich wieder 'runter vom Berg.“
„Gib nur obacht beim Steigen, Bub!“ Die Försterin gibt nun auch ihrem Mann die Hand. „Und wann kommst du heim, Thomas?“
„Wenn der Kestler mit 'naufgeht, bin ich heut abend zurück. Wenn es schlechter geht mit seinem Kindl, gebe ich ihm heute frei und komme erst morgen wieder herunter. Vielleicht schaust du einmal nach, im Häusl beim Kestler.“
„Heut' vormittag geh ich 'nüber. Hab' schon ein Körberl voll hergerichtet.“
Die beiden Jäger treten hinaus in den Garten. Treff, der Jagdhund, zerrt winselnd an seiner Kette, aber der Förster streicht ihm nur lachend über den schönen Kopf.
„Nichts da, Treff. Heut' kann ich dich nicht brauchen.“
Das Gartentürl schlägt hinter den beiden zu, und gleich drauf sind ihre Gestalten in der Dunkelheit untergetaucht.
Still und verschwiegen liegen die Häuser zu beiden Seiten der Straße. Manchmal hört man die Kette eines Rindes aus einem offenen Stallfenster klirren. Dann schlägt ein Hofhund an, der durch das Geklapper der Nagelschuhe auf der Straße aufgeschreckt worden ist. Durch die Kirchenfenster fällt der milde Schein des Ampellichtes. Als sie daran vorübergehen, schlägt es auf dem Turm drei Uhr.
In einem der letzten Häuser sind ein paar Fenster erleuchtet. Der Förster tritt an den Gartenzaun und läßt einen leisen Pfiff hören. Da öffnet sich schon die Haustür, und der Jagdgehilfe Kestler tritt fertig angezogen, die Büchse überm Rücken, auf die Straße.
„Was macht deine Kleine?“, fragte Achleitner. „Ich geb dir gerne noch ein paar Tage frei, Kestler, wenn du willst.“
Der andere schüttelt den Kopf.
„Was hilft es? Aufhalten kann ich es ja doch nicht, wenn sie sterben muß; das ist etwas Hartes, da bin ich lieber nicht dabei.“
„Wie du meinst. Was sagt denn der Doktor?“
„Was kann der schon sagen? So ein Kindl ist wie ein Lichtl. Der kleinste Lufthauch kann es auslöschen.“
„Deiner Frau geht es aber besser jetzt?“
„Ja, die reißt sich schon durch. Gestern ist sie das erstemal aufgestanden nach dem Kindbett. Und heut' kommt die Schwester von ihr zu Besuch, die kann ihr dann ein wenig helfen.“
„Gut, dann gehen wir.“
Die drei weichen alsbald von der Straße ab und biegen in einen Feldweg ein, der zur Höhe führt. Nach einer Viertelstunde kommen sie an einem schönen Berghof vorbei. Es ist der Hof des Hochreiter, das höchstgelegene Anwesen der Gemeinde Arlberg. Unmittelbar dahinter beginnt der Wald. Der Zaun der Kälberweide ist zweimal zu übersteigen.
Bevor die Jäger den Wald betreten, bleiben sie mit einem Ruck stehen.
„Horcht! War da nicht etwas? “, fragt der Förster.
Nein, es ist nichts. Nur hinter den Haselnußbüschen schlägt eine Amsel den jungen Tag an. Es ist wie das Klingeln eines ganz fernen Glöckleins, als würde das Sakrament durch die Frühe getragen. Aber sonst ist kein Geräusch zu vernehmen.
Und doch ist da ein Laut gewesen. Beim Hochreiter hat jemand ganz vorsichtig das Stadeltor zugedrückt.
Die Jäger biegen jetzt in den Hochwald ein. Dort kann das wachsende Licht noch nicht eindringen. Tiefes Dunkel herrscht zwischen den Stämmen. Nur an den erwachenden Stimmen des Waldes kann man erkennen, daß auch hier der Tag nicht mehr fern ist. Immer eifriger und heller wird der Gesang der Vögel, da und dort huscht schon durch eine Zweiglichtung ein fahler Schein.
Auf dem ganzen Weg wird nicht viel gesprochen, denn es geht jetzt immer steiler bergauf. Als sie nach etwa anderthalb Stunden den Wald verlassen, ist es heller Morgen. Wie eine Feuerwelle liegt das Sonnenlicht über den Spitzen der Berge.
Der Förster bleibt stehen, rückt den Hut aus der Stirn und schaut auf die Uhr.
„Wir trennen uns jetzt“, sagt er. „Ich gehe zum oberen Holzschlag. Du, Kestler, du schaust einmal im Luxgraben beim Hamberger seiner Partie nach und fragst ihn, ob er nicht ein paar Mann entbehren kann. Das Brückerl beim Lerchensteig muß endlich einmal neu gebaut werden, bevor etwas passiert. Und du, Franzl, gehst durchs Revier. Nimmst vormittags den Bezirk III. Mittags treffen wir uns alle wieder in der Jagdhütte.“
Der Förster tippt an den Hutrand und wendet sich nach links. Kaum hat er ein paar Schritte gemacht, dreht er sich nochmals um. „Franzl!“
„Ja, Vater?“
„Einen Augenblick noch.“ Der Förster kommt heran, zieht seine Pfeife aus der Tasche und beginnt sie umständlich zu füllen. Nebenbei spricht er. „Ich hab' es vor dem Kestler nicht sagen wollen, Franzl. Also, paß auf! Ich sehe es gar nicht gern, wenn du so oft in der Hochreiteralmhütte die Veronika besuchst. Nicht, daß ich gegen das Mädl was hätte. Aber du bist mir noch zu jung für eine Liebschaft. Und außerdem ein Jäger, wenn er einmal verliebt ist, dann hört und sieht er nur mehr die Hälfte. Das wollt' ich dir noch sagen.“ Der Alte dreht sich um und setzt seinen Weg fort.
Franz weiß im ersten Augenblick nicht, soll er lachen, oder soll er sich ärgern. Er ist doch höchstens erst viermal auf dieser Almhütte eingekehrt. Du lieber Gott, wenn einen halt der Weg dran vorbeiführt!
Lüg' dir nichts vor, Franz Achleitnerl Einmal hat dich der Weg zufällig vorbeigeführt. Die anderen drei Male hast du ihn gesucht. Immerhin ist es komisch, daß der Vater das weiß. Nun, mag es sein, wie es will: der alte Herr nimmt es zu tragisch. Warum soll ein Jäger nur mehr halb sehen und hören, wenn er verliebt ist?
Ist er denn überhaupt verliebt? Er sagt es halblaut vor sich hin und lacht laut heraus. Wie komisch sich das anhört: Ich bin verliebt.
Immerhin muß er über diese Worte nachdenken, als er weitergeht. Da hat ihn nun der Vater auf etwas hingestoßen, das tief und verborgen in seinem Herzen geschlummert hat. Nun haben die Worte des Vaters, gleich einer Hand, den Schleier von seinem Geheimnis weggenommen, und Franzl sieht dieses Geheimnis offen und groß vor sich liegen. Und es ist gar nichts Geheimnisvolles mehr, nein, es ist alles seines Zaubers entkleidet. Es ist plötzlich alles Klarheit, Wahrheit und Tatsache: Er liebt dieses Mädchen da oben. Diese sichere Erkenntnis bedrängt ihn nun, verwirrt ihn und stürzt gar nicht sanft über sein Herz her. Und er weiß, daß er immer wieder den Weg zu dieser Alm gehen wird, auch wenn es der Vater verboten hat. Schließlich ist er doch kein Kind mehr. Und – hat der Vater nicht selber gesagt, daß er gegen das Mädl nichts hätte? Na also!
Franz Achleitner schreitet rüstig über das Geröllfeld hinauf. Er beginnt ein kleines Lied vor sich hin zu summen, und sein Gemüt wird dabei so heiter und hell, wie der Himmel über den Bergen strahlt.
*
Die Tiefe drunten ist zu dieser Stunde noch von feinen Frühnebeln umwoben. Aber es ist schon Leben und Klang auf allen Wiesen. Das Sensenläuten geht über die Hügel hin. Dazwischen hört man das Rattern einer Mähmaschine.
Auf der großen Wiese gleich unterhalb des Hofes mäht der Hochreiter-Sepp, während sein Bruder, der Luis, auf der Mähmaschine sitzt, vor die ein Paar prächtige Goldfüchse gespannt sind.
Der Hochreiter-Sepp ist ein hochgewachsener, sauberer Bursche. Sein Gesicht ist wie geschnitzt und tiefgebräunt von Wind und Sonne. Auf seiner Oberlippe sproßt ein kleines, dunkles Bärtchen und gibt seinem Mund einen leichten Zug ins Spöttische.
Man sieht, die Arbeit ist für seinen muskulösen Körper nur ein Spiel. Herrlich ist der Schwung seiner Arme beim Ausholen zum Schnitt. Ebenso schön das leichte Wiegen und Beugen des riesigen Körpers. Wenn er die Sense wetzt, gehen seine Augen immer eine Weile in der Runde umher, gehen hinauf über den Bergwald zu den blauen Felsen oder sind hinweggerichtet über das Dorf mit dem funkelnden Kirchturm in eine weite Ferne.
Jetzt sieht er drunten auf dem Anger hinter den Haselnußbüschen ein weißes Kopftuch schimmern. Das ist die Magdalena vom Schmiedemeister Enzinger, der mit seinem Gesellen schon seit Tagesgrauen da unten mäht. Die Magdalena bringt den beiden gerade die Morgensuppe. Der Sepp zwirbelt an seinem Bärtchen und lacht ein wenig. Die Magdalena – ja, die Magdalena! Ist ein verteufelt hübsches Mädchen, die Magdalena.
Er mäht weiter, und es ist nun, als töne sein Arm förmlich beim Schwung. Rauschend fällt die grüne Mauer vor ihm zusammen.
Auch die Kleidung paßt zu dem herben Wesen des Burschen. Seine Füße stecken nackt in den schweren Schuhen. Die Lederhose ist abgewetzt und verschmiert. Dazu trägt er ein grobes Leinenhemd, das an der Brust offen ist. Die Knie sind zerschunden und mit Narben bedeckt und zeugen davon, daß der Sepp auch im Fels daheim ist. Die große Narbe freilich über dem linken Knie, die stammt woanders her. Die hat ein heißer Granatsplitter am Kubanbrückenkopf hinterlassen. Damals ist es knapp gestanden, ob ihm der Fuß nicht abgenommen werden müsse.
Drüben am andern Wiesenrand hält der Hochreiter Luis jetzt die Pferde an, zieht den Messerbalken hoch und steigt von der Mähmaschine. Dann schreit er dem Bruder zu, er möchte ihm das frische Messer herüberbringen.
Groß und hager ist auch der Luis. Er hat die gleichen Gesichtszüge, nur die Haare schimmern an den Schläfen schon etwas grau.
Als er das frischgeschliffene Messer in den Balken geschoben hat, richtet er sich auf, schaut den Sepp kurz an und fragt, während er schon wieder nach den Zügeln greift: „Wie ist es denn gegangen heut' nacht?“
„Gut ist's gegangen“, antwortet der Sepp und schaut angestrengt über den Hang hinunter, wo die Schmied-Magdalena das frischgemähte Gras mit der Gabel auseinanderstreut.
„Was heißt gutgegangen? Hast ihn, den Hirsch?“
„Freilich hab ich ihn. Aber …“
„Herrgott, laß dir doch nicht jedes Wort abbetteln! Haben tust ihn … aber?“
„Helfen mußt mir heut nacht, daß wir ihn 'runterbringen zur Vroni in die Almhütte.“
„Ausgerechnet heut, wo wir sechs Fuder zum Heimbringen haben!“
Der Sepp zuckt die Achseln und schaut weiterhin über den Hang hinunter.
„Ich kann auch nicht helfen. Liegenlassen können wir ihn nicht bei der Hitze. Außerdem könnte ein Jäger drüberkommen.“
„Du wirst ihn doch gut zugedeckt haben?“
„Da fehlt nichts. Da kommt so leicht keiner hin“, meint der Sepp, und ein spöttisches Lächeln zuckt um seinen Mund. „Heut früh wär ich ihnen beinah in die Hände gelaufen, als ich heim bin. Grad bin ich noch zum Stadeltor hineingekommen. Alle drei waren sie beieinander: der Alte, der Junge und der Kestler.“
„Und du hast gesagt, der Kestler wäre jetzt nicht zu fürchten, weil ein Kind von ihm krank ist.“
„Vielleicht ist es schon wieder gesund. Was weiß ich? Auf jeden Fall ist er heute früh dabeigewesen.“
Der Luis schnalzt mit der Zunge, und die Pferde ziehen wieder an.
Gegen neun Uhr, als die Bremsen und Mücken immer lebhafter werden, bringt der Luis die Pferde nach Hause. Die anderen setzen sich in den Schatten eines Vogelbeerbaumes und machen Brotzeit, bevor sie das gemähte Gras anstreuen.
Angestrengt späht der Sepp den Hang hinunter. Nach einer Weile sieht er, daß auch der Schmied und sein Geselle die Sensen schultern und heimwärts gehen. Der Sepp leert mit einem einzigen Zug seine Bierflasche und steht auf. Zuerst schlendert er gemächlich am Rand der Wiese entlang, bis er für die andern nicht mehr sichtbar ist. Dann biegt er links zur Wiese hinunter, wo die Magdalena beschäftigt ist. Dort versteckt er sich hinter einer Haselnußstaude. Als das Mädchen, ganz in seine Arbeit vertieft, herankommt, tritt er schmunzelnd hervor.
„Guten Morgen, Lenerl. Du bist ja schon so fleißig heute.“
Das Mädchen fährt erschrocken herum und lächelt ihn verwirrt an.
„Mein Gott, Sepp, hast du mich jetzt erschreckt!“
„Geh, Lenerl, du wirst doch nicht vor mir erschrecken!“
„Wenn man aber doch gar keine Ahnung hat.“
Der Sepp zündet sich eine Zigarette an und schaut über das verglimmende Zündholz hinweg dem Mädchen ins Gesicht.
„Wirklich gar keine Ahnung, Lenerl? Hast mich denn nicht gesehen, oben auf der Wiese?“
„Schon – aber daß du 'runterkämst, das hab ich mir nicht denken können.“
„Ah, geh, warum denn nicht? Da sieht man halt wieder, daß du immer noch nicht weißt, wie gern ich dich hab. Direkt mit Gewalt hat es mich 'runtergezogen zu dir.“ Ganz nahe tritt er an sie heran und rüttelt sie zärtlich an der Schulter. „Lenerl – morgen nacht komm ich an dein Kammerfenster.“
Ihre Augen gehen an den seinen vorbei. Eine heiße Röte huscht über ihre Stirn, und erst nach einer langen Weile kann sie sagen: „Das geht nicht, Sepp. Du weißt doch, daß meine kleineren Geschwister auch in der Kammer schlafen.“
Sepp lacht ein wenig. Voll biederer Herzlichkeit versichert er: „Die kleinen Racker haben einen gesunden Schlaf, wenn sie den ganzen Tag an der frischen Luft umeinanderlaufen. Und überhaupt – ich tu schon recht vorsichtig, daß sie mich nicht hören.“ Er legt seinen Arm um ihre Hüfte. „Schau, Lenerl, das ist alles nicht so schlimm, wie du immer meinst. Wenn du es haben willst, bin ich sogar ganz brav.“
„Das müßtest du sowieso sein.“
„Bin ich, bin ich. Wenn es verlangt wird, kann ich brav sein, wenn es auch schwerfällt. Also, Lenerl, morgen nacht?“
Sie macht sich rasch von ihm los. „Nicht, Sepp. Schau, da drüben sind Lechners, die können uns leicht sehen.“
Sie streift mit der Hand das Kopftuch in den Nacken. Eine Fülle goldblonden Haares, das in zwei Zöpfen um die Stirn gewunden ist, wird sichtbar. Dann schaut sie zu dem Burschen auf, schaut ihm fest in die Augen. Die ganze große, hingebungsvolle Liebe liegt in ihrem Blick.
„Sepp, warum kommst du denn in letzter Zeit so selten zu uns? Du weißt doch, wie schrecklich gern ich dich habe.“
„Freilich, freilich, das weiß ich. Aber weißt ja, wie es jetzt ist. Mitten in der Heuarbeit, da ist man am Abend so müde, daß man am liebsten gleich ins Bett geht.“
„Das schon. Aber sonntags? Hast du denn sonntags gar nie Zeit für mich?“
„Da muß ich auf meine Berg hinauf. Da hilft alles nichts. Weißt ja, wie ich bin.“
„Ja, ich weiß, wie du bist“, nickt sie demütig. „Und oft hab ich schreckliche Angst, daß du einmal 'runterstürzt.“
„Ah, woher denn! Ich steig schon sicher. Darauf kannst du dich verlassen, Lenerl.“
Das Mädchen, sie reicht ihm gerade bis ans Kinn, steht mit gesenkten Augen da. Wie gedankenverloren knöpfen ihre Hände sein Hemd an der Brust zu. Dann sieht sie ihn wieder an.
„Einen einzigen Sonntagnachmittag könntest aber doch einmal für mich übrig haben, meine ich. Darfst du dich denn beim Tag gar nicht mit mir sehen lassen? Ich denke, daß du dich mit mir nicht zu schämen brauchst.“
Der Sepp runzelt unbehaglich die Brauen. Eine ist wie die andere, denkt er. Wenn man ihnen den kleinen Finger gibt, möchten sie die ganze Hand.
„Davon ist überhaupt keine Rede“, sagt er. „Aber sonntags, da möcht ich auf meine Berg. Und da laß ich mir gar nichts dreinreden.“
Er wirft die abgebrannte Zigarette fort und zertritt die Glut mit dem Fuß.
„Also, Lenerl, morgen nacht.“ Er greift ihr unters Kinn und lächelt sie an. Dann tippt er an das verwaschene Filzhütl mit der geschlitzten Bussardfeder und wendet sich zum Gehen. „B'hüt dich, Lenerl. Und mach kein so trauriges Gesicht.“
Im nächsten Augenblick schlagen die Haselnußstauden hinter ihm zusammen.
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