Wo der Wind von Liebe flüstert 2 - Suza Summer - E-Book
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Wo der Wind von Liebe flüstert 2 E-Book

Suza Summer

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Beschreibung

Eine Städterin mitten in den Bergen, ein kerniger Tiroler und ein geheimnisvolles Rätsel, das es zu lösen gilt. Der 2. Teil des erfolgreichen Liebesromans von Suza Summer. Tauche ein in die faszinierende Bergwelt Österreichs und erlebe, wie es mit dem Traumpaar Sophie und Matteo weitergeht. Wird Sophie dem rauen Leben in Tirol standhalten? Und jetzt? Glück war kein glänzender Gegenstand, den man in seinen doppelt gesicherten Tresor sperren konnte. Wie war die Halbwertszeit von Glück? Zehn Jahre? Zwanzig Jahre? Ein ganzes Leben? War nicht alles vom Schicksal festgelegt? „Verdammt kompliziert“, murmelte ich und ärgerte mich über mich selbst. „Anstatt endlich dein Leben zu genießen, hirnst du und malst die Zukunft düster“, schalt ich mich. „Matteo ist ein klasse Typ. Ihm wird nichts passieren und er wird dich nicht betrügen.“

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Impressum

1. Auf­la­ge Ok­to­ber 2022Co­py­right © 2022 Tan­ja Eick­holtForstweg 16, 73547 Lorchtan­ja.eick­hol­[email protected]

Um­schlag­ge­stal­tung: Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­tique.de

Bild­nach­wei­se: ©Com­po­ser, ©to­mer­tu, ©ban­no­suke, ©pa­ri­n­ya – stock.ad­o­be.com; en­va­to­ele­ments.com, ra­wpi­xel.com

Lek­to­rat: Lek­to­rat­plus

E-Book Kon­ver­tie­rung: Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­tique.de

Alle Rech­te vor­be­hal­ten. Das vor­lie­gen­de Werk darf we­der in sei­ner Ge­samt­heit noch in sei­nen Tei­len ohne vor­he­ri­ge schrift­li­che Zu­stim­mung der Recht­e­in­ha­ber in wel­cher Form auch im­mer ver­öf­fent­licht wer­den. Das be­trifft ins­be­son­de­re je­doch nicht aus­schließ­lich elek­tro­ni­sche, me­cha­ni­sche, phy­si­sche, au­dio­vi­su­el­le oder an­der­wei­ti­ge Re­pro­duk­ti­on oder Spei­che­rung und oder Über­tra­gung des Wer­kes so­wie Über­set­zun­gen. Da­von aus­ge­nom­men sind kur­ze Aus­zü­ge, die zum Zwe­cke der Re­zen­si­on ent­nom­men wer­den.

»Ich kann nicht lan­ge blei­ben«,flüs­ter­te das Glück.

»Aber ich lege dir eine Er­in­ne­rungin dein Herz.«

(Ver­fas­ser un­be­kannt)

Kapitel 1

Ich träum­te mal wie­der mit of­fe­nen Au­gen. Die schlim­men Bil­der von letz­tem Som­mer spiel­ten sich vor mei­nem in­ne­ren Auge ab. Doch dies­mal war es nicht mein Mann der sta­rb, son­dern Mat­teo. Pa­ra­ly­siert, wie vor ei­nem Thril­ler ver­moch­te ich es nicht, den Film zu stop­pen: Aus­ge­rüs­tet mit di­cken Tü­ten sprin­te­te ich in ei­ner olym­pia­rei­fen Zeit­span­ne in Rich­tung Kli­ni­kum, um we­nig spä­ter kurz­at­mig über den Flur auf die In­ten­sivsta­ti­on zu has­ten. Der Stoff mei­ner Blu­se kleb­te läs­tig un­ter den Ach­seln, wäh­rend ich die Klin­ke nie­der­drück­te.

»Hier bin ich wie­der, Schatz. Ich habe al­les Nö­ti­ge für dich ein­ge­kauft«, japs­te ich, be­vor ich ver­wun­dert in­ne­hielt. Ich stutz­te, ehe ich ver­such­te, mei­nen Atem zu re­gu­lie­ren. Mei­ne Lun­ge stach un­an­ge­nehm. Hat­te ich mich in der Türe ge­irrt? Mein Blick such­te au­to­ma­tisch das Zim­mer ab, ehe er am Nacht­schrank kle­ben blieb. Un­ser klei­ner Ka­ter Bruce schau­te aus ei­nem Bil­der­rah­men auf eine ver­wais­te Lie­ge­statt. Ich war de­fi­ni­tiv rich­tig. Aber der Raum war ver­las­sen.

»Kein Pro­blem, Schatz. Ich kom­me. Wo auch im­mer du bist«, flö­te­te ich fröh­lich, be­vor ich ei­lig vor das Schwes­tern­zim­mer trat und hek­tisch klopf­te, um mich nach neu­er Eta­ge und Zim­mer­num­mer zu er­kun­di­gen. Als ich die ver­stei­ner­te Mi­mik der Schwes­tern sah, er­fass­te mich Pa­nik. Aber es war nicht de­ren Po­ker­face, das mich ver­wirr­te. War­um in al­ler Welt lag die­ser Fun­ken Be­dau­ern in ih­ren Au­gen? Ir­gen­d­et­was stimm­te nicht.

»Wo ist Mat­teo?«, hak­te ich des­halb nach. Mei­ne Stim­me zit­ter­te. Der ge­senk­te Blick der Kran­ken­schwes­ter, die sich auf mei­ne Nach­fra­ge hin hil­fe­su­chend an ihre Kol­le­gin wand­te, gab mir den Rest. Mei­ne Här­chen stell­ten sich auf und eine Gän­se­haut über­zog mei­nen ge­sam­ten Kör­per. Dann stürm­te auch noch mei­ne Freun­din und Lieb­lings­kran­ken­schwes­ter Ma­ria den Flur ent­lang auf mich zu. Ihre Schrit­te knall­ten auf dem häss­li­chen Lin­ole­um und ihr Ge­sicht war trä­nen­über­strömt.

»So­phie? Da bist du ja!«, rief sie schon von Wei­tem.

»Ma­ria? Was ist los?« Ich hy­per­ven­ti­lier­te fast vor Be­stür­zung und ein Angst­ge­fühl schnür­te mein Herz ein.

»Mat­teo ist tot, So­phie.«

»Mat­teo? Nicht Mat­teo auch noch! Nein bit­te nicht!«

Mat­teo stürz­te in die Tie­fe. Und ich mit ihm. Es war zu Ende. Es gab kein Ges­tern, kein Heu­te und kein Mor­gen mehr.

»War­te, Mat­teo, ich kom­me mit dir! Wo bist du?«

Ich woll­te ihn un­be­dingt fin­den. Er war mein Ge­lieb­ter und wir ge­hör­ten ver­dammt noch­mal zu­sam­men. Er durf­te nicht ein­fach so ohne mich ge­hen! Ich fing an zu schrei­en, da­mit er mich hör­te. »Mat­teo? Wo bist du? Lass mich nicht al­lei­ne!«

Al­les blieb still.

»Kann ich Ih­nen hel­fen?«

Er­schro­cken riss ich die Au­gen auf. Das Ers­te, was ich wahr­nahm, war ein sport­li­cher Bauch, über des­sen Mus­ku­la­tur sich ro­ter Go­re­tex­stoff spann­te. Er­staunt hob ich den Blick. Über mir war der blaue Him­mel. Eine Doh­le schrie. Als ich mir mit dem Hand­rü­cken über die Au­gen fuhr, war er nass. Ich muss­te tat­säch­lich ge­weint ha­ben.

»Um Got­tes Wil­len, Sie sind ja ganz ver­zwei­felt. Was ist denn pas­siert?« Die für­sorg­li­che Frau lehn­te ihre Wan­der­stö­cke ge­gen die Leh­ne der höl­zer­nen Bank, auf der ich saß, und streck­te die Hand aus. Die Wär­me ih­rer Hand­flä­che auf mei­nem Rü­cken ließ mein Herz ru­hi­ger schla­gen. Ich ver­such­te zu spre­chen.

»Ent­schul­di­gen Sie«, be­gann ich. »Habe ich laut ge­weint? Ich woll­te Sie nicht er­schre­cken. Es ist mir nichts pas­siert.«

»Sie ha­ben einen Na­men ge­ru­fen. Mat­teo oder so ähn­lich. Ver­mis­sen Sie je­man­den? Hof­fent­lich nichts sehr Erns­tes.«

»Nein, ver­irrt hat sich nie­mand, falls Sie das mei­nen.« Ich über­leg­te, was ich sa­gen woll­te und was nicht. »Ich ver­sin­ke ab und zu in un­schö­nen Er­in­ne­run­gen. Dann ver­sa­cke ich in der Ver­gan­gen­heit und ver­ges­se die Ge­gen­wart«, er­klär­te ich wei­ter. »Mein Mann ist letz­tes Jahr ge­stor­ben und seit­dem lei­de ich un­ter Ver­lu­stängs­ten.«

»Oh, das tut mir leid für Sie. Sie sind noch so jung«, flüs­ter­te sie er­grif­fen. »Viel­leicht soll­ten Sie sich psy­cho­lo­gi­sche Hil­fe su­chen.«

Ich schüt­tel­te den Kopf.

»Ich habe die­se Angst­zu­stän­de nur sehr sel­ten«, log ich. »Ei­gent­lich habe ich jetzt ein bes­se­res Le­ben als vor­her mit mei­nem Mann. Das hört sich selt­sam an, nach­dem Sie mich so an­ge­trof­fen ha­ben, aber ich lebe mit mei­nem neu­en Part­ner Mat­teo in Vent und möch­te mit nie­man­dem auf der Welt tau­schen«, sag­te ich. Und das ent­sprach zu hun­dert Pro­zent der Wahr­heit. »Ich bin jetzt glü­ck­lich.«

Die frem­de Frau zog ihre Au­gen­brau­en hoch und griff nach ih­ren Wan­der­stö­cken.

»Na, dann bin ich ja be­ru­higt. Al­les Gute!«

»Ent­schul­di­gen Sie bit­te noch ein­mal! Es ist nicht mei­ne Art, Men­schen in Sor­ge zu ver­set­zen«, ver­ab­schie­de­te ich sie, be­vor sie mit ein paar ge­len­ki­gen Schrit­ten auf den Pfad un­ter­halb der Bank hüpf­te und kopf­schüt­telnd ih­ren Weg fort­s­etz­te. Ich blieb noch einen Mo­ment sit­zen.

»Ich bin jetzt glü­ck­lich«, wie­der­hol­te ich laut. Ich war doch glü­ck­lich? Ja! Und wie! Wie­so grins­te ich dann nicht wie ein Ho­nig­ku­chen­pferd über bei­de Ba­cken? Ich hat­te mir im­mer­hin den schöns­ten und ker­nigs­ten Mann aus ganz Ti­rol gean­gelt. Mat­teo sah un­glaub­lich männ­lich aus. Je­des Mal, wenn ich an sei­ne kraft­vol­len, braun­ge­brann­ten und zu­gleich sanf­ten Hän­de dach­te, durch­fuhr mich ein woh­li­ger Schau­er. An sei­nen sei­dig lan­gen Wim­pern blie­ben, wenn er aus dem Re­gen oder aus der Du­sche kam, Was­ser­trop­fen hän­gen. Sei­ne Au­gen sa­hen dann aus wie dun­kel schim­mern­de Ster­ne. War das nicht un­glaub­lich süß? Ich ver­zog mein Ge­sicht zu ei­nem ver­krampf­ten La­chen. Na also, ging doch. Und der Cha­rak­ter … ein ab­so­lu­ter Traum­mann. Mei­ne gro­ße Lie­be, wenn man mei­nen Mann nicht da­zu­zähl­te, in den ich zwar ver­liebt ge­we­sen war, der sich im Nach­hin­ein je­doch als un­zu­ver­läs­sig her­aus­ge­stellt hat­te. Un­se­re Pfle­ge­toch­ter war ein Son­nen­schein und kern­ge­sund. Das Le­ben war zur­zeit na­he­zu per­fekt und For­tu­na auf mei­ner Sei­te. Ich ver­stand mich nicht. Aus wel­chem Grund rann­te ich durch die Ge­gend und zog im­mer öf­ter ein mie­se­pet­ri­ges Ge­sicht, als hät­te man mir einen Tel­ler Öcher Put­tes vor­ge­setzt? Aa­che­ner Blut­wurst – mein ab­so­lu­tes Hass­ge­richt und das Leib­ge­richt mei­nes Bru­ders, wes­halb un­se­re Mut­ter es heu­te noch stän­dig koch­te. Aber das war eine an­de­re Ge­schich­te.

War es viel­leicht ge­nau das, frag­te ich mich. Die kind­li­che Angst, et­was Schö­nes weg­ge­nom­men zu be­kom­men? Das schmie­ri­ge Ge­fühl, einen Teil, den man über al­les lieb­te, zu ver­lie­ren? Mein­te Hap­py End in Wirk­lich­keit das Ende der Fröh­lich­keit? Das Wort Ende hör­te sich je­den­falls nicht da­nach an, als wür­de der Freu­den­tanz ewig an­dau­ern.

Ich strich mir über den lin­ken Arm, als ob sich die­se kleb­ri­ge Schicht, die mir den Tag ver­mas­sel­te, ab­strei­fen ließ. Mei­ne Häär­chen stell­ten sich auf. Ich hat­te zwar vor­her oft dar­über nach­ge­dacht, was es be­deu­te­te, Glück zu ha­ben, aber nie über die Schwie­rig­keit nach­ge­son­nen, es zu hal­ten. Letz­tes Jahr hat­te ich mich nach Lie­be und Ehr­lich­keit ge­sehnt, sie in je­dem Win­kel mei­nes Her­zens ge­sucht und zum Schluss so­gar ge­fun­den. Und jetzt? Glück war kein Ge­gen­stand, den man dop­pelt ge­si­chert in einen Tre­sor sper­ren konn­te. Wie war die Halb­werts­zeit von Glück? Zehn Jah­re? Zwan­zig Jah­re? Ein Le­ben lang? Nütz­te es über­haupt, es pfleg­lich zu be­han­deln? War nicht al­les vom Schick­sal fest­ge­legt?

»Ver­dammt kom­pli­ziert«, mur­mel­te ich und är­ger­te mich über mich selbst. »An­statt end­lich dein Le­ben zu ge­ni­e­ßen, hirnst du und malst die Zu­kunft düs­ter«, schalt ich mich. »Mat­teo ist ein klas­se Typ. Ihm wird nichts pas­sie­ren und er wird dich nicht be­trü­gen.«

An­schei­nend hat­te ich, wie mir mal wie­der be­wusst wur­de, Ben­ja­mins Tod längst noch nicht ver­kraf­tet. Wir hat­ten eine kom­pli­zier­te Ge­schich­te zu­sam­men, die schlimm zu Ende ge­gan­gen war. Mein Ex­mann Ben­ja­min war nicht nur ge­stor­ben, er hat­te sei­ne Frei­zeit, wäh­rend ich hart ge­ar­bei­tet hat­te, heim­lich in frem­den Bet­ten ver­bracht. Bes­ser ge­sagt in ei­nem frem­den Bett. Das mach­te mich nicht nur zu ei­ner Wit­we, son­dern zu­sätz­lich zu ei­nem ge­brann­ten Kind, wie man so schön sag­te. Den Aus­druck ge­brann­te Wit­we gab es ja nicht, ob­wohl der vor­treff­lich auf mich ge­passt hät­te.

Ich nahm den letz­ten gro­ßen Schluck Was­ser aus mei­ner Fla­sche, um den Rest der Angst her­un­ter­zu­spü­len, und sog im An­schluss die war­me Luft ein. Seit der Un­fall pas­siert war, be­fürch­te­te ich stän­dig, die Men­schen um mich her­um könn­ten ver­un­g­lü­cken oder ster­ben.

Es war Früh­som­mer und Mat­teo un­ter­wegs in sei­nem Re­vier, am Hang ge­gen­über. Er kon­trol­lier­te die Wan­der­we­ge, de­ren Be­schil­de­run­gen über den schnee­rei­chen Win­ter ge­lit­ten hat­ten. Ver­irr­te sich je­mand in die­ser Höhe, konn­te das fa­ta­le Fol­gen ha­ben. In den Ber­gen durf­te man nie­mals die Kräf­te der Na­tur un­ter­schät­zen. Zu den größ­ten Ge­fah­ren ge­hör­ten star­ke Sturm­böen, wol­ken­bruch­ar­ti­ge Re­gen­schau­er und rut­schi­ge, ne­bel­ver­han­ge­ne Stei­ge. Die Wahr­schein­lich­keit, von Eis oder ei­nem Ge­wit­ter über­rascht zu wer­den, war be­son­ders im Ge­bir­ge sehr hoch. Wenn man dann die falsche oder kei­ne Aus­rüs­tung mit sich trug, un­ter­kühl­te man un­ter Um­stän­den so­gar im Som­mer. Ich sah täg­lich den Ret­tungs­hub­schrau­ber über die um­lie­gen­den Gip­fel krei­sen. Es ge­hör­te zu mei­nem All­tag in Vent, zu be­ob­ach­ten, wie er li­bel­len­gleich in der Luft ver­harr­te, um dann einen ge­eig­ne­ten Lan­de­platz an­zu­steu­ern. Nir­gend­wo sonst war ein Hub­schrau­ber­flug so in­ten­siv und mit Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den, wie bei ei­nem Flug durch die al­pi­ne Land­schaft. Ich wuss­te das, da ich letz­tes Jahr mehr­fach mit­ge­flo­gen war und Ma­ri­as Freund Andi, der Pi­lot, mir al­les er­klärt hat­te. Denn die Berg­ret­ter soll­ten an al­len Or­ten flie­gen kön­nen, wo es der Ein­satz ver­lang­te. Zum Schluss folg­te dann das Schwie­rigs­te; das Ab­set­zen des Hub­schrau­bers auf ei­nem al­pi­nen Na­tur­platz. Eine ebe­ne, gro­ße Flä­che ohne Hin­der­nis­se drum­her­um wür­de man um Vent her­um kaum fin­den. Ich be­wun­der­te das Kön­nen und den Mut der Berg­ret­ter und Pi­lo­ten. Ohne sie wäre Ben­ja­min von An­fang an ver­lo­ren ge­we­sen. Und auch Alois, der Hüt­ten­wirt, den sie letz­ten Som­mer mit star­ker Lun­gen­ent­zün­dung ins Tal ge­flo­gen hat­ten, ver­dank­te ih­nen sein Le­ben.

Es war al­les so an­ders als mein frü­he­res Le­ben in Aa­chen. Die­ses Frü­her war noch gar nicht so lan­ge her. Nicht ein­mal ein Jahr, über­leg­te ich. Und doch kam es mit vor, wie eine an­de­re Zeit­rech­nung.

Für Mat­teo und Joy hat­te ich mei­ne Aa­che­ner De­si­g­ner­bu­de ge­gen eine ku­sche­li­ge Block­hüt­te mit­ten in den Ber­gen ein­ge­tauscht, die von au­ßen so ge­müt­lich aus­sah, wie die teu­ren Cha­lets aus den Ur­laubs­ma­ga­zi­nen. Trotz­dem war sie mit Tech­nik aus­ge­stat­tet, so dass es uns an nichts fehl­te. Die Ent­schei­dung, hier zu le­ben, er­schien mir nach wie vor rich­tig. Die tie­fe Kri­se hat­te et­was Wun­der­vol­les her­vor­ge­bracht und ich hat­te ge­lernt, dass es wich­tig war, nach vor­ne zu schau­en, denn nach Bens tra­gi­schem Tod hat­te ich mich aus­ge­rech­net in den Bru­der sei­ner Af­fä­re ver­liebt, in Mag­da­le­n­as Bru­der Mat­teo. Und als ob das nicht ge­nug Un­fug ge­we­sen wäre, ver­lor ich mein Herz auch noch an die ver­wais­te Toch­ter von Ben und Mag­da­le­na. Zu­erst hat­te ich mich da­ge­gen ge­wehrt, doch die Ge­füh­le wa­ren stär­ker ge­we­sen. Gott sei Dank! Durch mei­nen stres­si­gen Be­ruf, wa­ren die Jah­re in Aa­chen nur so ver­flo­gen. Aber wo war ich ge­blie­ben? Hier spür­te ich mich je­den Tag. In den Ber­gen gab es kein Bur­nout. Ich war weg vom tag­täg­li­chen Hams­ter­rad und muss­te mich der Na­tur und ih­ren ei­ge­nen Ge­setz­ten beu­gen. Der vie­le Schnee, Stür­me und La­wi­nen und auch das Vieh, das die Le­bens­grund­la­ge vie­ler Ein­woh­ner bil­de­te, zwan­gen mich zur Lang­sam­keit oder zum In­ne­hal­ten. Wir kauf­ten sel­ten im Su­per­markt ein, son­dern bei be­nach­bar­ten Bau­ern oder ern­te­ten Ge­mü­se aus Opa Jo­sefs Gar­ten und sä­ten im Herbst neu­es aus. Das dau­er­te sei­ne Zeit. Aber es fühl­te sich gut und wich­tig an, fünf Möh­ren aus­zu­gra­ben, sie zu wa­schen, zu ko­chen und dann zu ge­ni­e­ßen. Wir aßen sai­sonal, also das, was die Na­tur zur je­wei­li­gen Jah­res­zeit her­gab.

Der Han­dy­ton riss mich aus mei­nen Tag­träu­men. Ich zog das Ipho­ne aus der Sei­ten­ta­sche des Ruck­sacks und schau­te aufs Dis­play. Eine Aa­che­ner Num­mer er­schien, wie ich an der Vor­wahl so­fort er­kann­te. Mei­ne Freun­din und Ex­che­fin Esther.

»Nicht jetzt«, ent­schied ich und drück­te den An­ruf weg. Ich hat­te Wich­ti­ges vor. Der Berg rief. Ich zwang mich, auf­zu­ste­hen, um mei­nen Weg fort­zu­set­zen. Der Wald­pfad, den ich ging, schien wie leer­ge­fegt und un­be­rührt. Mein Atem ging flach und stoß­wei­se, also wan­der­te ich ein we­nig lang­sa­mer. Ich hat­te ge­lernt, mei­ne Kräf­te ein­zu­tei­len. Schritt für Schritt stieg ich hö­her hin­auf. Weit weg in der Fer­ne hör­te ich den Mo­tor ei­ner Ket­ten­sä­ge und stell­te mir vor, wie Mat­teo ge­ra­de einen um­ge­stürz­ten Baum zer­säg­te. Links und rechts ne­ben dem schma­len Pfad wuch­sen Far­ne und Moo­se, die in sat­tem Hell­grün leuch­te­ten. Die Son­ne such­te sich den Weg durch die Baum­kro­nen und ein an­ge­nehm küh­ler Wind weh­te vom Gip­fel her­un­ter. Ob­wohl ich nun schon ei­ni­ge Zeit hier leb­te, war ich im­mer noch von dem ganz spe­zi­fi­schen Flair der Berg­welt fas­zi­niert. Un­glaub­lich, dass ich es tat­säch­lich ge­schafft hat­te. Ich hat­te nach Bens Un­fall mei­ner Ar­beit als Event­ma­na­ge­rin im White Yes und der Groß­stadt den Rü­cken ge­kehrt, um mit mei­ner gro­ßen Lie­be einen Neu­an­fang zu star­ten.

Heu­te hat­te ich mir vor­ge­nom­men, mei­nen ver­stor­be­nen Mann Ben­ja­min zu be­su­chen. Das war we­ni­ger spu­ke, als es klang. Es exis­tier­te die­ses klei­ne Mäd­chen, das im Al­ter von sie­ben Jah­ren auf den Ki­li­man­dscha­ro ge­klet­tert war, um mit sei­nem to­ten Va­ter zu spre­chen. Ich war eine er­wach­se­ne Frau und be­fand mich nicht in Afri­ka, son­dern in Ti­rol, aber ich stieg hö­her und hö­her, weil auch ich mir ein­bil­de­te, dem Him­mel und so­mit mei­nem ver­stor­be­nen Mann nä­her zu sein. Mit Ver­rückt­sein hat­te das nichts zu tun. Mit To­ten zu spre­chen war über­all auf der Welt völ­lig nor­mal. Ich hat­te ja so viel Lie­be und Sehn­sucht, aber auch Un­si­cher­heit in mir und woll­te mei­nen ver­stor­be­nen Mann wei­ter an mei­nem und Joys Le­ben teil­ha­ben las­sen. Ich hat­te Wege aus der Trau­er ge­sucht und ge­fun­den. Lau­fen half mir aber auch das Spre­chen war so ein Weg. Ich war mir si­cher, auch sehr lo­gisch ori­en­tier­te Men­schen wür­den dies tun. Ich wuss­te, dass Ben nicht mehr da war, spür­te aber sei­ne Ge­gen­wart. Der Un­fall war un­weit von hier pas­siert. An der See­schar­te. Ob es da­mit zu­sam­men­hing? Ob­wohl sich Ben­ja­mins Ur­nen­grab in Aa­chen be­fand, fühl­te ich sei­ne See­le nur hier. In Aa­chen war ich stets mit ei­nem tief­trau­ri­gen und ein­sa­men Ge­fühl vom Fried­wald nach Hau­se ge­gan­gen. Über­haupt be­schäf­tig­te mich das The­ma Tod mehr als frü­her. Ich war nicht gläu­big und wenn ich an die Un­end­lich­keit dach­te, die mir weis­mach­te, dass Ben­ja­min für im­mer weg war, dann wur­de mein Hals eng. Die­ses für im­mer brach­te mich um den Ver­stand. Mein Ge­hirn war nicht da­für kon­stru­iert, sich Un­end­lich­keit vor­zu­stel­len. Kein Ge­hirn war das. Wir Men­schen dach­ten be­grenzt. Ich per­sön­lich glaub­te dar­an, dass Ver­stor­be­ne nur in den Her­zen der Hin­ter­blie­be­nen wei­ter­leb­ten. Und dass das Aus­maß da­mit zu­sam­men­hing, wie­viel Lie­be sie zu Leb­zei­ten ge­ge­ben hat­ten. So­lan­ge die Le­ben­den über die To­ten spra­chen, sich in Lie­be und Für­sor­ge er­in­ner­ten, so­lan­ge exis­tier­ten sie wei­ter. Ir­gend­wann war es dann end­gül­tig vor­bei, was mich trau­rig stimm­te.

Der grel­le Pfiff ei­nes Mur­mel­tie­res lenk­te mei­ne Auf­merk­sam­keit auf die Land­schaft und ich blieb kurz ste­hen, um die Wie­se mit den Au­gen ab­zu­su­chen. Nichts! Den­noch spür­te ich, wie es mich fi­xier­te.

»Ich weiß, dass du da bist, du klei­ner Ra­cker!«, rief ich in die Rich­tung, aus der der Ton ge­kom­men war. Al­les blieb still.

Ein ein­zel­ner fla­cher Fel­sen do­mi­nier­te den grü­nen Hang. Er sah ein­la­dend aus, aber ich be­schloss, wei­ter­zu­lau­fen. Nach­dem sich eine Rou­ti­ne ein­ge­stellt hat­te, gab es nur noch mich, mei­nen Atem und die Ener­gie der Na­tur. Eine Leich­tig­keit mach­te sich in mir breit, so­dass ich die nächs­ten Mi­nu­ten völ­lig ab­schal­ten und alle Ge­dan­ken aus­blen­den konn­te. Mein Ziel war ein be­son­de­rer Platz. Mat­teo hat­te mir ge­zeigt, wie man in der Na­tur Kraftor­te aus­mach­te.

»Es gibt hier vie­le Orte mit heil­s­a­mer Wir­kung für Kör­per und See­le«, hat­te er er­klärt. »Du er­kennst sie meis­tens an dem ein­la­den­den Ge­fühl, das sie in dir aus­lö­sen. Man­che Ber­ge, Seen oder Wäl­der he­ben sich ganz ein­zig­ar­tig von der Land­schaft ab. Man emp­fin­det, wenn man sie ent­deckt, den Wunsch län­ger dort zu sein und sich nie­der­zu­las­sen. Ob du es glaubst oder nicht, sol­che Orte la­den dich mit neu­er Ener­gie auf. Ein Was­ser­fall zum Bei­spiel. Dort stürzt das Was­ser in ho­her Ge­schwin­dig­keit einen Ab­hang her­un­ter. Es ent­steht Sprüh­ne­bel und dazu ein Ener­gie­feld, wel­ches sehr be­le­bend ist.«

»Aha«, hat­te ich ver­dutzt geant­wor­tet und über­legt, ob ich auf einen spi­ri­tu­el­len Spin­ner her­ein­ge­fal­len war. Doch Mat­teo hat­te Recht be­hal­ten. Ich hat­te in den letz­ten Mo­na­ten be­grif­fen, dass die Na­tur eine un­heim­li­che Pow­er be­saß und dass Berg­ler so viel na­tur­ver­bun­de­ner leb­ten als die meis­ten Stadt­men­schen. Mat­teo be­nö­tig­te nie eine Uhr und sag­te das Wet­ter ex­akt vor­her. Kei­ne Pflan­ze war ihm fremd und ein Blick auf den Wald­bo­den ge­nüg­te, um zu deu­ten, wel­ches Tier sich dort als Letz­tes auf­ge­hal­ten hat­te. Ich lern­te je­den Tag dazu und wür­de ge­wiss noch die eine oder an­de­re ver­blüf­fen­de Lek­ti­on hin­ter mich brin­gen.

Ich sog die knis­ternd tro­ckene Luft ein, roch das Zir­be­na­ro­ma und mein­te so­gar einen Hauch Harz auf der Zun­ge zu spü­ren. Mit je­dem Schritt kam ich mei­nem Ziel nä­her. Ich, die ehe­mals Aa­che­ner Flach­län­de­rin, war im­mer noch hier. Mit­ten in den Ber­gen Ti­rols.

Mein Atem­ge­räusch er­füll­te die Land­schaft, durch die ich wan­der­te. Es war ver­rückt oder ganz und gar jeck, wie mei­ne Freun­din Esther es auf Öcher Platt aus­drü­cken wür­de. Ich ging nicht mehr un­si­cher mit wack­li­gen Kni­en und Be­klom­men­heit im Bauch, wie da­mals. Gott, was hat­te ich für eine Angst ge­habt. Mei­ne trai­nier­ten Bei­ne ar­bei­te­ten in­zwi­schen zu­ver­läs­sig wie eine ge­öl­te Ma­schi­ne und Höhe er­schreck­te mich nicht mehr.

Eine kräf­ti­ge Son­ne schick­te ihre Strah­len durch den lich­ten Wald und dort, wo sie den Bo­den be­rühr­te, knis­ter­ten die her­un­ter­ge­fal­le­nen Na­deln der Lär­chen. Sie hat­ten einen di­cken Tep­pich ge­bil­det, der als Hu­mus für die nächs­te und über­nächs­te Ge­ne­ra­ti­on Pflan­zen dien­te. Ich kam schnell vor­an und horch­te auf das ent­fern­te Rau­schen des Ven­ter Wild­ba­ches. Nur ein paar Schrit­te, dann hat­te ich mei­nen ganz per­sön­li­chen Kraftort er­reicht. Es war ein heil­s­a­mer Ort, der mich in­ner­lich sta­bi­li­sier­te. End­lich trat ich aus dem Wald auf eine Lich­tung, die zu­gleich die Baum­gren­ze mar­kier­te. Das Pan­ora­ma, das sich mir bot, war über­wäl­ti­gend. Eine Rei­he von nack­ten Spit­zen ei­nes Berg­kamms rag­ten steil hin­auf in den blau­en Him­mel. Eine ein­zel­ne Wol­ke hat­te sich zwi­schen ih­nen ver­fan­gen und stau­te sich auf dem Ber­g­rü­cken un­ter­halb.

Vor mir er­streck­te sich eine gra­si­ge Ebe­ne mit ei­nem Berg­see, des­sen Was­ser das Pan­ora­ma spie­gel­te. Auch hier la­gen ver­ein­zelt Fels­bro­cken, als hät­te sie ein wü­ten­der Rie­se ab­sicht­lich vom Gip­fel hin­un­ter­ge­schmis­sen. Ei­ni­ge rag­ten aus dem Was­ser und bil­de­ten klei­ne In­seln.

»Der See steht in Be­zie­hung zum Gip­fel«, flüs­ter­te ich. »Die dy­na­mi­sche Kraft des Bergs ge­paart mit dem ru­hi­gen Kraft­punkt des Sees. Ein­deu­tig ein Yin-Yang-Paar«, mur­mel­te ich nicht ohne Stolz.

Ich zog mei­ne Ja­cke aus, ließ mich am san­di­gen Ufer nie­der und leg­te den Ober­kör­per zu­rück auf den Stoff. Mir war heiß und ich war durs­tig, so dass ich mich er­neut auf­setz­te und den Rest aus der Fla­sche trank.

»Hal­lo Beni, ich bin es mal wie­der. Ich hof­fe, du kannst mich hö­ren. Ist es schön, dort, wo du jetzt bist?« Trä­nen ver­schlei­er­ten mei­nen Blick und ver­mi­schen sich mit dem Schweiß an mei­nen Schlä­fen. »Auf je­den Fall hast du kei­ne Schmer­zen mehr.«

Es war selt­sam, mei­ne Stim­me zu ver­neh­men, doch ich hat­te wäh­rend der Zeit von Ben­ja­mins Koma ge­lernt, Mo­no­lo­ge zu hal­ten, und da­bei jeg­li­che Scham ab­ge­legt. Des­we­gen sprach ich un­be­irrt wei­ter. »Ich fra­ge mich oft, was pas­siert wäre, wenn du nicht an die­sem ver­fluch­ten Ge­rinn­sel ge­stor­ben wärst. Hät­test du mir die Wahr­heit ge­sagt? Über dich und Mag­da­le­na? Für sei­ne Lie­be nimmt man ei­ni­ges in Kauf, oder?« Ich hielt einen Mo­ment inne. »Wann? Wann, fra­ge ich mich die gan­ze Zeit, hät­test du es ge­beich­tet? Oder hät­ten wir mit der Lüge ne­ben­ein­an­der wei­ter­ge­lebt?«

Die­se Va­ri­a­n­te ge­fiel mir über­haupt nicht. Aber we­ni­ger we­gen mir, son­dern auf­grund der Tat­sa­che, dass es Joy gab. War es nicht selbst­ver­ständ­lich, zu sei­nem Kind zu ste­hen? Gut, Ben hat­te mich ge­täuscht, doch ich mein­te ihn so gut ge­kannt zu ha­ben, dass ich sei­ne Loy­a­li­tät sei­ner Toch­ter ge­gen­über nicht an­zwei­fel­te. Er war Päd­ago­ge ge­we­sen und hat­te Kin­der über al­les ge­liebt. War­um also hat­te er ge­zö­gert, sich zu Mag­da­le­na und Joy zu be­ken­nen? Wes­halb der furcht­ba­re Streit, der schließ­lich töd­lich ge­en­det hat­te? Die­ses Rät­sel galt es noch zu lö­sen.

Ein In­sekt setz­te sich auf mei­nen Arm, das ich er­schro­cken weg­schlug. Mein Puls be­schleu­nig­te sich, aber ich ver­such­te, mich wie­der zu be­ru­hi­gen. Heu­te schaff­te ich es nicht mehr, die in­ne­re Ruhe her­zu­stel­len. Ir­gen­d­et­was hin­der­te mich dar­an. Ich fühl­te mich be­ob­ach­tet, wes­halb ich mich in alle Rich­tun­gen um­dreh­te. Doch hier war nie­mand. Ich war ganz al­lei­ne.

»Mir geht es mies bei dem Ge­dan­ken dar­an, dass du Mag­da­le­na und Joy wei­ter ver­heim­licht hät­test«, flüs­ter­te ich et­was ver­hal­te­ner. »Es wäre al­les an­ders ge­kom­men. Dein Tod und die Ent­schei­dung, auf dei­nen Spu­ren zu wan­dern, ha­ben mein Le­ben in völ­lig un­ge­wohn­te Bah­nen ge­lenkt. Ich fas­se es im­mer noch nicht, Ben, aber das Schick­sal hat mir al­les Glück be­schert, von dem ich nicht ein­mal wuss­te, dass es exis­tiert. Dei­ne klei­ne Joy ist die bes­te Toch­ter, die man sich vor­stel­len kann. Ich lie­be sie so sehr, ob­wohl sie nicht mein, son­dern dein leib­li­ches Kind ist.« Ich hielt einen Mo­ment inne. »Aber darf ich glü­ck­lich sein?«

Ich schloss kurz die Au­gen und fuhr mir mit dem Hand­rü­cken über die Wan­ge. »Habe ich das Recht dazu, nach al­lem, was pas­siert ist? Mein größ­ter Wunsch ist es, dir noch ein­mal zu be­geg­nen. Um die Fron­ten zu klä­ren, weißt du? Wir hät­ten uns nach ei­ner ehr­li­chen Aus­spra­che ver­mut­lich ge­trennt, das stimmt schon, aber un­ser Schluss­ka­pi­tel fehlt. Der letz­te Akt. Ka­pierst du, was ich mei­ne?« Ich hol­te Luft. »Du hast dei­ne Lü­gen mit­ge­nom­men in den Him­mel und ich habe kei­ne Chan­ce, dir zu sa­gen, dass ich dir ver­zei­he. Dass ich dir dan­ke! Für eure klei­ne Joy, für Mat­teo und mein Le­ben in den Ber­gen, auch wenn es ab und zu ver­zwickt ist.« Mei­ne Stim­me brach. »Mann, es tut noch so weh!«

Ein Wein­krampf ließ mei­nen Kör­per zu­cken. Es war, als ob die Trä­nen und mit ih­nen die Trau­er in den klei­nen See flös­sen, in wel­chem sich die Fels­na­deln der Drei­tau­sen­der spie­gel­ten. Ich kon­zen­trier­te mich dar­auf, ru­hig zu at­men, um mei­nen ver­krampf­ten Kör­per zu lo­ckern. Mein Herz wur­de nach ei­ner Wei­le leich­ter und als ich mich auf­rich­te­te, war mir, als ob Bens Ge­sicht mir aus dem See wohl­wol­lend zu­lä­chel­te. Wäh­rend ich ver­un­si­chert den Blick hob und auf die Wol­ke rich­te­te, wink­te er mir dar­aus zu. Es war ver­rückt. Ich mas­sier­te mei­ne Schlä­fe, um die Trug­bil­der los­zu­wer­den, und dreh­te mich um, als ge­nau in die­ser Se­kun­de ein gro­ßer Schat­ten in den Wald husch­te. Es hat­te aus­ge­se­hen wie ein Mensch, der vor­sätz­lich in De­ckung ge­gan­gen war. Ich konn­te es je­doch nicht mit Si­cher­heit sa­gen. Ver­wun­dert klopf­te ich mir den Sand von der Jeans und bän­dig­te mei­ne Lo­cken mit ei­nem Haar­gum­mi. War da etwa je­mand ge­we­sen, der mich be­ob­ach­tet hat­te? Ich kniff er­neut die Au­gen zu­sam­men, um bes­ser zu se­hen. Da war doch ir­gend­wer! Ich lausch­te an­ge­strengt. Ob ich mich täusch­te? Nach we­ni­gen Se­kun­den zuck­te ich mit den Schul­tern und griff nach mei­nem Ruck­sack. Si­cher hat­te mir mei­ne Fan­ta­sie einen Streich ge­spielt. Wahr­schein­lich war ein Reh oder ein Wild­schwein in den Schutz der Bäu­me ge­flüch­tet.

Mir war ein we­nig schwin­de­lig und ich be­nö­tig­te ein paar Schrit­te, um wie­der in mei­nen Rhyth­mus zu ge­lan­gen. So stieg ich über Baum­wur­zeln und Fel­sen hin­ab in Rich­tung des Kirch­dorf Vent, in wel­chem ich mit mei­ner klei­nen Fa­mi­lie wohn­te. Ein­zig das Sum­men der In­sek­ten und das ste­ti­ge Glo­cken­ge­läut der Kühe be­glei­te­ten mich und auf dem Weg zu­rück be­geg­ne­te mir kei­ne Men­schen­see­le, so dass ich im­mer über­zeug­ter da­von war, dass es sich um ein wil­des Tier ge­han­delt ha­ben muss­te.

Hö­hen­me­ter für Hö­hen­me­ter ging es die letz­ten Schrit­te tal­wärts und als der Fluss in mei­nen Oh­ren nur so rausch­te, trat ich end­lich aus dem Wald.

Vor mir lag mei­ne neue Hei­mat: der grü­ne Tal­kes­sel mit sei­nem hin­rei­ßen­den Berg­stei­ger­dorf. Der ur­sprüng­li­che Ort kam mir je­des Mal aufs Neue vor wie das Ende der Welt – oder viel­leicht auch wie der An­fang, denn die Stra­ße für mo­to­ri­sier­te Fahr­zeu­ge en­de­te hier und man kam nur zu Fuß be­zie­hungs­wei­se mit dem Moun­tain­bi­ke wei­ter.

Ich über­leg­te kurz heim­zu­lau­fen, um zu du­schen, be­vor ich Joy von den Gro­ß­el­tern ab­hol­te, be­sann mich je­doch ei­nes Bes­se­ren und spa­zier­te die letz­ten Me­ter zum uri­gen Bau­ern­hof, wo mich aus­ge­las­se­nes Kin­der­ge­schrei er­war­te­te.

Hier war die Zeit ste­hen­ge­blie­ben. Jahr­hun­der­te­al­te Bach­stei­ne zier­ten die Au­ßen­mau­ern der Scheu­ne. Die dunk­len Bret­ter­wän­de wa­ren wind­durch­läs­sig, um Heu und Stroh zu be­lüf­ten. Von Mat­teo wuss­te ich, dass sich der Hof seit 1900 in un­un­ter­bro­che­ner Li­nie im Be­sitz sei­ner Fa­mi­lie be­fand, die seit Ge­ne­ra­ti­o­nen Milch­wirt­schaft be­trieb. Es dürf­te nicht leicht für die Al­ten ge­we­sen sein, dass Mat­teo den Hof nicht über­neh­men woll­te. Und dann war auch noch Mag­da­le­na ge­stor­ben.

»Mama? Mama, guck mal!« Mei­ne Toch­ter ließ das jun­ge Kätz­chen, hin­ter wel­chem sie her­ge­lau­fen war, Reiß­aus neh­men und wa­ckel­te freu­de­strah­lend auf mich zu. Als ich die ro­ten, dreck­ver­schmier­ten Bäck­chen sah, die mit den blau­en Au­gen um die Wet­te leuch­te­ten, wuss­te ich, dass Mat­teo und ich al­les rich­tig ent­schie­den hat­ten. Joy war glü­ck­lich und kei­ne Men­schen­see­le merk­te ihr an, was für ein furcht­ba­res Schick­sal auf ihr las­te­te. Ich drück­te sie lie­be­voll an mich. Eine dunk­le Ah­nung, dass sich das ei­nes Ta­ges un­ter Um­stän­den än­dern könn­te, über­kam mich. Ich schob den Ge­dan­ken ener­gisch bei­sei­te und set­ze mein brei­tes­tes Lä­cheln auf.

»Hal­lo! Ich bin wie­der da!«, rief ich in den Stall und hob freund­lich die Hand zum Gruß.

Mat­teos Mut­ter Ka­tha­ri­na nick­te kurz zu mir hin­über und feg­te mit ih­rem gro­ben Be­sen wei­ter das feuch­te Stroh und den Mist aus dem Stall­gang zu vie­len klei­nen Hau­fen. Es war Ende Mai und die Kühe wei­de­ten seit ei­ni­gen Ta­gen auf der hö­her ge­le­ge­nen Alm. Der Stall im Tal wür­de den kur­z­en Som­mer über ver­waist blei­ben und konn­te aus­gie­big ge­rei­nigt wer­den.

»Wol­len wir der Oma hel­fen?«, frag­te ich an Joy ge­wandt und griff mir die Schub­kar­re, die ich prompt in den Stall schob. Joy, die in­zwi­schen recht si­cher auf ih­ren Bein­chen vor­wärts­kam, war schon wie­der mit den Kat­zen­ba­bys be­schäf­tigt. Sie hat­te sich einen lan­gen Stän­gel vom fri­schen Stroh ge­nom­men, nach dem ein Kätz­chen spie­le­risch mit der Tat­ze schlug. Wir Frau­en ar­bei­te­ten in lang­sa­mem Tem­po ne­ben­ein­an­der her, wäh­rend wir die Klei­ne nicht aus den Au­gen lie­ßen. Der scha­r­fe Ge­ruch nach Urin und Mist juck­te in mei­ner Nase. Das me­tal­li­sche Krat­zen des Re­chens auf Be­ton er­schien mir lau­ter als sonst. Ich war froh, als der rest­li­che Dung, nach­dem ich noch ein­mal gründ­lich ge­fegt hat­te, in der Schub­kar­re ge­lan­det war. Nun konn­te der Stall trock­nen und das fri­sche Stroh wür­de erst kurz vor Al­m­ab­trieb ge­streut wer­den. Um die Stil­le zwi­schen uns zu über­brü­cken, ver­such­te ich ein Ge­spräch zu be­gin­nen.

»Es wird den Rin­dern gut­tun, dort oben. Sie wer­den den lie­ben lan­gen Tag Al­pen­kräu­ter fut­tern und trä­ge in der Son­ne fau­len­zen«, scherz­te ich. Ich leer­te den letz­ten klei­nen Mist­berg aus der Schub­kar­re auf den Mist­stock und wisch­te mir den Schweiß von der Stirn. Ein stil­les Ni­cken.

»War Joy brav?« Ich such­te ih­ren Blick, um einen Fun­ken Le­ben­dig­keit zu aus­zu­ma­chen, ein Ge­fühl. Ir­gend­was. Doch hin­ter der grau­en Iris schien nur Lee­re. Wie au­to­ma­ti­siert voll­führ­te sie ihre Tä­tig­keit. Ich spür­te den Drang, ihr mei­ne Hand auf den Rü­cken zu le­gen, rühr­te mich je­doch nicht von der Stel­le. »Dan­ke, dass du auf die Klei­ne auf­ge­passt hast, Ka­tha­ri­na. Hier bei euch und den Tie­ren ist sie am liebs­ten. Wo ist denn Jo­sef?«, frag­te ich in der Hoff­nung, ihn ir­gend­wo zu ent­de­cken. Ka­tha­ri­na deu­te­te mit dem Kopf in Rich­tung Ge­mü­se­gar­ten.

»Ich schau rasch nach ihm und sage ihm Hal­lo«, mur­mel­te ich, nach­dem ich auch die Mist­ga­bel an ih­ren Platz zu­rück­ge­bracht hat­te, und flüch­te­te fast aus dem Stall. Ihre Wort­lo­sig­keit be­drück­te mich zu­neh­mend. Sie hat­te ihre Toch­ter ver­lo­ren und mit ihr wohl auch ein Stück Le­ben­dig­keit. Seit ich hier leb­te, hat­te ich sie kein ein­zi­ges Mal lä­cheln se­hen. Ob sie vor dem Un­fall eine fröh­li­che Frau ge­we­sen war? Nach­dem ich Jo­sef nicht ge­fun­den hat­te und ge­nau­so ver­zagt wie rat­los in den Stall zu­rück­ge­kehrt war, be­griff ich end­lich. Ihr Wink hat­te nicht dem Ge­mü­se­gar­ten ge­gol­ten, son­dern der Alm, die sich auf dem Berg­hang ober­halb des Ho­fes be­fand. Ich schüt­tel­te in­ner­lich den Kopf über mich.

»Jo­sef ist auf der Alm, oder?«

»Ja«, kam es zu­rück. Es war zum Ver­rückt­wer­den. Wie­der ein­mal mehr hat­te ich be­wie­sen, dass ich eine na­i­ve Rein­ge­schmeck­te aus der Stadt war. Ich war eine von drau­ßen, ohne jeg­li­che Ah­nung. Da­bei hät­te mir doch klar sein müs­sen, dass Jo­sef dort war, wo sei­ne Tie­re weil­ten. Ich hat­te die fei­er­li­che Vor­freu­de auf den Alm­auf­trieb, die seit Wo­chen im Dorf zu spü­ren ge­we­sen war, mit­be­kom­men. Ver­mut­lich war der Auf­trieb für die Land­wir­te der schöns­te An­lass im Jahr. Es ging nach dem har­ten Win­ter end­lich wie­der hin­auf zu den saf­tig-grü­nen Al­men. Dort war­te­te eine Men­ge Ar­beit, wes­we­gen die Bau­ern meis­tens für ei­ni­ge Zeit auf die Alm­hüt­te zo­gen, wie Mat­teo mir er­klärt hat­te. Die­se Ze­re­mo­nie fand nicht über­all zur sel­ben Zeit statt. Die Schnee­schmel­ze und die Höhe der Alm ga­ben den ge­nau­en Ter­min vor. Erst wenn es für die Rin­der ge­nü­gend zu fres­sen gab, wur­den sie hoch­ge­trie­ben.

»Dann bist du ja ganz al­lei­ne? Bleibt Jo­sef lan­ge oben?«, frag­te ich Ka­tha­ri­na, die Joy an der Hand nahm und sie zu mir führ­te. Das Mäd­chen zeig­te sich kein biss­chen wi­der­wil­lig, son­dern lief ver­trau­ens­voll ne­ben sei­ner Groß­mut­ter her.

»Er lernt die Sai­son­kräf­te ein und kommt dann wie­der her­un­ter. Einen Tag wird er dro­ben­blei­ben müs­sen.»

»Sind es die­sel­ben Sai­son­a­r­bei­ter wie letz­tes Jahr?«

Ein Ni­cken.

»Das ist gut.« Ich nahm Joy hoch, die herz­haft gähn­te. Ka­tha­ri­nas Blick ver­wob sich mit mei­nem. Die Last, die auf ih­ren Schul­tern drück­te, war deut­lich zu be­mer­ken.

»Ka­tha­ri­na«, be­gann ich vor­sich­tig. »Gibt es et­was, das ich für dich tun kann?« Mei­ne freie Hand be­weg­te sich in ihre Rich­tung, was sie kaum merk­lich er­star­ren ließ. Ich fühl­te den gro­ben Stoff ih­res Lei­nen­hemds, dar­un­ter die kno­chi­ge Schul­ter. Einen Mo­ment glaub­te ich, Trau­er hin­ter ih­ren Pu­pil­len zu er­ken­nen. Doch sie ließ sich nicht ge­hen, son­dern schau­te mich ein paar Se­kun­den lang wis­send an, dreh­te sich um und schlurf­te stumm da­von.

Kapitel 2

»Viel­leicht ist Ka­tha­ri­nas ab­wei­sen­des Ver­hal­ten ja auch per­sön­lich ge­gen mich ge­rich­tet.« Ich schob mir eine Ga­bel von Mat­teos Pilz­ri­sot­to in den Mund.

»Wie kommst du denn auf die dum­me Idee?«

»Ich mein ja nur …Hmmm! Le­cker!« Ich ver­dreh­te die Au­gen als Zei­chen höchs­ten Ge­nus­ses. Sein zu­frie­de­nes Lä­cheln zeig­te mir, dass ihm mein Lob wich­tig war.

»Ich habe ne­ben den ge­trock­ne­ten Stein­pil­zen ein we­nig Zi­tro­nen­saft und ab­ge­rie­be­ne Zi­tro­nen­scha­le da­zu­ge­ge­ben.«

Wir hat­ten die Pil­ze ge­mein­sam im letz­ten Herbst ge­sucht. Mat­teo hat­te mir ab­seits der Wege, die Stel­len im Wald ge­zeigt, wo sie be­vor­zugt wach­sen. Meis­tens fand man sie un­ter Na­del­bäu­men auf kar­gen, nähr­stoff­ar­men Bö­den. Wir such­ten nach den gif­ti­gen, ro­ten Flie­gen­pil­zen, die so mär­chen­haft aus­sa­hen. Denn wo Flie­gen­pil­ze wuch­sen, fand man auch die herr­lich schme­cken­den Stein­pil­ze. Ich konn­te mich noch gut er­in­nern, wie ich ju­belnd von ei­nem Pilz zum nächs­ten ge­sprun­gen war, denn sie wuch­sen meis­tens in Grup­pen. Auf dem Markt kos­te­te ein Kilo der brau­nen Röhr­lin­ge um die 50 Euro und ich war so stolz ge­we­sen, als wir mit vol­len Kör­ben aus dem Wald zu­rück­ge­kehrt wa­ren. Das Tol­le war, dass Stein­pil­ze kei­ne wirk­lich gif­ti­gen Dop­pel­gän­ger be­sa­ßen. Der Bit­ter­gal­len­röhr­ling sah ihm ähn­lich, schmeck­te aber der­art bit­ter, dass man ihn frei­wil­lig nie­mals run­ter­schlu­cken wür­de.

»Mer­ke dir gut die Stel­len«, hat­te Mat­teo ge­sagt. »Und nie raus­rei­ßen. Schnei­de im­mer den Stiel ab, dann kommt er nächs­ten Herbst wie­der.«

»Ist klas­se ge­wor­den! Hät­te von mir sein kön­nen«, schmatz­te ich und griff nach dem gro­ßen Löf­fel, um mir einen Nach­schlag zu ge­neh­mi­gen. »Kann ich dich was fra­gen? Ka­tha­ri­na schaut mich manch­mal ganz selt­sam an. Rich­tig un­heim­lich ist das. Als ob sie et­was Wich­ti­ges sa­gen möch­te, es sich dann aber an­ders über­legt. Das macht mir lang­sam Angst.«

»So ein Schmarrn! Ka­tha­ri­na hat ab­so­lut nichts ge­gen dich. Ich den­ke, mei­ne Mut­ter hat Mag­da­le­n­as Tod noch nicht ver­a­r­bei­tet«, grü­bel­te er laut.

»Wie soll sie auch? Dich und Jo­sef be­schäf­tigt ihr Schick­sal doch eben­falls täg­lich. Dei­ne Schwes­ter war klug, hübsch, blut­jung und äu­ßerst le­ben­dig und nie­mand wäre auf die Idee ge­kom­men, dass ihr et­was zu­stößt. Kei­ner hat­te Zeit, sich von ihr zu ver­ab­schie­den. Sie war von jetzt auf nach­her ein­fach weg«, ant­wor­te­te ich un­ter zwei Bis­sen. Mat­teos Pu­pil­len be­gan­nen zu glän­zen.

»Oh nein, Schatz! Das woll­te ich nicht!«

»Ist schon gut. Du hast si­cher Recht. Kei­ner von uns hat ih­ren Tod wirk­lich be­grif­fen. Aber je­der geht an­ders da­mit um. Ich wan­de­re re­gel­mä­ßig zur Ab­sturz­stel­le an der See­schar­te. Mein Va­ter ver­sucht krampf­haft, das Po­si­ti­ve im Le­ben zu se­hen und Ka­tha­ri­na ver­drängt eben, was sie in­ner­lich ver­stei­nern lässt und was si­cher kei­ne Lö­sung ist. Da hast du wohl recht.«

»Ich kann das nicht mit­an­se­hen. Wir müs­sen ihr doch ir­gend­wie hel­fen«, mur­mel­te ich, be­vor sich Mat­teos war­me Hand auf mei­nen Arm leg­te. Un­se­re Bli­cke ver­knüpf­ten sich.

»Es ist nicht dei­ne Auf­ga­be, je­des We­sen, dem es schlecht geht, zu ret­ten. Du hast eben­so einen lie­ben Men­schen ver­lo­ren. Auch du musst ver­a­r­bei­ten. Und dass du Joy als Pfle­ge­toch­ter auf­ge­nom­men hast, ist un­sag­bar selbst­los«, trös­te­te er mich. »Du hast ge­nug ge­ge­ben.«

»Quatsch! Sie gibt mir so viel zu­rück«, sag­te ich und er­in­ner­te mich an mein Selbst­ge­spräch von heu­te Vor­mit­tag.

»Sie ist die leib­li­che Toch­ter mei­nes ver­stor­be­nen Man­nes. Sie hat ein Recht auf eine lie­be­vol­le Mama. Und die bin ich ihr so­was von ger­ne.«

»Apro­pos Toch­ter«, Mat­teo schob den lee­ren Tel­ler bei­sei­te und griff nach mei­ner Hand. »Das Ju­gend­amt hat sich kurz­fris­tig an­ge­kün­digt. Du musst dein ok ge­ben, ob der Ter­min für dich passt. Ich habe aber schon an­ge­deu­tet, dass du Zeit hast.«

»Das heißt?«

»Das heißt, du brauchst nur an­zu­ru­fen, falls du ver­hin­dert bist. Wenn du dich nicht mel­dest, kom­men sie«, er­klär­te Mat­teo, wäh­rend sich in mei­nem Ma­gen ein un­gu­tes Ge­fühl aus­brei­te­te.

»Och, muss das sein?«, stöhn­te ich lust­los. »Wa­ren die nicht erst vor we­ni­gen Wo­chen hier?«

Ich ver­stand, dass das Ju­gend­amt zum Woh­le der Kin­der han­del­te und Kon­trol­len sein muss­ten. Sie muss­ten nicht nur sein, sie wa­ren exis­ten­zi­ell wich­tig. Trotz­dem fühl­te ich mich je­des Mal un­wohl und be­ob­ach­tet, wenn sie da wa­ren. Ich woll­te al­les rich­tig ma­chen und setz­te mich sel­ber un­ter Druck. Joy spür­te das und ver­lor ihre Un­be­schwert­heit, was wie­der­um mich noch ner­vö­ser mach­te. Ich seufz­te.

»Der letz­te Be­such war im De­zem­ber letz­ten Jah­res, um ge­nau zu sein«, er­wi­der­te Mat­teo. »Ist doch in Ord­nung, wenn sie sich küm­mern.«

»Ja. Trotz­dem ner­vig. Ich schau gleich mal in den Ka­len­der. Wann sag­test du, kom­men sie ge­nau?«

Mat­teo rück­te sei­nen Stuhl an mei­ne Sei­te und leg­te mir sei­nen Arm um die Schul­ter.

»Leg das Ding weg! Eilt doch nicht«, flüs­ter­te er und ver­such­te tat­säch­lich, an mei­nem Ohr­läpp­chen zu knab­bern.

»Komm mir nicht zu nahe! Ich stin­ke im­mer noch nach Kuh­stall«, warn­te ich ki­chernd im Flüs­ter­ton. Nach­dem Mat­teo uns mit dem le­cke­ren Es­sen über­rascht hat­te, hat­te ich nur schnell Joy ge­ba­det, die durch die auf­re­gen­den Stun­den bei Oma und das war­me Was­ser schläf­rig ge­wor­den war. Sie lag se­lig schlum­mernd im Kin­der­zim­mer.

»Ich stam­me vom Bau­ern­hof, da eke­le ich mich doch nicht vor dem Ge­ruch von Kuh­mist«, lach­te er spitz­bü­bisch. »Und ich hät­te da eine Idee.« Mat­teos Stim­me klang plötz­lich rau. Ich ahn­te, wor­auf er an­spiel­te, lä­chel­te ihn ver­füh­re­risch an und zog ihn in Rich­tung Du­sche. We­nig spä­ter um­spiel­te das hei­ße Was­ser un­se­re Kör­per. Ich schloss die Au­gen, hielt mein Ge­sicht se­kun­den­lang in den Strahl und ver­rieb an­schlie­ßend das Kräu­ter-Dusch­gel erst auf mei­ner ver­schwitz­ten Haut, da­nach seif­te ich Mat­teos Kör­per ein, der woh­lig stöhn­te. Er dreh­te mich lang­sam um, so dass ich sei­ne Männ­lich­keit an mei­nem Steiß spür­te. Mei­ne Brust­wa­r­zen wölb­ten sich und ich hielt ei­ni­ge Se­kun­den die Luft an.

»Ich lie­be dich!« Die Sanft­heit sei­ner Stim­me strei­chel­te mein Herz und eine kör­per­li­che Sehn­sucht er­griff mich, die sich in Se­kun­den­schnel­le wie eine al­les ver­schlin­gen­de Feu­ers­brunst in mei­nem Leib aus­brei­te­te. Mein Blut pul­sier­te an Stel­len, die nur ei­nes si­gna­li­sier­ten: Lust.

Als Mat­teo, nach­dem er kurz aus der Du­sche ge­stie­gen war, nackt nä­her­trat, mich vor­sich­tig in ein Hand­tuch wi­ckel­te, ex­plo­dier­te das Ver­lan­gen in mir. Das Hand­tuch fiel zu Bo­den. Ich spür­te sei­ne Männ­lich­keit er­neut auf mei­ner Haut. Der statt­li­che Berg­ler über­rag­te mich ein gan­zes Stück und sah so höl­lisch gut aus. Sei­ne lan­gen Wim­pern kleb­ten stern­för­mig zu­sam­men, was mich zu­sätz­lich zum Schmel­zen brach­te.

»Soll ich vor­her noch ein­mal nach Joy se­hen?«, frag­te ich mehr aus Ver­le­gen­heit. Es war nicht das ers­te Mal und doch war un­se­re Se­xu­a­li­tät so auf­re­gend wie am Be­ginn der Be­zie­hung.

»Schschsch!« Mat­teo leg­te mir sei­nen Zei­ge­fin­ger auf die Lip­pen. Al­lein die­se sanf­te Ges­te be­rei­te­te mir wa­cke­li­ge Knie. Was dar­auf­hin folg­te, ge­sch­ah mehr in Tran­ce denn bei vol­lem Ver­stand. Mein ent­blößter Kör­per an sei­nen ge­presst. Sein mas­ku­li­ner Duft. Er schmeck­te so na­tür­lich nach Mann und Wald. Ich stöhn­te un­ter sei­nen Be­rüh­run­gen, die zärt­lich und trotz­dem be­stimmt wa­ren. Mi­nu­ten spä­ter la­gen wir im Bett. Auf sei­ner Brust perl­te Schweiß. Er keuch­te vor Er­re­gung. Sei­ne dunk­len Pu­pil­len glänz­ten vor Sehn­sucht, als er mich be­trach­te­te. Ich spür­te: Er lieb­te und be­gehr­te mich. So wie ich ihn. Trop­fen schim­mer­ten auf sei­ner ge­bräun­ten Haut. Ich hat­te, ob­wohl ich ver­hei­ra­tet ge­we­sen war, noch nie auf die­se Art und Wei­se ge­liebt. Tief in mei­nem In­ne­ren wur­de mir klar, dass Mat­teo der ers­te und letz­te Mann sein wür­de, der die­se Ge­füh­le in mir aus­zu­lö­sen ver­moch­te. Ich durf­te ihn nie mehr ver­lie­ren.

»Ich lie­be dich so sehr«, flüs­ter­te ich. Es fühl­te sich ge­ra­de per­fekt an und es wäre zu herr­lich ge­we­sen, die­sen Mo­ment in die Län­ge zu zie­hen, am bes­ten für im­mer lie­gen­zu­blei­ben, doch Joys for­dern­des Stimm­chen scholl zu uns her­über. Müh­sam schäl­te ich mich aus dem Bett, gab Mat­teo einen letz­ten Kuss und zog mir woh­lig seuf­zend mei­ne Klei­dung über.

Der nächs­te Tag ver­lief ru­hig bis har­mo­nisch und ich hat­te so­gar die Zeit ge­fun­den, zu mei­ner klei­nen Hüt­te, ober­halb des Wal­des zu lau­fen. Mat­teo hat­te sie mir ge­schenkt und ich zähl­te ins­ge­heim die Jah­re rü­ck­wärts, bis Joy den Kin­der­gar­ten be­such­te, dann wür­de ich mir mei­nen Traum er­fül­len und die klei­ne Alm für Wan­der­tou­ris­ten be­wirt­schaf­ten. Ich wür­de aus­ge­fal­le­ne Ge­rich­te an­bie­ten und sam­mel­te Re­zep­te in ei­nem No­tiz­block. Wenn ich die Zu­ta­ten no­tier­te, spür­te ich, dass ich die Event­ma­na­ge­rin noch nicht zur Gän­ze ab­ge­legt hat­te. Doch die­se Kre­a­ti­vi­tät über­for­der­te mich nicht. Sie er­schien mir ge­sund und sie er­füll­te mich mit Vor­freu­de.

Bis zur Er­öff­nung hat­te ich, wie ge­sagt, noch ein we­nig Zeit und so stieg ich dann und wann hoch, um nach dem Rech­ten zu se­hen. Es war wie im­mer al­les in bes­ter Ord­nung, au­ßer dass es sich eine Sie­ben­schlä­fer­fa­mi­lie im Dach­stuhl ge­müt­lich ge­macht hat­te, aber das emp­fand ich als we­nig stö­rend. Noch wa­ren kei­ne Le­bens­mit­tel vor­rä­tig und wenn es so­weit wäre, wür­de sich eine tier­freund­li­che Lö­sung fin­den.

Nun sa­ßen Joy und ich zu­sam­men beim Abend­brot, und wäh­rend die Klei­ne mehr matsch­te als aß und bes­tens ge­launt den Reis mit To­ma­ten­so­ße auf dem hal­b­en Tisch ver­teil­te, ge­sell­te sich Mat­teo zu uns.

»Am Wo­chen­en­de ist üb­ri­gens Hoa­gascht«, sag­te er. »Ich möch­te beim Auf­bau hel­fen. Da ist end­lich mal wie­der was los im Dorf!«, freu­te er sich. Ich muss­te so ver­dutzt aus der Wä­sche ge­schaut ha­ben, dass Mat­teo schal­lend lo­s­prus­te­te und selbst Joy zu la­chen be­gann.

»Ogasch!«, wie­der­hol­te sie und ki­cher­te. »Ogasch!«

»Was zum Gei­er ist Hoa­gascht?«, frag­te ich und war­te­te an­ge­spannt auf die Ant­wort.

»Al­les, was Spaß macht«, er­klär­te Mat­teo. »Le­cke­res Es­sen aus der Re­gi­on, net­te Men­schen, Tanz, tra­di­ti­o­nel­le Mu­sik …«

»Und jede Men­ge Al­ko­hol«, voll­en­de­te ich und hob miss­mu­tig mei­ne Brau­en.

»Das ge­hört dazu. Wir er­öff­nen den Alm­som­mer. Ich stel­le heu­te Abend mit den Jungs die Ti­sche und Bän­ke auf. Wir bau­en eine Tanz­büh­ne auf dem gro­ßen Park­platz vor dem Ort und ein Zelt gibt es auch. Das wird ju­xig, du wirst se­hen. So­gar das gan­ze Ötz­tal kommt auf ein Bier zu uns hoch.«

»Ju­xig also, aha! Ich ken­ne nie­man­den und habe gar nicht die ge­rings­te Lust auf Fei­er­lich­kei­ten. Ge­hen Ka­tha­ri­na und Jo­sef auch dort­hin?« Ich merk­te, wie spie­ßig ich mich an­hör­te. Vor was hat­te ich Angst?

»Es gibt kei­ne Men­schen­see­le, die nicht hin­geht«, er­klär­te Mat­teo ernst.

---ENDE DER LESEPROBE---