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Wie kam der Wolf in den Mandelkern? Wann erlebte ich meinen persönlichen Mauerfall? Warum ist Mist nicht gleich Mist? Und was hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin?
All das sind Fragen, auf die mein kleines Buch Antworten gibt.
Es handelt von Ausgrenzung, Mobbing in der Schule, einer toten Maus, von psychischer Gewalt und Diskriminierung.
Auch erzählt es von Panikattacken, Todesängsten, Herzrasen und Atemnot.
Vor allem aber zeigt es den Ausweg aus einer Angsterkrankung auf, berichtet von meiner Konfrontationstherpaie, und weist den Weg hin zum Licht, hin zu einem selbstbestimmten Leben.
Und es stellt schließlich die einfache, aber doch alles entscheidende Frage des Lebens: Was ist Glück?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Im Reich der Wölfe
Es war einmal ein kleiner Junge, der hinaus in den großen, weiten Wald gehen musste. Doch er hatte Angst vor dem, was ihn da draußen erwartete. Heute war es der böse Wolf, morgen die falsche Schlange und übermorgen der hinterhältige Fuchs…
So in etwa könnte ich beginnen, wenn ich von meinem bisherigen Leben schreiben wollte.
Und genau das möchte ich tun. Zwar finde ich heute diesen kleinen, ängstlichen Jungen nicht mehr in mir wieder. Es scheint so, als habe er sich in Luft aufgelöst. Doch so einfach war dies weiß Gott nicht. Um deutlich zu machen, was ich damit meine, möchte ich Sie gerne mit auf eine Zeitreise nehmen. Schnallen Sie sich an, halten Sie sich fest und folgen Sie mir.
Wir schreiben das Jahr 1984
Mein erster Schultag. Da hatte ich noch was zu lachen, die Schultüte voll mit tollen Leckereien. Die sollten mir den Start in den neuen Lebensabschnitt versüßen. Die Tatsache, dass ich mit diesen vielen anderen, fremden Kindern von nun an so viel Zeit verbringen sollte, war mir von Anfang an nicht geheuer. Ich war eher nicht so der Gruppen-Mensch, drei bis vier Kinder um mich herum reichten mir vollkommen aus. Das machte die Sache übersichtlich und man musste auch nicht so lange an der Rutsche oder der Wippe auf dem Spielplatz anstehen.
So war bereits der Kindergarten nicht unbedingt mein Lieblingsort gewesen. Vielleicht würde es sich ja in der Schule ändern?
Der erste Tag begann jedenfalls schon mal toll mit dieser vollen Schultüte, mit den neuen Buntstiften, mit Heften und Stundenplänen. Anfangs kam ich ganz gut zurecht. Ich verstand mich mit ein paar Kindern ganz gut, wir trafen uns auch außerhalb der Schule. Auch im Sportunterricht lief es ganz gut.
Doch irgendwie ging etwas schief. Der Umgangston unter den Kindern war rau, ich konnte damit nicht so recht umgehen.
So zog ich mich ein wenig zurück und ehe ich mich versah, wurde ich in eine Ecke gedrängt, aus der ich so schnell nicht mehr herauskommen sollte…
Wir schreiben das Jahr 1988, Ort des Geschehens: Der Schulhof der Grundschule Bodenheim, die Zeit: Ein trüber Morgen während der Pause
Wie an fast jedem Schultag der dritten und vierten Klasse stand ich abseits in einer Ecke des großen Schulhofes und stopfte verkrampft mein Pausenbrot in mich hinein. Mein Blick schweifte über die vielen Schüler, die zusammen spielten, erzählten oder einfach nur herumliefen. Doch mit mir wollte niemand etwas zu tun haben.
Und prinzipiell war ich auch froh, wenn man mich in Ruhe ließ. Denn zum Spielen oder Unterhalten kam selten jemand zu mir. Vielmehr wurde ich, gesellte sich ein so genannter „Klassenkamerad“ zu mir, oft nur verspottet, bedroht oder herumgeschubst.
An jenem Morgen dachte ich wie so oft an die sicheren vier Wände meines zu Hauses und wollte einfach nur dorthin. Doch musste ich zuvor noch zwei Unterrichtsstunden durchstehen, wollte eigentlich so schnell wie möglich wieder in den Klassensaal, um es hinter mich zu bringen. Denn ich hatte die zwei Neuntklässler entdeckt, die mich schon Tage zuvor gehänselt hatten. Sie kamen auf mich zu und begannen, mich zu verspotten. Meine Mutter hatte sich außerhalb des Schulhofes postiert, um eingreifen zu können, sollten sie mir wieder zu nahe kommen. Denn ich hatte ihr von den Drohungen der Neuntklässler erzählt.
Heute sollte ein neuer Höhepunkt meiner schlechten Erfahrungen mit Mitschülern folgen, von denen ich bis zu diesem Zeitpunkt bereits einige gemacht hatte: Einer der Großen trat mir unvermittelt zwischen die Beine, und quasi um nachzusehen, ob ich denn verletzt war, zog mir der andere die Hose herunter. So stand ich entblößt und schockiert vor etwa neunzig Schülern, die sich im Schulhof aufhielten und – so schien es mir – in diesem Augenblick alle zu mir sahen.
Ich brach in Tränen aus, denn ich war immer näher am Wasser gebaut. Solche Attacken gingen auf Dauer an die Substanz, doch mir sollte noch sehr viel mehr bevorstehen.
Meine Mutter kam herbeigeeilt, und ging mit mir und den Angreifern zum Rektor der Schule. Dieser redete mit ihnen, während meine Mutter mit mir zur Hausärztin fuhr. Die konnte zum Glück keine körperliche Verletzung feststellen. Doch meine Seele hatte an diesem Tag wieder einen Schlag abbekommen, der weitaus schlimmer gewesen war, als die physische Gewalt.
Als ich nach einigen Tagen wieder zur Schule gehen musste, ließen mich zwar die Neuntklässler in Ruhe, da ihnen der Rektor mit ernsten Konsequenzen gedroht hatte. Meine „Klassenkameraden“ jedoch sahen nun einen Grund mehr mich zu hänseln, zu verspotten, herum zu schubsen. Einige nannten mich „Muttersöhnchen“, andere „Heulboje“.
Hätte ihnen ein deutlich älterer Mitschüler zwischen die Beine getreten, hätten sie dann lachend reagiert? – Ich weiß es nicht, hätte es aber gerne mal gesehen…
Wie auch immer war der Altersunterschied der Neuntklässler zu mir in etwa so unfair, wie die Attacken einer ganzen Gruppe Gleichaltriger gegen eine Person, nämlich gegen mich. Wie ein Wolfsrudel kreisten sie mich ein und machten schließlich eine Art Wettkampf daraus, wer es wohl schafft, mich als erstes zum Weinen zu bringen.
Jeden Abend lag ich schlaflos im Bett und grübelte darüber nach, was sich wohl meine netten „Mitmenschen“ für morgen ausgedacht hatten. Allmählich wurden meine Fehlzeiten mehr und wenn ich in der Schule war, suchte ich mir Ausreden, warum ich in der Pause nicht auf den Schulhof musste. Denn dieser war zu unsicher, ganz im Gegensatz zum Klassenraum. Also hatte ich heute einen verstauchten Fuß, morgen eine Ohrentzündung. Ich erlernte in dieser Zeit die hohe Kunst der Schauspielerei. Hinken war kein Problem, ja selbst meine Gesichtsfarbe konnte ich unter Anspannung auf „blass“ verändern, ein wenig wie ein Chamäleon. Manchmal wäre es ganz praktisch gewesen, eines zu sein: Sich tarnen zu können, sodass einen die anderen nicht sahen…
Auf dem Weg zur Schule und dem Gang nach Hause war ich auch nicht mehr sicher, weshalb mich meine Mutter abholte und zur Schule fuhr. So konnte ich wenigstens diese Unsicherheit ausschließen. Im Sportunterricht hatten meine „netten Freunde“ die besten Gelegenheiten, mich ganz regelkonform zu attackieren. Denn oftmals spielten wir „Völkerball“ und dreimal dürfen Sie raten, wer derjenige war, der die härtesten Würfe abbekam und am meisten getroffen wurde.
Es war eine schlimme Zeit und niemand konnte mir wirklich helfen. Die Lehrer standen dem Treiben mehr oder minder machtlos gegenüber, während meine Mutter alles versuchte. Aber je mehr sie tat, desto schlimmer wurde es. Ich selbst war kein Schläger-Typ, ich war eher der Ruhige und Friedliche. Erste Stimmen wurden laut, ich solle jene doch mal kräftig verhauen und mir Respekt verschaffen. Doch erstens war es nicht mein Ding, mit Gewalt zu reagieren. Dazu war ich einfach nicht der Typ. Und zweitens war es schwierig, sich gleich gegen eine ganze Gruppe zur Wehr zu setzen. Und es waren eben immer mehrere, die mich derart attackierten – „mutig“ wie sie waren…
Mir blieb letztlich der einzig wirkungsvolle Schritt: Ich fehlte immer häufiger, und dies nicht nur aus rein taktischen Gründen. Denn zunehmend litt meine Gesundheit unter diesen Belastungen. Chronische Magenbeschwerden bei einem zehnjährigen Jungen, Schwindel und Kopfschmerzen, Atembeschwerden und Durchfälle, Infektanfälligkeit und psychosomatische Beschwerden…
Die hohen Fehlzeiten hatten letztlich auch direkten Einfluss auf meine schulischen Leistungen, weshalb ich mit einem eher schlechten Notenschnitt in den Zeugnissen dastand. Während meiner Freizeit nutzte ich die Arbeit im Garten und in der Natur, die mir sehr viel gab. Auch meine Haustiere, wie Katzen und Kaninchen, gaben mir viel Kraft.
Willkommen im Jahre 1990. Nun erschien endlich Licht am Ende des dunklen Tunnels der Verzweiflung und der Angst. Denn ich musste schließlich nicht mehr lange in dieser Grundschule mit all den doofen Mitschülern bleiben. Ab der fünften Klasse war der Wechsel in eine weiterführende Schule vorgesehen.
Ich entschied mich für die Hauptschule in einem Nachbarort – die Noten gaben ohnehin nichts anderes her.
Meine Hoffnung: Neue Mitschüler, neue Schule, neuer Anfang… Doch das war zu früh gefreut. Viele meiner Peiniger wechselten fatalerweise ebenfalls in diese Schule und meine Klasse, weshalb ich mit ihnen weiterhin in Kontakt bleiben würde. Meine Hoffnung, dass die anderen in der neuen Schule vielleicht unvoreingenommen waren und sich nicht von meinen bisherigen Mitschülern beeinflussen lassen würden, löste sich bald in Luft auf. Diejenigen, die mich bisher terrorisiert hatten, machten kräftig Propaganda gegen mich unter den paar neuen Mitschülern. So war ich bald bekannt wie ein „bunter Hund“ und wurde auch zum Prügelknaben der anderen.
Da sich die Schule im Nachbardorf befand und im Bus leider auch meine „speziellen Freunde“ mitfuhren, brachte mich meine Mutter jeden Tag mit dem Auto zur Schule. Ein Schritt, welcher die letzten Unvoreingenommenen wohl noch überzeugte, dass ich ein Muttersöhnchen sein musste. Weniger als zwei Wochen Frieden in der neuen Schule und meine Hoffnung auf Besserung war endgültig dahin. Wieder wurde ich terrorisiert, wieder rannte ich zu den Lehrern, wieder wurde ich krank, auch um dem Psychoterror zu entgehen.
Im Sportunterricht war ich einer der ungelenkigsten und langsamsten Schüler. Daher bleib ich bei der Mannschaftsaufstellung immer als einer der letzten stehen und musste dann von einem Team genommen werden. Fußball, so hieß es, sollte gespielt werden.
„Geh ran und schieß doch!“, rief der Sportlehrer mir zu und ich fasste mir ein Herz. Vielleicht konnte ich dadurch mehr Sympathie erreichen. Ich war am Ball, zielte aufs Tor, schoss und – ja, ich hatte getroffen! Ich hatte keine Ahnung von diesem Spiel, aber ich hatte tatsächlich getroffen! Freudig und voller Stolz blickte ich zu meinen Mitspielern, die wütend auf mich zugelaufen kamen.
„Bist du dumm, oder was? Das war unser Tor!“, riefen sie. Ich hatte keine Ahnung, was sie von mir wollten, bis mir klar wurde, dass ich ein Eigentor geschossen hatte. – Tatsächlich und im übertragenen Sinne.
Bis zu diesem Tag war mir nicht klar gewesen, wie genau man Fußball spielte. Ich wusste nur, dass man den Ball ins Tor schoss, und das hatte ich getan.
Es mag etwas seltsam erscheinen, wenn ein zehnjähriger Junge nicht weiß, wie man Fußball spielt. Doch es ist in etwa genauso seltsam, wie wenn ein zehnjähriger Junge nicht weiß, wie man Keyboard spielt. Das konnte ich nämlich gut, und ich will nicht wissen, welche Klänge manch andere Mitschüler aus dem Instrument herausgeholt hätten, die vorher einfach noch nie Keyboard gespielt hatten. Ich war eben bloß kein Sportler und kein Fußballer!
Das Eigentor hatte mir verständlicherweise keine wirklichen Sympathien eingebracht. Vielmehr grenzte man mich seit jenem Tage noch mehr aus. In der nächsten Sportstunde wehrte sich jedes Team, wenn es mich aufnehmen sollte. Wenn ich dann doch auf dem Spielfeld stehen musste, da der Lehrer darauf bestand, schossen mich die gegnerischen Spieler in Gesichtshöhe an. Als Reflex hob ich die Arme, musste feststellen, dass dies verboten war und dazu führte, dass es einen Freistoß für die gegnerische Mannschaft gab, der dummerweise dann auch noch zum Führungstreffer wurde. Ich wurde beschimpft, niemand wollte mich mehr im Team, und es kam vor, dass man lieber zu Zehnt spielte und mich auf der Bank sitzen ließ.
Der Terror fand nicht nur im Sportunterricht oder den Pausen statt. Auch im vermeintlich sicheren Klassensaal begannen mehr und mehr Attacken. Im Unterricht mancher Lehrer, die als streng galten, wurde ich „nur“ ausgelacht, wenn ich eine falsche Antwort gab. Einige unserer Lehrer konnten sich jedoch überhaupt nicht durchsetzen und so waren meinen „netten Mitschülern“ Tür und Tor geöffnet. Denn welche Hilfe konnte man schon von einem Lehrer erwarten, der selbst hilflos war, mit Kreide oder Papierkügelchen beworfen wurde, bis er völlig aufgelöst den Klassensaal verließ?
Daher bekam ich in Unterrichtsstunden solcher Lehrer regelmäßig Papierschnipsel von allen Seiten gegen den Kopf geworfen, mein Mäppchen wurde versteckt oder gar in den Papierkorb geworfen. Man rief flüsternd meinen Namen, was mit der Zeit Terror der übelsten Sorte bedeutete. Außerhalb der Unterrichtsstunde verspottete man mich, bezeichnete mich als Fettsack, Muttersöhnchen oder Heulsuse. Aber auch mit Luftschlägen oder -tritten in Gesichtshöhe traktierte man mich nach außen hin völlig spurlos, ohne Blaue Flecke oder Wunden. Ich wurde herumgeschubst, eingekreist, bedroht, in die Enge getrieben.
Die Abende vor der Schule wurden immer schlimmer, denn ich lag schlaflos im Bett, hatte Angst vorm nächsten Tag. Welche Erniedrigungen und Angriffe auf meine Seele musste ich dann wieder in der Schule ertragen? Diese dauernde Anspannung schlug sich immer weiter körperlich nieder. Ich litt vermehrt unter Durchfällen, Magenbeschwerden, Schwindelattacken und immer öfter auch unter Atemproblemen. Besuche bei Fachärzten, unzählige Röntgenaufnahmen und andere Untersuchungen führten natürlich zu nichts. Kein Wunder: Die tiefen Verletzungen auf meiner Seele konnten die besten Röntgengeräte nicht darstellen.
Aus Frust und zum Trost futterte ich mir einen immer dickeren Schutzpanzer an. Bei etwa 1,50 m Größe war ich mit über 90 Kilogramm Gewicht ein ganz schön dicker Brummer geworden. Das war nicht nur ungesund, sondern stachelte meine „netten Mitschüler“ zusätzlich an.
Nun waren nicht alle Mitschüler feindlich mir gegenüber eingestellt. Da gab es die Unbeteiligten, die sich einfach neutral hielten und sich gar nicht einmischten. Und dann gab es eine Gruppe von fünf Personen, die in den Pausen durchaus mit mir redete. Wir spielten mit Dosen „Fußball“, sie kamen auch zu meinen Geburtstagsfeiern, nutzten die Mitfahrgelegenheit durch meine Mutter, wodurch sie nicht auf den Bus warten mussten.
Anfangs schienen sie mir so etwas wie Freunde zu sein. Doch heute würde ich sie eher als Nutznießer bezeichnen. Zwar nutzten sie gerne die Mitfahrgelegenheit, liehen sich auch mal Geld aus, wenn sie gerade keins dabei hatten. Sobald jedoch meine „netten Mitschüler“ wieder einmal versuchten, mich zum Weinen zu bringen, standen sie mir nicht bei.
Man könnte nun sagen, sie hatten vielleicht Angst, selbst zum Opfer zu werden und dies hätte ich verstehen können. Doch was ich gar nicht verstehen konnte: Auch sie begannen damit, mich dann zu verspotten und zu attackieren. Ja, sie stimmten ins Heulen der Wölfe mit ein. Und das war für mich unverzeihlich!
Ich erkannte zwar damals schon, dass es sich bei ihnen nicht um Freunde handelte. Doch waren sie die Strohhalme, an die ich mich klammerte. Sie warfen mir wenigstens nicht andauernd Schimpfworte an den Kopf, sondern unterhielten sich auch mal mit mir. Man wird genügsam in solchen Zeiten – Hauptsache, man hat jemanden, der einen nicht andauernd anschreit, beschimpft, erniedrigt und bedroht.
Einen ständigen Begleiter, der mir wirklich treu blieb – egal ob ich Probleme hatte, oder ob es mir verhältnismäßig gut ging – hatte ich dennoch: Es war die Angst im Nacken, die nun das Gewicht eines Elefanten erreicht zu haben schien.
Ein kleiner Sprung durch die Zeit. Wir sind nun am Ende des Jahres 1990 angekommen.
Ich hatte über zwei Wochen eine starke Erkältung und ging an jenem Tag wieder zur Schule. Durch den Schnupfen war rund um die Nase alles rot und wund, was mich schon zu Genüge störte. Doch den Spöttern war die Entstellung meines Gesichts mehr als recht. Sie hatten nun einen Grund mehr, mich zu attackieren.
„Igitt, was hat der denn da? Der hat die Krätze oder AIDS.“, bekam ich die überaus intelligente Diagnose meiner Mitschüler zu hören. Sie hatten zwar keine Ahnung, aber davon wenigstens viel! Sie stießen mich herum wie einen Aussätzigen und taten so, als würden sie mich bespucken.
Die Anfeindungen wurden immer schlimmer, die Beleidigungen heftiger. Und auch die Fehlzeiten stiegen weiter kräftig an, zusammen mit meinem Notenschnitt. Glücklicherweise stellten das fünfte und sechste Schuljahr die sogenannte Orientierungsstufe dar. Hier konnte man nicht sitzenbleiben. Eine solche Schmach blieb mir nur durch diese Regelung erspart, denn ich hatte teilweise selbst in den Hauptfächern ungenügende Leistungen. Kein Wunder – wer kann sich schon auf Sozialkunde konzentrieren, wenn er täglich Zeuge von asozialem Umgang wird? Wer kann Englisch begreifen, wenn er nicht mal die Beweggründe seiner so genannten „Mitmenschen“ versteht? Meine Angst, die Schulprobleme und die restlichen Übel jener Zeit verfolgten mich ins nächste Jahr. Daran konnten auch Silvesterraketen und Böller nichts ändern, obwohl man sagt, sie vertrieben die bösen Geister... Meine bösen Geister standen mir im Schulalltag in Fleisch und Blut gegenüber.
Wir schreiben das Jahr 1991. Nach einem für mich überaus trüben und tristen Frühjahr – dunkle Wolken der Angst und der Resignation hüllten meine Seele ein – war der Sommer gekommen. Die großen Ferien rückten näher. Welch ein Segen: Sechs Wochen lang nicht in der Schule, sechs Wochen Sicherheit.
Doch zuvor war eine Klassenfahrt angesagt auf die Insel Borkum. An dieser nahm ich natürlich nicht teil, da ich mich nicht auch noch ganze 24 Stunden dem Terror aussetzen wollte. Also war ich wieder einmal krank in jener Zeit. So war diese Hürde überstanden, die Sommerferien waren toll, doch leider sehr schnell vorüber.
Der Horror ging wieder weiter und zu meinem Verdruss hatte man in der Schule nun auch noch Aktivitäten wie Schlittschuhlaufen und Schwimmen geplant. Dem verweigerte ich mich, denn ich hatte nur wenig Lust, mich im Schwimmbad unter Wasser ziehen zu lassen, oder nur mit einer Badehose bekleidet heimfahren zu müssen, nachdem jemand meine Kleidung versteckt hatte. Auch beim Schlittschuhlaufen war es sehr einfach, mich zu Fall zu bringen oder die Schuhe zu verstecken.
Immer konnte ich mich diesen Aktivitäten natürlich nicht verschließen und ich ging zumindest einmal mit zur Schlittschuhbahn. Dort stand ich nur am Rande, langweilte mich und am Ende suchte ich tatsächlich meine Schuhe, die ich schließlich in der Mülltonne wiederfand.
In den Pausen oder im Sportunterricht wurde ich längst auch schon von den Schülern der Parallelklasse und anderen Klassen attackiert. Alle nahmen am Wettbewerb teil „Wer bekommt ihn am ehesten zum Weinen?“ Die Hemmschwelle sank immer weiter. Dafür stiegen Notenschnitt und Fehlzeiten an: Stolze 69 Fehltage im Jahr und ein Schnitt von 4,9 waren der Höhepunkt des Ganzen.