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Boxmanager Sam Stubener nimmt dem talentierten jungen Boxer Pat Glendon unter Vertrag, Sohn der Boxlegende Old Pat Glendon. Sorsam schirmt er den naiven Jungen vor den harten und unsauberen Methoden des Büxgeschäft ab, während er selbst schmutzige Spielchen mit den Kämpfen seines Schützlings spielt. Von alledem nichts ahnenend eilt Young Pat von Sieg zu Sieg, bis er doch eines Tages hinter die Machenschaften seines Managers und der mächtigen Wettmafia kommt, Und dann kommt es zum großen Showdown.
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Jack London
Young Pat, der Boxer
Classics – Band 3 -Adventure
Jack London – Young Pat – der Boxer
1. eBook-Auflage – Juni 2017
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Armin Bappert
Übersetzung: Chris Schilling
Lektorat: Hermann Schladt
Sam Stubener sah die Post durch, flüchtig und schnell. Als Manager von Preisboxern war er natürlich eine vielfältige und kuriose Korrespondenz gewöhnt. Alle Spaßvögel - Teilhaber, interessierte Außenstehende und Reformer des Sportgeschäfts - glaubten ihm einen Rat geben zu müssen. Morddrohungen, maßvolle Einschüchterungsversuche, beispielsweise die Warnung, ihm die Zähne einschlagen zu wollen, Fetische - Kaninchenpfoten oder Glückshufeisen ernstzunehmende Angebote und Viertelmillionenofferten übergeschnappter Habenichtse hatten ihn auf dem Postweg erreicht. Angesichts des Einfallsreichtums und des Umfangs dieser Überraschungen hatte er sich das Wundern abgewöhnt. Seit er einen Rasiermesser-Streichriemen, für den die Haut eines gelynchten Negers hatte herhalten müssen, und einen verschrumpelten, sonnengedörrten Finger bekommen hatte, der von einer im Death Valley aufgefundenen Leiche eines Weißen stammte, meinte er, dass ihm der Briefträger nie mehr etwas bringen würde, was ihm die Ruhe stehlen könnte. An jenem Morgen aber öffnete er einen Brief, den er zweimal überflog, in die Tasche steckte und wieder herauszog, um ihn ein drittes Mal zu lesen. Er war auf einem unbekannten Postamt im Bezirk Siskiyou abgestempelt worden, und sein Wortlaut gab ihm zu denken.
Lieber Sam,
Sie kennen mich nicht, nur mein Name wird Ihnen geläufig sein. Sie kommen nach meiner Zeit, und ich bin schon längst nicht mehr im Spiel. Aber glauben Sie mir, geschlafen hab ich trotzdem nicht. Ich habe alle Kämpfe verfolgt, und ich hab auch Sie beobachtet, von dem Tag an, als Kal Aufman Sie k.o. schlug, bis zu Ihrem letzten Match mit Nat Belson. Ich glaube bestimmt, Sie sind der geschickteste Manager, den es je gegeben hat. Darum wende ich mich an Sie. Ich biete Ihnen den größten Unbekannten aller Zeiten. Das ist kein fauler Witz, sondern mein voller Ernst. Was halten Sie von einem Herkules, der über zwei Zentner Körpergewicht in die Waagschale zu werfen hat, zweiundzwanzig Jahre alt ist und dessen Schlagkraft doppelt so groß ist, wie die meines stärksten Mannes war. Das ist er, mein Junge, Young Pat Glendon; unter diesem Namen wird er kämpfen. Ich habe alles bis ins letzte ausgetüftelt. Jetzt nehmen Sie am besten den nächsten Zug und kommen her. Dann sehen Sie selbst. Ich hab ihn aufgezogen, ich bin sein Trainer gewesen. Mein ganzes Wissen hab ich ihm eingetrichtert, und, ob Sie es glauben oder nicht, er kann noch mehr, als ich ihm beigebracht hab. Er ist der geborene Boxer, ein Wunder an Schlagschnelligkeit und Schlaggenauigkeit. Seine Schläge kommen akkurat im rechten Augenblick und landen genau dort, wo sie landen sollen. Dabei braucht er nicht zu überlegen. Sein Haken, mit angewinkeltem Arm aus sechs Zoll Entfernung ins Ziel gerissen, ist ein wirksameres Schlafmittel, als ein weither geholter Schwinger der meisten alten Hasen.
Die Hoffnung der weißen Rasse? Das ist er. Kommen Sie, sehen Sie sich ihn an. Als Sie Jeffries betreuten, waren Sie verrückt aufs Jagen. Kommen Sie zu mir, und ich will Ihnen einen Kerl zeigen, neben dem sich alle Filmhelden erbärmlich ausnehmen. Hier können Sie ordentlich jagen und fischen. Ich werde Young Pat mitschicken. Meine Beine wollen nicht mehr recht. Darum rufe ich Sie. Ich wollte den Jungen selber managen, aber ich taug nichts mehr. Mit mir geht’s abwärts, und wahrscheinlich ist’s bald ganz aus. Machen Sie also zu. Ich möchte, dass Sie sein Manager sind. Die Sache bringt beiden ein Vermögen ein, jedoch wünsche ich den Vertrag allein abzufassen.
Hochachtungsvoll!
Pat Glendon
Stubener stand vor einem Rätsel. Auf den ersten Blick schien es ein Scherz zu sein - die Leute vom Ring waren berüchtigte Spaßmacher und er besah sich den Brief genauer, in der Erwartung, die lockere Handschrift Corbetts oder die großzügigen sympathischen Züge Fitzsimmons’ zu entdecken. Aber für den Fall, dass es kein Scherz war, lohnte es sich, der Sache nachzugehen. Pat Glendon hatte vor Stubener Bedeutendes geleistet, obwohl er ihn als Junge einmal in einem Sparring für Jack Dempsey erlebt hatte. Schon damals war er »Old« Pat gewesen und hatte nicht mehr als Aktiver im Ring gestanden. Noch zur Zeit der alten Londoner Boxregeln war er ein Vorgänger Sullivans gewesen. Seine letzten, schwächeren Kämpfe hatte er unter den aufkommenden Regeln des Marquis of Queensbury geliefert.
Welcher Boxfreund kannte Pat Glendon nicht! Wenngleich nur noch wenige lebten, die ihn in seinen besten Jahren bewundert hatten, und es nicht viele gab, die ihn überhaupt einmal gesehen hatten. Sein Name war in die Geschichte des Rings eingegangen, kein Sportlexikon könnte ohne ihn Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Aber sein Ruhm war nicht ohne Widersprüche gewesen. Niemand wurde höher verehrt als er, und doch hatte er nie die Ehrung durch einen Titel erfahren. Er war vom Missgeschick verfolgt, man hatte ihn den Pechboxer genannt.
Viermal wäre er beinah Meister im Schwergewicht geworden, und jedes Mal hätte er es verdient. Da war der Kampf auf dem Schiff in der San-Francisco-Bucht gewesen. Während er den Champion mit Schlägen eindeckte, brach er sich den Unterarm. Dann boxte er auf einer Themseinsel. Sechs Zoll tief stand er im Wasser der steigenden Flut. Als er den Sieg greifbar nahe wähnte, glitt er aus und erlitt einen Beinbruch. Auch in Texas hatte es einen unvergesslichen Tag gegeben. Sein Gegner war schon völlig mürbe gewesen, aber im entscheidenden Augenblick sprengte die Polizei die Veranstaltung, und wieder sah er sich um den Erfolg betrogen. Und schließlich war da der Kampf im Mechanics’ Pavilion von San Francisco gewesen, wo ihn ein niederträchtiger, gekaufter Ringrichter, der von einem kleinen Wettsyndikat ausgehalten wurde, fortgesetzt benachteiligte. In diesem Kampf erlitt Pat Glendon keinen Unfall, doch als er seinen Mann mit einem rechten Geraden gegen das Kinn und mit einem linken Stoß zum Solarplexus niedergelegt hatte, disqualifizierte ihn der Ringrichter kaltblütig wegen Tiefschlags. Jeder Augenzeuge, jeder Experte, die ganze Sportwelt wusste, dass es kein Foul gewesen war. Aber wie alle Boxer hatte sich Pat Glendon verpflichtet, die Entscheidungen des Kampfrichters anzuerkennen. Deshalb unterwarf er sich dem Urteil, er nahm es hin als eine neue Laune des Missgeschicks, das ihn verfolgte.
Das war Pat Glendon. Stubener litt darunter, dass er nicht wusste, ob Pat den Brief geschrieben hatte oder nicht. Er ging damit in die Stadt.
»Was ist aus Pat Glendon geworden?« so begrüßte er an jenem Morgen jeden, der Beziehungen zum Boxring unterhielt. Niemand konnte ihm etwas Genaues sagen. Einige glaubten, er müsse tot sein, aber keiner wusste etwas Bestimmtes. Der Sportredakteur einer Morgenzeitung blätterte in den Akten und stellte fest, dass sein Tod nicht vermerkt war. Erst Tim Donovan gab ihm einen Hinweis.
»Ganz gewiss ist er nicht tot«, erklärte Donovan. »Wie sollte das möglich sein, bei so einem Mann! Der nie gezecht oder gequalmt hat. Der hat Geld gemacht, mehr noch, er hat’s gespart und angelegt. Hat er nicht mal drei Kneipen gehabt? Und hat er nicht eine Menge herausgeschlagen, als er sie verkaufte? Ja, richtig, damals, bei dem Verkauf war’s, wo ich ihn das letzte Mal gesehen hab. Das muss gut zwanzig Jahre her sein. Pats Frau war gerade gestorben. ,Wo soll’s hingehn, alter Sportsfreund ?‘ frag ich ihn. ,Ich mache fort in die Wälder“, sagt er, ,ich streich die Segel. Wiedersehn, Tim, mein Junge.“ Seither hab ich nichts mehr von ihm gehört, aber natürlich ist er nicht tot.«
»Du sagst, als seine Frau gestorben war. Hatte er auch Kinder?« erkundigte sich Stubener.
»Eins, ein Baby, an dem Tag trug er’s auf dem Arm.«
»War es ein Junge?«
»Woher soll ich das wissen?«
Nach diesem Gespräch faßte Sam Stubener einen Entschluss. Die Nacht verbrachte er in einem Pullmanwagen, er fuhr in die wilde Gegend Nordkaliforniens.
Am frühen Morgen stieg Stubener in Deer Lick aus, und er vertrat sich eine Stunde lang die Füße, ehe die einzige Gaststätte ihre Türen öffnete. Nein, der Wirt wusste nichts von einem Pat Glendon, hatte nie etwas von ihm gehört, und wenn er in diesem Teil des Landes lebte, dann musste es noch ziemlich weit zu ihm sein. Auch der Gehilfe kannte keinen Pat Glendon. Im Hotel war man nicht klüger; erst als der Laden und die Post öffneten, fand Stubener die Spur. O ja, Pat Glendon wohnte weit draußen. Man nahm den Wagen nach Alpine, das vierzig Meilen entfernt lag und ein Holzfällerlager war. Von Alpine aus ging es dann zu Pferde durch das Antelope Valley weiter. Man musste die Wasserscheide zum Bear Creek überqueren. Pat Glendon wohnte irgendwo auf der anderen Seite dieses Baches. Die Leute in Alpine wüssten schon Näheres. Jawohl, es gab einen jungen Pat. Vor zwei Jahren sei er in Deer Lick gewesen. Der Kaufmann hatte ihn gesehen. Old Pat habe sich schon seit fünf Jahren nicht mehr blicken lassen. Er sei ein alter, weißhaariger Sonderling und bezahle die Waren, die er aus dem Laden beziehe, stets mit Scheck. Mehr wusste der Kaufmann auch nicht, aber von den Leuten in Alpine würde er bestimmt eine genaue Auskunft erhalten.
Stubener war zufrieden. Ohne Zweifel gab es einen jungen Pat Glendon, ebenso gut wie den alten, und sie lebten beide jenseits des Bear Creek.