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Noch nie hat ein von Wetterland eine Bürgerliche geheiratet ... Der Tag, an dem sich Lisl Heyden ihrer Liebe zu ihrem alten Jugendgespielen Eberhard von Wetterland bewusst wird, ist ein bitterer, enttäuschender Tag für sie, zugleich aber auch ein Wendepunkt in ihrem Leben. Eberhard hat der scheinbar so unbedeutenden Lisl die reiche Kommerzienratstochter Annemie Heumann vorgezogen, jene hochmütige, blendend schöne Dame, die nur mit den Männern spielt und der keine Partie gut genug ist. Und so ereilt den jungen Mann denn auch bald das gleiche Geschick, das er selbst seiner Jugendfreundin Lisl bereitet hat. Doch das ist erst der Anfang. Mit viel Herz und Gemüt berichtet uns die Autorin auf spannend-unterhaltsame Weise vom ungewöhnlichen Schicksal und Lebensweg der jungen Lisl. Wir lesen von hilfreichen Menschen und von einem edlen Prinzen, von Liebe und Dankbarkeit, von Eifersucht und Intrigen. Im Mittelpunkt aber steht das kleine Haus des Zacharias Heyden in der alten Gasse am Mainufer, wo Lisl Heyden wohnt und schließlich ihr Glück findet.-
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Seitenzahl: 265
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Anny von Panhuys
Frauen-Roman
Zacharias Heydens Tochter
© 1925 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711592298
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Die efeuumsponnenden Vorderfenster des alten Hauses am Geistpförtchen gingen auf den Main hinaus, und Lisl Heyden begrüßte jeden Morgen aufs neue mit einem frohen Aufleuchten der Augen den dunkelschimmernden Fluß, dessen Wellen in so behaglicher Langsamkeit vorbeizogen, als wollten sie den Menschen zurufen: Nehmt euch an uns ein Beispiel, nicht überstürzen, aber auch nie stillstehen, dann kommt man am besten und am sichersten an das Ziel! —
Lisls Mutter, die kleine, immer schaffenswütige Frau mit den verarbeiteten Händen und dem trotz ihrer zweiundvierzig Jahre schon so stark verfälteten Gesicht, verstand die Sprache und den Rat der Mainwellen nicht. Sie war immer erregt, immer beschäftigt, hatte niemals Zeit und begriff ihren Mann nicht, der ganze Tage lang vorn in dem dämmernden Laden auf einem Stuhle hockte, mitten unter den alten Gegenständen, die er verkaufte, und sich damit beschäftigte, müde Uhren wieder in Gang zu bringen. Dabei dachte er über Dinge nach, an die zu denken ihr niemals eingefallen wäre. Und die Lisl war beinahe wie er, saß stundenlang wie angenagelt, träumte und ließ darüber die Suppe anbrennen.
Dann grollte Frau Martha wohl mit ihrem Manne:
„Du verdirbst Lisl. Nähen müßte sie lernen und flicken, waschen, kochen, bügeln, wie ich es auch habe lernen müssen. Statt dessen schlüpft sie mir mitten in der Arbeit weg und geht zu dir in den Laden, kramt zwischen den alten wurmstichigen Scharteken herum, zwischen dem staubzerfressenen Krempel, vor dem ich nie den Ekel verliere.“
Zacharias Heyden lächelte ob solcher Reden ein schattenhaftes Lächeln in seinen dünnen, graublonden Spitzbart hinein.
„Der alte Krempel bringt Geld, Martha, mein Vater wußte, was er mir hinterließ, und wir beide brauchen um die Zukunft unseres Kindes auch keine Sorge zu hegen. Wenn Lisl nicht kochen lernen mag, dann läßt sie sich später kochen, und wenn sie nicht nähen lernen will, dann besorgen ihr das für ihr gutes Geld andere Menschen.“
Frau Martha schüttelte über soviel menschlichen Unverstand den Kopf, aber da sie wußte, sie würde ihren Mann doch zu keiner anderen Meinung bekehren, schwieg sie. Vor Jahren hatte sie zum Beispiel versucht, ihn zur Aufgabe des von seinem Vater ererbten Antiquitätengeschäfts zu bewegen. Lange hatte sie ihm keine Ruhe gelassen, bis er, der sonst immer Ruhige, Geduldige, ihr endlich zornig erklärte: das von ihm geliebte Antiquitätengeschäft aufgeben, hieße ihm Luft und Licht nehmen, die doch der Mensch zum Dasein brauche. Licht und Luft nannte er den von alten Möbeln und vielen anderen Gegenständen vollgepfropften dämmrigen Ladenraum, in dem trotz vielem Lüften ein ständig muffiger Geruch herrschte. Aber Frau Martha wußte, die Antiquitäten waren es nicht, die den Mann wie mit eisernen Klammern in dem unfreundlichen Laden am Geistpförtchen festhielten. Nein, die Schuld daran trugen allein die alten Uhren, die er mit wahrer Leidenschaft aufkaufte und wieder instand setzte. Tag für Tag mühten sich seine Finger, dem Gefüge uralter Räderwerke wieder Leben einzuhauchen.
So saß er auch heute, und derweil wurde der Kaffee kalt, den er des Nachmittags doch immer recht heiß und anregend wünschte.
Frau Marthas Ruf „Zacharias!“ verhallte ungehört. Da ging die Tochter, den Vater zu holen.
Lisl Heyden schob mit leicht emporgereckter Hand den schweren fransenumzitterten Vorhang, der die Wohnung vom Laden schied, rasch beiseite, aber ihr Auge mußte sich erst an das Dämmerlicht, das ständig in dem Verkaufsraum herrschte, gewöhnen, und die dunklen Wimpern zuckten ein paarmal auf und ab.
„Vater, du möchtest nun Kaffee trinken kommen“, rief ihre junge Stimme, die so tief und klangvoll war wie eine wundervoll abgetönte Glocke.
Ein schmalschultriger Mann mit zergrübeltem Philosophengesicht erhob sich langsam aus dem breitarmigen Korbstuhl, in dem er gesessen hatte.
Er ging müde, mit schleppendem Schritt.
Ehe er sich durch den Vorhang in die Wohnung begab, blieb er vor dem Mädchen stehen und lächelte das junge, neunzehnjährige Gesicht liebevoll an.
„Klein-Lisl, die Uhrmacher können alle nichts, manch einer von ihnen vermöchte von mir zu lernen.“
Lisl nickte und dachte: Die Hauptsache ist, daß dem Vater sein Steckenpferd Freude macht. Das dünkte ihr genug.
Sie strich mit liebkosender Gebärde über eine rotsamtene Decke, die das Wappen eines ausgestorbenen Geschlechtes zeigte. Die Decke war leicht über eine Stuhllehne geworfen gewesen, sie legte sie auf einen kleinen Nähtisch von Birnbaumholz und stellte ein Bildchen im Biedermeierrahmen darauf. Sich der Wirkung freuend, stand sie in Schauen verloren. Die Ladentür vom Geistpförtchen her öffnete sich, und ein vornehm aussehender, älterer Herr trat ein.
„Tag, Fräulein Lisl. Nun, haben Sie des Vaters steife Ordnung wieder ein bißchen durchbrochen und etwas umgebaut?“
Er wies auf den mit der rotsamtenen Decke behängten Nähtisch. „Sieht hübsch aus, die alte, feudale Wappendecke über dem braven Arbeitstischlein.“
„Das finde ich auch, Herr von Wetterland“, lächelte das junge Mädchen erfreut. „Vater behauptet in solchem Fall wie diesem stets, ich brächte Dinge zusammen, die nicht zueinander passen, die im strengsten Gegensatz zueinander stehen.“
Friedrich Wetterland lachte, daß sein fransiger Schnurrbart leise zitterte.
„Weiß, weiß, Fräulein Lisl, mein Freund Zacharias Heyden ist, genau wie sein seliger Vater dereinst, für strenge Ordnung. Möbel, Vasen und Döschen müssen fein säuberlich in Reih und Glied stehen. So hat es der Vater gehalten, so hält’s der Sohn. Na ja, der Heydensche Antiquitätenhandel am Geistpförtchen in Frankfurt hat seinen alten, bewährten Ruf. Was da verkauft wird, findet früher oder später seine guten Abnehmer.“
Er bog sich näher zu dem Mädchen:
„Fräulein Lisl, was machen die Uhren? Wäre gescheiter, wenn Zacharias Heyden, statt sich den Kopf damit verrückt zu machen, ab und zu an die Luft ginge und über sein Bosseln und Sinnieren nicht vergäße, daß das Uehrlein, das einem jeden von uns für die Erdenwanderschaft mitgegeben wurde, auch verlangt, daß man etwas für den Körper, in dem es beständig hämmert und klopft, tut.“
Lisl nickte.
„Herr von Wetterland, Sie meinen es gut mit dem Vater, gut mit uns allen, als ob Sie zu uns gehörten, Sie sind ein prachtvoller Hausherr. Aber den Vater von dem, was Sie eben erzählten, zu überzeugen, würde weder mir, noch sonst jemandem gelingen. Und ich denke, wenn sein Glück in dem da gipfelt“, sie wies auf eine kleine auseinandergenommene Uhr, „dann soll man ihm sein Glück lassen. Es geht mir oft durch den Kopf, das Glück ist sowieso nicht allzu dicht gesät.“
Wetterland ließ sich auf dem Korbstuhl vor dem Räderwerk der Uhr nieder. Er beschaute mit einem kleinen Kopfschütteln das Durcheinander von Rädchen.
„Spielerei“, warf er fast verächtlich hin, „und wenn es keine solchen alten Uhren gäbe, würden Sie, Lisl Heyden, sicher noch nicht gelernt haben, so bitter vom Glück zu sprechen. Auch Ihnen fehlt Luft und Licht. Ihre Mutter scheuert und wischt den ganzen Tag, als hinge die Seligkeit davon ab, der Vater vertrödelt die Zeit mit einer Nichtigkeit, die ihm Wichtigkeit und Lebenszweck dünkt, und Sie pendeln zwischen Küche und Laden hin und her und wissen nichts von frohen, lachenden Mädchentagen.
In Lisls großen blauen Augen spiegelte sich ein leichtes Erstaunen.
„Ich habe mich über nichts zu beklagen und bin der Ansicht, daß ich es besser habe als sehr viele Mädchen meines Alters.“ Ein schwärmerisches Lichtchen gab den Augen saphirnen Glanz. „Herr von Wetterland, es mag ja sein, daß meine Altersgenossinen manches Vergnügen genießen, von dem ich nichts ahne, dafür aber wissen sie nichts von dem, was mich erfreut.“ Sie streckte beide Arme weit von sich, als wollte sie alles, was der Laden barg, umarmen und ans Herz drücken. „Vielleicht begreifen auch Sie, Herr von Wetterland, der Sie ein so großes Verständnis für künstlerische Dinge besitzen, nicht einmal, wie wunderschön es ist, hier zu leben. Sehen Sie, jeder, auch der kleinste Gegenstand hier, hat seine Geschichte, und ich bilde mir ein, alle diese Geschichten zu kennen. Dann male ich mir auch zuweilen aus, ich hätte ein großes Haus und viel Geld, so daß ich mir das alles, was Vaters Laden birgt, zu kaufen vermöchte, und noch vieles andere dazu. Nichts Lieberes könnte ich mir denken, als mich ganz nach meinem Geschmack einzurichten, um den Menschen zu zeigen, was ich unter Schönheit verstehe. Oh, wenn ich der Vater wäre, setzte ich alles in Bewegung, um mangelndem Kunstverständnis auf die Beine zu helfen.“
„Also möchten Sie so eine Art von Reformatorin werden?“ lächelte Wetterland ein bißchen belustigt. „Schnurrige Ideen das! Paßt gar nicht für Lisl Heydens hübsches Köpfchen.“
Trotz der nebensächlichen Art, wie er das sagte, war ein Etwas in seinem Gesicht, das gespannteste Aufmerksamkeit verriet, da er nun weitersprach:
„Sie haben einen vorzüglichen Geschmack, Phantasie, Geschichtskenntnis wie ein angehender Professor, der darüber Vorlesungen halten will, auch wissen Sie viel von Kostümkunde. Wie wäre es, wenn ich Ihnen Gelegenheit gäbe, sich ein wenig auf dem Gebiet, das Sie noch lockt, zu betätigen?“
Lisls Augen hingen an dem Munde Wetterlands, als wollten sie schon im voraus davon ablesen, was nun kommen mußte.
Aber Wetterland weidete sich an der sichtlichen Ungeduld Lisls. Er ließ sie ein bißchen auf die Erklärung seiner Andeutung warten, und da er endlich die junge Neugier befriedigen wollte, bewegte sich der Vorhang im Ladenhintergrund, und Zacharias Heyden schritt heran, blaß, müde, aber mit einem fast hochmütigen Zug im Philosophengesicht.
Er drückte Friedrich Wetterland, der sein Hausherr war und zugleich einer seiner besten Kunden, die Hand und wollte gleich von seinen Uhren erzählen, wie er es Bekannten gegenüber zu tun pflegte. Doch Wetterland schnitt ihm das Wort ab.
„Lieber Heyden, es winkt Ihnen wieder, ein feines Geschäft: Kommerzienrat Heumann, wie Sie wissen, ein guter Freund von mir, möchte seiner Frau einen schon lange gehegten Wunsch erfüllen und ihr die Einrichtung eines Biedermeierzimmers schenken. Aber echt muß jedes Stück sein, das ist die Hauptbedingung. Ich erzählte ihm, Sie hätten erst vor kurzem eine solche Einrichtung erworben, die wirklich keine Nachahmung sei. Nein, echte, wirkliche Biedermeiermänner und -frauen hätten auf den grundsoliden Stühlen gesessen und ihre von Wertherstimmung übergossenen Gesichter in dem flachrahmigen Spiegel gespiegelt. — Der Hinweis genügte, den Kommerzienrat zu veranlassen, Ihrer ollen Bude hier einen Besuch zu machen, um die Geschichte anzugucken und, wie ich hoffe, auch zu kaufen.“
Zacharias Heyden verneigte sich dankbar.
„Wie nett von Ihnen, sich für mich zu bemühen, Herr von Wetterland.“
Er war ein guter Geschäftsmann und konnte in Augenblicken, die seine geschäftliche, praktische Aufmerksamkeit erheischten, vollständig seine Uhren vergessen.
Lisl stand und hatte der kurzen Unterhaltung beigewohnt. Ueber der weißen Stirn zitterte ein unmutiger Schatten. Nun schien Herr von Wetterland gar nicht mehr daran zu denken, ihr irgendeine Erklärung für seine vorhin gemachten Andeutungen zu geben. Und in des Vaters Gegenwart war es auch wohl besser so, denn er behauptete doch, obwohl er sie in seinem Reich gewähren ließ, sie besitze keinen Geschmack.
Friedrich Wetterland nickte ihr zu, und seine hübschen, junggebliebenen Augen zwinkerten sie an, als sei sie eine Verbündete.
„Ja, aber die Sache hat noch einen Haken, lieber Heyden, der Kommerzienrat möchte das betreffende Zimmer nämlich besonders nett und traulich herrichten lassen, will aber von einem Durchschnittsdekorateur nichts wissen. Seine Gattin ist stark schöngeistig veranlagt und stellt Ansprüche.“
Heyden zog mit der mageren Rechten seinen grau- und braunfaserigen Spitzbart lang.
„Wenn es sein muß, will ich mich selbst darum kümmern und die Aufstellung der Möbel übernehmen. Aber wenn ich mich davor drücken kann, tue ich es natürlich.“
Wetterland zwinkerte ihr schon wieder zu. Lisl sah es ganz deutlich, aber zugleich erwachte auch in ihr eine Ahnung von dem, was Wetterland, der wie die verkörperte Vornehmheit in dem alten Strohsessel lehnte, beabsichtigte.
Und nun sagte er es denn auch klipp und klar heraus. Lisl zitterte darob förmlich vor Freude, aber ihr Vater lachte voll überlegenen Spottes:
„Herr von Wetterland, Sie treiben natürlich nur Scherz, denn mein Mädel kann sich doch nicht ernstlich damit befassen, so ein Zimmer einzurichten, bei dem es wirklich darauf ankommt.“ Er zupfte an der rotsamtenen Wappendecke. „Ueberzeugen Sie sich doch mal, was für einen Unfug sie sich hier wieder geleistet hat. Die Wappendecke über dem Nähtischchen. Solche Zusammenstellung tut meinem Geschmack förmlich weh.“
Wetterland legte sich kräftig für Lisl ein.
„Der Geschmack Ihrer Tochter mag nicht jedermann zusagen, aber ich muß Ihnen ehrlich bekennen, ich finde ihn eigenartig und stimmungsvoll, und niemand als Ihre Tochter erscheint mir berufener, sich in so einem Geschäft wie dem Ihren künstlerisch zu betätigen.“
Er wandte sich mit freundlicher Gebärde an Lisl.
„Ich verspüre tollen Durst, würden Sie so liebenswürdig sein, mir ein Glas Wasser zu kredenzen.“
Lisl merkte, Herr von Wetterland wollte sie nur für kurze Zeit aus dem Laden entfernen, sie sollte nicht Zeuge seines weiteren Gespräches mit dem Vater sein.
Mit einem kleinen, hoffnungsvollen Lächeln entfernte sie sich.
Kaum war der schwere Vorhang hinter ihrer Gestalt zusammengefallen, so begann Wetterland eifrig auf den Antiquar einzureden.
„Weshalb machen Sie die Augen nicht auf, wo es doch Wertvolles zu sehen gibt, weshalb lassen Sie Ihrer Tochter keine größere Freiheit auf dem Gebiet, darauf ihre ganze Begabung hinweist? Ich habe Lisl schon seit Jahren beobachtet und immer wieder gefunden, daß alles, was ihre Hände berührten, sich förmlich verwandelte. Wenn Lisl Ihnen, mein lieber Heyden, hier im Laden nur ein Väschen zurechtrückte, dann fiel es auf, dann kam des Väschens Reiz zur Geltung. Lisl besitzt einen ganz wunderbaren Schönheitssinn, und es könnte wirklich nichts schaden, wenn Sie ihr die Anordnung im Laden und den Schaufenstern vollständig überließen.“
Zacharias Heyden schnurrte ein paarmal mit den Füßen, was bei ihm ein Zeichen von Verstimmung war.
„Herr von Wetterland, ein junges Mädchen soll sich in den Jahren, in denen sich Lisl befindet, auf die künftige Hausfrau vorbereiten, und dazu ist es nicht nötig, daß sich ihr Schönheitssinn damit befaßt, einen alten Antiquitätenladen für die Augen der Kunden wohlgefälliger herzurichten.“
Der andere lächelte fein.
„Schade, daß Sie so denken, aber vielleicht werden Sie doch noch einmal anderer Meinung.“
Er wollte noch etwas hinzusetzen, doch die Ladenklingel schrillte, und zugleich öffnete sich die Tür von der Gasse her. Dadurch ward dieser Unterredung vorläufig ein Ziel gesetzt.
Kommerzienrat Heumann trat ein. Er grüßte mit einer kurzen Handbewegung nach dem Hut, dann bot er Wetterland die Rechte.
„Schon hier? Besten Dank! Also können wir wohl die Biedermeiersachen beaugenscheinigen.“ Sein Blick irrte wie suchend durch den langgestreckten Raum, um plötzlich an dem Nähtischchen hängenzubleiben.
Ein Schmunzeln zitterte um den bartlosen Mund.
„Famose Zusammenstellung“, lobte er, „die hocharistokratische Decke über dem spießigen Biedermeier, alle Achtung!“
Wetterland schielte zu Heyden hinüber, dann sagte er:
„Dergleichen Einfälle stammen von der Tochter des Herrn Heyden.“
Der Antiquar ging schnell mit einem höflichen: „Darf ich die Herren bitten, mir zu folgen“, voran in einen seitlichen Nebenraum des Ladens, wo die Biedermeiermöbel standen.
Eckschrank und Kleiderschrank, Schreibtisch, Rundtisch, Spinett und Stühle waren dicht und wirkungslos hingestellt. Und schön waren die Möbel! Aus ziemlich hellen Birnbaumholz mit reichen Ebenholzintarsien. Auch waren sie tadellos erhalten.
Heumann äußerte sich anerkennend.
„Die Sachen dürften auch meiner Frau gefallen. Sagen Sie, Herr Heyden, könnten Sie mir, wenn ich kaufe, jemanden nennen, der das Zimmer recht schön und ganz im Sinne der Zeit, aus der die Möbel herrühren, einrichtet?“
Heyden war dienstbeflissen.
„Gewiß, Herr Kommerzienrat, und zwar werde ich das gern selbst übernehmen.“
Wetterland machte eine abwehrende Handbewegung.
„Lieber Heumann, ich gebe dir den guten Rat, sichere dir für den Zweck, zugleich mit dem Kauf der Möbel, die Feenhand und den Schönheitssinn Fräulein Heydens, denn dann kannst du sicher darauf rechnen, deiner Frau eine besonders gelungene Ueberraschung zu bieten.“
Heyden zuckte die Achseln.
„Das ist nur Einbildung von Ihnen, Herr von Wetterland.“
Der Kommerzienrat achtete gar nicht auf den Einwurf, sondern sagte kurz:
„Also ich kaufe nur dann, wenn Ihre Tochter es übernimmt, das Biedermeierzimmer einzurichten.“
Zacharias Heyden ärgerte sich über Wetterlands Art, ihm alles weitere Bestimmen über den Punkt genommen zu haben, denn was blieb ihm jetzt übrig, als sich zu fügen.
Mit süßsaurer Miene ging er auf die gestellte Bedingung ein, denn bisher hatte der Kommerzienrat noch nicht einmal nach dem Preis gefragt, und solche großzügigen Käufer waren selten.
Er rief die Tochter, und Lisl kam. Schlank, blutjung.
Der Kommerzienrat hüstelte.
„Ist das wirklich das Fräulein …?“
Er brach ab. Wetterland lachte.
„Ich verstehe dein Staunen, lieber Freund, aber Fräulein Lisl ist tatsächlich trotz ihrer Jugend die Dame, die ich dir empfohlen habe, um von ihr das Biedermeierzimmer für deine Frau einrichten zu lassen.“
Lisls Augen glänzten, eine feine Röte schimmerte unter der matten Haut auf. Sie war Wetterland in diesem Augenblick so dankbar, daß sie ihm am liebsten mit lauten Freudengeschrei um den Hals gefallen wäre. Und nun setzte er, zum Kommerzienrat gewandt, auch noch hinzu:
„Ich übernehme jede Bürgschaft, daß du von ihren Leistungen zufriedengestellt sein wirst.“
Lisl warf dem alten Freunde, der stets nett und gütig gegen sie gewesen war, einen warmen Dankesblick zu.
Zögernd meinte sie:
„Ich hoffe zuversichtlich, Herr von Wetterland hat recht, allerdings habe ich noch niemals ein vollständiges Zimmer eingerichtet, aber gern täte ich es, herzensgern.“
Ein entzückendes Geschöpf, dachte Heumann und begriff nicht recht, wie dergleichen hier unter all dem alten Kram so prachtvoll hatte gedeihen können. Er lächelte Lisl beruhigend zu.
„So machen Sie eben bei mir Ihren ersten Versuch. Für alles, was außer den Möbeln als Darumherum nötig ist, stelle ich Ihnen einen unbeschränkten Kredit zur Verfügung.“
Ueber Lisls feine Züge breitete es sich wie der Abglanz eines stillen Träumens, und versonnen sprach sie:
„Oh, es soll schön und heimisch werden, das alte Zimmerchen, wie ein süßtrauriges Gedicht aus ferner Zeit.“ Sie reichte dem Kommerzienrat die Hand. „Ihre Gattin wird Freude daran haben, das glaube ich versprechen zu können.“
Zacharias Heyden beobachtete Lisl, und eine leichte Rührung meldete sich in ihm. Vielleicht hatte Wetterland doch nicht so ganz unrecht gehabt vorhin. — Hm, wenn’s dem Mädel Spaß machte, mal ein bissel Dekorateurin zu spielen, weshalb wollte er ihr da Hindernisse in den Weg legen? Mochte sie tun, was ihr Vergnügen bereitete. Nahm sie ihm dabei zugleich Arbeit ab, so wollte er froh sein; desto mehr Zeit blieb ihm für seine Uhren, und das war doch das Wichtigste.
Uebrigens ein tadelloser Käufer, dieser Kommerzienrat, er zuckte nicht mit der Wimper, als er von ihm für die Möbel einen Preis verlangte, den er niemals dafür zu bekommen erhofft hatte.
*
Die alten Häuser am Geistpförtchen lagen in tote, stumpfe Nachmittagsstille eingebettet. Ein Möbelwagen stand vor dem Antiquitätenladen, und kräftige Hände luden die Birnbaumholzmöbel auf.
Lisl war schon seit Tagen an der Arbeit.
Frau Kommerzienrat Heumann hatte vor Wochenfrist eine Erholungsreise angetreten, und diese Zeit, da sie fernblieb, mußte nun benutzt werden, damit sie, wenn sie heimkehrte, ihren Wunsch, ein Biedermeierzimmer zu besitzen, erfüllt fand. Der Kommerzienrat ließ das junge Mädchen frei schalten und walten; eine Empfehlung Wetterlands galt ihm sehr viel.
Vom Tapezierer hatte Lisl die Wände des Zimmers mit einem ganz eigenartigen Stoff überspannen lassen, den sie nach langem Wählen für ihren Zweck als geeignet befunden. Mattgrüne Seide mit roten Herzchen durchwirkt. Auf diesen Hintergrund hängte sie ein paar hübsche Brustbilder aus des Vaters Geschäft. Frau mit korkzieherlockenumbaumeltem Gesicht, und Männer, denen der Kopf würdig und wichtig aus dem Vatermörder herauswuchs. Den Boden deckte ein verblaßter Teppich mit Rosenstreumuster, und die blütenweißen Vorhänge, die sich zierlich gerafft vor den Fenstern bauschten, waren aus dickem Tüll mit Ranken in Durchzugsarbeit.
Lisl befand sich ganz allein in dem auch schon ohne die Möbel gemütlichen Gemach, und ihre prüfenden Blicke stellten immer von neuem fest: das Bild, das ihr vorgeschwebt, als sie ihre Arbeit in dem reichen Hause des Kommerzienrats begann, fügte sich zusammen, wie sie es erstrebt.
Nun mußte bald der Möbelwagen kommen, da gab es dann das letzte zu tun, aber immerhin vielleicht auch das schwerste. Wie einem Künstler war ihr zumute, der vor Eifer und Freude sein Werk gedeihen sieht und doch zugleich bangt, es möge mißlingen.
Sie lächelte leise vor sich hin.
Wundervoll war es jedenfalls, dergleichen tun zu dürfen, wie sie jetzt. Sie überhörte, tief in ihre Gedanken verstrickt, das Oeffnen der Tür und schrak zusammen, als sich ihr von hinten zwei Hände über die Augen legten.
Der weiche Teppich hatte den Schall der Schritte aufgefangen.
„Wer bin ich, rate gut, Lisl, sonst kostet es Buße.“
Lisl lachte laut und schob die anderen Hände kräftig weg.
„Laß doch die Dummheiten, Eberhard.“ Sie drehte sich schroff herum, und ihre Blauaugen blitzten den großen, jungen Mann, der vor ihr stand, an. Scherzend schalt sie: „Was fällt dir überhaupt ein, hier wie ein Dieb hereinzuschleichen. Ein gebildeter Mensch pflegt zuerst anzuklopfen. Selbst der Hausherr, Herr Kommerzienrat Heumann, der es eigentlich nicht nötig hätte, tut das, nur Eberhard von Wetterland muß immer alles anders machen als andere Menschen.“
„Ja, das erzählt mein Vater mir jeden Tag, also muß es wohl wahr sein“, nickte der junge Mann in komischer Zerknirschung. „Uebrigens, da wir gerade von meinem Vater reden, fällt mir auch der Hauptzweck meines Erscheinens ein. Seine Hochwohlgeboren Herr von Wetterland senior schickt dir nämlich ein halbes Dutzend Schattenrißbildchen, er will sie der Frau Kommerzienrat für diese Bude schenken und läßt dir sagen, du möchtest ein nettes Plätzchen dafür aussuchen.“
Er zog aus der einen Tasche seines kurzen, hellen Ueberziehers ein Päckchen, das er Lisl hinhielt.
Das junge Mädchen riß hastig die zusammenhaltende Schnur auf und, sich auf einen Schemel niederlassend, betrachtete sie die kleinen, kaum handgroßen Schattenrisse.
„Die Tapete mit den Herzchen ist entzückend“, sagte Eberhard.
„Ja, findest du?“ Lisl sprang auf, und mit freudiger Miene erklärte sie:
„Bestelle deinem Vater, ich würde die Bildchen so unterbringen, daß sie voll zur Geltung kämen.“
Eberhard von Wetterland achtete kaum auf das, was Lisl sagte, seine Augen hingen wie gebannt an ihrer schlanken Gestalt und dem reizenden Gesicht, um das die dunklen Haare in metallen schimmerndem Schwarz lagen.
Eberhard kannte Lisl schon von frühester Jugend an, denn er hatte den Vater oft in das alte Haus am Geistpförtchen begleitet, dessen Eigentümer der Vater war, und daher kam es auch, daß er sich noch heute mit Lisl duzte wie in jenen Kindertagen. Aber niemals war es ihm bisher aufgefallen, wie seltsam hübsch Lisl Heyden war und welchen merkwürdig schönen Gegensatz die blauen Augen unter den schmalen wie mit einem Pinsel gezogenen Brauen zu dem reichen Schwarzhaar bildeten, das dicht und fest geflochten den Hinterkopf wie ein großes Nest deckte.
Hübsch war Lisl Heyden, wenn sie auch nicht mit Annemie Heumann zu vergleichen war, der er bisher nachgestiegen, als hinge sein Lebensheil von ihr ab, und die sich zu anderen über ihn lustig machte und ihn „grün“ nannte, weil er ihr gelegentlich eines Ballgespräches erzählt hatte, bisher habe noch nie ein Wetterland eine Bürgerliche geheiratet.
Die rotlockige Annemie war sehr schön und wirkte so erregend, kein Wunder, daß sie eine stattliche Zahl von Anbetern hinter sich herzog wie ein Komet seinen Schweif.
Immer noch betrachtete Eberhard das junge Mädchen und unwillkürlich dachte er daran, daß die schwarzen Zöpfe, wenn man sie aus dem Nest befreite, sich bis über Lisls Knie hinunterschlängelten. Er erinnerte sich, daß er als schon ziemlich großer Junge öfter im Scherz mit ihr Pferdchen gespielt, und des kleinen Mädels prächtige lange Zöpfe waren die Zügel gewesen. Alle Leute hatten gelacht über das merkwürdige Gespann, das da durch das Geistpförtchen zum Main hinunterjagte, bis er als Kutscher doch etwas allzu heftig mit den Zügeln umgegangen war und das kleine Pferdchen zu weinen anfing. Er stand damals im vierzehnten, Lisl im achten Lebensjahr. Er mußte bei dem Gedanken an die beinahe vergessene Episode, die plötzlich so lebenswarm vor ihm aufstieg, lächeln, und er brachte Lisl die kleine Geschichte ins Gedächtnis zurück.
Lisl lachte.
„Du warst ein roher Kutscher, Eberhard, und hättest damals eigentlich eine Anzeige beim Tierschutzverein verdient gehabt.“
Eberhard trat ganz nahe zu ihr, und der warme Hauch seines Mundes streifte Lisls Gesicht, da er ihr halblaut zuraunte:
„Ich gäbe was darum, deine Zöpfe jetzt einmal sehen zu dürfen.“
Lisl wollte wieder lachen, aber es gelang nicht. Etwas Fremdes, Heißes hatte in der Stimme Eberhards gelegen, das sie nicht kannte, das sie stumm machte, als habe sie ein Unrecht begangen, das sie nicht eingestehen durfte.
Seine grauen, herrischen Augen blitzten sie von ganz nahe an, und flüsternd glitt es ihr ins Ohr: „Klein-Lisl, du bist wunderhübsch geworden.“ Und ehe sie es sich versah, hatten sich zwei Arme um sie geschlungen, und ein Kuß brannte auf ihrem Mund, der war wie heißer Wein.
Aber sie mochte sich nicht wehren, denn eigentlich war doch alles wohl so in der Ordnung. Eberhard war ihr gut, und sie, diese Gewißheit sprang mit einmal riesengroß in ihrer Seele auf, sie hatte ihn unendlich lieb, den blonden, großen Jugendfreund, der sie schon als Kind tyrannisierte, und dem sie doch nie ernstlich zu zürnen vermocht hatte.
„Liebe, kleine Lisl“, flüsterte die Männerstimme, und die korkzieherlockenumbaumelten Dämchen auf den Bildern blickten ebenso verwundert wie die gemalten Herren auf das Pärchen hernieder, das da mitten auf dem Teppich stand und sich küßte, als gehöre das auch zur Zimmereinrichtung. Die roten Herzchen auf der lichtgrünen Seidentapete schienen flammender zu glühen, und ein Amor, der, eine Fackel haltend, auf einem Säulchen stand, bemühte sich, die Fackel höher zu halten, obwohl es nichts zu beleuchten gab, denn es war ja ein sonnenlichter, klarer Nachmittag Anfang September.
Draußen sprang das Sprechen einer hellen Stimme auf.
In der nächsten Sekunde hatte Eberhard die schmale Mädchengestalt auch schon hastig losgelassen und befand sich gleich darauf einige Schritte entfernt von ihr.
Die Tür ward aufgestoßen, eine Dame stand auf der Schwelle, und ein blasses, hochmütiges Gesicht verzog sich zu spöttischem Lächeln.
„Guten Tag, Herr von Wetterland. Der Diener sagte mir eben, daß Sie hier seien.“
Lisl fand die Stimme unmelodisch und wehetuend, aber ihr Auge hing mit leichter Neugier an der nun vollständig Eintretenden, denn sie hatte schon so viel von der Schönheit der Tochter des Kommerzienrats gehört und sie doch bisher immer nur von weitem gesehen. Und wie Lisl die andere so anschaute, mußte sie sich eingestehen, daß Annemie förmlich blendend wirkte. Rotgoldenes Haar war in künstlerischer Frisur breitwellig aufgesteckt, und die großen, tiefblauen Augen hoben sich wie dunkle Edelsteine von der fast unnatürlich zarten Haut ab, die meist den Rothaarigen eigen. Brennendrot glühten die Lippen in dem schneeigen Gesicht, und die winzigen Zähne waren wie blauweiße, gerade gefeilte Steinchen.
So herzlich unbedeutend kam Lisl sich in diesem Augenblick vor und war doch eben noch so stolz gewesen, weil ihr Eberhard ihre Zöpfe gelobt und ihr ins Ohr geflüstert, sie sei hübsch.
„Sie helfen wohl der Dekorateurin beim Zimmereinrichten?“ spöttelte der rote Mund zu dem Manne hinüber. Und ehe Eberhard auch nur eine Silbe zu entgegnen vermocht hätte, warf sie Lisl zu:
„Weshalb pfuschen Sie eigentlich den Männern ins Handwerk, Fräulein? Ich an meines Vaters Stelle hätte Ihnen solche Arbeit nicht anvertraut. Der Hoftapezierer Lauer, der sonst dergleichen für uns macht, würde sich doch wohl besser mit der Aufgabe abgefunden haben, die Sie nun übernahmen.“
Lisl blickte Eberhard an. Es war fast, als bäte sie ihn stumm, doch die Antwort für sie zu übernehmen. Doch Eberhard biß nur auf seiner Unterlippe herum, nicht die geringste Bewegung deutete an, daß er sich zu einer Antwort anschickte.
In Lisl war ehrlicher Zorn. Gewiß, ihr selbst geschah ein großer Gefallen dadurch, daß sie das Zimmer einrichten durfte, aber sie nahm ja kein Geld für ihre Arbeit, es war ihr Belohnung genug, sie tun zu dürfen.
Ihr bräunliches Gesicht färbte sich, und stolz sprach sie:
„Ich bin keine bezahlte Dekorateurin, hoffe aber trotzdem, schon aus Lust und Liebe zur Sache, dasselbe zu leisten wie eine solche.“
Eberhard ließ seine Augen rasch zwischen Annemie und Lisl hin und her wandern. Dann zuckte es ein wenig spöttisch um die von einem kleinen blonden Bärtchen überschatteten Lippen. Wie war er nur auf die tolle Idee verfallen, die rassige, gefeierte Tochter des Kommerzienrats vorhin mit der kleinen Lisl aus dem düsteren Antiquitätenladen am Geistpförtchen zu vergleichen?
Lächerlich war das.
Die Kindheitsfreundin war ein nettes Kerlchen, dem man allenfalls mal heimlich einen Kuß geben konnte. Sein Vater tat zwar, als sei die kleine Händlerstochter eine Prinzessin und sprach von ihrem bißchen Talent, Möbel und dergleichen zu verstauen, als sei das eine Kunst. Nun, der Vater hatte überhaupt über vieles merkwürdige Ansichten. Eberhard seufzte heimlich.
Er konnte ein Lied davon singen.
Er mischte sich jetzt ein.
„Fräulein Heyden ist die Tochter des bekannten Antiquars, der in unserem Hause am Geistpförtchen wohnt. Fräulein Heyden und ich kennen uns schon von Kindheit an.“
Lisl hatte das Empfinden, als sagte er das letztere förmlich entschuldigend.
Und nun fügte er in demselben Tone hinzu:
„Ich brachte Fräulein Heyden ein paar Schattenrisse, die mein Vater zur Ausstattung des Zimmers beisteuert, das mag Ihnen meine Anwesenheit hier erklären, mein gnädiges Fräulein.“
Annemie Heumann nickte gnädig. „Ach so!“
An Lisl verschwendete sie keinen Blick mehr. Dafür aber begann sie sich umzusehen. Plötzlich ein girrendes Lachen.
„Wie finden Sie die Wandbespannung, Herr von Wetterland? Ich geschmacklos. Diese tollen Herzchen auf dem Grün könnten mich nervös machen. Hoftapezierer Lauer hätte dafür sicher und richtiger ein hübsches Blumenmuster gewählt.“
Eberhard zuckte nur die Schultern.
„Ich bedaure, mich da nicht äußern zu können, aber mein Urteil dürfen Sie in solchen Dingen nicht anrufen, das ist nicht maßgebend, gnädiges Fräulein.“
Lisl glaubte nicht recht zu hören. Hatte er nicht erst vorhin, nachdem er ihr die Bildchen übergeben, geäußert, die Tapete mit den roten Herzchen sei entzückend?
Wie ein Eiseshauch ging es über sie hin.
Es war, als wüßte Eberhard, was sie dachte.
Mit einem kleinen, gequälten Lachen meinte er zu Annemie:
„Verzeihen Sie die Annahme, gnädiges Fräulein, aber vielleicht verstehen wir beide nicht genügend von der Geschichte hier“, er machte eine bezeichnende Handbewegung. „Ich wenigstens will offen bekennen, mir gefällt alles Moderne, Neuzeitliche viel besser als die Dinge, die dem Geschmack unserer Urgroßmütter zusagten.“
Sein bewundernder Blick überflog die Gestalt der jungen Dame, um deren zartes Antlitz das Goldhaar flimmerte und gleißte.
Ein elfenbeinfarbenes Tuchkleid, mit schwarzem Samt geschmückt, legte sich weichfaltig um die von mancherlei Sport beinahe überschlanken Glieder, ‘und das düstere, glänzende Schwarz des Besatzes hob das milchige Weiß der Haut doppelt. Es war, als wüßte nun Lisl wiederum, was Eberhard dachte, denn auch sie nahm das Bild der Kommerzienratstochter in sich auf. Ihr Schönheitssinn war viel zu stark entwickelt, um sich durch eine wenn auch begreifliche Abneigung dazu verleiten zu lassen, ungerecht zu sein. Annemie Heumann war vielleicht eine ungewöhnlich reizvolle Erscheinung und vielleicht die vollendetste Vertreterin des modernen Begriffs von Frauenschönheit, fand Lisl. Die verletzende Art Annemie Heumanns hatte sie gekränkt, aber ihre Augen spiegelten dennoch ehrliche Bewunderung für die Schönheit der hochmütigen Dame wider.
Annemie verstand solche Blicke richtig einzuschätzen. Tagtäglich sprang ihr ja Bewunderung und Staunen entgegen und taten ihr gut. Ein kleines Wohlwollen in ihr regte sie zum Gnädigsein an, und so sagte sie denn, damit zugleich Eberhards letzten Satz beantwortend:
„Sie haben recht, Herr von Wetterland, vielleicht verstehen wir beide nichts vom Geschmack der Urgroßeltern“, und dann mit einem Lippenhochwerfen: „Möglich, daß die roten Herzchen auf der grünen Seide gerade bezeichnend sind für die Zeit, in der so sentimental und phrasenhaft geliebt wurde.“
Lisl hätte am liebsten eine Lanze gebrochen für die also geschmähte Zeit und erwidert, daß man einstmals noch echter und stärker zu lieben vermocht hätte als heute, da man durch die technischen Erfindungen, die Raum und Zeit ein Schnippchen zu schlagen verstanden, so eilig geworden, daß man sich kaum für echte Gefühle Muße nahm.
Aber sie schwieg.
Auch wenn sie dem dahingeschwundenen Postkutschwagen das begeisterte Lob gespendet hätte, die beiden, die sich mit ihr im Zimmer befanden, würden sie doch nicht verstehen.
„Ich muß jetzt zu einer Freundin, wir haben uns verabredet“, sagte eben Annemie Heumann und reichte Eberhard die Fingerspitzen der Rechten, an der für ein junges Mädchen zu viele und zu kostbare Ringe glitzerten.
„Auch für mich ist‘s Zeit“, erwiderte Eberhard, und Lisl beobachtete, wie seine sonst so herrischen Augen so weich an dem Antlitz Annemies hingen.