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"Zeitschleife auf der 8" ist ein Drama um die mehr oder weniger wissentliche Beteiligung von Personen und Familien an der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger einer Kleinstadt in der Grafschaft Bentheim während der Nazizeit. Reflektiert werden die seelischen Auswirkungen dieser Geschehen auf die Nachkriegsgenerationen am Beispiel des Seelsorgers Pastor Johann de Buer, der erst nach einem achtjährigen Aufenthalt in der Station 8 der Psychiatrie seine geschichtliche Identität zurückgewinnt.
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Seitenzahl: 77
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Auftretende Personen:
Dr. Johann de Buer
Patient, Patient, Pfarrer Pfarrer und und Psychologe Psychologe
Dr. Picard
Chefarzt Chefarzt der der Psychiatrie Psychiatrie
Schwester Felicitas
Krankenschwester Krankenschwester
Dr. Barbara Loevenich
Neurologin Neurologin
Jonathan
Patient Patient
Holli
Freund Freund von von Johann Johann
MariLu
chter Tochter von von Johann Johann
Paula Wagenknecht
Patientin Patientin
Peter Peterson ‚Mizar‘
Patient Patient
Benno Freytag
Stadtverwaltung Schüttorf
Dr. Karl W. ter Horst ist Autor von theologischen und sozialwissenschaftlichen Büchern. Er lebt in Ohne, einem Dorf in der Grafschaft Bentheim. Das vorliegende Textbuch ist die Bühnenfassung seines Romans Zeitschleife auf der ‚8‘.
1. Akt – Mittwoch
Szene 1
Szene 2
Szene 3
Szene 4
Szene 5
2. Akt – Donnerstag
Szene 6
Szene 7
Szene 8
3. Akt – Frei …
Szene 9
Szene 10
Szene 11
Szene 12
Szene 13
Johann rennt durch den Zuschauerraum in Richtung Bühne. Aufgebracht schreit er.
Das ist nicht meine Tochter! Das ist nicht meine Tochter...
Auf der Bühne gerät er ins Stolpern, rutscht lang über den Boden und schlägt mit dem Kopf gegen eine sich öffnende Tür.
Besinnungslos bleibt er liegen.
Licht aus.
Johann liegt auf einem fahrbaren Krankenbett. Schwester Felicitas an seiner Seite über ihn gebeugt. Dr. Picard (weiße Hose, weißes Hemd mit schwarzer Fliege, Arztkittel, Typ, leicht schusselig, aber intelligent) kommt hinzu auf die andere Seite.
Dr. Picard
Was ist passiert?
Schwester Felicitas
Der kam schreiend durch den Flur gerannt. Schrie immer wieder "Das ist nicht meine Tochter!", stürzt, rutscht längs über den Flur und knallt mit dem Kopf gegen eine Zimmertür, die just in dem Moment aufgeht. Pfleger Ober-Manni ruft noch "Achtung: da kommt der Pastor angeflogen!", aber dann...
Dr. Picard
Ober-Manni?
Schwester Felicitas
Ja, Manni, wir nennen ihn so, weil er in seiner Freizeit kellnert.
Dr. Picard
So, so, Ober-Manni. Und? Bewusstlos?
Schwester FelicitasWer, Ober-Manni?
Dr. Picard
Nein, er, unser Pastor!
Schwester Felicitas
Nicht ganz, hab etwas nachgeholfen.
Sie deutet mit den Fingern die Bewegung mit einer Injektionsspritze an.
Dr. Picard
Ach, Ihr berühmter Cocktail.
Ist doch ein Jammer, dass seine Tochter ausgerechnet heute am Mittwoch kommen musste. Wo er doch immer so fit ist. Hätte ihn gern auf Patientenbesuch dabei gehabt.
Schwester Felicitas
Meinen Sie denn, dass das so weitergeht? Er vergisst doch Tag für Tag alles und jeden!
Dr. Picard
Hat auch sein Gutes, meine Liebe, dann kann der Pastor ganz unvoreingenommen auf die Patienten zugehen. Und seine tollen Einfälle für Gesprächsführung und Seelsorge, die hat er doch immer drauf. Die Leute lieben ihn. Aber das geht eben nur an den drei Tagen seiner Zeitschleife.
Schwester Felicitas
Eigentlich nur zweieinhalb Tage: Mittwoch, Donnerstag und Freitagvormittag. Irgendetwas muss an jenem Freitag um die Mittagszeit passiert sein, dass alles so abrupt abbricht und er uns dann immer bis zum folgenden Mittwoch völlig entgleitet.
Dr. Picard
Ja, ja, Schwester Felicitas, die Katastrophen vor langer Zeit, wer wollte sie ergründen? Vor allem, wenn einer wie er so dicht macht. Aber seiner Zweieinhalbtagewoche bleibt er wenigstens sich und uns gegenüber treu ..., so...
Schwester Felicitas
Er kommt zu sich, Dr. Picard, sehen Sie nur!
Dr. PicardDa sind sie ja wieder, mein Lieber, haben bestimmt einen ganz schönen Brummschädel und ganz viele Sternlein gesehen, nicht wahr?
Johann
Keine Sterne. Schwarze Punkte und ein Rieseninsekt. (fasst an die Fliege von Dr. Picard) Ich bin ganz schön hingeflogen.
Schwester Felicitas
Das hat vielleicht ausgesehen! Sind voll über den Flur gerutscht und da knallten Sie schon volles Karacho mit dem Kopf gegen die Tür. Sie waren schrecklich aufgeregt und durcheinander. Wir haben Ihnen deswegen gleich was zur Beruhigung gegeben.
Dr. Picard
Na, Sie waren ja völlig aus dem Häuschen. (legt eine Hand beruhigend auf seine Stirn)
Das war ein ausgewachsener psychotischer Schub, den Sie da hatten, mein Lieber. Die Schwester hat Ihnen erst mal eine Beruhigungsspritze verpasst. Ein Medikament, das dem früheren Haldol entspricht, nur ist es heute viel ausgereifter, hat fast keine Nebenwirkungen mehr. Sie wären sonst vollkommen in den Schub hineingerasselt. Allen voran diese Wahnvorstellungen mit Ihrer Tochter. Seien Sie jetzt ganz ruhig, Johann, und schauen Sie mich an!
Johann
Was ist mit ihr, ist sie tot?
Dr. Picard
Seien Sie ganz ruhig. Sie lebt, und sie ist auch nicht verletzt. Ich habe alles nachgeprüft, es gab nur einen Beinahe-Unfall, damals an jenem Mittwoch in Holland. Alles ist gut gegangen. Aber wahrscheinlich werden Sie mir das jetzt nicht glauben.
Johann
Glaube ich auch nicht, glaube ich erst, wenn ich sie gesehen habe, und was war das da mit dieser anderen Frau?
Dr. Picard
Die andere Frau ist weg, und sie war kein Phantom, keine psychotische Erscheinung. Wir werden gemeinsam herausbekommen, wer sie war. Im Moment fassen wir sie einfach als einen Irrläufer auf, etwas, das irrtümlicherweise hier hereinkam. Damit Sie mir glauben, dass ihre Tochter wohlauf und ganz zufrieden ist, möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen. Er nimmt seine Hand von Johanns Stirn zurück und zupft mit Daumen und Zeigefingern beider Hände seine Fliege in waagerechte Position, dann schaut er Johann mit festem Blick an.
Mit Unterstützung des Medikaments, das Ihnen die Schwester schon gegeben hat, und mit diesem Pendel möchte ich Sie in einen hypnotischen Zustand versetzen, in dem Sie den besagten Mittwoch in Holland, den Beinahe-Unfall und alle folgenden Geschehnisse noch einmal nacherleben können. Sie werden dann selbst sehen, dass Ihre Tochter gesund ist und wie Sie selbst hier im Klinikum ganz heil und munter angekommen sind.
Johann
Warum können Sie denn nicht dafür sorgen, dass meine Tochter selbst zu mir kommt?
Dr. Picard
Dafür haben wir immer noch Zeit, mein Lieber, im Moment möchte ich, dass Sie Ihr inneres Trauma mit eigener Kraft überwinden. Sie sind ein Mann, der eigentlich nur sich selbst vertraut, dann tun Sie das jetzt auch! Vertrauen Sie ganz Ihrem eigenen Erinnerungsvermögen, das ich mit Hilfe der Hypnose ein wenig freisetzen werde. Der Doktor lässt das Pendel über seinen Augen kreisen. Johann versucht, das Pendel zu beobachten und sackt langsam in sich zusammen.
Wir sind wieder in der kleinen holländischen Stadt, neben uns MariLu, die kleine Tochter. Alles ganz friedlich ..., ganz friedlich ...
Mehrere Tische und Stühle stehen wie in einem Restaurant nebeneinander. An einem sitzen Johann und seine Tochter.
MariLu
Nun guck nicht so traurig, Papa! Scheiß auf die blöden Leute von dem Buchverlag. Die verstehen dich nicht, haben doch nur dein Buch abgelehnt! Vergiss doch diese Fachbücher. Eigentlich solltest du Geschichten schreiben, das kannst du doch gut! Denk mal an die Trampelmöhrchen-Geschichten, die du mir früher immer erzählt hast. Darüber müsstest du mal ein Buch machen. Du kannst doch so wunderbar fotografieren. Dann machst du einfach die Bilder, und ich schreibe ein paar flotte Texte dazu, das müsste sich doch prima vermarkten lassen! Was meinst du?
Johann
Wie stellst du dir das vor, solche Tiere kann man nicht einfach fotografieren.
MariLu
Wir haben doch im Pastorengarten das Eichhörnchenpärchen, das den alten Ahornbaum immer rauf und runter flitzt. Und du, mit deinem Teleobjektiv, müsstest dann doch richtig tolle Fotos schießen können und mit der Sporteinstellung der Kamera sogar geile Actionaufnahmen.
Johann
Nun ist aber Trampelmöhrchen die Hauptfigur. Und so Hasen in freier Wildbahn, auf Feld und Wiese zu fotografieren, dürfte wohl mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein.
MariLu
Ich hab’ eine Idee: Wir holen Lotti von Svenja!
Johann
Wer ist Lotti und wer Svenja?
MariLu
Svenja ist die von der 5c und Lotti ist ihr Hase, ein süßer kleiner Stallhase. Der ist ganz zahm und hält beim Fotografieren bestimmt still.
Johann
Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, ich meine gemeinsam mit Mama, ob du nicht auch so einen Hasen bekommst.
MariLu
Es geht mir nicht um irgendein Haustier, es geht mir um dich und um die Rettung der Trampelmöhrchen-Geschichten. Ist das nicht Holli? Guck mal, da draußen?
Holli betritt mit Hund die Bühne und kommt zum Tisch.
Holli
Mensch, Marie-Luise, du bist auch schon fast erwachsen!
MariLu
Ist der süß! Wie heißt er denn?
Holli
Ich habe ihn Wölfi genannt. Er war in einem Tierasyl in Enschede, da habe ich ihn vor einem Jahr herausgeholt.
Seitdem sind wir unzertrennliche Freunde.
Pause – Johann schweigt und starrt vor sich hin.
Holli
Was ist los mit dir, Alter?
MariLu
Kann ich ein bisschen mit deinem Wölfi vor die Tür gehen?
MariLu verlässt mit Hund die Bühne.
Holli
Was ist passiert?
Johann
Die vom Verlag haben heute mein Buch abgelehnt!
Holli
Was denn für ‘n Buch?
Johann
Ich wollte ein Buch schreiben über ‚Neue Arbeit‘ und ‚Erneuerbare Energie‘, das heißt, eigentlich wollte ich es nur herausgeben, schreiben sollten es Menschen, die in ihren Wohngebieten, Schulen und Produktionsstätten den Industrie- und Energiegiganten etwas entgegensetzen. Mal abgesehen von den Möglichkeiten alternativer Energieproduktion geht es mir um die Regionalisierung der Versorgung, dass also nicht ständig Obst und Gemüse von Kopenhagen nach Andalusien hin und zurück transportiert werden, wie Eulen nach Athen.
Holli
Oder Kartoffelmehl von Rotterdam nach Warschau, um anschließend Geflügelfleisch und Eier auf den Lkws nach Holland zurückzukarren, wo hier Geflügel-KZs und Legebatterien schon umstrittener sind.
Johann