Zoe - bibo Loebnau - E-Book

Zoe E-Book

bibo Loebnau

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Beschreibung

Wie viel Pech in der Liebe kann man eigentlich ertragen, ohne vom Glauben abzufallen? Nach unzähligen grandios gescheiterten Fast-, Kurz- und Ganzkurz-Beziehungen zieht Zoe Bilanz und erzählt temperamentvoll und mit viel Witz ihre Geschichte: Aus Bremen zieht sie ins verlockende Berlin der 80er Jahre, mit Szenekneipen, Musik von Iggy Pop und David Bowie, Uni und interessanten neuen Menschen. Immer wieder glaubt sie, den Mann ihrer Träume gefunden zu haben, der sich jedoch meist als Fehlbesetzung oder schwul entpuppt. Entnervt schmeißt Zoe irgendwann den Job in einer Kreuzberger Galerie und macht sich, mit Unterstützung ihrer besten Freunde, in Barcelona und auf Mallorca auf die Suche nach neuen Zielen für ihr Leben - und nach ihrem Mr. Right

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Buch

Schrill, bunt und mit seinem ganz eigenen Groove ersteht in diesem Buch das Berlin der Achtzigerjahre wieder auf. Zoe streift auf der irrwitzigen Suche nach ihrem Mr. Right durch die Musik- und Partyszene der Stadt. Doch so stil- und zielsicher sie auch ist, in einem Punkt versagt ihr Gespür regelmäßig: Männer.

Nicht, dass es nicht funken will – doch meist sind die Objekte ihrer Begierde komplette Nieten oder schwul. Mit einer gehörigen Portion Slapstick entwirft die Berliner Autorin bibo Loebnau das Bild einer modernen Power-Frau, die das Leben nicht nimmt, wie es ist, sondern ihm mit einem charmanten Lächeln die Zähne zeigt.

Endlich – die ungekürzte Geschichte von Zoe!

Mit zusätzlichen Kapiteln.

„Zoe hat das Zeug zum Bestseller!“

Hape Kerkeling

„In this world there are only two tragedies. One is not getting what one wants, and the other is getting it.“

Oscar Wilde, „Lady Windermere’s Fan“

Für Hans und Heidi

Inhaltsverzeichnis

Der Anfang

Kapitel 1

Chaos

Barbara

Kapitel 2

Die Jungs

Wilhelm

Die Jungs II

Silke

Frank

Damian

Kapitel 3

Roland

Damian II

Gregor

Peter

Peter II

Peter III

Peter IV

Peter V

Kapitel 4

Steffi

Rosa

Rosa II

Siegfried

Jens

Matti

Irokese

Iggy Pop

Iggy Pop II

Kapitel 5

Malve & Krümel

Kapitel 6

Roland II

Kapitel 7

Nico

Kapitel 8

Nico II

Kapitel 9

Der Neuanfang

Die Planung

Die Reise

Die Ankunft

Die Party

Der Unfall

Der Schock

Im Krankenhaus

Der Anwalt

Mallorca

Der Vize-Meister

Der Notar

Die Konsequenz

Eine interessante Erkenntnis

Eine bittere Erinnerung

Der Ausflug

Back To The Future

Einige Monate später

DER ANFANG

KAPITEL 1

Schwüle Hitze lässt das Kleid an ihrem Körper kleben. Zoe hetzt auf ihren neuen Pumps durch die Bergmannstraße. Ständig muss sie den voll besetzten Tischen der Straßencafés ausweichen. In diesem Moment beneidet sie die sorglosen Menschen, die sich entspannt ihren Cappuccino schmecken lassen und den herrlichen Sommertag genießen. Sie ist spät dran, konnte sich einfach nicht von dem süßen Typen trennen, der sie zum Lunch eingeladen hatte. Nico! Wirklich schnuckelig – trotz, oder gerade wegen, seiner fast zwei Meter Länge. „Im Stehen reiche ich ihm knapp bis zur Schulter, aber im Sitzen sind wir auf Augenhöhe – in jeder Beziehung“, überlegt sie und lächelt in sich hinein. „Beim Küssen muss er sich dann eben zu mir runter beugen.“ Aber so weit sind sie immer noch nicht. Daran hatte sie bis vor Kurzem auch gar nicht gedacht. Dabei kennt sie Nico eigentlich schon seit Jahren. Allerdings hatte er sie bisher nie interessiert, war nur ein sehr flüchtiger Bekannter von Bekannten. Doch seit ein paar Wochen ist das anders. Ihre Mittagspause ist fast vorbei, aber schneller geht’s einfach nicht auf den schicken Schuhen.

„Ich hätte sie nicht kaufen dürfen“, sagt sie sich an diesem Tag bestimmt schon zum zehnten Mal. „Sie passen nicht und sind total unpraktisch, wenn man den ganzen Tag stehen muss. Und dann noch diese Hetzerei übers Kopfsteinpflaster.“ Als sie an einem Schaufenster vorbei kommt, muss sie trotzdem bewundernd auf ihr Spiegelbild, mit den neuen, knallroten Pumps, blicken: „Aber sie sehen verdammt gut aus!“

So, nur noch ein paar Meter bis zum Chamissoplatz. Da ist der Laden. IHR Laden – zumindest empfindet sie es so. Sie liebt die kleine Galerie.

Ihre beiden Chefs, Paul und Stefan, könnten ohne sie garantiert dicht machen. Sie schmeißt das Geschäft, kümmert sich um Termine, Künstler, Kataloge und ab und zu auch um die Kunden.

Zoe ist keine echte Galeristin, wollte auch nie eine werden, sondern jobbt seit Jahren vor sich hin. Sie wollte immer etwas Besonderes aus ihrem Leben machen. Was, das war erst mal egal, Hauptsache anders. Sie hatte die Welt bereist, interessante Menschen getroffen und sich amüsiert. Bloß keinen spießigen Allerweltsberuf und keine spießige Klein-Familie! Das war ihr Ziel – und das hatte sie geschafft … Aber so richtig zufrieden ist sie nicht damit.

Nach dem Abi in Bremen wollte sie nur möglichst schnell weg. Nach Berlin! Das war ihr schon lange klar. Sie liebte die Mauerstadt und fuhr dort hin, so oft die Schule es zuließ. Berlin hatte sie fasziniert, hier konnte sie sich ausleben, studieren, neue Leute kennenlernen. Zoe kostete jede Minute voll aus – tagsüber, aber vor allem nachts.

CHAOS

Im Herbst 1983 war der Tag da, Zoe packte Klamotten und Bettzeug in ihren alten, metallic-grünen Kadett und machte sich auf in ihr neues Leben.

Sie hatte sich an der Uni für Germanistik, Anglistik und Komparatistik eingeschrieben. Eigentlich war es ihr ziemlich egal, was sie studierte, wichtig war nur, dass es das Fach, mit ihrem Notendurchschnitt, an einer Uni in Berlin gab. Gelesen hatte sie schon immer gerne, und ihre Klassenlehrerin war früh von Zoes Begabung für Wort und Schrift überzeugt gewesen – also war Germanistik die logische Konsequenz. Englisch fiel ihr auch immer leicht, somit wählte sie noch Anglistik dazu. Und ihr drittes Fach, Komparatistik, klang so exotisch, dass jeder nachfragte. Wenn sie gleich „allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften“ gesagt hätte, wäre ihr so mancher nette Kneipen-Talk durch die Lappen gegangen.

In den ersten Semestern versuchte sie verzweifelt, einen Überblick zu bekommen – ohne großen Erfolg. Sie war genervt, dass sie in überfüllten Seminaren auf dem Boden sitzen und um die interessanteren Kurse mit ihren Kommilitonen losen musste. Also steckte sie ihre Energie in das, was sie eigentlich magisch nach Berlin gezogen hatte – das Nachtleben, die Szene! Nach ein paar Jahren Suche hatte sie endlich das Richtige gefunden: Im „Pinguin Club“ musste man nicht betont cool sein, wie in so manchem anderen Laden in den 80ern. Hier war man’s oder eben nicht. Beides war okay und keinen interessierte es. Jeder machte hier einfach sein Ding.

Nächtelang saß sie in der Schöneberger Bar und trank ihr Beck’s aus der Flasche. Als Bremerin konnte sie gar nicht anders. Beck’s aus dem Glas trank man nicht. Sie wohnte in einer hässlich-teilmöblierten Einzimmer-Wohnung in Neukölln, ging aber eigentlich nur zum Schlafen hin. Ihren Kadett hatte sie sehr bald verkaufen müssen, weil ihre Eltern nicht Wohnung und Wagen finanzieren wollten. Aber in West-Berlin brauchte man auch kein Auto. Weit kam man sowieso nicht – irgendwann stand immer unweigerlich die Mauer im Wege.

„Hat allerdings den Vorteil, dass man sich hier nicht verfahren kann“, fand sie.

Mit dem 19er-Nachtbus oder der U-Bahn fuhr sie Richtung City. Schöneberg und der „Pinguin Club“ waren meist nur die erste Station. Die winzige Kneipe war auf US-Diner getrimmt, an den Wänden hingen Fotos von Film- und Rock’n’Roll-Stars der 50er, und ein Stehtisch war auf einen alten Autoscooter montiert.

Alles gemütlich, aber das Wichtigste war das Beck’s. Sie hatte schnell festgestellt, dass es in Berlin gar nicht so einfach war, ein anständiges Bier zu bekommen. Umzingelt von Schulli, Engelhart und Kindl, musste man sich seine kleinen Pils-Oasen erst suchen. Im „Pinguin“ war sie fündig geworden und auch sonst war es nett hier. Marianne Rosenberg, inzwischen von der Schlagertante zur Punklady mutiert, und der eine oder andere „Arzt“, von der „besten Band der Welt“, konnten hier ungestört ihr Bierchen trinken.

Allein fühlte sich Zoe am Tresen nie. Dazu war der Laden zu klein. Hinterm Tresen stand entweder Kneipenwirt Volker, immer ein freundliches Grinsen in seinem roten Gesicht; Gosto, der Charmebolzen mit der Elvis-Tolle, der eigentlich Musiker war und in der Band „Die Helden“ spielte, oder ein Schmuse-Punk namens Chaos – der erste „echte“ Berliner, den sie kennenlernte.

Heute Abend arbeitete Chaos. „Na, meene Kleene, wie imma?“, begrüßte er sie freudestrahlend.

„Wie immer!“, antwortete sie grinsend. Das war ihr kleines Ritual.

„Wie findste dit?“ Chaos deutete auf den Lautsprecher in der Ecke über der Bar.

„Wieso, ist der neu?“, fragte sie verwirrt zurück.

„Nee, ick meen die Musik.“

Sie lauschte konzentriert, nahm den Rhythmus in sich auf. Harte, schnelle Beats und eine unbekannte Männerstimme, die nach jeder Menge Rauch und Whisky klang. „Spannend“, sagte sie vorsichtig. Bei Chaos wusste man nie so recht, ob er einen nicht aufs Glatteis führen wollte. Sein Lieblingsspiel war TV-Serien-Raten nach Titelmelodien.

Irgendwo hatte er vor einiger Zeit eine Kassette aufgetrieben, auf der die Intro-Musik aller alten US-TV-Klassiker, von „Flipper“ über „Bonanza“ bis „Daktari“ und „Raumschiff Enterprise“, waren. Chaos war ein echter TV-Junkie. Mittags, nach dem Aufstehen, lag er meist in Kreuzberg auf dem Sofa und sah sich wieder und wieder sämtliche alten „Enterprise“-Folgen an, die er alle mühsam auf Video aufgenommen hatte. „Jeder hat seine Macke“, dachte sich Zoe, „und ich kenn schlimmere.“

Heute Abend meinte er es aber ernst. „Spannend? Wat soll dit denn heeßen? Dit is ‚I Wanna Be A Flintstone’ von ‚The Screaming Blue Messiahs’! Die sin’ aus England und spiel’n morjen bei uns im ‚Loft’. Willste komm’? Ick lass dir für lau rinn.“

Zoe nickte begeistert. Auch wenn sie von „The Screaming Blue Messiahs“ noch nie gehört hatte – auf Chaos’ musikalisches Urteil konnte man sich verlassen.

Es war nicht das erste Mal, dass sie von seinem Zweitjob, als Türsteher des kleinen Musik-Clubs „Loft“, im ersten Stock des „Metropol“ am Nollendorfplatz, profitierte. Chaos war ein gutmütiger Typ. Auf den ersten Blick sah er allerdings Furcht einflößend aus, mit seinem dicken Bier- und Pommes-Rot-Weiß-Bauch, den zum Zopf gebundenen, langen, weißblondierten Haaren samt schwarzen Strähnen und seinen angeranzten Biker-Klamotten – in denen er abends, auf seinem Hollandrad, von Kreuzberg nach Schöneberg fuhr. Doch wenn er sie aus seinen blauen, blondbewimperten Augen anstrahlte, wusste Zoe, dass Chaos keiner Fliege etwas zuleide tun konnte – es sei denn, man reizte ihn.

Er schob ihr noch ein Bier rüber. Die anderen Gäste hatten jetzt mal Pause. „Wenn dir dit jefällt, dann musste ooch zum Konzert von ,Manowar’, nächste Woche im ,Metropol’ jehn. Ick kenn den Kollejen an der Tür, da komm’ wa so rinn. Oder, wenn de uff ,Enterprise’ stehst – ick hab alle Folgen uff Video. Könn’ wa ja mal bei mir kieken.“

„Ja, mal sehen“, sagte sie zurückhaltend und überlegte: „Na ja, wenn er mal eine Glanzspülung in sein Haar machen oder andere Klamotten tragen würde … Eigentlich ist er ja ein ganz lieber Typ. Und mit dem kann man gefahrlos nachts durch Kreuzberg und Neukölln laufen – da traut sich keiner, einen blöden Spruch zu machen. Vielleicht …“

Noch bevor sie ihren Gedanken weiterspinnen konnte, flog die metallene Eingangstür auf. „Hi Schatzi, mach ma’ ’n Bier!“ Zoe blickte sich um. Die Stimme gehörte zu einer kleinen, drahtigen Blondine. „Ganz schön kräftige Stimme für so eine winzige Frau. Die hab ich hier noch nie gesehen“, ging es Zoe durch den Kopf. „Komisches Styling, so kurze, glatte Haare. Und wie kann man sich bloß in einem gelben Minikleid, mit flachen Schuhen und dann noch ungeschminkt ins Nachtleben stürzen?“

Die Lady ließ sich mit einem kleinen Plumps direkt neben Zoe nieder. Sie schnappte Chaos das geöffnete Beck’s aus der Hand und fragte: „Na, Alter, was geht ab?“

„Äh, hallo Gaby“, stammelte er. Sichtbar aus dem Konzept gebracht, blickte er Zoe an und wieder Gaby – und wieder Zoe. „Äh, also dit is Gaby“, brachte er schließlich hervor. Als Zoe nicht reagierte, fügte er hinzu: „’ne jute Bekannte.“

Gaby drehte sich freundlich zu Zoe um. „Ja, wir kennen uns aus dem ‚Loft’.“

„So, so … Sieh an, der Chaos … Wohl doch nicht nur ‚Raumschiff Enterprise’ im Kopf …“ Aber bevor Zoe antworten konnte, drehte sich Gaby wieder zum Barkeeper um und lächelte ihn an.

„Du, Chaos, übrigens auf dein Angebot, mit dem ‚Enterprise’-Gucken, komm ich gern zurück …“ Ertappt und peinlich berührt, beeilte sich Chaos das Chaos zu klären. Zu Zoe gewandt platzte er heraus: „Also, Gaby is nur ’ne jute Freundin!“

Jetzt war es an Gaby, ihn ungläubig anzusehen. Bissig bellte sie: „Tschuldigung, dass ich existiere!“

Das war zu viel für Chaos. Er wusste nicht mehr weiter. Mit knallrotem Kopf murmelte er, den Blick krampfhaft auf die Lücke zwischen den beiden Ladys vor sich gerichtet. „Ick muss denn ma weitermachen, wa? Die ander’n Jäste …“ Konzentriert wischte er, mit einem blauen Lappen, nicht vorhandene Bierränder vom Tresen.

Zoe konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn Männer wie Mädchen reagierten, war sie entzückt. Von wegen harte Kerle mit „Ich reiß hier jede auf“-Attitüde. Am Ende wollten doch bloß alle auf den Arm. Sie fand die ganze Situation saukomisch. Was auch immer zwischen Gaby und Chaos war, es interessierte sie nicht wirklich. Der Abend hatte vielversprechend begonnen, aber nach der Vorspeise freute sie sich auf den Hauptgang. „Ich muss dann mal noch Richtung Ku’damm“, sagte sie versöhnlich zu Chaos, nickte Gaby zu und verschwand.

BARBARA

Ihr Ziel war der „Dschungel“ in der Nürnberger Straße. Wie jedes Mal, blieb es bis zur letzten Sekunde unklar, ob ihr die zickige, kleine Türsteherin gnädig Einlass in den Disco-Tempel gewährte oder eben nicht. Dazwischen gab es nichts. Bitten, betteln oder meckern nützte hier nicht. Wer reinkam, entschied der Drachen mit den langen Haaren: Sie konnte die rote Kordel anheben oder einem fies eine Abfuhr erteilen. Aber Zoe hatte fast immer Glück. Ein kurzes Nicken und schon war sie an der Schlange von Touristen vorbei und drin. Die Jacke an der Garderobe abgeben und einen Blick in den Spiegel erhaschen, waren eins. Perfekt! Sie passte ins Bild. Zoes Klamottenstil war einfach, aber wirkungsvoll: schwarz und kurz. Da konnte man nichts falsch machen. Sie hatte lange, glatte, aschblonde Haare – etwas langweilig, aber das kompensierte sie mit ihrem Styling. Der Lidschatten über ihren blauen Augen leuchtete als großer Regenbogen aus mindestens fünf verschiedenen, knalligen Farben, dazu schwarzer Kajal und blauschwarzes Mascara. Lippenstift war ihr zu lästig, weil man den dauernd nachziehen musste, und dazu hatte sie weder Zeit noch Lust.

Sehr zufrieden mit ihrem Spiegelbild drehte sie sich langsam um. Auf in den Kampf. Hier kam es drauf an – cool sein war im „Dschungel“ Pflicht. Betont gelangweilt dreinblickende Menschen nahmen jeden Neuankömmling beim Eintreten ins Visier.

Ebenso cool checkte Zoe die Lage und scannte die wilde Mischung aus Punk und Bohème ab, die auf den blauen, samtbezogenen Metallstühlen herumsaß, auf den gelb-schwarzen Fliesen stand, lässig an den Säulen lehnte oder auf den Stufen der weißen Wendeltreppe, die nach oben zur Galerie, mit blauen Samtsofas und Cocktailbar, führte. Hier ging’s ums Abchecken, war der Neuzugang genauso cool, wie man selbst oder womöglich Konkurrenz? Es war hell genug, um sich gegenseitig zu bewundern und die neuen Klamotten von Vivienne Westwood aus London vorzuführen. Hier war man auf einem anderen Stern, nicht jeder kam rein, egal ob Szenegänger oder Prominenter. Kreativität war gefragt – Hippies in Turnschuhen mussten draußen bleiben.

David Bowie, Iggy Pop und später auch Prince, der nach jedem Berlin-Konzert zum Abtanzen kam, hatten hier schon die Nächte durchgemacht – unbehelligt von peinlichen Autogrammjägern. So etwas wäre unter der Würde der „Dschungel“-Gäste gewesen. Und hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass neulich „Rambo“ Sylvester Stallone vom Türsteher abgewiesen worden war, weil er einfach nicht hierher gehörte.

Befriedigt steuerte Zoe die Cocktailbar auf der Galerie an. Dort stand heute Torsten hinterm Tresen. Als sie ihn das erste Mal sah, verschlug es ihr den Atem: ein großer, muskulöser Mann, ganz in schwarzes Leder gehüllt, schwarze Locken und die strahlend grünen Augen mit Kajal betont. Sie war hingerissen.

Wann immer er hinter der kleinen Bar auf der Empore stand, kratzte sie ihr letztes Geld zusammen, ließ sich von ihm einen fabelhaften „Gin Sour“ mixen und hielt sich daran den ganzen Abend fest – Torsten dabei fest im Blick. Er lächelte sie freundlich an und war so ganz anders, als die anderen Tresenkräfte.

Was außerdem anders war, bemerkte sie erst nach einigen Wochen – er knutschte mit einem anderen Mann. „Sind denn alle netten Männer schwul?“, fluchte sie leise vor sich hin. Zumindest für den gel“ schien das zu gelten.

Zoe erklomm auch heute die steile Wendeltreppe und ließ den Blick über die Tische mit den feinen, weißen Stoffdecken schweifen. Bierdeckel waren im „Dschungel“ verpönt und oben gab’s sowieso nur Sekt, Wein, Champagner und Cocktails. Da saß die angesagte Strickliesel Claudia Skoda, die mit ihrer avantgardistischen Mode schon in den 70ern den Stil der 80er geprägt hatte und für ihre schrägen, bunten Strickklamotten sogar von David Bowie bewundert worden war. Am Tresen lehnte der Maler Salomé, der mit seinen großformatigen Männer-Akten die jungen Wilden zum Trend gemacht hatte. Dass er früher mal Wolfgang Ludwig hieß und aus Karlsruhe kam, wusste inzwischen niemand mehr. Überhaupt hatten die meisten Künstler und Lebenskünstler sich ein Pseudonym zugelegt. Keiner hieß einfach nur Peter, Andreas oder Herbert – Lubo, Jurij, Fuchs oder Gode musste es schon sein. Oder gleich Zazie de Paris – die französische Edel-Transe war dank Peter Zadek ein echter Star und konkurrierte höchstens mit Romy Haag um einen Tisch auf der Cocktail-Galerie.

Zoe war ganz zufrieden mit ihrem Namen. Sie bestellte sich ihren Drink. Zum Wechselgeld bekam sie auch heute Torstens wunderbares Lächeln dazu. Mit dem Glas in der einen und der unvermeidlichen Zigarette in der anderen Hand, blickte sie gelassen in die Runde. Unten verschwand gerade DJ Fetisch mit einem Espresso in seiner DJ-Kabine. Die treibenden Disco-Bässe wummerten angenehm und sie genoss den Augenblick in vollen Zügen. Plötzlich ertönte eine schrille Stimme von unten: „Huhu, Zoe! Hier bin isch! Kuckuck!“

Zoe versuchte möglichst lässig, die Stimme zu ignorieren. Sie hoffte kurz, dass sie sich verhört hatte, aber da erklang sie wieder, laut und vernehmlich:

„Ey, Zoe, nu’ schau doch nit so griesgrämisch. Kommscht du nunner oder soll isch naufkomm’?“ „Oh, nein, bloß das nicht. Was soll Torsten denken, wenn er mich mit dieser Tussi sieht?“

Zoe blickte kurz runter und signalisierte: bin schon unterwegs. Widerstrebend schritt sie die Treppe hinab. Auf der untersten Stufe stand er bereits: der Albtraum in lindgrün. Dunkle Haare, spießiger Pottschnitt und ein unübersehbarer Damenbart – ihre Kommilitonin Barbara aus dem Mittelhochdeutsch-Seminar.

„Da hat man einmal sein Buch vergessen und muss bei jemand anders mit reingucken, und schon hat man die schwäbische Planschkuh an der Backe“, ging es Zoe durch den Kopf. „Wie kommt die bloß hier rein?“ Diese nichtgestellte Frage beantwortete Barbara sofort: „Isch bin mit meine Leit hier. Mei Vetter aus Hamburg und e paar Freunde von ihm, die wo an der HdK studieret. Is ja doll hier. Hascht du des Aquarium und de’ Brunnen schon g’sehn?“

„Ja“, sagte Zoe genervt, „ich bin öfter hier.“

Ehe sie sich versah, wurde sie von Barbara am Arm gepackt und mitgezerrt. Zoe versuchte erfolglos, sich aus dem Griff zu befreien, entschied dann jedoch, ihr zur Tanzfläche zu folgen.

Aus dem Augenwinkel sah sie „Dschungel“-Stammgast Jenny. Die mittelalte Punklady schmuste wie immer mit ihrer Ratte auf der Schulter und ließ das zahme Viech entspannt aus ihrem geöffneten Mund Bier schlürfen.

„Die Ratte hat immerhin schon aus dem Mund von Iggy Pop getrunken“, fuhr es Zoe durch den Kopf, „und Jenny sieht mich auch gar nicht.“ Doch plötzlich erblickte die Punklady das lindgrüne, dickliche Wesen, das Zoe hinter sich her zog.

Jennys knallrot geschminkter Mund klappte ungläubig zu, und die Ratte stupste hartnäckig, aber erfolglos, gegen ihr Gesicht.

„Erde, tu’ dich auf“, flehte Zoe und versuchte, sich unsichtbar zu machen.

Auf der knallvollen Tanzfläche ließ Barbara sie endlich los: „Huhu! Mischael! Isch hab e Freundin aus der Uni getroffen. Des is des Zoe.“

Ein pickliger Typ mit Brille drehte sich um. „BWL oder Informatik“, schoss es Zoe durch den Kopf, „Na toll, der Abend ist gelaufen.“

Michael drängte sich an zuckenden Körpern vorbei, die sich, mit geschlossenen Augen, rhythmisch zum wummernden Beat bewegten, in ihre Richtung. „Ich würd jetzt auch gern tanzen, die Augen schließen und mich ganz weit weg träumen …“ Aber daraus wurde nichts. Michael tippte unterwegs drei anderen Jungs auf die Schulter und deutete auf Barbara und Zoe. An Flucht war nicht mehr zu denken. Sie waren in der Überzahl. Ganz Gentleman alter Schule, versuchte es Michael mit einer formvollendeten Vorstellung. Doch bei der lauten Musik verstand Zoe nur Bahnhof. Als sie die Schultern zuckte, kam er ganz nah und brüllte ihr ins Ohr: „Des sin de Christoph, de Martin und de Lange do is de Nico! Isch bin de Mischael, de Vetter von des Barbara. Mir studieret in Hamburg BWL und de Nico hier in Berlin an de Kunschthochschul.“ „Na, bitte! Mein Instinkt ist noch intakt – auch wenn ich ab jetzt wahrscheinlich für immer auf dem rechten Ohr taub bin“, seufzte Zoe lautlos. In fünf Metern Umkreis hatten alle Michael verstanden und blickten die Gruppe, die so gar nicht ins „Dschungel“-Bild passte, an. Es war furchtbar. Jeder der vier wollte Zoe nun die Hand geben. Wie unangenehm. Ihr fiel nichts Besseres ein, als:

„Schön euch kennenzulernen. Schade, dass ich jetzt weg muss!“ Sie lächelte in die Runde, drehte sich auf dem Absatz um und war in Rekordgeschwindigkeit an der Garderobe und draußen auf der Straße.

„Uff. Was war das denn?“

Zoe ging unschlüssig auf der dunklen, ausgestorbenen Straße Richtung Tauentzien, wo ihr Nachtbus fuhr. Sie sah auf die Uhr: erst zwei! Der „Dschungel“ hatte bis um vier Uhr auf und normalerweise war ihr auch das noch viel zu früh. Was nun?

Ihre Laune war im Keller. Blieb wohl nur der geordnete Rückzug nach Neukölln. Mit großen Schritten – soweit es der enge Minirock zuließ – marschierte Zoe los. Abrupt blieb sie stehen.

„Moment mal! Wieso bin eigentlich ich hier draußen und die Planschkuh in ihrer lindgrünen Spitzenbluse ist da drin? Das ist mein Club! Mein Gebiet! Dafür hab ich mich heute Abend zwei Stunden lang gestylt, dreimal umgezogen und meine Füße in diese extrem unbequemen, aber mega-scharfen, schwarzen Pumps gezwängt, bin insgesamt fast eine Stunde mit Bus und U-Bahn quer durch die Stadt gefahren und hab den Kampf mit der härtesten Türsteherin der Stadt gewonnen! Ich war ganz oben – bis dieses Wesen vom anderen Planeten mir den Abend versaut hat. Und nun steh ich hier draußen, und die hat gar nicht mitbekommen, was sie angerichtet hat. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich geh wieder zurück und sorg dafür, dass dieses schwäbische Landei die Arena räumt.“

Entschlossen stöckelte sie zurück, kämpfte sich durch die inzwischen noch größer gewordene Menschenmenge vor der roten Kordel und stand schließlich wieder vor der Tür. Sie wollte gerade weitergehen, als sie die leise, aber fiese Stimme der kleinen Hexe hörte:

„Sorry! Der Laden ist voll. Komm nächstes Mal doch etwas früher.“

Punkt. Aus! Das war das Ende!

„Diese Schmach überleb ich nicht“, dachte Zoe. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte sie erwidern: „Aber ich bin’s doch. Ich war schon drin. Ich komm hier immer rein.“ Aber dann wurde ihr klar, dass es keinen Sinn hatte. Im „Dschungel“ herrschten eigene Regeln. Sie murmelte halbwegs lässig: „Na klar, kein Problem. Dann sehen wir uns nächste Woche“, und drängelte sich durch die hämisch grinsende Menge zurück zur Straße, Richtung Nachtbus. Was für ein Albtraum!

Sie sandte ein Stoßgebet in den nächtlichen Berliner Himmel:

„Hoffentlich seh ich keinen von denen je wieder. Und Mittelhochdeutsch ist ab sofort gestrichen!“

KAPITEL 2

Zoe stöckelt weiter durch die Hitze und studiert die unterschiedlichen Typen, die ihr auf der Bergmannstraße entgegenkommen. Die Füße tun ihr weh, aber eigentlich ist sie ganz zufrieden. Sie hat sich inzwischen behaglich in ihrem Berliner Leben eingerichtet. Doch etwas Entscheidendes fehlt bis dato – Mr. Right.

„Irgendwo hier muss er doch stecken …! Ich bin blond, nicht doof, nicht hässlich und schon gar nicht langweilig oder auf den Mund gefallen. Da muss sich doch jemand finden, der auf so eine klasse Frau abfährt! Aber immer, wenn ich denke, ‚DAS ist er!’ entpuppt sich das Objekt meiner Begierde als desinteressiert, beziehungsunfähig, hübsch, aber langweilig, schon vergeben - oder schwul … Warum passen bei mir Angebot und Nachfrage eigentlich nie zusammen? Ob der süße Nico endlich der Richtige ist? Allerdings gibt’s auch bei ihm immer noch einen großen Unsicherheitsfaktor … Och, das wird schon! Oder?“

Früher hatte Zoe ständig interessante Menschen kennengelernt, war fester Bestandteil der Bremer und Berliner Szene gewesen, und hinter jeder Ecke wartete eine neue Überraschung. Doch im Laufe der Jahre wurde es ruhiger. Einige Clubs machten dicht, Freunde zogen sich langsam aber sicher in Zweierbeziehungen zurück oder hatten plötzlich ganz andere Interessen. Zoe schnauft, verdreht genervt die Augen, und ihr fallen die vielen Pärchen auf, die miteinander lachen, Händchen halten und irgendwie von innen heraus strahlen. Familie und Eigenheim, Lebensversicherung und Rente, gesunder Lebenswandel und was die Nachbarn so denken, haben für sie noch nie eine Rolle gespielt.

Sie ist auch nicht der Typ, der sich enthusiastisch über einen fremden Kinderwagen beugt und „Gutschi, Gutschi, ach, wie süß!“ brüllt. Zoe findet Kinder nicht „süß“. Eher im Gegenteil. Aber diese sommerliche Kreuzberger Harmonie gibt ihr dennoch einen Stich.

Zoes Magen knurrt vernehmlich.

„Ich hab Hunger!“, schießt es ihr durch den Kopf. „Dabei hab ich doch gerade eine Stunde lang mit Nico zu mittaggegessen.“ Allerdings hatte sie beim Essen mehr darauf geachtet, möglichst amüsant und interessant zu plaudern. Ihre Portion Spaghetti mit Auberginen und Tomatensoße war darüber kalt geworden, und sie hatte nicht mal die Hälfte gegessen, als der Kellner alles wieder abräumte.

Schnell überquert sie die belebte Bergmannstraße und stürmt in den nächsten Laden. Ein paar Schoko-Kekse für die Nerven und zwei Bananen fürs gute Gewissen. Ungeduldig tritt Zoe von einem Fuß auf den anderen, während die Türkin mit geblümtem Kopftuch und bodenlangem, dunkelblauem Mantel vor ihr, in aller Ruhe den gesamten Einkauf für die ganze Woche, für ihre sehr große Großfamilie, zu machen scheint.

„Schon zehn nach drei. Stefan wird bestimmt wieder seinen berühmten, vielsagenden Blick auf die Uhr werfen. Mist!“, denkt sie genervt. Endlich ist sie an der Reihe, zahlt und saust wieder stöckelnd los – immer bergan, die Schenkendorfstraße hoch.

„Wieso gibt es eigentlich mitten in Berlin Berge?“, schnauft sie außer Atem in der heißen Mittagssonne. „Neukölln liegt ja schließlich auch nicht bei Köln, also wieso muss Kreuzberg tatsächlich bergig sein?“ Sie ist völlig fertig, und schwitzt.

Endlich, der Chamissoplatz ist schon fast in Sicht. Nur noch zweimal übers Kopfsteinpflaster balancieren, dann hat sie es geschafft.

Plötzlich fängt sie den Blick eines attraktiven, jungen Mannes auf, der sie von oben bis unten abcheckt und ihr bewundernd zulächelt. „Na, bitte – läuft doch! Mit meinem neuen Kleid und den knallroten Pumps bin ich der Knaller von Kreuzberg!“ Ihre Laune bessert sich schlagartig.

In Berlin hatte sich Zoe von der langweiligen Bremer Studentin zur lässigen Szenefrau gewandelt. Daran hatten die schwulen Freunde, die sie nach ein paar Jahren kennenlernte, einen großen Anteil.

DIE JUNGS

Zwei Jahre nach dem Barbara-Albtraum im „Dschungel“ war Zoe noch immer an der Uni eingeschrieben, aber eigentlich nur noch wegen der verbilligten BVG-Tickets und der Studentenermäßigung in Museen und Theatern. War irgendwie doch nicht so das Richtige. Und ohne ihren Schein in Mittelhochdeutsch ging’s da sowieso nicht so recht weiter. Inzwischen hatte sie eine hübsche, helle Einzimmerwohnung in Schöneberg gefunden. Natürlich 5. Stock, ohne Fahrstuhl. Die war zwar noch kleiner als die erste, aber wenigstens standen ihre eigenen Möbel drin, es war näher zu ihren nächtlichen Jagdrevieren, und außerdem gab’s Zentralheizung, statt Kachelofen. Purer Luxus! Der lindgrünen Schwäbin war sie konsequent aus dem Weg gegangen.

Stattdessen hatte Zoe an der Uni Max kennengelernt. Ein eifriger Germanist aus Sindelfingen, aber zum Glück ohne schwäbischen Dialekt. Trotz seiner peinlichen blonden Strähnchen fand sie ihn auf Anhieb süß. Er war groß, schlank und seinen etwas leiernden Tonfall fand Zoe sehr lässig. Sie ließ sich für die gleiche Arbeitsgruppe eintragen, obwohl das Thema sie nicht sonderlich interessierte. Aber irgendwie musste sie ihm ja näher kommen. Die Zusammenarbeit klappte auch sehr gut, doch außerhalb der Uni schien sie Luft für ihn zu sein. Wenn sie ihn auf dem langen U-Bahnsteig von Weitem grüßte, reagierte er einfach nicht. War er arrogant? Dann stellte sich heraus, dass er nur extrem kurzsichtig war, aber zu eitel, eine Brille zu tragen. Zoe schöpfte wieder Hoffnung. Es hätte ihr allerdings zu denken geben müssen, dass sie zum gemeinsamen Kaffeetrinken immer in den „Rosa Salon“, das Schwulen-Café an der Uni, gingen.

Tja, und irgendwann erzählte er ihr dann von seinem Freund Gregor. Schon wieder ein Fehlgriff … Aber nicht ganz, denn als sie Gregor schließlich kennenlernte, verstanden sich die beiden auf Anhieb bombig. Gregor hatte einen trockenen Humor und kämpfte ständig dagegen an, pummelig zu werden. Er war selbstständiger Grafik-Designer und stammte auch aus Norddeutschland. Als sie dann noch feststellten, dass sie beide typische Skorpione waren, stand einer Freundschaft nichts mehr im Wege.

Durch Gregor und Max lernte sie ein weiteres schwules Pärchen kennen: Ziggy, der äußerst attraktive, angehende Pop-Star – oder „Flop-Star“, wie er sich selbstironisch nannte –, der eigentlich Zahntechniker war, früher mal Christoph hieß und behauptete, die gleichen Haarprobleme wie Jennifer Rush zu haben. Und sein bodenständiger Freund Franz, ein witziger, belesener Buchhändler und begnadeter Hobby-Koch. Am Wochenende gingen sie zusammen auf die Piste. Meist ins „Querelle“, eine Schwulen-Disco im Schöneberger Kiez. Sie stylten und schminkten sich vorher gegenseitig in Gregors großer Wohnung. Zoe und Ziggy tauschten neueste Erfahrungen mit den verschiedenen Extrastrong-Haarsprays aus und toupierten die Haare in die Höhe. Ziggy in pechschwarz und Zoe in weißblond. Ihre neue, wavige Frisur war noch immer etwas ungewohnt für sie.

Ziggy hatte sie vor kurzem zum Friseur geschleppt. Die langweiligen, langen Haare mussten endlich ab. Zoe war noch nie in einem Friseursalon gewesen. Früher hatte ihre Mutter ihr die Haare geschnitten, und seit ihrem Auszug schnippelte sie sich selber die Spitzen ab. Doch Ziggy bestand darauf, dass ihrer innerlichen Wandlung, zur coolen Berliner Szenefrau, jetzt auch die äußere folgen müsse. Dann würde es sicher auch endlich mit einem Hetero-Freund klappen.

Zoe gab sich schließlich geschlagen und ging mit ihm zu einem Szene-Friseur in Kreuzberg. Unsicher versuchte sie dort, zu erklären, dass die Haare zwar ab sollten, aber nicht zu viel. Doch Ziggy setzte sich durch und erklärte der jungen Friseuse seine Idee. Begeistert griff die zur Schere, und innerhalb weniger Minuten waren die rückenlangen, mittel-aschblonden, glatten, dünnen Haare schnipp-schnapp auf weniger als Schulterlänge ab. Zoe starrte entgeistert in den Spiegel. Die Friseuse kommentierte lapidar:

„Wem lange Haare nicht stehen, der sollte sie auch ruhig abschneiden.“

Zoe blickte sie entrüstet an. „So schlimm fand ich mich in den letzten 20 Jahren nun auch wieder nicht!“

Aber nach dem Blondieren, aufwendigen Toupieren, einem Pfund Haarspray und coolem Styling musste sie zugeben:

„Sieht toll aus. Ich bin ein neuer Mensch.“ Stolz marschierte sie mit ihrem neuen Look, der perfekt zu ihren schwarzen Klamotten passte, an Ziggys Arm durch die Stadt und genoss die bewundernden Blicke. Nur manchmal erschreckte sie sich noch vor ihrem eigenen Spiegelbild im Schaufenster, weil sie die Person gegenüber nicht auf Anhieb erkannte.

Vier Wochen später war sie wieder beim Friseur. Diesmal bediente sie ein langer, dünner, junger Mann. Seine grasgrün-gefärbten Haare sahen aus wie Kunstrasen.

„Na, mal wieder was verändern?“, fragte er lächelnd.

Zoe sah ihn groß an. „Äh, toll, deine Frisur, aber ich hab mich gerade erst an mein Weißblond gewöhnt. Heute bitte nur noch ein bisschen kürzer schneiden und den Ansatz frisch ‚aufnorden’.“

Er machte sich ans Werk, und Zoe fand sich anschließend noch attraktiver.

Mit ihren weißblondierten, kurzen Haaren passte sie endlich auch optisch perfekt in die Berliner Szene. So kam sie in jeden Laden problemlos rein – auch in den „Dschungel“.

Meist hatte sie noch pinkfarbene oder blaue Strähnchen aus Kunsthaar in die punkige Frisur eingeklebt. Ihr Friseur hatte alle paar Wochen eine neue Idee, die sie ihn nur allzu gern umsetzen ließ. Auch wenn er, mangels Alternative, mit einer Heißklebepistole aus dem Baumarkt zu Werke ging. Egal! Hauptsache schrill und anders!

Durch ihr extravagantes Styling fühlte sich Zoe mit „ihren“ vier Jungs im „Querelle“ jetzt noch wohler. Sie genoss es, die Abende und Nächte dort in Gesellschaft attraktiver Männer zu verbringen. Rein platonisch, versteht sich.

Ungemütlich wurde es erst, als Max überlegte, sich von Gregor zu trennen. In einem saukalten Winter mit jeder Menge Schnee. Mit Max machte sie, bei minus 25 Grad, lange Spaziergänge auf dem zugefrorenen Wannsee, diskutierte seine Beziehung und das Für und Wider einer Trennung. Wenn sie schließlich völlig durchgefroren nach Hause kam, klingelte schon das Telefon. Gregor. Unter drei Stunden lief kein Telefonat mit ihm ab. Sie versuchte zu vermitteln, schlug sich die Nächte um die Ohren. Mit fremden Beziehungsproblemen. Sie selber konnte da eher Theorie beisteuern. Ihre letzte ernsthaftere Hetero-Bekanntschaft lag schon Monate zurück.

WILHELM

„So geht’s nicht weiter!“ Gregor sah Zoe streng an. „Es kann doch nicht sein, dass du keinen Kerl abkriegst. Das werden wir jetzt ändern.“

„Gerne, aber wie?“ Zoe sah ihn skeptisch an. „Die Schlaffis, die an der Uni rumhängen, interessieren mich nicht. Taxifahrende BWL’er – nee, die passen nicht in mein Beuteschema … Und in Kneipen oder Discos lernt man auch keinen Mann fürs Leben kennen.“

„Zumindest nicht, wenn man immer in schwulen Discos rumhängt …“

„Soll ich etwa allein in irgendwelche Anmachschuppen gehen? Darauf hab ich überhaupt keinen Bock! Dann bleib ich lieber Single und amüsier mich mit euch im ‚Querelle’. So nötig hab ich’s nun auch wieder nicht“, antwortete sie bestimmt.

Gregor überlegte einen Moment und verkündete:

„Wir verkuppeln dich!“

„Was? Wie soll das denn gehen? Seit wann kennt ihr denn Heteromänner, die eine Beziehung wollen?“

„Zu unserem nächsten Essen laden wir unsere Nachbarin Andrea ein. Die ist hetero, total nett und kennt jede Menge Leute. Die hat bestimmt eine Idee …“

Gesagt, getan. Am nächsten Samstag kochte Franz seine berühmte „Knabenblut-Suppe“ – eine köstliche dunkelrosafarbene Suppe aus aromatischem Fenchel und süßen Roten Beten – und Andrea wurde nach passenden, männlichen Singles in ihrem Bekanntenkreis ausgefragt.

„Ich kenn da einen netten Anwalt. Bisschen spießig vielleicht, aber der sucht was Ernstes.“ „Ein Jurist! Wie schick!“, rief Ziggy begeistert.

„Sieht er gut aus?“, wollte Franz wissen.

„Hat er Kohle?“, nuschelte Max.

„Kommt der mit Schwulen klar?“, erkundigte sich Gregor.

„Kann ich vielleicht auch mal was fragen?“, meldete sich Zoe zu Wort. Alle sahen sie erwartungsvoll an.

„Ja, sicher! Aber was musst du noch wissen? Er ist Anwalt und Single. Und er sucht die Frau fürs Leben. Das ist doch genau das, was du wolltest“, antwortete Gregor grinsend. Zoe blickte Andrea an:

„Wie heißt er und weshalb ist er noch Single?“

„Wilhelm …“

„Oh Gott, wie alt ist der denn?“, unterbrach Zoe.

„So Anfang 30, groß, blond, bisschen kräftig …“, sprach Andrea weiter.

„Dick?“

„Nein, kräftig.“

„Na gut. Und warum ist er Single?“

„Er hat grad eine zweijährige Beziehung hinter sich.“

„Wer hat sich von wem getrennt?“, wollte Zoe sofort wissen.

„Ist das hier ein Verhör?“ Andrea war leicht genervt. „Ich glaube, seine Ex hat ihn verlassen, weil er zu wenig Zeit für sie hatte. Aber daraus hat er gelernt, sagt er.“

„Hm.“

„Na also, Zoe. Du willst doch keine Klette, die ständig an dir klebt“, versuchte Gregor, sie zu überzeugen. „Ist doch gut, wenn man sich nicht dauernd sieht.“

„Genau …“, murmelte Max und rührte in der Suppe. Gregor sah ihn irritiert an.

„Soll ich Wilhelm mal deine Nummer geben, Zoe? Dann könnt ihr euch verabreden“, beendete Andrea das Thema.

Gleich am nächsten Montag rief Wilhelm an. Er lud Zoe zum Essen in ein bayrisches Restaurant in Wilmersdorf ein. Sie stylte sich für ihr erstes Blind-Date züchtig mit schwarzer Bluse, engem, knielangem Rock, mit neckischem Seitenschlitz und war pünktlich um 20 Uhr da.

Sie erkannte Wilhelm auf Anhieb: ein leicht untersetzter, blasser, junger Mann mit beginnender Stirnglatze. Er trug einen dunkel-grauen Anzug und ein blaues Hemd mit weißem Kragen.

„Immerhin keine Krawatte …“, ging es Zoe durch den Kopf, als sie sich lächelnd vorstellte. Sofort sprang Wilhelm auf, deutete eine kleine Verbeugung an, reichte ihr die Hand und rückte ihren Stuhl zurecht.

„Alte Schule … Nicht uncharmant …“ Zoe hatte sich fest vorgenommen, alles auf sich zukommen zu lassen. Das Gespräch kam langsam in Gang, Allgemeinplätze wurden ausgetauscht. Sie erzählte von ihrem Studium und erfuhr, dass er sich auf Erbrecht spezialisiert hatte. Nach dem zweiten Bier begann Wilhelm, Zoe Komplimente zu machen:

„Ich kann nicht begreifen, dass so eine attraktive Frau wie du noch Single ist.“ Zoe lächelte geschmeichelt.

„Der richtige Mann ist mir wohl bisher einfach noch nicht über den Weg gelaufen …“

„Das kann sich ja ändern …“, schöpfte Wilhelm Hoffnung. „Und, damit du mich besser kennenlernst, kann ich dir ja mal meine Kanzlei zeigen, die ist gleich um die Ecke.“

Zoe stutzte. „Was für eine schräge Idee … Aber immerhin will er mich nicht in seine Wohnung abschleppen …“ Lächelnd nickte sie:

„Gerne, im Büro eines Juristen war ich noch nie.“

Er zahlte und sie gingen zwei Straßenecken weiter. Wilhelm öffnete die schwere Eingangstür eines großen, dunklen Altbaus, schloss den Lift auf und ließ ihr den Vortritt. Als auch er eintrat, knarrte der winzige Aufzug bedenklich. Sie standen einander dicht gegenüber, als sich das altertümliche Gefährt langsam in Bewegung setzte.

„Ganz schön eng hier“, sagte Zoe, um den peinlichen Moment zu überbrücken. Wilhelm drückte seinen kräftigen Körper ein Stückchen weiter an die Rückwand.

„Aber besser, als immer die vier Stockwerke zu laufen.“

„Obwohl dir ein bisschen Bewegung gar nicht schaden würde …“, dachte sie. Endlich bremste der Fahrstuhl und sie betraten die Kanzlei. Von dem langen Flur gingen zwei Büroräume ab.

„Hier sitzt meine Sekretärin und da hinten ich“, erklärte Wilhelm selbstsicher und schaltete die Deckenlampen ein. In dem matten, gelblichen Licht wirkte alles etwas düster. Er ließ sich schwungvoll in seinen Schreibtischsessel fallen und breitete stolz die Arme aus. Der schwere Lederstuhl knarzte unter seinem Gewicht. Zoe sah sich um. Vor dem Eichenholzschreibtisch stand ein schmaler Besucherstuhl. Unsicher steuerte sie darauf zu, doch da sprang Wilhelm schon wieder auf:

„Mach’s dir doch auf dem Sofa bequem. Ich hol uns was zu Trinken. In der Küche müsste noch eine Flasche stehen.“ Im Vorübergehen zog er an der kleinen Messingkette, und die Schreibtischlampe verbreitete ein gedämpftes, grünes Licht. Auf dem Weg nach draußen löschte er die Deckenlampe und war verschwunden. Zoe fühlte sich ein wenig unbehaglich, wischte aber ihre Bedenken beiseite. Sie steuerte auf das breite, braune Ledersofa zu, versank in den weichen, abgenutzten Polstern und betrachtete den schweren Gründerzeit-Schrank, der die ganze gegenüberliegende Wand einnahm. Durch die bleiverglasten Scheiben sah sie etwas Goldenes funkeln. Da erschien Wilhelm wieder. Freudestrahlend schwenkte er eine Flasche und zwei Cognacgläser.

„Na, bitte! Hab ich’s doch gewusst – hier ist unser guter Weinbrand!“ Er schenkte Zoe großzügig ein. Sie betrachtete die braune Flüssigkeit skeptisch. „Dann lass uns mal anstoßen – auf einen interessanten Abend, der noch lange nicht zu Ende ist …“, lächelte er und setzte sich neben sie. Erwartungsvoll blickte er ihr in die Augen.

Zoe gefielen seine Lachfältchen. Sie prostete ihm zu und trank das Glas auf ex aus. Staunend sah Wilhelm zu.

„Na, du scheinst ja Durst zu haben. Ich schenk dir gleich nach.“

Zoe spürte, wie die ölige Flüssigkeit durch ihren Hals rann und in ihrem Magen eine wohlige Wärme verbreitete. Der Alkohol entspannte sie. Sie lehnte sich zurück und registrierte, dass Wilhelms Arm in ihrem Nacken lag. Das fühlte sich gar nicht schlecht an. Sie kuschelte sich ein wenig an ihn.

Wilhelm reagierte sofort, nahm ihr behutsam das volle Glas ab, stellte es auf den Beistelltisch und zog sie an sich.

Zoe hatte lange nicht mehr die Wärme einer innigen Umarmung gespürt. Sie genoss das Gefühl und schloss die Augen. Der erste Kuss war sanft und tastend. Wilhelms Lippen waren weich und warm. Dann schob er seine Zunge fordernd in ihren Mund. Zoe erwiderte seinen Kuss und genoss es, sich begehrt zu fühlen. Sie spürte seine Hand, die langsam an ihrem Rücken herunter über ihr Bein strich und dann versuchte, sich einen Weg unter den Rock zu bahnen. Doch der war verdammt eng. Schließlich gab Wilhelm auf und ließ seine Finger nach oben wandern. Geschickt öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, während er sie immer leidenschaftlicher küsste. Zoe gab sich den wohligen Gefühlen hin, war tatsächlich aber ganz woanders. Sie dachte an ihre letzte große Liebe, einen Sänger, den sie vor Jahren kennengelernt hatte und stellte sich vor, er sei es, der sie berührte.

„Peter … Mmmh …“ Sie stöhnte leise auf.

Ihre Finger kraulten Wilhelms Rücken, während er ihre Bluse über die Schultern streifte und ihre Brüste zärtlich streichelte. Zoe wollte endlich auch seinen Körper spüren. Sie knöpfte das Hemd auf und ließ ihre Hand über seine Brust gleiten. Plötzlich stutzte sie. Was sie fühlte, hatte so gar nichts mit ihrer erotischen Fantasie zu tun. Statt auf der glatten, hageren Brust von Peter, wanderten ihre Finger über zwei behaarte, fleischige Männerbrüste …

Augenblicklich war Zoe wieder ganz im Hier und Jetzt.

„Was geht denn hier ab?“, fragte sie sich entgeistert. „Wieso knutsche ich denn mit diesem Typen rum und lasse mich schon beim ersten Date begrapschen? Und noch dazu in seinem Büro!“ Behutsam zog sie ihre Hände zurück, verlangsamte das Tempo ihrer Zunge und schob Wilhelm von sich weg. Verwirrt öffnete er die Augen.

„Was ist denn?“

Zoe suchte nach einer Notlüge.

„Tut mir leid, aber mein Arm ist eingeschlafen und ich müsste auch mal ganz dringend zur Toilette“, lächelte sie entschuldigend, stemmte sich in ihrem engen Rock leicht schwankend vom Sofa hoch und zog die Bluse wieder über die Schultern. Wilhelm sah sie verwirrt an.

„Den Flur runter und die zweite Tür links.“ Zoe ließ sich Zeit im Bad, entfernte die verwischte Mascara unter den Augen, knöpfte ihre Bluse zu und fuhr sich durch die Haare. Zufrieden grinste sie sich im Spiegel an und stöckelte zurück zum Büro. An der Tür blieb sie wie angewurzelt stehen. Das Bild, das sich ihr bot, war einfach unglaublich:

Da lag ein nackter, pummeliger Wilhelm, wie hingegossen auf dem Sofa. Auf dem Kopf eine Pickelhaube mit goldglänzender Spitze. Einen Stock tiefer bedeckte eine zweite Pickelhaube mit besonders langer Gold-Spitze seine edelsten Teile. Er grinste und brüllte im Militärton:

„Rührt euch!“ Als Zoe nicht reagierte und ihn mit offenem Mund anstarrte, fragte er irritiert: „Was ist denn? Wieso bist du wieder angezogen? Ich dachte, jetzt reiten wir in die Schlacht …“

Zoe holte tief Luft und prustete los:

„Wie bitte?“ Lachend stützte sie sich am Türrahmen ab. Wilhelm sah einfach zu komisch aus, wie er sich da mit einem Arm auf der Sofalehne abstützte und mit der anderen Hand krampfhaft die zweite Pickelhaube festhielt.

Verwirrt stammelte er: „Ja, aber, ich dachte, du bist eine Frau, die Lust auf besondere Spielchen hat. Eben war doch alles wunderbar. Ich dachte, du wolltest dich nur mal kurz untenrum frisch machen …“