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Dieses eBook: "Zwei Afrikaromane: Hüter des Friedens + Unter Buschniggern" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Edgar Wallace (1875-1932) war ein englischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Journalist und Dramatiker. Wallace gehört zu den erfolgreichsten englischsprachigen Kriminalschriftstellern. Wallace wurde unter dem Namen Richard Horatio Edgar als unehelicher Sohn eines Schauspielerpaares geboren und unmittelbar nach seiner Geburt von einem Londoner Fischhändler adoptiert. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und hatte keine abgeschlossene Schulausbildung. Dennoch arbeitete er sich im Burenkrieg bis zum Kriegsberichterstatter in Südafrika hoch. Nach seiner Rückkehr nach London arbeitete er als Journalist und Sonderberichterstatter. Die Romane von Edgar Wallace wurden in vierundvierzig Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er vor allem durch seine journalistische Arbeit und seine Afrikaromane, deren erster 1911 unter dem Titel Sanders vom Strom erschien. Wallaces berühmtester Krimi war Der Hexer, der als Theaterstück am 1. Mai 1926 uraufgeführt wurde und ein riesiger Erfolg war. In Deutschland fand die Uraufführung 1927 am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt statt. Des Weiteren verfasste er zahlreiche Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Theaterstücke. Inhalt: Hüter des Friedens Unter Buschniggern
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Geschichte aus dem afrikanischen Urwald (Abenteuerromane)
Übersetzer: Ravi Ravendro, Richard Küas
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Nach Isongo, dem Hauptort des gleichnamigen Distriktes, kam eine Frau der Isisi, die ihren Mann verloren hatte. Durch eine Vorsehung des Schicksals war er von einem Baum erschlagen worden. Ich sage »durch eine Vorsehung des Schicksals«, denn es war allgemein bekannt, daß er einen bösen Charakter gehabt hatte. Er war ein Trinker und ein Freund schlechter Menschen gewesen. Auch hatte er Zauberei im Walde ausgeübt, und es ging das Gerücht, daß er ein Vertrauter Baschunbis, des Bruders des großen Teufels M'shimba-M'shamba, gewesen war. Er schlug seine Frauen, und einmal steckte er aus reiner Bosheit seine Hütte in Brand.
Als er nun auf einer aus Gras geflochtenen Totenbahre zum Dorf zurückgetragen wurde und die Frauen seines Hauses sich mit grünen Blättern bedeckten und Arm in Arm die Dorfstraße entlang den Totentanz tanzten, klang ihr Gesang nicht sehr traurig, und ihr Schritt war fröhlicher und lustiger, als er bei dieser Gelegenheit hätte sein sollen.
D'wiri, ein alter Mann, der alle Tanzschritte genau kannte, sah es von seiner Hütte aus und sagte entrüstet, daß die Frauen schamlos seien. Aber er war alt und fürchtete außerdem, daß bei seinem eigenen Tode die guten Sitten außer acht gelassen werden könnten, wenn man derartigen Ausschreitungen nicht beizeiten entgegenträte.
Als M'lama, das Weib des G'mami, sah, daß ihr Herr und Gebieter in einem Boot zu den Inseln in der Mitte des Stromes gerudert wurde, wo er begraben werden sollte, klagte sie noch während der vorgeschriebenen Zeit um ihn, dann wusch sie am Flußufer den Staub von ihrem Körper und ging in ihre Hütte zurück. Und alle Trauer um den Toten war mit dem Staub und der Asche weggewaschen worden.
Viele Monde wechselten am Himmel, ehe M'lama ihre außerordentlichen Gaben zeigte. Man sagte, daß ihre Kräfte sich zum ersten Male in einer Nacht nach einem großen Sturm kundtaten, als die Blitze wie Schloßen auf den Strom niederfuhren. Selbst der alte D'wiri konnte sich nicht an ein ähnliches Unwetter erinnern. In dieser Nacht brachte die Frau eines Jägers ihr sterbendes Kind in die Hütte der Witwe. Es hatte eine Fischgräte verschluckt, die ihm im Halse steckengeblieben war, und es war schon beinahe erstickt. M'lama streckte ihre Hand aus, legte sie auf den Kopf des Kindes, und sofort flog die große Gräte heraus.
»Dabei erscholl ein Schrei, der so schrecklich und furchtbar war wie das Geschrei eines Leoparden, der in den Wäldern von Geistern verfolgt wird.« (Nach dem Bericht Ahmets.)
Eine Woche später fiel ein kleines Kind in Krämpfe. M'lama legte ihre Hand auf seine Stirn, und siehe, die Krämpfe wichen, es wurde ruhig und schlief ein.
Ahmet, der Hauptspäher der Regierung, hörte von diesen Dingen und kam während einer dreitägigen Reise auf dem Strom zu dem Orte Isongo.
»Was sind das alles für Wundergeschichten?« fragte er.
»Capita«, sagte der Häuptling, indem er die ehrende Anrede gebrauchte, die in dem belgischen Kongogebiet üblich ist, »dieses Weib M'lama ist wirklich eine Hexe, sie hat übernatürliche Gaben, denn durch die Berührung ihrer Hand weckt sie die Toten auf. Das habe ich selbst mit meinen eigenen Augen gesehen. Auch sagt man, daß sie Ugomis schwere Wunden heilte, als er beim Holzfällen sich mit der Axt in den Fuß schlug.«
»Ich will M'lama sehen«, erwiderte Ahmet ernst.
Er fand sie in ihrer Hütte. Sie warf müßig vier Ziegenknochen auf den Boden, und jedesmal fielen sie anders. »O Ahmet«, sagte sie, als er eintrat, »du hast ein krankes Weib, und dein erstgeborener Sohn kann nicht sprechen, obgleich er sechs Jahre alt ist.«
Ahmet setzte sich an ihrer Seite nieder. »Weib, sage mir etwas, worüber nicht am ganzen Fluß geredet wird, und ich werde deinen Zauber glauben.«
»Morgen wird dein Herr, der große Sandi, dir ein Buch (Brief) senden, worüber du sehr glücklich sein wirst.«
»Mein Herr schickt mir jeden Tag ein Buch«, entgegnete Ahmet zweifelnd, »und jedesmal bin ich glücklich, wenn ich es empfange. Auch weiß man am Fluß, daß um diese Zeit Boten kommen mit Beuteln voll Silber und Säcken voll Salz, um die Leute nach ihrem Verdienst zu bezahlen.«
Sie ließ sich nicht verblüffen. »Du hast einen kranken Finger, den niemand gerade machen kann – aber sieh her!«
Bei diesen Worten nahm sie seine Hand in die ihre und drückte auf das aus dem Gelenk gesprungene Glied. Ahmet fühlte einen heftigen Schmerz im ganzen Arm und stöhnte. Als er aber seine Hand wieder zurückzog, war sein Finger wieder in Ordnung, denn er konnte ihn biegen. Der Militärarzt an der Küste hatte vergeblich versucht, ihn wieder einzurenken.
»Ich sehe, du bist wirklich eine Zauberin«, sagte er bewundernd, denn die Eingeborenen haben eine Abscheu gegen Krankheit und Mißbildung jeder Art.
Ahmet sandte einen langen Bericht an Sanders über alles, was er gesehen und gehört hatte.
Distriktsgouverneur Sanders saß in der schönen Residenz an der Küste und erhielt auch viele andere Nachrichten. Manche von ihnen erfreuten ihn, andere verursachten ihm Sorge und Kummer. Die überseeische Post war gerade von einem schnellen Dampfboot zur Küste gebracht worden.
Captain Hamilton, der die Haussa befehligte, hatte einen dicken Brief bekommen, der von einer Frauenhand geschrieben war, und brachte Sanders, wie er dachte, frohe Nachricht. Der Distriktsgouverneur war allerdings im Zweifel, ob diese Nachricht gut oder böse sei.
»Es wird Ihr sicher in diesem Lande gefallen«, meinte er, »besonders in dieser Gegend – aber was wird Bones dazu sagen?«
»Bones!« wiederholte Captain Hamilton ein wenig verächtlich. »Kommt es darauf an, was Bones dazu sagt?« Trotzdem ging er zum Ende der Veranda, die dem Meere zu lag und rief mit lauter Stimme, so daß er die Brandung übertönte. »Bones!«
Aber es kam keine Antwort, was auch seinen guten Grund hatte.
Sanders trat aus dem Hause. Er hatte den Tropenhelm in den Nacken geschoben und rauchte eine große Zigarre.
»Wo ist er denn?«
Hamilton wandte sich um. »Ich gab ihm den Auftrag – das heißt, er bot sich eigentlich freiwillig dazu an –, einen Schützengraben auszuheben.«
»Erwarten Sie denn einen Angriff?«
Hamilton grinste. »Bones erwartet ihn. Er ist ganz begeistert von der Idee und hat mir schon erzählt, wie der Schützengraben ausgehoben werden müsse. Er fühlt sich sehr niedergeschlagen ... Sie wissen, was ich meine. Sein Regiment war bei Mons dabei.«
Sanders nickte. »Ja, das verstehe ich«, sagte er ruhig. »Und Sie ... Sie sind auch ein alter Soldat, Hamilton – wie ertragen Sie es denn?«
Hamilton zuckte die Schultern. »Man hätte mich beinahe den Truppen in Kamerun zugeteilt, aber jemand muß doch hierbleiben«, erwiderte er resigniert. »Es ist nun einmal mein Los, hier auszuhalten und die Pflicht zu tun, die mir das Schicksal auferlegt hat. Meine Aufgabe ... ist hier ...«
Sanders legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das ist recht«, sagte er und sah ihn so sanft und mild wie eine Mutter an. »Hier haben wir keinen Krieg ... wir sind hier die Hüter des Friedens.«
»Es ist schrecklich schwer ...«
»Ich weiß es, ich fühle es selbst. Wir haben keinen Teil an dem Ruhm, an den Möglichkeiten ... an dem Schicksal. Aber nicht wir allein müssen aushalten. Denken Sie an die Leute in Indien, die sich vor Gram verzehren ... die auf Befehl warten, der sie aus einem schönen Leben in Elend und Tod schickt... sie aber auch an dem Glanz und Ruhm des Krieges teilhaben läßt.«
Er seufzte und schaute sinnend auf das blaue Meer hinaus.
Hamilton winkte einen Haussa-Korporal heran, der gerade durch den Garten der Residenz ging. »Hallo, Mustaf«, sagte er in dem eigentümlichen Küstenarabisch, »wo kann ich meinen Herrn Tibbetti finden?«
Der Mann wandte sich um und zeigte auf das Gehölz, das hinter dem Gebäude lag und sich dreihundert Meilen weit ohne Unterbrechung hinzog. »Herr, er ging dorthin und nahm viele seltsame Dinge mit sich – auch sein Diener Ali Abid war bei ihm.«
Hamilton reichte mit seinem Spazierstock durch das offene Fenster und angelte seinen Tropenhelm vom Tisch. »Wir werden Bones aufsuchen«, sagte er grimmig. »Er ist schon drei Stunden fort, und er hat Zeit genug gehabt, die ganzen Schützengräben von Verdun auszuheben.«
Es dauerte einige Zeit, bis sie die Arbeitskolonne entdeckten.
Bones lag in einem bequemen Klappstuhl im Schatten einer großen Isisi-Palme. Er hatte seinen Tropenhelm über das Gesicht gestülpt, so daß der vordere Schirmrand auf der Nasenspitze ruhte. Seine dünnen braunen Arme waren auf der Brust verschränkt, und seine regelmäßigen Atemzüge deuteten an, daß er sanft eingeschlafen war. Nur zwei Pfähle waren in die Erde geschlagen, und zwischen ihnen hing eine Schnur, die sich traurig im Winde hin und her bewegte.
Unter einem nahen Gebüsch lag zusammengerollt vermutlich Ali Abid. Man muß sagen vermutlich, denn es war weiter nichts zu sehen als ein Stück seidigglänzender, brauner Haut, das zwischen dem Hosengurt und einer enganliegenden Segeltuchjacke hervorlugte.
Sanders und Hamilton schauten lange Zeit schweigend auf den schlafenden Bones.
»Was wird er wohl sagen, wenn ich ihn durch einen Stoß aufwecke?« fragte Hamilton. »Was vermuten Sie?«
Sanders runzelte nachdenklich die Stirn. »Er wird erklären, daß er ein neues Schützengrabensystem ausgedacht hat«, meinte er. »Er hat mich neulich fast zum Sterben gelangweilt, als er mir immer wieder von Schützengräben und ähnlichen albernen Dingen erzählte.«
Hamilton schüttelte den Kopf. »Diese Lüge wird er Ihnen nicht auftischen. Meiner Ansicht nach wird er als Entschuldigung vorbringen, daß er letzte Nacht so lange aufbleiben mußte, weil ich ihm die Besoldungslisten zur Ausarbeitung gegeben habe, und daß er deshalb heute nicht wachbleiben kann.«
Bones schlief ruhig weiter.
»Vielleicht erklärt er auch, daß der Kaffee nach dem Essen eine einschläfernde Wirkung auf ihn hat«, sagte Sanders nach einer Weile. »Neulich behauptete er, daß Kaffee ihn müde mache.«
»Er sagte sogar ohnmächtig«, verbesserte ihn Hamilton. »Aber ich glaube nicht, daß er jetzt so etwas vorbringt. Höchstens führt er an, daß er die unregelmäßigen Verben der Bomongo-Sprache wiederholt. Bones!« Keine Antwort.
Hamilton bückte sich, brach einen langen Grashalm ab und kitzelte Leutnant Tibbetts damit am Ohr. Bones schlug im Schlaf mit der Hand danach, aber er öffnete die Augen nicht.
»Bones«, rief Hamilton laut und stieß ihn heftig mit dem Fuß an. »Stehen Sie auf, Sie fauler Teufel – der Feind greift an!«
Bones sprang auf, schwankte ein wenig hin und her, blinzelte seinen Vorgesetzten an, riß sich dann zusammen und grüßte stramm militärisch. »Feindlicher Angriff von der linken Flanke her«, meldete er. »Werden wir jetzt zum Abendbrot gehen oder ein Auto nehmen?«
»Wachen Sie auf, Napoleon«, rief Hamilton. »Sie sind hier mitten in der Schlacht von Waterloo!«
Bones fand allmählich zur Wirklichkeit zurück.
»Ich fürchte, ich lag bewußtlos da, mein lieber guter Offizier«, bekannte er. »Tatsächlich ...«
»Passen Sie auf, was jetzt kommt!« sagte Hamilton zu Sanders.
»Tatsächlich bin ich eingeschlafen«, erklärte Bones mit Würde. »Dieser niederträchtige Kaffee, den ich nach Tisch getrunken habe! Außerdem war ich übermüdet, denn ich saß die halbe Nacht bei den Soldlisten. Ich dachte gerade dieses hervorragende Schützengrabensystem aus – es sind nämlich Verbindungsgräben, in denen man nicht naß wird, wenn es regnet –, als ich ohnmächtig wurde.«
Hamilton sah ihn enttäuscht an. »Hatten Sie denn nicht die Bomongo-Verben vor?«
Bones Augen leuchteten auf. »Aber natürlich!« rief er froh. »Natürlich – ich habe die ganzen unregelmäßigen Verben für mich wiederholt ...«
»Wecken Sie Ihren Diener auf und kommen Sie mit nach Hause«, unterbrach ihn Hamilton. »Es gibt Arbeit für Sie, mein Junge.«
Bones ging zu dem Busch hinüber und weckte den Schläfer durch einen sanften Fußtritt.
Ali Abid fuhr in die Höhe.
Er hatte ein viereckiges Gesicht, einen großen Mund und braune, unschuldige Augen. Außerdem war er ungeheuer dick. Obgleich er sich den arabischen Namen »Ali« zugelegt hatte, war er seiner Abstammung nach doch ein Küstenneger, was ihm deutlich anzusehen war. Er stand langsam auf, grüßte erst seinen Herrn, dann Sanders und Hamilton.
Bones hatte ihn einst auf einer Erholungsreise in Cape Coast Castle gefunden. Ali Abid war der richtige Diener für ihn, er schien ihm vom Himmel gesandt zu sein. Sanders graute es sonst vor Eingeborenen, die englisch sprachen, aber Ali beherrschte diese Sprache vollkommen, denn er war fünf Jahre lang der Diener des Professor Garrileigh gewesen, der ein bedeutender Bakteriologe war und dessen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der tropischen Medizin acht starke Bände füllten.
Sie gingen zusammen zur Residenz zurück. Ali Abid bildete die Nachhut.
»Sie müssen nach Isongo gehen, Bones«, sagte Sanders. »Es ist möglich, daß es Unruhen gibt – eine Frau tut dort Wunder. Gehen Sie taktvoll vor, kommen Sie aber vor dem Siebzehnten zu unserem Fest zurück.«
»Wie?« fragte Bones.
Bones hatte die merkwürdige Gewohnheit, etwas nicht verstehen zu wollen, was er sehr wohl gehört hatte. Er neigte dann den Kopf mit fragendem Gesichtsausdruck vor, legte die Stirn in Falten, die Hand ans Ohr und wartete auf eine Wiederholung.
»Sie haben doch gehört, was der Distriktsgouverneur gesagt hat«, brummte Hamilton. »Fest – F-E-S-T.«
»Mein Geburtstag ist erst im April, Exzellenz«, erklärte Bones.
»Es handelt sich nicht um ein Geburtstagsfest, sondern um eine kleine Empfangsfeier für Miß Hamilton«, erwiderte Sanders.
Bones staunte und sah seinen Vorgesetzten ungläubig an.
»Was, Sie haben eine Schwester, mein lieber alter Offizier?« fragte er.
»Warum, zum Teufel, soll ich keine Schwester haben?«
Bones zuckte die Schultern. »Das ist eine ganz einfache, logische Schlußfolgerung. Augenscheinlich hatten Sie in Ihrer Jugend keine begütigende und liebevolle Behandlung. Ich schließe das aus Ihrer Hartherzigkeit und Ihrem Hang, dauernd zu nörgeln, und aus Ihrem rauhen und unliebenswürdigen Charakter – eine Schwester, großer Gott!«
»Trotzdem kommt sie hierher«, entgegnete Hamilton. »Und sie ist sehr erpicht, Sie kennenzulernen. Ich habe ihr schon sehr viel von Ihnen berichtet.«
Bones lächelte. »Natürlich haben Sie übertrieben – Frauen wollen nicht gern enttäuscht sein. Wissen Sie, was Sie eigentlich hätten tun müssen? Sie hätten mich als einen dummen Esel beschreiben müssen, zwar begabt und so, aber doch als einen ganz gewöhnlichen, dummen Kerl.«
»Genau das habe ich auch getan, Bones. Ich habe ihr mitgeteilt, wie Bosambo Sie um zwanzig Pfund betrog; wie Sie hereinfielen und sich hinters Licht führen ließen, als Sie vergrabene Schätze heben wollten; wie die Isisi versuchten, Ihnen ein fliegendes Krokodil zu verkaufen und es Ihnen auch tatsächlich verkauft hätten, wenn ich nicht rechtzeitig dazugekommen wäre. Dann habe ich ihr noch ...«
»Ich denke, das ist schon genug, Sir!« Bones war rot geworden. »Es sei ferne von mir, mich auf Ihre gemeinen Verleumdungen einzulassen«, erwiderte er hochmütig. »Miß Hamilton wird ja nicht viel von mir zu sehen bekommen. Ein unerschütterliches Pflichtgefühl wird mich von den frivolen Zirkeln menschlicher Gesellschaft fernhalten. Stets tätig und ohne zu schlafen ...«
»Schützengräben«, sagte Hamilton nur.
Bones seufzte, sah seinen Vorgesetzten einen Augenblick schmerzlich an, grüßte dann, machte kurzum kehrt und ging fort. Ali Abid folgte ihm.
Am nächsten Morgen brach er auf, und sowohl Sanders als auch Hamilton kamen zu dem festen Betonkai, um bei der Abfahrt der »Zaire« zugegen zu sein. Sanders gab ihm letzte Instruktionen:
»Wenn die Frau das Volk aufrührerisch macht, verhaften Sie sie; wenn sie einen zu großen Anhang hat, verhaften Sie sie; wenn sie aber harmlos ist und nur den Leuten hilft, lassen Sie sie gehen und kommen zurück.«
»Und vergessen Sie nicht den Siebzehnten«, fügte Hamilton hinzu.
»Ich werde wahrscheinlich nicht zu diesem Zeitpunkt zurückkehren können«, erwiderte Bones ernst. »Ich möchte nicht der steinerne Gast auf Ihrem netten Fest sein, mein alter Sportsmann und Vorgesetzter. Sie werden wohl schon so liebenswürdig sein und meine Abwesenheit Miß Hamilton gegenüber entschuldigen. Ich werde wahrscheinlich Kopfschmerzen oder so etwas Ähnliches haben.«
Er winkte traurig zum Abschied, als die »Zaire« in weitem Bogen zur Mitte des Stromes fuhr, und stand melancholisch und in schwermütige Gedanken versunken da, solange Sanders und Hamilton ihn noch sehen konnten.
Aber kaum war er außer Sicht, so war er wieder der alte, lustige Bones.
»Leutnant Ali«, sagte er, »gehen Sie und holen Sie mein Logbuch. Bringen Sie es in die Kabine des alten Sanders. Dann machen Sie mir eine Tasse Tee und steuern Sie das Schiff nach Ost-Nord-Ost.«
»Jawohl, Sir«, entgegnete Ali in fließendem Englisch.
Das Logbuch, das Bones führte, war ein Geheimdokument, das seinen Vorgesetzten niemals zu Gesicht kam. Darin standen etwa folgende Eintragungen:
Wind NNW. See ruhig. Feindliches Fahrzeug gesichtet an Backbord um 10.31 vormittags. Hauptquartier durch Funkspruch benachrichtigt um 10.32. Kapitän des feindlichen Schiffes angerufen und ihn gewarnt, nicht im Fahrwasser zu fischen. 12.17 kommt Cape M'Gooboori in Sicht. Anker geworfen, um Mittag zu essen und Feuerholz einzunehmen.
Cape M'Gooboori war ein Dorf gleichen Namens, und die »ruhige See« war weiter nichts als der Strom. Das »feindliche Schiff« war ein armseliges Kanu, in dem ein alter Isisi-Mann saß, der Fische speerte. Bones umgab alle Dinge mit seiner Phantasie, denn seinem nach Abenteuer lechzenden jugendlichen Gemüt war die graue Wirklichkeit viel zu dürftig.
Bei Sonnenuntergang fuhr die »Zaire« langsam zwischen den Sandbänken durch, die vor dem Ufer von Isongo liegen. Bones ging an Land, um seine Nachforschungen anzustellen.
Zufällig hatte die Hexe M'lama gerade diesen Abend gewählt, um einige wunderbare Handlungen vorzuführen, und das ganze Dorf lag fast verlassen da.
An einer Waldlichtung saß M'lama unter hohen Bäumen und warf Ziegenknochen in die Luft. Männer und Frauen hockten im Kreise vor ihr oder gingen ängstlich und vorsichtig auf Zehenspitzen um sie herum. Sie ließen ihr einen weiteren Spielraum. Ein helles, großes Feuer brannte zu ihrer Seite, von Zeit zu Zeit hielt sie kleine, roh zusammengeflochtene Stäbchen hinein, zog sie brennend heraus, blies die Flamme aus und betrachtete die übriggebliebene Asche.
»Hört mich an, ihr Leute«, sagte sie, »und schweiget, damit nicht mein großer Ju-ju euch schlägt, daß ihr sterbt. Wer hat mir dies gegeben?«
»Ich war es, M'lama«, sagte eine hagere Frau, deren Gesicht vor Erregung zuckte, als sie ihre braune Hand aufhielt.
Die Hexe schaute auf die Sprecherin.
»O F'sela«, sagte die Zauberin in singendem Tonfall, »dir wird ein männliches Kind geboren, das größer sein wird als Häuptlinge, aber dann wird dich eine Krankheit befallen, so daß du wahnsinnig wirst.«
»O ko!«
Die Frau war teils entsetzt über das Geschick, das ihr drohte, teils vor Freude außer sich über die glänzende Zukunft ihres noch ungeborenen Sohnes. Sie starrte ungläubig und furchtsam auf M'lama.
Wieder wurde ein geflochtenes Strohstöckchen ins Feuer gehalten, herausgezogen und ausgeblasen, und wieder prophezeite M'lama.
Manchmal waren es Ehren und Reichtümer, die sie verhieß, viel öfter aber sah sie Tod und Unglück voraus.
Mitten unter diese zitternde Gruppe von Menschen trat plötzlich Bones. Er trug eine tadellos weiße Uniform, aber er war müde, denn die Nacht war nahe und er hatte einen langen und mühseligen Marsch hinter sich.
Die Leute, die umhergesessen hatten, sprangen plötzlich auf und hielten die Handknöchel an die Zähne. Sie waren erschrocken und verwirrt.
»O M'lama«, sagte Bones liebenswürdig in dem weichen Dialekt der Isisi, die am Strome wohnen, »weissage auch mir!«
Sie sah traurig aus, denn sie fürchtete Unannehmlichkeiten für sich selbst.
»O Herr«, entgegnete sie mit geheimem Groll und versteckter Tücke, »du wirst sehr krank im Herzen werden – du wirst in ferne Gegenden gehen und dort sterben, und niemand wird dich vermissen.«
Bones wurde dunkelrot und drohte der Prophetin mit dem Finger. »Du bist eine unnütze alte Märchenerzählerin«, erwiderte er etwas verwirrt. »Deine Reden drücken das Volk nieder, du nichtsnutziges Frauenzimmer. Ich hasse dich!«
Da er englisch sprach, machte es keinen Eindruck auf sie.
»Du gehst im Lande umher und hältst die Leute von ihrer Beschäftigung ab«, rief er wütend, »erzählst ihnen dumme Geschichten – verdammt noch einmal, ich werde sehr strenge mit dir sein!«
Und er war wirklich strenge, denn er verhaftete sie zur Erleichterung der Zuhörer, die lange warteten, ob nicht ihr Ju-ju ihn totschlagen würde. Als dieses Ereignis nicht eintrat, zerstreuten sie sich allmählich.
Dicht vor dem Landungssteg der »Zaire« überredete sie einen der Haussa, die sie festhielten, sie freizulassen. Ihre Überredungskunst war sehr einfach, denn sie biß ihn einfach in den Arm und stürzte davon.
Sie ergriffen sie wieder und brachten sie an Bord. Aber sie war halb wahnsinnig vor Schrecken und Furcht vor ihrem kommenden Schicksal.
Bones, der zu nahe an die kämpfende Gruppe herankam und aufgeregt zusah, erhielt eine ehrenhafte Verwundung, da seine Nase von einer der wild umherschlagenden Fäuste getroffen wurde.
»Sperrt sie in die Vorratskammer ein«, befahl er zornig. »Was ist das doch für eine schlechte Frau!«
Am nächsten Morgen war die »Zaire« in voller Fahrt, als Ali mit einer betrübenden Meldung zu Bones kam. »Euer Exzellenz wird sehr traurig sein zu erfahren, daß der weibliche Gefangene seine Kleider vernichtet hat.«
»Vernichtet ...?« wiederholte der erstaunte Bones und strich vorsichtig mit der Hand über das Pflaster auf seiner Nase.
»Während der Nacht hat dieses Subjekt Symptome von Wahnsinn gezeigt. Sie hat sich völlig ihrer Kleider begeben, das heißt, sie hat sie zerrissen.«
»Sie hat ihre Kleider zerrissen?« fragte Bones atemlos. Sein Haar sträubte sich.
Ali nickte.
Die Kleidung der Eingeborenenfrauen variiert je nach dem Grade, den der Einfluß der Missionare auf sie erreicht hat. Isongo lag dicht bei der Missionsstation am Fluß, deshalb bestand M'lamas Kostüm aus einem Stück bedruckten Kattun, das sie eng um den Körper geschlungen hatte. Es sah aus wie ein Rock und hüllte sie von den Achselhöhlen bis zu den Füßen ein.
Bones trat an das offene Schiebefenster der Gefängniszelle, schaute aber nicht hinein.
»M'lama!«
Es kam keine Antwort. Er rief noch einmal.
»M'lama, was wird Sandi sagen, wenn du so böse Dinge tust?« Er sprach freundlich zu ihr in der Eingeborenensprache.
Es war nur ein seufzender Schmerzenslaut zu hören.
»Oh, ai!« schluchzte sie.
»M'lama, wir werden bald an die Missionsstation kommen, wo die Gottesmänner wohnen. Dort werde ich dir ein Kleid besorgen, und das wirst du anziehen.«
Bones starrte immer noch an dem Fenster vorbei auf das Wasser hinaus, das durch die Schiffsschrauben aufgewühlt wurde. »Denn wenn mein Herr Sandi dich sieht, wie ich dich sehe – das heißt, wie ich dich nicht sehe, du unverschämte Weibsperson«, verbesserte er sich schnell in englisch – »wenn mein Herr Sandi dich sieht, dann würde er große Scham empfinden, ebenso«, fügte er hinzu, als ihm plötzlich ein schrecklicher Gedanke kam und es ihm kalt über den Nacken lief, »wird sich die Dame für dich schämen, die zu meinem Herrn Militini zu Besuch kommt ...«
Glücklicherweise war eine Jesuitenniederlassung in der Nähe. Bones hielt dort an und besuchte den untersetzten, gutmütigen Pater, der die Station leitete.
»Es ist merkwürdig, daß sie alle dasselbe tun«, meinte der Pater nachdenklich, als er mit Bones zu dem Vorratshaus ging. »Ich habe erlebt, daß Frauen in den Polizeigefängnissen im Osten Londons ihre Kleider zerrissen – Frauen unserer eigenen Rasse.«
Er kramte in einer großen Schachtel herum und holte verschiedene Kleidungsstücke hervor. »Das ist meine letzte Sendung, die ich von einer wohlmeinenden Londoner Gesellschaft erhalten habe«, sagte er lächelnd und legte einen Haufen Kleider, Hüte, Schuhe und Strümpfe auf den Tisch. »Eine oder zwei Rollen bedruckten Kattun hätte ich sehr gut brauchen können, aber die letzten Pariser Modelle lassen sich nicht recht in Einklang mit strengen religiösen Überzeugungen bringen.«
Bones wurde rot, fühlte sich unbehaglich, packte einen Armvoll Kleider und bedankte sich unter vielen Entschuldigungen bei dem liebenswürdigen Pater.
Er eilte mit seinen Kleidern zur »Zaire« zurück.
»Sieh, M'lama«, sagte er und schob das ganze Paket durch das kleine Guckfenster in der Tür der Zelle. »Hier sind viele schöne, gute Dinge, wie sie die großen Damen tragen, nun wirst du vor meinem Herrn Sandi erscheinen und schön aussehen.«
Er trug die Ereignisse in seiner blumenreichen Sprache in das Logbuch ein und war gerade mitten in dieser literarischen Übung, als der kleine Dampfer auf eine Sandbank auflief, bevor der Gang der Maschinen verlangsamt oder Rücklauf eingestellt werden konnte. Das Schiff hatte sich festgefahren.
Bones ging an Deck, überschaute wehmütig die Situation, kehrte dann wieder in seine Kabine zurück und trug in das Logbuch ein:
12.19 auf em Felsenriff in der B'lidi Bay aufgelaufen. Fürchte, Schiff vollständig verloren. Alle Boote klar zum Niederlassen.
In Wirklichkeit gab es überhaupt keine Rettungsboote an Bord der »Zaire«. Auch war nicht die geringste Notwendigkeit vorhanden, sie niederzulassen, denn die ganze Schiffsbesatzung war schon in den Strom gesprungen, stand bis zu den Hüften im Wasser und versuchte mit allen Kräften, die »Zaire« wieder in Fahrt zu bringen.
Aber alle Versuche mißlangen. Erst sechsunddreißig Stunden später schwoll der Fluß an, weil im Gebiet der Ochori schwerer Regen niedergegangen war, und bei dem höheren Wasserstand wurde die »Zaire« wieder flott.
Bones freute sich, daß er eine schöne Geschichte über seine glückliche Rettung in das Logbuch eintragen konnte.
M'lama hatte sich in der letzten Zeit sehr gut betragen, und Bones erlaubte ihr infolgedessen, an Deck zu gehen. Sie konnte sich dort frei bewegen, und außer einem heftigen Wortwechsel mit dem Korporal, den sie in den Arm gebissen hatte, gab es keine Rückfälle. Sie trug einen weißen Rock und eine weiße Bluse, auf ihrem Kopf balancierte sie geschickt einen wunderschönen gelben Strohhut mit lang herabfallenden heliotropfarbenen Samtbändern, die sie abwechselnd vorne oder hinten herunterhängen ließ.
»Ein schrecklicher Anblick«, sagte Bones und schüttelte sich vor Mißbehagen, als er sie zum erstenmal in diesem Aufzug sah.
Der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfall, bis die »Zaire« die äußerste Nordgrenze des Gebietes erreicht hatte, das für die Residenz vorbehalten war.
Sanders hatte vier Quadratmeilen Land der kleinen Halbinsel, auf der die Gebäude standen, abholzen und trockenlegen lassen. Durch einen Zaun, der eng mit Stacheldraht umwunden war, und durch einen tiefen Graben waren die Regierungsgebäude von den wilden Wäldern im Norden abgetrennt.
An dieser Stelle zeigt der Fluß in der Mitte viele Sandbänke, und es gibt nur zwei tiefe Fahrrinnen, die dicht am östlichen und westlichen Ufer entlanglaufen.
Bones hatte sein Logbuch weggeschlossen und stand nun auf der Brücke. Er wiederholte im Geist noch einmal die Geschichte, mit der er seinem Vorgesetzten imponieren und seine Tätigkeit ins rechte Licht setzen wollte. Nebenbei würde er sich dadurch auch bei der neu angekommenen Dame von der besten Seite zeigen.
Er hatte auf der Reise ab und zu an Hamiltons Schwester gedacht.
Die »Zaire« fuhr dicht am westlichen Ufer, und zwar so nahe, daß eine kühne und gewandte Person an Land springen konnte.
Und die Hexe M'lama war kühn und sehr gewandt.
Bones wandte sich erstaunt um und sah irgend etwas Weibliches in einem weißen Gewand von Deck springen. Zwei heliotropfarbene Seidenbänder wehten lustig im Winde.
»Zum Donnerwetter! Was machst du denn? Das ist garstig – das ist unartig!« schrie Bones entsetzt.
Aber sie war im Unterholz verschwunden, bevor das große Schaufelrad der »Zaire« sich rückwärts drehte.
Bones bewies größte Geistesgegenwart. Ein gewöhnlicher Mann wäre natürlich sofort über Bord gesprungen, um den Flüchtling zu verfolgen, aber Bones war eben kein gewöhnlicher Mann. Er erinnerte sich in diesem kurzen kritischen Augenblick an die Neigung der Gefangenen, ihre Kleider zu vernichten. Mit ein paar Schritten war er in der Kabine, riß den Bezug des Deckbettes ab, sprang dann kurz entschlossen an Land und rannte in der Richtung vorwärts, in der M'lama entflohen war.
Einige Zeit konnte er sie nicht sehen, aber dann sah er durch die Zweige ein weißes Kleid leuchten und stürzte mit einem Schrei darauf zu.
Die Gestalt blieb einen Augenblick stehen und wandte sich dann zur Flucht. Aber er hatte sie eingeholt, bevor sie auch nur zwanzig Meter weit laufen konnte. Im Nu hatte er den Bettbezug über sie geworfen. Obwohl sie sich heftig wehrte und unterdrückte Schreie ausstieß, hob er sie auf und schwankte mit seiner Last an Bord zurück. Die »Zaire« hatte angehalten, und man hatte einen Landungssteg ans Ufer gelegt.
»Schließe die Fenster, öffne die Tür – so, du altes, nichtsnutziges Weibsbild!«
Er zog sie in die verdunkelte Zelle. Der Bettüberzug hüllte sie vollkommen ein, und sie taumelte hilflos zu Boden. Bones warf die Tür krachend ins Schloß, lehnte erschöpft und schweratmend an der Wand und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Alles dies trug sich in der Nähe des Landungskais zu, auf dem Sanders und Hamilton warteten, Bones kam sich ungeheuer wichtig vor und grüßte strahlend.
»Alles in bester Ordnung«, meldete er und stand stramm und gerade wie ein General. »Keine feindlichen Zwischenfälle – außer der Verwundung an meiner Nase, die ich in meinem Rapport noch erwähnen werde – einen weiblichen Gefangenen gemacht nach anstrengender Verfolgung. Ich hoffe, daß Sie meinen Diensteifer und meinen Erfolg Ihrer vorgesetzten Behörde melden werden ...«
»Schwätzen Sie nicht so viel, Bones«, sagte Hamilton. »Kommen Sie lieber an Land, damit ich Sie meiner Schwester vorstellen kann. Hallo, was ist denn das?«
Zwei eingeborene Polizisten kamen auf sie zu und führten die widerstrebende M'lama zwischen sich. Sie war beschmutzt, ihre Kleider saßen verkehrt, und der schöne Hut hing in einem schiefen Winkel vom Kopf nach hinten.
»Um Himmelswillen!« rief Bones. »Wer sitzt dann in der Zelle? ... Das ist mein Gefangener, mein guter, alter Vorgesetzter.«
Hamilton zog die Stirn in Falten. »Ich hoffe, daß Patricia nicht erschrocken ist, sie ging gerade dort am Ufer spazieren.«
Bones wurde nicht ohnmächtig, aber die Knie wankten unter ihm. Er nahm sich jedoch sofort wieder zusammen und stützte sich auf den Arm seines treuen Ali. »Mein lieber, alter Freund«, stammelte er gebrochen, »schreckliche Ereignisse ... ein Justizirrtum ... die größte Tragödie meines Lebens ...«
»Was ist denn mit Ihnen los?« fragte Sanders erschrocken, denn Bones war kreidebleich geworden.
Leutnant Tibbetts antwortete nicht, sondern eilte mit unsicheren Schritten zu der Gefangenenzelle und schloß sie auf.
Eine wütende und etwas in Unordnung geratene junge Dame trat heraus. Bones hatte noch nie eine so schöne und graziöse Gestalt gesehen.
Sie sah von ihrem verstörten Bruder auf Sanders und von Sanders auf ihren Gefängniswärter, der sich sehr elend fühlte.
»Aber was in aller Welt ...«, begann Hamilton.
Plötzlich zuckten ihre Lippen, und sie brach in ein fröhliches Lachen aus.
»Wenn ich Sie in meinem Übereifer verwechselte«, sagte Bones heiser, »in der Dämmerung, Sie werden verstehen, gnädige Frau ... das weiße Kleid ...« Er streckte die Arme mit verzweifelter Gebärde aus. »Ich kann als Gentleman nicht anders handeln ... ich habe einen geladenen Revolver in meiner Kabine ... leben Sie wohl!«
Er machte eine tiefe Verbeugung vor der jungen Dame, grüßte seinen bestürzten Vorgesetzten militärisch, machte linksum kehrt und wäre über einen Eimer gefallen, wenn ihn Hamilton nicht gepackt hätte.
»Sie sind wirklich ein Esel«, rief Hamilton, indem er seine Empörung unterdrückte. »Patricia, darf ich dir Leutnant Tibbetts vorstellen, von dem ich dir schon so viel geschrieben habe?« Sie schaute Bones mit lachenden Augen an. »Ich habe mir gleich gedacht, daß er es war.«
Inhaltsverzeichnis
Captain Hamilton mußte sich in seinem Leben um zwei Menschen kümmern: um seine Schwester und um seinen Untergebenen.
Seine Schwester hieß Patricia Agatha, sein Untergebener führte den Familiennamen Tibbetts und den Vornamen Augustus, aber Hamilton hatte ihn in seiner willkürlichen Art »Bones« getauft.
Solange Patricia noch in Bradlesham Thorpe in der Grafschaft Hampshire weilte und Bones etwa dreitausend Meilen davon entfernt an der Westküste Afrikas lebte, empfand Captain Hamilton seine Verantwortlichkeit nicht als eine große Last.
Als Patricia Hamilton den Entschluß faßte, ihrem Bruder einen Besuch zu machen, geschah es mit seiner vollen Zustimmung, denn er wußte nicht, daß das Zusammentreffen seiner beiden Sorgenkinder Veranlassung zu Schwierigkeiten geben könnte.
Patricia war an einem glühendheißen Tropenmorgen angekommen und herzlich von ihrem Bruder empfangen worden. Die Haussa standen in ihren Alltagsuniformen am Ufer und schauten feierlich zu, wie Militini seine Schwester begrüßte.
Distriktsgouverneur Sanders, Ritter des Michael- und Georg-Ordens, war ihr etwas formeller gegenübergetreten, denn er hatte eine gewisse Scheu vor Frauen. Und Bones war damals, wie wir ja wissen, nicht zugegen – was in mehr als einer Beziehung unangenehm war.
Auch die Tatsache, daß Miß Hamilton außerordentlich hübsch war, machte die Lage für den unglücklichen Bones nicht leichter. Männer, die unter Eingeborenen leben und außer schönen Gestalten, die aber nicht auf europäische Art gekleidet sind, nichts sehen, sind geneigt, jede weiße Frau, die ihnen nach langer Zeit zu Gesicht kommt, für eine Schönheit zu halten. Aber es bedurfte weder des Kontrastes noch des Vergleichs mit den Eingeborenen, um Patricia zu bewundern.
Sie war von keltischem Typus und etwas über mittelgroß. Ihre Haltung war aufrecht, und sie hatte einen wunderbaren Gang. Ihr Gesicht bildete ein vollkommenes Oval, ihre schöne, glatte Haut war leicht gebräunt.
Ihre Augen strahlten, und sie war immer zum Lachen bereit. Trotzdem war sie ein ernster Charakter, und aus ihren Blicken und Zügen sprachen angeborene Güte und Zartheit. Drei Menschen verehrten sie an der Küste.
Ihr Bruder bewunderte sie natürlich, sah sie aber etwas kritisch an; Sanders bewunderte sie und fürchtete sie ein wenig; Leutnant Tibbetts bewunderte sie und hielt sich von ihr fern.
Nach jener peinlichen Entdeckung warf Bones die Tür seiner Hütte hinter sich zu und lehnte standhaft alle Nahrung ab. Er hatte sich selbst aus dem Kreis seiner Landsleute ausgeschlossen.
Am nächsten Morgen traf er Hamilton bei den Exerzierübungen. Er sah hohläugig aus (wie er hoffte), denn er hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Aber seine Haltung zeigte nichts von der tiefen Hochachtung und Verehrung seinem Vorgesetzten gegenüber, wie sie eigentlich die Paragraphen der Dienstvorschriften forderten.
»Wie geht es eigentlich Ihrem Kopf, Bones?« fragte Hamilton, nachdem er die Soldaten hatte wegtreten lassen.
»Ich danke Ihnen, Sir«, sagte Bones bitter, obwohl gar kein Grund vorhanden war, über diese freundliche Nachfrage beleidigt zu sein. »Ich danke Ihnen, es ist immer dasselbe. Meine Temperatur ist oder war etwa vierzig Grad Fieber, ich lag im Delirium, und ich kann auch gerade nicht behaupten, daß ich im Moment frei von Wahnvorstellungen bin.«
»Kommen Sie mit zum Mittagessen«, lud ihn Hamilton ein.
Bones salutierte – das war das sichere Vorzeichen, daß er eine größere, dramatische Rede halten würde.
»Sir«, sagte er fest, »Sie sind immer ein netter, alter Offizier mir gegenüber gewesen, bevor dieses schreckliche Ereignis mein junges Leben vernichtete – aber ich werde niemals wieder derselbe werden, der ich früher war.«
»Seien Sie doch kein Esel, Bones!«
»Schmähen Sie mich nicht!« rief Bones entrüstet. »Geben Sie mir lieber einen gefährlichen Auftrag! Einen abenteuerlichen Auftrag, bei dem ein Mann wie ich sein Leben in die eine und den Revolver in die andere Hand nimmt. Aber fragen Sie mich nicht ...«
»Meine Schwester möchte Sie gerne sehen«, unterbrach Hamilton den Strom seiner Beredsamkeit.
»Haha«, lachte Bones hohl und schritt zu seiner Hütte.
»Der Himmel mag wissen, was ich mit ihm anfangen soll«, seufzte Hamilton bei Tisch. »Deine Ankunft hat ihn völlig durcheinander gebracht, Patricia!«
Sie faltete die Serviette zusammen, trat ans Fenster und schaute über den gelben Exerzierplatz hin, der jetzt verlassen dalag.
»Ich werde ihn einmal besuchen«, erklärte sie plötzlich.
»Armer Bones«, murmelte Sanders.
»Das ist recht herzlos von Ihnen!« Sie nahm ihren Tropenhut vom Regal neben der Tür, setzte ihn sorgfältig auf, ging dann durch die offene Tür und pfiff vergnügt.
»Ich hoffe, Sie nehmen das Pfeifen nicht übel«, entschuldigte Hamilton seine Schwester. »Wir haben es Ihr niemals abgewöhnen können.«
Sanders lachte.
»Es wäre ungewöhnlich, wenn sie nicht pfeifen würde«, meinte er geheimnisvoll.
Bones lag auf dem Rücken, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und dachte nach. Eine halbleere Keksdose und die Überbleibsel einer Pralinenpackung ließen erkennen, daß der Einsiedler nicht die Absicht hatte zu verhungern.
An seinem Geist zog eine lange Folge trauriger, melancholischer Bilder vorüber. Vielleicht würde er fortgehen, weit, weit fort in das Innere. Sogar in das Gebiet des großen Königs, wo das Leben eines Mannes nicht mehr wert war als fünf Pfennige. Wenn dann Tag um Tag dahinging, ohne daß Nachricht von ihm eintraf – wie sollte das auch möglich sein, wenn er unter einem Steinhügel ruhte –, dann würden sie ängstlich werden und sich um ihn sorgen. Und dann würden Boten kommen, die ihr die paar Wertstücke überbrachten, die er ihr vermacht hatte – eine Armbanduhr, einen zerbrochenen Säbel und ein silbernes Zigarettenetui, das die Eindruckstelle des Pfeiles zeigte, der ihn durchbohrt hatte. Und sie würde um ihn trauern und ihn in der Einsamkeit ihres Zimmers beweinen.
Vielleicht auch würde seine Kraft noch reichen, ihr ein paar Worte zu schreiben und sie um Verzeihung zu bitten. Dann würden Tränen in ihre schönen grauen Augen kommen – wie sie jetzt in seinen eigenen Augen standen, als er sich dieses Bild ausmalte. Und sie würde alles wissen und ihm verzeihen.
Draußen pfiff jemand.
Oder er würde von einem schweren Fieber heimgesucht werden und todkrank auf seinem Lager liegen, dann würde sie kommen und ihn pflegen wollen, aber er würde es ablehnen. »Sag ihr, Ali«, würde er mit schwacher, ersterbender, aber tapferer Stimme flüstern, »sag ihr ... ich bitte sie nur um Verzeihung.«
Wieder wurde gepfiffen.
Bones hörte es wohl. Der Pfiff kam von dem offenen Fenster unmittelbar über seinem Kopf. Singvögel waren in diesem Teil des Landes selten, aber er war zu träge und zu sehr in seine traurigen Phantasien vertieft, um aufzustehen.
Aber vielleicht würde sie ihn nie wiedersehen, und vielleicht würde sie niemals die tiefe Ungerechtigkeit ...
Jetzt pfiff man aber sehr laut und sehr lange. Bones hörte es genau und deutlich, wandte den Kopf halb um und schaute nach oben –
Im nächsten Augenblick sprang er auf und wischte sich mit der Hand die feuchte Stirn ab. Sie, bei der alle seine Gedanken weilten, lehnte mit gespitzten Lippen an der Fensterbank.
Patricia schaute ihm fest in die Augen. »Kommen Sie heraus, Sie Unglücksrabe.«
Bones schaute sie bestürzt an, aber er gehorchte.
»Was soll das heißen, daß Sie hier in Ihrer häßlichen, kleinen Hütte Trübsal blasen, während Sie doch auf Händen und Füßen herbeikriechen müßten, um mich um Verzeihung zu bitten?«
Er erwiderte nichts.
»Bones«, fuhr das energische Mädchen fort und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, »Sie verdienen eine gehörige Tracht Prügel!«
Bones hielt sein knochiges Handgelenk hin. »Schlagen Sie mich nur«, trotzte er.
Aber kaum hatte er das gesagt, als ihre fest kleine Hand ihm auf die Finger klopfte. Bones stöhnte.
»Aber Haltung, meine liebe, gute Miß Hamilton«, sagte er und rieb sein Handgelenk.
»Ja, Haltung, mein lieber, alter Bones«, ahmte sie ihn nach, »Sie sollten sich wirklich schämen ...«
»Lassen Sie die Vergangenheit vergessen sein, meine liebe, gute Miß Hamilton«, bat Bones jetzt großzügig. »Ich sehe, daß Sie eine tüchtige junge Sportsdame sind – geben Sie mir Ihre Hand, selbst wenn sie eine Tonne schwer ist.«
Er streckte seine sehnige Hand aus und schüttelte die ihre, daß Patricia ihr Gesicht verzog.
Fünf Minuten später ging er neben ihr her, zeigte ihr die Quartiere der verheirateten Haussa-Soldaten und erzählte ihr die Geschichte seiner ersten Liebe. Sie verstand es ausgezeichnet, zuzuhören, und unterbrach ihn nur durch ein paar Fragen, ob irgendwie Verrücktheit in seiner Familie erblich oder ob die junge Dame kurzsichtig gewesen sei. Es hätte Hamilton selber sein können, der Bones so hänselte.
»Was reden die beiden nur so viel miteinander?« wunderte sich Sanders, der sie von seinem tiefen, bequemen Segeltuchstuhl aus beobachtete.
»Bones erzählt ihr sicher seine Lebensgeschichte«, meinte Hamilton gleichgültig, »und wie er diese Kolonie vor einem Aufstand bewahrt hat. Er bittet sie natürlich auch, weder Ihnen noch mir ein Wort davon zu sagen, denn er fürchtet, daß wir dadurch verletzt sein könnten.«
In demselben Augenblick erzählte Bones tatsächlich recht unbescheiden von seinen Verdiensten und machte am Schluß eine kleine Randbemerkung.
»Natürlich möchte ich nicht haben, meine liebe, gute Miß Hamilton«, sagte er leise, »daß Sie hiervon ein Wort zu Ihrem netten Bruder sagen. Er ist ein sehr feiner Mensch, aber im Vergleich mit einem so tüchtigen und umsichtigen Manne wie mir, der die Seele der Eingeborenen so gut versteht ...«
»Warum schreiben Sie eigentlich nicht ein Buch über Ihre Abenteuer? Das würde sich doch wie warme Semmeln verkaufen.«
Bones war hingerissen vor Dankbarkeit.
»Das ist ganz meine Meinung! Was für ein klares Urteil haben Sie doch! Es ist wirklich schade, daß dieser gerechte Sinn nicht in Ihrer ganzen Familie vertreten ist! Ich will Ihnen einmal ein Geheimnis verraten, aber Sie dürfen niemand etwas davon sagen – auf Ehre!«
»Auf Ehre!«
Bones schaute sich um.
»Das Manuskript liegt schon fertig für den Verleger da«, flüsterte er und trat einen Schritt zurück, um den Eindruck seiner Worte auf Patricia zu beobachten.
In ihren Augen lag Bewunderung, und Bones erkannte, daß er endlich eine mitfühlende Seele gefunden hatte.
»Es muß schrecklich interessant sein, Bücher zu schreiben«, sagte sie seufzend. »Ich habe es auch versucht – aber ich kann keine Geschichten erfinden.«
»Natürlich – aber in meinem Fall ...«
»Ich nehme an, Sie setzen sich mit der Feder in der Hand hin und denken sich allerhand aus«, fuhr sie belustigt fort. Dann lenkte sie ihre Schritte wieder zur Residenz.
»Dies ist die Geschichte meines Lebens«, erklärte Bones ernst, »das sind keine Erfindungen und keine Phantasien ... diese Abenteuer haben sich wirklich zugetragen.«
»Wer hat sie denn erlebt?«
»Selbstverständlich ich«, rief Bones lauter als nötig.
»Oh!« erwiderte sie nur.
»Sagen Sie bloß nicht ›Oh‹!« entgegnete Bones etwas gereizt. »Wenn wir beide gute Freunde sein wollen, meine liebe, gute Miß Hamilton, dann dürfen Sie meine Worte nicht in Zweifel ziehen.«
»Nun renommieren Sie doch nicht so stark, Bones«, wandte sie sich so energisch an ihn, daß er kleinlaut wurde.
Sie führte ihn als Gefangenen zur Veranda und setzte ihn dort in den bequemsten und weichsten Stuhl, den sie finden konnte.
Von diesem Tage an war er ihr Sklave, nur in einem Punkte behauptete er sich selbst.
Bei Tisch drehte sich die Unterhaltung um die Mission, und Miß Hamilton erwähnte, daß sie zur Hochkirche gehöre.
Bones bekannte, daß er Wesleyaner sei.
»Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie ein Dissident sind?« fragte sie ungläubig.
»Ja, doch, das ist meine nette, feine Religion, meine gute Miß Hamilton«, erklärte er. »Ich hätte selbst die geistliche Laufbahn eingeschlagen, aber ich hatte nicht genug – nicht genug ...«
»Verstand«, sagte Hamilton.
»Nein, ich fühlte mich nicht davon durchdrungen, zum Wort Gottes berufen zu sein.«
Patricia hielt ein langes Verhör mit ihm ab, um festzustellen, wie weit seine religiösen Überzeugungen gingen.
Bones verteidigte sich bis aufs Äußerste. Er hatte nur eine sehr schwache Vorstellung von der Lehre, die er verfocht, und lehnte in Bausch und Bogen verschiedene Glaubenssätze ab, die Miß Hamilton sehr teuer waren.
»Aber Bones«, rief sie im Eifer, »Wenn ich Sie nun bäte, Ihren Glauben zu wechseln ...«
Bones schüttelte den Kopf. »Meine liebe, gute Freundin«, sagte er feierlich, »es gibt zwei Dinge auf der Welt, die ich niemals tun werde. Ich ändere meinen Glauben nicht, zu dem ich mich seit meiner glücklichen und ach so fernen Jugend bekenne, und ich höre nicht auf irgendwelche Worte, die Sie, meine liebste, beste Schwester, irgendwie heruntersetzen könnten ...«
»Ich verstehe, Bones«, sagte sie etwas reserviert. »Ich sehe, daß Sie mich nicht so gern haben, wie ich dachte – was meinen Sie, Mr. Sanders?«
Der Distriktsgouverneur lächelte. »Ich kann kaum darüber urteilen«, entschuldigte er sich, »ich bin nämlich selbst Wesleyaner.«
»Oh!« sagte Patricia und verließ die Veranda verwirrt.
Bones erhob sich schweigend, ging zu seinem Vorgesetzten hinüber und streckte seine Hand aus.
»Bruder«, sagte er mit gebrochener Stimme.
»Was, zum Teufel, machen Sie da?« fuhr ihn Sanders an.
»Sie haben gesprochen wie ein treuer Christ, meine liebe, alte Exzellenz. Wir werden unser Bestes tun, Patricia wieder zur rechten Herde zurückzuführen.«
Am Abend hatte Sanders eine freudige Nachricht zu verkünden.
Bones war unter Anleitung Patricias damit beschäftigt, die Strickkunst zu erlernen. Aber Sanders unterbrach dessen künstlerische Tätigkeit.
Was würden Sie zu einer Erholungsfahrt den Strom hinauf in das Land der Isisi sagen?«
Hamilton sprang auf. »Erholungsfahrt?« fragte er bestürzt.
Sanders nickte. »Wir fahren morgen dorthin, um ein Religionspalaver abzuhalten – Bucongo, der Häuptling der unteren Isisi, ist ein etwas zu begeisterter Christ geworden. Ahmet hat mir verschiedene Berichte über ihn geschickt. Ich habe das Palaver schon seit Wochen immer verschoben, aber die Zentralverwaltung hat mir mitgeteilt, daß sie nichts dagegen hat, wenn ich einmal eine Erholungsreise ins Innere mache. So paßt es ganz gut, wir können alle zusammen fahren.«
»Bravo!« rief Hamilton. »Bones, lassen Sie sofort die Strickerei und ordnen Sie das Packen der Vorräte an.«
Bones kniete auf dem Stuhl, stützte die Ellbogen auf den Tisch und schaute seinen Vorgesetzten unwillig an.
»Wie der gute alte Francis Drake sagte, als die spanische Armada ...«
»Machen Sie, daß Sie in den Vorratsraum kommen, Sie ungehorsamer Mensch!« befahl Hamilton, und Bones machte, daß er fortkam.
Der Raum auf der »Zaire« war beschränkt. Aber zusätzlich war noch das kleine Dampfboot da, das außer zur Einziehung des Tributs in den verschiedenen Dörfern selten benützt wurde.
»Ich könnte Bones mit der ›Wiggle‹ fahren lassen«, sagte Sanders. »Ich fürchte nur, er läßt sie dann irgendwie auf eine Sandbank auflaufen. Miß Hamilton wird in meiner Kabine wohnen, und wir beide nehmen die kleineren Kabinen.«
Bones wurde das alles mitgeteilt. Er sprang auf vor Freude, daß er sein eigenes Schiff haben sollte, und widerlegte sofort alle Einwände. Ja, er hatte sie schon alle beantwortet, bevor sie überhaupt ausgesprochen wurden.
Patricia war entzückt über die bevorstehende Fahrt. »Wird es auch Kämpfe geben?« fragte sie atemlos. »Wird man uns angreifen?«
Sanders schüttelte lächelnd den Kopf.
»Halten Sie sich nur an mich«, sagte Bones zuversichtlich. »Vertrauen Sie nur Ihrem alten Bones. Wenn Sie in der Schlacht mein Banner sehen, dann wissen Sie, wohin Sie sich zu wenden haben.«
»Du mußt dich aber erst vergewissern, ob es auch wirklich ein Banner ist«, unterbrach ihn Hamilton. »Du mußt gut aufpassen, daß du es nicht mit seinen großen Füßen verwechselst, mit denen er in der Luft umherstrampelt. Als wir das letztemal einen Zusammenstoß hatten ...« Und er erzählte eine Geschichte, die für Bones nicht gerade sehr ehrenvoll war. Aber Bones widersprach dauernd.
Es war kurz vor der Abfahrt, als Hamilton seinen Untergebenen beiseite nahm.
»Bones«, sagte er freundlich, »ich weiß, Sie sind ein großer Navigator, und meine Schwester, die viel Sinn für Humor hat, würde Sie ja sehr gern am Steuer der ›Wiggle‹ sehen. Da der Distriktsgouverneur aber eine Vergnügungsfahrt machen will, wäre es das beste, wenn Sie einen der Leute steuern ließen.«
Bones richtete sich beleidigt zu voller Größe auf. »Mein lieber, alter Offizier«, erwiderte er ernst, »ich kann nicht annehmen, daß Sie abfällig von meiner Intelligenz und meinen Fähigkeiten sprechen wollen ...«
»Schlagen Sie sich bloß diesen dummen Gedanken aus dem Kopf«, sagte Hamilton, »deswegen rede ich doch gerade mit Ihnen.«
»Ich stehe unter Ihrem Befehl«, entgegnete Bones mit dem Gesicht eines christlichen Märtyrers, »und gemäß Paragraph 156 der Dienstvorschriften ...«
»Nun hören Sie doch mit dem Unsinn auf! Ich gebe Ihnen im Augenblick gar keine Befehle, ich wollte Ihnen nur einen vernünftigen Rat erteilen. Wenn Sie natürlich selbst einen Hanswurst aus sich machen ...«
»Ich habe nicht die leiseste Absicht, das zu tun, mein lieber Vorgesetzter – und ich lasse mich auch nicht durch meine Umgebung beeinflussen.«
Er stand stramm, grüßte militärisch und ging dann zu den Baracken.
Bones hatte Schwierigkeiten, die Vorräte zu packen. In Wirklichkeit war schon alles gepackt, als er zur »Wiggle« kam, und ein anderer wäre sehr zufrieden darüber gewesen. Aber Bones ließ alles wieder ausladen und packte dann nach seiner eigenen Weise. Als er damit fertig war, konnte auch der Dümmste erkennen, daß das Dampfboot nach der einen Seite überhing und große Gefahr bestand, daß es umschlug, bevor es überhaupt die Fahrt antrat. Alle Vorräte mußten also wieder ausgeladen werden. Hamilton übernahm nun selbst die Aufsicht über die Arbeiten und fluchte heftig auf seinen Untergebenen.
Als alle zur Abfahrt fertig waren, erinnerte sich Bones daran, daß er sein Logbuch vergessen hatte, und es gab eine neuerliche Verzögerung.
»Haben Sie jetzt alles?« Sanders lehnte sich müde und ärgerlich über die Reling.
»Es ist alles in Ordnung«, entgegnete Bones und grüßte seinen Vorgesetzten militärisch, lachte dabei aber Patricia an.
»Haben Sie auch Ihre Heißwasserflasche und Ihre Lockenwickel nicht vergessen?« fragte Hamilton ironisch.
Bones würdigte ihn keines Blickes, gab seinem Ingenieur ein Zeichen, und die »Wiggle« fuhr, wie es auch sonst ihre Gewohnheit war, im großen Bogen vom Kai ab. Bones war aber nicht darauf gefaßt gewesen, er stolperte und wäre beinahe ins Wasser gefallen, wenn er sich nicht an den heißen Schornstein geklammert hätte. Mit einer eleganten Bewegung fand er seine Balance gerade noch zur rechten Zeit, um die kleine Flagge der »Zaire« zu grüßen, als er an ihr vorbeifuhr. Unter den Augen Hamiltons nahm er mit der größten Seelenruhe das Steuer in die Hand und lenkte die »Wiggle«, bis sie am Ufer festsaß.
Dies ereignete sich alles in dem kurzen Zeitraum von drei Minuten.
»Wenn Sie sich bloß Ihren verrückten Schädel dabei eingeschlagen hätten«, fuhr ihn Hamilton an, der nicht zu Unrecht sehr böse war, »dann hätte der Unfall doch wenigstens einen gewissen Wert gehabt.«
Es dauerte eine halbe Stunde, bis die »Wiggle« wieder flott war, denn um das zu erreichen, mußten alle Vorräte ausgepackt, zum Betonkai getragen und nachher aufs neue zum Schiff gebracht werden.
»Sind Sie jetzt fertig?« fragte Sanders.
»Jawohl, zu Befehl, Sir!« antwortete Bones kleinlaut.
*
Bucongo, der Häuptling der unteren Isisi, hatte einen Streit mit seinem Schwager über eine gewisse Sache, die seine Ehre verletzte. Er brachte sein Leben in Gefahr, denn eines Morgens fand man seinen Verwandten tot auf, von einem Speer durchbohrt. Dies entdeckte Sanders aber erst nach der großen Untersuchung, die den Ereignissen folgte, die hier erzählt werden sollen.
Der Schwager hatte boshaft geschworen, daß Bucongo in Verbindung mit Teufeln stehe. Bucongo war in seiner frühen Jugend von katholischen Missionaren aufgegriffen worden und hatte lange Zeit in der Station zugebracht, um geheimnisvolle Riten und Zeremonien zu erlernen. Er selbst hatte sich dabei nie recht wohl gefühlt. Sein Schwager war in einer andern Missionsstation aufgezogen worden, und man hatte ihn gelehrt, daß Gott im Strom lebe und daß es notwendig sei, in die Fluten des Stromes einzutauchen, um seines Ju-jus ganz teilhaftig zu werden.
Zwischen den Wassergott-Leuten und den Kreuzgott-Leuten gab es immer Streitigkeiten. Sie sprachen verächtlich voneinander, obwohl keiner von ihnen seinen Glauben richtig verstand. Die zu dem katholischen Glauben Bekehrten waren allerdings im Vorteil, denn sie hatten von den Geistlichen eine Zinnmedaille erhalten, auf der Herzen und sonnenähnliche Strahlen zu sehen waren. (Diese Medaillen waren das beste Heilmittel gegen Zahn- und Leibschmerzen.) Die Protestanten hatten ihren Anhängern nur ein geheimnisvolles Etwas mit auf den Weg gegeben, das in der Eingeborenensprache als A'lamo bezeichnet wurde – was Gnade bedeutet.
Als sie nun aber von ihren mit den Medaillen prunkenden Rivalen aufgefordert wurden, diese Gnade zu zeigen, waren sie sehr niedergeschlagen und beschämt, denn sie mußten zugeben, daß A'lamo ein unsichtbarer Zauber war, der aber trotzdem nach ihren Angaben ein wirksamer Zauber war, denn er schützte vor dem Ertrinken und heilte Warzen und Furunkel.
Bucongo, der einflußreichste und stärkste Anhänger der Kreuzgott-Leute, der sogar ein neues Ritual erfunden hatte, vergnügte sich daran, den Missionaren der Baptisten zuzusehen, die knietief im Wasser standen und damit beschäftigt waren, die Seelen der Bekehrten reinzuwaschen.
Er war sogar gegen den jungen Ferguson unverschämt geworden, der der Leiter der amerikanischen Baptisten-Mission war. Aber zu seiner größten Verwirrung hatte ihn dieser mit einem linken Schwinger zu Boden gestreckt, denn Ferguson war früher ein guter Boxer im Mittelgewicht gewesen, als er noch auf der Harvard-Universität studierte.
Er brachte seine Beschwerde vor Sanders, der an der Vereinigung der Isisi- und N'gombi-Stromes angekommen war und dort sein Palaver abhielt. Bucongo war mit verbundenem Gesicht vor dem Distriktsgouverneur erschienen und sehr unfreundlich empfangen worden.
»Gehe und verehre deinen Gott in Frieden und lasse alle andern Leute auch ihre Götter verehren. Sage den weißen Leuten keine schlechten Worte, denn sie sind sehr schnell, wenn sie ärgerlich werden. Auch ist es ungehörig, daß ein schwarzer Mann zornig zu seinen Herren spricht.«
»O Herr«, erwiderte Bucongo, »im Himmel sind alle Menschen gleich, die weißen und die schwarzen.«
»Wir sind aber nicht im Himmel, und hier am großen Strom hat jeder seinen Rang und seine Stellung nach seinem eigenen Verdienst. Morgen werde ich in dein Dorf kommen und mich nach gewissen geheimen Feiern und Festen erkundigen, die du abhältst und von denen die Gottesmänner nichts wissen – das Palaver ist aus.«
Nun war Bucongo in gewisser Beziehung mehr als ein gewöhnlicher Bekehrter. Er war ein Mann von hervorragender Intelligenz und hatte überraschend originelle Einfälle. In der römischen Kirche war er Laien-Missionar gewesen und hatte viele Leute zu einer merkwürdigen Religion bekehrt, deren Ritual den guten Jesuitenpatres allerdings nur halb enthüllt wurde. Es wurde ein großes Palaver abgehalten, wobei er seine ganze Gemeinde vorstellen mußte. Der Gottesdienst fand auch statt, wurde aber von einem Ziegenopfer, einer Zauberprozession und einem Beschwörungstanz unterbrochen. Die Vertreter der katholischen Mission waren sprachlos. Bucongo wurde vor eine Missionskonferenz berufen und erhielt einen energischen Verweis.
Er entschuldigte sich und tat Buße, aber die Sache hatte damit ein Ende. Es fanden sich auch genügend Beweise, daß dieser begeisterte Christ gründlich zu Werke gegangen war und auf eigene Faust eine neue Religion gegründet hatte.
Die Lage war schwierig, und andere Religionsgemeinschaften hätten wahrscheinlich gezögert, eine Reform in Angriff zu nehmen, durch die sie eine große Anzahl von Anhängern verloren.
Das Schicksal der Bucongo-Gemeinde war besiegelt, als er in seinem Ärger eine halbe Tagesreise in seinem Boot den Strom entlangfuhr und zu der Hauptmissionsstation kam. Pater Carpentier, ein Mann mit langem, wallendem Bart, gutmütigem roten Gesicht und braunen Armen, hörte ihm im Schatten seiner Hütte zu und rauchte dabei nachdenklich eine lange Pfeife.
»Und Pentini«, schloß Bucongo, »selbst Sanders tut mir Schande an, weil ich ein Kreuzgott-Mann bin. Er ist, soweit ich weiß, ein Anhänger des Wassergottes.«
Der Pater betrachtete sinnend dieses verirrte Schaf seiner Herde. »O Bucongo«, sagte er liebenswürdig, »in den Ländern am Strom leben viele wilde Tiere. Einige fliegen und einige schwimmen, einige laufen schnell und einige verbergen sich in der Erde. Sage mir, welche von ihnen tun das Richtige?«
»O Herr, sie tun auf verschiedene Weise alle das Richtige.«
Pater Carpentier nickte. »Auch gibt es in den Wäldern zwei Arten von Ameisen – die einen leben in Nestern auf dem Baum, die andern graben ihren Bau tief in die Erde. Sie sind von derselben Gattung und nähren sich in gleicher Weise. Aber Gott hat ihnen in ihre kleinen Köpfe gegeben, daß die einen auf die Bäume klettern und die andern in die Erde graben sollen. Sie haben beide recht. Wenn sich aber die Baumameisen und die Erdameisen treffen und einander bekämpfen, dann haben beide unrecht.«
Bucongo, der vor dem Pater auf der Erde gehockt hatte, erhob sich traurig. »O Herr, diese Geheimnisse sind zu hoch für einen armen Mann. Ich kenne einen besseren Ju-ju, und zu dem werde ich gehen.«
»Da hast du keine weite Reise, Häuptling«, sagte der Pater streng. »Ich habe Geschichten von Geistertänzen im Walde gehört und von einem gewissen Bucongo, der dabei der Anführer ist – auch spricht man von einem Menschenopfer, das stattfand, und von Bekehrten, denen ein Kreuz mit einem glühenden Eisen eingebrannt wird.«
Der Häuptling sah seinen früheren Lehrer wütend an, wandte sich um und ging, ohne ein Wort zu verlieren, zu seinem Boot zurück.
Am nächsten Morgen schickte Pater Carpentier durch einen Boten einen dringlichen Brief an Sanders. Der Distriktsgouverneur las das Schreiben und runzelte die Stirn. Er ließ den Brief sinken und kam an Deck, wo Hamilton mit seiner Angelrute saß.
»Was gibt es?« fragte dieser schnell, als er sich nach Sanders umschaute.
»Bucongo von den unteren Isisi macht Dummheiten. Ich habe von seinen religiösen Versammlungen gehört und bin ein wenig beunruhigt. Das wird ein großes Ju-ju-Palaver geben, wenn ich mich nicht sehr täusche. Wo ist Bones?«
»Er ist mit meiner Schwester zu der Bucht gegangen – er sagt, daß dort viele kleine weiße Reiher nisten, und ich glaube, er hat recht.«
Sanders wurde unruhig.
»Schicken Sie sofort ein Kanu aus, um die beiden zurückzuholen. Das ist Bucongos Gebiet, und ich traue diesem Teufel nicht.«
»Wem? Bones oder Bucongo?« fragte Hamilton unschuldig.
Aber Sanders war nicht zum Scherzen aufgelegt.
*
Zur selben Zeit saß Bones vor der phantastischsten religiösen Versammlung, an der jemals ein Geistlicher oder ein Laie teilgenommen hatte.
Das Schicksal und Bones hatten Patricia durch eine schöne Waldlichtung geführt – sie hatten die »Wiggle« eine halbe Meile weiter unten am Strom verlassen, weil dort viele Untiefen waren, so daß sie nicht weiterfahren konnten, und Bucongo in einem großen Augenblick getroffen.
Bones glaubte auf eine der üblichen Versammlungen zu stoßen, die dieser bekehrungstüchtige Häuptling der unteren Isisi so häufig abhielt. Er stand an der äußeren Peripherie des großen Zuhörerkreises. Die Leute beobachteten schweigend, wie ein junges Mädchen ganz gegen ihren Willen mit Bucongos Gott bekannt gemacht werden sollte.
Sie lag vor dem großen Steinaltar, auf dem ein schrecklicher Götze stand, der mit einem Auge auf die Andächtigen herniederschaute. An Händen und Füßen war sie an Pfähle gebunden, die in den Grund getrieben waren.
Vor dem Altar selbst loderte ein Holzfeuer, in dem zwei Eisen glühend gemacht wurden.
Bones sah dies nicht, denn er starrte mit offenem Munde auf Bucongo. Auf dem Kopf des Häuptlings saß zweifellos eine Mitra, aber es war eine geflochtene Schnur aus Lederriemen darum gebunden, von der ein Kranz von Affenschwänzen herabhing. Als Chorrock trug er ein Leopardenfell. Sein Gesicht war mit roter Camholzfarbe bestrichen, und um seine Augen hatte er zwei weiße Kreise gemalt.
Bucongo war gerade dabei, eine aufreizende Ansprache zu halten, als die beiden weißen Menschen auf der Bildfläche erschienen. Seine Hand war schon ausgestreckt, um das eine glühende Eisen zu ergreifen, als Patricia außer sich vor Schrecken plötzlich in den Kreis lief und Bucongo das Marterwerkzeug aus der Hand riß. Sie warf es in weitem Bogen mitten unter die Zuschauer, die auseinanderstoben.
»Wie darfst du das tun! Das ist ja unmenschlich!« rief sie atemlos. »Du schrecklicher Kerl!«
Bucongo starrte sie an, sagte aber nichts, sondern wandte sich an Bones.
Er hatte in diesem Augenblick einen großen Entschluß zu fassen und mußte mit den Gewohnheiten seines ganzen Landes brechen. Seine Erziehung veranlaßte ihn, halb die Hand zum Gruß vor dem weißen Mann zu erheben, aber plötzlich kochte und siedete etwas in seinem wahnsinnigen Gehirn und stachelte ihn auf. Ein wilder, unvernünftiger, brutaler Trieb, den er von seinen Vorfahren geerbt hatte, zwang ihn zu einem andern Handeln. Bones hatte seinen Revolver erst halb gezogen, als ihn der Schaft des Häuptlingsspeers zwischen die Augen traf.
So kam es, daß er bald darauf mit Patricia vor Bucongo saß. Seine Füße und seine Hände waren mit Grasstricken zusammengebunden, und das Mädchen an seiner Seite war in keiner besseren Lage als er.
Sie war sehr erschrocken, aber sie zeigte es nicht. Sie war auch unfähig, den Wortwechsel zu verstehen.
»O Tibbetti«, sagte Bucongo, »du siehst mich als einen Gott vor dir stehen – ich habe jetzt mit allen weißen Leuten Schluß gemacht.«
»Es wird nicht lange dauern, bis wir mit dir Schluß machen, Bucongo.«
»Ich kann nicht sterben, Tibbetti«, erwiderte der Häuptling zuversichtlich, »das ist etwas Wunderbares.«
»Auch andere Leute haben das gesagt, und ihre Witwen sind wieder Frauen geworden und haben vergessen, daß sie Witwen waren.«
»Dies ist ein neuer Ju-ju, Tibbetti.« Bucongo zeigte auf den Götzen, und seine Augen leuchteten seltsam auf. »Ich bin der größte von allen Kreuzgott-Männern, und es ist mir enthüllt worden, daß ich viele Nachfolger haben werde. Und ihr, du und die Frau, werdet die ersten von allen weißen Leuten sein, die das Zeichen des gesegneten Bucongo tragen werden. Und in zukünftigen Tagen werdet ihr eure Brust entblößen und sagen: Dies tat Bucongo, der Gnadenreiche und Wundervolle, mit seinen herrlichen Händen.«
Bones trat der kalte Schweiß auf die Stirn, und sein Mund war trocken. Er wagte kaum, Patricia anzusehen.
»Was sagt er?« fragte sie leise.
Bones zögerte, aber dann übersetzte er ihr die Drohung des Schwarzen.
Sie nickte.
»O Bucongo«, sagte Bones, dem plötzlich ein Gedanke kam. »Obgleich du Böses tust, ich will es doch ertragen, aber dann sollst du wenigstens diesen meinen Wunsch erfüllen. Brenne mich allein auf der Brust, denn wenn jeder von uns gebrannt wird, dann sind wir für Lebenszeit aneinander gebunden, und du siehst doch, wie häßlich diese Frau ist mit ihrer dünnen Nase und ihren blassen Augen. Auch hat sie lange Haare wie das Gras, aus dem die Webervögel ihre Nester bauen.«