Zwei dicke Möpse - Christian Bauer - E-Book

Zwei dicke Möpse E-Book

Christian Bauer

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Beschreibung

Kommissar Robert Simarek an ungewohntem Ort: Seine Kölner Freundin Evi hat es geschifft, ihn zu einem Opernbesuch in Saarbrücken zu überreden, und noch überraschender - Simarek ist begeister, "Rigoletto" berührt ihn sehr. Dass diese Begegnung mit der Welt der Oper allerdings in seine kriminalistische Arbeit nachwirken wird, damit hat er nicht gerechnet. Zwei Tage nach der Vorstellung wird der Startenor tot in der Landesoper aufgefunden: erhängt. Alles deutet auf einen Selbstmord hin, aber Simarek hat recht schnell Zweifel. Und die schöne Witwe des Sängers scheint nicht die einzige Dame zu sein, die Grund zur Trauer hat. Die Ermittlungen in diesem dritten Band der Reihe führen Simarek und sein Team in die Welt hinter dem Theatervorhang, wo offenbar nichts so ist, wie es scheint, und in der der große Tenor nicht nur Freunde hatte.

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Zwei dicke Möpse

Alle Rechte vorbehalten© 2013 Gollenstein VerlagDie BuchMarke der O.E.M. GmbH, Saarbrückenwww.gollenstein.de

Buchgestaltung: Nathalie NierengartenSatz: Karin Haas

eISBN 978-3-956330-18-6

ISBN 978-3-95633-016-2

CHRISTIAN BAUER

Zwei dicke Möpse

Ein Fall für Robert Simarek

Mit Dank an Thomas Eßer, dessen Fachwissen alsVersicherer mir sehr geholfen hat und der diesenKrimi leider nicht mehr lesen kann.

Ich frage mich manchmal, ob Männer und Frauenwirklich zueinander passen.Vielleicht sollten sie einfach nebeneinander wohnenund sich nur ab und zu besuchen.

Katherine Hepburn (1907-2003)

O wie so trügerisch sind Weiberherzen

Herzog von Mantua, „Rigoletto“

Sonntag, 9. Mai 2004

Er hatte den Klang dieser Stimme noch in den Ohren. Und er war immer noch ergriffen. So schön. Eigentlich hatte er geglaubt, Oper sei nichts für ihn. Doch er war eines Besseren belehrt worden und dankbar dafür. Evi hatte die Karten besorgt. „Wir sollten mal wieder etwas Außergewöhnliches machen“, hatte sie gesagt. Und wenn sie dieses Wochenende schon in Saarbrücken verbrachten, dann wollte sie auch diesen Tenor hören, über den die bundesweiten Feuilletons seit Monaten nur Lobeshymnen verfassten. „Er zaubert den Glanz seiner Stimme direkt in die Herzen der Zuhörer“, hatte der Saarbrücker Morgen erst in der vergangenen Woche getextet. Robert Simarek hatte das zwar etwas schwülstig gefunden, dem Drang seiner Freundin aber trotzdem gerne nachgegeben. Wenn Evi es sich so sehr wünschte, dann würde er auch eine Oper mit ihr durchstehen. Zwei Stunden Gesang und eine Sektpause, das war als Liebesbeweis kein zu hoher Preis für die Frau, mit der er jetzt seit fast neun Jahren zusammen war. Doch das Opfer, das er ihr bringen wollte, war dann gar keines. Er hatte mit Evi in der zehnten Reihe, Parkett, der Landesoper gesessen und jeden Ton genossen. Rigoletto hatte auf der Eintrittskarte gestanden, und er hatte sich vorher im Internet schlau gemacht über die Geschichte des liebestollen Herzogs von Mantua und seines bösartigen Hofnarren, eine Geschichte, die er durchaus aktuell fand.

Seit er in seiner Wohnung einen PC mit Internetzugang besaß, nutzte er das weltweite Netz sogar privat, wenn auch selten. Er misstraute diesem unbegrenzten Markt der Informationen, aber manchmal hatte dieser Markt auch unbestreitbare Vorteile. Ein Programmheft hatten er und Evi trotzdem noch gekauft, auch wenn sie den Inhalt der Oper schon kannten. Aber sie wollten schließlich wissen, mit wem sie es auf der Bühne zu tun hatten.

Nach Rigoletto waren sie noch in der Gelben Kastanie gewesen, Simareks Stammkneipe. Und Evi Katschmarek hatte nicht aufgehört zu schwärmen.

„Eine Stimme“, sagte sie zu Biggi, der Wirtin, „eine Stimme zum Dahinschmelzen.“ Biggi hatte das eher belustigt.

„Steht Robert nicht auf Britpop?“

„Coldplay und Giuseppe Verdi schließen sich nicht grundsätzlich aus“, hatte Robert Simarek mit einem Augenzwinkern gefachsimpelt. „Aber Verdi ist live deutlich besser.“ Coldplay, das hatte er vor längerer Zeit einmal gelesen, sei live ziemlich lausig. Eine Einschätzung, die gerade zur richtigen Zeit gekommen war, denn seine Konzertkarte für Frankfurt musste er wegen des Mordes an einem russischen Wirtschaftsattaché verfallen lassen, weshalb er beschlossen hatte, die Meinung des Kritikers zu übernehmen.1

„Coldplay und Verdi. Klingt für mich wie Bœuf Stroganoff mit Dibbelabbes“, hatte Biggi geantwortet und der Abend ging harmonisch zu Ende. Auch an die darauffolgende Nacht hatte Robert Simarek nur angenehme Erinnerungen.

Nun saß Evi seit einer halben Stunde im Zug zurück nach Köln. Er hatte sie zum Bahnhof gebracht, ihr in einem Anfall von Romantik noch eine Rose gekauft und sie dann am Bahnsteig lange geküsst. „Junge, Junge, wenn Oper auf dich so einen stimulierenden Einfluss hat, dann gehen wir jetzt jede Woche hin.“ Evi grinste, denn sie sahen sich höchstens alle vierzehn Tage. Ihrer Beziehung tat dies auf seltsame Weise gut.

„Ich wollte immer schon in die Kölner Oper“, log Simarek. Dann fuhr der Zug ab.

Simarek schlenderte durch sein Viertel nach Hause. Die Luft war kühl, aber ihm war nicht kalt. Er summte. In so guter Stimmung war er lange nicht mehr gewesen. Dieses Wochenende hatte ihm gutgetan und Giuseppe Verdi daran entscheidenden Anteil, ebenso wie diese wunderschöne Stimme, die er immer noch zu hören glaubte. Auch an diesem Abend würde er zufrieden ins Bett gehen. Seinen Job hatte er vollkommen vergessen. Und das kam selten vor.

1Ein dreckiger Sack, Robert Simareks zweiter Fall, Gollenstein 2011

Montag, 10. Mai 2004

Sein Handy klingelte um sieben Uhr dreißig. Er stand gerade im Bad und rasierte sich. Eigentlich hatte er vorgehabt, noch ein paar Kilometer zu joggen, aber dafür war er zu spät aufgewacht. Überhaupt ließen seine sportlichen Ambitionen in letzter Zeit eher nach. Seinen Trainingsplan, mindestens viermal die Woche zu laufen, erfüllte er seit Wochen nicht mehr. Auch heute hatte er sich lieber noch einmal umgedreht und gedöst. Da die Zeit danach für Frühsport nicht mehr reichte, wollte er die Arbeitswoche wenigstens glatt rasiert und körpergepflegt beginnen. Er hatte den Schaum noch im Gesicht, als er das Handy ans Ohr hielt. Danach musste er sich beeilen, brachte die Rasur hastig zu Ende, warf sich in die Klamotten vom Vortag und stürzte aus dem Haus. Zur Landesoper waren es zu Fuß gerade einmal fünf Minuten. Er verkürzte diese Zeit, indem er kurze Stücke rannte. So kam Hauptkommissar Robert Simarek doch noch zu seinem Frühsport.

Ein Mann lag auf dem Boden der Probebühne, einen Strick um den Hals, zugezogen. Der Strick war offenbar durchgeschnitten worden, der andere Teil hing noch an einem Holzbalken, der zum Bühnenbild gehörte und Teil eines angedeuteten Pavillons war. Ein Stuhl lag umgekippt neben der Leiche. Zwei Streifenpolizisten hatten die Probebühne mit Flatterband notdürftig abgesperrt. In der Ecke stand eine kleine Gruppe von Menschen, die wohl zur Landesoper gehörten. Sie schwiegen und betrachteten offenbar verstört die unwirkliche Szenerie. Ralf Mikusch, einer der beiden Uniformierten, kam auf Simarek zu.

„Moin, Herr Hauptkommissar. Schöne Scheiße hier am frühen Morgen, das. Hat sich wohl einer aufgehängt. Als wir kamen, war er aber schon abgehängt. Deshalb haben wir auch sofort Ihr Kommissariat informiert.“

„Klar.“ Simarek nickte. Auch ein Selbstmord war ein unnatürlicher Tod, der Ermittlungen nach sich zog. Und er war froh, dass sein Assistent Fabio Trulli ihn sofort angerufen hatte, als die Streifenpolizisten einen Erhängten im Kommissariat gemeldet hatten. Er schätzte es, wenn er den Fundort einer Leiche so früh wie möglich sichten konnte, bevor andere Kollegen die Aura der letzten Momente zerstören konnten. Er hatte die Gabe, an diesen Orten Dinge zu spüren, die er nur schwer in Worte fassen konnte. Erst später formten sich diese Wahrnehmungen dann zu Erkenntnissen und wurden oft sogar zu Ermittlungserfolgen.

Hier war die Aura zwar schon gestört, aber der Kommissar hoffte trotzdem noch auf erhellende Entdeckungen.

„Wer hat ihn abgehängt?“

„Marilena Kurth, gehört hier zum Ensemble. Sie hat ihn gefunden. Steht da hinten“, sagte der Streifenpolizist.

„Ich rede nachher mit ihr. Würden Sie die kleine Reisegruppe bitte in einen anderen Raum bringen?“ Simarek wollte eine Weile mit der Leiche allein sein.

Er hatte Silvio Tadoni sofort erkannt. Der tote Tenor erinnerte in nichts mehr an den strahlenden Herzog. Dass er noch das entsprechende Kostüm trug, änderte daran nichts. Sein Gesicht war blass, und Tadonis Hals zeigte den für Erhängte typischen Befund einer Strangfurche. Sein Körper war schon kalt, Simarek musste die Leiche nicht berühren, um das festzustellen. Er spürte es und sah nicht zum ersten Mal einen Erhängten. Aus Nase, Mund und Ohren war Blut ausgetreten. Simarek wusste, dass das mit dem erhöhten Druck im Kopf zusammenhing, der beim Erhängen entsteht. Und auch, dass die Zunge zwischen den Zähnen eingeklemmt war, registrierte der Kommissar als typischen Befund. Das sah nach Selbstmord aus. Dennoch hatte Robert Simarek sofort beim Betreten der Probebühne das Gefühl beschlichen, er wohne einer Inszenierung bei. Er wusste zwar noch nicht, was nicht stimmte, aber dass etwas nicht stimmte, darauf hätte er bereits jetzt das angeschmuddelte Sweatshirt verwettet, das er trug. Ein Selbstmord passte einfach nicht zu dem strahlenden Tenor, den Simarek noch vor zwei Tagen auf der Bühne bewundert und nach dem Schlussakkord auch bejubelt hatte.

Dieser Mann hatte den Erfolg doch genossen, die Huldigung durch das Publikum und vermutlich auch die Lobeshymnen in der Presse. Warum lag er nun tot hier auf dem Boden, sichtlich entstellt und für immer stumm? Das ergab doch keinen Sinn. Aber Simarek wusste auch, dass vieles in der oberflächlichen Wahrnehmung eines Menschen nur Fassade ist. Was wusste er wirklich über Silvio Tadoni? Nichts. Nur, dass er eine bemerkenswerte Stimme besaß und sein Herzog von Mantua ihm ans Herz gegriffen hatte. Aber über den Menschen hinter der Stimme und der Rolle wusste er nichts. Er musste ihn kennenlernen, um seinen Zweifeln auf den Grund gehen zu können. Wo sollte er anfangen?

Sein Gedankengang wurde durch das Eintreffen der Spurensicherung unterbrochen. Tom Laux, ihr Leiter, grinste, als er Simarek bereits am Fundort der Leiche antraf. Er kannte und respektierte, was andere bei Simarek als Marotte interpretierten, nämlich die Aura eines Ortes spüren zu wollen. Laux selbst war ein methodisch exakter Kriminaltechniker, Simareks große Stärke dagegen war seine Intuition. Und mit dieser war er sehr erfolgreich. Simarek wiederum respektierte Tom Laux ebenso und wusste, dass Laux gründlich war und finden würde, wenn es etwas zu finden gab.

„Kein Selbstmord?“, fragte Laux gleich ohne Umschweife. Simarek kratzte sich am Handrücken, was er gerne machte, wenn er nachdachte: „Sieht aus wie Selbstmord, oder soll so aussehen. Beweise habe ich keine…“

„Aber ein Gefühl“, ergänzte Laux mit deutlichem Interesse in der Stimme.

„So ist es“, gab der Kommissar zurück.

„Wenn es was zu finden gibt …“, sagte Laux.

„Dann findest du das, ich weiß.“ Simarek nickte Laux freundlich zu und überließ den toten Tenor den Kollegen.

Ein erstes Gespräch mit Marilena Kurth stand nun auf seinem Plan. Sie hatte den Erhängten gefunden, aber was hatte sie zu dieser frühen Stunde in der Landesoper zu suchen? „Sie gehört zum Ensemble“, hatte der Streifenpolizist gesagt. Aber schlafen Künstler nicht morgens aus? Er beschloss, sie danach zu fragen.

„Ich war mit Bernd verabredet“, beantwortete Marilena Kurth die Frage des Kommissars. Der Hausmeister hatte ihnen für das Gespräch den großen Maskenraum in der Nähe der Hauptbühne aufgeschlossen. Nun konnte Simarek sich und sein Gegenüber in mehreren Spiegeln gleichzeitig betrachten.

„Mit Bernd?“ Der Kommissar stutzte.

Marilena Kurth schaute kurz irritiert, dann huschte ein trauriges Lächeln über ihr Gesicht. „Bernd Müller ist nicht gerade ein schillernder Name für einen großen Tenor. Silvio Tadoni klang da schon besser. War sein Künstlername.“

Erneut wurde dem Kommissar bewusst, dass er wirklich nicht viel wusste und tatsächlich nur die Fassade kannte. Immerhin, Marilena Kurth schien Tadonis Tod nicht gleichgültig zu lassen. Das las er aus ihrem Gesicht, von dem er nicht hätte sagen können, ob es schön war. Sie war blond, hatte eine Stupsnase und grüne, ausdrucksstarke Augen. Er schätzte sie auf Mitte zwanzig.

„Sie waren also mit Silvio Tadoni verabredet?“ Simarek hatte beschlossen, bei Bernd Müllers Künstlernamen zu bleiben. Er wusste nicht genau warum, hatte aber das Gefühl, alles andere wäre respektlos. Müller, das klang so profan.

„Ja, er gab mir Gesangsunterricht. Ich bin eigentlich Schauspielerin, aber Bernd sagte, ich hätte großes Talent. Und in der zweiten Reihe darf ich hier tatsächlich schon singen.“ Ein kleines bisschen Stolz schwang in Marilena Kurths Stimme mit, aber der Moment war schnell verflogen, als sie fortfuhr: „Bernd war Frühaufsteher und liebte es, in den Morgenstunden schon die Stimme zu trainieren. Wir waren für viertel vor sieben verabredet. Ich war pünktlich und…“, sie schluchzte plötzlich hemmungslos.

Simarek hielt die Situation aus. Er wollte jetzt nicht insistieren. Wahrscheinlich wurde der jungen Sängerin erst jetzt klar, was sie da im Moment durchlebte. Der Kommissar wusste, dass die Wahrheit manchmal in Schüben in das Bewusstsein vordrang. Ein Schutzmechanismus. Trotzdem fragte er sich, wie das Verhältnis zwischen Tadoni und Marilena wohl ausgesehen hatte. Nach einer Pause, das Schluchzen hatte nachgelassen, fragte er deshalb behutsam: „Er war also Ihr Lehrer. Aber Sie mochten ihn auch?“

„Er war so etwas wie ein väterlicher Freund. Er gab mir Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten. Und ja, ich liebte ihn.“

Simarek stutzte, aber Marilena fuhr sogleich fort: „Wir sind Künstler. Wir leben von Energien, die andere uns geben, da fließt viel Liebe und Emotion im Raum. Klingt für einen Außenstehenden vielleicht etwas esoterisch. Aber sonst könnten wir auf der Bühne nicht die sein, die Sie zu sehen glauben.“

Simarek beschloss, diesen Faden nicht weiterzuspinnen. Und da Marilena Kurth sich sichtlich beruhigt hatte, sah er die Gelegenheit gekommen, konkreter nachzufragen. „Sie kamen also um viertel vor sieben auf die Probebühne. Können Sie sich noch an die Situation erinnern?“

„Ich kam rein und dann sah ich ihn schon. Mein Gott, wie er da hing.“

„Und dann haben Sie ihn abgeschnitten?“

„Ich konnte ihn doch nicht da hängen lassen.“

„Und das Messer?“

„Das war aus dem Werkzeugkasten unserer Bühnentechniker. Ich weiß auch nicht mehr, aber irgendwie habe ich mich erinnert, dass der Kasten hinter der Bühne stand, weil am Pavillon noch gearbeitet wurde.“

„Mmmh“, grübelte Simarek. „Was denken Sie? Warum könnte Tadoni sich umgebracht haben?“

Marilena Kurths Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe wirklich keine Ahnung. Das kommt mir alles so unwirklich vor. Er war doch so erfolgreich und dachte immer positiv.“

„War er beliebt bei den Kollegen?“, fragte Simarek nach.

Marilena schaute den Kommissar verwirrt an. „Sie wissen nicht viel über die Theaterszene, oder?“ Jetzt schaute Simarek verwirrt.

„Warum?“

„Nun, jemand, der so erfolgreich ist wie Bernd, der hat den Respekt der Kollegen, aber auch den Neid. Jeder sucht nach seiner eigenen Chance und findet sich mindestens genauso gut wie den Konkurrenten. Bernd war großartig, deshalb hatte er unter den Kollegen nicht nur Freunde.“

„Sprachen Sie nicht vorhin von Liebe und Emotionen unter den Kollegen?“

Marilena schaute Simarek an: „Auch das mag für Sie paradox klingen, aber Neid und Liebe schließen sich ja nicht aus. Jedenfalls nicht in meiner Welt. Aber was hat das mit Bernds Tod zu tun?“

Simarek lächelte: „Nur so ein Gedanke. Auch wenn das hier nach Selbstmord aussieht, muss ich alle anderen Möglichkeiten bis zur Klärung in Betracht ziehen. Da erlebt man manchmal nämlich erstaunliche Überraschungen – jedenfalls in meiner Welt.“

Simarek verabschiedete sich, nicht ohne Marilena Kurth darauf hinzuweisen, dass er vermutlich mit weiteren Fragen auf sie zukommen werde. Dann griff er zu seinem Handy und rief seinen Assistenten und Kollegen Fabio Trulli an. Der Polizeiobermeister ging sofort dran und flötete: „Commissario, ich freu mich so. Alles roger in Kambodscha?“ Simarek hatte schon ein „Alles nass in Caracas“ auf den Lippen, verkniff sich das aber im letzten Moment. Dazu kannte er Fabio zu gut. Der Sohn italienischer Eltern hatte ein Faible für Reime und Redensarten und stieg jemand darauf ein, dann hörte Trulli nicht mehr auf und sprach mitunter den ganzen Tag in Reimform. Und meistens waren die Reime dann doch ziemlich schief, und Rhythmus gehörte auch nicht zu Trullis Stärken, weshalb Fabios Dichtkunst nicht nur Simarek, sondern auch den Rest der Abteilung regelmäßig in den Halbwahnsinn trieb. Deshalb kam Simarek gleich zur Sache. „Der Tote in der Landesoper ist einer der Sänger. Sieht wie Selbstmord aus, glaub ich aber nicht. Wir besprechen die Lage nachher. Könntest du bis dahin so viele Informationen wie möglich sammeln über Silvio Tadoni?“

„Den großen Tenor?“ Trulli sang: „O wie so trügerisch sind Weiberherzen.“ Doch es klang mehr nach Otto Waalkes als nach Tadoni.

„Ja, genau der. Und ja, genau der ist tot.“

„Schade“, sagte Trulli und das klang auf eine naive Weise sehr ehrlich.

„Wenn Ansbacher kommt, soll er dich unterstützen.“

„Hat sich krank gemeldet, Commissario“, antwortete Trulli. Simarek registrierte es genervt. Ansbacher war eigentlich immer krank. Und der neue Kollege, der ihnen bereits seit Jahren versprochen war, kam auch nicht. Jedenfalls hatte Polizeipräsident Marc Duchene kürzlich den August als neuen Termin für die Besetzung der freien Stelle genannt. Und so herrschte wieder einmal Personalnot im Kommissariat und Simarek war froh, dass er sich wenigstens auf Trulli verlassen konnte. Und daran, dass Trulli ihn Commissario nannte, hatte sich Simarek auch schon lange gewöhnt. Es war eine nette Marotte und umso lustiger, weil Trulli, obwohl italienischer Abstammung, nur ein paar Brocken Italienisch konnte.

„Gut, dann bis später, wir machen noch eine Liste, mit wem wir heute und morgen reden müssen.“

„Tatto bene, ciao!“, verabschiedete sich Trulli.

Als Simarek noch einmal auf der Probebühne vorbeischaute, konnte er feststellen, dass die Leiche bereits verschwunden und auf dem Weg in die Rechtsmedizin war, wo sie von Dr. Rolf Fischmayr und seinem Team im Laufe des Tages obduziert werden würde. Der andere Rechtsmediziner, Dr. Beutler, hatte Urlaub und war verreist. Er hatte Simarek noch erzählt, dass er gemeinsam mit seiner Frau in der Arena von Verona einer Aida-Aufführung lauschen wollte. Ob Fischmayr mit Opernmusik etwas anfangen konnte, wusste der Kommissar nicht. Da Tadoni aber zweifelsfrei tot war, spielte das auch keine Rolle mehr. Ralf Mikusch, der weiterhin aufpasste, dass kein Unbefugter die Probebühne betrat, kam auf Simarek zu. „Laux will Sie sprechen, Herr Hauptkommissar.“

Simarek bemerkte, dass Mikusch ihn an diesem Morgen bereits zum zweiten Mal mit seiner Amtsbezeichnung angesprochen hatte. Die entsprechende Beförderung war noch im letzten Jahr erfolgt, nachdem er einen kniffligen Fall um einen ermordeten russischen Wirtschaftsattaché gelöst und dabei auch zum ersten Mal in seiner Laufbahn Kontakt mit einem Geheimdienst hatte, ein Kontakt, auf den er liebend gerne verzichtet hätte. Die Beförderung hing aber nicht mit seiner Arbeit in speziell diesem Fall zusammen, sondern war rein routinemäßig erfolgt. Sie war lange angekündigt, hatte sich dann aber immer wieder verschoben, warum wusste er auch nicht. Immerhin gab es jetzt mehr Geld für seine Arbeit, das einzige, was Simarek an dieser Beförderung interessierte. Er war nicht ehrgeizig, Karriere interessierte ihn wenig, die Arbeit selbst aber war ihm wichtig.

„Gut, Herr Polizeimeister“, sagte Simarek und schaute Mikusch an. „Wo sind denn die anderen Mitglieder der kleinen Reisegruppe, die vorhin hier am Fundort der Leiche versammelt waren?“

„Ich habe ihre Daten aufgenommen und sie dann nach Hause geschickt. Die meisten gehörten zu der Reinigungsfirma, die für die Sauberkeit des Opernhauses sorgt. Die Probebühne war heute nicht im Putzplan vorgesehen, sonst hätte vermutlich einer von ihnen die Leiche gefunden. Von denen kannte aber keiner Herrn Tadoni, und gesehen hat auch niemand was. Und der Hausmeister, der Ihnen vorhin die Maske aufgeschlossen hat, ist ohnehin noch den ganzen Tag im Haus. Er kam aber auch erst dazu, nachdem wir die Bühne abgesperrt hatten. Frau Kurth war wohl die einzige, die Tadoni hängend gesehen hat. Soll ich den Hausmeister trotzdem holen?“

„Im Moment nicht, der läuft uns ja nicht weg“, entgegnete Simarek. „Wo ist Laux?“ Die Frage beantwortete sich von selbst, denn im gleichen Augenblick betrat dieser den Raum.

„Ich habe in Tadonis Garderobe etwas gefunden“, sagte er. „Einen Abschiedsbrief.“

Der Kommissar stutzte. Also doch ein Selbstmord? Lag er mit seiner Intuition diesmal tatsächlich falsch?

„Kann ich den Brief mal sehen?“, fragte er und kannte die Antwort bereits.

„Robert, der Brief wird kriminaltechnisch untersucht. Fingerabdrücke, Schriftbild, das volle Programm. Könnte ja auch eine Fälschung oder unter Druck entstanden sein.“

„Ist das das Standardprogramm?“

„Nö, aber wenn du einen Verdacht hast, dass da was faul ist, dann ist es mein Job, diesen Brief so abzuklopfen, dass wir entweder deine Zweifel zerstreuen oder ihnen neue Nahrung geben.“

„Was stand denn in dem Brief?“

Laux lachte: „Ich hab’s als MMS an Trulli geschickt. Der macht dir einen Ausdruck.“

„Aha“, sagte Simarek. Er hatte irgendwo gelesen, dass man Bilder mit dem Handy als MMS verschicken konnte, weil das Telefonnetz irgendwie schneller geworden war. Die Zeitungen waren in den letzten Wochen voll gewesen mit Berichten über einen neuen Mobilfunkstandard, der UMTS hieß. Laux war ein Technikfreak und immer mit dem modernsten Equipment ausgerüstet. Als Chef der Spurensicherung stand ihm das auch zu, fand Simarek, der aber auch wusste, dass andere Kollegen manchmal monatelang bei der zentralen Beschaffungsstelle betteln mussten, wenn sie ein neues Handy haben wollten, das einigermaßen den aktuellen Standards entsprach. Simarek selbst hatte noch sein altes Nokia 3310, das er klein und praktisch fand. Er wusste, dass das Gerät technisch veraltet war. Aber mehr als telefonieren wollte er mit einem Handy ohnehin nicht. Er empfing zwar auch regelmäßig SMS, selbst schrieb er aber ganz selten mal eine, weil ihn das Gefummel auf den Tasten nervte. Einmal hatte er für eine kurze SMS an Fabio Trulli fast drei Minuten gebraucht. Trulli dagegen war wie Laux sehr an der Entwicklung der Technik interessiert und immer auf dem neusten Stand. Simarek wusste, was er an seinem Assistenten hatte.

„Der Text des Briefes ist aus meiner Sicht nicht außergewöhnlich. Fast ein Standardabschiedsbrief“, sagte Laux. „Für einen Künstler eigentlich enttäuschend.“

„Wieso?“ Simarek runzelte die Stirn.

„Na ja, ich hätte da mehr große Geste erwartet, wenn so einer die Welt verlässt. Aber lies selbst.“

„Sonst noch was?“

„Nichts Außergewöhnliches. Zwei leere Weinflaschen im Papierkorb. Auch die haben wir eingepackt.“ Damit verabschiedete sich Laux, um weitere Spuren zu sichern, während der Kommissar beschloss, zu Fuß ins Kommissariat zu laufen. Von der Landesoper war der Weg dorthin genauso weit wie zurück zu seiner Wohnung im Viertel. Und seinen Dienstwagen, einen alten Peugeot 309, konnte er später immer noch holen, wenn er ihn wirklich brauchen sollte.

Im Kommissariat war es laut. Es wurde umgebaut, weshalb Schreibtische die Wege auf den Fluren versperrten und die komplette Belegschaft der verschiedenen Abteilungen genervt dreinschaute. Die Kripo war erst vor knapp drei Jahren umgezogen, aber schnell hatte sich herausgestellt, dass die Aufteilung der Räume in dem modernen Gebäude nahe der Ludwigskirche nicht wirklich gelungen war. Ein Planungsstab wurde also ins Leben gerufen, um die Missstände zu beheben, und seit einem Monat war es soweit, dass die Pläne umgesetzt wurden. Als Simarek die Büros des Kommissariats Drei, die Abteilung „Mord und Totschlag“, wie sie es im Jargon nannten, betrat, war auch hier die Stimmung gereizt. Irene Schneider, sonst eine geduldige und kompetente Sekretärin mit exzellenten Kontakten ins Innenministerium, sah man die schlechte Laune förmlich an. Der Kommissar war kaum eingetreten, da legte sie schon los: „Bohrmaschinen machen mich wahnsinnig. Ich habe Kopfschmerzen, und dann klingelt dauernd das Telefon. Der Innenminister will wissen, was der aktuelle Sachstand im Fall Tadoni ist. Er ist Opernfan und war gestern in der Vorstellung. Und wenn Fabio heute noch einen Reim von sich gibt, dann bin ich weg. Krank, aus, Schluss, dann macht ihr euren Kram alleine.“