Zwischen Herz und Thron - Christin Thomas - E-Book

Zwischen Herz und Thron E-Book

Christin Thomas

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Beschreibung

Eine berührende, queere Fantasy-Geschichte über einen jungen Prinzen und seine innere Zerrissenheit. Der siebzehnjährige Etienne ist Thronerbe von Fuchsfels, dem größten Königreich des Nordens. Seit er denken kann, wird er auf Wortgefechte und Feldzüge vorbereitet, aber nicht auf die Schlacht, die er mit sich selbst führt. Der junge Prinz hegt Gefühle für den Bediensteten Noel, die seiner königlichen Pflicht, einen Erben zu zeugen, im Weg stehen. Deshalb fordert sein Vater, dass Etienne der Liebe entsagt. Aber wie verschließt man sein Herz, wenn man es längst verschenkt hat?

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Seitenzahl: 375

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Zwischen Herz und Thron

CHRISTIN THOMAS

Copyright © 2022 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https://www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Linda Wäcken

Korrektorat: Sarah Nierwitzki

Layout Ebook: Stephan Bellem

Umschlagdesign: Giessel Design

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-624-0

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Nachwort

Danksagung

Drachenpost

Ich möchte Bündigeres, Einfacheres, Ernsteres. Ich möchte mehr Seele und mehr Liebe und mehr Herz.

Vincent van Gogh

Für jeden, der der Liebe wegen schon einmal

geweint, gelacht und geflucht hat.

Der noch nach ihr sucht, oder sie längst finden konnte.

Und für die Menschen, die sie gehen lassen mussten.

»Eines Tages werde ich ein Lächeln statt einer Krone tragen. Ich werde deine Hand anstelle eines Zepters halten. Ich werde den Platz auf dem Thron gegen den an deiner Seite eintauschen. Und glücklich sein. Frei von allen mir auferlegten Verpflichtungen, wird meine einzige Aufgabe darin bestehen, dich zu lieben.«

Aus einem Brief von Prinz Etienne

Prolog

Blaues Blut ist eine Bürde.

Dieser Satz verfolgt mich seit meiner frühesten Kindheit. Als Thronfolger erinnert man mich stets daran, wer ich eines Tages sein werde: Etienne der Zweite, Herrscher von Fuchsfels, dem größten Königreich des Nordens.

Die lange Ahnenreihe und die glorreichen Geschichten meiner Vorfahren verlangen nach einem ehrwürdigen Nachfolger. Seit ich denken kann, werde ich auf Wortgefechte und Feldzüge vorbereitet – nicht aber auf die Schlacht, die ich mit mir selbst führe.

Kapitel1

»Wie viele wissen von diesem Vorfall?« Mein Vater sitzt auf dem Thron. Dabei hat er den Ellenbogen auf seinem Oberschenkel und den Kopf auf seiner Hand abgestützt. Die dunkelbraunen Haare hängen ihm in der Stirn und sein Vollbart umrahmt die schmalen Lippen.

»Nur ich und die Mutter des Knaben«, antwortet mein Lehrer Pierre, hinter dessen zierlichen Körper ich vergeblich Schutz suche.

Kopfschüttelnd richtet sich mein Vater auf. Dabei wirkt er wie ein Riese, der seine Arme einschüchternd angespannt hat. »Niemand darf davon erfahren.«

»Natürlich nicht, Eure Majestät.«

»Ich will sie und ihren Sohn unverzüglich sprechen. Schickt einen meiner Diener und informiert sie darüber, dass ich sie am großen Brunnen treffen werde.«

Pierre neigt ehrfürchtig seinen kahlen Kopf. »Sehr wohl.« Während er sich langsam entfernt, fühle ich mich meinem Vater schutzlos ausgeliefert.

»Wie konntest du nur?« Ich kann ihm ansehen, dass ich ihn zutiefst enttäuscht habe.

»Es geschah aus reiner Neugier«, erkläre ich mich beschämt, aber davon will er nichts hören. Angewidert rümpft er die Nase.

»Du warst also neugierig? Worauf? Ob es einen Unterschied macht, ob du einen Jungen oder ein Mädchen küsst?«

Unsicher nicke ich.

»Es macht einen Unterschied«, ermahnt mich mein Vater harsch. »Nur eine Frau wird dir Erben schenken. Nicht der Sohn irgendeiner Kammerzofe!«

Wie benommen schaue ich ihm in die braunen Augen. Ich bedaure zutiefst, was ich getan habe, auch wenn es sich nicht falsch angefühlt hat. Schließlich mag ich Noel, sonst wäre das alles nicht passiert. »So etwas wird nie wieder vorkommen, Vater.«

»Das hoffe ich. Solch ein Verhalten schickt sich nicht für einen jungen Mann und schon gar nicht für einen angehenden König.«

»Es tut mir leid.«

»Eine Entschuldigung reicht nicht! Die Augen des Volkes sind auf uns gerichtet. Du solltest deinem Ansehen nicht schaden, wenn du ihre Gunst willst.«

»Ich wollte weder dich noch das Volk verletzen.«

»Dann sorge dafür, dass sich Derartiges niemals wiederholt.«

»Selbstverständlich, Vater«, erwidere ich und verneige mich vor ihm. Während ich dem Thron den Rücken kehre, brennen diese Worte ein Loch in meine Seele. Es fühlt sich an, als hätte ich ihm ein Versprechen gegeben. Einen Schwur, der mein Herz in Ketten legt und mich zwingt, Noel fernzubleiben.

»Haltet das Schwert etwas höher.« Pierre nickt mir auffordernd zu. Ich hebe mühsam die Klinge. Wir trainieren seit etwa einer Stunde und die Sonne brennt erbarmungslos auf uns herab. Der Sand des Übungsplatzes ist aufgeheizt und die Sommerluft flimmert über dem trockenen Boden.

»Ihr müsst Euch konzentrieren.«

»Es ist zu heiß«, stöhne ich. Mit der freien Hand wische ich mir den Schweiß und einige meiner dunkelbraunen Haarsträhnen von der Stirn.

»In einem echten Kampf wird niemand auf so etwas Rücksicht nehmen.«

Unversehens attackiert er mich, doch ich weiche gekonnt aus.

»Schneller!«, fordert Pierre und geht daraufhin energischer auf mich los.

Unsere Klingen kreuzen sich. Ich schaffe es, ihn abzuwehren. Mehrmals stoße ich ihn von mir, bis ich für einen Augenblick abgelenkt bin. Ich begreife nicht, was geschieht, als mich ein harter Schlag trifft und ich zu Boden gehe. Blinzelnd sehe ich zu meinem Lehrer hinauf, dessen Schwertspitze auf meinen Hals gerichtet ist.

»Ihr seid tot, Eure Hoheit.«

»Das ist nicht das erste Mal«, keuche ich.

»Was war los?«, will Pierre wissen und schaut über seine Schulter.

Mir wäre lieber, er hätte das nicht getan, denn der Ausdruck in seinem Gesicht spricht Bände. Mit zusammengepressten Lippen streckt er mir die Hand entgegen, um mir beim Aufstehen zu helfen.

Ich lasse mich von ihm hochziehen und klopfe mir den Staub von der Hose.

»Ihr solltet lernen, Euch auf das Wesentliche zu konzentrieren.«

»Das tue ich ja«, wehre ich mich. »Aber sollte ich nicht wenigstens mit ihm sprechen?«

»Euer Vater hat diese Angelegenheit am gestrigen Abend geklärt. Er wünscht, dass ihr keinen weiteren Kontakt pflegt, andernfalls wird der König nicht nur den Knaben, sondern auch seine Mutter aus dem Dienst des Hofes stellen.«

Ich werfe einen Blick auf Noel, der dabei ist, schwere Mehlsäcke vom Pferdekarren zu ziehen.

»Ein Gespräch würde ohnehin nichts ändern. Ihr wart neugierig und das muss der Knabe akzeptieren. Ihm jetzt Eure Aufmerksamkeit zu schenken wäre nicht klug. Ihr würdet ihn lediglich in Schwierigkeiten bringen.«

Während Pierre redet, sieht Noel zu uns herüber. Sein blondes Haar hängt ihm ins Gesicht und verdeckt eines seiner blauen Augen. Unsere Blicke treffen sich kurz, doch dieser Moment reicht aus, um zu erkennen, wie verletzt er ist.

»Dann sorgt dafür, dass ich ihn unbeobachtet sprechen kann.«

»Wie bitte?« Pierre steht der Mund offen.

»Ich muss ihn treffen.«

»Bringt mich bitte nicht noch einmal in die Situation, Eurem Vater von Eurem Fehlverhalten zu berichten.«

»Ich will doch nur mit ihm reden«, erwidere ich. »Es wäre falsch, das nicht zu tun. Schließlich wart Ihr es, der mich gelehrt hat, dass ein großer König ehrenhaft ist.«

»Das ist richtig.«

»Dann sorgt dafür, dass ich Noel gegenübertreten kann, um ihm die Antworten zu geben, die er verdient.«

»Wenn Euer Vater das herausfindet, wird er ihn und seine Mutter als Frevler vom königlichen Hof jagen. Ich glaube nicht, dass Euch bewusst ist, was das für diese Familie bedeuten würde.«

Noel verschwindet derweil mit einem der Mehlsäcke im Lager des Hofes.

Ohne darüber nachzudenken, drücke ich Pierre mein Schwert an die Brust. »Wartet hier, ich bin gleich wieder da«, versichere ich ihm und steuere auf den Speicher zu.

»Aber Eure Hoheit …«, ertönt es hinter mir, doch ich lasse mich nicht aufhalten. Ich trete in den Schatten des Vordachs. Vereinzelte Sonnenstrahlen fallen durch das dichte Stroh. Mein Blick fällt auf den beladenen Pferdekarren, um den unzählige Fliegen schwirren.

»Das ist keine Arbeit für einen Prinzen.« Noel tritt mit großen Schritten aus dem Lager und schaut mich dabei durchdringend an.

»Ich will dir nur helfen.«

»Du hast genug getan«, antwortet er und drängt mich beiseite, um nach einem Mehlsack zu greifen. Seine Muskeln spannen sich an, als er ihn mit einem Schnaufen vom Karren hebt.

»Ich wollte nicht, dass das passiert«.

»Ja, das hat der König auch gesagt.« Er pustet sich die Haare von der feuchtglänzenden Stirn und trägt den Sack ins kühle Lager.

Auf diese Art soll unser Gespräch nicht enden, deshalb gehe ich ihm ohne Einladung nach.

»Nicht mein Vater, sondern ich sollte mit dir reden.«

»Wozu?«, fragt er und lässt das Mehl fallen. Seine Augen funkeln mich erbost an. »Du hattest nicht den Mut, ihm die Wahrheit zu sagen.«

»Doch, das habe ich.«

Meine Antwort lässt ihn zusammenzucken. »Dann ist es also wahr und es geschah nur aus Neugier?«

»Es tut mir leid«, wispere ich. Am liebsten würde ich ihm sagen, was ich empfinde, doch das Versprechen an meinen Vater hindert mich daran. »Ich wollte dich nicht verletzen.«

»Und dennoch hast du das gerade getan.«

Er will an mir vorbeigehen, aber ich packe ihn am Handgelenk.

»Du musst das verstehen. Hierbei geht es nicht nur um mich.«

Seine blauen Augen überschwemmen meine Seele, wie das Meer die Küste. Er schüttelt den Kopf. »Das ist nicht wahr. Es ist dein Leben, nicht das deines Vaters oder des Volkes. Aber keine Sorge … ich verstehe schon, Eure Hoheit.« Mit diesen Worten entzieht er sich mir und verschwindet.

Ich stehe noch eine Weile im kühlen Schatten des Lagers. Meine Hände zittern. Es ist das erste Mal, dass ich die Last der Krone auf dem Herzen spüre.

Am Abend werde ich von Pierre in den Thronsaal geleitet.

»Euer Vater besteht darauf, dass ich Euch umgehend zu ihm führe.«

Ich nicke wortlos.

»Ich habe keine Ahnung, worum es geht, aber sein Ton war äußerst ernst. Ich befürchte, es könnte mit Eurem Gespräch im Lager zu tun haben.«

»Habt Ihr es ihm verraten?«

»Nein, aber möglicherweise hat der Knabe ja irgendetwas gesagt.«

Verwundert richtet sich mein Blick auf Pierre. »Wieso sollte er das tun?«

Er streckt die Hand nach mir aus und zwingt mich damit, stehenzubleiben. »Ich sage das nur ungern«, flüstert er, nachdem er sich umgesehen hat. »Was ist, wenn er weitaus mehr empfunden hat als nur Neugier? Euch zu sehen, wäre von nun an sicher nicht einfach und vielleicht hat er sich dazu entschieden, sich dem nicht länger auszusetzen.«

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. »Das wäre doch verrückt«, erwidere ich ablehnend und führe den Weg fort. »Spekulationen nützen uns nichts, ich muss wissen, was so dringend ist.«

Mit einem kräftigen Ruck stoße ich die Tür zum Thronsaal auf. Mein Vater lächelt, als wir auf ihn zuschreiten.

»Mein Sohn«, sagt er und hebt dabei einladend die Hände.

Neben ihm stehen einer seiner Berater und meine Mutter. Im Gegensatz zu meinem Vater wirkt sie zutiefst bekümmert. Ihr schwarzer Lockenkopf ist zu Boden gerichtet und sie schaut nicht einmal auf, als wir am Fuße des Throns ankommen. In unmittelbarer Nähe befinden sich vier unserer Wachen und ein dunkelhaariger Fremder, der seine braunen Augen prüfend über mein Gesicht wandern lässt und sich dabei gedankenverloren die kurzen Bartstoppeln streichelt.

»Guten Abend, Vater.« Ich verneige mich ihm gegenüber.

»Schön dich zu sehen«, meint er und möchte, dass ich zu ihm hinaufkomme.

Ich folge seinem Wunsch. Erst jetzt sieht meine Mutter mich an und lächelt mir bedrückt zu. Offensichtlich schafft sie es nicht, ihre Traurigkeit zu verbergen. Ihr Verhalten verunsichert mich.

»Hör zu«, erklingt die Stimme meines Vaters, während er auf den Fremden deutet.

»Das ist Cohen aus dem Großreich im Südwesten. Er hat eine lange Reise hinter sich und wird in den nächsten Tagen unser Gast sein.«

»Willkommen in Fuchsfels«, entgegne ich dem Mann, der dankend mit dem Kopf nickt.

»Er ist nicht grundlos hier. Er wurde deinetwegen geschickt.«

Verwundert blicke ich auf meinen Vater hinab. »Meinetwegen?«

»Ganz recht.« Beschwingt erhebt er sich von seinem Thron. »Und er ist mit guten Neuigkeiten gekommen. Das Großreich sucht nach einem geeigneten Gemahl für Prinzessin Katharina.«

Seine Worte treffen mich wie ein Hammerschlag. Mit einem Mal höre ich nichts außer einem dumpfen Pfeifton, der meine Welt aus den Angeln hebt.

»Ich soll heiraten?« Meine Lippen zittern.

Stolz legt mir mein Vater seine Hand auf die Schulter. »Sie ist nur ein Jahr jünger als du. Erst vor knapp einem Monat ist sie sechzehn Jahre alt geworden und ihr Vater glaubt, dass eine Vermählung unser Bündnis stärken würde. Diese Wahl ehrt unser Königreich. Solltest du dich als würdig erweisen, gedenke ich, diesem Ehebund zuzustimmen.«

Meine Augen wandern zu meiner Mutter hinüber, die mir machtlos ausweicht. Sie ist darüber im Bilde, was gestern geschehen ist und ich habe das Gefühl, dass sie ahnt, was in mir vorgeht.

»Cohen wird seinen Aufenthalt nutzen, um dich kennenzulernen und König Leonard eine Empfehlung aussprechen, sofern er sich von deiner guten Erziehung überzeugen konnte.«

»Es ist mir eine Ehre«, entgegne ich, obwohl ich am liebsten davonlaufen würde.

»Mein Sohn ist ein hervorragender Jäger«, erzählt er seinem Gast. »Wenn Ihr mögt, könnt Ihr ihn morgen auf der Jagd begleiten. Es wird ihm sicher eine Freude sein, Euch sein Können zu demonstrieren.«

»Diese Einladung nehme ich gern an.« Cohen lächelt. Vermutlich ist er von dem Auftreten meines Vaters beeindruckt. Das ist oft so. Niemand würde ihm einen Wunsch abschlagen.

»Wir brechen in den Morgenstunden auf«, geht es mir wie betäubt über die Lippen. Jedes meiner Worte ist einstudiert. Es ist ein Schauspiel, auf das ich mein ganzes Leben vorbereitet wurde. Ich habe diese Rolle derart verinnerlicht, dass ich sie selbst jetzt beherrsche, obwohl ich innerlich die Kontrolle verliere. Mein Puls rast und meine Gedanken überschlagen sich.

»Ich werde pünktlich sein, Eure Hoheit«, versichert mir Cohen, ehe er sich vor meinem Vater verneigt. »Vielen Dank für diesen überaus freundlichen Empfang, Eure Majestät.«

Die Wachen geleiten ihn aus dem Thronsaal. Pierre sieht dem Mann dabei ebenso ratlos hinterher, wie ich es tue.

»Das ist eine günstige Gelegenheit, um dein Versprechen zu festigen«, höre ich meinen Vater sagen, der wieder auf seinem Thron Platz nimmt. »Dieses mögliche Ehebündnis kommt wie gerufen.«

»Unser Sohn ist noch so jung«, gibt meine Mutter zu bedenken.

»Das ist unerheblich. Dieses Königreich braucht enge Verbündete. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen, um Cohen davon zu überzeugen, dass Etienne ein großer König sein wird.«

»Aber wir wissen nichts über Prinzessin Katharina.«

»Sie ist eine Königstochter aus dem Großreich. Es ist das größte Königtum des Südens. Alles andere spielt keine Rolle.«

Ihre Widerworte verstummen. Sie hat nie das letzte Wort. Nachgiebig senkt sie den Kopf und klemmt sich eine Strähne hinter das Ohr.

Mein Vater richtet sich wieder an mich: »Du hast eine wichtige Aufgabe vor dir und ich erwarte, dass du dich von deiner besten Seite zeigst.«

»Selbstverständlich.«

»Ich möchte, dass du mich mit Stolz erfüllst.«

Er spielt auf den gestrigen Vorfall an. In seinen Augen liegt die Erwartung, dass ich seinem Wunsch Folge leiste. Gehorsam nicke ich.

»Blaues Blut ist eine Bürde. Vergiss das nicht, mein Sohn.«

»Ich werde dich gewiss nicht enttäuschen«, versichere ich ihm und verneige mich. Dann steige ich die Stufen hinab und eile an Pierre vorbei. Er folgt mir auf dem Fuß. Vermutlich ahnt er, dass meine augenscheinliche Ruhe nur ein Trugbild ist. In mir wütet ein Sturm, der mich von Kopf bis Fuß erschüttert. Brodelnd und brausend schlagen die Wellen der Fassungslosigkeit gegen mein Herz. Wie könnte ich dieses fremde Mädchen zur Frau nehmen? Ich weiß nichts über sie und sie weiß nichts über mich.

Kapitel2

Ich schlage die Zimmertür zu und gehe zum Schreibtisch hinüber. »Will er mich damit bestrafen?!« Wütend fege ich all meine Bücher von der Tischplatte. Anstatt einzuschreiten, sieht Pierre mir stillschweigend zu. »Ich habe ihm doch versprochen, dass ich ihn nie mehr enttäuschen werde. Wieso glaubt er mir nicht?!« Mit einem kräftigen Ruck werfe ich den Stuhl um, der krachend zu Boden fällt. Ich trete die Bücher beiseite und stampfe auf eines der Fenster zu. »Mein Vater würde dem nur zustimmen, um sicherzustellen, dass ich mein Wort halten werde.« Meine Finger krallen sich an den rubinroten Stoff des Vorhangs. Ich reiße mit aller Gewalt daran, doch es tut sich nichts. »Ihr wisst, dass ich immer alles getan habe, was er wollte … immer«, schluchze ich, vom Kummer überwältigt, und sinke dabei kraftlos zu Boden. »Doch ich kann sie nicht zur Frau nehmen.«

Pierres dumpfe Schritte hallen durch mein Schlafgemach, ehe er neben mir in die Knie geht. »Und doch ist es Eure Pflicht«, sagt er. »Das ist sicherlich nicht das, was Ihr hören wollt, aber das, was ich Euch sagen muss.«

»Ich brauche jetzt keine Eurer Belehrungen.«

»Euer Leben liegt nun einmal in den Händen von Fuchsfels. Dagegen anzukämpfen wird Euch nur Kraft kosten.«

»Ihr habt keine Vorstellung, wie oft ich versucht habe, mich allem zu ergeben.«

»Dieses Land braucht einen starken König. Ihr werdet noch öfter in Eurem Leben wütend sein, aber das Mobiliar zu ruinieren ist keine Lösung.«

»Könnt Ihr nicht wenigstens einmal jemand anderes sein, als mein Lehrer?«

Pierre lächelt wehmütig. »Es ist meine Aufgabe, Euch auf den Thron vorzubereiten. Dazu gehört auch Eure Vermählung.«

Ich lasse den Kopf auf meine Knie sinken. »Jeder sieht in mir nur den Prinzen, nicht den Knaben, dem man so viel abverlangt.«

Wir schweigen eine Weile. Ich muss an Noel denken. An unseren Kuss im Garten. Womöglich bedeutet er das Ende einer jahrelangen Freundschaft. Vielleicht wäre es besser gewesen, meinen Gefühlen niemals nachzugeben. Es bei dem Unausgesprochenem zu belassen und sich an den eigenen Fantasien zu erfreuen. Doch nun ist es zu spät und alles, was geschieht, habe ich mir selbst zuzuschreiben.

»Vermutlich habt Ihr recht, Eure Hoheit«, sagt Pierre und hebt eines der Bücher auf. »Im Moment braucht Ihr keinen Lehrmeister, sondern einen Freund.« Daraufhin erhebt er sich und legt es auf dem Bett ab. Meine Augen folgen ihm, während er sich zur Tür begibt.

»Kommt«, sagt er mit einem auffordernden Kopfnicken.

Mit dem Handrücken wische ich mir über die feuchte Nase und stemme mich auf die Beine. Achtsam bahne ich mir einen Weg durch das Chaos.

»Was habt Ihr vor?«, will ich wissen.

»Vertraut mir einfach, Eure Hoheit.« Er greift zum Garderobenständer und schnappt sich einen Mantel. Diesen drückt er mir in die Hand, bevor er die Tür öffnet und den Kopf in den Flur hinausstreckt.

»Unten gibt es einen geheimen Gang. Eigentlich dient er der Flucht, aber Euer Vater und ich haben ihn schon als Kinder genutzt, um uns gelegentlich davonzustehlen«, flüstert er und schleicht den Weg zur Treppe entlang.

Draußen tobt ein heftiges Unwetter. Regen prasselt an die Scheiben und das Donnern eines Gewitters dröhnt in der Ferne. Hin und wieder höre ich, wie ein Ast gegen eines der Fenster schlägt. Ansonsten ist es still im Schloss. Sobald Pierre eine Wache entdeckt, drängt er mich hinter einen der schweren Vorhänge oder eine der Skulpturen, die das Gemäuer meiner Familie schmücken.

Unten angekommen, zieht er ein Gemälde beiseite. Es zeigt Königin Amelia, die bereits im Kindesalter den Thron von Fuchsfels bestieg. Dahinter verbirgt sich ein schmaler Durchgang. Darin ist es so dunkel, dass es den Anschein macht, als würde Pierre von der Finsternis verschluckt werden. Aus diesem Grund zögere ich, obwohl er von mir verlangt ihm zu folgen.

»Eure Hoheit?«, ertönt es aus der Schwärze vor mir.

»Wohin gehen wir?«

»Zu den Stallungen im Hof.«

Nun begreife ich, was er vorhat. Das ist der einzige Weg, der zu den Unterkünften der Bediensteten führt. Zu Magda, der Kammerzofe und ihrem Sohn Noel. Für einen Moment glaube ich, dass es besser wäre, umzukehren, doch letztlich ist meine Sehnsucht stärker als die Vernunft. Vorsichtig begebe ich mich in die Finsternis und lasse das Gemälde zurück in Position fallen.

»Legt Eure Hand auf die Mauer und folgt meiner Stimme«, höre ich Pierre sagen.

Meine Finger berühren das kalte Gestein. Um mir den Weg zu weisen, summt er eine melancholische Melodie. Sie stimmt mich nachdenklich. Ich habe meinem Vater immer Folge geleistet und könnte es weiterhin tun. Ich muss nur umkehren. Dann würde ich weder Pierre noch Noel in Gefahr bringen.

»Wartet«, geht es mir verunsichert über die Lippen. Pierres Lied verstummt. Plötzlich ist nicht mehr als der Wind zu hören, der draußen durch die Baumkronen pfeift. »Was ist, wenn mein Vater hiervon erfährt?«

»Ich versichere Euch, dass ich ihm nichts verraten werde. Ihr seid ein guter Junge und Ihr werdet eines Tages ein großer König sein. Wenn Ihr Euch nicht mehr wünscht, als das für einen Moment zu vergessen, dann sollte Euch nichts im Wege stehen.«

»Aber Ihr bringt Euch in Schwierigkeiten.«

»Manchmal muss man vom Lehrplan abweichen, Eure Hoheit. Ihr wolltet mit dem Knaben sprechen, also werdet Ihr das tun.«

»Aber vielleicht ist längst alles gesagt und wir sollten umkehren«, antworte ich verhalten.

»Es geht nicht um die Dinge, die wir sagen, sondern um die, die wir nicht sagen.« Für einen Moment bleibt es still zwischen uns. Ahnt Pierre, was in mir vorgeht und wie sehr es mich belastet? »Kommt schon, Eure Hoheit. Wir sollten uns beeilen.«

Wir schleichen noch einige Meter durch die Dunkelheit, bevor wir am Ende des Gangs auf eine Tür stoßen. Schwaches Licht dringt durch einen schmalen Spalt am Boden.

»Sie ist mit einem Riegel versehen und lässt sich nur von innen öffnen«, erklärt er mir, während er den Verschluss löst.

Mit einem Mal schwingt die Tür auf und der Lärm des Unwetters wird lauter. Behutsam schiebt Pierre das Blattwerk eines Gebüschs beiseite, ehe er sich an dem Geäst vorbeizwängt. Der Sturm peitscht uns zur Begrüßung den Regen ins Gesicht. In Windeseile sind wir beide bis auf die Knochen durchnässt. Ich ziehe mir den Kragen bis zum Kinn hoch, doch es nützt nichts. Wasser tropft mir von den Haaren und meine Hose klebt mir an den Beinen. Pierre sieht genauso aus. Regentropfen perlen ihm vom Haupt und seine Wolljacke hat sich wie ein Schwamm vollgesogen. An dem unscheinbaren Holzhaus angekommen tritt er sich energisch die schlammigen Schuhe ab und klopft an der Tür. Die Fensterläden sind geschlossen und man kann nicht erkennen, ob irgendwo ein Licht brennt. Es ist bereits spät und womöglich öffnet uns niemand mehr.

Während wir im strömenden Regen warten, ziehen Blitze über den Himmel und erhellen die Finsternis. Besorgt sehe ich mich auf dem Gelände um. Pierre schlägt indes erneut gegen die Tür, doch auch dieses Klopfen bleibt ungehört.

»Gebt auf«, entgegne ich ihm, als er abermals die Hand erheben will.

»Cohen wird Euch gewiss nicht von der Seite weichen. Vermutlich ist es die vorerst letzte Gelegenheit.«

»Vielleicht ist es besser so«, sage ich und mache kehrt. Gerade als ich in eine tiefe Pfütze trete, ertönt das Knarren der alten Holztür und flackerndes Licht erhellt die Nacht.

»Pierre?«, vernehme ich die erstaunte Stimme von Magda. »Was führt Euch denn hierher?« Sie schiebt die Tür weiter auf und ist merklich überrascht, als ich mich zu ihr umdrehe.

»Eure Hoheit!« Ehrfürchtig verneigt sie sich vor mir und bittet uns, einzutreten.

Meinen Lehrer zieht es sofort ins Haus. Ich hingegen brauche einen Moment, ehe ich den Mut finde, es zu betreten.

Die Stube ist von überschaubarer Größe. Es gibt einen Ofen, in dem Holzscheite glühen. Die Luft riecht nach kaltem Rauch und neben ein paar Kerzen brennt auch eine bronzefarbene Öllampe auf einem kleinen Esstisch, an dem sich zwei Stühle gegenüberstehen. Eine Wäscheleine baumelt über dem Ofen, genau wie trockene Kräuterbündel. Ich entdecke eine Vielzahl an Büchern in einem Regal voller Schnitzereien und zu unserer Rechten befindet sich eine Kochstelle mit verbeulten Töpfen und zerschrammten Pfannen. Einige Wolldecken liegen zusammengelegt vor dem Fenster und ein dicker, schwarzer Kater hat es sich auf einer von ihnen gemütlich gemacht. Er wird nicht einmal wach, als Pierres kräftige Stimme durch das stille Haus tönt.

»Habt Dank«, sagt er und öffnet seine triefnasse Jacke.

»Gebt sie mir«, entgegnet ihm Magda und nimmt ihm das Gewand ab. Darauf sieht sie mich erwartungsvoll an. »Darf ich, Eure Hoheit?«

»Schon gut«, erwidere ich dankend.

Mit zusammengepressten Lippen senkt sie den Kopf, ehe sie Pierres Jacke an einen Haken neben den Ofen hängt.

»Es tut uns leid, Euch so spät zu stören, aber der Prinz wünscht, Euren Sohn zu sprechen.«

Die Frau wirft einen von Sorge erfüllten Blick auf uns. Mein Vater hat ihr seinen Standpunkt vermutlich äußerst deutlich gemacht. Sie nestelt an dem blauen Hüftbund ihres bescheidenen Kleides.

»Wir werden Eure Zeit auch nicht lange beanspruchen«, fügt Pierre hinzu, wobei sein Ton keine Widerworte duldet.

»Na gut, ich werde ihn holen. Setzt Euch.« Noels Mutter zieht nacheinander die beiden Stühle vom Esstisch vor und eilt die schmale Treppe hinauf. Bei jedem Schritt, den sie im oberen Flur tut, quietscht und knarrt das Holz der Decke.

Pierre lässt sich derweil nieder. Mit den Händen reibt er sich über die nassen Hosenbeine. »Wollt Ihr allein mit ihm sprechen?« Seine blaugrauen Augen schauen fragend zu mir auf.

»Könnt Ihr mich denn einen Moment allein lassen?«

»Manchmal wird man von seinen Aufgaben abgelenkt, Eure Hoheit.«

Ich schmunzle. »Ihr solltet wohl lernen, Euch auf das Wesentliche zu konzentrieren.«

Pierre lacht aus vollem Leibe, was den schwarzen Kater unter dem Fenster aufscheucht und ihn flugs vergrault. »Ihr lernt schnell, mein Prinz.«

»Ich habe einen guten Lehrer«, antworte ich und zwinkere amüsiert.

In diesem Moment ertönt das Ächzen der Treppenstufen. Pierre räuspert sich, während ich mir über die nasse Jacke streiche. Als Noel in meinem Blickfeld auftaucht, fühlt sich unser Besuch schlagartig falsch an. Er trägt einen löchrigen Schlafanzug und kommt mit bloßen Füßen zu uns herunter. Am liebsten würde ich auf der Stelle die Flucht ergreifen, doch meine Beine sind wie angewurzelt.

»Guten Abend, Eure Hoheit«, höre ich Noel sagen und beobachte, wie er respektvoll den Kopf senkt. Das mit anzusehen bestürzt mich. Dieses Gebaren errichtet eine Mauer zwischen uns, die wir längst niedergerissen hatten.

»Prinz Etienne wünscht, allein mit Eurem Sohn zu sprechen«, erklärt Pierre, als er sich vom Stuhl erhebt und auf Magda zusteuert. »Wir beide werden solange im Obergeschoss warten.«

Fragend schaut sie ihren Sohn an. Dabei streicht sie sich eine blonde Strähne hinter das Ohr, die sich aus ihrem geflochtenen Zopf gelöst hat. Noel nickt und gibt ihr damit sein stummes Einverständnis. Seine Mutter tritt an Pierre vorbei und steigt die Stufen hinauf. Er folgt ihr und wirft mir einen wohlwollenden Blick zu.

Bevor ich etwas sage, warte ich, bis die Schritte über uns verstummt sind.

»Es tut mir leid, dass wir euch geweckt haben«, beginne ich taktvoll.

Doch Noel hebt zurückweisend die Hand. »Erspare mir das und erkläre mir, was du willst.«

Sein kühler Ton überrascht mich. »Ich … ich will nur mit dir reden.«

»Wir haben bereits geredet.«

»Nein«, antworte ich und trete ein paar Schritte auf ihn zu. »Du hast mich einfach so stehengelassen.«

Noel grinst verächtlich. »Natürlich! Entschuldigt, Eure Hoheit. Wie konnte ich es wagen, Euch zu verletzen? Ich vergaß, dass nur Ihr das Recht dazu besitzt.«

»Ich hatte nie vor, dir wehzutun.«

»Wir beide wissen, was im Garten passiert ist. Es ist eine Sache, wenn du dem König gegenüber behauptest, dass es Neugier war, aber es mir weismachen zu wollen, ist etwas vollkommen anderes.«

»Was erwartest du denn?«

»Dass du mir gegenüber ehrlich bist«, antwortet Noel ernst. »Und dir auch.«

Ich balle die Hände zu Fäusten. »Du weißt nicht, was du da von mir verlangst.«

»Und du begreifst scheinbar nicht, dass ich der Einzige bin, der rein gar nichts von dir verlangt.« Er fährt sich durch das blonde Haar und schaut einen Moment lang ratlos zu Boden. »Ich liebe dich«, flüstert er, als mich seine blauen Augen treffen. »Ich verlange keineswegs, dass du diese Worte erwiderst, aber verleugne nicht, dass du das Gleiche fühlst.«

Diese Offenheit überfordert mich. »Ich werde womöglich bald heiraten«, bricht es unbedacht aus mir heraus.

Noel ist sichtlich getroffen. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. »Wie bitte?«

»Deshalb bin ich hier.« Mein Herz brennt wie Feuer, nachdem mir diese Worte über die Lippen kommen. »Ihr Name ist Prinzessin Katharina. Wenn beide Königreiche in die Vermählung einwilligen, dann …« Auch wenn wir uns körperlich nicht voneinander fortbewegen, fühle ich mich ihm auf einmal so fern.

»Verstehe«, entgegnet er mir knapp.

»Du solltest es von mir erfahren.«

Noel nickt, wobei seine Augen fassungslos umherirren. »Vermutlich.« Dabei sieht er furchtbar traurig aus. Dieser Anblick zerreißt mich regelrecht.

»Es tut mir leid«, sage ich und nähere mich ihm. Nun liegt zwischen uns bloß eine Armlänge, doch da ist diese unsichtbare Mauer, die uns voneinander trennt. »Ich wünschte, es wäre nicht so.«

Er fährt sich mit der Zunge über die vollen Lippen. »Ein Ehebündnis erfordert auch deine Zustimmung.«

»Ich weiß«, antworte ich mit erstickter Stimme. »Aber ich habe keine Wahl.«

»Man hat immer eine Wahl, Etienne. Also, warum bist du wirklich hier?« Mein Herz sehnt sich so sehr nach ihm, dass das Feuer in mir mittlerweile einem Inferno gleichkommt.

»Du weißt wieso.«

»Warum kannst du es mir nicht wenigstens zeigen, wenn du es schon nicht sagen kannst?« Flehentlich sieht er mich an.

Noel wünscht sich nichts mehr, als von mir gehalten zu werden, und ich Trottel sehe mich an ein Versprechen gebunden, dass ich ohnehin längst gebrochen habe.

»Blaues Blut ist eine Bürde«, antworte ich und strecke zittrig die Finger nach ihm aus. Nur kurz berühre ich seine Wange, bevor ich mich wieder zurückziehe. »Wir beide dürfen nicht mehr miteinander sprechen.«

»Dann wird das ein Abschied?«

»Es muss sein.«

Noel will sich mir weiter nähern, aber ich trete zurück. »Bitte«, flehe ich. »Machen wir es nicht schwerer, als es ist.«

Er lässt die Schultern hängen. »Du brichst mir das Herz und glaubst, es mit einer Umarmung schmerzhafter zu machen?«

»All das fällt mir genauso schwer wie dir.«

»Nein«, entgegnet er mir enttäuscht. »Tut es nicht. Denn wenn es das täte, würden wir einander jetzt in den Armen liegen. Doch stattdessen hältst du Abstand.«

»Ich versuche doch nur, dich zu beschützen.«

»Du schützt damit nur deinen Vater und den Thron von Fuchsfels, aber ganz sicher nicht mich.« Er verschränkt die Arme. In seinen Augen liegt eine tiefe Enttäuschung und mir schlägt wieder diese Kälte entgegen. »Du solltest jetzt besser gehen.«

»Nicht so«, bitte ich ihn, doch er schüttelt stur den Kopf.

»Es ist alles gesagt.«

»Nein. Es gibt so vieles, was ich noch zu sagen habe.«

»Was auch immer es ist, ich will nichts mehr hören«, antwortet er und bringt mich damit zum Schweigen. »Ich will nur, dass du jetzt gehst.«

Für einen Augenblick stehe ich sprachlos vor ihm und suche in seinen Augen nach Vergebung, doch ich finde sie nicht. Bekümmert rufe ich nach Pierre, ehe ich mich von Noel abwende und in den strömenden Regen hinaustrete. Ich drehe mich nicht einmal mehr um. In diesem Moment rede ich mir ein, ihn für immer vergessen zu wollen. Es ist ganz sicher besser so.

Kapitel3

Am nächsten Morgen bin ich müde, aber ich erfülle wie immer meine Pflichten. Im Morgengrauen schicke ich einen der Diener, um Cohen für die Jagd abzuholen. Pierre beobachtet mich aufmerksam, während ich mir die Stiefel schnüre. Wir haben seit meinem Gespräch mit Noel letzte Nacht kaum ein Wort miteinander gewechselt und ich habe ihm vorerst auch nichts zu sagen. Schließlich will ich weder über Noel noch über die Zukunft sprechen. Ich will nur schweigen und tun, was man von mir verlangt.

Als ich mich vom Stuhl erhebe, reicht er mir einen vollen Köcher. Ich lege ihn um und greife nach dem Bogen, der an meinem Kleiderschrank lehnt.

»Der Waldboden wird aufgeweicht sein«, sagt Pierre.

Ich nicke stumm.

»Vielleicht sollten wir ihm Eure Jagdkünste ein andermal demonstrieren.«

Mit zusammengepressten Lippen schüttle ich den Kopf.

»Wie Ihr wünscht.« Er öffnet die Tür und lässt mir den Vortritt. Wir steigen die Stufen ins Erdgeschoss hinab und treten in den Hof hinaus. Mein Blick fällt auf den gegenüber gelegenen Stall, während die Jagdhunde an unseren Beinen hochspringen. Fünf Wachen begleiten uns bei der Pirsch. Einer von ihnen überreicht mir die Zügel meines Pferdes.

»Danke«, sage ich und sehe mich nach Cohen um, der in diesem Moment herbeigeeilt kommt.

»Entschuldigt, Eure Hoheit. Ich wurde aufgehalten.«

»Schon gut.« Mit diesen Worten schwinge ich mich aufs Pferd.

»Ein wunderbares Tier«, höre ich Cohen sagen, der es beeindruckt betrachtet.

»Eures wird ebenso kräftig sein«, versichere ich ihm und werfe einen ungeduldigen Blick in die Runde. Die Jagd wird mich für einen Moment alles vergessen lassen und das habe ich bitter nötig.

»Eines der Pferde wird noch gesattelt, Eure Hoheit«, informiert mich einer der Wachen. Ich gebe ein Kopfnicken zur Antwort. Jedes Wort kostet unnötige Kraft und erinnert mich daran, was ich gestern nicht ausgesprochen habe. Immer wieder drängen sich diese Gedanken auf und bohren sich wie eine Speerspitze in mein Herz.

»Verzeiht mir die Bemerkung, aber Ihr seht erschöpft aus.« Cohen schaut mich besorgt an. »Ihr werdet doch hoffentlich nicht krank?«

»Mir geht es gut«, versichere ich ihm. »Es mangelt mir lediglich an Schlaf.«

»Ihr braucht Euch keineswegs zu sorgen. Prinzessin Katharina ist eine wahre Schönheit und eine sehr belesene junge Frau.«

»Ihretwegen mache ich mir keinerlei Sorgen.«

In diesem Augenblick treten Noel und der Pferdewirt aus dem Stall. Die beiden unterhalten sich, während sie eine weiße Stute zu uns führen. Ich möchte nicht in die Situation geraten, mit ihm sprechen zu müssen, deshalb fasse ich einen Entschluss.

»Ich werde voranreiten«, verkünde ich und bitte Pierre darum, unseren Gast zum Bach zu geleiten.

»Ihr werdet doch sicher noch einen Moment warten können«, meint Cohen, dem die Verwunderung über meinen jähen Fluchtversuch anzusehen ist. »Schließlich würde ich den Weg gern nutzen, um Euch etwas kennenzulernen.«

Sein Einwand bewegt mich dazu, bei ihnen zu bleiben, auch wenn ich es widerwillig tue.

»Guten Morgen, Eure Hoheit«, sagt der Pferdewirt, als sie unsere Gruppe erreichen. Beide neigen ihre Köpfe. Ich versuche, dabei nicht auf Noel zu achten, aber es gelingt mir nicht.

»Es ist wirklich prächtig«, staunt Cohen und klopft dem Tier auf den Schenkel.

»Wohl wahr und es braucht dringend Auslauf.«

Pierre ist nicht allzu erfreut über mein offenkundiges Drängen. »Der Prinz liebt die Jagd und kann es kaum noch erwarten«, sagt er mit einem aufgesetzten Lächeln.

»Nun, dann will ich Euch nicht länger plagen, Eure Hoheit«, meint unser Gast und nimmt dem Pferdewirt die Zügel ab. Geübt steigt er auf und nickt mir erwartungsvoll zu. Ich richte kein einziges Wort mehr an sie. Stattdessen reite ich geradewegs los, entschlossen, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen und mich ausschließlich auf die Jagd zu konzentrieren.

Am Waldrand lassen wir die Jagdhunde los, sie haben etwas gewittert und stürmen sogleich ins Dickicht. Der Boden ist weich und die Pferde haben große Mühe, mitzuhalten. Dennoch will ich unser Vorhaben nicht absagen. Trotz der Widrigkeiten versuche ich, die Hunde nicht aus den Augen zu verlieren. Es dauert eine Zeit lang, bis ich das Hinterteil eines Rehs durch den Wald flüchten sehe. Laut kläffend prescht das Rudel hinter ihm her, während Pierre langsam zu mir aufschließt.

»Lasst es laufen«, bittet er mich atemlos, doch das kann ich nicht. Ich hätte auf meinen Vater hören und Noel fernbleiben sollen. Stattdessen habe ich es nur schlimmer gemacht. Nichts hält mich davon ab, dieses Tier zu erlegen und ihn wenigstens auf diese Weise mit Stolz zu erfüllen.

Deshalb ignoriere ich Pierres Worte und treibe schweigend das Pferd an. Mein Weg führt mich fort von meinem Lehrer und an die Spitze unseres Jagdtrupps. Ich versuche, Abstand zu der Gruppe zu gewinnen und galoppiere immer schneller. Das Reh springt panisch über einige Wurzeln und bleibt dabei beinahe im tiefen Schlamm stecken. Das ist die Gelegenheit. Ich steure zur linken Seite seines Weges, um nicht dieselben Fehler zu machen, und komme ihm so stetig näher. Damit treibe ich das Tier allmählich zur Erschöpfung.

Ich ziehe einen Pfeil aus meinen Köcher und will ihn gerade auf die Bogensehne legen, als ich mit voller Wucht stürze. Seitlich schlage ich mit dem Oberkörper auf dem Waldboden auf. Ein stechender Schmerz durchfährt mich, ehe ich ungehindert einen Hang hinabrolle.

»Prinz Etienne!«, höre ich Pierre brüllen. Das Bellen der Hunde entfernt sich langsam und ich brauche einen Moment, bevor ich begreife, was passiert ist. Mit zusammengekniffenen Augen fasse ich mir an die Schulter. Ich kann sie nicht bewegen und die Schmerzen sind kaum auszuhalten. Im selben Augenblick vernehme ich, wie jemand zu mir herunter eilt.

Pierre taucht in meinem Blickfeld auf und schaut besorgt auf mich herab. »Ist alles in Ordnung?«, fragt er und lässt sich neben mir auf die Knie fallen. Er schiebt meine Hand beiseite und tastet prüfend die Schulter ab. Dabei stöhne ich gequält.

»Ihr habt sie Euch ausgerenkt.«

»Braucht der Prinz Hilfe?!«, schallt es unterdessen von oben.

»Nein!«, rufe ich hinauf. »Reitet weiter. Wir folgen Euch in Kürze.«

Pierre schüttelt verständnislos den Kopf. Aus Rücksicht wartet er dennoch solange, bis sich die Pferde der anderen von uns entfernt haben. »Ihr seid verletzt. Diese Jagd ist zweifelsohne vorüber.« Mit strenger Miene greift er nach meinen Arm. »Das wird jetzt sehr unangenehm, Eure Hoheit.«

Ich schließe angespannt die Augen. Das Einrenken ist zwar rasch vorbei, doch der Schmerz klingt noch eine Weile nach. Pierre zieht sich die Jacke und anschließend seine Weste aus. Mit dieser bindet er mir sorgsam eine Schlinge für den Arm.

»Ich hätte auf Euch hören sollen«, sage ich. »Genau wie auf meinen Vater.«

Er sieht mich verwundert an. »Euren Vater?«

»Ja.« Ich stehe auf und streiche mir die Erde von den Kleidern. »Ich hätte es gut sein lassen sollen.«

Auch Pierre erhebt sich und schlüpft derweil in seine Jacke. »Sprecht Ihr von Eurem gestrigen Gespräch mit Noel?«

Ich blase die Wangen auf. Nur seinen Namen zu hören, bewegt etwas in mir. »Ich versuche, nicht darüber nachzudenken, aber er gab mir das Gefühl, dass ich die Schuld an allem trage.«

»Solche Dinge brauchen Zeit, Eure Hoheit«, meint Pierre und steigt langsam den Hang hinauf.

Zerknirscht folge ich ihm. Das Reh ist längst über alle Berge und ich habe nichts außer einer verletzten Schulter und einem schlechten Gewissen. »Ich kann unmöglich ewig warten«, brumme ich.

Pierre wirft einen Blick zurück. »Ihr seid nur so ungeduldig, weil es Euch beschäftigt. Bereut Ihr es, ihn geküsst zu haben oder Eure Worte?«

»Beides«, erwidere ich, als wir den Rand des Abgrunds erreichen. Mein Pferd steckt noch immer mit einem Bein tief im Schlamm. Vorsichtig nähere ich mich dem Tier. Es ist nervös, deshalb beruhige ich es zunächst einmal. Ich streichle es sanft, während Pierre seins vom Baum bindet.

»Ihr hattet jedenfalls großes Glück«, sagt er. »Ich befürchtete schon, dass Ihr Euch schwerer verletzt haben könntet.«

Nur zu gern würde ich ihm sagen, dass mein Herz gebrochen ist, doch diesen Gedanken teile ich nicht. Stattdessen geht mir nur ein zustimmender Ton über die Lippen.

»Wir sollten am Bach auf die anderen warten«, schlägt er vor.

»Nein«, erwidere ich. »Wir sind noch nicht fertig.«

»Ihr wollt doch nicht allen Ernstes weiterjagen?«

Ich befreie das Bein meines Pferdes aus dem Morast und führe es auf festeres Terrain. »Das habe ich damit nicht sagen wollen.«

»Was habt Ihr dann vor?« Sein Blick liegt interessiert auf mir.

»Wir reiten zum Fuchsfelsen.«

Unser Königreich wurde nach dem Fuchsfelsen benannt. Dieser Ort liegt inmitten des nördlichen Tannenwalds auf einer einsamen Lichtung. Dort ragt eine massive Felsformation in die Höhe, deren Umriss an einen sitzenden Fuchs erinnert. Sein Blick richtet sich seit mehr als dreihundert Jahren auf das Schloss meiner Familie, das einst zu seinen Ehren dort errichtet wurde. Etliche Mythen und Legenden ranken sich um diesen Stein. In manchen Geschichten heißt es, er wäre von Göttern erbaut worden, doch in anderen wird seine Entstehung dem alten Zeitalter der Zauberei zugeschrieben. Einig ist man sich nur darin, dass es Glück bringen soll, ihn zu berühren. Manche reisen durch das ganze Land, um für einen Moment ihre Hand auf diesen Felsen zu legen und sich einen Wunsch erfüllen zu lassen. Ich stand hunderte Male vor ihm und habe es nie gewagt, ihn anzufassen. Der Anblick des außergewöhnlichen Gesteins weckt in mir eine unbeschreibliche Ehrfurcht. Wenn es wahr ist und dieser Fuchs mich nur einmalig segnen kann, dann will ich seine Macht nicht unüberlegt vergeuden.

»Da vorn«, höre ich Pierre verkünden. Er mäßigt das Tempo und steuert sein Pferd geradewegs auf die Lichtung zu.

Noch sehe ich lediglich den Fuß des Felsens, doch ich werde bereits von dem Gefühl der tiefen Wertschätzung ergriffen.

»Werdet Ihr ihn diesmal berühren?«, fragt Pierre, als er die Wiese erreicht und in das Sonnenlicht eintaucht.

Ich lache. »Wohl kaum. Ich will ihn mir nur ansehen.«

»Bittet Ihn doch darum, Eure Schulter zu heilen«, schlägt er vor und steigt mit einem Schwung vom Pferd.

Mein Blick wandert den Stein hinauf, als ich mich langsam meinem Lehrer nähere. »Das wäre reine Verschwendung, denn sie wird ohnehin in wenigen Tagen heilen.«

Mit einem Lächeln auf den Lippen nimmt er mir die Zügel ab. »Es gäbe allerdings keinen besseren Beweis für seine Kräfte, als eine rasche Heilung.«

»Von solchen Wundern habe ich bereits gehört«, berichte ich und steige dabei vom Pferd. »Dennoch werde ich ihn vielleicht einmal brauchen.«

»Und wenn Ihr das immer denken werdet?« Pierre sieht mich mit großen Augen an. »Wenn Ihr ihn nie berührt, werdet Ihr niemals wissen, ob die Geschichten wahr sind.«

»Vielleicht will ich gar keine Gewissheit. Im Moment will ich nur daran glauben.«

Mein Lehrer nickt beeindruckt. »Wann seid Ihr nur so erwachsen geworden?«

»Irgendwann zwischen Euren vielen Lehrstunden«, gebe ich zur Antwort und entlocke ihm ein Lachen.

Danach stehen wir einen Moment lang schweigend da. Wir genießen die Ruhe und den eindrucksvollen Anblick. Die Sonne steht bereits so hoch, dass der gesamte Fuchsfelsen in ihrem Glanz badet. Vögel singen rundherum ihre Lieder und der Wind rauscht durch die meterhohen Tannenspitzen.

»Hierherzukommen war eine gute Entscheidung«, meint Pierre mit ungewohnt sanfter Stimme.

»Ja, hier ist alles andere nebensächlich.«

»Sprecht Ihr von Eurer Vermählung?«, erkundigt er sich.

»Nein«, antworte ich ehrlich. »Ich spreche von Noel.«

»Ihr sprecht oft von ihm.«

»Ja, weil ich oft an ihn denke.«

Kapitel4

»Ah, Eure Hoheit. Wir befürchteten schon, dass Euch etwas zugestoßen sei.« Mit diesen Worten begrüßt mich Cohen, als wir die anderen am Bach treffen.

Dieser Ort ist stets unser Treffpunkt, wenn wir einander bei der Jagd verloren haben.

An seinem Sattel hängt der tote Leib des Rehs, dem ich kopflos hinterhergejagt bin. Nun wird ihm die Anerkennung meines Vaters zuteil.

»Wie ich sehe, hattet Ihr Erfolg«, erwidere ich. Obwohl ich versuche, mein Missfallen zu verbergen, habe ich das Gefühl, es gelingt mir nicht gänzlich.

»Ihr hattet es immens entkräftet«, antwortet er. »Das Tier wäre auch ohne meinen Pfeil umgekommen.«

»Wie dem auch sei. Verzeiht uns, dass wir Euch warten ließen.«

Cohen nickt verständnisvoll. »Ihr seid schwer gestürzt und wie ich sehe, habt Ihr Euch verletzt.«

»Das ist nicht der Rede wert.«

»Euer Arm steckt in einer Schlinge, also wird es wohl kaum ein Kratzer sein.«

»Ich kann Euch versichern, dass es mir gut geht.«

Pierre bemerkt meine Verdrossenheit und unterbricht unser Gespräch. »Es wäre besser, wenn wir langsam zum Schloss zurückkehren. Ihr werdet bestimmt längst erwartet, Eure Hoheit.«

Auch wenn ich Pierre im Grunde nichts über mein Empfinden erzählt habe, habe ich das Gefühl, dass ich mich ihm ein wenig anvertrauen konnte. Ich erkenne nun mehr denn je einen Freund in ihm.

»Ihr habt recht. Wir sollten uns lieber auf den Weg machen.« Mit diesen Worten rufe ich zum Aufbruch.

Auf unserem Rückweg herrscht eine Weile Stille, ehe sie von Cohen unterbrochen wird: »Wenn Ihr mögt, erzähle ich Euch etwas über Prinzessin Katharina. Ihr stellt Euch bestimmt viele Fragen.«

Meine Augen bleiben auf den Horizont gerichtet, doch ich spüre, wie er mich gespannt ansieht. Nur zu gern würde ich ihm sagen, dass ich kein Interesse an ihr habe.

»Nun, ich dachte, Ihr wollt Euch zunächst ein Bild von mir machen. Demnach wäre es vermutlich angemessener, damit zu warten.«

Cohen lacht. »Ich schätze Eure Zurückhaltung, aber es wäre mir eine Freude, Euch von ihr erzählen zu dürfen.«

Hinter uns räuspert sich Pierre auffallend stark, wohl um mich an meine guten Manieren zu erinnern.

»Schön«, antworte ich und umklammere die Zügel. »Bis auf ihr Alter weiß ich nichts von ihr, also habt Ihr zweifellos viel zu berichten.«

»Fürwahr. Prinzessin Katharina ist eine von drei Töchtern und die Jüngste unter ihnen. Wie ich Euch bereits verriet, begeistert sie sich für die Literatur und gilt als sehr reif für ihr Alter. Sie liebt Musik und ist eine leidenschaftliche Klavierspielerin. Außerdem tanzt sie gern, weshalb es ratsam wäre, sie zur gegebenen Zeit zu einem Ball einzuladen.«

»Das ist eine wundervolle Idee«, merkt Pierre an, während ich stumm nicke.

»Könnt Ihr tanzen, Eure Hoheit?«, erkundigt sich Cohen.

»Ich gehe anderen Leidenschaften nach.«

»Erzählt mir mehr.«

Ich streiche mir ein paar Strähnen aus der Stirn und mache mir Gedanken darüber, was ich von mir preisgeben will. Mir wäre es lieber, er würde weiter über die Prinzessin reden, anstatt sich für mich zu interessieren. Schließlich ist mir bewusst, dass er mich lediglich auf die Probe stellt.

»Wie Ihr wisst, liebe ich die Jagd«, beginne ich zögerlich. »Außerdem begeistere ich mich für den Umgang mit dem Schwert. Aus diesem Grund übe ich oft mehr als nötig.«

»Was ist mit Literatur? Oder Instrumenten?«

Inzwischen ist das Schloss in Sichtweite. Ich kann einen vollbeladenen Pferdekarren ausmachen, der sich dem Tor nähert.

»Es gibt ein paar Gedichte, die ich für sehr gelungen halte, allerdings verbringe ich nur wenig Zeit mit Unterhaltungsliteratur und deutlich mehr mit meinen Lehrbüchern.«

»Prinzessin Katharina ist äußerst angetan von der Dichtkunst«, erzählt Cohen zufrieden.

Offensichtlich sucht er nach Gemeinsamkeiten. Hoffentlich hat er nicht vor, mich ihr gegenüber ebenso grotesk anzupreisen. Schließlich beschreibt er sie, als sei sie frei von Fehlern – und wer ist das schon?