Zwischen uns die Ewigkeit - Barbara Brolli - E-Book

Zwischen uns die Ewigkeit E-Book

Barbara Brolli

4,8

Beschreibung

"Unter seiner Berührung fühlte sie sich stark und bestätigt. Sie würde ihn nicht aufgeben, alles für ihn tun und riskieren." "Zwischen uns die Ewigkeit" erzählt von Anna, einem dickköpfigen schlesischen Mädchen, das die Liebe in Form eines fremden Soldaten kennenlernt. Die Probleme, die damit einhergehen, scheinen unüberwindbar, aber sie ist bereit, für das, was sie will, zu kämpfen. Doch plötzlich ändert sich alles und Anna muss lernen, was Verlust wirklich bedeutet. Eine Geschichte über Liebe, Schmerz und Hoffnung, basierend auf einer wahren Begebenheit.

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Für dich, Oma…

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kobelwitz, Schlesien, April 1939

August 1941

Sommer 1942

Frühling 1943

Bayern, Deutschland April 1945

Epilog

Vorwort

In den letzten Monaten ihres Lebens erzählte meine Oma mehr und mehr über die Erlebnisse, die sie in der Zeit des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Wenn sie von ihm erzählte, leuchteten ihre Augen und ein stolzes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ein Bild von ihm stand immer in ihrem Zimmer, auf dem er so stattlich wirkte, wie sie beschrieb.

Ich versuche, zu verstehen, mich in sie hineinzuversetzen und all diese Gefühle nachzuempfinden. Es ist eine spannende aber auch schwere Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Wie kann ich, so viele Jahre später und mit begrenztem historischen Verständnis nachvollziehen, was jemand in ihrer Situation gefühlt hat? Ich kenne nur kurze Einblicke in ihr Leben, die ich teilweise Jahrzehnte später von ihr erzählt bekam oder aus dritter Hand erfuhr. Den Rest kann ich mir nur ausmalen und zurechtrücken. Mir war jedoch eines klar: ich möchte nicht, dass ihre Geschichte verloren geht.

Historische Tatsachen wurden und werden gesammelt und archiviert. Aber so viele Erinnerungen, Gedanken und Gefühle würden mit ihr diese Welt verlassen. Ich kann sie nicht festhalten, aber ich kann versuchen, sie aus meiner Sicht zu erzählen. So, als ob ich den Schatten eines Baumes nachzeichnen würde, der sich im Wind bewegt. Es wird nicht derselbe sein, aber vielleicht wird einmal jemand diese Zeichnung sehen und sich vorstellen, wie der Baum ausgesehen hat.

Kobelwitz, Schlesien, April 1939

Kurz warf Anna noch einen prüfenden Blick in den kleinen Spiegel, der neben der Haustüre befestigt war. Er war schon etwas vergilbt und eigentlich verwendete ihn nur ihr Vater zum Rasieren. Aber sie konnte sich gut genug erkennen, um festzustellen, dass sich noch keine ihrer dunkelblonden Locken aus der Frisur gelöst hatte. Nicht dass ihr eine perfekt sitzende Haarpracht wichtig gewesen wäre, aber wenn schon so viel Zeit und Mühe von ihrer Schwester hineingesteckt wurde, konnte man das Ganze ja auch würdigen. Über sich selbst lächelnd schüttelte sie den Kopf, schnappte sich den bereitgestellten Korb und zog die schwere Haustüre auf, worauf ihr sogleich kalter Wind entgegenfegte. Sie sollte sich von Marie nicht solche Flausen in den Kopf setzen lassen, waren die beiden Schwestern doch schon immer sehr verschieden gewesen. Denn eigentlich konnte Anna keinen Sinn darin erkennen, eine halbe Stunde für ihr Erscheinungsbild zu opfern. Es war weder ein Feiertag, noch ein festlicher Anlass, der es rechtfertigen würde, so viel Zeit für solch eine Nichtigkeit zu verschwenden. Anna versuchte, sich nicht mit derlei Dingen aufzuhalten, immerhin hatte sie einige Aufgaben, die sie erfüllen musste. Und wenn sie sich am Hof umsah, auf den sie jetzt trat, holte sie ihr schlechtes Gewissen wieder ein. Denn die Arbeit häufte sich wie immer.

Der Hof wurde von ihrem weißen Haus, dem kleinen, grob zusammengebauten Schuppen aus Holz, den beiden Ställen und einem Brunnen eingerahmt und war zusammen mit dem großen Obstgarten und den Feldern, die sich hinter dem Haus befanden, ihr Zuhause und ihre Arbeitsstelle zugleich. Aber bevor sie sich wieder dem alltäglichen Trott widmen musste, sollte sie noch ins Dorf, um sich einer Beschäftigung zuzuwenden, die ihr mehr zusagte. Sie wollte sich die Tatsache zunutze machen, dass der Bäcker nicht nur einen großen Ofen besaß, sondern auch ein Herz, um ihn zu teilen. Der feine Pflaumenkuchen sollte für die ganze Familie reichen, denn immerhin war am nächsten Tag Sonntag. Obwohl sie, wie zu dieser Zeit nun einmal üblich, sehr religiös erzogen worden war, tat sie sich mit dem Gebot der Nächstenliebe schon am Weg zum Bäcker schwer, wenn sie daran dachte, dass für sie selbst wahrscheinlich nur ein kleines Stück des herrlichen Kuchens übrig bleiben würde. Sie versuchte, ein verstohlenes Kichern zu unterdrücken und beschloss, einen kleinen Teil für sich selbst zu stibitzen. Immerhin hatte ja sie die ganze Arbeit damit und musste den weiten, kalten Weg zum Bäcker und wieder zurück bewältigen. Nicht zu vergessen, dass diese Kostbarkeit ja auch noch hergestellt werden musste, wofür sie sich, großzügig wie sie war, ebenso geopfert hatte. Da war es ja nur berechtigt, wenn sie sich dabei (natürlich nur ein bisschen) selbst bereicherte.

In solcherlei schelmische Gedanken verwickelt, brachte sie den Hof rasch hinter sich und ging über den Weg direkt in den angrenzenden Mischwald, um eine Abkürzung zu nehmen. Im Wald standen die niedrigen Bäume und Büsche dicht beieinander. Die Äste bogen sich weit in den Trampelpfad und man musste sie oft zur Seite biegen, um überhaupt voranzukommen. Anna musste aufpassen, wo sie ihre Füße hinsetzte, um nicht in eine Pfütze zu steigen und sich ihre Schuhe zu verdrecken. Immerhin hatte sie diese erst am Tag davor geputzt und würde einen Teufel tun und diese langweilige Arbeit so bald schon zu wiederholen. Als sie den Weg verließ, wurden ihre Überlegungen von dem vertraut unheimlichen Gefühl verjagt. Den Wald mochte sie schon lange nicht mehr so gerne wie in früher Kindheit, wo er ein Ort des Spielens für sie gewesen war. Der Gedanke, ganz allein durch das Dickicht mit seinem düsteren Licht zu marschieren, behagte ihr nicht. Man konnte nichts hören, außer den ersten Frühlingsboten, den Vögel, oder dem Knacken eines Tieres, das sie aufgescheucht hatte. Ihre eigenen Schritte kamen ihr unnatürlich laut vor. Wie immer versuchte sie, das Gefühl schnell als unnötig und lächerlich abzutun, war doch die Wahrscheinlichkeit, dass hier irgendwo ein Fremder auf sie warten würde, verschwindend gering.

Mit raschen Schritten konnte sie nach kurzer Zeit helleres Licht und damit den Waldrand ausmachen und trat erleichtert hinaus. Nun war es nicht mehr weit über die unter ihren Schuhen knirschende Wiese, welche direkt zum Dorf führte. Es lag vor ihr, aber sie schenkte dem vertrauten Anblick keine Aufmerksamkeit, denn sie kannte alles auswendig. Jede Häuserwand, jeden Weg, von denen es zugegebenermaßen nicht viele gab und jeden Bewohner. Es war kein großes Dorf und auch nicht bedeutend, aber es war ihre Heimat und damit ihr Lebensmittelpunkt.

Als sie die ersten Häuser passierte kamen ihr schon die ersten Bekannten entgegen. Sie wurde hin und wieder knapp gegrüßt oder es wurde ihr zugewunken. Immerhin hatte sie das gesellschaftliche Leben nicht einfach an sich vorbeiziehen lassen. Sie war ja nicht immer eine Pflaumenkuchen stehlende Banditin gewesen, sondern sogar Führerin beim BDM im Dorf. Mit Stolz hatte sie das Abzeichen, das sie für ihre Verdienste für das Land bekommen hatte, neben ihrem Schlaflager aufgehängt. Diese Auszeichnung bekam ja nicht jede, somit konnten ihre Späße, die sie sich manchmal erlaubte, tatsächlich nicht so schlimm und ihre Sprüche nicht so frech sein, wie stets von allen behauptet wurde.

Wieder zufrieden mit sich selbst, schlenderte sie zu dem kleinen, einfachen Haus des Bäckers und seiner Frau, das ein steiles dunkles Dach besaß. Schon beim Öffnen der schweren, schmucklosen Holztür schlug ihr ein wunderbarer Duft nach frisch gebackenem Brot und Mehlspeisen entgegen. Als sich ihre Augen an das dunkle Licht gewöhnt hatten, sah sie inmitten fertiger Teiglinge den Bäcker mit einem Nudelholz hantieren. Jeder Zentimeter der Stube war ausgenutzt und vollgestellt mit Arbeitsgeräten, Tischen und Kästen, in denen sich Lebensmittel befanden.

„Na, Anna, kommst du mal wieder, um mich zu besuchen oder um meine Gutmütigkeit auszunützen?“

Mit der Schürze voller Mehl konnte man Albert immer gleich seine Berufung ansehen. Er war ein rundlicher Mann mit meist roten Wangen, dem das Alter schon langsam Falten ins Gesicht zauberte.

„Du benützt doch deinen Ofen sowieso nicht die ganze Zeit, da wäre es doch schade, ihn ungenutzt in der Gegend herumstehen zu lassen!“, konnte Anna sich nicht verkneifen.

Natürlich waren es genau solche Ansagen, die ihr ständig Ärger einbrachten, aber sie konnte und wollte einfach nicht aus ihrer Haut. Albert war ein freundlicher Mann und so schüttelte er nur lachend den Kopf.

Seine hellen Augen blitzten schelmisch auf, als er sagte: „Dass du mit deinen siebzehn Jahren immer noch um keinen Deut besonnener geworden bist! Also bitte, bewahre meinen Ofen davor, von Spinnen besetzt zu werden, nachdem ich ihn schon seit fünf Minuten nicht mehr benutzt habe.“

Schnell ging Anna zu dem kleinen Tisch in der Ecke und begann, mit den mitgebrachten Utensilien zu arbeiten. Die Backstube war zwar nicht groß, aber gut ausgestattet. Jeder im Dorf liebte die von Albert gezauberten Leckereien.

„Was gibt es Neues in der Welt da draußen?“, versuchte sie nach einer Weile, ein Gespräch zu beginnen.

Beim Plaudern machte das Arbeiten doch gleich viel mehr Spaß und Albert war manchmal für so manchen Klatsch und Tratsch gut, denn er besaß das einzige Telefon des Dorfes und hatte damit nicht nur einen sprichwörtlichen Draht zu entfernteren Gebieten, sondern konnte auch die Telefonate der anderen mitverfolgen. So kamen die Leute nicht nur zu ihm, um seinen Ofen zu verwenden, sondern auch, um entfernte Menschen zu kontaktieren. Kurzum, Albert saß auf der Informationsquelle.

„Eigentlich nichts. Dass immer mehr Soldaten bei uns durchreisen, wird dir wohl schon aufgefallen sein. Wenn du mich fragst, bedeutet das alles nichts Gutes. Wo Soldaten kommen, geht der Krieg meist einher. Und das ist das Letzte, was ich mir für uns wünsche!“

Verständnislos sah Anna vom Teigkneten auf. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Albert gleich so ein Thema anschnitt, sie wollte doch nur nett plaudern. Außerdem wurden die Soldaten ja zu ihrem Schutz geschickt und nicht etwa, um ihnen etwas anzutun. Die Führungskräfte würden schon ihre Gründe haben und das Auftauchen von immer mehr Soldaten war bestimmt nur zum Wohl aller. So eine Aussage und der darin enthaltene Zweifel sahen Albert überhaupt nicht ähnlich, deswegen beschloss sie, sie unkommentiert zu lassen und sich wieder ihrem Teig zu widmen. Schweigend arbeiteten sie nebeneinander her, die Lust auf ein Gespräch war ihr vergangen.

Als die Tür geöffnet wurde, war sie beinahe fertig und der Kuchen schon im großen Ofen. Das Tageslicht strahlte für eine Sekunde unangenehm herein, als im nächsten Moment ein fremder Soldat in die Backstube trat und die Tür auch schon wieder ins Schloss fiel.

Ein Soldat war an sich ja nichts Besonderes, denn, wie Albert vorhin schon bemerkt hatte, es reisten viele durch ihr Dorf, oder waren in der Nähe stationiert.

Aber Anna konnte es nicht verhindern, sie musste den Fremden anstarren. Es kam natürlich vor, dass ihr ein Mann auffiel, aber da dies eher selten war, musste sie ihn einfach mustern. Seine dunklen, vollen Haare waren unter einer Soldatenkappe halb verborgen und unter seinem Militäranzug konnte man eine stattliche Figur erahnen. Sein Gesicht hatte sehr männliche Züge, die Wangenknochen waren gut zu erkennen und er hatte volle Lippen. Aber am meisten bewunderte sie seine leuchtenden blauen Augen, die nun, da sie ihn schon unhöflich lange anstarrte, interessiert aufblitzten.

Anna wusste, dass der Zeitpunkt längst gekommen wäre, fromm den Blick zu senken, aber sie dachte gar nicht daran.

Nach einer Weile räusperte sich der Soldat und fragte mit leicht österreichischem Akzent: „Darf ich nochmal das Telefon benutzen?“

Der Bäcker blickte nicht auf, um zu antworten, zu sehr war er in seine Arbeit vertieft, er schien aber den Fremden zu kennen.

„So tüchtig wie du mir und meiner Frau in letzter Zeit geholfen hast, brauchst du nicht extra zu fragen.“

Als der Soldat sich auf den Weg an ihnen vorbei machte, fragte Anna keck: „Wen willst du denn anrufen?“ – wie so oft, bevor sie darüber nachgedacht hatte. Sie grinste ihm entgegen, als er verwundert stehen blieb. Mit so einer direkten und damit unpassenden Frage hatte er wohl nicht gerechnet, schon gar nicht von einem Bauernmädchen, das über und über mit Mehl bedeckt war.

„Meine Mutter“, antwortete er dennoch.

„Wer es glaubt, wird selig!“, rief sie ihm zu und brachte ihn damit schon wieder aus dem Konzept.

Sie kicherte leise, während sie mit Aufräumarbeiten begann. Es war so einfach, höfliche Menschen zu verwirren.

Als sich der Soldat zum Telefon aufmachte, konnte sie den Blick Alberts ausmachen, der ungläubig den Kopf schüttelte.

„Wenn dir deine freche Zunge nicht einmal ernstere Probleme einbringt, will ich kein Bäcker sein!“

Anna konnte darauf nur lachen, aber sie versuchte natürlich, das Gespräch des Fremden zu belauschen. Sie konnte aber, ohne sich zu auffällig zu drehen, nicht viel verstehen.

Als sie das Geräusch des Hörers vernahm, der wieder in die Gabel gelegt wurde, war eine halbe Stunde vergangen.

Als der Soldat wieder den Raum betrat, holte sie gerade den Kuchen aus dem Ofen, er hatte eine wunderbare Farbe und roch köstlich.

„Der ist Ihnen aber gut gelungen!“, bewunderte der Soldat ihr Werk.

„Vielen Dank! Aber was verstehst du denn schon vom Backwerk?“ Allem Anschein nach, war er doch immerhin ein Mann und somit war es sehr unwahrscheinlich, dass er zu Hause oft backte oder kochte.

„Man möchte meinen, einiges. Immerhin bin ich gelernter Bäcker!“

Da wusste selbst die schlagfertige Anna nichts mehr zu erwidern. Das erklärte, wobei er Albert und seiner Frau geholfen hatte.

„Willst du vielleicht ein Stück kosten?“, versuchte sie, ihren Patzer wieder gutzumachen.

Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen und sie konnte nicht anders, als ihn wieder anzustarren. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sie sich wie ein kleines Mädchen benahm? Bevor er antworten konnte, nahm sie ein Messer, schnitt ein großes Stück ab und hielt es ihm hin. Als er zugriff, musste sie kurz bedauernd daran denken, dass sie nun wohl keinen Kuchen mehr stehlen konnte, ohne dass es an der reduzierten Menge auffallen würde. Er biss genussvoll hinein und sie fragte sich währenddessen, was sie eigentlich ritt, dass sie einfach irgendeinem dahergelaufenen Soldaten Kuchen schenkte.

„Der schmeckt ausgezeichnet, vielen Dank! Mein Name ist übrigens Richard Ehrlacher. Darf ich den Namen dieser talentierten Bäckerin erfahren?“

War das zu glauben? Jetzt wurde sie auch noch rot! Sie drehte sich schnell weg, um ihre Unsicherheit zu verbergen und während sie begann, ihren Kuchen in dem Korb zu verstauen, antwortete sie: „Ich heiße Anna.“ Großartig! Immerhin wusste sie scheinbar noch, wie sie hieß, vielleicht bemerkte er ja gar nicht, wie unwohl sie sich fühlte. Schnell war der Rest zusammengepackt und nachdem sie sich alles aufgeladen hatte, schob sie sich mit ihrem Korb in Richtung der Tür.

„Danke, Albert, dass ich dich wieder einmal belästigen durfte. Ich hoffe, du hast noch einen schönen Tag“, rief sie über die Schulter, als sie bereits ins Freie getreten war. Die Antwort des verwunderten Albert konnte sie schon gar nicht mehr verstehen, denn schon war die Tür zugefallen.

Die frische Luft tat gut und brachte wieder etwas Klarheit in ihren vernebelten Kopf. Schnellen Schrittes versuchte Anna, Raum zwischen sich und diese peinliche Situation zu bringen und ging über den Platz vor dem Bäckershaus. Was war das denn für eine eigenartige Situation gewesen? Nur gut, dass sie nun hinter ihr lag.

„Warte doch!“, hörte sie hinter sich rufen.

Als sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass Richard ihr gefolgt war. Blöderweise machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Sie verdrehte, über sich selbst und die Regungen ihres Körpers genervt, die Augen.

Er versuchte, sie schnell einzuholen und sah dabei trotz der komischen Geste, mit der er versuchte, seine Soldatenkappe am Kopf zu halten, elegant aus.

„Ich will mich revanchieren! Lass mich deine Sachen bis zu deinem Haus tragen.“, bat er sie mit dunkler Stimme.

Was für ein verlockender Gedanke. Sie könnten gemeinsam über die Wiese schlendern, nett plaudern und sich gut unterhalten.

„Nein, danke. Es geht schon“, stoppte sie ihre Gedanken, die sich gerade selbstständig gemacht hatten.

Bevor sie wusste, was geschah, hatte er ihren Korb mit dem Kuchen jedoch schon aus ihrer Hand genommen und schlug einfach den Weg ein, den sie gerade hatte beschreiten wollen.

„Was soll das?“, entrüstete sie sich, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Stimme einen erfreuten Klang hatte.

„Na, ich will dir helfen, und das mache ich hiermit. Also, Anna, wo wohnst du?“, sprang er einfach auf ein anderes Thema um.

Die dummen Gedanken bahnten sich wieder an die Oberfläche: er interessiert sich für mich! Darüber erfreut, begann sie zu erzählen. „Hinter diesem Wald, ich weiß nicht, wie gut du dich in dieser Gegend auskennst. Es ist nur ein kleiner Hof, den meine Eltern, meine Schwester, mein kleiner Bruder und ich bewirtschaften. Wo kommst du her? Ich nehme an, nicht aus Schlesien, wie mir dein Akzent verrät?“

„Nein, da hast du Recht, ich komme aus Österreich.“

Alles in ihr wollte fragen, warum er sie begleitete. Warum er sich die Mühe machte, ihre Sachen zu tragen. Aber diese Blöße wollte sie sich nicht geben, so sagte sie nur: „In Österreich war ich noch nie.“

Eine kurze Weile gingen sie schweigend nebeneinander her und ließen gemeinsam das Dorfzentrum und die Menschen darin hinter sich. Ihre Ohren begannen, im eisigen Wind zu brennen und sie verfluchte ihre hochgebundenen Haare, die sie veranlasst hatten, kein Kopftuch zu benutzen, denn für Ende April war es heute außergewöhnlich kalt.

Immer wieder linste sie so unauffällig wie möglich zu Richard und betrachtete ihn kurz. Er hatte einen sehr aufrechten Gang und strahlte Ruhe und Gelassenheit aus. Sein Gesicht hatte einen heroischen Ausdruck. Ob er immer so ernst dreinschaute?

Nachdem er keine Anstalten machte, noch etwas zu sagen, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Hast du Geschwister?“

„Ja, eigentlich schon. Drei jüngere Brüder.“

Kurz überlegte sie, was das Wort „eigentlich“ in diesem Satz zu suchen hatte, ließ diesen Gedanken aber wieder fallen und beschloss, lieber von ihrer eigenen Familie zu erzählen.

„Meine Schwester ist elf, mein Bruder ist gerade fünf geworden. Ich bin übrigens siebzehn, wie alt bist du?“

„Dreiundzwanzig“, war die schlichte Antwort.

Große Reden waren anscheinend nicht seine Stärke, dachte sie und musste dabei grinsen. Aber das machte nichts, reden konnte sie für beide genug.

„Was ist denn so lustig?“, riss er sie aus ihren Gedanken.

Schüchterne Zurückhaltung und ehrwürdiges Benehmen waren noch nie Annas Stärke gewesen, so auch nicht in diesem Fall. „Also, viel redest du ja nicht gerade“, schoss es aus ihr heraus.

Richard wandte sich zu ihr um und schaute sie nachdenklich an. Er sagte nichts und sah sie so lange an, dass sie gerade zu überlegen begann, ob sie ihn jetzt verärgert oder gekränkt hatte, bis er zu schmunzeln begann und den Kopf schüttelte.

„Da hast du Recht.“ Dieses schiefe Lächeln, das er aufgesetzt hatte, brachte sie kurz aus dem Konzept. Dieser Mann hatte ihr den Kopf verdreht und sie kannte ihn gerade erst ein paar Minuten. Bei diesem Gedanken schüttelte sie den Kopf und sie gingen schweigend weiter. Zum wiederholten Male dachte sie sich, dass sie sich ja sonst nicht wie ein kleines Mädchen neben einem Mann fühlte.

Bald kam der Wald näher und da überkamen Anna andere Gedanken. Wollte sie jetzt mit einem fremden Mann in den Wald gehen? Gerade noch hatte sie sich beim Hinweg Gedanken darüber gemacht und nun wollte sie diese Situation freiwillig herbeiführen? Das war doch eigenartig, gleich bei der ersten Begegnung zu zweit einen Spaziergang im Wald zu machen. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht? Was würde ihr Vater sagen, wenn sie mit irgendeinem Soldaten alleine aus dem Wald kam? Immer näher kamen die Bäume und nährten ihre Zweifel.

„Für wen ist denn dieser Kuchen gedacht?“, wollte Richard wissen, aber Anna konnte sich kaum auf seine Worte konzentrieren. Sie wurde immer unruhiger, klopfte mit ihren Fingern nervös gegen den Oberschenkel und schließlich musste sie einem Impuls nachgeben.

Kurzerhand riss sie dem erstaunten Richard den Korb aus der Hand, rief ihm noch ein schnelles „Danke!“ zu und rannte davon, als wäre der Teufel hinter ihr her und nicht ein Soldat, der sie durcheinander brachte. Sie rannte, so schnell sie konnte und als der Wald um sie herum schon dunkler geworden war, begann sie, laut zu lachen. Ihre schnellen Schritte wurden zu Hopsern und sie wurde immer übermütiger. Ihr Rock flatterte im Wind, ihre Haare begannen, sich aus der Frisur zu lösen und Matsch spritzte um ihre Schuhe. Jetzt war es nicht mehr wichtig, sauber zu bleiben, es war ihr alles egal. Was hatte dieser Richard mit ihr angestellt? Sie kannte ihn erst seit ein paar Augenblicken, aber ihr Herz hüpfte wie verrückt und sie fühlte sich frei und glücklich.

Als sie aus dem Wald sprang, machte sie eine Drehung um die eigene Achse und genoss das Gefühl, das sie nicht so recht begründen konnte. Schon von weitem sah sie, dass ihre Mutter am Hof stand und ihr verwirrt entgegenblickte.

Als sie diese, immer noch schwer atmend, erreichte, wurde sie sogleich gefragt: „Was ist denn mit dir los? Warum bist du so außer Atem und du strahlst ja richtig.“

Zu ihrer Mutter hatte sie ein gutes Verhältnis. Oft stellte sie sich zwischen Anna und ihren wütenden Vater, denn sie war eine gutmütige Frau. Ihre Augen strahlten immer viel Liebe aus und auch wenn ihre Haltung von der schweren Arbeit schon leicht gebückt war, begleitete immer ein gewisses Maß an Stolz ihre Worte und Handlungen. Sie trug ein ähnliches Gewand wie Anna, wurde es doch gleichermaßen von ihr selbst genäht, nämlich einen Rock mit einer Schürze, eine Bluse und eine dicke gestrickte Weste darüber. Ihre Mutter hatte oft Verständnis für ihre direkte Art und so fielen ihr die folgenden Worte auch nicht schwer.

„Ich habe gerade deinen zukünftigen Schwiegersohn kennengelernt.“

Überrascht hob ihre Mutter die Augenbrauen. Ihr Mund klappte auf und wieder zu. Sie schien zu überlegen, was sie von dieser Aussage zu halten hatte. Einmal noch wurde Anna mit einem intensiven Blick bedacht und die nächsten Worte überraschten sie sehr.

„Wo finde ich ihn, wie heißt er und wie schaut er aus?“

Etwas perplex antworte Anna: „Ich habe ihn beim Bäcker getroffen, wo er einquartiert ist, weiß ich nicht. Er heißt Richard, hat eine Soldatenuniform an und dunkle Haare. Aber warum denn?“

Noch viel verwirrter war sie, als ihre Mutter sich ohne ein weiteres Wort plötzlich umdrehte und auf die andere Seite des Hofs ging. Anna folgte ihr zum Schuppen, wo sie ihr altes, klappriges, einst blaues Fahrrad herausnahm, von dem der Lack schon abblätterte und es bestieg.

„Bevor du dich ernsthaft verliebst, wirst du auf meine Zustimmung warten.“ Mit diesen Worten ließ sie Anna einfach stehen und radelte davon.

Verwundert blickte Anna ihrer Mutter hinterher. Sie schien ihre Gefühle wirklich ernst zu nehmen und das hatte zur Folge, dass sie sich gleich noch bestätigter fühlte. Das positive Gefühl war noch nicht verflogen, im Gegenteil. Sie musste tief durchatmen, weil das Glück so fest auf ihre Brust drückte. Noch einmal schloss Anna die Augen und hörte in sich hinein. Aber da war jetzt kein Zweifel mehr. Sie hatte sich in Richard im wahrsten Sinne des Wortes auf den ersten Blick verliebt.

„Wo ist denn deine Mutter hin?“ Die Stimme ihres Vaters riss sie aus den Gedanken.

Als sie die Augen öffnete, sah sie ihn vor dem Haustor. Er war ein drahtiger, kleiner Mann, hatte harte Gesichtszüge, ein spitzes Kinn und als sie ihm nicht gleich antwortete, zogen sich seine dunklen Augenbrauen missbilligend zusammen. Er war bestimmt nicht die richtige Person, um über ihre gerade erwachten Gefühle zu reden. Abgesehen davon, dass er kein romantischer Mann war, konnte sie sich schon vorstellen, was er davon halten würde, wenn sie mit einem Ausländer nach Hause kam.

Als er schon den Mund aufmachte, um seine Frage zu wiederholen, beeilte sie sich, zu sagen: „Sie ist in das Dorf gefahren.“

Schnell machte Anna sich auf den Weg ins Haus, um nicht noch weitere Fragen beantworten zu müssen. Als sie an ihm vorbeikam und den Geruch um ihn herum wahrnahm, der, wie meist, nach Zigarren roch, war sie sich sicher, er würde sie aufhalten. Es würde ein unangenehmer Moment werden, wenn er weiter fragen würde und er wäre bestimmt wieder verärgert, vielleicht würde er sie sogar anschreien oder mit Prügel drohen, wenn er alles erfuhr oder sie sich weigerte, ihm genau zu erklären, wo die Mutter hin war. Dem war aber glücklicherweise nicht so und im nächsten Moment war sie auch schon ins Haus geschlüpft.

Als sie wieder in den Spiegel schaute, kam sie sich vor, als würde sie eine Fremde betrachten. Ihre Wangen waren vom Laufen gerötet, ihre Frisur hatte sich leicht gelöst und ihre Augen leuchteten vor Fröhlichkeit. Ja, sie hatte sich verliebt und als sie sich betrachtete, wunderte es sie auch nicht mehr, warum ihre Mutter ihr sofort geglaubt hatte. Als hübsch hatte sie noch nie gegolten, ihr Gesicht war zu rund und grob geschnitten, um attraktiv zu wirken, ihre Wimpern waren zu kurz und ihr Körper war geprägt von der harten Arbeit. Als zart könnte man ihn wirklich nicht bezeichnen. Aber sie musste zugeben, dieses neu erwachte Leuchten stand ihr ausgesprochen gut.

Nachdem sie den Kuchen abgestellt hatte, blieb sie unschlüssig stehen. Sie hatte Hunger, aber dem nachzukommen, hatte sie noch keine Zeit, erst mussten noch einige Arbeiten erledigt werden. Also beschloss sie, mit ihrer Lieblingsbeschäftigung anzufangen und die Pferde zu füttern.

Die Arbeit ging ihr sehr leicht von der Hand, hatte sie doch allen Grund, gut gelaunt zu sein. Sie ging leichten Schrittes zwischen ihren drei Pferden umher. Im Stall war es dunkel und ein bisschen stickig, aber die Pferde hatten es in ihren drei Boxen im Gegensatz zu der kalten Luft im Freien recht warm. Bei ihrem Lieblingstier, Rosi, blieb sie stehen und streichelte es zwischen den Nüstern. Sie war braun mit weißen Flecken und relativ groß für ihre Rasse. Rosi schnaubte dankbar und rieb sich gegen ihre Hand. Sie war ein äußerst gutmütiges Tier und Anna ging oft zu ihr und suchte Trost, wenn es ihr nicht gut ging, oder gab ihr heimlich eine Leckerei.

Als sie gerade leise vor sich hin singend das Ausmisten des Stalls erledigt hatte und ins Freie trat, sah sie ihre Mutter, die gerade mit dem Rad um die Kurve bog. Leicht beunruhigt stellte Anna fest, dass sie aufgeregt war. Was würde sie sagen? War sie einverstanden? Aber eines wusste sie genau und zwar, dass die Meinung der Mutter, sollte sie negativ sein, rein gar nichts ändern würde. Sie würde sich nichts vorschreiben lassen, sich nicht einschränken lassen! Denn sie selbst konnte nicht an der Richtigkeit ihrer Zuneigung zweifeln. So ein schneller und starker Gefühlsausbruch musste einfach etwas zu bedeuten haben.

Also stellte sie sich aufrecht hin, verschränkte die Arme und reckte ihr trotzig das Kinn entgegen, als ihre Mutter sich schnell näherte. Vor ihr blieb sie stehen, stieg vom Rad und sah sie eindringlich an. Im nächsten Moment nickte sie leicht und sagte: „Dieser Richard hat sehr schöne Augen! Und jetzt lass uns das Abendessen vorbereiten.“

Damit drehte sie sich um, stellte das Rad in den Schuppen zurück und ging ins Haus. Anna stand wie angewurzelt da und starrte die Tür an, durch die ihre Mutter gerade verschwunden war. Diese Hürde war erstaunlich leicht zu meistern gewesen, kein Streit, keine Vorwürfe, nichts dergleichen. Sie beschloss, die Ereignisse einfach hinzunehmen, als Glück abzustempeln und folgte ihrer Mutter.

***

Die nächsten Tage rauschten an Anna wie im Flug vorbei, zu sehr war sie mit den neuen Gefühlen beschäftigt. Ständig erwischte sie sich dabei, dass sie lächelnd ins Nichts starrte oder aus Gedanken hochschreckte, wenn sie jemand ansprach. Sie hatte immer ein Lied auf den Lippen oder summte vor sich hin. Diese Veränderung war natürlich nicht unbemerkt geblieben, denn im Normalfall sang Anna nicht alleine und wenn, dann nur leise, hatte sie doch schon oft gehört, dass ihre Stimme zum Singen nicht geeignet war. Aber die Scham ging in ihrer guten Laune einfach unter.

Das Problem bei alledem war aber nun, dass sie Richard näher kennenlernen wollte. Sie hatte das starke Bedürfnis, ihn zu sehen, wollte mit ihm reden und mehr über ihn erfahren, aber sie wusste einfach nicht, wie sie das anstellen sollte. Sollte sie ihn suchen? Herausfinden, ob er wie die meisten anderen Soldaten in der Gegend, in der neu errichteten Luftunterstützungseinheit stationiert war und ihn besuchen? An jedem Tag, der verging, wuchs ihre Entschlossenheit, die Sache in die Hand zu nehmen. Wenn sie im Dorf war, ließ sie ihren Blick suchend über die Anwesenden schweifen, immer Ausschau haltend nach den dunklen Haaren und dem leuchtenden Blick.

So auch dieses Mal, als sie nach der sonntäglichen Messe am Markt war, um sich an den vielen Kleinigkeiten zu erfreuen. Sie versuchte, den ganzen Platz zu erfassen, um den Soldaten zu finden, der sie nach nur einem Treffen völlig verändert hatte. Aber es war nicht einfach, alles im Auge zu behalten, denn es herrschte reges Treiben am Platz. Es waren einige Stände aufgebaut worden, an denen sich vor allem die Kinder nicht satt sehen konnten. Man konnte Süßigkeiten kaufen oder Stoffe und sonstige Waren, die im Haushalt oder in der Landwirtschaft gebraucht wurden. Die Stimmung war ausgelassen, man traf Bekannte, Freunde und Nachbarn.

Eigentlich hätte sie sich schon wieder auf den Rückweg machen sollen, da sie heute noch einiges vorhatte. Aber immer noch ging sie umher und versuchte, den Platz zu überblicken.

So in die Suche vertieft, achtete sie nicht auf den Weg vor sich und wäre um ein Haar in die Person vor sich gelaufen. Als sie erschreck hochblickte, erkannte sie Albert, der sie mit diesem Beinahe-Unfall aus ihren Träumereien riss. Er hatte seine typische Schürze um und schien gut gelaunt.

„Na, Anna, suchst du jemanden?“ Die Augen des Bäckers blitzten schelmisch auf, er hatte bestimmt nichts Gutes im Sinn.

Etwas verunsichert antwortete sie: „Wie kommst du denn auf sowas?“

Zu ihrer Verwunderung warf er seinen Kopf in den Nacken und lachte schallend. Sie war sich nun sicher, dass Albert diese Frage nicht zufällig gestellt hatte.