Das torlose Tor: Mumonkan - Sabine Hübner - E-Book

Das torlose Tor: Mumonkan E-Book

Sabine Hübner

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Beschreibung

Das Mumonkan ist eine der bekanntesten Koan-Sammlungen des Zen und seit Jahrhunderten Inspiration und Prüfstein unzähliger Generationen von Zen-Meistern und -Schülern. Endlich liegt nun wieder eine vollständige kommentierte Ausgabe dieses Basistextes vor. Das Buch enthält den vollständigen Text der Koan samt den Kommentaren von Meister Mumon selbst, sowie ausführliche Kommentare (Teisho), wie sie Zen-Meisterin Sabine Hübner vor ihren Schülern vorgetragen hat. «Die Kommentare von Sabine Hübner zum Mumonkan, einem der wohl wichtigsten Zen-Bücher aller Zeiten, können vielen zum Wegbegleiter werden. Sabine Hübner habe ich lange auf dem Zen-Weg begleitet. Vor einigen Jahren bat ich sie, selber andere zu führen. Das Buch zeigt ihre Kompetenz und Erfahrung. Denn trotz Obakus Worten, dass es keine Zen-Meister gibt, besteht auch für ihn kein Zweifel, dass man den Zen-Weg nur unter einem Lehrer oder einer Lehrerin gehen kann. Sie sind wie Bergführer, die den Weg kennen und den Berg schon bestiegen haben. Sie kennen die Gefahren und Tücken und die gefährlichen Stellen, an denen man leicht abstürzen kann. Es ist gut, in solchen Stunden eine Begleitung zu haben.»

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Seitenzahl: 473

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Umschlaggestaltung unter Verwendung einer Pinselzeichnung von Yang Chong-guang, die den 6. Patriarchen Hui-neng darstellt (Privatbesitz, alle Rechte vorbehalten).

eBook-Ausgabe der 2., durchgesehenen Auflage. Originalausgabe. Copyright © 2002-2016 by Werner Kristkeitz Verlag, Heidelberg. Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstigen, auch auszugsweisen, Verwertung bleiben vorbehalten.

ISBN 978-3-932337-85-7 (eBook)

ISBN 978-3-932337-00-0 (gedrucktes Buch)

www.kristkeitz.de

Inhalt

Einige Informationen

Vorwort von Willigis Jäger Kyo-un-Rōshi

Hinführung von Volker Fey

Vorbemerkung von Bernhard Fügerl

Einleitung und Danksagung von Sabine Hübner

Mumonkan: Shūans Vorwort

Widmung an den Thron

Mumons Vorwort

 1  Jōshūs Hund

 2  Hyakujō und der Fuchs (Teil 1)

 2  Hyakujō und der Fuchs (Teil 2)

 3  Guteis Finger

 4  Der Barbar hat keinen Bart

 5  Kyōgens Mann auf einem Baum

 6  Buddha hält eine Blume hoch

 7  Jōshūs «Wasch deine Essschalen»

 8  Keichū fertigt Karren

 9  Der Buddha Daitsū Chishō

10  Seizei, der Arme

11  Jōshū prüft die Einsiedler

12  Zuigan ruft sich selbst «Meister!»

13  Tokusan trägt seine Essschalen

14  Nansen tötet die Katze

15  Tōzans sechzig Schläge

16  Der Glockenschlag und das siebenstreifige Gewand

17  Der Lehrer der Nation rief drei Mal

18  Tōzans «Drei Pfund Flachs»

19  Der alltägliche Geist ist der Weg

20  Ein Mann von großer Kraft

21  Unmons eingetrockneter Schmutzstock

22  Kāśyapas Fahnenstange

23  Weder ‹gut› noch ‹böse› denken

24  Reden und Schweigen hinter sich lassen

25  Die Predigt vom dritten Platz

26  Zwei Mönche rollen die Bambusvorhänge hoch

27  Nicht Geist, nicht Buddha

28  Ryūtans Name hallt seit Langem nach

29  Nicht der Wind, nicht die Fahne

30  Geist ist Buddha

31  Jōshū durchschaut eine alte Frau

32  Ein Nicht-Buddhist fragt Buddha

33  Weder Geist noch Buddha

34  Wissen ist nicht der Weg

35 Seijō und ihre getrennte Seele

36  Begegnung mit einem vollendeten Meister

37  Der Eichbaum im Garten

38  Eine Kuh geht durch ein vergittertes Fenster

39  Unmons «Verfehlen durch Worte»

40  Den Wasserkrug umstoßen

41  Bodhidharma bringt den Geist zur Ruhe

42  Eine Frau kommt aus dem Samādhi

43  Shuzans Shippei

44  Bashōs Shujō

45  Wer ist jener Eine?

46  Vorwärtsgehen von der Spitze einer Stange

47  Tosotsus drei Schranken (Teil 1)

47  Tosotsus drei Schranken (Teil 2)

48  Der eine Weg Kenpōs

Mumons Nachwort

Mumons Zen-Warnungen

Ōryūs drei Schranken

Mōkyōs Epilog

Anbans neunundvierzigster Fall

Anhang: Fall 50 – Eine Aufgabe für die Zen-Meister

Die drei Zufluchten

Die Linie der Dharma-Nachfolger seit Śākyamuni Buddha bis zu Willigis Jäger Kyo-un-ken

Ein Sesshin-Stundenplan aus dem Nürnberg-Zendō

Nachwort von Bernhard Fügerl

Hinweis des Verlags

Standardschriftarten sind nicht in der Lage, alle in diesem eBook verwendeten Schriftvarianten darzustellen. Hierfür muss im Lesegerät die «Verlagsschrift» aktiviert werden.

Einige Informationen über die Entstehung und Aufteilung dieses Buches

Dieses Buch wurde im Auftrag von Willigis Jäger Kyo-un-Rōshi geschrieben, um Zen-Schüler bei ihrer Übung zu unterstützen.

Die Übersetzungen der seit Jahrhunderten, teilweise seit Jahrtausenden überlieferten Zen-Texte wurden in unterschiedlichem Maß und dem ursprünglichen Sinn annähernd durch sowohl die deutsche Ausgabe des Buches Die torlose Schranke von Zen-Meister Kōun Yamada, dem «Großvater-Rōshi» der Autorin, als auch durch das Buch Mumonkan – Die Schranke ohne Tor von Heinrich Dumoulin sowie durch das Buch Zu den Quellen des Zen des Zen-Meisters Zenkei Shibayama inspiriert. Außerdem wurden die überlieferten Texte teilweise auch aus dem Gedächtnis zitiert.

Die Texte der Kōan sind seit vielen Jahrhunderten Allgemeingut der Menschheit.

Es wurden entweder die chinesischen oder die japanischen Namen verwendet, entsprechend der Geläufigkeit der Namen. Einige der Namen, unter anderem von legendären Buddhas und Bodhisattvas, wurden auch im Sanskrit oder Pāli belassen.

Zu jedem Kōan in der Sammlung Mumonkan gehören jeweils der Fall selbst, dazu der Kommentar des Mumon und ein mehrzeiliges Gedicht des Mumon zu dem Fall. Normalerweise stehen diese drei Texte – Fall, Kommentar und Gedicht – hintereinander aufgeführt. In dieser Arbeit befindet sich das Teishō über den Fall, über den Kommentar und über das Gedicht der Einfachheit halber unmittelbar hinter dem jeweiligen Text.

Die Anreden «du» und «ihr», mit denen die Zen-Schüler während der Teishō angesprochen wurden, blieben auch im Buch unverändert erhalten, um den typischen und sehr persönlichen Charakter der Teishō nicht nachträglich zu verfälschen.

Bei Fragen buddhistischen Inhalts, die durch die Kōan-Texte des Mumonkan aufgeworfen wurden, ebenso wie auch bei sprachlichen Problemen, Begriffe aus dem Pāli, Sanskrit und Japanischen betreffend, stand Volker Fey, Lehrer für buddhistische Philosophie und buddhistische Psychologie sowie Meditationsmeister, bei der Erstellung des Buches hilfreich und beratend zur Seite.

Der große Weg ist ohne Tor.

Tausend verschiedene Straßen gibt es.

Wer einmal diese Schranke durchschritt,

spaziert in Freiheit im Weltall umher.

Mumon Ekai

Vorwort

Der Weg ist das Ziel. Immer wieder kommen religiöse Menschen ganz verstört zu mir und sagen: «Ich kann nicht mehr beten. Da ist kein Gegenüber mehr. Ich spreche ins Leere. Da ist kein Halt mehr.» – Wer seine Religion wirklich gelebt hat, erkennt, dass Bekenntnisse, Worte, Bilder, Rituale auf die eine Wirklichkeit verweisen, die rational nicht fassbar ist. Für viele fallen alle Bilder und Vorstellungen von Gott plötzlich weg, ohne dass sie das suchten. Die christlichen Mystiker nannten das die Dunkle Nacht. Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird plötzlich existenziell. Manche gehen in ihrer Not in eine Therapie und hoffen dort die Lösung zu finden. Es wird ihnen oft nicht geholfen, weil nicht erkannt wird, was in der Psyche des Menschen wirklich passiert ist. Manche versuchen die Leere mit Psychopharmaka zu überwinden. Aber auch das bedeutet keine Hilfe. Es gibt eine Metapathologie, die sich in diesen Symptomen äußert. Nur wenn dort die Hilfe ansetzt, kann geholfen werden. Religionen sind Wegweiser, sind Landkarten. Sie zeigen den Weg zum Wesentlichen. Das heißt nicht, dass man aus seiner Konfession aussteigen muss, wenn man einen spirituellen Weg geht. Man soll aber zur Erkenntnis kommen, dass jede Konfession nur der Finger ist, der zum Mond zeigt, aber nicht der Mond selber. Viele, die zum Zen kommen, sind mit ihrer Religion nicht zufrieden. Sie suchen im Zen eine andere Religion. Aber diese Religion trägt am Ende genau so wenig wie die von gestern, wenn man die Worte und Bilder nicht übersteigt. Der Zen-Weg und alle Mystik möchte in die Erfahrung dessen führen, was Konfessionen lehren.

Die Geschichte von Ōbakus «Sakesatz-Fressern» beleuchtet das: Ōbaku lehrte die Versammlung und sagte: «Ihr seid alle Sakesatz-Fresser. Wenn ihr auf diesem Weg immer so weitergeht, wann könnt ihr endlich sagen: ‹Heute habe ich es erfahren?› Wisst ihr eigentlich, dass es in diesem großen Reich der Tang keinen Zen-Meister gibt?» – Da trat ein Mönch vor und sagte: «Wie steht es aber mit den Leuten, die sich der Schüler annehmen und die Versammlung leiten?» – Ōbaku sagte: «Ich sage nicht, dass es kein Zen gibt; ich sage nur, dass es keinen Meister gibt.» (Hekiganroku 11). Ōbaku macht klar, dass man sich nicht an den Rockschoß eines anderen heften kann. Der Zen-Meister wird immer nur zur eigenen Erkenntnis des Schülers führen. Er ist so etwas wie eine Hebamme, die hilft, das Kind einer anderen Frau zur Welt zu bringen.

Zen kennt am Ende keine Lehrerinnen, keine Lehrer und keine Lehre. Zen ist weder monotheistisch noch pantheistisch, es spottet solcher Bezeichnungen, daher gibt es auch nichts, auf was der Verstand zu richten wäre. Zen führt in eine freie und unbeschwerte Dimension, die löst von Gedanken und Verstrickungen. Jede wirkliche Mystik sagt das Gleiche. Chapman, einer der großen christlichen Ratgeber und Begleiter für Menschen auf dem spirituellen Weg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, charakterisiert Johannes vom Kreuz mit folgenden Worten: «Der heilige Johannes vom Kreuz ist wie ein mit Christentum vollgesaugter Schwamm. Drückt man alles heraus, bleibt die volle mystische Theorie zurück. Infolgedessen habe ich Johannes vom Kreuz fünfzehn Jahre lang gehasst und einen Buddhisten genannt. Ich liebte die heilige Teresa und las sie immer wieder und immer wieder. Sie ist zuerst Christin und nur in zweiter Linie Mystikerin. Dann ging mir auf, dass ich – was das Beten anging – fünfzehn Jahre vergeudet hatte.» – Damit will er sagen, dass er 15 Jahre Johannes vom Kreuz nicht traute und daher versäumte, seine Gebetsweise anzunehmen, was heißt, alle Konzepte und Vorstellungen auch religiöser Art zurückzulassen. Chapman war ein gläubiger Christ, der niemand geraten hätte, das Christentum zu verlassen. Aber er erkannte, dass alle Bekenntnisse und Rituale in die Erfahrung [→ 1] dessen führen müssen, was gelehrt wird.

Der Weg ist unsere wahre Heimat. Die Heimatlosigkeit spielt auf dem Weg eine große Rolle. Ein Sannyāsin ist ein Wandermönch. Śākyamuni war es auch. Das Leben Jesu verlief wahrscheinlich ähnlich. Er hatte nichts, um sein Haupt hinzulegen. Der Weg ist das Ziel. Zen braucht keinen schönen Platz, kein schönes Haus, keine schöne Landschaft. Wenn wir unsere Konzepte loslassen, ist einfach das, was ist. Am Brunnen von Samaria wurde Jesus von einer Frau gefragt: «Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr Juden aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss?» Jesus antwortete: «Frau, die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit.» (Joh 4,19 ff.) Heimatlosigkeit hat mit Askese nichts zu tun. Sie bedeutet Freiheit von Bindungen.

Śākya soll seinen Schülern Regeln hinterlassen haben, die in die Freiheit führen. Sie dienten zunächst der Reinigung des Tempels, gelten aber auch für die Reinigung des Geistes:

1. «Kehre nie gegen den Wind.» Kämpfe nie gegen deine Gedanken und Gefühle und andere Widerwärtigkeiten. – Kehre nicht gegen den Wind, wenn du Zazen machst. Kämpfe auch nicht gegen religiöse Vorstellungen. Alles fliegt dir wieder entgegen, und du musst dich aufs Neue damit beschäftigen.

2. «Kehre alles auf einen Haufen» – alle Vorstellungen von Gott, von Leerheit, von Kōan, von Shikantaza, von rechts und links, von gut und schlecht. Alle Konzepte sind nur Staub. Kehre auch Angst, Hass, Ärger und Neid auf den Haufen.

3. «Trage allen Abfall weg.» Nimm ihn nicht mit. Werte nicht. Schaue nicht zurück. Bleib im Hier und Jetzt. Lass die Vergangenheit ruhen. Jesus sagte zu dem jungen Mann, der ihm folgen wollte: Lass die Toten ihre Toten begraben. Verkaufe, was du hast, dann komme und folge mir. Der junge Mann war sehr reich. Er ging traurig weg. (Mt 8.21) – Es geht auf dem Weg nicht um äußere Armut, es geht um das Ablegen der Anhänglichkeit an Gedanken, Konzepte und religiöse Vorstellungen. Es geht auch Jesus nicht um den äußeren Reichtum, sondern es geht um das Ablegen der inneren Abhängigkeit, um die innere Unabhängigkeit. Nur innen kann die eigentliche Freiheit sein.

Die Kommentare von Sabine Hübner zum Mumonkan, einem der wohl wichtigsten Zen-Bücher aller Zeiten, können vielen zum Wegbegleiter werden. Sabine Hübner habe ich lange auf dem Zen-Weg begleitet. Vor einigen Jahren bat ich sie, selber andere zu führen. Das Buch zeigt ihre Kompetenz und Erfahrung. Denn trotz Ōbakus Worten, dass es keine Zen-Meister gibt, besteht auch für ihn kein Zweifel, dass man den Zen-Weg nur unter einem Lehrer oder einer Lehrerin gehen kann. Sie sind wie Bergführer, die den Weg kennen und den Berg schon bestiegen haben. Sie kennen die Gefahren und Tücken und die gefährlichen Stellen, an denen man leicht abstürzen kann. Es ist gut, in solchen Stunden eine Begleitung zu haben.

Willigis Jäger Kyo-un-ken

Hinführung

«Alles, was entsteht, muss wieder vergehen.»

Dies ist die kürzeste Form, die Lehre des historischen Buddha zu interpretieren. Er erkannte klar, dass alles Leben durch Vergänglichkeit, Krankheit, Alter und Tod eingegrenzt ist. Natürliche Gesetzmäßigkeiten im Bereich des Daseins, der Ebene materieller Manifestation, die in der jeweiligen geistig-energetischen Disposition des einzelnen Wesens gleichwohl in Form, Art und Wahrnehmung begründet sind, stellen in ihrer Wirkung die Ursache für diese Eingrenzung dar. Eines ergibt das andere. Nichts, gar nichts, was immer wir tun (oder nicht tun, denn auch das ist Tun), bleibt ohne Konsequenz, ohne ein abhängiges Entstehen. Karma, die Ursache, und Vipāka, die Wirkung, begründen den Daseins-Kreislauf, den Saṃsāra, und hierin formen wir so lange neue Ursachen, neue Wirkungen, bis wir endlich verstehen, warum dies alles so ist.

Wir müssen lernen, gleich, ob wir wollen oder nicht, die jeweiligen Konsequenzen für unser Tun und Lassen zu tragen, und zwar in einer Weise, die wir uns ganz sicher nicht vorstellen können. Wir müssen akzeptieren, was wir getan oder eben nicht getan haben, und niemand fragt, ob es uns etwa gefällt, was aus unserem Handeln folgt. Nein, niemand, abgesehen von uns selbst. Wir fragen uns ständig. Denn, was wir nicht akzeptieren, das führt uns weg von unserem Ursprung. So gibt es keine Selbstwesensschau, schon gar keine Selbstannahme im eigentlichen Sinn. Mit Reizeinflüssen der materiellen Welt überflutete Menschen auf angeblichem Selbstfindungsweg, in Wirklichkeit jedoch nachgerade in rasender Flucht vor sich selbst befindlich, verdrängen die tiefe Wahrheit in sich. Sie wollen sie nicht, weil sie nichts von ihr verstehen. Es scheint bequemer, eine trügerische Sicherheit in der materiellen Welt zu suchen. Man denkt, wirkliche Sicherheit kaufen zu können. Dabei muss man ja nicht weiter über die Begrenztheit materieller Existenz nachdenken. Man flüchtet sich aufgrund des inhärenten Strebens des Geistes nach einer beständigen Sicherheit in eine eigene kleine Welt voller Illusion und Täuschung. Und je tiefer die Illusion und Täuschung die Menschen in einer Schein-Sicherheit, einer Schein-Freiheit, einem Schein-Glück wiegt – desto mehr glauben diese Armen, dass sie erreicht haben, was es zu erreichen gibt. Während der, angesichts der Unvorstellbarkeit der Ewigkeit im beständigen Hier und Jetzt unmittelbarer Gegenwart, doch nur winzig kleinen Zeitspanne ihrer aktuellen materiellen Manifestation mögen manche Menschen scheinbar sehr reich, aus ihrer Sicht auch sehr glücklich sein. Sie können sich alles kaufen. Alles habe ihrer Meinung nach ja nur seinen Preis. Sie wähnen sich frei und glücklich. Diese Menschen selbst denken es von sich. Andere Menschen denken über dieses scheinbare Glück, diese scheinbare Freiheit, voller Neid und Missgunst. Wie viel Leid hat allein dieses tiefe, so weit verbreitete eigene innere Missverständnis schon gebracht?!

Es ist nur ein Traum.

Niemand kann wirklich unwandelbares, unvergängliches Glück erreichen, wenn er nicht zuvor die beiden Ebenen der Wirklichkeit als eine einzige ultimative Wahrheit erfahren – und dies im alltäglichen Dasein umgesetzt, verwirklicht, hat.

Das Dasein eines solchen Menschen erweitert sich in ein So-Sein, letztlich nur noch in ein einfaches Sein. Solch ein Mensch hat dann den Zustand des dynamischen Nirvāṇa verwirklicht. Er ist unvergänglich und unwandelbar glücklich. Er unterliegt keinerlei Bedingtheiten mehr. Was er braucht, kommt von selbst. Solch ein Mensch ist ein Segen für die Mitmenschen.

Hier geht es um die eben erwähnten beiden Ebenen der Wirklichkeit, die zwei Ebenen, die als eine einzige ultimative Wahrheit erfahren werden und entsprechend der Erkenntnis aus dieser Erfahrung heraus im Alltag umgesetzt werden müssen. So ist es.

Dies ist eine naturgesetzliche Bedingtheit, der alle materiell manifestierten Wesen unterworfen sind, und zwar, ob es ihnen nun passt oder eben nicht. Es geht hier nicht und niemals darum, was wir uns wünschen, oder nach dem, was wir etwa gar wollen … Nein … Nein … Nein … Es geht einzig darum, was wir wirklich begriffen haben, und dies nicht auf der Ebene des diskursiven Intellekts. O nein, nicht innerhalb sämtlicher Ebenen begrifflichen Denkens vermögen wir faktisch auch nur das Mindeste gegen unsere materielle Abhängigkeit, ja, unsere materielle Unterworfenheit unter die bedingungslose, für den gewöhnlichen Menschen schlichtweg nicht nachzuvollziehende Gerechtigkeit der natürlichen Gesetzmäßigkeit zu tun. Der Mensch täte fürwahr gut daran, bescheidener aufzutreten. Er täte gut daran, mit dem, in das hinein er für die kurze Spanne seiner materiellen Existenz geboren wurde, sorgfältiger umzugehen. Es würde dem Menschen in der Tat zum Heil gereichen, empfände er in seinem alltäglichen Leben, was immer er auch gerade tun oder unterlassen mag – Andacht; denn dann wäre ihm klar, dass es immer nur ein Hier und Jetzt gibt.

Empfände er – die Krone der Schöpfung –, so etwas wie Demut, wahre Demut – nicht dieses unterwürfige Geheuchle, das ohnehin nur Frust erzeugt und somit die riesige, unvorstellbare Lebenslüge um ein Weiteres vergrößert –, dann würde er sehen, dass sich seine eigene Daseinsproblematik und die der allermeisten Menschen einzig und allein durch heuchlerische Selbsttäuschungen immer weiter potenziert.

Irdische Gerechtigkeit, wie sollte sie wohl aussehen? Man erzählt so viel davon … doch es gibt sie nicht.

Irdischer Friede, was sollte das wohl sein? Man erzählt auch hiervon so viel … und doch werden zurzeit weltweit über vierhundert bewaffnete Konflikte ausgetragen.

Unabhängigkeit, wie oft haben die politischen Führer dieses Wort missbraucht … bis ganze Völker schließlich endgültig – in welcher Form auch immer – versklavt waren.

Wahre, tatsächliche, vollkommene Gerechtigkeit, wahrer Friede und wirkliche Unabhängigkeit sind ausnahmslos universelle Eigenschaften und Seinszustände, nämlich aufrechte, bedingungslose Liebe ohne Ausschließlichkeit und Bevorzugung. Liebe ohne Ausschließlichkeit und Bevorzugung ist immer zugleich aufrechtes, bedingungsloses Mitempfinden. Mitempfinden ist immer auch aufrechte, bedingungslose Mitfreude mit der Freude jedes anderen Menschen. Mitempfinden ist immer auch tiefster Gleichmut.

Dies ist bei dem zu sich selbst zurückgekehrten Menschen aus dem Verstehen der Erfahrung unserer aller letztendlich gemeinsamer und untrennbarer Wirklichkeit gereift, in universelle Größe gewachsen. Eine materielle Manifestation, von den Menschen zumeist «Leben» genannt, in welcher Form und innerhalb welcher Wahrnehmungsebene auch immer, bedingt erst die Erfahrung der Einheit mit dem gemeinsamen Urgrund. Was die Menschen allgemein Leben nennen, ist faktisch immer nur als abhängiges Entstehen zu betrachten. Es gibt kein einziges Wesen, das – in welcher Form und wo auch immer – für sich selbst allein und unabhängig vom existenziellen Urgrund zu leben vermag.

Jedoch gibt es Menschen, die in einem unwandelbaren Glück, die in vollkommener Harmonie zu leben vermögen. Nichts und Niemand kann solchen Menschen dieses tiefe Glück, diese absolute Harmonie nehmen, innerhalb keiner Ebene dieser Erscheinungswelt der Dinge, Illusionen, Phänomene.

Warum dies so ist? Ganz einfach. Diese aus unser aller gemeinsamen Wesensnatur – oder welchen Namen man dem göttlichen Urgrund an welchem Ort auch immer gegeben haben mag – heraus bewusst lebenden Menschen sind hier und jetzt im ewigen Sein.

Sie unterscheiden sich in der Wahrnehmung gewöhnlicher Menschen äußerlich nicht von denen mit noch tierähnlichem Bewusstsein.

Sie sind jedoch nicht mehr von der bisherigen Entwicklungsstufe gewöhnlicher Menschen. Sie sind einfach. Ein gewöhnlicher Mensch erkennt nicht den Unterschied des Erleuchteten zum Durchschnittsmenschen. Der Unterschied ergibt sich aus der Schau der ultimativen Wahrheit, der letztendlichen Wirklichkeit dieses Menschen durch seine allein auf der Erfahrung des Selbst beruhenden Geisteshaltung. Ein wirklich Sehender hat seinen Urgrund geschaut, lebt in der Konsequenz aus dieser Erfahrung der Wesensnatur heraus in dem alten Wissen der Weisheit des Dharma-Bereiches, der vollkommenen Einheit mit allem.

Wie könnte ein gewöhnlicher Mensch auch wahren Frieden erkennen? wahrer Frieden entzieht sich der begrifflichen Vorstellung, da er nicht bedingt, sondern unbedingt ist.

Die Kōan-Schulung führt den Menschen auf dem Weg zurück zu sich selbst. Es geht ja auch um nichts anderes, als sich selbst, als sein Selbst verstehen zu lernen. Die Konsequenz daraus ist die Versöhnung mit dem eigenen Selbst, die Selbstannahme.

Ein Kōan ist ein mit dem diskursiven Intellekt nicht lösbares Rätsel. Ein Kōan ist nur lösbar durch jene aus Erfahrung des Selbst resultierende Erkenntnis ultimativer Wahrheit, in der es dann keine, absolut keine durch intellektuelle Aktivitäten bedingte Unterscheidung mehr gibt.

Wer diese Erfahrung gemacht hat, der weiß, dass er endlich wieder daheim angekommen ist. Und er versteht auch, dass er niemals woanders als daheim war. Vorher wusste er es nur nicht.

Es ist die zutiefst liebevolle und eben darum unter dem Aspekt des Mitempfindens entstandene Aufgabe einer fürwahr echten Zen-Meisterin, ihre spirituellen Kinder – nämlich ihre Schülerinnen und Schüler – durch morastige Sümpfe der Unwissenheit sowie die Täuschung und all die Legionen der Illusionen siegreich hindurchzuführen, hinzuführen zu sich selbst durch die Erkenntnis unser aller gemeinsamen Wesensnatur.

Es ist für mich eine sehr ehrenvolle Aufgabe, dieses Wort zu dem Werk einer wirklichen Zen-Meisterin zu schreiben. Echte, verwirklichte Zen-Meister sind selten geworden.

Möge Sabine Hübner-Rōshi noch lange leben. Möge sie noch viele Schülerinnen und Schüler führen …

zum Nirvāṇa …

Vijāya Volker Fey

Vorbemerkung

Das Einzige, was zählt, ist unsere eigene Erfahrung. Wer dem Leben offen steht, wird feststellen, dass die Ereignisse und Schicksale, die wir erleben, niemals von uns gemacht werden können. Jeder Versuch zu «machen» wird zur Farce angesichts der unerschöpflichen Kraft, die in uns lebt.

Ein guter Therapeut sagte einmal zu mir: «Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen schleift es.» Für mein Verständnis bedeutet Schicksal nicht eine von außen kommende gütige oder strafende «Hand Gottes», sondern eher, wie im buddhistischen Wortlaut, eine Folge der karmischen, also uns eigenen Kräfte, die uns letztendlich nur zu uns selbst führen.

Unser Verstand gaukelt uns vor, wir hätten unser Leben in der Hand, dabei hat Es uns in der Hand. Uns dem hinzugeben, darum geht es, und die Arbeit mit dem Kōan führt uns dahin, dieses darüber Nachdenken und die vielen Verwirrungen, die uns der Verstand scheinbar vormacht, lassen zu können und uns damit für das Leben zu öffnen.

Das heißt nicht, dass wir keine Entscheidungen treffen sollen, um unser Leben gut für uns zu gestalten, nur die Tragweite, das heißt, das, was uns trägt, ist für den Verstand nicht zu begreifen und nicht zu kontrollieren. Wenn wir versuchen, das Wunder des Lebens zu fassen, grenzen wir es tatsächlich nur ein in unser geprägtes Denken und berauben es damit seiner Wahrheit.

Die Kōan-Schulung will uns genau diese Form des Missverständnisses nehmen, indem sie uns mit einem für den Verstand nicht lösbaren Paradoxon konfrontiert. Ein Kōan lässt sich nur lösen, indem wir uns der Frage ganz hingeben, mit ihr eins werden und dabei ein inneres Verständnis für die Wirklichkeit entwickeln. Mit einem Kōan zu arbeiten, heißt also auch für das tatsächliche Leben, den Alltag zu üben, so wie er sich gerade eben zeigt, und konsequenterweise wird so jeder Augenblick und jede Begebenheit selbst zum Kōan.

Als ich einmal völlig abgehetzt, gestresst und gänzlich unheilig im Zendō ankam, sagte Sabine zu mir: «Dann bist du eben geschafft.» Ja! Genau das ist, was gerade eben ist! Nicht weggehen von uns, denn sonst können wir uns logischerweise nicht finden. Nicht heilig, weise und erleuchtet sein wollen, sondern nur der Augenblick und die eigene Erfahrung dessen zählt. Das ist das Kōan im Alltag. Die Lösung liegt nicht in unserer Vorstellung und unserem kopfgemachten Verständnis, sondern eher in einer Art Einverstandensein. Dann offenbart sich die Lösung von selbst, und nicht wir finden sie, sondern die Lösung findet uns. Indem wir uns auf diese Übung einlassen, erfahren wir das, was uns meistens fehlt: Das völlige Einverständnis mit dem, was gerade ist, und damit die Erfahrung des Lebens selbst.

Also üben wir, unser eigenes Leben anzunehmen und jeden Augenblick in seiner Wirklichkeit ureigen zu erfahren.

In meiner Zen-Schulung bei Sabine lernte ich das Annehmen meiner Lebenssituation als die Grundlage für eine persönliche Entwicklung kennen. Die eigene Erfahrung, verbunden mit einem Erkennen und Annehmen seiner selbst, berührt den Menschen in seiner Tiefe und führt zu einer Wandlung, die ihm tatsächlich als Mensch entspricht.

Sabine legt bei unserer Arbeit mit und auch ohne Kōan gerade auf diese persönliche Erfahrung Wert, und so kann eine Lösung auch ganz persönlich geprägt sein und muss nicht unbedingt der klassischen Lösung entsprechen. Dabei können natürlich die witzigsten Lösungen entstehen. Aus dem Dokusan-Raum, in dem die Lösungen vorgetragen werden, höre ich oft ein großes Gelächter erschallen. Gerade die Lösung, die aus dem Inneren kommt, erlebe ich als authentisch, und der Lust und Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Ich danke meiner Lehrerin Sabine Hübner, die uns mit Kraft, Witz und vor allem mit Herz auf dem spannendsten aller Wege begleitet. Es lohnt sich wirklich, einige Mühen dafür auf sich zu nehmen, um dann nach und nach festzustellen, wie leicht und voller unbändiger Freude es sein kann, unserer eigenen Erfahrung zu trauen und wirklich das zu tun, was wir gerade eben tun.

Bernhard Fügerl

Dietershofen, im August 2001

Einleitung und Danksagung an meinen Meister

In jedem Sesshin üben die Zen-Schüler intensiv mit den Kōan, auch mit den Kōan des alten Klassikers Mumonkan. Drei Mal an jedem Tag kommen sie ins Dokusan, das geheime Lehrer-Schüler-Gespräch, um dem Lehrer ihre Lösung auf die jeweilige spirituelle Aufgabe, das «Kōan», anzubieten.

Auf die Ermutigung und Aufforderung meines Zen-Meisters Willigis Jäger Kyo-un-Rōshi fertigte ich voller Freude und Dankbarkeit diese Arbeit an, um allen Kōan-Schülern ein Arbeitsbuch in die Hand zu geben und andere Menschen zu locken, sich ebenfalls auf den Zen-Weg zu begeben.

Ein Kōan besteht in einer paradoxen Geschichte oder Frage, einem «Fall» – dieses ist die Bedeutung des Wortes Kōan –, worauf eine nicht intellektuelle Antwort gefunden werden muss. Es ist unmöglich, die Antwort aus dem Verstand heraus zu bringen, denn dieses wäre keine Antwort auf ein Kōan. Jegliche Erkenntnis, die lediglich aus der Ratio heraus gefunden wird, ist nicht Erkenntnis in spirituellem Sinn. Unter vorübergehender Zurückstellung des Intellektes steigt nach langer Übung die Lösung aus der Tiefe des Inneren des Schülers, aus seiner Wesensnatur, auf und zeigt ihm die Wahrheit über seine eigene Ursprüngliche Natur und damit die Ursprüngliche Natur der Welt, ja, des ganzen Universums. Der Mensch und das Universum werden als Ein Einziges durchschaut. Dieses Durchschauen ist eigentlich ein Zustand, ein unbeschreiblich glückseliger Zustand, der längere Zeit anhalten kann und oft schon bei einem ersten Satori so manch quälendes psychisches Problem auflöst. Dennoch ist es damit noch lange nicht getan. Im Zen sagt man: Mit der ersten Erleuchtungserfahrung beginnt der Weg.

Erst auf diese wunderbare Erfahrung, die meistens mithilfe des ersten Kōan – normalerweise des Kōan «Mu» – ausgelöst wird, folgt der lange und intensive Weg der Kōan-Schulung. Der Übende arbeitet nach und nach mit allen achtundvierzig Fällen des Mumonkan – und danach weiter mit den Kōan, die in unserer Schule üblich sind. Es handelt sich um etwa sechshundert Kōan aus den klassischen Kōan-Büchern. Auf diesem Weg wird nach und nach die erste Erleuchtungserfahrung in den Alltag des Menschen, ja, sein ganzes Leben, integriert. Die erste Erfahrung und weitere Erfahrungen, die der ersten folgen, «durchsäuern» allmählich alle Bereiche seines Lebens und seines Alltags wie ein Sauerteig den Teig – und reifen den Zen-Schüler zu einem wirklich Erleuchteten aus. Er hat dann eine grundlegende Wandlung der Qualität seines Menschseins vollzogen. Er ist nicht mehr der Gleiche wie früher. Mancher Schüler nennt das, nun sei er erst wirklich ein Mensch geworden.

In seinem persönlichen Bereich, Partnerschaft, Familie, Beruf, wirkt er heilend, ja, heiligend dadurch, dass er selber heil geworden ist. In seinen sozialen Beziehungen verströmt er Segen einfach dadurch, dass er, ein weit entwickelter Zen-Mensch, ohne andere bekehren zu wollen, auf der Ebene der Wesensnatur mit frohem, tiefem Mitempfinden Eins mit ihnen ist. Was er ihnen tut, tut er sich selbst. Er ist ein wahrhaft authentischer Mensch mit einem durch und durch friedliebenden Herzen geworden. «Selig die Friedensstifter, denn sie werden die Erde besitzen.» Natürlich, diese Menschen mit dem befriedeten Geist «besitzen» die Erde, da sie mit ihr Eins geworden sind. Wo wäre da noch jemand, auf den sie etwa eifersüchtig sein könnten? Wo jemand, der ihren Neid oder Hass erregen könnte? Alle Lebewesen sind der gleichen unergründlichen Natur, sind ein und desselben einzigen Wesens. Sie alle sind Ein Sein. Nirgendwo gibt es einen «anderen» außer diesem Einen. In der spirituellen Erfahrung ist einem solchermaßen Erwachten die befreiende Wahrheit aufgegangen.

Die Kōan-Geschichten sind dem Alltag entnommen. Aus der Fülle des Lebens bieten sie dem Schüler die Gelegenheit, ein religiöses Leben unabhängig von aller Konfession zu führen: Sich anhand der Kōan immer wieder Eins mit dem Einen und all den zehntausend Dingen der Welt zu erfahren, lässt ihn immer klarer, einfacher und realistischer werden. Alle neurotischen Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle haben sich aufgelöst. Nicht Gedanken und Gefühle haben sich aufgelöst – im Gegenteil sind die Gefühle tiefer und das Denken reiner geworden –, aber das Kranke und Illusorische des Geistes ist gegangen, ist wie in einer Art «Tod», der neues Leben birgt, gegangen. Hier spricht man vom «Großen Tod», der sich zum «Großen Leben» wandelt.

Die Kōan-Schulung ist auch fröhlich. Der Zen-Schüler wird frei und locker dabei, heiter und stark. Oft gibt es Gelächter im Dokusan-Raum, in dem die Schüler dem Lehrer ihre Lösungen bringen – manches Mal aber auch Tränen. Mit allem – wie auch immer er gerade da ist –, manifestiert der Schüler seine Wesensnatur. Er denkt schließlich nie mehr: «Wie wirke ich?» oder: «Was denken andere über mich?», sondern er ist nur noch. Der Zen-Mensch ist endlich er selbst geworden. Er hat sein grenzenloses Sein gefunden.

Was gibt es da noch zu sagen? Großen Segen verströmt er, ohne es zu brauchen, gebraucht zu werden. Und doch ist sein Wirken, was auch immer er tut, eine Wohltat für seine Umwelt. Der Erleuchtete ist von seinem Berg der Erleuchtung zurückgekehrt auf den Marktplatz seines Alltagslebens. Er lebt unauffällig und sozial mit seinen Mitmenschen. Da ist keine Weltflucht! Nein, mitten im Leben, mitten in der Welt der Menschen und Dinge zeigt sich der Himmel, zeigt sich das Wunderbare.

Ich danke meinem Zen-Meister Willigis Jäger Kyo-un-Rōshi für die hervorragende Schulung, die ich unter seiner Führung erhielt. In seinem Auftrag wurde diese Arbeit angefertigt. Ich danke auch meinen Schülern, dass sie sich mutig auf den Weg gemacht haben, um immer wieder neu das torlose Tor zu durchschreiten – zum Heil des Großen und Ganzen. Ihnen lege ich dieses Buch in die Hände.

Sabine Hübner

Shūans Vorwort

«Es ‹torlos› nennen bedeutet, dass jedermann auf dieser großen Erde in es eintreten kann. Hieße es aber ‹Tor-habend›, hätte unser lieber Meister (Mumon) diesen Titel nicht gewählt. Einige Fußnoten wagte er noch hinzuzufügen, was dem Aufsetzen eines Hutes auf einen anderen Hut gleichkommt. Dazu wurde der alte Shū (durch Mumon) noch gedrängt eine Lobrede zu schreiben. Das heißt doch, von ausgetrocknetem Bambus noch Saft rauspressen, um ihn auf dieses Kleinkinderbuch zu schütten. Wirf es weg, ohne auf das Wegwerfen durch mich zu warten! Nicht einen einzigen Tropfen lass auf dieses Weltall fallen. Selbst Usui, das Tausend-Meilen-Pferd, könnte ihn nicht einholen.»

Geschrieben von Shūan Chin Kenam Ende des siebten Mondmonatsim ersten Jahr der Ära Jōtei (1228).

Kommentar zu Shūans Vorwort

Der Schreiber des Vorwortes, Shūan Chin Ken, war ein Beamter im Regierungsdienst. «Chin Ken» war sein Name und «Shūan» sein Zen-Name. Er war mit Meister Mumon gut vertraut. Darum bat dieser ihn, ein Vorwort zu seiner Kōan-Sammlung «Die torlose Schranke», dem Mumonkan, zu schreiben. Shūan Chin Ken äußert, er sei dazu «gedrängt» worden, eine Lobrede auf das Buch zu schreiben. Er nennt es ein «Kinderbuch» und meint, eine Lobrede darauf zu schreiben sei ähnlich wie aus einem ausgetrockneten Bambusholz noch Saft zu pressen, also völlig überflüssig und nutzlos. Dieses drastische Bild gebraucht Shūan Chin Ken, um darzulegen, dass die Kōan-Übung mithilfe dieses Buches nun wirklich nicht noch einen Kommentar benötigt, vor allem, da Mumon schon selber reichlich Kommentare hinzugefügt hat, wie wir anhand der Kōan sehen werden. «Wirf es weg», meint der Schreiber, «nicht einen einzigen Tropfen lass auf dieses Weltall fallen! Selbst Usui, das Tausend-Meilen-Pferd, könnte ihn nicht einholen!» Was meint er damit? Nicht ein winziger Tropfen könnte das Weltall, so wie es ist, verändern oder gar vervollständigen. Der Letzten Wirklichkeit ist nichts wegzunehmen und nichts hinzuzufügen, ja nicht einmal ein winziger Tropfen.

So rau, wie das Vorwort klingt, so weise ist es. Nimm das Leben, wie es ist. Nimm die Welt, wie sie ist. Das heißt, sieh die Welt, wie sie ist, und nicht verfälscht durch eine neurotische Brille, durch das alte Raster der früher erworbenen Konditionierungen! Sieh die Welt nicht, wie du sie dir denkst, sondern sieh, was ist, so, wie es ist! Du kannst es doch nicht ändern, dass die Welt in gerade diesem jetzigen Augenblick so ist, wie sie ist, und nicht anders! Nicht einmal ein kleinwinziger Tropfen ist dem hinzuzufügen, und auch nicht das Heldenpferd des Heldengenerals Kōu ändert etwas an dieser Tatsache. Um aber die Wirklichkeit zu sehen, müssen wir die Augen öffnen und nicht länger verschlafen und verträumt dahinschlappen.

Dieses einfache Die-Augen-Öffnen scheint aber so schwer zu sein, dass die meisten Menschen es nicht schaffen. Um sie doch noch aus ihrem Wahn aufzuwecken, haben die alten Zen-Meister künstlich eine weitere Illusion geschaffen, nämlich die eines Tores, das zu durchdringen wäre. In Wirklichkeit aber ist da kein Tor! Kein Tor, keine Schranke! So heißt das Buch: «Die torlose Schranke» oder auch: «Das torlose Tor».

Ich habe einmal eine Maus in einer Lebendfalle gefangen und dann die Falle mitsamt der Maus hinaus ins Freie getragen, um sie unter Bäumen und Sträuchern hinter der Mauer einer Kirche auszusetzen. Obwohl die Falle an einer Seite gar keine Wand mehr hatte, sondern völlig offen war, nagte die Maus voll panischem Schrecken an der geschlossenen Seite, um sich zu befreien. Dass die Falle offen war, merkte die Maus nicht. So geht es vielen Zen-Schülern. Die Falle ist offen! Da ist kein Tor! Da ist keine Schranke! Niemand ist gefangen. Wenn die Meister aber sagen: «Geh einfach! Da ist kein Tor zur großen Freiheit! Rundherum ist alles leer und weit», glaubt es niemand. So haben die alten Meister aus Barmherzigkeit ein vermeintliches Tor geschaffen, um anhand dessen die Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit der Schüler zu fördern, ihren Geist zu stählen, ihre Energie zu verstärken und sie endlich aufwachen zu lassen. Also beißt ihr so lange an dem Tor herum, bis ihr merkt, dass gar kein Tor da ist und niemals eines da war. Denn obwohl der alte Shūan Chin Ken wie auch Meister Mumon euch versichern, dass die Schranke der Kōan gar kein Tor hat, glaubt ihr es ja nicht. Ihr müsst es selbst entdecken!

Die torlose Schranke ist also sehr wirkungsvoll, und obwohl sie für euch eine Hereinlegerei ist, verströmt sie doch einen unendlichen Segen über die ganze Welt.

Widmung an den Thron

Am fünften Tag des ersten Mondmonats im zweiten Jahr (der Ära) Jōtei (1229) habe ich voll Ehrfurcht den erlauchten Gedenktag Eurer Majestät gefeiert. Ich, Euer Untertan, der Mönch Ekai, veröffentlichte am fünften Tag des elften Mondmonats des vergangenen Jahres die 48 von den Buddhas und Patriarchen gegebenen Kōan, mit denen wir intensiv geübt haben. Ich widme dieses Buch dem Thron mit dem Wunsch für ewige Gesundheit und immer währendes Wohlergehen Eurer Majestät. Ehrerbietig äußere ich den Wunsch, dass Eurer Majestät erhabene Weisheit wie Sonne und Mond leuchten und das Leben Eurer Majestät wie das des Universums andauern möge. Möge alles Volk der acht Himmelsrichtungen das Lob des so tugendreichen Kaisers singen und die vier Meere sich Eurer höchst gesegneten Herrschaft erfreuen.

Geschrieben in Ehrfurcht von Eurem Untertan und Mönch Ekai, dem Übermittler des Dharma, ehemals Abt des der Kaiserin Ji’i gewidmeten Zen-Tempels Kudoku-Hōin’yūji

Kommentar zur Widmung an den Thron

Ekai war Meister Mumons Mönchsname, Mumon sein Zen-Name. Mumon widmet seine Kōan-Sammlung dem Kaiser mit überaus respektvollen Worten.

Ich möchte aus der Widmung den Satz herausgreifen: «Ehrerbietig äußere ich den Wunsch, … dass das Leben Eurer Majestät wie das des Universums andauern möge.» Dazu kann man sagen, dass Meister Mumon dieses nicht extra zu wünschen braucht, denn das Leben, genauer, die Wesensnatur, nämlich das Leben an sich des Kaisers, ist ganz ebenso «alt» oder «jung» wie die Wesensnatur des Universums. Ob dem Kaiser das wohl klar war? Es geht hierbei nicht um die Art «Dauer» wie die eines Zeitablaufs, sondern es geht um das Erkennen dessen, dass der Kaiser und das Universum eines Wesens sind, dass jeder von uns und das Universum eins sind. Im Grunde unserer Wesensnatur ist kein Unterschied zwischen dem chinesischen Kaiser, Meister Mumon, dem Regenwurm draußen im Blumenkübel, uns und dem Weltall. Der Kaiser ist damit nichts «Besonderes».

Meister Mumon hat also die Kōan, die ihm aus intensiver Übung vertraut waren, gesammelt und in dem Buch Mumonkan herausgegeben. Er selber hat sechs Jahre lang mit dem Kōan Mu geübt, ehe er zur Einsicht in das Wesen der Welt durchbrach. Das Kōan Mu ist das erste Kōan der Sammlung.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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