Music in my heart - Julie Fraser - E-Book

Music in my heart E-Book

Julie Fraser

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Beschreibung

Der Ton macht die Musik … Bianca White hat in einigen harten Lektionen gelernt, dass ihr fortan nur eines wichtig ist: sich selbst treu zu bleiben. Daran würde auch der gefeierte Musicalstar Aaron Fisher nichts ändern, mit dem sie sich erst mühsam arrangieren muss, um ihr Erbe anzutreten. Die gemeinsamen Renovierungsarbeiten am Haus von Biancas Vater sorgen bei den beiden jedoch für erhebliche Dissonanzen. Sie und ihre ausufernde Tierliebe sind ihm ein Dorn im Auge. Er und seine abgehobene Art bringen ihr Blut zum Kochen. Doch mit der Zeit festzustellen, dass Aaron auch ganz andere Töne anschlagen kann, war irgendwie nicht vorgesehen …

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Copyright 2022 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Illustrationen: Dunkelstern Verlag unter Verwendung von Grafiken von www.unsplash.com und www.pixabay.com

Umschlagdesign: Sternschmiede Coverdesign

ISBN: 978-3-910615-44-1

Alle Rechte vorbehalten

Für Oma B. und Oma W.

Unvergessen

Und für Pips und Rosi, weil ihr zur Familie gehört habt.

Inhalt

Renovierungsabschnitt 1:

Mein eigenes Leben 5

Renovierungsabschnitt 2:

Viele Köche verderben den Brei 16

Renovierungsabschnitt 3:

Die Lage sondieren 19

Renovierungsabschnitt 4:

Eine neue Dämmung, Austausch der Fenster 62

Renovierungsabschnitt 5:

Das Dach wird neu gedeckt 84

Renovierungsabschnitt 6:

Fassade und Garten 124

Renovierungsabschnitt 7:

Bäder 142

Renovierungsabschnitt 8:

Treppe, Boden, Wände 170

Renovierungsabschnitt 9:

Die Scherben meines Herzens zusammenfegen 189

Epilog - Sanierungsabschluss:

Das Happy End 199

My Shot

– Hamilton

Renovierungsabschnitt 1:

Mein eigenes Leben

Womit verbinde ich die Zahl Fünf?, überlegte Bianca White.Sie hatte nicht die gleiche Symbolik wie die Sieben, die häufig in Märchen vorkam oder die Dreizehn, der man nachsagte, eine Unglückszahl zu sein. Es gab altbekannte Sprichwörter wie das fünfte Rad am Wagen oder dass man Fünfe gerade sein lässt. Der Mensch konnte sehen, riechen, hören, schmecken, tasten – hatte also fünf Sinne. Sie war immer gut in Mathematik gewesen: Die Fünf war eine Primzahl. Es gab fünf platonische Körper. Was sie aus ihrem Studium wusste: Wirbeltiere waren fünffingrig.

Für Bianca spielten diese Fakten keine allzu große Rolle, bis sie sich ihrerseits um die Zahl Fünf Gedanken machte. All das, was sie mit dieser Zahl verband, tangierte die obigen Bedeutungen jedoch wenig. Statt auf Wolke sieben schwebte sie auf Wolke fünf. Und statt sieben auf einen Streich hatte sie scheinbar fünf. Denn Bianca war seit geschlagenen fünf Jahren Single und all ihre vorangegangenen fünf Episoden mit den Herren der Schöpfung standen sinnbildlich für ihre verquere Beziehung zum anderen Geschlecht. Sie hatte Bekanntschaft mit Stereotypen gemacht, denen eine Frau in ihrem Leben begegnen konnte und sich an ihnen bewies – oder daran scheiterte.

Nummer eins: oberflächlicher, bindungsscheuer Nymphoman.

Im zarten Alter von fünfzehn Jahren war Bianca das erste Mal richtig verliebt gewesen, und zwar in das Klischee eines Football-Kapitäns, der sie doch tatsächlich zu seinem Abschlussball eingeladen hatte. Nicht ohne ihr gleichzeitig einen dezenten Hinweis auf ihre Leibesfülle zu geben, was sie in ihrer damaligen Naivität und Schwärmerei zum Anlass genommen hatte, sich mit zahlreichen Friss-die-Hälfte und Low Fat-Low Carb-Diäten in ein Kleid der Größe 34 zu hungern. Nur, um dann am Abschlussballabend die Frage aller Fragen gestellt zu bekommen: „Sollen wir poppen?“

Vielleicht war sie ein Landei aus Idaho, das der Meinung war, noch nicht bereit für den Verlust ihrer Unschuld gewesen zu sein. Schon gar nicht, wenn ihr betreffendes Gegenüber mehr als deutlich gemacht hatte, dass es nicht an einer Beziehung interessiert war und nur mit ihr schlafen wollte, wenn sie aussah wie ein verdammter Hungerhaken. Sie hatte ihm einen kräftigen Tritt ins Gemächt verpasst und schneller ihre alte Figur zurückerlangt, als man ‚Salted Caramel-Frust-Eiscremeessen‘ sagen konnte.

Nummer zwei: Doktor Strange.

Ihm hatte sie ihre Jungfräulichkeit geschenkt: Liam, einem hochintelligenten, sensiblen Programmierer und dem Inbegriff eines Nerds. Er arbeitete ausschließlich nachts und war dabei vollständig in seine Welt aus Nullen und Einsen versunken – was zur Folge hatte, dass er den gesamten Tag verschlief. Nachdem Bianca über Wochen hinweg in jeder zweiten Vorlesung eingeschlafen war, zog sie einen Schlussstrich, da eine Beziehung mit Liam nicht mit ihrem Sozialleben kompatibel war.

Nummer drei: Ich habe einen Heldenkomplex.

Josh, der Feuerwehrmann. Das Musterbeispiel einer jeden weiblichen Fantasie mit einem großartigen Körper und einem Job, in dem er Leben rettete.

Sie war auch nur eine Frau und konnte sich seinem Heldencharisma nicht entziehen. Leider bekam er nur einen hoch, wenn seine Bettgefährtin für ihn die Jungfrau in Nöten spielte. Das mochte beim ersten Mal noch ziemlich aufregend sein. Doch im strömenden Regen von einem Wachmann gefragt zu werden, was man nackt auf einem Aussichtsturm machte, weil der betreffende Retter zu einem notfallmäßigen Einsatz gerufen worden war und sie dort oben vergessen hatte, hatte die Flamme der Leidenschaft in dieser Beziehung sehr eindrücklich erstickt.

Nummer vier: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – oder: Meine Lovestory ist die einer anderen Frau – oder: Wie gehe ich mit meinem Helfersyndrom um?

Nummer vier, Keanu, war von seiner Freundin verlassen worden, mit der er sieben Jahre lang eine Beziehung geführt hatte. Wiederholt hatte er seinem Freundeskreis sein Leid geklagt, dass er bereits geplant hatte, ihr auf Hawaii einen Heiratsantrag zu machen; bevor sie ihm aus dem Nichts heraus für einen Surflehrer den Laufpass gegeben hatte.

Bianca hatte Keanu aufgeholfen und ihm Mut gemacht, am Leben teilzunehmen. Er war in einem erbärmlichen emotionalen Zustand gewesen, als sie sich kennen gelernt und sie sich seiner angenommen hatte.

Ein halbes Jahr verging; sie trafen sich regelmäßig und hatten viel Spaß zusammen. Bianca spielte die Seelentrösterin und langsam, ganz langsam begann in ihr der Wunsch zu keimen, er möge vielleicht etwas für sie empfinden. Bei ihr schlugen schon länger Schmetterlinge Purzelbäume, sobald sie ihn sah.

Sie hatten gerade ihren ersten Kuss getauscht, da begegneten sie seiner Exfreundin in einem Eiscafé. Der Blickwechsel der beiden Verflossenen sprach Bände.

Zwei Wochen später läuteten ihre Hochzeitsglocken.

Nummer fünf: ‚Schlimmer kann es nicht mehr kommen‘? Doch, es kann!

Es gab ältere Männer, die immer noch sexy waren. Bianca dachte dabei zum Beispiel an George Clooney ohne Vollbart. Es gab jedoch auch solche, die würde sie nicht küssen wollen, wenn eine Zombieapokalypse alle menschlichen Wesen auf dieser Erde auslöschte und nur noch er übrig bliebe: ihr Universitätsprofessor.

Ein Mann, den sie nicht aufgrund seines Aussehens, sondern wegen seines Wissens um die Veterinärmedizin und für seinen Umgang mit den Tieren hochgeschätzt hatte. Er war ihr Mentor gewesen. Ein Mensch, vor dem sie Respekt gehabt und der ihr all die wichtigen Aspekte ihres Berufes beigebracht hatte. Bereits in ihrem letzten Studienjahr hatte er nach den Vorlesungen großzügig ihre Fragen beantwortet und ihre unstillbare Neugier besänftigt. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, dass er sie als eine seiner besten Studentinnen hervorgehoben und ihr nach Abschluss ihres Studiums eine Stelle in seiner Privatklinik in Aussicht gestellt hatte.

Bianca hatte vorgehabt, nach ihrem Examen an der University of California – einem der besten Lehrstühle für Veterinärmedizin in den USA, an dem sie das Glück hatte, mit einem Teilstipendium studieren zu können – in ihre Heimat nach Idaho zurückzukehren.

Sie liebte Davis zwar, eine hippe Studentenstadt, die liberal, modern und auch „bio“ war, womit sich Bianca absolut identifizieren konnte. Mit ihren knapp 65 000 Einwohnern war sie auch weit davon entfernt, eine Großstadt zu sein. Es war großartig, dort als fahrbaren Untersatz einzig ein Fahrrad zu benötigen und damit etwas für seinen ökologischen Fußabdruck zu tun.

Bianca gefiel es, über den Farmers‘ Market zu flanieren, die Gerüche der frischen Obst- und Gemüsesorten in sich aufzunehmen, mit den Bauern ein Schwätzchen zu halten und sich mit biologisch hochwertigen Lebensmitteln einzudecken. Sie war und blieb jedoch ein Mädchen aus der Kleinstadt und sehnte sich nach ihrem Zuhause.

Die Karrieremöglichkeit, die ihr Professor ihr geboten hatte und die Chance zu habilitieren hatten sie jedoch ihre Wünsche überdenken lassen. Schlussendlich hatte er sie dazu überredet, bei ihm einzusteigen.

Bianca hatte sich ihm gegenüber allein des Altersunterschiedes wegen immer in einer Tochterrolle gesehen. Eine Rolle, die sie zu gerne erfüllt hätte, wo sie doch ohne Vater aufgewachsen war.

Ihr wurden die Augen geöffnet, als er sie zu einem Dinner eingeladen und ihr seine Gefühle gestanden hatte. Sie war schockiert gewesen. Er hatte die Sorgen seines Lebens mit ihr geteilt: dass er einsam war und sich nach jemandem sehnte. Zunächst hatte sie das mit Mitgefühl erfüllt. Dann hatte Bianca jedoch begriffen, was er von ihr wollte. Sie hatte sich verpflichtet gefühlt, ihm zu sagen, dass sie bereit war, mit ihm zusammenzuarbeiten, dass es aber über diese Ebene niemals hinausgehen würde.

Er hatte weiter auf sie eingeredet und ihr war von Minute zu Minute unwohler dabei geworden.

Er würde nichts von ihr verlangen, hatte er gesagt, denn wenn sie noch mehr Zeit mit ihm verbringen würde, dann wäre das für ihn genug. Sie solle sich ein Leben an seiner Seite vorstellen, wie er sie vergöttern, ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen, ihr alles bieten würde, was sie sich nur wünschte, auch in finanzieller Hinsicht. Ihre Karriere würde Höhenflüge annehmen. Forschung, Preise, Arbeiten an einem Lehrstuhl … Irgendwann könne sie Klinikdirektorin sein und ihn auf seinem Posten beerben.

Er wollte sie kaufen.

Und wenn er das tat, würde er mit Sicherheit eine Gegenleistung verlangen, wenn sie die Art und Weise bedachte, wie er ihre Brüste musterte. War es nicht so: Eine Hand wusch die andere? Wieso hatte sie es nicht früher bemerkt?Sie kam sich ekelhaft vor. Beschmutzt.

Noch immer geisterten seine Worte in ihrem Kopf herum: „Und wie ich es genießen würde, wenn mich alle ansehen und sich fragen, was eine so schöne junge Frau an meiner Seite macht …“

Beinahe hätte sie sich übergeben. Fassungslos hatte sie ihn gefragt, warum er sich keine Frau in seinem Alter suche.

„Weil diese mich sexuell nicht reizen“, war seine ehrliche Antwort gewesen. „Aber Sie, Bianca, entsprechen meinem Schönheitsideal.“

Es war also um eine Bestätigung für ihn selbst gegangen.

Hatte sie all die Jahre nur aus diesem Grund in seinen Prüfungen so gut abgeschnitten? Hatte er sie deshalb in seine Privatpraxis locken wollen?

Bianca hatte es aus seinem Munde hören müssen. Und so hatte sie gefragt: „Sind Sie nicht auch der Meinung, dass Sie jemanden des gleichen geistigen Niveaus benötigen, um eine zufriedenstellende Partnerschaft zu führen?“

Während sie seine Antwort abgewartet hatte, hatte sie den Atem angehalten. Bianca hatte dabei auf Worte gehofft, die ihr bescheinigten, dass er sie nicht ihres Körpers wegen vorgezogen hatte, sondern sehr wohl fand, dass ihr Bildungsstand dem seinen ebenbürtig war.

„Ab einem bestimmten Alter muss man sich von gewissen Ansprüchen verabschieden.“

Diese Antwort hatte gesessen; sie hatte nur mühsam ihre Kinnlade wieder hochklappen können. Dass er sich angemaßt hatte, sie mit Geld ködern zu können und dabei rückblickend so unverhohlen seine Stellung ausgenutzt hatte, überstieg ihre Toleranzgrenze.

Bianca hatte ihn gemeldet und wegen sexueller Belästigung angezeigt.

Sie hatte keine Genugtuung empfunden, als er suspendiert worden und das Verfahren gegen ihn angelaufen war. Beschämt hatte sie sich gefragt, ob sie es herausgefordert hatte und ob sie sein Verhalten nicht früher hätte durchschauen müssen.

Er hatte dem Ganzen dann die Krone aufgesetzt, indem er all ihre Vorwürfe von sich gewiesen und ihren Ruf auf das Übelste beschmutzt hatte. Ihr Professor hatte es so dargelegt, als habe sie sich ihm angeboten, im Austausch für gute Zeugnisse und Empfehlungen. Auch wenn diese Vorwürfe haltlos waren: Ein fader Beigeschmack blieb, sodass ihr hervorragendes Abschlusszeugnis nichts mehr wert war.

Es blieben ihr einige Lehren von dieser Episode bestehen. Erstens: Sie besaß keinerlei Menschenkenntnis und zweitens: Ihr größter Förderer hatte sich als notgeiler Bock entpuppt. Was das mit ihrem Selbstvertrauen anstellte, war unschwer zu erraten.

Sie hatte immer versucht, den Männern in ihrem Leben zu gefallen – vielleicht, weil sie von ihrem Vater verlassen worden war –, aber damit wäre nun Schluss! Sie hoffte, sie würde ihrem Professor nie mehr in ihrem Leben begegnen, und wenn, dann würde sie ihm noch eines sagen: Wenn er glaubte, sie hätte sein Angebot angenommen, dann hatte er keine Ahnung, wer sie war. Und das war ihr einziger Trost.

Bianca hatte das Einzige getan, was ihr in diesem Moment richtig erschienen war: Sie war aus Kalifornien in ihre Heimat nach Idaho geflüchtet, wo sie in der Wohnung ihrer besten Freundin Romy einen sicheren Hafen gefunden hatte.

Da war sie nun, ohne Job, ihr Selbstvertrauen am Abgrund und keiner Idee, wie es weiter gehen konnte.

Sie könnte sich eine Anstellung in einer Praxis suchen, aber ihr Ruf hatte durch die aus der Luft gegriffen Anschuldigungen ihres früheren Professors erheblich gelitten. Sie rechnete damit, erst geläutert zu sein, wenn das Verfahren zum Abschluss kam. Glücklicherweise hatten sich nach ihrer Anzeige weitere Studentinnen gemeldet, die er ebenfalls umgarnt hatte. So hoffte sie, dass die Beweise deutlich zu ihren Gunsten lagen.

Was ihr aber in ihrer aktuellen Lage nicht viel nutzte.

Sie war froh, ihre Meerschweinchenzucht, die sie sich neben dem Studium als Einnahmequelle ausgebaut hatte, als Verdienstmöglichkeit zu haben. An ihrem Studienort hatte sie ihre Tiere in einem Schrebergarten innerhalb eines Kleintierzuchtvereins gehalten, wo sie ausreichend Platz für ihre Schützlinge gehabt hatte. Aktuell lebten ihre Tiere in recht beengten Verhältnissen, die sie zügig optimieren musste – sobald sie wusste, wie es in ihrem Leben weiterging.

Bianca hatte eine hervorragende Internetpräsenz, mit deren Hilfe es ihr immer gelang, Interessenten für ihre Schweine zu finden. Außerdem zählte sie einige kleinere Tiergehege und -parks zu ihren Kunden, die ihr alle paar Jahre einige ihrer Tiere abkauften.

Zudem hatte sie im Rahmen ihrer Promotion ein Werkzeug zur Krallenpflege entwickelt und es als Patent anmelden lassen, was ihr ebenfalls ein kleines finanzielles Polster sicherte. Bianca wurde mit all diesen Einkünften nicht reich, aber sie musste auch keine Sorge haben, sich nur von Wasser und Brot ernähren zu können, solange ihre berufliche Zukunft so ungewiss war. Sie hoffte auf bessere Zeiten.

Das Horoskop der heutigen Tageszeitung, die sie während ihres Frühstücks zu lesen pflegte, versprach zumindest: Sex around the clock. Dieser fiel jedoch mit einer hohen Geldausgabe und eventuellen gesundheitlichen Problemen zusammen. Dennoch würde sie zu sich selbst finden.

Tipp der Woche: Der äußere Schein trügt.

Bei ihrem Glück würde sich das Schicksal einen Spaß mit Bianca erlauben und ihr einen hässlichen Callboy schicken, der ihr lebensverändernden Sex bereitete, aber leider Tripper hatte.Oder sollte sie diejenige sein, bei der der äußere Schein trog?

Das zumindest konnte sie sich vorstellen, denn sie war weniger der Typ Frau, der, mit Ausnahme ihrer Brüste, beim ersten Anblick im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. „Klein“ war zumindest das erste Wort, das ihr Äußeres am besten beschrieb. Sie reichte kaum an die 1,60 Meter-Marke heran und auch sonst gab es von ihrer Stupsnase bis zu den Zehen nichts, was auch nur annähernd jemand als ‚groß‘ bezeichnen konnte.

„Füllig“ passte dann schon eher in das Vokabular. Sie hatte sich jedoch damit abgefunden, dass sie unbändige schwarze Korkenzieherlocken, viel zu breite Hüften, zu große Brüste und nicht annähernd die Qualitäten einer Schönheitskönigin vorwies. Bianca hatte aufgehört, sich nach den Wünschen der Männer zu verdrehen, wie sie es früher getan hatte, weil sie um ihrer selbst willen gemocht werden wollte. Deshalb musste ein potenzieller Freund eben mit dem ein oder anderen Pfund mehr auf ihren Hüften, ihrem Hintern und ihrer schulterlangen Lockenpracht klarkommen. Die ganze Nachdenkerei über Essen und Kalorien hatte sie früher wahnsinnig gemacht. Es war viel einfacher, sich so zu akzeptieren, wie sie war.

Bianca schätzte sich selbst so ein, dass man nach näherem Hinsehen durchaus ihre Vorzüge bemerken konnte, wenn man denn daran interessiert war, ihr D-Körbchen außer Acht zu lassen. Die Erfahrungen, die sie mit den furchtlosen Fünf hatte machen müssen, hatten ihr eines gezeigt: Sie würde sich nie mehr für jemanden ändern. Jeder hatte sie anzunehmen, wie sie war, ansonsten sollte er sich eine Neue suchen. Denn auch sie wollte ihren Partner mit all seinen Vorzügen und auch Fehlern akzeptieren.

Nobody‘s perfect, oder?

Dass sie diesen Jemand je würde finden können, hatte sie sich aus dem Kopf geschlagen, obwohl sie immer noch zwanghaft auf der Suche nach dem Grund ihrer Affinität zu Bekloppten war. Ob es daran lag, dass sie in ihrer Jugend nie die Kettenbriefe aus diversen Chats weitergeschickt hatte?

Oder rührte ihr merkwürdiges Verhältnis zu Männern daher, dass sie keinen Vater gehabt hatte?

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie bei Beth, der Schwester ihres Stiefvaters, gelebt. Sie erinnerte sich an ihr kindliches Selbst, das kleine Mädchen, das seine Mutter verloren hatte und fern von allem, was ihr vertraut war, bei einer Frau leben musste, die sie nicht kannte und die sie bestenfalls tolerierte. Ihre Stieftante war für sie praktisch nicht ansprechbar gewesen. Beth arbeitete hart in einem Diner und wenn sie nicht schuftete, schlief sie, um den Schlafmangel von wechselnden Früh- und Spätschichten auszugleichen.

Biancas einzige Gesellschaft in diesen Zeiten waren Beths Border Collies und seit ihrem zwölften Geburtstag ein Meerschweinchen-Pärchen gewesen, das ihr ihre Ziehmutter geschenkt hatte, um zu kompensieren, dass sie für das Mädchen, für das sie verantwortlich war, weniger Zuneigung empfand als für ihre Hunde.

Ihr Zusammenleben hatte eher einer Art Zweckgemeinschaft geglichen: Beth hatte den Unterhalt verdient, während Bianca den Haushalt geführt hatte, einkaufen gegangen war, die Hunde ihre Geschäfte hatte erledigen lassen und dafür gesorgt hatte, dass die Rechnungen bezahlt wurden.

Wahrscheinlich stammte ihr Organisationstalent aus ihren Kindheitstagen, da sie früh Verantwortung hatte übernehmen müssen, um nicht unterzugehen.

Sie hielt ihrer Stieftante zugute, dass sie trotz ihres mageren Lohns etwas Geld für Biancas College-Ausbildung auf die Seite geschafft hatte.

Die Zeit bei Beth war erträglicher geworden, nachdem Bianca das Teenager-Alter erreicht hatte, zumal sie gut für sich selbst sorgen konnte. Bianca wollte auch nicht undankbar sein. Es gab einen Grund, warum Beth keine Kinder hatte haben wollen; und trotzdem hatte sie sich um sie gekümmert.

Ab und an telefonierten sie noch immer; Bianca hörte gerne aus ihrer alten Heimat und was ihre Tante so umtrieb. Es wäre Bianca aber nie in den Sinn gekommen, nach der Katastrophe mit ihrem Universitätsprofessor bei Beth Unterschlupf zu suchen; dafür standen sie sich nicht nahe genug.

Bianca hatte ihre Kindheit nie als Grund für etwaige emotionale Fehlsteuerungen wahrgenommen.

Sie hasste es sowieso, sich in der Opferrolle wiederzufinden, was gleichbedeutend damit war, die Kontrolle jemand anderem zu überlassen. Das war bei ihrer perfektionistischen Veranlagung etwas, das sie nicht zulassen konnte. Man könnte dabei ihre Herangehensweise auch als „verbissen“ bezeichnen, aber sie kam gut damit zurecht, ihrem Leben einen solchen Plan aufzudrücken. Und wenn Plan A scheiterte, gab es noch Plan B und C.

Alles darüber hinaus allerdings …

Nun musste sie festhalten, dass ihr Leben nach der Sache mit ihrem Mentor aus dem Ruder gelaufen war. Es war nicht so beängstigend wie sie erwartet hätte, einen kleinen Umweg zu nehmen. Das Leben hatte ihr – erneut – eine Prüfung auferlegt, und sie würde den Teufel tun und sich davon unterkriegen lassen.

Sie verfügte über großartige Referenzen ihrer anderen Professoren. Wenn über die ganze Sache Gras gewachsen war, würde sie eine Anstellung finden, die ihren Ansprüchen entsprach.

Bianca hatte ohnehin vorgehabt, in ihre Heimat zurückzukehren.

Wenn sie genug gespart hatte, könnte sie sich womöglich auch etwas Eigenes aufbauen…

Ihr Selbstbewusstsein war jedoch wankelmütig. Sie hatte sich im Laufe ihres Studiums ein dickes Fell an Selbstachtung und Stolz zugelegt; doch in letzter Zeit kämpfte sie damit, sich nicht von allen Menschen eingeschüchtert zu fühlen, nur weil diese ein besser gefülltes Bankkonto besaßen oder lange, glatte blonde Haare hatten.

Es machte einen Unterschied, ob sie sich einredete, dass sie erfolgreich war, oder ob es ihr jemand anderes sagte. Nur Bianca selbst konnte stolz auf sich und ihre Leistungen sein. Dies hatte sie mühsam lernen müssen.

Und wenn einer ihr Verbissenheit oder Arroganz nachsagte, dann übersah er doch, dass all diese Taktiken den reinen Selbstschutz darstellten, den sie nun mühselig wieder aufbauen musste.

Sie nippte ein letztes Mal an ihrem grünen Tee und blätterte die Seite mit den Horoskopen um, als ihr Mobiltelefon klingelte. Bianca erhob sich, schloss ihren Morgenmantel enger um sich und griff danach.

„White, hallo?“

„Spreche ich mit Bianca White? Mein Name ist Smith, von den Anwälten Smith und Partner.“

„Ja, das bin ich.“

„Gut, dann sollten Sie sich lieber setzen.“

You Can’t Get a Man with a Gun

– Annie Get Your Gun

Renovierungsabschnitt 2:

Viele Köche verderben den Brei

Aaron Fisher bemühte sich, den verklemmten Rollladen vor dem Balkonfenster im ersten Stock aus dem Rollladenkasten zu lösen, als er ein Auto heranfahren hörte.

Die Sonne brannte auf seinen Kopf und seinen Nacken. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, während er gegen die grelle Julisonne anblinzelte und seinem Besucher entgegen schaute, der da aus dem Auto stieg.

Der Besucher war jedoch in Wirklichkeit eine Besucherin. Er hoffte, dass es diese Immobilientante war, auf die er seit Wochen wartete, damit er alle Formalitäten für den Verkauf des Erbes seines Vaters klären konnte.

Er beobachtete, wie sie aus dem Auto kletterte – die High Heels waren für den unbefestigten Boden keine gute Wahl gewesen. Selbst von Weitem konnte er erkennen, dass ihren roten, knielangen Rock große, weiße Punkte zierten. Stilgerecht dazu trug sie ein weißes Top und hatte ihre schwarzen Haare mit einem roten Haarband zu bändigen versucht. Es hätten nur noch die Ohren gefehlt und sie hätte ausgesehen wie Minnie Mouse.

Mit langsamen Schritten ging sie auf das Haus zu, zog ihre Sonnenbrille ab und blickte zu ihm nach oben. Daraufhin verschwand sie unter der Balkonvorrichtung und klingelte. Als er sich nicht rührte, kam sie wieder unter dem Dach hervor und warf ihm dann erneut von unten diesen Blick zu.

Selbst aus dieser Entfernung konnte er ihre Ungeduld und ihren Ärger spüren, weil er sich noch nicht zu ihr nach unten bequemt hatte.

Scheinbar war sie eine Frau, die es nicht gewohnt war, warten zu müssen.

Seufzend machte er sich auf den Weg zur Eingangstür, um Minnie zu begrüßen.

Während er die Tür öffnete, schoss sie ihm den nächsten bösen Blick zu.

„Wurde aber auch Zeit. Ich dachte schon, ich müsste eine Luftpost zu Ihnen hochschicken. Wer sind Sie überhaupt? Und was machen Sie hier?“

Ihre aggressive Redeweise und Wortwahl passten nicht zu dem anzüglichen Timbre in ihrer Stimme, das so rau und sexy klang, als würde sie regelmäßig Pornofilme synchronisieren. Dennoch musste er ihr klarmachen, dass sie ihn nicht so mir nichts, dir nichts wie einen Hund herumpfeifen konnte. So begnügte er sich damit, dieses lächerliche rote Schleifchen zu mustern, das ihre wilde schwarze Mähne umschlang und ihm bis zum Kinn reichte.

Er blieb ihr die Antwort schuldig und bedachte sie mit einem arroganten Blick, um ihr zu signalisieren, dass er nicht zur Kooperation bereit war, wenn sie einen solchen Ton anschlug.

Ihre Haut war so hell, dass man die feinen Äderchen um ihre Augen durchschimmern sah, wohingegen die dunklen Korkenzieherlocken in extremen Kontrast standen. Ihre Nase war klein und aufgrund ihrer hochmütigen Haltung reckte Minnie sie höher, als es ihr zugestanden hätte. Das sanfte Rot ihrer Lippen hatte sie mit einem dezenten Lipgloss unterstrichen; doch sie war – bis auf ihre Stimme, welche allein reichte, um einem Mann feuchte Träume zu bereiten – alles andere als gefährlich für ihn.

Sie kam ihm seltsam bekannt vor. Seit sein Vater gestorben war, hatte er sich mit so vielen Anwälten, Immobilienfritzen und sonstigen Heinis getroffen, dass er die ein oder andere unscheinbare Minnie Mouse aber auch leicht hatte übersehen können, wenn sie sich nicht immer so kleidete, als würde sie in Disneyland Lutscher verkaufen.

Andererseits hätte er sich immer an diese Stimme erinnert.

Sie verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund, stemmte die Hände in ihre fraulichen Hüften und es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie auch noch mit ihrer Fußspitze auf den Boden getippt hätte.

„Sind Sie taubstumm oder so was?“, fragte sie bissig.

„Wer sind Sie überhaupt?“, fragte er dann gemächlich, verschränkte seine Arme und lehnte sich in den Türrahmen, um ihr erneut zu bedeuten, dass er sich von ihr nicht aus der Ruhe bringen ließ.

„Mein Name ist Bianca White. Mir gehört das Haus hier.“

Memory

– Cats

Renovierungsabschnitt 3:

Die Lage sondieren

Seine selbstgefällige Haltungwar enervierend. Wie er seine eisblauen Augen zusammenkniff, sie erneut von oben bis unten musterte und sie abschätzig maß. Dieser Blick hatte nichts Sanftes in sich; er war vielmehr so hart wie die kalten Augen sowie die Konturen im Gesicht des Mannes vor ihr – mit dem kantigen Kinn, der prägnanten Nase und den Kiefermuskeln, die nun bedrohlich mahlten. Der lässige Drei-Tage-Bart verlieh dieser raubeinigen Optik noch das Tüpfelchen auf dem i.

Sein ganzer Körper schien sich schlagartig anzuspannen, nachdem er ihren Namen gehört hatte; sie bekam beinahe Angst vor ihm. Der Mann war wesentlich höher gewachsen als sie und wirkte doch ein wenig einschüchternd, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete – er überragte sie um zwei Kopflängen. Sie würde jedoch den Teufel tun und sich ihr Unbehagen vor ihm anmerken lassen, denn darauf hatte er es mit Sicherheit abgesehen.

„Darf ich auch fragen, wer Sie sind? Der Haussitter oder so was?“

Er zögerte kurz. „Ich bin hier Bauarbeiter“, murmelte er mit tiefem Bariton in der Stimme, die so klang, als würde sie nie auch nur ein nettes Wort sprechen.

„Sie ganz alleine?“

Seine kräftigen Hände und die gut ausgebildeten Brustmuskeln unter seinem T-Shirt waren ihr nicht entgangen, aber ein Bauarbeiter? Sollte Davidoff mal ein Modell für ein Cool Water-Plakat brauchen, könnten sie ihn engagieren.

„Ich wurde beauftragt, um die gröbsten Dinge schon einmal alleine zu regeln, bevor der Rest der Mannschaft kommt.“

„Wer hat Sie beauftragt?“, fragte sie nach.

„Aaron Fisher, der der eigentliche Besitzer dieses Hauses ist, dachte ich.“

„Wir haben es beide geerbt, er ist mein … ähm, ein Verwandter.“ Sie brachte es nicht über sich, das Wort „Bruder“ in den Mund zu nehmen.

„Verstehe.“

„Wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich.

„Ed.“

„Ed?“, wiederholte Bianca und zog zweifelnd ihre Stirn in Falten.

„Die Kurzform von Edward.“

Sie nickte und hatte doch ein ungutes Gefühl. Das alles begann sie zu überfordern.

Erst vor vier Tagen hatte sie erfahren, dass ihr Vater gestorben war; dass sie sich zwar einem DNA-Test unterziehen musste, aber dass sie es war, der er einen Teil seines Hauses in Montana vererbt hatte. Und auch, dass sie einen Bruder hatte, dem der andere Teil gehörte: Aaron Fisher, der allerdings in New York lebte.

Wie lange hatte sie auf eine Nachricht ihres Vaters Simon gehofft und Jahre ihres Lebens damit verbracht, ihn zu finden? Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben, dass er einmal vor ihrer Türe stehen würde, nachdem sie ihn nicht selbst hatte ausfindig machen können. Nun war es zu spät und alles, was sie von ihm hatte, war ein fremdes Haus, das sie mit einem fremden Bruder teilen würde.

Der Bauarbeiter sah sie fragend an, weil sie so lange schweigsam dagestanden hatte.

„Wird mein Verwandter, also, ich meine Mister Fisher, in nächster Zeit hierher kommen?“

„Damit ist zu rechnen, da er die Renovierung und den Verkauf selbst überwachen will.“

„Verkauf?“ Sie sah erstaunt zu ihm auf.

„Ja, das Haus soll verkauft werden.“

„Wie will er das ohne meine Einwilligung machen?“, fragte Bianca und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Sie wollen es behalten?“, fragte er ungläubig, beinahe spöttisch.

„Ich weiß es nicht. Aber das ist ja auch eigentlich nicht Ihr Problem.“ Sie hatte keine Lust, ihre Beweggründe einem Bauarbeiter zu eruieren. Nicht, wenn sie mit sich selbst noch um die Entscheidung ringen musste, ob sie das Haus behalten wollte oder nicht. Alles, was sie je an Vergangenheit hatte, die mit ihrem Vater zusammenhing, war in diesem Haus. Wie könnte sie es denn dann verkaufen?

„Na ja, Lady, also ich muss jetzt zurück an meine Arbeit“, sagte er und nickte in Richtung des Inneren des Hauses. „Mister Fisher wird sich sicherlich mit Ihnen in Verbindung setzen, was den Verkauf und den Erlös angeht, also … hinterlegen Sie doch hier einfach Ihre Nummer und ich gebe sie ihm dann.“

„Ich würde diese Angelegenheit aber gerne persönlich mit ihm besprechen.“ Auch, wenn sie die größte Angst davor hatte, ihrem Bruder zu begegnen. Die damit verbundene Ungewissheit war unerträglich, weil es zu viele Unbekannte in der Formel ihrer Familiengeschichte gab. „Können Sie mir nicht seine Nummer geben? Ich würde ihn dann heute noch anrufen.“

Ed betrachtete sie abweisend und kratzte sich an seinem stoppeligen Kinn.

„Ich hab sie nicht im Kopf, schreiben Sie mir doch einfach Ihre auf und dann ruft er Sie an. Wenn Sie im Ort in ein Motel ziehen, können Sie mir auch die Adresse geben, dann werde ich alles an ihn weiterleiten.“

Warum er sich so sträubte, ihr die persönlichen Daten von Aaron Fisher zu geben, war ihr ein Rätsel. Etwas stimmte hier nicht.

„Ich dachte, Sie wären Bauarbeiter und nicht sein persönlicher Assistent? Außerdem bleibe ich hier“, sagte sie bestimmt.

„Hier finden Renovierungsarbeiten statt, Lady. Es ist schmutzig und laut.“

„Damit komme ich schon klar. Ich kann ja in der Zeit ein paar Kisten zusammenpacken, ausmisten und so weiter.“

„Das wird sicherlich Mister Fisher übernehmen wollen.“

Er wusste wahrscheinlich nicht, wie weh dieser Seitenhieb ihr tat. Es war undenkbar, dass sie sich daran machte, die Habseligkeiten ihres Vaters wegzupacken; wo sie doch keine Ahnung hatte, was ihm wichtig gewesen war und was nicht und was seine Angehörigen behalten wollten.

Vielleicht könnte sie aber so ein wenig Licht in ihre dunkle Vergangenheit bringen.

„Ansonsten können Sie sich hier schlecht nützlich machen und stehen dann im Weg herum. Tut mir leid, dass ich das so hart ausdrücken muss.“

Sie hatte allmählich das Gefühl, als wollte Ed sie loswerden. „Ich werde schon etwas finden, bei dem ich mich nützlich machen kann“, entgegnete sie trocken.

Er warf einen Blick auf ihre High Heels und ihren Volantrock und setzte eine zweifelnde Miene auf. „Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht vorgewarnt.“

Sie lächelte zuckersüß und schob sich an ihm vorbei ins Haus hinein. Jetzt würde sie endlich ein paar Antworten finden, und ein dahergelaufener Bauarbeiter würde sie nicht davon abhalten.

Aaron hatte nicht erwartet, dass es den Anwälten tatsächlich gelingen würde, seine Stiefschwester ausfindig zu machen. Vor Jahren hatte Simon bei seiner langjährigen Suche nach seiner ehemaligen Liebschaft und ihrem Kind erfahren, dass die Frau bei der Geburt des Sprösslings gestorben war. Über das Kind hatte er nichts weiter in Erfahrung bringen können.

Daher war Aaron bis zu dem Anruf des Anwalts, der für die Testamentsvollstreckung zuständig war, davon ausgegangen, dass auch das Kind nicht überlebt hatte. Der Anwalt war jedoch sorgfältig gewesen, hatte einen Privatdetektiv engagiert und über einige Umwege doch seine Schwester ausfindig gemacht, womit Aaron nicht gerechnet hatte.

Womit er ebenfalls nicht gerechnet hatte, war das arrogante, zickige Biest mit der scharfen Zunge, die ihre kleine Körpergröße im Nu wieder wettmachte, und schneller als es ihm lieb war bei ihm auf der Matte gestanden hatte. Sie war kurzum die Art Frau, die er am wenigsten leiden konnte.

Kaum war sie über die Türschwelle getreten, hatte sie im ganzen Haus alles durcheinandergebracht und die Räume durchsucht – nach was, das wusste er nicht.

Wahrscheinlich nach Geld oder Wertpapieren, die er glücklicherweise bereits weggepackt hatte.

Es würde ein Leichtes sein, ihr seinen Plan vom Verkauf des Hauses schmackhaft zu machen, wenn sie nur auf Geld aus war.

Er hatte sich Simons Kind – wenn er überhaupt über selbiges nachgedacht hatte – als direktes Ebenbild seines Adoptivvaters vorgestellt: groß, schlank, mit Simons dunkelblondem Haar und seiner offenen, charismatischen Art; wie er nur Gutes in jedem Menschen gesehen hatte und auf alle zugegangen war. Aaron hatte immer vermutet, dass sein Geschwisterchen eine Frau war; warum, konnte er nicht sagen. Was er hier vor sich hatte, war nicht die Tochter seines Vaters; vielmehr das komplette Gegenteil. Ein Glück, dass Simon sie nicht mehr kennen gelernt hatte – es hätte ihm das Herz gebrochen, nachdem er so lange nach ihr gesucht hatte.

Aaron stand in der Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein, während sie, noch immer in ihrem weißgepunkteten Rock, doch dieses Mal mit bequemeren Turnschuhen, das Zimmer betrat.

„In einem der Schlafzimmer ist das Bett bezogen, also hat Mister Fisher schon einmal hier übernachtet.“

Es war weniger eine Frage als eine Feststellung und so antwortete er ihr nicht. Um diese ganze Bauarbeiterstory aufrechtzuerhalten, konnte er jetzt auch noch in dem Motel im Ort schlafen, wohin er sich zurückzog, wenn ihm die Arbeit am Haus über den Kopf wuchs oder ihn die Erinnerungen an seinen Vater übermannten. Also musste er ihr das Haus nachts überlassen. Beim Gedanken daran, wie sie hier alles auseinandernahm und vielleicht Etliches mitgehen ließ, begann sein Puls zu hämmern.

„Manche Kisten sind auch schon gepackt, also …“, forschte sie weiter.

„Ja, er war schon einmal hier“, antwortete er knapp und nippte an seinem Glas Wasser.

Sie nickte stumm und biss sich auf ihre Lippe. „Aber Sie wissen nicht, wann er das nächste Mal kommt?“, fragte sie und er meinte, eine Spur Unsicherheit aus ihrer Stimme herauszuhören. Gut so, sollte sie ein wenig nervös sein wegen der Tatsache, dass sie einen Bruder hatte, den sie nicht kannte.

Er ging nicht davon aus, dass seine Bauarbeiterstory ihn lange über Wasser halten konnte, aber im Moment hatte er keine Lust, sich auf die brüderliche Art und Weise mit ihr auseinanderzusetzen. Vielleicht würde er ihr so ein paar wichtige Informationen entlocken können.

„Das habe ich Ihnen ja schon gesagt“, meinte er mit entnervtem Unterton, bei dem er nicht wusste, ob sie ihn registriert hatte oder nicht.

Es war an der Zeit nachzubohren, wie viel sie über „Aaron“ wusste.

„Warum sprechen Sie eigentlich immer nur von einem Mister Fisher? Ich dachte, er sei ein Verwandter, ein Cousin vielleicht?“

Sie würde sicherlich nicht so weit gehen, einen Bauarbeiter in das verzwickte Familiengeheimnis einzuweihen.

„Um genau zu sein, kenne ich ihn eigentlich nicht wirklich gut“, gab sie zu und warf ihm erneut diesen Blick zu, bei dem er nicht wusste, ob Verunsicherung in ihm mitschwang oder nicht. „Vielleicht könnten Sie mir etwas über ihn erzählen?“

Der Schuss ist nach hinten losgegangen.

„Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht viel von ihm“, meinte er abweisend und hoffte, dass sie das Thema fallen ließ.

„Trotzdem hat er Sie mit seinen Plänen über das Haus betraut“, gab sie misstrauisch zu bedenken. Sie war auf Zack die Kleine, so viel musste er ihr lassen.

„Natürlich, ich gehöre ja zum Team …“Sie schien noch immer argwöhnisch, daher würde er ihr ein paar Brotkrumen zu fressen geben müssen.„Soweit ich weiß, ist er Musical- und Opernsänger. Lebt in New York.“

Sie nickte, ohne dass man ihr eine Reaktion ansah; nur in ihren Augen flackerte womöglich Erstaunen auf.„Ist er sehr erfolgreich?“

„Nun, bekannt ist er schon.“

In der Szene gehörte er zu den gefragtesten Akteuren im Moment. Wie hatte die Times geschrieben: „Der Komet am Broadway-Himmel“. Das würde er ihr jedoch nicht auf die Nase binden, wenn sie sich in diesem Genre nicht gut auskannte.

„Was machen Sie denn?“, fragte er dann.

„Im Moment nehme ich mir eine kurze Pause …“, meinte sie ausweichend und schaute sich in der Küche um, um seinem Blick nicht begegnen zu müssen.

Soso, dachte er, „Pause“ könnte auch ein besseres Wort für „arbeitslos“ sein. Sie konnte sich dennoch ein Auto und diese Kleidung leisten, die zwar vielleicht nicht seinem Geschmack entsprach, aber durchaus gepflegt war. Wahrscheinlich hatte sie die Sozialhilfe gut ausgenutzt. Seine Meinung von ihr sank buchstäblich mit jeder Silbe.

„Im Keller finden Sie einen Kasten mit Wasserflaschen, der Kühlschrank ist im Moment leider noch nicht angeschlossen. In den Schränken dürften noch ein paar Scheiben Brot sein, vielleicht auch etwas Aufstrich. Wenn Sie länger hierbleiben wollen, müssten Sie einkaufen gehen und ich müsste Ihnen den Kühlschrank anwerfen“, sagte er und deutete darauf.

„Das wäre nett.“

So viel zu dem Thema. So schnell würde er sie nicht von der Backe haben.

„Ich gebe Ihnen nur noch einen Tipp: Mister Fisher sieht es nicht gerne, wenn man sich in seine Angelegenheiten einmischt. Also bringen Sie hier nicht alles durcheinander, sonst wird er fuchsteufelswild.“

„Ich werde versuchen, es mir zu merken“, sagte sie honigsüß.

Er musste aufpassen, dass er nicht seine Hände zu Fäusten ballte, wenn er mit ihr sprach oder sich ihren zarten Hals zwischen seinen Fingern vorstellte.

„Im Schlafzimmer finden Sie Bettbezüge, dann können Sie das Bett neu beziehen. Handtücher sind unter dem Waschbecken im Bad nebenan“, fügte er hinzu, da ihm die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht entgangen waren und er es ihr zumindest nicht allzu schwer machen wollte.„Den Rollladen vor dem Fenster werde ich mir morgen wieder vornehmen, bis dahin sollten Sie ihn vielleicht lieber oben lassen.“

Sie nickte und wirkte auf einmal erschöpft. „Danke“, sagte sie dann und er bemerkte, wie ihre Schultern dabei leicht nach unten sackten.

„Ich kümmere mich jetzt noch um den Kühlschrank, dann fahre ich zurück in den Ort. Morgens um acht fange ich meistens mit meiner Arbeit an“, ergänzte er, falls sie sich zu viel herausnahm und auf einen langen Schlaf eingestellt war.

„Ist in Ordnung, ich bin sowieso eine Frühaufsteherin.“

Er nahm dies mit einem Nicken zur Kenntnis.

Sie verschwand aus der Küche und er machte sich daran, den alten Kühlschrank in Gang zu bringen.