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Dreizehn unheilige Schreiberlinge, verewigt in einer okkulten Anthologie - was kann man da erwarten?
Findet es selbst heraus!
INHALT
Thomas Williams
Symphonie des Blutes
Oder:
Fear and Loathing in Salem
Ethan Kink
Abaddon
J. Mertens
Cthulhus Scherge
Doris E. M. Bulenda
Führe uns in Versuchung
Faye Hell
Ein Kätzchen namens Satan
Markus Kastenholz
Mala’ak
BK Baukowski
Unktomi
Nici Hope
Sanitas per aquam
Ralf Kor
Night of the
bloodthursty Rugrats
Dennis Mombauer
Die unirdische Kathedrale
Nicole Renner
Der Untergang der Hölle
oder:
wie der Teufel Amnesie bekam
Azrael ap Cwanderay
Meister Hämmerleins
Heim für herrenlose Hurenkinder
Jean Rises
Abbaye de Théléme
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Veröffentlichungsjahr: 2021
13
FLAMES
from
HELL
Jean Rises
(Hrsg.)
Vollständige Ausgabe 2021
Copyright © Hammer Boox, Bad Krozingen
Lektorat:
Hammer Boox, Bad Krozingen
Korrektorat: Doris E. M. Bulenda
(Fehler sind völlig beabsichtigt und dürfen ohne Aufpreis
behalten werden)
Titelbild: Azrael ap Cwanderay
Satz und Layout: Hammer Boox
Copyright © der einzelnen Beiträge bei den Autoren
9 / 21 - 30
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Vorwort
Wer liebt es nicht, das Okkulte, das Böse, Verbotene und Mysteriöse? Doch was ist Okkultismus?
Laut Duden stammt es vom lateinischen »occultus« und bedeutet soviel wie »verborgen, verdeckt und geheim«. Eine allgemeine Bezeichnung für verschiedene weltanschauliche Praktiken und Systeme, gleichbedeutend mit paranormal, esoterisch oder übersinnlich.
Viele Engstirnige bringen Okkultismus meistens mit Satanismus und Dämonologie in Verbindung – auch missverstandene Religionen wie Voodoo oder Wicca werden dann zusammen in den Okkultismus-Topf geworfen. Wenn man aber hinter den Schleier des »Bösen« blickt und offen für alternative religiöse Ansichten ist, kann man viel mehr entdecken. Nicht alles was verteufelt wird, ist auch automatisch schlecht.
Okkultismus ist nicht gleich Okkultismus und Satanismus nicht gleich Satanismus. Es gibt unzählige verschiedene atheistische und theistische Absplitterungen, die sich so grundlegend unterscheiden wie der Buddhismus vom Islam.
Noch tief verwurzelt in den Köpfen der Gesellschaft ist, dass Satanisten Tieropfer darbringen und Kinder fressende Verrückte sind, ausschließlich schwarz gekleidet. Doch der moderne Satanist ist, wenn man genauer auf die wahre Natur blickt, jeder moderne Mensch, der egozentrisch ohne Reue lebt.
Diese Anthologie wurde mit Autoren bespickt, die eine Leidenschaft für das Mysteriöse haben und in der deutschen Horrorszene bereits gefürchtet und geliebt werden.
Dreizehn unheilige Schreiberlinge, verewigt in einer okkulten Anthologie - was kann man da erwarten?
Auf jeden Fall viel Gewalt, viel Grusel, Sex und jede Menge Blut.
Geeignet für jeden Leser, der Filme wie »Der Exorzist«, »Gods Army«, »Das Omen«, »Rosemarys Baby« und weitere mag oder auch mit den Schriften von Aleister Crowley und Anton Szandor Lavey vertraut ist.
Eine Warnung für all jene, die keinen schwarzen Humor verstehen, die keine klischeebeladen überzogene, religiöse Gewalt abkönnen oder die teils unchristliche, von Todsünden behaftete Verherrlichung abstoßend finden:
Jeder Freigeist und Verrückte ist willkommen, diese unheilige Schrift bei Höllenfeuer und Absinth zu genießen und dabei diabolisch zu lachen.
Die zwölf Schreib-Apostel aus der Hölle und Ihr Höllenfürst
Jean Rises
INHALT
Thomas Williams
Symphonie des Blutes
Oder:
Fear and Loathing in Salem
Ethan Kink
Abaddon
J. Mertens
Cthulhus Scherge
Doris E. M. Bulenda
FÜHRE UNS IN VERSUCHUNG
Faye Hell
Ein Kätzchen namens Satan
Markus Kastenholz
Mala’ak
BK Baukowski
Unktomi
Nici Hope
Sanitas per aquam
Ralf Kor
Night of the
bloodthursty Rugrats
Dennis Mombauer
DIE UNIRDISCHE KATHEDRALE
Nicole Renner
Der Untergang der Hölle
oder:
wie der Teufel Amnesie bekam
Azrael ap Cwanderay
Meister Hämmerleins
Heim für herrenlose Hurenkinder
Jean Rises
Abbaye de Théléme
Im Fernsehen lief eine Mischung aus Mickey Maus und Snuff Film. Es waren keine echten Mickey-Mäuse, die auf OP-Tischen gefesselte Menschen mit Werkzeugen und Operationsbesteck folterten, aber wegen ihrer großen, kreisrunden Ohren und den spitz zulaufenden, mit Reißzähnen besetzten Schnauzen erinnerten sie mich an Walt Disneys Kreation. Wir hatten den Ton ausgeschaltet, weswegen wir die Schreie ihrer Opfer nicht hören konnten.
Ich weiß noch, dass ich sagte: »So etwas findet man aber nicht bei den Familienfilmen, oder?«
Mein Kumpel Bob lag schläfrig in seinem Massagesessel, hielt die Augen geschlossen und lauschte dem Album »Dopethrone« von Electric Wizard. Ich hatte das Gefühl, es würde zum fünften Mal laufen, was bedeutete, dass wir seit Stunden in Bobs Wohnzimmer saßen. Und dass diese armen Schweine genauso lange von Mickey-Mutanten zerstückelt wurden.
»Wusstest du, dass der Sänger den Titelsong geschrieben hat, nachdem er von einem Sofa aus Hanf hörte? Deswegen Dopethrone.« Ich deutete auf die Stereoanlage, die trotz ihres Alters einen unglaublichen Sound hatte. »Das ist ihr bestes Album, Mann.« Bob hustete und erwiderte, ohne die Augen zu öffnen: »Diese Musik ist, als ob du der Finsternis ein Fenster zu deiner Seele öffnen würdest.«
»Gefällt sie dir?«, fragte ich.
Bob nickte stumm.
Und ich fluchte: »Dann sag das doch einfach.«
Ich zupfte an meinem Church-of-Misery-T-Shirt. Draußen schneite es, aber hier drin mussten dreißig Grad sein. Ich sah zur Heizung, die Bob und sein Massagesessel versperrten, überlegte, mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, aber auch das würde nicht viel nützen. Wir hatten so ein neues Zeug eingeworfen, das Satans Nightmare hieß. Angeblich verursachte es Trips, vor denen sich sogar der Teufel fürchtete. Bisher konnte ich nur sagen, dass ich schon besseres Zeug genommen hatte. Denn die Wirkung ließ auf sich warten.
»Wann fängt das Konzert noch mal an?«, fragte ich Bob, der uns zu einem Gig einer namenlosen Band bringen wollte, von dem nur ein paar Auserwählte wussten. Ich ging davon aus, dass es Freunde von ihm sein mussten. Irgendeine Gruppe mindertalentierter Möchtegerns, die beim Topfschlagen mehr Noten trafen, als an ihren Instrumenten. Warum sollten sie sonst kein Album haben? Die Labels lehnten sie der Reihe nach ab.
»Um Mitternacht« murmelte Bob schließlich müde, seinen etwas zu dicken Bauch unter dem Saint-Vitus-Shirt kratzend. »Aber wir sollten früh genug da sein, denn sonst …«
Sein Kopf sackte zur Seite, und er begann zu schnarchen. Ich bemerkte es zwar, sagte aber trotzdem:
»Sonst was?«
Bob sägte weiter Wälder.
Auf dem Bildschirm jonglierte ein Mickey-Mutant mit Augäpfeln, während ihm die anderen applaudierten. Ich konnte mir den Scheiß nicht länger ansehen und ließ meinen Blick durch die Wohnung wandern. Ein Deckenfluter verteilte sein weißes Licht im Zimmer mit den schwarzen Möbeln und grün gestrichenen Wänden. Was hätte ich in diesem Moment für einen anständigen Trip gegeben? Satans Nightmare sollte in Satans Schlaftabletten umbenannt werden.
Ich lehnte mich zurück, sah zur Zimmerdecke und hörte Electric Wizard zu. Bob und ich hatten schon viele Drogen ausprobiert. Meistens rauchten wir aber Gras. Ich mochte Tabletten oder Blättchen nicht besonders, hatte dieses neue Zeug aber genommen, weil Bob davon so schwärmte.
Ich glaubte, in der Ferne Menschen schreien zu hören. Es konnte nicht aus dem Fernseher kommen, da der Ton ausgeschaltet war. Vermutlich wurde in der Wohnung unter uns gerade eine Familie abgeschlachtet. So oder so hatten sie mehr Spaß als ich.
»Laaaangweilig!«, beschwerte ich mich, immer noch auf den Trip wartend. Dabei fiel mir ein großer, gelber Fleck an der Zimmerdecke auf. Bob wohnte in einem kleinen, heruntergekommenen Apartment in einem Gebäude, das mir vorkam, als dürfte man aus Angst vor Einsturzgefahr die Türen nicht zu fest zuschlagen. Auf dem Weg durchs Treppenhaus hatte ich verdreckte, zugemüllte Flure, offenstehende Türen und Ratten gesehen. Im dritten oder vierten Stock stand ein Mann, der mich stumm anstarrte. Ohne ihm Beachtung zu schenken, brachte ich den Rest des Weges hinter mich. Seitdem saß ich auf Bobs Sofa. Sollte das Album wirklich zum fünften Mal laufen, musste es weit nach Mitternacht sein.
»Verpassen wir gerade das Konzert?«, fragte ich, ohne eine Antwort zu erhalten.
Normalerweise ließen mich die Drogen meine Sorgen vergessen. Wenigstens für eine Weile. Sorgen um Geld, meinen beschissenen Job in einer Wäscherei und den an einer Tankstelle. Mit zwei mickrigen Monatsgehältern kam ich geradeso soweit über die Runden. Fragte sich nur, wie lange noch.
Im Moment reichten sie, um Rechnungen und Lebensmittel zu bezahlen. Jetzt, am Ende des Monats, war mein Konto nahezu leer. Konzerte, neue Kleidung oder irgendeine andere Anschaffung konnte ich mir im Moment abschminken.
Bobs unrasiertes Gesicht schob sich in mein Blickfeld.
»Wir müssen los«, sagte er und ging zur Zimmertür hinaus.
»Endlich«, erwiderte ich, hörte ihn mit seinem Schlüsselbund klimpern und bemerkte, dass der Fernseher und die Musik ausgeschaltet waren.
Verwirrt sah ich zur Tür. »Wo findet das Konzert nochmal statt?«
»Im Erdgeschoss«, antwortete Bob. Dann hörte ich ihn in die Toilette pinkeln und wartete damit, ihm in den Flur zu folgen, um ihn nicht durchs offenstehende Badezimmer in flagranti zu erwischen.
»Von dem Laden habe ich noch nie gehört«, sagte ich, die Zeitschriften auf seinem Wohnzimmertisch begutachtend: Musikmagazine, von denen bestimmt kein einziges bezahlt worden war; Bob hätte ein Seminar in Ladendiebstahl geben können. Aber auch solche, die gratis zum Mitnehmen irgendwo auslagen.
Um mir während Bobs Pinkelpause die Zeit zu vertreiben und weil die Magazine mich neugierig machten, nahm ich eines in die Hand. Es handelte von Graffitis und lokalen Hip-Hopern. Dass Bob sich für so etwas interessierte, war mir völlig neu.
»Fankyzine«, las ich mir den Titel selber vor. Dann rief ich: »Seit wann stehst du auf Hip-Hop?«
Und Bob antwortete: »Diese Musik ist, als ob du mit den Füßen in feuchtem Zement steckst, der sich langsam um deine Knöchel verhärtet und dich am Weitergehen hindert.«
»Gefällt sie dir?«
»Nein.«
»Dann sag das doch einfach!«
Schließlich spülte Bob, wusch sich sogar die Hände und rief: »Kommst du jetzt, oder was?«
»Ja, ja, ja«, antwortete ich genervt, das Magazin wieder auf den Stapel legend.
Im Flur vor der Wohnungstür war kein Mensch. Die Beleuchtung ging von alleine an, flackerte aber nur. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass die Wände auch hier grün und die Türen schwarz gestrichen waren. Genau wie in Bobs Wohnung. Aber mich interessierte etwas anderes:
»Und die spielen wirklich nur einmal im Jahr?«, fragte ich auf dem Weg zur Treppe.
»Sagte ich ja bereits.«
»Und es gibt kein Album von ihnen? Auch nichts im Internet?«
»Nein. Die einzige Möglichkeit, sie zu sehen oder zu hören, ist bei ihrem einzigen, jährlichen Konzert. Du kannst dich glücklich schätzen, dabei sein zu dürfen.«
»Na, das werden wir ja noch sehen«, murmelte ich, Bob die Stufen in den vierten Stock hinab folgend. Dort angekommen, blieb er stehen und sah mich an.
»Ihre Musik ist, als ob gefallene Engel spielen würden. Es ist himmlisch, aber gleichzeitig verkehrt. So etwas wie sie sollte nicht existieren.«
»Gefällt dir die Musik?«, fragte ich.
Bob nickte. »Ja.«
»Dann sag das doch einfach!« Allmählich machten mich seine Metaphern wahnsinnig.
Im dritten Stock liefen ein paar Ratten vor uns weg, die im Müll nach Fressen suchten. Wie man hier leben konnte, war mir ein Rätsel.
Und da stand immer noch dieser Typ am Ende des Flurs, als hätte er sich in all der Zeit, während ich bei Bob auf dem Sofa gesessen hatte, nicht vom Fleck gerührt. Er trug ein weißes Hemd, und was ich beim ersten Mal für einen Mantel gehalten hatte, entpuppte sich nun als Cape. Irgendetwas stimmte mit seiner Hautfarbe nicht. Sie wirkte schrecklich blass, aber auch ein wenig grau. Wie ein Schwarzweißton aus alten Filmen.
»Ist das Bela Lugosi?«, fragte ich scherzhaft.
»Was?« Bob hatte schon die nächste Treppe hinuntergehen wollen, blieb nun aber stehen und sah mich schief an.
»Dieser Typ da!« Kurz glaubte ich, die Droge würde endlich zu wirken beginnen, aber ich hatte den Kerl ja schon gesehen, bevor wir Satans Nightmare eingeworfen hatten.
Bob blickte den Fremden an, zögerte und erwiderte: »Das ist Christopher Lee, du Idiot.«
Damit ging er die Treppe hinunter, und ich versuchte noch einmal, den anderen zu erkennen. Entweder grinste er mich an, oder er bleckte die Zähne. So oder so, das war nicht Christopher Lee. Der hatte Dracula 1958 zum ersten Mal gespielt und zwar in Farbe. Aber anstatt zu klugscheißen, versuchte ich, mich Bobs Witz anzuschließen und fragte ihm folgend:
»Dracula ist dein Nachbar?«
Aber als wüsste er gar nicht mehr, wovon ich redete, fragte Bob: »Wer?«
Vielleicht fing das Zeug ja doch an zu wirken. Ich winkte ab.
»Vergiss es.«
Im zweiten Stock standen mehrere Wohnungstüren offen. Laut Bob wohnte kaum jemand in diesem Haus. Verständlich, so unheimlich, wie es hier war. Dennoch flackerte in einer der Wohnungen Licht, wie von einem Fernseher. Jedoch gab es weder Stimmen, noch Musik. Ein Schatten verzog sich tiefer in die Wohnung, als wollte jemand nicht entdeckt werden.
»Ich habe die Band schon ein paarmal live gesehen«, erklärte Bob, die nächsten Stufen hinabsteigend und ohne sich zu mir umzudrehen. »Die Gitarren sind unglaublich tiefgestimmt, die Lieder handeln von Chaos und Zerstörung, aber die Sängerin singt mit solch einer engelsgleichen Stimme, dass du nicht genug von ihr kriegen kannst. So etwas hast du noch nicht gehört.«
»Ich bin echt gespannt, Alter.« Das war gelogen. Ich hoffte, endlich high zu werden. Und sollte das nicht klappen, würde ich mich betrinken.
Wir erreichten das Ende der Treppe, wo Bob vor einer Wohnung stehenblieb, um anzuklopfen. Kaum, dass die Tür nach innen geöffnet wurde, schallten uns laute Musik und Stimmen entgegen. Ich hätte mich vielleicht darüber gewundert, dass sie vorher nicht zu hören gewesen waren, aber in diesem Moment bekam der Name des Clubs eine völlig andere Bedeutung. Das Konzert fand nicht in einem Laden statt, der »Erdgeschoss« hieß. Es fand hier im Erdgeschoss statt.
Den Mann im schwarzen Anzug, der uns beim Eintreten mit einer leichten Verbeugung begrüßte, nahm ich kaum wahr. Vor uns lag eine breite, nach unten führende Treppe, die in einen Saal mündete, der unmöglich in dieses Gebäude passen konnte. Darin befanden sich hunderte Menschen aller Altersklassen. Von kleinen Kindern bis zu tattrigen Greisen war alles vertreten. Sie trugen normale Alltagsklamotten, aber auch teure Kleider und Anzüge. Da waren Punks, Goths, Spießer, Familien und solche, die völlig verdreckt und obdachlos wirkten. Menschen aus allen Herren Ländern und mit verschiedenen Hautfarben. Die Reizüberflutung machte es mir unmöglich, alles auf einmal in mich aufzunehmen.
Ich hatte Bob aus den Augen verloren. Er musste die breite Treppe hinuntergegangen sein, aber ich konnte ihm noch nicht folgen. Zu viele Eindrücke prasselten auf mich ein. Es wurde gelacht und geredet. Links und rechts gab es jeweils einen langen Tresen, an dem ganz in Schwarz gekleidete Männer und Frauen Getränke servierten. Aber auch in der Menge trugen sie Tabletts entlang, ohne jemanden anzurempeln oder etwas zu verschütten.
In der zur Treppe gegenüberliegenden Wand gab es nebeneinander vier hohe Fensterbögen. Jeder davon bot eine andere Aussicht. Da war ein ausbrechender Vulkan mit feuerrotem Himmel und schwarzer Aschewolke oben drüber. Daneben lag ein Wald, durch dessen Baumkronen helles Sonnenlicht fiel. Das dritte Fenster zeigte ein versunkenes, verrostetes und mit Muscheln bedecktes Schiff, das von einer unsichtbaren Lichtquelle angestrahlt wurde. Fische schwammen von links nach rechts. Und im vierten tobten sich die Mickey-Mäuse an neuen Opfern aus. Diesmal waren sie auf mittelalterliche Foltergeräte geschnallt. Ich sah gerade rechtzeitig hin, um zu beobachten, wie ein nackter, schreiender Mann in einer eisernen Jungfrau eingeschlossen wurde. Eine Frau lag auf einer Streckbank, und eine zweite hing an einem Andreaskreuz, während sie von zwei Monstern mit glühenden Zangen gequält wurde.
»Krasser Schuppen«, sagte ich zu dem Butler, der mich stumm ansah. Er kam mir irgendwie bekannt vor also fragte ich: »Sind Sie Gary Oldman?«
Er gab mir keine Antwort. Und da wurde mir bewusst, dass Satans Nightmare jetzt voll reinhaute. Bob und ich mussten hierhergefahren oder –gelaufen sein, aber die Droge ließ nicht zu, dass ich mich daran erinnerte. Oder klar dachte.
Ich begann zu lachen, hielt wieder nach Bob Ausschau und rief: »Hey, Bob! Der verdammte Stoff zündet endlich! Alter Schwede, ich dachte schon, du hast mich verarscht.«
Die fragenden Blicke einiger Leute ignorierend, lief ich die Treppe hinunter, drängelte mich zu einer der Theken durch und erkannte unterwegs, welcher Song gerade lief.
»Master of Brutality« von Church of Misery. Kaum zu glauben, dass in solch einem Edelschuppen ein Song gespielt wurde, der vom Serienmörder John Wayne Gacy handelte. Ein paar der anderen Gäste sangen Arm in Arm mit. Unter ihnen war eine alte, im Rollstuhl sitzende Frau.
Verdammt schräges Publikum, dachte ich, die Theke erreichend. Dort winkte ich einer Asiatin und bestellte ein Bier. Sie sah süß aus, also versuchte ich, meinen Charme spielen zu lassen.
»Kommst du öfter her?«, wollte ich wissen.
Das Bier zapfend, sah sie mich an. »Natürlich. Ich arbeite hier.«
»Wohnst du hier? In Salem, meine ich.«
Sie schien nicht besonders scharf drauf zu sein, sich mit mir zu unterhalten, sah die Frau im roten Kleid an, die neben mich an die Theke trat und stellte das halbvolle Bierglas so abrupt ab, dass etwas von der Flüssigkeit überschwappte.
»Was kann ich für Sie tun, Miss?«, fragte die Kellnerin, als hätte sie mich vergessen.
Irritiert betrachtete ich mir das halbvolle Bierglas und dann die Frau in Rot, die ihre Hände bewegte, anstatt etwas zu sagen. Sogar zugedröhnt erkannte ich, dass sie Zeichensprache machte, verstehen konnte ich diese jedoch noch nie.
Mir fiel auf, wie blass die Frau war. Dadurch kam das schwarze, lange Haar noch mehr zur Geltung. Ihre Augen waren dunkel, und obwohl ich immer noch mein Glück bei der Kellnerin versuchen wollte, fragte ich: »Kommst du öfter her?«
Sie sah mich an, und ich lächelte. Bis sie es ebenfalls tat. In ihrem Mund saß kein einziger Zahn, und aus ihrer Kehle stieg ein gurgelnder, tiefer Ton, der nicht im Entferntesten an eine Stimme erinnerte. Ich spürte eine kribbelnde Gänsehaut über meinen Körper ziehen, wich zurück und rempelte dabei jemanden an.
»Pass doch auf!«, schnauzte mich die Person an.
Ich wollte mich entschuldigen, erkannte dann aber Bob.
»Was ist das für ein Laden?«, brüllte ich ihn an. Mein Herz raste, und ich schwitzte aus allen Poren. Hier musste es über vierzig Grad heiß sein. Wie hielten die anderen das nur aus?
»Das ist das Satans Nightmare. Es haut jetzt voll rein. Du siehst Dinge, die nicht da sind. Und Dinge, die wirklich da sind.«
»Woher weiß ich, was echt ist?«, fragte ich und bekam plötzlich das Gefühl, zu lange den Atem angehalten zu haben.
»Stell dich nicht so an. Du bist nicht zum ersten Mal drauf«, maßregelte Bob mich und winkte der Kellnerin. »Ein Wasser für meinen Freund, bitte.«
Ich wollte kein Wasser, hielt es aber für eine gute Idee, welches zu trinken. Mein Mund fühlte sich trocken an. Nur eine halbe Minute später konnte ich das kalte Nass hinunterspülen und spürte, wie ich mich beruhigte. Zwar blieben die Halluzinationen bestehen, aber ich kam nun besser mit ihnen klar.
Die Frau in Rot war in der Menge verschwunden. Als sich darin kurz eine Lücke auftat, konnte ich einen brennenden Kamin erkennen, vor dem Musikinstrumente und ein alter, mit schwarzem Stoff bezogener Sessel standen. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass hier gleich eine Doom Metal Band spielen sollte. Vor einem so unterschiedlichen Publikum. Normalerweise tummelten sich Männer und Frauen in schwarzer Kleidung vor den Bühnen. Solche mit langen, kurzen oder gar keinen Haaren. Mit Tattoos und Piercings. Ja, auch dort gab es unterschiedliche Besucher, aber eine solche Zusammenkunft wie hier hatte ich noch nie erlebt. Was mich an Bobs Behauptung erinnerte, es wüssten nur wenige von diesem Konzert.
Ich wollte ihn darauf ansprechen, aber da deutete er nach oben, und ich sah zur Decke, wo es eine Glaskuppel gab, durch die wir den Sternenhimmel sehen konnten. Darauf wollte Bob jedoch nicht hinaus.
»Diese Musik«, begann er, aber ich unterbrach ihn sofort:
»Gefällt sie dir?«
»Ja.«
»Dann sag das doch einfach, Gottverdammt!«
Als hätte er mich überhört, sah er an mir vorbei und sagte: »Ich muss eben Leslie Nielsen hallo sagen.«
Obwohl er schon weg war, fragte ich: »Hat der nicht auch mal Dracula gespielt?«
Inzwischen lief »In the Rectory« von Reverend Bizarre. Ein großartiger Song, der sich zuerst mehr als sechs Minuten entlangschleppt, um dann nach vorn zu gehen. Wer immer für die Musik zuständig war, besaß Geschmack. Ich wippte mit dem Kopf zum Takt, bemerkte, dass noch Wasser in meinem Glas war und trank es leer. Dann sah ich das frisch gezapfte Bier neben mir stehen, und da sich sonst niemand seiner annahm, griff ich es mir und versuchte, damit in der Menge unterzutauchen.
Diese Versammlung war einfach verrückt. Mädchen und Jungs spielten Fangen. Spießerpärchen redeten mit den Obdachlosen, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen. Ich glaubte, den Bürgermeister von Salem zu erkennen, aber er war zu schnell zwischen den anderen Feierenden verschwunden, um mir sicher zu sein.
Es waren hübsche Frauen hier. Sicher würde ich später noch mein Glück bei einer von ihnen versuchen. Und wie auf Kommando berührte in diesem Moment jemand meinen Arm. Lächelnd sah ich die Person an und erschrak, als die zahnlose Frau in Rot wieder vor mir stand.
»Tut mir leid, ich … Ich beherrsche keine Gebärdensprache«, sagte ich und gestikulierte mit meinen Händen, wie um mir selbst zu widersprechen. Dabei verschüttete ich etwas von dem Bier, sah auf meine nassen Schuhe herab und hörte jemanden sagen:
»Sie möchte dir danken.«
Als ich wieder aufsah, stand da ein schnöseliger Typ mit dünnem Oberlippenbart und dunklen Haaren. Er trug einen grauen Anzug und eine rote Krawatte.
Irgendwo hatte ich ihn schon mal gesehen, aber anstatt ihn danach zu fragen, erwiderte ich: »Ich habe doch gar nichts gemacht.«
Der Kerl und die Frau lachten, aber über ihre Lippen schien dabei kein Ton zu kommen.
»Doch, doch. Hast du. Du bist hier. Und das ist so ungeheuer wichtig für uns. Deswegen auch von mir ein ganz großes Dankeschön an dich. Ich würde dir ja anbieten, dir irgendwann bei etwas zu helfen, aber das wird schließlich nicht mehr möglich sein. Wenn ich allerdings etwas für deine Familie tun kann, egal was, dann sag es mir einfach, ja?«
Ich verstand überhaupt nicht, was er von mir wollte, versuchte einmal mehr, Bob in der Menge ausfindig zu machen.
Die Frau in Rot leckte sich ihre Lippen, und der Mann neben ihr sagte: »Sie ist bereits durstig.«
Das beschissene Satans Nightmare schickte mich nun wirklich auf einen miesen Trip. Ich zeigte in die Richtung, wo ich eine der Theken vermutete und sagte:
»Da ist die Bar. Soll sie sich doch was holen.«
Und wieder lachten die beiden. Diesmal war ich sicher, dass die Frau keinen Laut machte.
»Du bist ein witziges Kerlchen. Eigentlich schade um dich. Wir bräuchten mehr solcher Leute in unserem Zirkel. Die meisten hier haben keinen Humor.« Der Mann wollte noch etwas sagen, als Bob plötzlich neben ihm auftauchte und ihn mit Wucht zur Seite stieß.
»Verpiss dich, Luke Evans!«, schrie er. »Erst baust du so eine Scheiße mit Dracula Untold - und jetzt das hier. Willst du alles ruinieren?«
Er und Bob begannen eine handfeste Schlägerei, wurden aber schnell voneinander getrennt, als mehrere Männer sie festhielten und anschrien.
»Seid ihr völlig von Sinnen!«, brüllte jemand, der tatsächlich wie Leslie Nielsen aussah, es aber unmöglich sein konnte. Der Mann war schließlich bereits tot. Genauso wie Christopher Lee und Bela Lugosi.
Luke Evans, oder wer immer er auch sein mochte, schrie Bob an: »Ist er etwa nicht freiwillig hier? Die Opfer müssen aus freiem Willen hierherkommen. Das weißt du!«
»Ich habe ihn eingeladen!«, schnauzte Bob zurück. Es war das erste Mal, dass ich ihn wütend erlebte. Hätten ihn die Männer losgelassen, wäre er garantiert auf den anderen losgegangen.
»Hört auf damit!«, forderte der Leslie-Nielsen-Klon nun. »Es ist fast Mitternacht. Wir müssen das Ritual beginnen.«
Und dann sah er mich an. Die Musik war verstummt. Ich begriff, dass gleich etwas passieren würde. Bob und Luke Evans wurden losgelassen, aber anstatt einander anzugreifen, blickten sie ebenfalls in meine Richtung.
»Bob?«, fragte ich, merkte dann erst, dass mir ein Kloß im Hals steckte und räusperte mich deshalb.
Fast wie auf Kommando griff die umstehende Menge nach mir. Mehrere Hände schlossen sich um meine Arme, fassten in meine Kleidung und in mein Gesicht. Ein Finger stach mir ins Auge, sodass ich beide unverzüglich zupresste. Gleich mehrere Hände legten sich mir über Mund und Nase, dass ich befürchtete, sie wollten nicht nur meine Schreie ersticken. Ich wurde in eine bestimmte Richtung gezogen. Wegen der vielen Händen gelang es mir nicht, mich zu befreien, obwohhl ich wild um mich schlug.
Sie legten mich auf einen Tisch und zerrten Gurte um meine Handgelenke, Knöchel und meine Stirn fest. Kaum, dass ich bewegungsunfähig dalag, ließen sie mich los. Ich schnappte nach Luft, konnte mit dem rechten Auge jedoch nur verschwommen durch einen Tränenschleier sehen.
»Was …«, schrie ich, immer noch atemlos. »Was soll das?«
Sie gaben mir keine Antwort. Eine Frau begann, mir die Jeans und Boxershorts von den Beinen zu schneiden. Andere zogen mir die Schuhe und Socken aus, während es nur zwei von ihnen brauchte, um mein Shirt zu zerreißen.
Schließlich lag ich vollkommen nackt da. Den Blicken der Menge ausgesetzt. Unter ihnen entdeckte ich wieder Bob, und diesmal konnte ich ihn mit voller Stimme rufen:
»Bob! Hilf mir!«
Er schüttelte den Kopf. »Du hilfst uns.«
Ich begriff nicht, wollte fragen, was er meinte, da gab er mir schon die Antwort:
»Einmal im Jahr beschwören wir unseren Herrn und Meister. Luzifer. Danke, dass du aus freiem Willen hergekommen bist, um das zu ermöglichen.«
»Du hast gesagt, wir gehen zu einem Konzert!«, spie ich ihm entgegen.
Ein paar Menschen in der Menge lachten. Neben mir bewegte sich etwas, aber ich konnte den Kopf nicht drehen, um hinzuschauen. Aus dem Augenwinkel erkannte ich die asiatische Kellnerin, die eine Kanüle mit einem langen, durchsichtigen Schlauch daran hochhielt. Ihre Hände verschwanden aus meinem Blickfeld, und ich spürte einen stechenden Schmerz in meiner linken Armbeuge. Dann einen in der rechten. Und weitere, auf dem ganzen Körper verteilt. Stöhnend vor Schmerzen bäumte ich mich gegen die Riemen auf.
»Es ist so«, sagte Bob, der plötzlich dicht an meinem Kopf stand. Neben ihm sah ich die Zahnlose. »Einmal im Jahr geben wir unserem Meister zu Ehren ein Konzert. Mary-Anne hier singt für ihn, und er erscheint uns … Nein, er beehrt uns mit seiner Anwesenheit. Ihr Gesang ist so verlockend, dass sogar der Teufel nicht widerstehen kann.«
»Sie … ist stumm«, sagte ich glucksend. Irgendetwas passierte mit mir. Ich spürte, wie die Kraft aus mir wich. Die verdammten Kanülen zapften mein Blut ab. Und als hätte ich diese Vermutung ausgesprochen, hob Bob ein mit roter Flüssigkeit gefülltes Kristallglas hoch, das er Mary-Anne reichte.
»Oh, sie kann sehr wohl singen. Menschliches Blut stimuliert ihre Stimmbänder«, erklärte mein Freund, während die Frau das Glas mit beiden Händen an ihren Mund führte und trank.
»Das ist ein … Traum, oder? Ich … halluziniere, wegen dem Zeug, das du mir gegeben hast«, versuchte ich mir selbst einzureden, aber Bob, der immer noch auf mich herabsah, schüttelte den Kopf.
»Es gibt kein Satans Nightmare. Ich habe dir eine Kopfschmerztablette gegeben.«
Mary-Anne schritt zum Kamin, wo sich schwarzgekleidete Männer und die Kellnerin den Musikinstrumenten angenommen hatten. Ich konnte gerade so erkennen, wie sie ein Mikrofon in die Hand nahm. Ihre Band begann zu spielen. Der tiefe, laute Bass drang mir durch Mark und Bein. Hände berührten meinen nackten Körper, aber die Augen der Menge waren ausschließlich auf die Band gerichtet.
Und dann begann Mary-Anne zu singen. Bob hatte recht gehabt. Es klang so wunderschön, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Etwas Derartiges hatte ich noch nie gehört. Trotz meiner schrecklichen Lage freute ich mich.
Mary-Anne ließ ihren Blick durch das Publikum wandern, das ihr gebannt lauschte. Und dann bemerkte ich die Gestalt im Sessel. Sie war wie aus dem Nichts erschienen. Jedenfalls war mir ihr Erscheinen entgangen. Auf seinen Schultern saß ein schwarzgrauer Ziegenkopf mit acht, nahe beieinanderstehenden Augen.
Der Teufel war gekommen, um Mary-Anne zuzuhören. Ich ging davon aus, dass sie solange sang, bis ich kein Blut mehr hergab.
Bob und Luke Evans standen immer noch nahe genug, dass ich sie miteinander reden hören konnte.
»Ihre Musik ist, als würde man die Pforten zum Himmel und zur Hölle gleichzeitig öffnen. Sie verzehrt dich, und du weißt nicht, ob du dich wehren oder es zulassen sollst«, sagte Bob.
Luke Evans, oder wer auch immer er sein mochte, sah ihn an. »Gefällt dir die Musik?«
»Ja.«
»Dann sag das doch einfach!«
»Warum soll ich Ihnen diese Scheiße noch einmal erzählen? Sie können nicht sehen, Sie glauben mir doch eh kein Wort.« Silke Lachmann war voller Zorn. Die Gesichtszüge der bis vor kurzem noch so hübschen jungen Frau waren zu einer vom Irrsinn gezeichneten, entstellten Fratze geworden.
Die Medikamente, die man ihr bei der Einlieferung in die psychiatrische Einrichtung verabreicht hatte, schienen ihre Wirkung zu verlieren. Vielleicht lag es an Silkes Adrenalinspiegel, der erneut durch die Decke schoss, vielleicht war es auch einfach eine zu geringe Dosierung gewesen.
Ihr hysterisches Geschrei und die Versuche, sich aus der Zwangsjacke zu befreien, ließen den Ärzten keine andere Wahl, als ihr eine weitere Spritze zu verabreichen. Aber sie durften sie nicht ganz ausknocken, denn sie mussten erfahren, was geschehen war.
Die Geschichte, die die Achtzehnjährige ihnen aufgetischt hatte, war an Unglaubwürdigkeit kaum zu überbieten. Also fragte Doktor Weber sie erneut und erntete einen weiteren Tobsuchtsanfall. Silke spuckte Speichelfäden durch die Luft, als sie ihm ihre Antworten entgegen fauchte. Zwischen ihren Beinen zeichnete sich ein größer werdender Fleck ab, der keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, dass sie sich gerade einnässte.
»Wie ich es den beschissenen Bullen schon sagte: Wir haben das Tor zur Hölle aufgestoßen. Wir haben den Untergang beschworen.« Sie lachte plötzlich, doch es klang mehr hysterisch, als belustigt. »Wir werden alle sterben, Doktorchen.«
»Um Himmels willen, nun beruhigen Sie sich erst mal wieder.«
»Mit dem Himmel hat das einen verdammten Scheiß zu tun, Sie armer, blinder Mann. Aber bald werden auch Sie die Wahrheit erkennen. Doch dann wird es zu spät sein. Ihre verfickte Welt ist dem Untergang geweiht, und es gibt nicht das Geringste, was Sie oder sonst jemand dagegen tun können.«
Sie wollte sich gegen die Injektion wehren, doch zwei hünenhafte Pfleger hielten sie so fest, als steckte sie in einer übergroßen Schraubzwinge. Die Nadel landete in ihrer Halsschlagader und das Medikament entfaltete schnell seine Wirkung. Silkes Blick wurde gläsern. Ihr Geist wurde mehr und mehr benebelt, ihre Sinne schienen in Watte eingewickelt zu werden.
»So. Und jetzt erzählen Sie uns noch einmal in aller Ruhe und ganz von vorne, was eigentlich geschehen ist.« Er lehnte sich zurück und lauschte gebannt den Worten der jungen Frau, die gerade den Eindruck erweckte, deutlich älter zu sein.
***
Wir hatten uns bei meinem Nachbarn verabredet. Zwei Kumpel von ihm und meine beiden besten Freundinnen. Mein Nachbar Dirk ist ein Grufti. Alles Düstere und Morbide begeisterte ihn, und er faszinierte mich auf eine Art, die ich selbst nie erklären konnte. Wir saßen öfter zusammen und ich hörte mir seine Gedichte an - über den Tod, böse Geister und Dämonen aus einer anderen Welt. Er war so talentiert, dass die Themen, die mich im Normalfall abgeschreckt hätten, auf einmal wie Poesie in meinen Ohren klangen. Wie dem auch sei. Irgendwann schlug er Gläserrücken vor, mit zwei seiner und zwei meiner Freunde am Samstagabend bei ihm. Ohne viel darüber nachzudenken und von der Neugier gepackt, willigte ich ein und bequatschte auch meine Freundinnen Ines und Deliah. Zuerst wollten sie nicht, aber sie vertrauten mir schließlich, dass ein spannender und interessanter Abend auf sie warten würde. Und tatsächlich kamen sie mit in das düstere Reich meines Nachbarn.
Als wir Dirks Wohnung betraten, beobachtete ich meine Freundinnen. Ihre Gesichtszüge waren den meinen vermutlich sehr ähnlich, als ich Dirks Dunkelkammer zum ersten Mal betreten hatte. Schwarze Wände, ein weinroter Teppich und Unmengen an Deko, die den Eindruck erweckte, er hätte seine Wohnung für Halloween ausstaffiert. Künstliche Spinnweben mit Dutzenden von täuschend echt wirkenden Plastikspinnen, Fledermäuse, Totenköpfe und umgedrehte Kreuze waren überall. Dirks Fernseher stand auf einem antiken Altar, der wirkte, als hätte man ihn aus einer Kirche gestohlen. Auf meine entsprechende Frage hin grinste er damals teuflisch und meinte nur:
»Glaub mir, das willst du gar nicht wissen.«
Ansonsten waren klassische Möbel nur in seiner Küche zu finden. Das Wohnzimmer bestand zu weiten Teilen aus selbst gebauten Regalen, die gefüllt waren mit Horrorbüchern und –filmen, mit Figuren und allem möglichen okkulten Zeug, von dem ich keine Ahnung hatte. Ja, es konnte einem schon unheimlich werden in dieser Wohnung, deren Rollläden stets heruntergelassen waren. Dirk Gerber scheute das Tageslicht wie ein verdammter Vampir. Er arbeitete von zu Hause aus als freier Game-Designer für eine Firma, die diese beknackten Handyspiele herstellte.
»Hallo, die Damen«, begrüßte er uns freundlich und mit seiner gewohnt charmanten Art, die so völlig konträr zu seinem Äußeren stand.
Er machte mir wieder einmal deutlich, wie verdammt oberflächlich wir allzu oft über Menschen urteilen. Seine langen, schwarz gefärbten Haare trug er zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bis zur Rückenmitte über das schwarze Hemd wippte, wenn er sich bewegte.
»Kommt doch rein. Meine Freunde müssten auch gleich da sein.«