13 SHADOWS, Band 40: SAAT DES BÖSEN - Petrina Crawford - E-Book

13 SHADOWS, Band 40: SAAT DES BÖSEN E-Book

Petrina Crawford

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

England in den 1960er Jahren: Joanna Bruce ist jung, hübsch und mittellos. Sie hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Eine Zufallsbegegnung in der U-Bahn bringt sie mit dem alten und mürrischen Martin Crask zusammen, der im Rollstuhl sitzt. Der steinreiche Crask bietet ihr sofort einen Job als Gesellschafterin an. Der einzige Nachteil: Sie muss ihn nach Cornwall auf sein Anwesen begleiten.

Joanna willigt ein. Das ihr angebotene Gehalt ist einfach zu gut.

Zunächst genießt Joanna ihr Luxusleben. Sie liest Mr. Crask vor und fährt ihn durch die wild-romantische Landschaft. Dabei entdeckt sie die Brandruine auf dem Anwesen und wird eindringlich vor den aufgegebenen Zinngruben gewarnt...

SAAT DES BÖSEN von Petrina Crawford wurde erstmals im Jahre 1967 in den USA veröffentlicht; in Deutschland erschien der Roman 1971 in der Reihe HORROR EXPERT.

SAAT DES BÖSEN erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



PETRINA CRAWFORD

SAAT DES BÖSEN

- 13 SHADOWS, Band 40 -

Roman

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

SAAT DES BÖSEN 

Vorspiel 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Epilog 

 

Das Buch

England in den 1960er Jahren: Joanna Bruce ist jung, hübsch und mittellos. Sie hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Eine Zufallsbegegnung in der U-Bahn bringt sie mit dem alten und mürrischen Martin Crask zusammen, der im Rollstuhl sitzt.  Der steinreiche Crask bietet ihr sofort einen Job als Gesellschafterin an. Der einzige Nachteil: Sie muss ihn nach Cornwall auf sein Anwesen begleiten.

Joanna willigt ein. Das ihr angebotene Gehalt ist einfach zu gut.

Zunächst genießt Joanna ihr Luxusleben. Sie liest Mr. Crask vor und fährt ihn durch die wild-romantische Landschaft. Dabei entdeckt sie die Brandruine auf dem Anwesen und wird eindringlich vor den aufgegebenen Zinngruben gewarnt...

SAAT DES BÖSEN von Petrina Crawford wurde erstmals im Jahre 1967 in den USA veröffentlicht; in Deutschland erschien der Roman 1971 in der Reihe HORROR EXPERT.

SAAT DES BÖSEN erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht.

SAAT DES BÖSEN

Vorspiel

Mit Hass im Herzen, in dem noch vor kurzem Dankbarkeit und Liebe gewesen waren, lenkte der Reiter sein Pferd durch die Nacht.

Der kalte Regen schlug ihm unter dem Schirm der Offiziersmütze ins Gesicht und vermischte sich mit dem Schweiß des hellbraunen Warmbluthengstes, den er ritt.

Es wäre, für die meisten Männer, ein unmöglicher Ritt gewesen, zumal in dieser regnerischen und sturmdurchtobten nächtlichen Schwärze; aber er kannte die Straße, kannte die ganze Landschaft so gut wie sein Gesicht im Rasierspiegel.

Vielleicht kannte er sie sogar besser, denn sein Gesicht hatte sich während der verflossenen Monate verändert. Seine Wangen waren eingefallen, seine Backenknochen waren deutlich zu sehen, die Augen waren tief in ihren Höhlen eingesunken. Von Tag zu Tag war sein Gesicht stärker eingefallen, so dass es schließlich eher an einen Totenschädel erinnerte.

Kurz vor dem Tor ließ er sein Pferd langsamer gehen, zog dann die Zügel straff und stieg ab.

Nach wenigen Schritten hatte er den Pfad entdeckt, schlang die Zügel des Pferdes um den dicken Zweig eines Gebüsches und ging zu Fuß weiter.

Das Haus befand sich über ihm und machte einen drohenden Eindruck. Er konnte es mehr fühlen als sehen.

Er bahnte sich einen Weg durch die Sträucher, von denen das Haus umgeben war, ging um eine Ecke herum und sah über sich einen Lichtstreifen, der durch einen Vorhangschlitz im ersten Stock schimmerte.

Er starrte ihn an und presste die Zähne zusammen. Die Kinnmuskeln in seinem hageren Gesicht spannten sich.

Nach drei Schritten hatte er eine tief in die Wand eingesetzte Tür erreicht und drückte deren Klinke nieder. Die Tür öffnete sich langsam, doch wenn dabei ein Geräusch entstand, so ging es in dem von Blitzen ausgelösten Donner unter.

Drinnen brannte kein Licht, aber er war auch nicht darauf angewiesen. Er bewegte sich so zielstrebig wie ein Blinder in seiner eigenen Wohnung.

Er befand sich im Kellergeschoss. Seine Finger tasteten nach dem kalten, feuchten Metallgeländer in Hüfthöhe, und er ging halb um den kompletten Kreis herum, den dieses Geländer beschrieb. Seine Lippen verzerrten sich zu einem sonderbaren Lächeln, als er an den Zweck und den Grund dachte, aus dem dieses Gebäude darüber erbaut worden war.

Jetzt ging er auf die hintere Wand zu und stieg dort eine Treppe hinauf.

Er öffnete eine weitere Tür und trat aus dem feuchten Keller in das Erdgeschoss des vollkommen ruhigen Hauses.

Nach dem Toben des draußen herrschenden Gewittersturms konnte er seinen Atem und das leicht quietschende Geräusch seiner Stiefel hören, als er sich auf die nächste Treppe zubewegte.

Er zog seinen Mantel aus und ließ ihn auf den Fußboden neben der untersten Treppenstufe fallen.

Seine Mütze legte er obendrauf.

Eine Hand auf das richtungsweisende Treppengeländer gelegt, stieg er - trotz seiner Größe und seines Körpergewichts - mit leichten Schritten nach oben.

Dort blieb er stehen und blickte den Korridor entlang.

Unter der einen Tür sah er einen Lichtschein, der wie ein silbernes Spinngewebe auf dem Läufer zu liegen schien.

Er bewegte sich geräuschlos, wie ein seine Beute anschleichender Tiger, auf diesen Lichtschein zu. Dann griff er mit der einen Hand nach dem Türknopf.

Drinnen hörte er zunächst das Lachen eines Mannes - dann das vergnügte Gelächter einer jungen Frau.

Er drehte den Türknopf herum, öffnete die Tür und trat mit einer fließenden Bewegung ein.

Das Paar in dem Himmelbett blickte ruckartig zur Tür, sah die große Gestalt in der Uniform mit den drei Sternen eines Captains auf den Schultern und einem Revolverhalfter an seinem Gürtel. Und diese Gestalt starrte sie an.

Die Frau saß auf der Bettkante und hatte sich gegen die Kissen gelehnt. Das weiche blonde Haar fiel ihr über die Schultern; ihre Augen waren groß und erschrocken. Sie trug einen leichten blauen Morgenmantel mit weißem Pelzbesatz, der von einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde. Die eine Hälfte war zur Seite gezogen, so dass man die volle rosige Brust sehen konnte.

Der auf der Bettkante sitzende Mann - er hatte sich über die Frau gebeugt trug eine Khakihose und ein Uniformhemd aus dem gleichen Stoff. Als er den Eindringling sah, wirkte sein Gesicht noch verstörter als das der Frau.

Der Mann an der Tür zitterte jetzt; seine Muskeln wurden steinhart, als er diese Szene in sich aufnahm.

Die Frau schlug die Hände vor ihr Gesicht, als wolle sie sich vor dem Anblick von etwas Unerträglichem schützen.

Der Mann fand seine Stimme wieder und stieß durch seine zusammengepressten Zähne hervor; »Dann ist es also wahr. Die ganze Zeit mit ihm und anderen. O Gott! Mit wie vielen anderen...«

Sie konnte nicht sprechen. Der Mann erhob sich langsam von der Bettkante und wich blassen Gesichts bis zur Wand zurück. Er wusste, dass er gekommen war, um seine Verabredung in Samarra einzuhalten.

Da sprang der große Captain auf den Mann los; seine linke Hand packte die Kehle, die Finger gruben sich in das weiche Fleisch des Halses, und die Faust des anderen Arms schlug wieder und wieder gnadenlos zu. Der andere Mann versuchte, die Hand von seiner Kehle zu reißen, die sich wie ein Schraubstock daran festgeklammert hatte, aber sie ließ nicht locker. Er sank in die Knie, wurde in dieser Position festgehalten, während die eiserne Faust unerbittlich weiter auf ihn einschlug.

Die Frau sprang aus dem Bett und wollte den wie ein Dreschflegel schwingenden Arm festhalten.

»Du wirst ihn umbringen!... Tue es nicht... Ich verspreche dir...«

Er kümmerte sich nicht um sie; seine Augen waren auf den Mann vor seinen Füßen gerichtet.

Er stoppte - gerade lange genug, um seinen Arm aus den Händen der Frau zu befreien und ihr - noch aus dem Schwung heraus - einen Rückhandschlag zu versetzen, der ihr die Nase und das Kinn brach und sie ins Bett zurückschleuderte. Die Wucht, mit der dieser Hieb ausgeführt wurde, war so verheerend, dass sie auf der anderen Bettseite auf den Boden stürzte und die Petroleumlampe auf dem Nachttisch mit hinunterriss.

Doch der Angreifer blickte nicht einmal in diese Richtung; er sah nur den Mann, der jetzt bewusstlos auf dem Boden lag. Er bückte sich, packte den Mann mit beiden Händen und warf ihn ohne sichtbare Anstrengung über seine Schulter. Dann machte er kehrt, ging zur Tür und verließ den Raum auf dem gleichen Weg, den er gekommen war.

Das ausgelaufene Petroleum der Nachttischlampe fing Feuer, und das Feuer züngelte gierig nach dem' Bettzeug und den Vorhängen des Baldachins. Dann hatte es auch den blauen Morgenmantel ergriffen. Die Frau erwachte schmerzgepeinigt aus ihrer Bewusstlosigkeit, stützte sich auf ihre Knie, schrie gellend und schlug mit ihren Händen auf die Flammen ein. Doch es war schon zu spät; der ganze Raum brannte lichterloh.

Hörte der Mann, der die Treppe hinunterging, diese Entsetzens- und Schmerzensschreie, so widmete er ihnen keinerlei Aufmerksamkeit. Er trug seine Last ins Kellergeschoss, legte sie auf den Boden und zündete ein Streichholz an, um nach der Lampe zu suchen, die auf einem Regal stehen musste.

Er fand die Lampe, hielt die Streichholzflamme an den Docht, stützte sich mit beiden Händen auf das kreisrunde Geländer und blickte nach unten. Nichts hatte sich verändert. Er streckte eine Hand aus und zog an einer Kette, die am Ende einen Haken hatte. Er beugte sich weit vor und ließ den Haken in der metallenen Haspe einer hölzernen Falltür einrasten. Die Kette lief über einen primitiven Flaschenzug. Als er an ihr zog, öffnete die Falltür sich langsam, und ein merkwürdiger Leichengeruch erfüllte den Raum.

Als die Klappe offen war, bückte er sich und zog die reglose Gestalt ohne jede Gefühlsregung an den Rand des Schachts. Kopf und Schultern hingen über, während der Rest des Körpers noch auf dem Kellerboden lag. Jetzt hob er die Beine an, bis der Körper das Übergewicht bekam und mit dem Kopf voran in die höllische Finsternis stürzte.

Der Mann zählte schweigend die Sekunden, bis er einen dumpfen Aufprall hörte. Dann schloss er wieder die Falltür und ging mit festen Schritten nach oben.

Als er den Korridor erreicht hatte, schlugen die Flammen bereits aus der offenen Tür. Wie aus einem Traum erwachend, in die Wirklichkeit gestürzt, rannte er darauf zu. In der Flammenhölle des Zimmers konnte keine Spur von Leben mehr vorhanden sein. Die anderen Lampen waren explodiert und hatten für einen Feuerregen gesorgt, der nichts verschont hatte.

Er stand in geduckter Haltung da, während schreckliche, fast tierische Schreie über seine Lippen kamen.

Dann machte er plötzlich kehrt und rannte blindlings die Treppe hinunter, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Er stöhnte laut und murmelte zusammenhanglose Worte.

»Mögen Sie vergehen... Das Feuer wird reinigen... sie werden mich nicht so behandeln - mich nicht!«

Wieder draußen im Gewitterregen, konnte er das Feuer im Fenster sehen. Als er beobachtete, zersplitterte das Fenster; die Außenluft drang ein, trieb das

Feuer vor sich her in den Korridor hinaus und hinein in die anderen Räume.

»Das werden sie mir niemals antun!«, schrie er laut. »Niemals!!!«

Ohne noch einmal zurückzublicken hetzte er durch die Sträucher und den Pfad hinunter zu seinem ungeduldig wartenden Pferd. Er keuchte heftig, als er sich auf das Pferd schwang und in die Nacht hineingaloppierte.

Keine Tat ist jemals beendet und erledigt, keine Handlung ganz abgeschlossen.

Selbst das Fallen der Henkerklappe bedeutet nur das Ende für einen Menschen. Für einen anderen Menschen kann es erst der Anfang sein...

So können sich die Konsequenzen einer Tat endlos durch die Jahre ziehen.

Und was ein Mensch sät, kann ein anderer ernten.

  Erstes Kapitel

Joanna Bruce ging mit raschen Schritten die Kilburn High Road entlang. Ihre Absätze klapperten über die Platten in Richtung der U-Bahn-Station Kilburn Park.

Sie sah sich absichtlich nicht die Schaufenster der Geschäftshäuser an. Das hatte keinen Sinn. Gewiss, die Schaufenster waren reine Blickfänge, aber sie brauchte nur an ihr dünnes Portemonnaie zu denken, um zu wissen, wie ein diesbezüglicher Vergleich ausfallen würde. Sie konnte sich wahrhaftig nicht kaufen, was sie wollte.

Dabei war sie hübsch und adrett gekleidet, trug einen grauen Mantel, der zwar nicht mehr neu, aber gut geschnitten war, und einen roten Kopfschal über ihrem blonden Haar.

Doch es war mehr ihr Gang und die graziöse Haltung ihres Körpers, die alle Männer faszinierten. Alle Muskeln ihres Körpers bewegten sich harmonisch. Doch sie war sich nicht ihrer anmutigen, beschwingten Gangart bewusst und bildete sich auch nichts auf ihr hübsches ovales Gesicht ein. Sie wusste nur, dass ihre Stirn im Augenblick ein wenig gekraust war. Alle Leute, denen sie auf der Straße begegnete, schienen nachdenklich dreinzublicken und über irgendein düsteres Problem nachzudenken. Aber sie wollte nicht so aussehen wie sie.

Sie dachte daran, dass sie von Natur aus zum Lächeln neigte. Doch man konnte nicht einfach in die Welt hineingrinsen, wenn man keinen echten Grund dazu hatte. Das Leben musste schön sein.

Und das Leben war nicht schön.

Sie war noch immer in einer geistesabwesenden Stimmung, als sie ein Ticket nach Paddington löste und dann die Rolltreppe hinunterfuhr. Es war kurz nach zehn Uhr morgens. Die Hauptverkehrszeit war einstweilen vorbei. Der Bahnsteig der Station wirkte so düster wie ihre eigenen Gedanken.

Ihre Stimmung hatte sich nicht gebessert, als sie in Paddington auf Bahnsteig 1 eine Rückfahrkarte nach Slough löste.

Sie fuhr nicht besonders gern nach Slough, doch sie hatte es nun einmal versprochen und hoffte, dass Paul in seinem Zimmer sich über nichts zu beklagen hatte. Vielleicht würde er sich wirklich ernsthaft mit seinem Buch beschäftigen.

Sie nahm an dem Schalterfenster ihr Ticket in Empfang und wandte sich gerade zum Gehen, als sie am Eingang der Station laute Stimmen hörte. Sie blickte in diese Richtung und sah eine gespenstische Szene.

In einem Rollstuhl saß ein alter Mann mit einem knochigen Gesicht. Er hatte tiefliegende Augen mit starken grauen Brauen darüber. Seine Nase war gekrümmt, und er hatte hohe, scharf hervortretende Backenknochen. Seine Wangen waren eingefallen. Er trug einen großen Schnurrbart, der abwärts gezeigt hätte, würde sich nicht jedes Haar vor Ärger gesträubt haben. Das galt auch für seinen weißen Haarschopf.

»Sie sind keine Schwester!«, bellte er. »Und deshalb sollten Sie auch keine Schwesterntracht tragen. Sie eignen sich besser für eine Gefängniswärterin und sind nicht viel sanfter als ein Henkerstrick!«

Die große Frau, der diese Worte galten, sah tatsächlich mehr wie ein Mann aus. Und Joanna stellte fest, dass sie sogar - oder war es nur Einbildung? - die Andeutung eines Schnurrbartes hatte. Sie ärgerte sich über den Wutausbruch des alten Mannes. Ihr Gesicht sah verkniffen aus, so als habe sie einen unangenehmen Geruch geschnuppert.

»Ich kann Sie nicht gebrauchen!«, schrie der alte Mann und schlug mit seinem Malakkasstock auf den Boden.

Die dritte Gestalt dieser Szene war ein kleiner, schlanker Mann mit einem scharfgeschnittenen dunklen Gesicht - ein verschlossenes Gesicht - und flinken schwarzen Augen. Er war ganz in Schwarz gekleidet, hielt den Griff des Rollstuhls und erweckte den Eindruck, als genieße er diese grobe Szene.

»Ich bin ein kranker Mann und möchte auch so behandelt werden - nicht wie ein Rekrut beim Garderegiment. Auch das wäre der geeignete Platz für Sie!«

Jetzt meldete sich die Schwester zu Wort. »Ich weiß natürlich, dass Sie ein kranker Mann sind, Mr. Crask«, sagte sie, »aber so lasse ich nicht mit mir reden. Ich quittiere sofort meinen Dienst bei Ihnen. Sie können sich bei der Agentur beschweren, die mich an Sie vermittelt hat.«

Sie machte steif auf einem Absatz kehrt, marschierte davon und bahnte sich energisch einen Weg durch die kleine Menschengruppe, die sich auf dem Schauplatz der Handlung versammelt hatte.

Was für seltsame Menschen gibt es doch in der Welt, dachte Joanna. Sie wollte zu ihrem Zug gehen, als sich das Wesen des alten Mannes auf dem Rollstuhl jäh veränderte.

Der Ärger, der ihm etwas Energie und Vitalität verliehen hatte, verebbte schlagartig. Er sank in seinem Rollstuhl zusammen. Seine Gesichtsmuskeln arbeiteten. Hatte Joanna sich anfangs über diesen offenbar unausstehlichen Alten geärgert, so überkam sie plötzlich ein Gefühl des Mitleids.

Sie war sich darüber im Klaren, dass sie nicht richtig handelte, aber sie ging hinüber und legte dem alten Mann eine Hand auf die Schulter.

»Sie dürfen sich nicht auf regen«, sagte sie. »Entspannen sie sich, dann wird es Ihnen wieder bessergehen.« Und sie dachte: Diesmal werde ich mich nicht von einem anderen Schicksal beeinflussen lassen!

Denn Joanna kannte sich genau.

Immer wieder hatte sie sich um lahme Hunde und kranke Katzen gekümmert. Das hatte schon angefangen, als sie noch ein kleines Mädchen war. Befand sich irgendein Tier in Schwierigkeiten, dann entdeckte sie es oder ließ es zu sich nach Hause bringen, wenn sie von ihm hörte. Irgendwie schienen von ihren Händen heilwirksame Kräfte auszugehen.

Bissige Hunde wurden plötzlich ganz zahm und leckten ihr die Hand. Und Katzen, obwohl unabhängige Geschöpfe, rieben sich schnurrend an ihren Beinen. Pferde und Rinder waren ihre natürlichen Freunde.

Später schloss diese Sympathie auch die Mitglieder der menschlichen Rasse ein. Menschen, die krank oder unglücklich waren, kamen zu Joanna, um sich trösten zu lassen. Sie strahlte in jedem Fall eine beruhigende Wirkung aus.

Ihre Mutter, die seit Jahren an einer mysteriösen und wahrscheinlich psychosomatischen Krankheit litt, die von Ärzten kaum genau diagnostiziert werden konnte, zählte zu den wenigen Leuten, die Joanna nicht heilen konnte. Doch selbst sie, die mürrisch in ihrem Bett lag, spürte die angeborenen Kräfte ihrer jungen Tochter und schlug eine Ausbildung als Krankenschwester vor. »Aber erst, wenn ich nicht mehr da bin, meine Gute. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Sie sagte das viele Jahre lang, und als Joanna fünf Jahre alt war, war das Martyrium ihrer Mutter ein Bestandteil ihres Lebens geworden. Ihr Vater war gestorben; ihre Mutter hatte sich ins Bett gelegt, hatte sich darin wie in einer Festung verschanzt, sich bedienen lassen und auf die Welt jenseits ihrer vier Wände geschimpft.

Sie starb erst vor zwei Jahren; Joanna war gerade einundzwanzig Jahre alt geworden.

Nach dem Tod ihrer Mutter hatte für Joanna ein neuer Lebensabschnitt begonnen, aber sie hatte niemals daran gedacht, ihre Ausbildung als Schwester zu beenden.

Jetzt, im Getriebe der Paddington-Station, schien ein Funke ihrer besonderen Gabe auf den alten Mann im Rollstuhl überzuspringen.

Unter ihrer Hand strafften sich seine Schultern. Er hob den Kopf und sah sie an. Sie blickte in seine durchdringenden schwarzen Augen, bei denen man nicht die Grenze zwischen Pupille und Iris erkennen konnte, die sie aber offensichtlich ungehalten betrachteten.

»Und was geht Sie das alles an?«, brummte der Alte.

»Zugegeben, es geht mich nichts an; aber Sie machten einen sehr kranken Eindruck. Ich dachte mir, dass ich Ihnen vielleicht helfen könnte.«

»Vielleicht haben Sie das schon getan.« Die dunklen Augen musterten jede Einzelheit ihres Gesichts. »Ist es Ihre Gewohnheit, alte Gentlemen in Rollstühlen zu trösten?« Seine Stimme klang noch sarkastisch.

Sie erwiderte leicht gereizt: »Ich helfe gern Menschen, die Schwierigkeiten haben, das ist alles. Ich habe auch keine Gewohnheit daraus gemacht.«

Seine Stimme nahm einen neuen und freundlicheren Tonfall an. »Mein Name ist Martin Crask. Und Ihr Name?«

»Joanna Bruce.«

»Wo wohnen Sie?«

»Um auf Ihre Frage einzugehen - was geht Sie das an?«

»Werden Sie nicht schnippisch, junge Lady! Meine Antwort ist, dass es mich durchaus etwas angehen könnte. Nun, wo wohnen Sie?«

»Kilburn.«

»Verheiratet?«

»Nein.«

»Und Ihr Beruf?«

Joanna sagte: »Wie es gerade kommt. Warum fragen Sie?«

»Weil ich Ihnen eine Stellung anbieten kann.«

Sie sah ihn forschend an. Er war alt und anscheinend ein Krüppel, doch in seinen Augen war eine seltsame Glut, der sie nicht so recht trauen konnte. »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie jemanden um sich brauchen, damit Sie diese Person am Ende so behandeln, wie Sie die Krankenschwester behandelt haben!«

»Ich habe Ihnen noch nicht gesagt, um welch eine Tätigkeit es sich handelt«, fauchte er, wenn auch nur trotzig.

»Wollen Sie es mir verraten, Mr. Crask?«

Er drehte sich nach dem kleinen, dunklen Mann um, der schweigend zugehört hatte. »Notieren Sie den Namen und die Adresse dieser jungen Lady, Roberts.« Dann zu Joanna: »Sie werden sicher noch von mir hören, Miss Joanna Bruce.«

Der dunkle Mann hatte Notizbuch und Bleistift gezückt. Da streifte Joannas Blick plötzlich die große Wanduhr. Ihr Schnellzug nach Slough musste in wenigen Sekunden abfahren. Sie murmelte hastig ihre Adresse, entschuldigte sich und rannte auf den Zug zu. Sie erwischte mit knapper Not den letzten Wagen.

Egal, es war kaum anzunehmen, dass sie von diesem alten Gentlemen jemals wieder etwas hören würde. Wie heißt er doch gleich?

Martin Crask...

  Zweites Kapitel

 

 

Wie man es auch betrachtet, dachte Joanna, Slough ist und bleibt eine öde Stadt. Und wie man den Namen auch ausspricht - Slow, Sluff, Slug, Sloo oder Slowe - es ist eine kleine Marktstadt, nichts weiter.

Aber für Tante Rose, die Schwester von Joannas Vater, die sechzig Jahre ihres Lebens hier verbracht hatte, war es die schönste Stadt der Welt. Ihr Mann war tot, ihre Kinder waren schon lange verheiratet und weggezogen. Joanna war das einzige Mitglied einer früher großen Familiengruppe, die noch immer verhältnismäßig enge Kontakte unterhielt.

Tante Rose machte sich in der tadellos sauberen Küche ihres kleinen Bungalows zu schaffen und redete unaufhörlich.

»Nun, das scheint mir ein reichlich komischer Mann zu sein. Wie kann man in einer U-Bahn-Station derart laut herumschreien, nicht wahr? Vielleicht war es einer von diesen schrulligen Millionären, über die ständig geredet und geschrieben wird. Doch abgesehen davon, wie geht es deinem jungen Freund? Hat er sein Buch endlich veröffentlicht?«

»Oh, Tante, es dauert eine Ewigkeit, bis ein Buch veröffentlicht ist!«

»Das mag sein, aber ich wundere mich nur, dass er die ganze Zeit schreibt und noch immer nichts veröffentlicht hat. Und man kann diesen Verlegern auch nicht trauen, ich weiß es.«

Wer Tante Rose so reden hörte, der hielt sie für eine nicht eben sehr gebildete Frau, doch sie war nicht dumm und stand mit beiden Beinen fest auf der Erde. Was sie wusste, das wusste sie, und man konnte es ihr nicht ausreden.

»Schreibt er noch immer in dem kleinen Zimmer?«, wollte sie wissen.

»Ja«, log Joanna.

Ihre Tante sah sie scharf an. »Und wer zahlt die Miete?«

»Er natürlich...«

»Ich weiß genau, wenn du lügst«, sagte ihre Tante überrascht. »Du kümmerst dich noch immer um ihn, nicht wahr«?

»Ich weiß, was ich tue, Tante.«

»Sicher, sicher. Aber ich weiß, dass das nicht richtig ist, und du müsstest das auch wissen. Ich weiß nicht, wie er in dem Zimmer sitzen, von deinem Geld leben und einfach weiterschreiben kann. Er kritzelt doch nur herum.«

»Er kritzelt nicht herum, sondern er benutzt eine Schreibmaschine.«

»Du willst mir nur ausweichen. Und versuche ein Stück Honigkuchen. Er ist mir ausgezeichnet gelungen. Nein, du kannst mir nicht helfen. Bleibe nur ruhig sitzen.«

Es ist immer wieder dasselbe, dachte Joanna und lächelte insgeheim. Manchmal ärgerte sie sich über ihre Tante, aber dann nahm die Unterhaltung zumeist eine andere Wendung, sie musste essen und trinken, und wenn sie sich dann verabschiedete, fühlte sie sich immer gelöst und geistig erfrischt.

Ihre Tante fuhr fort: »Ich weiß genau, wie du stets reagieren wirst. Ich weiß es seit der Zeit, als du mit dem Vogel nach Hause kamst, der sich einen Flügel gebrochen hatte. So etwas ist sehr nett, besonders dann, wenn es sich um einen kleinen, unscheinbaren Vogel handelt. Doch wenn er so groß ist, dass er einem buchstäblich das Dach über dem Kopf wegpickt...«

»Das ist kein Vergleich«, sagte Joanna lebhaft. »Paul schreibt ein großes Buch, das viel Geld einbringen wird. Und eines Tages wirst du froh sein, ihn zu kennen.«

»Was schreibt er eigentlich? Immer, wenn ich mich danach erkundige, sprichst du von Leuten.«

»Es handelt sich um Menschen. Menschen sind wichtig.«

»Die wichtigsten Menschen sind diejenigen, die einem helfen«, sagte ihre Tante. »Also sollte er etwas über dich schreiben.«

Joanna konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Es ist hoffnungslos mit dir, Tante! Er schildert alle Leute, die ihm begegnet sind, mit denen er aufgewachsen ist und so weiter.«

Tante Rose schnaufte geringschätzig. »Wenn er für das Fernsehen schreiben würde«, sagte sie, »vielleicht für die Sendereihe Coronation Street, dann wäre das etwas anderes.«

»Aber er will doch etwas anderes schreiben«, seufzte Joanna.

»Oder so was Ähnliches wie Notaufnahmestation 10«, fuhr Tante Rose erbarmungslos fort. »Oder wie die Archers im Radio. Das sind doch Stücke, in denen richtige Menschen mitspielen. Menschen wie du und ich, ja.«

Joanna wusste aus Erfahrung, dass es keinen Sinn hatte, mit ihrer Tante zu diskutieren. Aber sie konnte es nicht lassen und sagte: »Ich glaube, es ist für Paul sehr wichtig, dass er seinen Roman in aller Ruhe beenden kann. Wenn er eine andere Arbeit machen muss, um Geld zu verdienen, dann ist er, wenn er nach Hause kommt, so müde, dass er nicht an seinem Buch arbeiten kann. Doch jetzt kann er in Ruhe nachdenken und schreiben. Du wirst sehen, eines Tages werden wir noch alle stolz auf ihn sein.«