Seltsame Sally Diamond - Liz Nugent - E-Book
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Seltsame Sally Diamond E-Book

Liz Nugent

4,5

Beschreibung

Als ihr verwitweter Adoptivvater kurz vor ihrem 43. Geburtstag stirbt, nimmt Sally Diamond ihn beim Wort: Sie versucht, ihn mit dem Müll zu verbrennen. So wie er es ihr gesagt hat. Ein Fehler, denn nun interessieren sich plötzlich alle für die seltsame Frau, die sich gerne taub stellt, wenn sie unter Menschen geht und am liebsten für sich bleibt: Polizei, Nachbarn, Medien – und eine unheimliche Stimme aus einer Vergangenheit, an die sie sich nicht erinnert. Während sie nach und nach von den schrecklichen Geheimnissen ihrer frühen Kindheit erfährt, nähert sich Sally zum ersten Mal vorsichtig der Welt. Sie übt sich in Vertrauen, schließt Freundschaften, trifft große Entscheidungen und lernt, dass Menschen nicht immer meinen, was sie sagen und nicht immer sind, was sie vorgeben zu sein. Doch wer ist der mysteriöse Fremde, der so viel über sie zu wissen scheint und ihr Nachrichten von der anderen Seite des Globus schickt? Und wieso ist der neue Nachbar so besessen von ihr? Seltsame Sally Diamond ist ein Psychothriller vom Feinsten, ein Buch das unter die Haut geht, düster, hochspannend und ergreifend. Vor allem aber mit einer Hauptfigur, die so entwaffnend ehrlich, liebenswert und einzigartig ist, dass man sie nicht vergisst.

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InesRiege

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Sehr eindrucksvoll und unerwartet.Ich konnte gar nicht aufhören zu lesen.Eine ganz und gar ungewöhnliche Heldin .
00
Buecherwurm1910

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Ein zutiefst erschütternder Roman, der zeigt, wozu Menschen fähig sind. Sehr spannend wird die Geschichte von Sally und Peter erzählt, die aufgrund ihrer Erlebnisse psychisch sehr beeinträchtigt sind. Ich konnte das Buch kaum weglegen und es wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.
00

Beliebtheit




LIZ NUGENT

SELTSAME SALLY DIAMOND

Aus dem Englischen von Kathrin Razum

ROMAN STEIDL

Für Richard,in noch größerer Liebe

Fort, fort von Menschen und von Städten, Zum wilden Wald, zu Hügelketten

In die stille Wildnis flieh Wo die Seele ihre Melodie Nicht zähmen muss …

Percy Bysshe Shelley»To Jane: The Invitation«

Inhalt

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Zweiter Teil

Kapitel 16 – Peter, 1974

Kapitel 17 – Sally

Kapitel 18 – Peter, 1974

Kapitel 19 – Sally

Kapitel 20 – Peter, 1974

Kapitel 21 – Sally

Kapitel 22 – Peter, 1974

Kapitel 23 – Sally

Kapitel 24 – Peter, 1980

Kapitel 25 – Sally

Kapitel 26 – Peter, 1980

Kapitel 27 – Sally

Kapitel 28 – Peter, 1980

Kapitel 29 – Sally

Kapitel 30 – Peter, 1982

Kapitel 31 – Sally

Kapitel 32 – Peter, 1982

Kapitel 33 – Sally

Kapitel 34 – Peter, 1982

Kapitel 35 – Sally

Kapitel 36 – Peter, 1983

Kapitel 37 – Sally

Kapitel 38 – Peter, 1985

Kapitel 39 – Sally

Kapitel 40 – Peter, 1985

Kapitel 41 – Sally

Kapitel 42 – Peter, 1985

Kapitel 43 – Sally

Kapitel 44 – Peter, 1989

Kapitel 45 – Sally

Kapitel 46 – Peter, 1996

Dritter Teil

Kapitel 47 – Sally

Kapitel 48 – Peter, 2012

Kapitel 49 – Peter, 2019

Kapitel 50 – Sally

Kapitel 51 – Peter, 2019

Kapitel 52 – Sally

Kapitel 53 – Peter, 2020

Kapitel 54 – Sally

Kapitel 55 – Peter, 2020

Kapitel 56 – Sally

Epilog

Amanda, Mai 2022, Auckland Town Hall

Danksagung

Impressum

ERSTER TEIL

1

»Entsorg mich mit dem Müll«, sagte er immer. »Wenn ich sterbe, kannst du mich einfach mit dem Müll entsorgen. Ich bin dann ja tot, für mich macht das keinen Unterschied mehr. Du wirst dir natürlich die Augen aus dem Kopf weinen.« Er lachte, und ich lachte auch, denn wir wussten beide, dass ich mir nicht die Augen aus dem Kopf weinen würde. Ich weine nie.

Als es so weit war, am Mittwoch, dem 29. November 2017, befolgte ich seine Anweisungen. Er war zweiundachtzig Jahre alt, klein und gebrechlich, und ich bekam ihn problemlos in einen der großen Säcke für Gartenabfälle.

Er war seit etwa einem Monat bettlägerig gewesen. »Keine Ärzte«, sagte er. »Die Brüder kenne ich.« Was stimmte, denn er war selbst Arzt, Psychiater. Er durfte auch noch Rezepte ausschreiben und schickte mich immer nach Roscommon, damit ich sie einlöste.

Ich habe ihn nicht umgebracht, das nicht. Als ich an jenem Morgen mit seinem Tee ins Zimmer kam, lag er tot im Bett. Seine Augen waren geschlossen, gottseidank. Ich hasse es, wenn in den Fernsehkrimis die Leiche zum Ermittler hochstarrt. Vielleicht hat man die Augen ja nur auf, wenn man ermordet worden ist?

»Dad?«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass er tot war.

Ich setzte mich ans Fußende seines Betts, nahm den Deckel vom Becher und trank seinen Tee, obwohl mir der Zucker fehlte, den ich immer in meinen gebe. Ich tastete noch nach seinem Puls, aber seine wächserne Haut war eindeutig die eines Toten. Wobei wächsern nicht das richtige Wort ist. Es war eher so als … als gehörte die Haut nicht mehr zu ihm oder er nicht mehr zu der Haut.

Den Sack über den Hof zur Scheune zu befördern war mühsam. Ich musste ihn immer wieder auf die Schulter nehmen, sonst wäre er auf dem überfrorenen Boden aufgerissen. Als Dad noch gesund war, hatte er einmal im Monat den Abfall in der Feuertonne verbrannt. Er weigerte sich, die Müllgebühren zu bezahlen, und da wir an einem so abgeschiedenen Ort lebten, machte uns die Gemeinde keinen Ärger.

Ich wusste, dass sich Leichen zersetzen, dass sie verwesen und anfangen, übel zu riechen, deshalb hievte ich den Sack in die Feuertonne, schüttete etwas Benzin darüber und setzte ihn in Brand. Ich blieb nicht da, um dem Feuer bei seiner Arbeit zuzuhören. Das war nicht mehr er, es war nur noch ein Leichnam, ein Es in einer privaten Feuertonne in einer Scheune auf einer Weide bei einem Haus am Ende einer kleinen Straße, die von einer Landstraße abging.

Wenn Dad jemandem am Telefon beschrieb, wo wir wohnten, sagte er gern: »Sie finden uns ein Stück abseits vom Ende der Welt. Fahren Sie ans Ende der Welt, biegen Sie nach links ab, dann nach rechts und wieder nach links, und an dem Kreisverkehr, der dann kommt, nehmen Sie die zweite Ausfahrt.«

Er bekam nicht gern Besuch. Abgesehen von unserer Ärztin, Angela, war seit dem Tod meiner Mutter nur etwa alle zwei Jahre jemand zu uns gekommen. Einer hatte das Auto repariert, ein anderer den Computer eingerichtet, ein paar Jahre später war dann jemand gekommen und hatte Dad einen neueren Computer und das Internet gebracht, und der letzte Besucher hatte sich um unseren Breitbandanschluss gekümmert. Ich blieb bei diesen Gelegenheiten immer in meinem Zimmer.

Er bot nie an, mir beizubringen, wie man den Computer benutzt, erklärte mir aber, was so ein Computer alles kann. Ich schaute genug Fernsehen, um zu wissen, was Computer alles können. Sie können Länder bombardieren. Sie können Leute ausspionieren. Sie können Gehirnoperationen durchführen. Sie können alte Freunde und Feinde wiedervereinen und Kriminalfälle lösen. Nichts von alledem wollte ich. Mein Ding war das Fernsehen: Dokumentationen, Natur- und Geschichtssendungen, vor allem aber Spielfilme – Fantasy, besonders wenn sie in der Zukunft spielte, oder Geschichten aus dem viktorianischen Zeitalter, mit prächtigen Häusern und schönen Kleidern, und sogar die modernen Filme. Ich sah gern anderen Menschen bei ihrem aufregenden Leben zu: ihren leidenschaftlichen Liebesaffären, ihren unglücklichen Familien und ihren dunklen Geheimnissen. Was wohl einer gewissen Ironie nicht entbehrte, denn im wahren Leben mochte ich Menschen nicht. Die meisten jedenfalls.

Ich blieb lieber zu Hause. Dad verstand das. Meine Schulzeit war schrecklich gewesen. Ich nahm an allen Unterrichtsstunden teil, versuchte mich von den anderen Mädchen fernzuhalten und ging nach der Schule sofort nach Hause. Es hieß, ich sei Autistin, aber mein Dad, der immerhin Psychiater war, hatte mir gesagt, das sei ganz sicher nicht der Fall. Ich trat keinem Club und keiner AG bei, obwohl Mum mich regelrecht bekniete. Bei meiner Abschlussprüfung bekam ich in den Fächern mit erweiterter Anforderung zwei As, zwei Bs und zwei Cs, in Mathe und Irisch bestand ich knapp. Das war vor fünfundzwanzig Jahren, und danach zogen wir noch einmal um, in diesen Bungalow am Ende einer kleinen Straße, anderthalb Kilometer von dem Dorf Carricksheedy entfernt.

Der Wocheneinkauf war immer eine Tortur. Manchmal tat ich so, als wäre ich taub, damit ich mit niemandem reden musste, aber ich hörte die Kommentare der Schulkinder. »Da ist die Irre, die seltsame Sally Diamond.« Dad behauptete, das sei nicht böse gemeint. Kinder sind gemein. Die meisten jedenfalls. Zum Glück war ich kein Kind mehr. Ich war eine Frau von zweiundvierzig Jahren.

Als Erstes ließ ich mir immer auf dem Postamt Dads Rente und meine Invalidenrente auszahlen. Man hatte uns dort schon vor Jahren vorgeschlagen, die Rentenzahlungen direkt auf unsere Bankkonten überweisen zu lassen, aber Dad fand, wir sollten zumindest versuchen, ein bisschen Kontakt mit den Leuten im Dorf zu halten, deshalb ignorierten wir den Rat. Die Bank war in Roscommon, achtzehn Kilometer entfernt. In Carricksheedy gab es keinen Geldautomaten, aber in den meisten Läden konnte man mit Karte zahlen und sich Bargeld herausgeben lassen.

Ich holte auch Dads Post ab, denn er wollte nicht, dass ein Briefträger bei uns herumschnüffelte. Mrs Sullivan, die Leiterin des Postamts, rief dann immer laut und überdeutlich: »Wie geht’s Ihrem Dad, Sally?« Vielleicht dachte sie, ich könnte von den Lippen ablesen. Ich nickte und lächelte, und sie legte teilnahmsvoll den Kopf schief, als hätte sich etwas Tragisches ereignet. Dann ging ich zum Shop der großen Texaco-Tankstelle. Dort kaufte ich ein, was wir für die Woche brauchten, und machte mich anschließend wieder auf den Heimweg, und wenn ich in unsere schmale Straße einbog, merkte ich, wie meine Nervosität sich legte. Das Ganze dauerte nie länger als eine Stunde.

Früher hatte Dad mir immer geholfen, die Einkäufe auszupacken. Wir nahmen drei Mahlzeiten am Tag ein. Wir kochten füreinander. Das heißt, ich bereitete zwei Mahlzeiten zu und er eine, aber die Hausarbeit war gleichmäßig zwischen uns aufgeteilt. Als sich sein Alter mehr und mehr bemerkbar machte, tauschten wir die Zuständigkeiten. Ich übernahm das Staubsaugen, er räumte die Spülmaschine aus. Ich bügelte und brachte den Müll weg, er putzte die Dusche.

Dann verließ er irgendwann sein Zimmer nicht mehr, schrieb die Rezepte mit immer zittrigerer Hand und nahm kaum noch etwas zu sich. Zum Schluss aß er nur noch Eis. Manchmal, wenn seine Hände zu sehr zitterten, fütterte ich ihn, und an den Tagen, an denen er es nicht mehr rechtzeitig auf den Nachttopf schaffte, der unter seinem Bett stand und den ich jeden Morgen ausleerte und mit Chlorreiniger putzte, wechselte ich die Bettwäsche. Er hatte ein Glöckchen neben dem Bett stehen, aber wenn ich in dem Kabuff hinter der Küche war, hörte ich es nicht, und an seinen letzten Tagen war er zu schwach, um es noch zu benutzen.

»Du bist ein braves Mädchen«, sagte er matt.

»Und du bist der beste Dad der Welt«, sagte ich dann, obwohl ich wusste, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber es entlockte ihm immer ein Lächeln. Mum hatte mir beigebracht, es zu sagen. Der beste Dad der Welt war der aus Unsere kleine Farm. Und der sah auch noch gut aus.

Meine Mum hatte mich öfter zu einer Art Gedankenspiel ermuntert. Ich sollte mir vorstellen, was andere Leute dachten. Das fand ich komisch. Ist es nicht einfacher, sie zu fragen, was sie denken? Und was geht mich das überhaupt an? Ich weiß, was ich denke. Und meine Fantasie kann ich dazu nutzen, mir vorzustellen, ich täte solche Dinge wie die Leute im Fernsehen: Kriminalfälle aufklären, leidenschaftliche Liebesaffären haben. Aber manchmal spekuliere ich schon darüber, was die Leute im Dorf sehen, wenn sie mich anschauen. In einer Zeitschrift bei Angela im Wartezimmer habe ich mal gelesen, dass ich für meine Größe – ein Meter siebzig – drei Kilo zu viel wiege. Angela hat gelacht, als ich ihr die Zeitschrift zeigte, aber sie hat mich ermuntert, mehr Obst und Gemüse und weniger Kohlehydrate zu essen. Ich habe langes, kastanienbraunes Haar, das ich zu einem losen Dutt hoch auf dem Hinterkopf aufstecke. Ich wasche es einmal in der Woche in der Badewanne. An den übrigen Tagen setze ich eine Duschhaube auf und brause mich nur ab.

Ich trage immer einen meiner vier Röcke. Ich habe zwei für den Winter und zwei für den Sommer. Ich habe sieben Blusen, drei Pullover und eine Strickjacke, außerdem noch viele von Mums Sachen, Kleider und Jacken, alles alt, aber von guter Qualität. Mum ging gern mit ihrer Schwester, Tante Christine, in Dublin einkaufen, zwei- oder dreimal im Jahr »im Schlussverkauf«. Dad fand das nicht gut, aber sie hat immer gesagt, sie gibt ihr Geld aus, wie sie es will.

BHs trage ich nie. Sie sind unbequem, und ich verstehe nicht, warum so viele Frauen unbedingt einen tragen wollen. Wenn meine Kleider verschlissen waren, hat Dad mir bei Second-Hand-Portalen im Internet Ersatz gekauft. Nur Unterwäsche nicht. Die war immer neu. »Du gehst nicht gern einkaufen, und warum sollten wir Geld verschwenden«, pflegte er zu sagen.

Meine Haut ist rein und makellos. Auf der Stirn und um die Augen habe ich ein paar Falten. Ich schminke mich nicht. Dad hat mir mal Make-up gekauft und gemeint, ich sollte es ausprobieren. Durch meinen alten Freund, das Fernsehen, und die Werbung wusste ich, was ich damit zu tun hatte, aber mit den schwarz umrandeten Augen und dem rosa Lippenstift sah ich nicht mehr aus wie ich. Dad fand das auch. Er bot mir an, andere Artikel und andere Farben zu besorgen, aber er spürte wohl meine mangelnde Begeisterung, und wir redeten nicht mehr darüber.

Ich glaube, die Leute aus dem Dorf sehen eine zweiundvierzigjährige »Gehörlose«, die zu Fuß kommt und geht und gelegentlich einen uralten Fiat fährt. Sie nehmen wohl an, ich könne wegen meiner Taubheit nicht arbeiten und bekäme deshalb eine Rente. Ich bekomme eine Rente, weil ich Dad zufolge sozial defizitär bin.

2

Thomas Diamond war nicht mein wirklicher Vater. Ich war neun, als er mir das sagte. Wie ich wirklich hieß, erfuhr ich damals nicht. Er und meine Mum, die auch nicht meine wirkliche Mutter war, erzählten mir, sie hätten mich als Baby im Wald gefunden.

Erst beunruhigte mich das sehr. Ich habe nämlich sehr wohl Fantasie, auch wenn Dad oft das Gegenteil behauptete, und in den Geschichten, die ich las, waren im Wald gefundene Kinder Wechselbälger, die in den Familien, in die sie eindrangen, Unheil stifteten. Aber Mum hob mich auf ihre Knie und versicherte mir, diese Geschichten seien nur erfunden, nur Märchen. Ich hasste es, bei Mum auf den Knien zu sitzen, genauso wie bei Dad, also riss ich mich los und sagte, ich wolle ein Plätzchen. Ich bekam zwei. Ich glaubte an den Weihnachtsmann, bis ich zwölf war und Dad mir die traurige Wahrheit offenbarte.

»Aber warum denkt man sich sowas aus?«, wollte ich wissen.

»Für Kinder ist es schön, daran zu glauben, aber du bist kein Kind mehr.«

Das stimmte. Ich hatte angefangen zu bluten. Die Schmerzen meiner Periode lösten Zahnfee und Osterhase ab, und Mum und Dad erklärten mir nun auch andere Dinge. »Wenn es den Weihnachtsmann nicht gibt, was ist dann mit Gott oder dem Teufel?« Mum sah Dad an, und der sagte: »Das weiß keiner.« Diese Logik erschloss sich mir nicht. Wenn sie ganz sicher wussten, dass es den Weihnachtsmann nicht gab, warum waren sie sich bei Gott dann nicht so sicher?

Auf meine Kindheit folgten ödere, farblosere Teenagerjahre. Mum erklärte mir, dass sich jetzt vielleicht Jungs für mich interessieren würden, dass sie womöglich versuchen würden, mich zu küssen. Aber das geschah nie, nur einmal, als ich vierzehn war, versuchte es ein alter Mann an einer Bushaltestelle: Er presste seinen Mund auf meinen, und schob seine Hand unter meinen Rock. Ich schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, stieß ihn zu Boden und trat wieder und wieder gegen seinen Kopf. Dann kam der Bus, ich stieg ein und ärgerte mich, dass wir nicht abfuhren, weil der Fahrer ausstieg, um dem alten Mann zu helfen. Ich sah, wie er sich langsam hochrappelte, von seinem Kopf tropfte Blut. Der Fahrer fragte mich, was passiert sei, aber ich blieb stumm und tat so, als könne ich ihn nicht hören. Ich kam mit zwanzig Minuten Verspätung nach Hause und verpasste den Anfang von Blue Peter.

Als ich fünfzehn war, hörte ich, wie ein Mädchen aus meiner Klasse zwei anderen erzählte, ich sei ein Wolfskind, man hätte mich an einem Berghang gefunden und die Diamonds hätten mich adoptiert. Sie erzählte das in der Schultoilette. Ich saß auf dem Spülkasten, die Füße auf dem Klodeckel, und aß mein Mittagessen. »Ihr dürft das niemandem erzählen«, sagte sie. »Meine Ma hat es von einer Freundin erfahren, die damals, als es passiert ist, bei Dr. Diamond gearbeitet hat. Deswegen ist die auch so seltsam.«

Die anderen Mädchen behielten es nicht für sich. Ein paar Wochen lang versuchten sie, mit mir zu reden, fragten mich, ob ich gern bergstieg und ob ich Gras aß. Stella Coughlan sagte ihnen, sie sollten mich in Ruhe lassen, das gehe sie nichts an. Ich redete mit keiner von ihnen. Ich fragte auch Mum und Dad nicht danach. Ich wusste ja schon, dass ich adoptiert war, und ich wusste auch, dass ein Baby auf einem Berg nicht überleben kann und dass dumme Mädchen aus lauter Gehässigkeit Sachen erfinden.

Mum starb in dem Jahr nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte. Wir hatten uns viel gestritten. Sie wollte, dass ich auf die Universität ging und studierte. Sie hatte gegen meinen Wunsch die Bewerbungsformulare für mich ausgefüllt. Sie fand, ich solle Musik oder eine Naturwissenschaft studieren. Ich liebe Musik, und Klavierspielen ist wahrscheinlich das, was ich am liebsten tue. Seit meinem zehnten Lebensjahr hatte ich auf Mums Betreiben Unterricht bei einer Klavierlehrerin, die zu uns nach Hause kam. Ich mochte Mrs Mooney. Sie sagte, ich sei begabt. Sie starb, als ich ein Teenager war, und ich wollte keine andere Lehrerin, deshalb brachte ich mir alles Weitere selbst bei. Ich wollte keine Prüfungen ablegen. Mir machte es einfach Spaß zu spielen.

Mum sagte, mir stünden viele Möglichkeiten offen. Aber ich wollte keine fremden Leuten treffen, und ich wollte nicht von unserem neuen Zuhause weg. Dad sagte, ich könne ja ein Fernstudium absolvieren, aber Mum entgegnete, ich müsse »sozialisiert werden«, und ohne ein bisschen Druck würde ich das Haus nie verlassen oder mir eine Arbeit suchen. Ich sagte, ich wolle das Haus auch gar nicht verlassen, und da wurde sie wütend.

In der Woche nach diesem Streit erlitt sie bei der Arbeit in ihrer Hausarztpraxis im Dorf einen Schlaganfall und starb später dann im Krankenhaus. Die Beerdigung war in Dublin, weil dort ihre Verwandten und alten Freunde wohnten. Sie hatte sie alle regelmäßig besucht. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo ihre Schwester Christine mal uns besucht hatte, war ich ihr gefolgt wie ein Hündchen. Sie war eine Art glamouröse Version von Mum. Dad blieb in seinem Arbeitszimmer, wenn sie da war. Mum sagte, Dad vermittele Christine das Gefühl, nicht willkommen zu sein. Nach Mums Tod kam Tante Christine nicht mehr zu Besuch, aber sie schickte mir immer eine Geburtstagskarte mit Geld darin.

Dad fragte mich mit feuchten Augen, ob ich zur Beerdigung mitkommen würde, aber ich lehnte dankend ab. Ich musste Mums Kleider durchgehen und schauen, was davon mir passte und was ich spenden würde. Ich bat Dad, mir in Dublin ein Kochbuch zu kaufen, denn das Kochen hatte größtenteils Mum erledigt, und ich kannte mich zwar mit Gemüseschälen aus, nicht aber mit der Zubereitung einer vollständigen Mahlzeit. Aber ich wusste, dass ich aus Büchern lernen konnte.

Als Dad nach zwei Tagen aus Dublin zurückkam, fragte er mich, ob ich traurig sei und ob mir Mum fehle, und ich versicherte ihm, das sei beides nicht der Fall, er müsse sich keine Sorgen um mich machen. Dad sah mich mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck an, den er manchmal hatte, und sagte, wahrscheinlich könne ich mich glücklich schätzen, so zu sein, wahrscheinlich werde mich das mein Leben lang vor Kummer bewahren.

Ich weiß, dass ich nicht so denke wie andere Leute, aber was macht das schon, wenn ich mich von ihnen fernhalten kann? Dad hat immer gesagt, ich sei einzigartig. Mir ist das egal. Man hat mich schon vieles geheißen, aber ich heiße Sally. Jedenfalls ist das der Name, den Mum und Dad mir gegeben haben.

3

In den Tagen nach Dads Tod war es still. Vielleicht fehlte er mir doch? Ich hatte niemanden, mit dem ich reden, niemanden, für den ich Tee kochen, niemanden, den ich mit Eis füttern konnte. Niemanden, den ich waschen und frisch anziehen konnte. Wozu war ich noch nütze? Ich wanderte ziellos durchs Haus, und am dritten Tag ging ich in sein Arbeitszimmer und zog aufs Geratewohl Schubladen auf. Ich fand in einem Metallkasten einen Haufen Bargeld und Mums Schmuck. Jede Menge Notizbücher, jahrzehntealt, in denen er mein Gewicht, meine Größe und meine Entwicklung festgehalten hatte. Auf dem Schreibtisch einen dicken, an mich adressierten Umschlag. Zahllose Ordner mit meinem Namen darauf, nach Kategorien sortiert: Kommunikation, emotionale Entwicklung, Empathie, Begriffsvermögen, Gesundheit, Medikation, Defizite, Ernährung und so weiter. Zu viele, um sie jemals zu lesen. Ich betrachtete das Hochzeitsfoto auf dem Kaminsims und erinnerte mich, dass Mum mal gesagt hatte, sie hätten sich erst durch mich wie eine vollständige Familie gefühlt. Von der Vorstellung, ich sei ein Findelkind gewesen, hatten sie mich allerdings längst abgebracht. Sie hätten mich auf dem üblichen Weg adoptiert, sagte Mum. Sie fragte mich, ob ich gern mehr über meine leiblichen Eltern erfahren wollte, und als ich nein sagte, strahlte sie mich an. Ich fühlte mich immer gut, wenn ich meine Eltern zum Lächeln brachte.

Ich schaute mir alte Fotos aus Dads Arbeitsleben an, wie er auf Konferenzen in Zürich oder anderswo Vorträge hielt. Fotos von ihm und anderen ernst dreinschauenden Männern in Anzügen. Dad war die meiste Zeit damit beschäftigt, wissenschaftliche Texte zu lesen und zu verfassen, aber wenn Mum ihn in einem Notfall um Hilfe bat, kümmerte er sich auch mal um Patienten aus Carricksheedy oder aus der Region.

Er studierte die menschliche Psyche. Er sagte, mit mir sei alles in Ordnung, ich sei bloß emotional von anderen abgekoppelt. Ich sei sein Lebenswerk, sagte er. Ich fragte ihn, ob er mich wieder ankoppeln könne, und er sagte, Mum und er könnten nicht mehr tun, als mich zu lieben und zu hoffen, dass ich eines Tages lernen würde, sie auch zu lieben. Sie waren mir wichtig. Ich wollte nicht, dass ihnen etwas zustieß. Ich mochte es nicht, wenn sie sich über irgendetwas aufregten. Ich dachte, das sei Liebe. Ich fragte Dad immer wieder danach, doch er sagte, ich solle mir keine Gedanken machen, was immer ich fühlte, reiche völlig aus, aber ich glaube, er verstand mich nicht richtig. Manchmal bekam ich Angst, wenn zu viele Leute um mich herum waren oder ich auf Fragen keine Antwort wusste, oder auch bei einem zu lauten Geräusch. Ich dachte, durch meine Bücher und das Fernsehen könnte ich Liebe erkennen, aber ich weiß noch, wie wir mal an Weihnachten Titanic anschauten und ich dachte, dass Jack doch sowieso gestorben wäre, weil er ein Dritte-Klasse-Passagier war und außerdem ein Mann, und dass Rose ziemlich wahrscheinlich überlebt hätte, weil sie reich war und weil es immer hieß »Frauen und Kinder zuerst«. Warum also eine Liebesgeschichte dazuerfinden, die es in Wirklichkeit so nie gegeben hatte? Dad schluchzte.

Ich mochte es nicht, umarmt oder überhaupt berührt zu werden. Aber ich hörte nie auf, mich zu fragen, was Liebe ist. War das mein emotionales Abgekoppeltsein? Ich hätte Dad fragen sollen, als er noch lebte.

Fünf Tage nach Dads Tod klopfte Ger McCarthy an die Tür, ein Nachbar, der eine Weide hinter unserer Scheune gepachtet hatte. Ich war es gewohnt, ihn auf unserer kleinen Straße zu sehen. Er redete nicht viel, und Dad hatte immer gesagt, er sei »ein guter Mann, weil er keine Fragen stellt und kein belangloses Zeug redet.«

»Sally«, sagte er. »Aus eurer Scheune kommt ein übler Gestank. Meine Kühe sind alle da, aber ich hab gedacht, vielleicht hat sich ein Schaf da rein verlaufen und ist aus irgendeinem Grund nicht mehr rausgekommen und da drin gestorben. Soll ich mal nachschauen, oder meinst du, dein Dad kann das machen?«

Ich versicherte ihm, dass ich mich darum kümmern würde. Er ging seines Wegs, tonlos pfeifend, sein Overall voller Schlammspritzer.

Als ich zur Scheune kam, musste ich von dem Gestank würgen. Ich wickelte mir den Schal um den Mund und öffnete die Tür. Der Leichnam hatte nicht richtig gebrannt. Ich konnte noch die Körperform erkennen. Unten in der Feuertonne sah ich eine ölige Substanz. Es wimmelte von Fliegen und Würmern. Mit zusammengerollten Zeitungen aus dem Haus und Holzscheiten aus der Scheune zündete ich das Feuer wieder an.

Ich war enttäuscht von mir. Dad hätte mir genauere Anweisungen geben sollen. Wir verbrannten regelmäßig organisches Material. Leichen waren doch auch organisches Material? Vielleicht war das Feuer in einem Krematorium heißer. Ich würde das später zu Hause im Lexikon nachschlagen. Ich goss das restliche Benzin in die Tonne, damit es besser brannte, hoffte, beim zweiten Mal würde es funktionieren. Ich zog an meinen Haaren, um mich zu beruhigen.

Dann ging ich aufs Postamt, um meine Rente abzuholen, und Mrs Sullivan wollte mir auch Dads Rente geben. Ich schob die Scheine wieder zu ihr zurück, worauf sie mich fragend ansah und rief: »Ihr Dad braucht doch auch seine Rente!«

»Nein«, sagte ich. »Er ist gestorben.« Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe, und ihr Mund klappte auf.

»Meine Güte«, sagte sie. »Sie können sprechen. Das hab ich nicht gewusst. Was haben Sie gerade gesagt?«, und ich musste noch einmal wiederholen, dass ich Dads Rente nicht mehr brauchte, weil er tot war.

Sie schaute zur Frau des Metzgers, die hinter mir stand. »Sie kann sprechen«, sagte sie, und die Frau des Metzgers sagte: »Unglaublich!«

»Das tut mir ja so leid.« Mrs Sullivan schrie trotzdem weiter, und die Frau des Metzgers streckte den Arm aus und legte ihn auf meinen Ellbogen. Ich zuckte zusammen und schüttelte ihn ab.

»Wann ist denn die Beerdigung?«, fragte sie. »Ich habe gar keine Todesanzeige gesehen.«

»Es gibt keine Beerdigung«, sagte ich. »Ich habe ihn selbst eingeäschert.«

»Was soll das denn heißen?«, fragte Mrs Metzger, und ich erklärte ihr, ich hätte ihn in die Feuertonne gesteckt, weil er mir gesagt habe, ich solle ihn mit dem Müll entsorgen, wenn er tot sei.

Es wurde still im Raum, und ich wandte mich zum Gehen, da fragte Mrs Metzger mit bebender Stimme: »Woher wussten Sie denn, dass er tot war?«, und Mrs Sullivan sagte zu Mrs Metzger: »Ich weiß gar nicht, wen ich jetzt anrufen soll. Die Gardaí oder einen Arzt?«

Ich drehte mich wieder zu ihr um und sagte: »Für einen Arzt ist es zu spät, er ist tot. Und warum sollten die Gardaí kommen?«

»Sally, wenn jemand stirbt, müssen die Behörden benachrichtigt werden.«

»Aber das geht die doch gar nichts an«, protestierte ich. Sie brachten mich ganz durcheinander.

Zu Hause spielte ich eine Weile Klavier. Dann ging ich in die Küche und machte mir eine Tasse Tee. Mit dem Tee ging ich in Dads Arbeitszimmer. Das Telefon klingelte, und ich zog den Stecker. Ich betrachtete den Umschlag, der auf seinem Laptop lag und auf dem in Dads zittriger Handschrift »Sally« stand und »nach meinem Tod zu öffnen«. Es stand nicht dabei, wie lange nach seinem Tod ich den Umschlag öffnen sollte, und ich überlegte, ob vielleicht eine Geburtstagskarte darin steckte. Allerdings hatte ich erst in neun Tagen Geburtstag, ich würde also bis dahin warten. Ich wurde dreiundvierzig. Ich hatte das Gefühl, es würde ein gutes Lebensjahr werden.

Es war ein dicker Umschlag, und als ich ihn in die Hand nahm, merkte ich, dass er schwer war und viele Seiten enthielt. Also doch eher keine Geburtstagskarte. Ich steckte den Brief in meine Rocktasche. Ich würde ihn nach Mord ist ihr Hobby und Judge Judy lesen. Ich machte es mir im Wohnzimmer auf dem Sofa bequem, auf dem ich früher immer mit Mum gesessen hatte. Ich sah zu Dads leerem Sessel hinüber und dachte ein paar Minuten an ihn.

Bald war ich durch die Geschehnisse in Cabot Cove abgelenkt. Diesmal hatte Jessica Fletchers Gärtner mit der Witwe des reichen Anwalts angebändelt, und als er sich weigerte, seine Frau zu verlassen, brachte sie ihn um. Wie üblich übertrumpfte Jessica den Sheriff bei der Aufklärung des Verbrechens. Während einer der Werbepausen bei Judge Judy hörte ich, dass jemand an die Haustür klopfte.

Ich war bestürzt. Wer konnte das sein? Vielleicht hatte Dad auf seinem Computer etwas bestellt, allerdings war das nicht sehr wahrscheinlich, denn er hatte ihn vor seinem Tod etwa einen Monat lang nicht mehr benutzt. Als es weiter klopfte, stellte ich den Fernseher lauter. Dann hörte es auf, und ich musste das Programm ein Stück zurückspulen, denn Judge Judy lief jetzt wieder, und ich hatte ein Stück davon verpasst. Plötzlich erschien links von mir am Fenster ein Gesicht. Ich schrie auf. Aber es war nur Angela.

4

Dr. Angela Caffrey hatte die Arztpraxis, die sie früher mit Mum gemeinsam betrieben hatte, nach deren Tod übernommen. Ich war im Laufe der Jahre sehr oft dort gewesen. Wenn Angela mich anfasste oder untersuchte, machte mir das nichts aus, denn sie erklärte mir jedes Mal genau, was sie tun würde. Und sie sorgte immer dafür, dass es mir wieder besser ging. Dad mochte sie, und ich auch.

»Sally! Ist alles in Ordnung? Mrs Sullivan hat mir erzählt, Tom wäre gestorben, stimmt das?«

Ich stand befangen im Flur, an der Tür zu Dads Arbeitszimmer. Dad hatte Angela früher immer auf eine Tasse Tee ins Wohnzimmer gebeten, aber ich wollte nicht, dass sie länger blieb. Doch Angela hatte andere Pläne.

»Wollen wir nach hinten in die Küche gehen, und du erzählst mir alles?«

Ich führte sie die Stufen zur Küche hinunter.

»Oh, hier ist es ja blitzsauber – deine Mum wäre stolz auf dich! Ich war wirklich ewig nicht mehr hier.« Sie zog Dads Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich. Ich stand mit dem Rücken zum Herd.

»Also, Sally, ist dein Vater wirklich gestorben?«

»Ja.«

»Ach, der arme Tom! War er lange krank?«

»Er hat ziemlich abgebaut, und vor ungefähr einem Monat hat er sich dann ins Bett gelegt und ist nicht mehr aufgestanden.«

»Warum hat er mich denn nicht angerufen? Ich wäre doch sofort gekommen. Ich hätte dafür sorgen können, dass er nicht leiden muss.«

»Er hat Rezepte für Schmerzmittel ausgestellt, die ich in Roscommon eingelöst habe.«

»Er hat sich selbst Rezepte ausgestellt? Legal ist das ja nicht.«

»Er hat sie auf meinen Namen ausgestellt. Er hat gesagt, er würde dafür nicht ins Gefängnis kommen und ich auch nicht.«

»Verstehe.« Sie hielt inne. »Und wann genau ist er gestorben?«

»Als ich ihm am Mittwochmorgen seinen Tee gebracht habe, war er tot.«

»Oje, du Arme, das muss schlimm für dich gewesen sein. Also, ich will ja nicht neugierig sein, aber Maureen Kenny – «

»Wer?«

»Maureen, die Frau des Metzgers – sie hat gesagt, du hättest gesagt, dass es keine Beerdigung gibt und dass du ihn selbst hast einäschern lassen.«

»Ja.«

»Und wo hat diese Einäscherung stattgefunden?«

»In der grünen Scheune.«

»Wie bitte?«

»In der grünen Scheune.«

»Hier? Hinter dem Haus?«

»Ja.«

»Bist du denn gar nicht auf die Idee gekommen, jemanden anzurufen? Mich, das Krankenhaus, ein Bestattungsunternehmen?«

Ich hatte das Gefühl, in Schwierigkeiten zu sein, irgendetwas falsch gemacht zu haben.

»Er hat mir gesagt, ich soll ihn mit dem Müll entsorgen.«

»Er hat … was? Das war doch nur ein Witz, das hat er niemals ernst gemeint!«

»Mir hat er nicht gesagt, dass es ein Witz ist.«

»Aber wie konntest du dir sicher sein, dass er tot war?«

»Er hat nicht mehr geatmet. Möchtest du die Feuertonne sehen?«

Ihre Augen wurden ganz groß. »So geht man doch nicht mit … Sally, das ist eine ernste Angelegenheit. Nur ein Mediziner kann jemanden für tot erklären. Hat er irgendwelche Anweisungen für seine Beerdigung hinterlassen?«

»Nein, ich glaube …« – mir fiel der Umschlag ein. »Er hat das hier für mich hinterlassen.« Ich zog den Umschlag aus der Tasche.

»Und was steht da drin?«

»Ich habe ihn noch nicht aufgemacht.«

All das viele Reden machte mich ganz kirre. Entweder ich rede gar nicht, oder ich rede zu viel und sage Dinge, die niemand versteht außer mir selbst.

Ich hielt mir die Ohren zu, und Angela dämpfte ihre Stimme.

»Soll ich ihn aufmachen? Darf ich das lesen?«

Ich warf ihr den Umschlag zu und setzte mich ans Klavier, aber es beruhigte mich nicht. Ich ging in mein Zimmer, kroch unter das Federbett und die weiche blaue Decke. Ich fing an, mir Haare auszureißen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich fragte mich, wann Angela gehen würde. Ich wartete darauf, die Haustür ins Schloss fallen zu hören.

5

Ein leises Klopfen weckte mich. Draußen wurde es schon dunkel. Ich musste das Bewusstsein verloren haben. Das passiert manchmal, wenn mich etwas furchtbar mitnimmt, war allerdings seit Jahren nicht mehr vorgekommen.

»Sally?«, flüsterte Angela. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Angela war seit drei Stunden und fünfundzwanzig Minuten da.

»Ja?«

»Ich habe dir Tee und Bohnen auf Toast gemacht. Du solltest jetzt aufstehen, wir müssen etwas besprechen.«

»Ist Zucker im Tee?«

»Noch nicht«, sagte sie, »aber ich tu gleich welchen rein.«

»Welchen Becher hast du genommen?«

»Ich … das weiß ich nicht mehr.«

Ich öffnete die Tür und folgte Angela durch den Flur.

Sie reichte mir meinen Tee in Dads Scrabble-Becher. Ich gab anderthalb Löffel Zucker und einen Extra-Schuss Milch hinein. Sie trank ihren Tee aus einem Porzellanbecher, den weder Dad noch ich je benutzt hatten.

»Also, ich habe die Briefe von deinem Dad gelesen –«

»Ist es mehr als einer?«

»Ja. Keine Angst, Schatz. Es ist nur so, dass ich die Gardaí rufen muss, und die werden mit dir reden wollen. Aber du musst dir keine Sorgen machen, denn ich werde dabei sein, und ich werde ihnen erklären, dass du anders bist, und dafür sorgen, dass sie behutsam mit dir umgehen. Aber, und das ist der unangenehme Teil, sie werden bestimmt das Haus durchsuchen wollen, deshalb wäre es gut, wenn du für eine Weile zu Nadine und mir mitkommst, solange ihre Ermittlung läuft.«

»Was für eine Ermittlung?«

»Na ja, es ist einfach … also … ungewöhnlich, dass man den Leichnam eines Familienmitglieds verbrennt, das ist eigentlich nicht erlaubt, und in dem Brief – tut mir leid, dass ich dir das sagen muss, mein Schatz – stehen tatsächlich Anweisungen für die Beerdigung … neben vielem anderem.«

»Oh. Aber warum glaubst du, dass die Gardaí das Haus durchsuchen wollen? Im Fernsehen hinterlassen sie da immer ein furchtbares Chaos.«

»Sie wollen sichergehen, dass dein Dad eines natürlichen Todes gestorben ist. Aber er hat gewusst, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, das geht aus seinem Brief klar hervor. Und es ist völlig offensichtlich, dass er dir vertraut und dich geliebt hat. Ich bin davon überzeugt, dass die Autopsie beweisen wird, dass er schon tot war.«

»Ich will hier keinen Besuch, und ich will auch nicht mit zu dir kommen.«

»Sally, wenn ich das Ganze nicht steuern kann, dann landest du unter Umständen für ein paar Nächte oder sogar noch länger in einer Gefängniszelle. Bitte glaub mir. Deine Mum und dein Dad hätten gewollt, dass ich dir helfe. In dem Brief hat dein Dad geschrieben, dass du mich anrufen sollst, wenn er gestorben ist.« Ich riss wieder an meinen Haaren. Sie streckte die Hand nach mir aus, aber ich wich zurück. »Entschuldige, das war gedankenlos – tut mir leid«, sagte sie.

»Aber er hat mir nicht gesagt, wann ich den Brief aufmachen soll. Da steht nur, dass ich den Umschlag nach seinem Tod aufmachen soll. Dass ich das noch am selben Tag hätte machen sollen, wusste ich nicht.«

»Ich weiß, aber ich fürchte, das wird jetzt einen ziemlichen Wirbel geben. Ich muss die Gardaí anrufen, und sie werden dich befragen wollen. Vielleicht brauchst du sogar einen Anwalt. Aber ich werde bei dir bleiben und alles erklären, was dein Dad nicht in seinen Briefen erklärt hat, wobei er da sehr gründlich war.« Sie hielt inne. »In den Briefen stehen ein paar Dinge, die dich vielleicht … verstören werden. Aber wir gehen das ganz langsam an. Dein Dad wollte, dass du nur einen pro Woche liest. Es gibt drei verschiedene Teile.«

»Warum?«

»Na ja, weil – weil es da viel zu verdauen gibt. Ich dachte ja, deine Mum und dein Dad hätten mir deine Lebensumstände ganz offen geschildert, aber anscheinend gab es da einiges, was sie niemandem verraten haben.«

»Über mich?«

»Ja, Sally. Aber darüber können wir ein andermal reden. Ich muss jetzt die Gardaí anrufen. Möchtest du vielleicht ein mildes Beruhigungsmittel, bevor sie kommen? Damit dich das alles nicht so aufregt?«

»Ja, bitte.«

6

Es kamen zwei Gardaí, nicht einer. Ein Mann und eine Frau. Ich schaute ihnen nicht ins Gesicht. Sie waren nett und ruhig, bis ich ihnen sagte, dass ich meinen Dad in einen Müllsack und dann in die Feuertonne gesteckt hatte. Die Frau erhob die Stimme: »Was in aller Welt haben Sie –«

Angela bat sie, leiser zu sprechen. Durch die Pille, die Angela mir gegeben hatte, fühlte ich mich wie in einer Art Traumwelt. Sie sagten, sie müssten sofort die Kollegen von der Spurensicherung benachrichtigen, und ich solle eine Tasche mit dem Nötigsten packen und das Haus verlassen. Die Sachen, die ich an dem Tag, als mein Vater gestorben sei, angehabt hätte, müssten allerdings dableiben. Als ich auf einen Stapel frisch gewaschener Wäsche deutete, stöhnten sie auf. Angela sagte, sie müsse den Gardaí eine Kopie von Dads Brief mitgeben, und fotokopierte ihn in Dads Arbeitszimmer, während ich in mein Zimmer ging, um meine Sachen zu packen. Die Polizistin folgte mir mit missbilligendem Schnalzen. Ich nahm Dads Koffer. Einen eigenen hatte ich nicht. Er hätte nichts dagegen gehabt. Es war dunkel draußen, und normalerweise wäre ich schon im Bett gewesen.

»Können Sie bitte nicht so ein Chaos anrichten?«, sagte ich. Der Mann sagte, sie würden ihr Bestes tun, und die Frau schnaubte und sagte: »Da hätten Sie aber Glück.« Angela gab dem Mann die kopierten Seiten und bat ihn, dafür zu sorgen, dass sie bei den ranghöchsten Beamten im Ermittlungsteam landeten. Er nickte. Er sagte auch sonst nicht viel. Er wollte die Autoschlüssel für den Fiat haben. Ich gab sie ihm, bat ihn aber, den Sitz nach ihrer Fahrt, wo immer sie auch hinwollten, wieder genauso einzustellen, wie er jetzt war. Sie sagten, ich müsse am nächsten Morgen auf der Polizeiwache in Roscommon erscheinen. Angela versprach, mich höchstpersönlich hinzubringen.

Als ich das Haus verließ, hörte ich die Polizistin zu ihrem Kollegen sagen: »Die ist doch total gestört«, aber er merkte, dass ich es gehört hatte, und brachte sie zum Schweigen. Sie drehte sich nach mir um, und an ihrem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass sie angewidert war.

Ich verstehe nicht, was sie anwiderte. Das Haus war makellos sauber. Als ich zu Angelas Auto ging, kamen vier Streifenwagen die Einfahrt hoch, und die Leute, die ausstiegen, zogen sich weiße Plastikanzüge über ihre Kleider. Sie stellten riesige Scheinwerfer auf, die auf unser Haus und die Scheune gerichtet waren. Angela sagte, sie behandelten es als Tatort.

Ich war ein bisschen schläfrig, aber ich wollte lieber dableiben. In Krimis schiebt die Polizei Leuten oft falsches Beweismaterial unter oder kontaminiert den Tatort. Ich musste aufpassen, dass das nicht passierte. Angela versicherte mir, das werde nicht geschehen.

Auf der Fahrt zu ihr nach Hause redeten wir nicht viel, aber ich betrachtete sie, während sie die Straße im Blick behielt. Sie war schön rundlich. Wie die Omas in alten Fernsehserien. Ihre Haare waren grau und lockig. Sie trug ein kariertes Hemd, einen Jeansrock und Stiefeletten. Mir gefiel es, wie sie aussah. Sie schaute kurz zu mir herüber und lächelte, allerdings mit gerunzelter Stirn. Dad hatte mich immer davor gewarnt, vom Aussehen der Leute auf ihr Verhalten zu schließen, aber Angela mochten wir beide.

7

Ich erwachte in einem fremden Bett in einem fremden Haus, aber auf dem Bett lag meine blaue Decke. Ich hatte sie am Abend zuvor eingepackt. Ich machte den Mund auf, um zu schreien, aber Dad hatte immer gesagt, ich dürfe nur schreien, wenn ich in Gefahr sei. War ich in Gefahr? Bald würde ich noch einmal erklären müssen, warum ich meinen Dad entsorgt hatte. Ich machte den Mund wieder zu und schrie nicht. Mir fiel ein, dass Mum immer gesagt hatte, wenn man sich an die Wahrheit halte, könne einem nichts passieren.

Ich hörte Geräusche vor der Zimmertür. »Hallo?«, rief ich.

»Sally, ich lege dir ein paar grüne Handtücher ins Bad. Die Dusche ist leicht zu bedienen. In etwa zwanzig Minuten gibt es unten Frühstück, okay?«

Nadines Stimme. Nadine war Angelas Frau. Ich war ihr ein paarmal in Carricksheedy begegnet. Sie war jünger als Angela und trug ihr langes blondes Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Sie führte die Hunde aus und versorgte die Hühner und verdiente ihr Geld damit, dass sie Möbel entwarf. Ich mochte die Hunde nicht und ging deshalb immer auf die andere Straßenseite. »Wir haben die Hunde rausgeschickt, du brauchst also keine Bedenken zu haben, okay?«

Dad war bei ihrer Hochzeit gewesen. Mich hatten sie auch eingeladen, aber ich war nicht hingegangen. Zu viel Trubel.

Ihr Bad sah aus wie in einem Hotel oder einem Film oder in einer Werbung für Badezimmer. Ich setzte mich auf die Toilette, dann wusch ich mir die Hände, putzte mir die Zähne und trat schließlich in die große Duschkabine, die eine Wand aus Glas hatte. Zu Hause hatten wir ein Familienbadezimmer und eine separate Toilette, und die Dusche war ein Gummischlauch, der an die Wasserhähne in der Badewanne angeschlossen war.

Wegen der Stromrechnung sah Dad es nicht so gern, wenn wir badeten, also gönnten wir uns das nur einmal in der Woche und begnügten uns ansonsten mit der Dusche. Die Dusche bei Angela und Nadine war toll. Als ich fertig war, kämmte ich mir in meinem Zimmer die Haare, steckte sie auf, machte das Bett und ging nach unten.

Es war hell. Durch die Glastüren strömte die Sonne herein, Küche und Wohnzimmer waren ein einziger großer Raum. Ganz modern. Alle Wände waren gerade, alle Ecken rechtwinklig. Häuser wie dieses kannte ich vom »Nachher« in Heimverschönerungs-Sendungen. Dad hatte sich die gern angeschaut. Er hatte immer über die Hausbesitzer gelacht. »Mehr Geld als Grips!«, sagte er oft. Oder: »Kokolores!«

Angela stand am Grillofen und wendete Würstchen und Bacon. »Magst du auch was davon, Sally?«

Ich hatte Hunger. Die Bohnen auf Toast am Abend zuvor hatte ich nicht gegessen, weil ich so durcheinander gewesen war.

»Ja, gerne.«

Vor dem Fenster saßen zwei Hunde und schauten zu Angela hoch, während sie die Speckscheiben ein weiteres Mal wendete.

»Die Jungs sehen hungrig aus«, sagte Nadine grinsend und winkte ihnen zu. Sie bellten.

»Welche Jungs?«, fragte ich.

»Die Hunde, Harry und Paul.«

»Das sind ja komische Namen für Hunde.«

Angela grinste ebenfalls. »Wir haben sie nach unseren Ex-Männern benannt«, und dann lachten sie beide. Auch ich lächelte, obwohl ich das den Ex-Männern gegenüber schon ein bisschen unhöflich fand.

Ich war sieben Stunden und fünfzehn Minuten auf der Polizeiwache. Sie machten Fotos von mir und nahmen meine Fingerabdrücke. Die ersten siebenundvierzig Minuten musste ich allein in einem Verhörraum sitzen, dann kamen zwei Frauen im Kostüm herein, Detective Sergeant Catherine Mara und Detective Inspector Andrea Howard, und kurz darauf ein mürrischer Mann, der sich als Geoff Barrington vorstellte, mein Anwalt. Howard schaltete ein Aufnahmegerät ein, und für die Aufzeichnung stellten sich alle noch einmal vor. Ich wollte sie nicht ansehen, deshalb schaute ich auf den Holztisch mit all den Kratzern. Jemand hatte in eckigen Buchstaben das Wort »Fotze« reingeschnitzt. Das war ein sehr ungehöriges Wort.

Sie wollten dreimal hintereinander die Geschichte vom Tod meines Dads von mir hören, und ich wurde etwas ärgerlich, weil ich immer wieder das Gleiche sagen musste. Geoff seufzte tief und sagte, es sei das Beste, wenn ich die Fragen einfach beantwortete. Sie fragten mich, ob ich nicht gewusst hätte, dass es in einer Feuertonne nicht heiß genug wird, um menschliche Überreste zu verbrennen. Ich schüttelte den Kopf. Sie sagten, ich solle laut antworten, für die Aufzeichnung. Ich sagte, ich hätte das nicht gewusst, weil wir außer Plastik immer alles darin verbrannt hätten.

Dann fragten sie mich nach den Briefen und warum ich sie nicht gelesen hätte. Die eine lachte, als ich sagte, ich hätte mir überlegt, bis zu meinem Geburtstag damit zu warten. Da wurde ich wütend. »Was gibt es da zu lachen?«, rief ich. Geoff legte mir die Hand auf den Arm, aber ich schüttelte sie ab.

»Sally, warten Sie immer bis zu Ihrem Geburtstag, ehe sie Ihre Post aufmachen?«

»Ich bekomme keine Post«, sagte ich.

Er schrieb wieder etwas in sein Notizbuch und bat sie, nicht mehr zu lachen, weil das seine Klientin triggere. Ich starrte ihn an. Er sah so müde aus, wie ich mich fühlte.

Mara fragte mich nach meinem Geburtsdatum, obwohl sie das schon zweimal gefragt hatten. Sie wollten wissen, was mein wirkliches Geburtsdatum sei, aber ich war mir nicht sicher, was sie damit meinten. Dann fragten sie mich nach meiner Adoption und ob ich wisse, wer meine leiblichen Eltern seien, was mich verwunderte – ich verstand nicht, was das für eine Rolle spielen sollte. Ich sagte ihnen, Mum und Dad hätten mich über eine Agentur adoptiert, als ich sechs gewesen sei, und ich wisse nichts über meine leiblichen Eltern. Sie fragten mich nach meinen frühsten Erinnerungen, und ich antwortete, die früheste sei die, wie ich mit sieben die Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen ausgepustet hätte. Sie fragten mehrmals auf unterschiedliche Weise, ob ich mich an irgendwas davor erinnerte, und ich sagte nein, und dann sagten sie, ich solle versuchen, mich weiter zurückzuerinnern, und ich sagte, mein Dad hätte immer gesagt, ich müsse mich nicht an Dinge erinnern, an die ich mich nicht erinnern wolle.

»Aber«, sagte Howard, »Sie müssen doch noch irgendwelche Bilder aus Ihrer frühen Kindheit im Kopf haben?« Ich schüttelte den Kopf. Wieder wurde ich aufgefordert, für die Aufnahme laut zu antworten. »Ich erinnere mich an nichts, was vor meinem siebten Geburtstag war«, sagte ich. Geoff bat darum, draußen mit den beiden sprechen zu können.

Wenig später kam Angela mit einem Burger und Pommes von Supermacs. Ein anderer Garda stand in der Ecke des Raums. Ich bot ihm von den Pommes an, aber er lehnte ab. »Sie sind in Ordnung«, sagte er. Ich mochte ihn. Er sah ein bisschen aus wie der junge Harrison Ford. Ich hätte mich gern mit ihm unterhalten. Aber er sagte nichts mehr und schaute auf seine Schuhe hinunter. Ich schaue auch auf meine Schuhe hinunter, wenn ich mich unbehaglich fühle.

Angela teilte mir mit, die Polizei werde noch ein paar Tage in meinem Haus sein, und möglicherweise werde man mich eines Verbrechens beschuldigen.

»Was denn für ein Verbrechen?«, fragte ich.

Sie antwortete nicht. »Überlass das mal alles Geoff. Wirklich, er will nur dein Bestes.«

8

Ich verbrachte fünf Nächte bei Nadine und Angela. Geoff sprach hauptsächlich mit Angela und ignorierte mich, was mir durchaus recht war, allerdings redeten sie die ganze Zeit über mich. Angela vergewisserte sich ab und zu, dass ich auch alles verstand, was besprochen wurde, aber Geoff wandte sich nie direkt an mich, außer beim letzten Mal, als wir in seiner Kanzlei in Roscommon waren und er mir zum Abschied die Hand geben wollte. Ich zog meine schnell weg. Es ist einfacher, jemanden anzuschauen, wenn er einen selbst nicht anschaut. Er sah gut aus und hatte wohl auch gute Arbeit geleistet, denn er sagte, die Anklage wegen rechtswidriger Entsorgung eines Leichnams werde unter den gegebenen Umständen sehr wahrscheinlich fallengelassen. Angela sagte, es liege daran, dass ich anders sei.

Geoff und Angela waren sich einig, dass es rechtlich nicht möglich war, sie zu meiner gesetzlichen Vertreterin oder meinem Vormund zu machen, weil ich erwachsen sei und fast immer eigenständige Entscheidungen getroffen hätte, auch wenn sie zum Teil »fehlgeleitet« gewesen seien. Aber Geoff meinte, das Gericht werde es möglicherweise zur Bedingung machen, dass ich künftig, wenn ich wieder in irgendeine schwierige Situation käme, Angela oder einen Garda um Rat fragte. Falls ich also zum Beispiel noch einmal erwägen sollte, einen Leichnam zu verbrennen, würde Angela die Lage einschätzen und mir dann sagen, was ich tun sollte. Ich fand das kein gutes Beispiel. Dieses ganze Theater würde ich ganz bestimmt nicht noch einmal über mich ergehen lassen.

Geoff sagte, mein Vater habe mir in seinem Testament Geld vermacht. Wie viel genau, wisse er nicht, denn es sei zu einem großen Teil in Aktien und Rentenpapieren angelegt, das werde er alles noch klären, aber »wenn Sie sparsam sind, können Sie davon eine ganze Weile leben.« Allerdings muss ich ab jetzt Müllgebühren bezahlen und meinen Abfall trennen: Ich bekomme für Kompost, recycelbare Materialien, weiches Plastik und Glas jeweils eine eigene Tonne, alle in unterschiedlichen Farben, und die muss ich abwechselnd ans Tor stellen und von den Müllmännern mit ihren stinkenden Lastern leeren lassen. Und der Briefträger bringt mir von nun an die Post, aber mir wurde versichert, dass er nicht ins Haus kommen wird. So sei es praktischer, meinte Angela.

Ich war jetzt nicht mehr gern allein zu Hause, denn dauernd erschienen irgendwelche Leute bei mir vor der Tür. Sie wollten mich interviewen oder meine »Version der Geschichte« hören. Wobei sie sich viel mehr für meine Adoption interessierten als dafür, dass ich meinen Dad angezündet hatte. Das verwirrte mich. Was hatte denn das eine mit dem anderen zu tun?

In Carricksheedy starrten mich jetzt alle an. Einige lächelten und legten den Kopf schief. Mitfühlend. Andere wechselten die Straßenseite, wenn sie mich kommen sahen, und das fand ich völlig in Ordnung. Wieder andere begannen mich zu grüßen, sogar die jungen Leute im Texaco-Shop, wenn sie mal den Kopf von ihren Handys hoben. »Hallo Mary!«, sagten sie.

Ich heiße Sally, ganz egal wie sie mich nannten.

Die Polizei richtete bei mir zu Hause ein schreckliches Chaos an. Ich konnte nicht anders als schreien, als ich es sah. Angela und Nadine waren bei mir. Angela wies mich an, tief durchzuatmen und zu zählen, damit ich meine Mitte wieder fand, und dann machten wir uns gemeinsam daran, alles wieder aufzuräumen. Aber nach einer Weile bat ich sie, zu gehen, denn sie wussten nicht, was wo hingehörte, und es war einfacher, wenn ich es allein machte.

Am dritten Abend nach meiner Rückkehr sagte Angela, bevor sie ging, sie werde ab jetzt zweimal die Woche vorbeikommen und nach mir schauen, und ich sei bei ihnen jederzeit willkommen. Dann gab sie mir den ersten Teil von Dads Brief. Sie sagte, ich solle mich nicht schlecht fühlen oder traurig sein. Ich wusste inzwischen, dass es verkehrt gewesen war, zu versuchen, Dads Leichnam zu verbrennen. Alle hatten mir das gesagt. Wenn man mir etwas einmal unmissverständlich sagt, ohne Gewitzel oder Mehrdeutigkeit, verstehe ich es vollkommen. So wie sie das jetzt breittraten, hätte man meinen können, ich hätte seit Jahren nichts anderes getan als nebenbei Leichname zu verbrennen. Es war nur ein Leichnam gewesen, und Dad hatte mir gesagt, dass ich es tun sollte, jedenfalls mehr oder weniger.

Als ich das Haus endlich wieder in Ordnung gebracht hatte, war es der 13. Dezember, 20 Uhr, und ich setzte mich vor den Fernseher, um Holby City anzuschauen. In dieser Folge hatte Essie Geburtstag, und mir fiel plötzlich ein, dass auch ich Geburtstag hatte. Ich drückte die Pausetaste. Wie hatte ich das vergessen können? Das passierte mir sonst nie. Aber es hatte so viel Ablenkung gegeben.

In den letzten zehn Jahren hatte ich mir immer selbst einen Geburtstagskuchen gebacken, nach einem Rezept von Delia Smith. Obwohl ich das Rezept längst auswendig kannte, nahm ich das Kochbuch immer wieder gern vom Regal. Ich mochte Delia. Auf dem Umschlagfoto lächelte sie und trug eine rote Bluse. Ich hatte immer mindestens eine Bluse wie ihre. Leuchtend rot und bis zum Hals geknöpft. Auf Delia war Verlass. Ich dachte mir, falls ich jemals eine beste Freundin haben sollte, wäre es jemand wie Delia.

Es war zu spät, um noch einen Geburtstagskuchen zu backen, aber ich war jetzt dreiundvierzig. Ich beschloss, Holby City zu Ende zu schauen und dann Dads Brief zu lesen. Als die Folge vorbei war, machte ich den Fernseher aus. Es waren zwei Seiten. Wenn Dad einen langen Brief bekam, trank er immer ein Glas Whiskey, während er ihn las. Jetzt war ich die Hausherrin, und es war an der Zeit, dass ich Dinge so tat, wie Dad sie getan hatte. Außer dem Müllverbrennen natürlich.

1. November 2017

Liebste Sally,

wir haben wohl beide gewusst, dass dieser Tag nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, und es tut mir leid, wenn du traurig bist, aber wenn nicht, ist das auch in Ordnung.

Als Erstes solltest du jetzt Dr. Angela Caffrey anrufen. Ihre Nummer ist 084-5412396. Sag ihr, dass ich gestorben bin. Es kann sein, dass sie überrascht ist, denn ich habe mich lange von ihr ferngehalten – genau wie du mag ich kein Aufhebens, und durch die Medikamente, die du in Roscommon für mich besorgt hast, bin ich schmerzfrei. Ich hatte die Befürchtung, dass mein Verstand nachlassen würde, was zum Glück nicht der Fall ist, aber ich glaube, wenn ich mich heute Abend ins Bett lege, werde ich bis zum Ende dort bleiben. Aufzustehen und mich anzuziehen war in letzter Zeit sehr beschwerlich, und ich weiß, dass du ein liebes Mädchen sein und mir Essen bringen und mich versorgen wirst.

Ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs. Angefangen hat das Ganze vor ein paar Monaten mit Rückenschmerzen, und ein Spezialist in Dublin hat mir bestätigt, dass meine Krankheit unheilbar ist. Ich denke, der Krebs ist jetzt schon sehr fortgeschritten, du wirst dich also nicht mehr lange um mich kümmern müssen. Wenn es länger als sechs Wochen dauert, werde ich dich bitten, Angela anzurufen, damit sie mich auf eine dieser elenden Palliativstationen verlegen lässt. Und wenn ich das Bewusstsein verliere, musst du sie auch anrufen. Ich weiß, dass du nicht gerne telefonierst, aber du wirst es tun, schließlich bist du ein kluges Mädchen.

Was meine Beerdigung angeht, habe ich mich ja zu Einzelheiten nie geäußert, wie mir jetzt bewusst wird, deshalb ruf bitte O’Donovans Bestattungsinstitut in Roscommon an. Angela wird dir dabei helfen. Eigentlich sollte ich neben deiner Mutter in Dublin beerdigt werden, in Glasnevin, aber du weißt ja, dass ich Dublin nicht sonderlich mag. In dieser Hinsicht sind wir uns gleich, du und ich.

Alle Rechnungen sind bezahlt. Du hast ein Konto bei der AIB in Roscommon. Der Filialleiter ist Stuart Lynch. Er wird verständnisvoll sein, und auf deinem Konto ist mehr als genug Geld, um dich über Wasser zu halten, bis das Testament gerichtlich bestätigt wurde und du alles erbst. Deine Mutter kam aus einer reichen Familie, und wir haben bewusst sparsam gelebt, damit du schuldenfrei bist, wenn wir beide tot sind. Unser Anwalt ist Geoff Barrington aus Roscommon. Er weiß alles, was er über dich wissen muss, und er wird dafür sorgen, dass es dir an nichts mangelt. Er weiß ein paar Dinge, die du nicht weißt, aber dazu kommen wir später.

Ich hätte gern, dass mein Trauergottesdienst in der St John’s Church of Ireland in Lanesborough abgehalten wird. Das ist so eine hübsche Kirche, und der Friedhof ist ein schöner Ort. Ich will nicht zu viele Forderungen stellen, aber ich würde mich freuen, wenn du dafür sorgen könntest, dass der Kirchenchor »Be Thou My Vision« singt. Als kleiner Junge war ich im Schulchor, und das war mein Lieblingslied, weil wir oft die Wörter ausgetauscht und uns so gegenseitig zum Lachen gebracht haben. Ach, was haben wir damals für einen Unfug angestellt! Aber ich schweife ab.

Du musst nicht zur Beerdigung kommen, wenn du nicht möchtest, aber wenn du meinst, du würdest es hinkriegen, wäre das schön. Ich glaube nicht, dass mehr als zehn Leute da sein werden, und du wirst sie alle kennen. Vielleicht tauchen ein paar Neugierige aus Carricksheedy auf, aber die kannst du ignorieren. Ich habe dir schon genug Mühe gemacht, und du wirst in den nächsten Tagen viel zu tun haben, deshalb wäre es mir recht, du würdest das alles langsam angehen. Bitte lies den nächsten Teil des Briefs erst in der kommenden Woche.

Dein dich liebender Dad

Ich trank den Whiskey aus und rief Angela an. »Es muss eine Beerdigung geben«, sagte ich.

»Ich weiß, mein Schatz. Und es ist schon alles in die Wege geleitet, ich hoffe, das ist in Ordnung? Ich habe ja eine Kopie vom Brief deines Vaters hier. Ich habe das Bestattungsunternehmen angerufen. Der Coroner hat zugesagt, die sterblichen Überreste freizugeben, sobald wir es wollen, das erleichtert die Planung. Das einzige Problem ist, dass St. John’s keinen Chor hat. Ich wusste gar nicht, dass dein Vater in die Kirche gegangen ist?«

»Ist er auch nicht, aber als Mum noch gelebt hat, sind wir im Sommer manchmal da hingefahren und haben ein Picknick gemacht.«

»Auf dem Friedhof?«

»Manchmal.«

»Möchtest du zur Beerdigung kommen, Sally?«

»Nein. Aber ich komme trotzdem.«

»Das war jetzt nämlich landesweit in den Medien, deshalb könnte es sein –«

»Er wollte, dass ich hingehe.«

»Ich weiß, aber –«

»Ich gehe hin. Könntet ihr bitte auch kommen, du und Nadine?«

»Ja natürlich. Aber –«

»Danke. Gibt es schon einen Termin?«

»Ich wollte abwarten, bis du den Brief gelesen hast, damit du entscheiden kannst.«

»Geht es morgen?«

»Ich fürchte, so schnell wird sich das nicht organisieren lassen. Vielleicht nächsten Dienstag?«

»Das ist ja noch fast eine Woche hin.«

»Früher wird es kaum gehen. Ich muss auch den Gardaí Bescheid sagen.«

»Warum?«

»Eine Menge Leute interessieren sich für dich, Sally. Es ist dir wahrscheinlich nicht bewusst, wie ungewöhnlich es ist, den Leichnam des eigenen Vaters zu verbrennen, und dann gibt es da noch ein paar andere Dinge … in den Briefen.«

»Dass mein Geburtsname Mary ist? Auf der Straße haben mich ein paar Leute so gegrüßt.«

»Bitte kauf dir keine Zeitung, hör nicht Radio und schau im Fernsehen keine Nachrichten.«

»Warum nicht?«

»Du bist in den Schlagzeilen, und ganz viel von dem, was über dich gesagt wird, ist reine Spekulation. Die Leute stellen Vermutungen an, weil sie keine Möglichkeit haben, die Wahrheit herauszufinden. Die Fakten stehen in den Briefen deines Vaters.«

»Ich darf den nächsten erst in der kommenden Woche lesen.« Angela seufzte tief.

»Ich muss jetzt aufhören. Line of Duty fängt an«, sagte ich.

»Gut, Schatz, soll ich morgen mal vorbeischauen? Brauchst du irgendwas?«

»Nein danke.« Ich legte auf.

9

Am folgenden Samstagvormittag wischte ich gerade den Küchenboden, als ich draußen ein Geräusch hörte und durchs Fenster einen Jungen auf einem Fahrrad vorbeifahren sah. Er radelte über die holprige Wiese Richtung Scheune. Kurz darauf folgten zwei weitere Jungs und ein kleineres Mädchen, das bei dem einen Jungen auf dem Gepäckträger saß. Mir schien das etwas gefährlich. Ich bin nicht gut darin, das Alter von Leuten zu schätzen, aber ich nahm an, dass die Jungs zwischen zwölf und achtzehn waren. Einer schlaksig, einer schwarz, einer sommersprossig.

Ich machte die Hintertür auf und trat hinaus.

»Was macht ihr denn da?«, rief ich.

»Verdammt, das ist sie!«, schrie der Schlaksige, und das kleine Mädchen kreischte. Die Jungs rissen ihre Fahrräder herum und strampelten eilig auf die Hausecke zu. »Die Irre, die seltsame Sally Diamond!«, schrie der sommersprossige Junge und verschwand aus dem Blickfeld. Das Mädchen auf dem Gepäckträger war bei der rasanten Kehrtwende ins Rutschen geraten, und als der schwarze Junge, der nicht darauf achtete, was vor ihm war, über das Blatt einer im Gras liegenden Schaufel fuhr, fiel das Mädchen herunter und der im selben Moment hochschnellende Schaufelstiel knallte ihr gegen den Kopf. So etwas kannte ich nur aus Bugs-Bunny-Filmen. Der Junge hielt nicht an. Sie rasten alle davon.

Ich erwartete, dass das Mädchen weinen würde. Sie hatte hysterisch gekreischt, seit sie mich entdeckt hatte. Aber jetzt lag sie still und stumm der Länge nach im Gras.

Ich ging vorsichtig auf sie zu. Ihre Augen waren geschlossen. Ich befühlte ihr Gesicht, es war heiß. Dann legte ich die Hand auf ihren schmalen Brustkorb, der sich hob und senkte. Ich spürte ihren Herzschlag. Sie war nicht tot. Ich vermutete eine Gehirnerschütterung. Dad hatte mir einen Erste-Hilfe-Kurs gegeben, und jedes Jahr am 1. Oktober frischten wir meine Kenntnisse auf. Zu meinem eigenen Schutz, sagte er, aber auch, damit ich anderen Leuten helfen könnte, wenn ich mal zufällig an einen Unfallort käme. Ich war noch nie an einem Unfallort gewesen. Ich hob ihren Kopf an, und ja, am Hinterkopf war unter den Haaren schon eine Beule zu spüren. Blut sah ich keins. Also erst mal kein Grund zur Sorge. Ich hob sie hoch und trug sie hinein, eine Hand unter ihrem Po, den Kopf an meine Schulter gebettet. Drinnen legte ich sie auf das Sofa im Wohnzimmer. Ich deckte sie zu, damit sie es schön warm hatte, denn ich hatte noch kein Feuer angezündet, und dann ging ich in die Küche, um Eis aus dem Gefrierschrank zu holen. Ich kippte eine komplette Schale Eiswürfel in ein sauberes Handtuch und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich hob behutsam ihren Kopf an und hielt den Eisbeutel an die Schwellung. Ihre Augen öffneten sich flatternd und weiteten sich dann vor Schreck, als sie mich sah. Sie fing wieder an zu kreischen, und ich wusste, dass sie Angst hatte.

»Tut es weh?«, fragte ich.

Sie wich vor mir zurück, und mir wurde plötzlich bewusst, dass es mir nichts ausgemacht hatte, dieses Mädchen zu berühren, zu halten und zu tragen, während sie ohnmächtig gewesen war. Ich hielt ihr den Eisbeutel hin und sagte: »Du solltest dir das an den Hinterkopf halten und eine Weile ruhig liegen bleiben. Du hast eine Gehirnerschütterung. Ich muss Dr. Caffrey anrufen. Möchtest du ein Glas Brandy?«

Sie schüttelte den Kopf und zuckte im nächsten Moment zusammen.

»Du musst versuchen, stillzuhalten. Tust du gerade so, als könntest du nicht sprechen? Das mach ich auch ständig. Bist du so wie ich?«

Sie starrte mich an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte ein hübsches kleines Gesicht. Dann fingen ihre Lippen an zu zittern, und sie sagte: »Ich will zu meiner Mum.«

Ich seufzte. »Das geht mir genauso, allerdings habe ich das erst vor kurzem gemerkt, nachdem mein Dad gestorben ist. Lebt deine Mum noch?«

»Ja.« Ihre Stimme wurde schriller. »Können Sie sie bitte anrufen?«