2 Herzen - Stephanie Hilger - E-Book

2 Herzen E-Book

Stephanie Hilger

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Beschreibung

Rebecca ist bereits fünfundfünfzig als sie ihrer ersten großen Liebe schreibt. Denn all die Jahre war es als wären sie durch ein unsichtbares Band für immer verbunden. Selbst als dieses Band einmal durchtrennt wurde, hat sie es nicht geschafft loszulassen. Mühsam flickte sie die beiden Enden wieder zusammen und hofft nun, Jahrzehnte später auf ein Happy End. Die große Liebe vergisst man nie! Sie brennt sich in das Herz und begleitet einen ein Leben lang. Narben, die durch den Kummer über das Ende dieser Liebe entstehen, verblassen mit den Jahren, werden jedoch nie ganz verheilen. Dieses unbeschreibliche Gefühl miteinander zu teilen, verbindet und schweißt zusammen, selbst wenn man irgendwann getrennte Wege geht. Aber was passiert, wenn man nicht die Kraft hat, loszulassen?

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Fltughafen München

Kapitel 1: An einem schwülen Sommertag im Jahr 1973

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Flughafen München

Kapitel 5: Weihnachten 1988

Kapitel 6

Kapitel 7

Flughafen München

Kapitel 8

Kapitel 9

Psychische Gewalt

Vorwort

Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf. (1. Kor. 13, 7+8a)

Diese Worte werden die meisten aus der Kirche kennen. Selbst vielen Nichtkirchengängern sind diese zwei Sätze aus einer Predigt, die bei den meisten Trauungen gewünscht wird, ein Begriff.

Doch welche Bedeutung haben diese Wörter?

Wie viel bist du bereit, für die Liebe zu geben?

Dieses Buch ist für all jenes, dassich loslassen musste,um Platz für Neues zu schaffen.

Für all die, die ich loslassen musste,um neue Menschen in mein Lebenzu lassen!

Flughafen München

Unsicher blickte ich mich um, stellte aber zu meiner Erleichterung fest, dass sich manche Dinge nie ändern. Der Flughafen sah genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Wenn auch meine körperliche Fitness mittlerweile etwas eingeschränkt war, mein Geist funktionierte zum Glück tadellos. Da stand ich also. Ich trat von einem Bein auf das andere, um nach der langen Fahrt die Steifheit in meinen Gliedern zu lösen. Mit meinen fünfundfünfzig Jahren ging manches nicht mehr so einfach, wie zu der Zeit, als ich ein junges Ding war.

Zwar hatte ich ewig Zeit gehabt, mich mit dem Gedanken abzufinden, älter zu werden. Denn es ist zum Glück nicht so, dass man eines Morgens aufwacht und um zwanzig Jahre gealtert ist. Das machte es jedoch nicht unbedingt einfacher. Deshalb ärgerte ich mich manchmal, weil mein Körper mit meinem Geist nicht mehr mithalten konnte.

Ich streckte mich in der Hoffnung, dass ich dadurch fitter werden würde und mir entfuhr ein lautes Gähnen. Peinlich berührt schaute ich um mich, stellte aber zu meiner Erleichterung fest, dass mich niemand gehört hatte. Ich fragte mich immer wieder, was ich hier überhaupt suchte. Ungläubig schaute ich auf meine zwei Koffer neben mir. Während ich ganz in Gedanken meinen Zweifeln über das Älterwerden nachhing, setzte sich die Schlange am Schalter in Bewegung. Ich würde die Nächste sein. Mit schweißnassen Händen umklammerte ich mein Flugticket, während ich hoffte, dass er gekommen war. Doch wie es aussah, wurde ich wieder einmal enttäuscht.

Ich dachte zurück an den Tag, an dem alles begonnen hatte. Dieser Tag war nun genau vierzig Jahre her, aber es fühlte sich an, als wäre es erst gestern gewesen.

Kapitel 1

An einem schwülen Sommertag

im Jahr 1973

Seit unserem Umzug waren genau zwei Wochen vergangen. So ein Tapetenwechsel schlägt einem aufs Gemüt, erst recht, wenn man gerade erst sechzehn geworden ist und lieber mit Freunden abhängen würde, anstatt an einem völlig fremden Ort von vorne beginnen zu müssen.

Ich war von Anfang an gegen diese Schnapsidee gewesen, aber meine Eltern waren nicht umzustimmen. Wenn man in einer Stadt wie München aufgewachsen ist, gewöhnt man sich zwangsläufig an den Lärm und die Massen an Menschen, auf die man überall trifft. Die Stille an diesem Ort, der nun meine Heimat werden sollte, kam mir dagegen beängstigend vor.

Seit dem Tag unserer Ankunft war ich damit beschäftigt, den Inhalt der Umzugskartons auszupacken, um mit den mir vertrauten Gegenständen wenigstens ein bisschen Geborgenheit in meinem kleinen Reich zu schaffen. Meine Eltern taten es mir gleich und so hielten sich die üblichen Streitereien in Grenzen.

Außerdem wusste ich, dass es sinnlos war, wieder eine Diskussion zu beginnen. Sie würde wie fast jedes Mal zu keinem Ergebnis führen, weil wir verschiedener Ansichten waren.

Als mir meine Eltern verkündeten, dass wir innerhalb kürzester Zeit an einen anderen Ort ziehen werden, bin ich, sprichwörtlich aus allen Wolken gefallen. Auch für die Argumente meines Vaters, dass es beruflich nicht anders möglich sei, hatte ich kein Verständnis. In der Stadt hatte er einen guten Posten als Polizist. Soweit ich das mitbekam, sogar in einer gehobenen Position. In dem Dorf, das sich unweit von unserer neuen Heimat befand, musste er noch einmal ganz von unten anfangen.

Das machte für mich alles keinen Sinn. Schon alleine deswegen wäre es besser gewesen, in München zu bleiben. Außerdem fing ich gerade an, mich für Jungs zu interessieren, ging seit dem letzten Schuljahr auf ein Internat, in das ich mich mittlerweile gut eingelebt und viele Freunde gefunden hatte. Und jetzt musste ich all das eintauschen für ein Leben auf dem Land!

In dem alten Bauernhaus, das meine Eltern gekauft hatten, gab es nicht einmal ein Telefon. Ein Zustand, der mir bis dato völlig fremd war.

Sogar rein äußerlich unterschieden sich die Stadtmenschen von den Landmenschen. Als ich den Koffer mit den Klamotten auspackte, musste ich an das Mädchen denken, das mir wenige Tage nach der Ankunft über den Weg gelaufen war. Die könnte sich von meinem Geschmack einiges abschauen, schmunzelte ich selbstsicher. Überhaupt würde ich es denen zeigen. Für mein Alter war ich recht selbstbewusst und offen gegenüber neuem. Mir machte man nicht so leicht etwas vor. Der Gedanke daran, dass ich bestimmt bald Freundschaften schließen würde, beruhigte mich halbwegs.

Ich ließ mich ins Bett fallen, schloss die Augen und dachte an mein altes Leben. Wie rasch sich alles verändern konnte. Noch ganz in Gedanken nahm ich die Stimme meiner Mutter wahr. Zuerst nur ganz leise, je öfter sie nach mir rief, desto lauter wurde sie.

„Rebecca, wo bleibst du denn?“, mahnte sie zum gefühlt hundertsten Mal. Erschrocken öffnete ich die Augen. Jetzt fiel mir der Grund ihres Drängens ein. Wir sollten das Dorffest besuchen! Wie langweilig.

„Keinen Bock, geht ohne mich“, schrie ich zurück.

„Kommt überhaupt nicht in Frage, los jetzt. In fünf Minuten gehen wir.“

Ich kannte meine Mutter und wusste, dass dieser Ton keine Widerrede duldet. Also musste ich mich wohl oder übel wieder einmal ihrem Willen beugen. Ich hatte es so satt, das sie immer über meinen Kopf hinweg Entscheidungen traf. Mit meinen sechzehn Jahren war ich alt genug, um zumindest, was meine Freizeitgestaltung anbelangt, alleine zu bestimmen, wo es langgeht. Bockig und schlecht gelaunt stampfte ich die Treppe hinunter in die Küche. Meine Eltern waren bereits draußen und ich konnte durch das Fenster sehen, das sie langsam ungeduldig wurden. Mein Vater trat von einem Bein auf das andere und schaute dabei auf seine Uhr. Es hatte keinen Sinn, unnötig ihre Gemüter anzuheizen, deshalb ging ich, nachdem ich noch einen Schluck getrunken hatte, ebenfalls hinaus.

„Na, hat sich das Fräulein endlich dazu durchringen können, zu erscheinen?“ Mein Vater war gereizter, als ich angenommen hatte.

„Jetzt bin ich ja da“, antwortete ich mürrisch.

„Streitet nicht schon wieder, lasst uns jetzt endlich gehen. Ich habe Hunger“, sagte Mutter und hakte sich bei mir unter, während mein Vater schlecht gelaunt hinterher ging.

Wie ich diese Familienausflüge hasste. In München war das jedes Mal das gleiche Theater. Sobald wir in Sichtweite der anderen waren, machten wir einen auf heile Familie. Aber das waren wir schon lange nicht mehr. Tagein, tagaus wurde gestritten.

Die Arbeit meines Vaters war sehr stressig, was er mich und Mutter oft spüren ließ. Er war dann oft schlecht gelaunt und jeder Versuch, ein normales Gespräch mit ihm zu führen, scheiterte. Mit der Zeit habe ich erkannt, dass es besser ist, wenn ich den Kontakt mit ihm so gut wie möglich meide. Also verzog ich mich nach der Schule sofort in mein Zimmer oder zu Freunden. Viel redeten wir nicht mehr miteinander und so bot ich ihm immer seltener eine Angriffsfläche. Wenn Vater nicht zu Hause war, konnte man es mit meiner Mutter recht gut aushalten. Sie summte oft vor sich hin und auch, wenn ich mies drauf war, schaffte sie es damit meistens, mir ein Lächeln zu entlocken. Ich mochte sie. Ja, das tat ich wirklich. Sie hatte ein großes Herz. Trotzdem wollte ich nicht so werden wie sie. Viel zu sehr richtete sie sich nach den Anschauungen meines Vaters. Oft kam es mir so vor, als wäre sie gar kein eigenständiger Mensch.

„Jörg, Mariella, da seid ihr ja endlich“, rief uns von Weitem der Vorstandsvorsitzende und damit Ausrichter der Veranstaltung zu. Meine Eltern hatten sich gleich nach dem Tag unserer Anreise mit den Dorfbewohnern bekannt gemacht. Trotzdem überraschte es mich, wie vertraut sie miteinander wirkten.

„Das dauert immer bei uns“, sagte mein Vater mit einem herablassenden Blick auf mich. Dann vertiefte er sich in ein anregendes Gespräch mit ihm.

„Ich geh zu den Frauen und frag, ob ich ihnen helfen kann, okay Rebecca?“, fragte meine Mutter, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

„Ja, klar, lasst mich nur alleine.“ An meiner Laune hatte sich nichts geändert und das ließ ich sie durch meinen Tonfall spüren.

„Sei bitte nicht so, du bist ja kein kleines Kind mehr. Du musst nicht an meinem Rockzipfel hängen“, gab sie zurück und ging hinüber zu den anderen. Das war wieder einmal typisch. Zuerst schleiften sie mich hierher und jetzt nahm sich niemand meiner an. „Ich hätte ebenso gut zu Hause bleiben können“, murmelte ich und kickte verärgert Steinchen über den Boden.

Aber da ich jetzt schon mal hier war, wollte ich das Beste aus der Situation machen. Neugierig blickte ich mich um. Soviel ich bisher in Erfahrung bringen konnte, gab es außer mir nur wenige Mädchen in meinem Alter, dafür aber viele Jungs, die älter waren. Mich einfach zu ihnen zu stellen, das traute ich mich nicht. Deshalb blieb ich auf Abstand und überlegte, wie ich mir die nächsten Stunden vertreiben könnte.

Ich muss ziemlich doof ausgesehen haben, wie ich da so alleine rum stand. Denn plötzlich bemerkte ich, wie einige der Jungs immer wieder kurz zu mir rüber schauten und dann die Köpfe zusammensteckten und redeten. Ich spürte, dass ich knallrot wurde. Verlegen blickte ich zu Boden. Sie machten sich bestimmt über mich lustig. Ich ärgerte mich über mich selber. Dass es womöglich mein Aussehen war und nicht meine Unbeholfenheit, womit ich ihre Aufmerksamkeit erregte, daran dachte ich keinen Augenblick.

Um der Peinlichkeit zu entgehen, beschloss ich, mich im Zelt zu meiner Mutter zu gesellen. Sie war mittlerweile hinter der Kuchentheke und freute sich über meine Unterstützung. Ich war froh, einer Beschäftigung nachgehen zu können. Der Nachmittag verging recht zügig. Weil es am frühen Abend zu regnen anfing, war es drinnen recht voll und es gab eine Menge Arbeit. Als die Dämmerung einsetzte, hörte es endlich auf zu regnen, und die Leute strömten nach draußen. Meine Mutter machte eine Pause, der ich mich anschloss. Bevor ich mir eine Stärkung holte, musste ich noch dringend. Ich konnte diese Dixiklos nicht ausstehen, deshalb suchte ich nach einer dunklen Stelle am Ende des Parkplatzes, der gefüllt mit Autos war.

Der Weg dorthin war nur schwach von einer entfernt stehenden Laterne beleuchtet und ich hatte Mühe, in keine der Wasserpfützen zu treten.

Plötzlich zuckte ich zusammen, weil ich einen Schatten bemerkte, den jemand warf. Es war zu dunkel, um zu erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Irgendetwas in mir sagte, „komm, dreh um.“ Die andere Stimme in mir meinte jedoch, „was soll dir schon passieren, sei nicht so feige.“ Und so ging ich zögernd mit kleinen Schritten weiter. Als ich ein paar Meter von der Gestalt entfernt war, atmete ich erleichtert auf. Es war ein Junge aus dem Dorf, der lässig an einem Auto lehnte.

„Na, was treibt dich alleine auf den Parkplatz?“, fragte er mich neugierig. Er klang bei Weitem nicht so cool wie erwartet. Fast ein bisschen schüchtern. Trotzdem war ich mit der Situation überfordert und antwortete deshalb knapp: „Was geht’s dich an?!“

„Mein ja nur“, sagte er beleidigt.

„Ich muss mal. So, jetzt weißt du es, besser?“

Er musste lachen.

„Kannst du diese Klos auch nicht ab?“

„Die sind schrecklich“, stimmte ich zu. Für ein paar Sekunden, die mir aber viel länger vorkamen, herrschte Schweigen.

„Ich habe dich hier noch nie gesehen, schade“, unterbrach er die Stille. Das schade war kaum zu hören, so leise sprach er. Ich wusste nicht, wie ich diesen Satz einschätzen sollte. Was wollte er von mir? Doch auf einmal, ohne Vorwarnung, packte mich der Junge, dessen Namen ich nicht einmal kannte, und trug mich die paar Meter zum Ende des Parkplatzes. Ich war so perplex, dass ich nicht widersprechen oder mich zur Wehr setzen konnte. Dort angelangt setzte er mich sanft ab. Nun standen wir uns direkt gegenüber. Zärtlich strich er eine Locke zur Seite, die mir ins Gesicht hing. „Du bist wunderschön. Ich würde dich gerne öfter auf Händen tragen. Wenn du das willst.“ Dabei schaute er mir tief in die Augen und küsste mich. Mitten auf den Mund. Mir wurde schwindlig und ich suchte Halt an einem Auto hinter mir, schloss die Augen.

Mit einem Mal war es hell um uns herum. Vögel zwitscherten und Gräser wiegten sich im Wind. Seine Hände wanderten hinab auf meine Hüften und wir tanzten zu den Klängen der Natur. Unser eigenes Lied. Eine Melodie, die sonst niemand wahrnahm. Wir drehten uns im Kreis und küssten uns inniger. Dann schoben sich dunkle Wolken vor die Sonne und es fing zu regnen an.

Genau so plötzlich, wie er meine Lippen berührt hatte, löste er sich wieder von mir. Ich öffnete die Augen und registrierte benommen, dass ich mich noch immer auf dem tristen Parkplatz befand. Ohne mir den Hauch einer Chance zu geben, etwas zu sagen, wandte er sich ab und ließ mich verwirrt und sprachlos zurück.

Die nächsten Tage verbrachte ich wie in Trance. Ich konnte nur an diesen Jungen denken. An seine tiefblauen Augen, die sogar in der Finsternis strahlten, und an seinen Geruch, der sich seit dem Kuss in meiner Nase festgesetzt hatte. Es war, als wäre ich an diesem Abend verzaubert worden. Dieser Abend – dieser eine Moment. Wie sehr wünschte ich mir, ihn noch einmal erleben zu dürfen. Wenn ich doch die Zeit zurückstellen könnte, um immer wieder diesen einen Kuss zu bekommen.

Meinen Eltern fiel natürlich auf, dass ich seit dem Dorffest anders war. Vater war es ganz recht, dass ich mich noch mehr zurückzog. Meine Mutter aber war skeptisch und obwohl sie meist versuchte, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen, schien sie mir besorgt.

In den nächsten Tagen verbrachte ich die meiste Zeit in meinem Zimmer. Einerseits war da das Verlangen nach diesem Jungen, auf der anderen Seite hatte ich schreckliches Heimweh. Ich vermisste meine Freunde und verfluchte diesen Ort, zu dem die Erfindung des Telefons anscheinend noch nicht durchgedrungen war.