Das Geheimnis der Rose - Stephanie Hilger - E-Book

Das Geheimnis der Rose E-Book

Stephanie Hilger

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Beschreibung

Marie lebt in dem kleinen Ort Chamarande, in der Nähe von Paris. Als ihre Mutter Josèphe stirbt, erbt sie das Haus, in dem schon ihre Großmutter Elaine lebte. Mit ihrem Freund Josè, wollte sie es renovieren, die Rosenzucht fortführen, Kinder bekommen und darin alt werden. Aber das Leben sah anderes für sie vor. Von einen Tag auf den anderen verließ Josè Marie und zurück bleibt nur ein Haus, das dem Verfall geweiht ist und ein ungepflegter Rosengarten, mit dem sie so gar nichts anzufangen weiß. In Ihrer Not vertraut sie sich ihrer Nachbarin an. Wie eng ihr Schicksal miteinander verknüpft ist, ahnt sie nicht. Denn Marguerite hat sie bereits erwartet. Sie überreicht ihr eine Schachtel, in der sich die Lösung für alle ihre Probleme befinden soll. Als sie diese öffnet und die Gegenstände darin erblickt, weicht die anfängliche Skepsis bald blankem Entsetzen. Denn in der mysteriösen Schachtel befindet sich ein wohlgehütetes Familiengeheimnis, das Marie die Türen in eine völlig fremde Welt öffnet. Doch diese neue Welt birgt auch Gefahren, deren Marie sich anfangs nicht bewusst ist. Einmal in dem Sog gefangen, kann sie sich aber bald nicht mehr gegen das Verlangen wehren. Leserstimmen: Bianca M.: Es ist ein sehr spannendes, fesselndes Buch! Es garantiert einen traumhaften Lesespaß! Ich bin begeistert! Sieglinde E.: Es fesselt mich. Daumen hoch, ein tolles Werk.

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Handlungen, Personen und Ort dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit zu lebenden oder toten Personen ist reiner Zufall.

Das Buch

Marie lebt in dem kleinen Ort Chamarande, in der Nähe von Paris. Als ihre Mutter Josèphe stirbt, erbt sie das Haus, in dem schon ihre Großmutter Elaine lebte. Mit ihrem Freund Josè wollte sie es renovieren, die Rosenzucht fortführen, Kinder bekommen und darin alt werden.

Aber das Leben sah anderes für sie vor. Von einen Tag auf den anderen verließ Josè Marie und zurück bleibt nur ein Haus, das dem Verfall geweiht ist und ein ungepflegter Rosengarten, mit dem sie so gar nichts anzufangen weiß. In Ihrer Not vertraut sie sich ihrer Nachbarin an. Wie eng ihr Schicksal miteinander verknüpft ist, ahnt sie nicht.

Denn Marguerite hat sie bereits erwartet.

Sie überreicht ihr eine Schachtel, in der sich die Lösung für alle ihre Probleme befinden soll. Als sie diese öffnet und die Gegenstände darin erblickt, weicht die anfängliche Skepsis bald blankem Entsetzen. Denn in der mysteriösen Schachtel befindet sich ein wohlgehütetes Familiengeheimnis, das Marie die Türen in eine völlig fremde Welt öffnet.

Doch diese neue Welt birgt auch Gefahren, deren Marie sich anfangs nicht bewusst ist. Einmal in dem Sog gefangen, kann sie sich aber bald nicht mehr gegen das Verlangen wehren.

Wenn ich den Raum betrete,

betritt ihn nur mein Körper.

Meine Seele ruht an einem anderen Ort.

Während ich dir ganz nahe bin,

könnte ich entfernter nicht sein.

Wenn ich gehe, lasse ich nichts zurück,

es zählt nur der Augenblick der Vergangenheit.

Wenn ich fort bin, bleibt nur die Erinnerung,

und der Duft der Rose.

Lasst euch entführen auf eine Reise nach Paris.

Auf eine Reise, in eine fremde Welt.

Si j'entre dans l'espace, seulement mon corps y entre.

Mon âme repose à un autre lieu.

Pendant que je suis à toi tout près,

je ne pourrais pas être plus éloigné.

Si je vais, je ne laisse rien,

seulement le moment du passé le compte.

Si je suis loin, seulement le souvenir,

et l'odeur agréable de la rose restent.

Klamme Kälte schlug Marie entgegen, als sie die Haustür öffnete. Für einen Oktobermorgen ungewöhnlich. Sie fror, eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Einen Moment verharrte sie auf den Stufen und zog die dünne Baumwollweste noch enger um sich.

Langsam ließ sie den Blick über den Garten wandern, in dem noch immer die Rosen blühten. Nur vereinzelt lagen Blätter auf dem Boden. Später, so nahm sie sich fest vor, würde sie die Rosenblätter aufsammeln und die Stauden stutzen.

Oma Elaines Passion war nach Opas Tod einzig und allein die Gartenpflege gewesen, so hatte es zumindest den Anschein erweckt. Marie konnte ihre Leidenschaft verstehen, jedoch teilte sie diese nicht annähernd. Allein die Tatsache, dass sie und ihre Mutter nach der berühmten Rosenzüchterin Marie Josèphe Rose Taser de la Pageri benannt waren, hielt sie für übertrieben. Ein Name mit französischer Tradition wäre eher nach ihrem Geschmack gewesen. Dennoch hatte sie sich mittlerweile damit arrangiert, was blieb ihr auch anderes übrig.

So fügte sie sich der Tradition und führte die Rosenzucht fort.

Sie ärgerte sich, dass sie nicht schon längst die Triebe gekürzt hatte. Die Tage vorher waren weitaus milder und besser dafür geeignet gewesen als dieses ungemütliche Herbstwetter. Zudem hatte Marie in den letzten Wochen an nichts Interesse gehabt, weshalb der Wetterumschwung für sie nun umso überraschender kam.

Der Herbst bereitete ihr Angst. Aber nun war er da und mit ihm war auch der Nebel gekommen. Wie ein Schleier legte er sich über die Wiesen. Manche fanden dieses Naturereignis faszinierend, doch für Marie war es einfach nur bedrohlich.

Sie stieß einen Seufzer aus und ging die Stufen hinunter. Bald würde der Frost sie mit gefährlicher Glätte überziehen. Auch vor dem Winter graute ihr.

Zögerlich ging sie den schmalen Weg zum Briefkasten am Zaun. Allmorgendlich waren es dieselben Schritte und stets machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit, je näher sie ihm kam. »Bitte lass es keine weitere Rechnung sein.«

Flehend richtete sie den Blick zum Himmel und hoffte inständig, dass ihre Bitte dort oben Gehör fand.

Während sie sich dem Zaun näherte, überkamen sie aber sofort wieder Zweifel. »Lächerlich!« Wütend kickte sie einen Stein mit ihrem Fuß weg. »Er wird mir ja wohl kaum ein Säckchen mit Geld herunterwerfen.«

Die Steine knirschten unter ihren Füßen und erinnerten sie daran, in welch marodem Zustand sich der Weg befand. In demselben war auch das Haus, das sie vor zwei Jahren geerbt hatte und in dem sie mit José hatte alt werden wollen. Beim Gedanken an ihn fröstelte es sie noch mehr und sie verschränkte die Arme vor der Brust zum Schutz vor der Kälte.

Er hatte es nach und nach renovieren und zu einem kleinen Schmuckstück umbauen wollen. Von dem schmucken Heim war aber an dem Tag, als er sie Hals über Kopf verließ, nichts zu sehen gewesen. Zurückgelassen hatte er ihr eine einzige Baustelle, die zwar bewohnbar, aber nicht gemütlich war. Trotzdem weigerte sie sich beharrlich, dieses Haus zu verkaufen. Es steckten so viele Erinnerungen darin, die für sie einen größeren Stellenwert als alles Geld der Welt besaßen.

Ihre Mutter hätte nicht gewollt, dass sie es nun verscherbelte. Genauso wenig wie ihre Oma und die Generation davor.

Schon als kleines Kind wünschte sie sich, einmal hier mit ihren eigenen Kindern zu wohnen, um die Tradition fortzuführen. Tradition, so wurde ihr beigebracht, war von großer Bedeutung in ihrer Generation. Nur so konnte auch in der Zukunft ein Teil der Vergangenheit weiter bestehen.

Und auch wenn José das Weite gesucht hatte, dachte sie nicht daran, deswegen ihre Pläne aufzugeben. Aus diesem Funken Zuversicht schöpfte sie neuen Mut. Widerwillig, aber was blieb ihr anderes übrig, griff sie in den Briefkasten nach den Umschlägen und Prospekten, die sie auf dem Rückweg wie immer sofort entsorgen würde. Es gab Dinge im Leben, die waren einfach überflüssig - Werbeblätter zum Beispiel. Zumindest war Marie dieser Meinung. Doch nicht alle überflüssigen Sachen ließen sich so einfach entsorgen wie dieses bunt bedruckte Papier.

Da war zum einen der Schmerz, den sie täglich empfand. Oder die Wut, die sie überkam, wenn sie an José dachte. Schon allein der Klang seines Namens ließ ihr einen Seufzer entgleiten. Aus ihrer Sicht gab es keinen Grund für die plötzliche Trennung. Bis zu diesem Tag war sie sogar der Ansicht, dass sie eine glückliche Beziehung führten. Etwas altmodisch in manchen Dingen, aber Marie genoss die Routine, die eine feste, langjährige Bindung mit sich brachte. Doch er empfand es wohl anders.

Als sie sich umdrehte, um den Rückweg anzutreten, verharrte sie nach wenigen Schritten erneut und ihr Blick verweilte auf dem alten Haus.

Der Putz bröckelte an allen erdenklichen Stellen. Auch die verrosteten Fenstergitter hatten dringend einen neuen Anstrich nötig und die Farbe der Holzfassade war stark ausgeblichen. Früher hatte sie einmal in einem satten Apricot gestrahlt, jetzt aber erinnerte die Farbe an die Schale einer verfaulten Orange.

Ihr Blick glitt weiter zu dem kleinen Garten, der sich direkt an das alte Haus anschloss. Im Sommer nach Josèphes Tod hatten José und sie angefangen, ihn von Unkraut zu befreien und sämtliche Rosenstauden zu schneiden.

Ihre Mutter hatte Rosen geliebt. Und sie hatte ihre Mutter geliebt. Sie war eine wunderschöne Frau gewesen, liebevoll und warmherzig. Doch sie hatte auch etwas Geheimnisvolles an sich gehabt. Die Aura, die sie umgab, verzauberte Marie schon als kleines Kind.

Als Marie zur jungen Dame herangewachsen war und ihr Interesse plötzlich nicht mehr nur ihren Puppen galt, hatte sie gemerkt, welche Anziehung Josèphe auf die Männerwelt ausübte. Mit den pechschwarzen Haaren, die ihr leicht gelockt bis über die Schultern reichten, war sie eine richtige Augenweide gewesen. Sogar mit über vierzig war ihre Haut noch samtweich gewesen, und die Falten, die sich langsam mehrten, hatten ihr einen interessanten Ausdruck verliehen.

Ja, gelebt hatte sie wirklich. Auch wenn Maries Mutter um Vieles ein Geheimnis machte, beteuerte sie immer, glücklich zu sein.

Bei dem Gedanken an die schönen gemeinsamen Momente löste sich eine Träne und rollte über Maries Wange. Der kalte Wind, der ihr ins Gesicht blies, trocknete sie aber sogleich wieder und von einer Sekunde auf die nächste war das einzig sichtbare Zeichen ihrer Trauer verschwunden.

Die Arme noch immer verschränkt, die Briefe fest in der Hand, entdeckte Marie plötzlich ihre Nachbarin, die sich ihrem Tor näherte. Nach Mutters Tod hatten sie sich manchmal gegrüßt, doch Marie hatte nicht die Kraft gehabt, ihr mehr Beachtung zu schenken. Sie merkte, dass der älteren Frau das Gehen schwerfiel, deshalb ging Marie ihr die wenigen Meter, die sie noch trennten, entgegen.

»Guten Morgen, Marguerite.« Ihre Stimme war um Fröhlichkeit bemüht, was ihr aber nicht so recht gelingen wollte.

»Guten Morgen, Marie.« Kaum hatte die Nachbarin die Worte ausgesprochen, hielt sie sich mit einer Hand am Zaun fest, mit der anderen umklammerte sie ihren Gehstock.

Marguerite war die beste Freundin ihrer Großmutter gewesen und nach deren Tod eine wichtige Stütze in Mutters und damit auch in ihrem Leben. Trotzdem oder gerade deswegen hatte Marie die letzten Wochen einen großen Bogen um sie gemacht. Zu einfach wäre sie zu durchschauen gewesen und damit hätte sie sich ihren Ängsten stellen müssen. Sie löste ihre verkrampfte Haltung und berührte mit einer Hand die der alten Dame. Dabei huschte ein aufmunterndes Lächeln über deren Gesicht. »Es geht vorbei, alles geht irgendwann vorbei.«

Traurig senkte Marie den Kopf. So recht Marguerite auch hatte, so nachdenklich machte sie die Bedeutung ihrer Worte.

»Ich will aber nicht, dass es Vergangenheit ist.« Trotz lag in ihrer Stimme und die Wut überkam sie erneut.

»Es ist doch aussichtslos.« Mit dem Kinn zeigte Marie Richtung Haus.

»Ohne José schaffe ich es einfach nicht, die laufenden Rechnungen zu bezahlen, geschweige denn, das Haus zu renovieren.«

Marie war überrascht, wie leicht es ihr fiel, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

»Aber mein Kind, du wirst es doch nicht ...«, das letzte Wort wagte die ältere Frau offenbar nicht auszusprechen, aber ihr entsetzter Blick sprach Bände.

»Von wollen kann keine Rede sein, aber was wird mir denn anderes übrig bleiben?«, verteidigte Marie sich.

»Keine Ahnung, wie meine Mutter das all die Jahre allein geschafft hat. Ich wünschte, ich wäre nur ein einziges Mal so stark wie sie.«

Marguerite tätschelte ihre Hand, die noch immer auf dem Gartenzaun ruhte. »Du frierst ja, Kind.«

Tatsächlich zitterte Marie am ganzen Körper. Und obwohl sich ihr Körper nach der Wärme im Haus sehnte, bevorzugte sie in dem Moment die Herzenswärme, die von ihrer Nachbarin ausging. Marguerite schien ihre Gedanken zu erraten, denn sie beugte sich leicht vor und flüsterte ihr ins Ohr:

»Meine Türen stehen immer offen für dich. Und bei all dem Schmerz, der dir widerfährt, vergiss bitte nicht, dass es für alles eine Lösung gibt. Für wirklich alles.«

Dann drückte sie ihr die Hand und trat langsam den Rückweg an. Eine Weile schaute Marie ihr nach, dann überwog die Kälte und sie ging zurück ins Haus.

Die Begegnung mit der alten Frau hinterließ Spuren und einen Hauch von Unbehagen bei Marie, das sie nicht einfach abschütteln konnte. Selbst als sie sich bereits einige Zeit im warmen Haus befand, durchzog sie ein Frösteln bei dem Gedanken an die Worte, die Marguerite anscheinend mit viel Bedacht wählte.

Die Briefe, die sie zuerst gedankenverloren beiseitegelegt hatte, erregten nun aber wieder ihre Aufmerksamkeit. Zögernd griff sie danach und ließ sich auf dem Stuhl am Küchentisch nieder. Der morgendliche Kaffee war bereits kalt. Trotzdem sog sie ihn gierig in sich auf, als würde das Koffein die Nachrichten der Briefe verdaulicher machen.

Ein Glas des edlen Lilet Rosé, den Mutter im Keller gelagert hatte, wäre wirkungsvoller, dachte sie. Marie war wirklich drauf und dran, sich einen Schluck zu genehmigen, zog es dann aber doch vor, die Sache nüchtern zu betrachten.

Sorgfältig begann sie schließlich, die Briefe zu öffnen. Die Umschläge legte sie zur Seite. Den Buchstaben schenkte sie keinerlei Aufmerksamkeit, vielmehr waren es die Zahlen, die ihr großes Unbehagen bereiteten.

Schon seit Wochen erhielt sie Mahnungen über Mahnungen und sie wusste, obwohl sie die Fristdaten nicht genau im Kopf hatte, dass es nun kurz vor Schluss war. Resignierend lehnte sie sich zurück. Mit den Händen bearbeitete sie nervös das Papier und dachte angestrengt nach. Doch sie wusste nicht, mit welchen Mitteln sie die ausstehenden Rechnungen begleichen sollte.

Nach Josèphes Tod kümmerte sich Josè um den Papierkram. Er verdiente gut als Leiter einer Bankfiliale. Sie musste sich in dieser Zeit keine Gedanken darüber machen, wie hoch der finanzielle Aufwand war, um dieses kleine Erbstück in Schuss zu halten. Erst die letzten Wochen begriff sie das ganze Ausmaß, das die Trennung mit sich brachte.

Sie nahm die Briefe, stand auf und legte sie zu den anderen in die alte Schublade. Beim Schließen wackelte diese verdächtig.

»Was habe ich mir nur dabei gedacht, das Erbe anzunehmen? Vielleicht war es doch falsch«. Nachdenklich stammelte sie die Worte vor sich hin und starrte dabei durch das Fenster, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf das Grundstück hatte.

Es war alles so einfach gewesen, als sie noch ein kleines Mädchen war. Marie hatte es geliebt, im Garten zu toben und zu schaukeln. Jetzt erinnerten nur noch zwei verrostete Eisenvorrichtungen an die Stelle, an der einmal die massive, selbst gezimmerte Schaukel stand.

Der Garten war bis auf die Rosen karg und ohne Leben. Dieser Anblick und die Trostlosigkeit, die er ausstrahlte, versetzten ihr erneut Stiche ins Herz.

»Es wird schon werden«, den gleichen Satz hatte ihre Mutter immer vor sich hingemurmelt, wenn etwas nicht so gelaufen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Jetzt sprach ihn Marie laut aus, um sich damit selbst Mut zu machen. Und auch wenn sie die Probleme stets vor ihr zu verbergen versuchte, schaffte sie es damit immer, eine beruhigende Atmosphäre zu erzeugen.

Nun da sie selbst die Lasten tragen musste, die ihre Mutter all die Jahre bewältigte, begriff sie erst, welch eine starke Frau sie war. Kaum vorstellbar, wie Josèphe es finanziell, körperlich und auch seelisch geschafft hatte, das Haus, ihren Beruf als Floristin und Marie, ihre einzige Tochter, unter einen Hut zu bringen. »Sie wurde meinen Wünschen und Bedürfnissen immer gerecht«, stellte Marie bewundernd fest. Kein einziges Mal hatte sich ihre Mutter in ihrer Gegenwart beschwert oder gar gejammert. Im Gegenteil, sie war immer fröhlich gewesen und sprühte nur so vor Energie.

»Du fehlst mir«, voller Wehmut dachte Marie an die Zeit mit ihr zurück.

Sie konnte sich noch gut an einen Sonntagmorgen erinnern. Dieser Morgen war ihr deshalb so sehr in Erinnerung geblieben, weil sie Josèphe an diesem Sonntag nicht in ihrem Bett vorgefunden hatte. Es war zu einem Ritual geworden, dass sie ihre Mutter immer sonntags weckte, um anschließend gemeinsam zu frühstücken. Doch das Himmelbett mit den unzähligen weißen und roséfarbenen Kissen fand sie an diesem Tag unberührt vor.

Verwundert ging sie die knarzende Treppe hinunter und füllte an derselben Stelle, wo sie jetzt gerade stand, das Kaffeepulver in die Maschine. Durch das Fenster konnte sie sehen, wie ein Auto direkt vor der Einfahrt hielt. Ein sehr gepflegter und gut aussehender Mann öffnete die Fahrertür. Damals war sie gerade einmal siebzehn Jahre alt, doch bei seinem Anblick war ihr trotz der morgendlichen Kühle in der Küche warm geworden. Seine Haare waren schulterlang, das Gesicht hatte sie wegen des schwarzen Hutes, den er trug, nur bis zum Mund erkennen können. Das ließ seine Erscheinung aber nicht weniger interessant wirken.

Er trug einen gepflegten Vollbart, der fast so dunkel wie seine Kopfbedeckung war, und seine Beine steckten in einer maßgeschneiderten Jeans, die einen interessanten Kontrast zum edlen Hemd und Sakko bildeten. Mit selbstbewusstem Gang ging er ums Auto herum und öffnete die Beifahrertür.

Eine Hand griff nach seiner und Marie sah, wie ihre Mutter ausstieg. Sie trug ein Kleid in sündigem Rot, das ihre makellose Figur perfekt umschmeichelte. Und auch wenn Josèphes Haare hochgesteckt waren, erkannte ihre Tochter, wie zerzaust sie waren.

Vergeblich versuchte Marie, die wenigen Worte, die sie noch miteinander sprachen, von ihren Lippen abzulesen, doch aufgrund der Entfernung war das unmöglich. Dann drehte sich ihre Mutter um und war, ohne dem Herrn einen Abschiedskuss zu geben und ohne noch einmal einen Blick zurück zu werfen, in Richtung Haus gegangen. Marie hörte wenige Sekunden darauf, wie der Schlüssel im Türschloss umgedreht wurde.

Doch statt ihrer Mutter entgegenzugehen, betrachtete sie wie angewurzelt den fremden Mann, der noch immer in die Richtung blickte, in die ihre Mutter verschwand. Marie war sich sicher, an seinem Blick abzulesen, dass er hoffte, Josèphe würde sich noch einmal zu ihm umdrehen. Als er merkte, dass sein Warten vergebens war, stieg er in das Auto und ließ den Motor aufheulen.

Im selben Moment betrat ihre Mutter die Küche und damit war ihre Aufmerksamkeit auf sie gerichtet.

Sie war schwer zu durchschauen und gab wenig von ihrem Seelenleben preis. Auf ihre Fragen zu den Männern oder wo sie die Nacht verbracht hatte, reagierte sie erst gar nicht, daher hatte Marie es irgendwann aufgegeben.

Doch an diesem Morgen brannte ihr die Frage auf den Lippen. Als ihre Mutter sich neben sie gestellt hatte und einen Schluck von ihrem Kaffee trank, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.

»Bist du in diesen Mann verliebt?« erwartungsvoll blickte sie Josèphe an. Eine neue Liebe wünschte sie ihr von Herzen. Denn auch wenn Josèphe nie zugab, dass sie nach Vaters Verschwinden traurig war, glaubte Marie doch zu merken, dass es im Leben ihrer Mutter einsame Momente gab, in denen sie sich nach einem Freund sehnte. Josèphe hatte zwar sie, ihre Tochter, aber das war kein Ersatz für einen Partner.

Marie sah mittlerweile ein, dass es nichts brachte, auf ihre Mutter einzureden, doch an diesem Morgen schien ihre Mutter anders gestimmt zu sein als sonst. Marie spürte, wie etwas in ihrer Mutter arbeitete und die Hoffnung stieg, dieses Mal eine Antwort zu bekommen.

»Die Liebe zu einem Mann ist nicht für die Ewigkeit, deshalb investiere ich keine Zeit und keine Gefühle in eine Beziehung. Du bist meine einzige Lebensliebe«. Zärtlich drückte sie ihr einen Kuss auf die Stirn, ehe sie in Richtung Bad verschwand.

Nachdenklich blieb Marie zurück und atmete den Geruch ihres Parfüms ein, der sich in ihrer Nase verfangen hatte. Es roch nach Rosen, nach Tannen und nach einem Hauch von Zitrone. Das Lieblingsparfüm ihrer Mutter, das sie aber nur trug, wenn sie zu einer Verabredung ging. »Rosen wegen ihrer Zartheit, Tannen wegen ihrer Beständigkeit und Zitrone deshalb, weil sie einen sauren Nachgeschmack hinterlässt, von dem man aber trotzdem immer wieder den Reiz verspürt, davon zu kosten.« Letzteres verstand Marie nicht, trotzdem liebte sie es, wenn Josèphe den Duft trug.

Als sie jetzt so intensiv an sie dachte, glaubte sie tatsächlich, den Duft riechen zu können. Sie vermisste ihn, aber im ganzen Haus fand sich keine Flasche davon und auch sonst konnte sie nicht ausfindig machen, wo ihre Mutter ihn immer gekauft hatte. Es gab hier in Chamarande nur eine Drogerie. Es war dieselbe, in der Marguerite noch bis vor wenigen Monaten arbeitete. Doch selbst als sie dort nachfragte, konnte man ihr nicht weiterhelfen.

Von Sehnsucht überwältigt, presste sie die Augenlider zusammen und hoffte inständig, dass das alles nur ein böser Traum war und ihre Mutter tatsächlich dort draußen am Eingangstor stand, wenn sie die Augen wieder öffnen würde.

Doch ihr bot sich lediglich der Anblick auf den leeren, verwilderten Weg, über den noch immer ein Nebelschleier lag. In diesem Moment wurde ihr wieder bewusst, wie einsam sie doch war und in welch auswegloser Situation sie sich gerade befand.

Gedankenverloren wanderte ihr Blick durch den Raum und blieb an der Uhr, die über der Kommode hing, hängen. Der Zeiger verriet, dass es gerade einmal zehn Uhr war. Sie wollte nicht wieder den ganzen Tag, so wie die letzten Wochen, allein zu Hause verbringen, deshalb beschloss sie, das Angebot von Marguerite anzunehmen und sie auf einen Plausch zu besuchen. Es würde ihr bestimmt guttun, über alte Zeiten zu reden und sie hoffte, dadurch einen anderen Blickwinkel auf die Dinge zu bekommen. Vielleicht würde es die Dinge in ein anderes Licht rücken. Sie gab die Hoffnung noch nicht auf, doch noch eine Lösung für all ihre Probleme zu finden.

Es schien fast so, als habe Marguerite sie schon erwartet. Mit offenen Armen empfing sie Marie und schob sie in ihr kleines, aber gemütliches Wohnzimmer.

Marguerite deutete auf den einzigen Sessel im Raum, der gegenüber der Couch stand. Sie wollte mit ihrer Geste wohl ausdrücken, dass Marie sich dort niederlassen solle. Gerne nahm diese das Angebot an, setzte sich und betrachtete den Raum, während die alte Dame in der Küche verschwand, um Tee und Gebäck zu holen.

Die ersten Dinge, die ihr ins Auge stachen, waren die Couch, die von einer roten, mit orangefarbenen Mustern versehenen Decke überzogen war, und die alten Möbel, die sich harmonisch in das Gesamtbild einfügten. Es war schon sehr lange her, seit Marie ihre Nachbarin in deren Haus besuchte. An einzelne Gegenstände konnte sie sich aber trotzdem noch gut erinnern. Anderes wiederum war ihr völlig fremd, so zum Beispiel die vielen kleinen Flaschen, die auf der Kommode akkurat nebeneinanderstanden. Jede Einzelne von ihnen enthielt eine nicht definierbare Substanz. Das Einzige, was Marie daran auffiel, war die Farbe, die bei jedem Glas intensiver wurde. Betrachtete man die Flaschen einzeln, konnte man keinen Unterschied der Farbnuancen erkennen. Erst durch die Anordnung wurde die Änderung sichtbar. Die Farbe im letzten Glas glich einem pastelligen Rosa.

Wie der Wein im Keller kam es Marie in den Sinn.

Doch ehe sie stärker darüber nachdachte, welche Flüssigkeit sich in den Flaschen wohl befinden möge, erregte ein Bild, das neben den Gläsern stand, ihre Aufmerksamkeit. Das Mädchen darauf war sie selbst, auf dem Schoß ihrer Mutter Josèphe sitzend, als sie noch ganz klein war. Elaine stand daneben und blickte lächelnd in die Kamera. Es gab nicht viele Bilder von ihrer Oma und nur ganz wenige, auf denen sie alle drei zusammen abgebildet waren.

Dieses Bild wurde im Frühling aufgenommen, als die Rosen ihre Knospen zu Blüten öffneten. Auch wenn es schwarz-weiß war, kam es Marie in diesem Moment so vor, als würde es vor Farben nur so strahlen. Sie schloss die Augen und roch in Gedanken den Duft der Rosen, der zu dieser Jahreszeit bei ihrer Familie immer allgegenwärtig war.

Die ersten Blüten waren die reinsten, so hatte ihre Großmutter ihr erklärt. Nur sie waren gut