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Der Biologe Prof. Aronnax, sein Diener und ein Harpunier geraten auf der Jagd nach einem riesigen Meeresungeheuer in die Gefangenschaft des misanthropischen Kapitäns Nemo. Dessen Schiff "Nautilus" entführt die drei Reisenden in eine faszinierende Unterwasserwelt und bringt sie an exotische Gestade. Sie erkunden das versunkene Atlantis, kämpfen mit Haien und einem Riesenkraken, sehen die Wunder der Tiefsee und reisen in dem fortschrittlichsten Gefährt, das man sich zu Vernes Zeiten vorstellen konnte. Wären sie nicht die Gefangenen dieses seltsamen Kapitäns, den ein unerklärliches Schicksal zum "Rächer der Unterdrückten" gemacht hat, könnten sie ihre fantastische Reise glatt genießen. Das gelingt auf jeden Fall dem Leser, der sich gerne von dieser Meistererzählung aus den Kindertagen der Science-Fiction-Literatur in eine fremde Welt entführen lässt.
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20.000 Meilen unter dem Meer - Band 2
Jules Verne
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(c) mehrbuch
Am folgenden Tage, den 20. Februar, stand ich sehr spät auf. Die Ermüdung der nächtlichen Partie hatte mich bis elf Uhr zu Bette gehalten. Ich zog mich rasch an, um mich bald über die Richtung des Nautilus zu versichern. Die Instrumente gaben mir an, daß er mit einer Schnelligkeit von zwanzig Meilen in der Stunde bei einer Tiefe von hundert Meter stets südlich fuhr.
Conseil trat ein. Ich erzählte unseren nächtlichen Ausflug, und da die Läden geöffnet waren, so konnte er noch einen Theil des versunkenen Continents aus der Ferne erkennen.
Der Nautilus fuhr in der That nur zehn Meter hoch über dem Boden der Atlantis hin, und zwar so schnell, wie ein Ballon, den der Wind über Wiesenland treibt; richtiger gesagt, wir waren in diesem Salon wie in dem Waggon eines Eilzuges. Der Vordergrund vor unseren Augen bestand aus phantastisch zugeschnittenen Felsen, Bäumen, die bereits aus dem Pflanzen- in's Mineralreich übergegangen waren; ferner aus steinigen Massen mit einem Teppich von Axidien und Anemonen bedeckt, voll langen senkrechten Wasserpflanzen; ferner aus seltsam gestalteten Lavablöcken, welche von der wüthenden Gewaltsamkeit plutonischer Umgestaltungen Zeugniß gaben.
Während diese bizarren Landschaften in der Beleuchtung unseres elektrischen Lichtes glänzten, erzählte ich Conseil von jenen Atlanten, von den Kriegen dieser Heroenzeit. Ich besprach die Frage der Atlantis wie ein Mann, der davon überzeugt ist. Aber Conseil, in voller Zerstreuung zeigte wenig Sinn für diesen historischen Punkt. Zahlreiche Fische zogen seine Blicke an, und in die Tiefen der Classification versunken, befand er sich nicht mehr in der wirklichen Welt. Ich schloß mich ihm an in ichthyologischen Untersuchungen.
Uebrigens zeigten die Fische des Atlantischen Meeres keinen erheblichen Unterschied von den bisher beobachteten. Es waren Rochen von riesenhafter Große, fünf Meter lang und von ungeheurer Muskelkraft, so daß sie sich über die Oberfläche des Wassers emporschnellen konnten; verschiedene Arten Haifische, unter anderen ein blaugrüner, fünfzehn Fuß langer, der wegen seiner Durchsichtigkeit mitten im Wasser fast unsichtbar war, braune Speerhaie, Störe gleich denen im Mittelländischen, Seepferde, Trompetenfische, anderthalb Fuß lang, gelbbraune, mit kleinen grauen Flossen, ohne Zähne noch Zunge.
Unter den Knochenfischen notirte Conseil schwärzliche Makaïra, drei Meter lang und mit einem scharfen Degen am Oberkiefer; Seedrachen von lebhaften Farben, die wegen der Stacheln ihrer Rückenflossen schwer zu fangen sind, schöne Goldbrassen; acht Meter lange Schwertfische, die truppweise ziehen, mit gelblichen sichelförmigen Flossen und sechs Fuß langen Schwertern, unverzagte Thiere, die jedoch mehr von Pflanzen als Fischen leben und ihren Weibchen auf einen Wink gehorchen, wie ein bestgezogener Ehemann.
Aber neben der Beobachtung der Seefauna verabsäumte ich nicht, die ausgedehnten Ebenen der Atlantis zu untersuchen. Manchmal war der Nautilus durch launenhafte Unebenheiten des Bodens genöthigt, langsam zu fahren, und glitt dann so gewandt wie ein Delphin durch die engen Wege zwischen Hügeln. War dies unmöglich, so stieg er wie ein Luftballon aufwärts, und setzte, nachdem das Hinderniß beseitigt war, seine Schnellfahrt einige Meter tiefer fort. Diese Fahrt war reizend zum Staunen, ähnlich den Bewegungen einer Luftschiffahrt, nur daß der Nautilus folgsam der Hand seines Steuerers gehorchte.
Um vier Uhr Abends zeigte das Erdreich, welches im Allgemeinen aus dichtem Schlamm mit mineralisirtem Gezweig vermischt bestand, allmälig eine andere Beschaffenheit; es ward steinig und schien bedeckt mit einem Gemenge von Basalttuff mit einigen Lagen Lava und schwefelichtem Obsidian. Ich dachte, auf die ausgedehnten Ebenen werde bald die Bergregion folgen, und wirklich, bei einigen Schwenkungen des Nautilus sah ich den südlichen Horizont durch eine hohe Wand versperrt, welche jeden Ausweg abzuschneiden schien. Sie ragte offenbar über den Meeresspiegel hinan. Es mußte ein Continent oder wenigstens eine Insel sein, eine der Canarischen oder Capverdischen. Wo wir uns befanden, war mir völlig unbekannt. Jedenfalls schien eine solche Wand das Ende der Atlantis, wovon mir nur einen sehr kleinen Theil durchstreift hatten, zu bilden.
Die Nacht unterbrach meine Beobachtungen nicht. Ich befand mich allein, da Conseil sich in seine Kabine begeben hatte. Der Nautilus fuhr langsam, bewegte sich leicht über unklaren Massen des Bodens, bald an demselben hinstreifend, bald zur Oberfläche aufsteigend. Dann sah ich durch die Gewässer einige lebhafte Sternbilder, oben gerade von denjenigen, welche zum Schweife des Orion gehören.
Ich wäre noch lange an meinem Fenster geblieben um die Schönheiten des Meeres und Himmels zu bewundern, – da schlossen sich die Läden. Der Nautilus war eben an die senkrechte Wand gekommen. Wie er nun manoeuvriren würde, konnte ich nicht errathen. Ich begab mich auf mein Zimmer. Der Nautilus rührte sich nicht. Ich schlief ein, fest entschlossen, nach einigen Stunden wieder aufzustehen.
Aber am folgenden Morgen kam ich erst um acht Uhr in den Salon. Ich sah auf das Manometer, und fand, daß der Nautilus auf der Oberfläche des Meeres schwamm. Ich vernahm übrigens Fußtritte auf der Plattform. Doch verrieth kein Schwanken den Wellenschlag des Meeresspiegels.
Ich stieg zur Luckenöffnung; sie war geschlossen. Aber anstatt des Tageslichtes, wie ich erwartete, sah ich mich von dichtem Dunkel umgeben. Wo befanden wir uns? Hatte ich mich geirrt? War es noch Nacht? Nein, es schimmerte kein Stern, und so stockfinstere Nacht giebt's nicht.
Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte, als eine Stimme mich anrief:
»Sind Sie's, Herr Professor?
– Ah! Kapitän Nemo, erwiderte ich, wo sind wir?
– Unter der Erde, Herr Professor.
– Unter der Erde! rief ich aus. Und der Nautilus schwimmt noch?
– Er schwimmt fortwährend.
– Aber, ich begreife nicht?
– Warten Sie einige Augenblicke. Unsere Leuchte wird angezündet werden, und wenn Sie Klarheit lieben, sollen Sie befriedigt werden.«
Ich betrat die Plattform und wartete. Das Dunkel war so vollständig, daß ich nicht einmal den Kapitän Nemo wahrnehmen konnte. Doch als ich zum Zenith aufblickte, gerade über meinem Kopf, glaube ich einen unbestimmten Schimmer zu bemerken, eine Art Dämmerlicht durch ein rundes Loch. In dem Augenblick wurde die Leuchte plötzlich angezündet, und vor seinem lebhaften Glanz verschwand jener unbestimmte Schimmer.
Einen Augenblick mußte ich meine durch das elektrische Licht geblendeten Augen schließen, dann blickte ich umher. Der Nautilus lag still auf der Wasserfläche neben einer steilen Küste, die einem Quai gleich gestaltet war. Dies Meer, worauf er eben lag, war ein See, umschlossen von Felswänden in einem Umkreis, welcher zwei Meilen Durchmesser, also sechs Meilen Umfang hatte. Sein Wasserspiegel konnte nur – das Manometer wies es nach – von gleicher Höhe, wie der äußere sein, denn es fand nothwendig eine Verbindung zwischen diesem See und dem Meere statt. Die hohen Wände wölbten sich oben, und bildeten einen ungeheuren umgekehrten Trichter von fünf bis sechs Meter Höhe. An der Spitze befand sich eine kreisrunde Oeffnung, durch welche ich den matten Schein, offenbar vom Tageslicht, bemerkt hatte.
Bevor ich die innere Beschaffenheit dieser enormen Höhle aufmerksam untersuchte, bevor ich mir die Frage vorlegte, ob sie ein Werk der Natur oder des Menschen sei, wendete ich mich an den Kapitän Nemo.
»Wo sind wir? fragte ich.
– Mitten im Centrum eines erloschenen Vulkans, erwiderte mir der Kapitän, eines Vulkans, in dessen Inneres das Meer eingedrungen ist in Folge einer Zerreißung des Bodens. Während Sie schliefen, Herr Professor, ist der Nautilus durch einen natürlichen Kanal, zehn Meter unter dem Meeresspiegel, in diesen See eingelaufen. Hier ist sein Haupthafen, ein sicherer, bequemer, geheimnißvoller, gegen alle Windstriche geschützt! Ist denn auf den Küsten Eurer Continente oder Inseln eine Rhede zu finden, die eine so sichere Zuflucht und Schutz gegen wüthende Orkane darböte.
– Wahrhaftig, erwiderte ich, hie sind Sie in Sicherheit, Kapitän Nemo. Wer könnte im Centrum eines Vulkans Ihnen beikommen? Aber habe ich nicht in seinem Gipfel eine Oeffnung bemerkt?
– Ja, sein Krater, der vormals von Lava, Dünsten und Flammen erfüllt, nun diese erquickende Luft, welche wir einathmen, herein läßt.
– Aber was ist es für ein vulkanischer Berg? fragte ich.
– Er gehört zu einem der zahlreichen Eilande, womit dieses Meer bedeckt ist. Nur eine Klippe für die Schiffe, für uns eine unermeßliche Höhle. Der Zufall hat mich sie finden lassen, und hat mir damit sehr genützt.
– Aber könnte man nicht durch diese Oeffnung, welche den Krater des Vulkans bildet, hinabsteigen?
– Eben so wenig als ich hinaufsteigen könnte. Bis zu einer Höhe von hundert Fuß ist der untere Theil des Berges innen zu ersteigen, aber darüber hinaus hängen die Wände über, und auf ihren Abhängen kann man nicht hinauf kommen.
– Ich sehe, Kapitän, daß die Natur Ihnen überall und immer zu Diensten ist. Sie sind auf diesem See in Sicherheit, und kein Mensch außer Ihnen kann seine Gewässer besuchen. Aber wozu ein Zufluchtsort? Der Nautilus bedarf eines Hafens nicht.
– Nein, Herr Professor, aber er bedarf Elektricität, um sich zu bewegen, Elemente zur Erzeugung seiner Elektricität; Sodium, um die Elemente zu nähren; Kohle, um sein Sodium zu bereiten, und Kohlenminen, um seine Kohlen zu gewinnen. Nun aber bedeckt das Meer eben hier ganze Wälder, die in der Urzeit versanken, um mineralisirt und in Steinkohle verwandelt mir eine unerschöpfliche Vorrathsgrube bilden.
– Ihre Matrosen also, Kapitän, sind die Grubenleute?
– Ja wohl. Diese Minen laufen unter dem Meer her, wie die Gruben von Newcastle. Hier holen meine Leute in ihren Skaphandern, mit Hacke und Schaufel die Kohle, welche ich aus den Gruben der Erde nicht bedarf. Wenn ich diesen Stoff für Gewinnung des Sodiums verbrenne, bekommt der Berg durch den aus dem Krater aufsteigenden Dampf noch das Aussehen eines thätigen Vulkans.
– Und wir können Ihre Leute bei der Arbeit sehen?
– Nein, diesmal wenigstens nicht, denn ich habe Eile, unsere unterseeische Fahrt fortzusetzen. Darum beschränke ich mich jetzt darauf, aus meinem Vorrath von Sodium mich zu versehen. Wir brauchen nur einen Tag, um dasselbe an Bord zu schaffen, dann werden mir unsere Fahrt fortsetzen. Wenn Sie also, Herr Arronax, diese Zeit benutzen wollen, diese Höhle zu durchwandern und den See rings zu befahren, so steht's in Ihrem Belieben.«
Ich dankte dem Kapitän, und suchte meine Gefährten auf, die noch nicht aus ihrer Cabine herausgekommen waren. Ich lud sie ein, mir zu folgen, ohne ihnen zu sagen, wo sie sich befanden.
Sie kamen auf die Plattform. Conseil, der über nichts mehr sich verwunderte, sah es als etwas ganz Natürliches an, daß er unter einem Berg aufwachte, nachdem er unter dem Wasser eingeschlafen war. Aber Ned-Land hatte keinen andern Gedanken, als zu forschen, ob die Höhle nicht einen Ausgang habe.
Nach dem Frühstück, gegen zehn Uhr, stiegen wir aus an die Küste.
»Da sind wir einmal wieder auf dem Lande, sagte Conseil.
– Das nenn' ich nicht »Land«, erwiderte der Canadier. Und zudem sind wir nicht auf, sondern unter demselben.«
Zwischen dem Fuß der Gebirgswände und dem Wasser des Sees zog sich ein sandiger Uferrand, der, wo am weitesten, fünfhundert Fuß breit war. Auf diesem sandigen Rand konnte man leicht um den See herum gehen. Aber die Basis der hohen Wände bildete ein unebener Boden, worauf malerisch aufgeschichtete vulkanische Felsblöcke und ungeheure Bimssteine lagen. Alle diese durcheinander geworfenen Massen, durch die Einwirkung der unterirdischen Feuer mit einem glatten Schmelz bedeckt, warfen, wenn die elektrischen Strahlen der Leuchte sie trafen, einen schimmernden Glanz zurück. Der Glimmerstaub des Ufers, den unsere Tritte erregten, flog auf gleich einer Wolke von Funken.
Der Boden erhob sich merklich, sowie man sich von dem Wasser entfernte, und wir gelangten bald zu langen, gewundenen Auswegen, wahren Anbergen, welche allmälig hinauf zu kommen gestatteten, aber man mußte inmitten dieser, von keinem Bindemittel zusammengehaltenen Haufen vorsichtig schreiten, und der Fuß glitt auf diesen glasartigen Trachyten, die aus Krystallen von Feldspath und Quarz gebildet waren.
Die vulkanische Natur dieser enormen Höhlung bestätigte sich allerwärts. Ich machte meine Gefährten darauf aufmerksam.
»Können Sie sich vorstellen, fragte ich sie, wie dieser Trichter sein müßte, wenn er mit siedender Lava sich füllte, und das Niveau dieser glühenden Masse bis zur Mündung des Berges stieg, wie das siedende Metall über die Wände des Gießofens?
– Ich kann mir's völlig so vorstellen, erwiderte Conseil. Aber kann mir mein Herr sagen, weshalb der große Gießer seine Verrichtung eingestellt hat, und woher es kommt, daß an die Stelle des Gießofens ein See mit so stillem Wasser getreten ist?
– Sehr wahrscheinlich, Conseil, weil irgend eine gewaltsame Zerklüftung unterhalb der Meeresoberfläche diese Oeffnung hervorgebracht, welche dem Nautilus zur Einfahrt gedient hat. Da stürzten die Wasser des Atlantischen Meeres in's Innere des Berges hinein. Es gab dann einen fürchterlichen Kampf zwischen beiden Elementen, aus welchem Neptun als Sieger hervorging. Aber es sind seitdem viele Jahrhunderte verflossen und, der vom Wasser überwältigte Vulkan hat sich zu einer friedlichen Grotte umgewandelt.
– Sehr richtig, versetzte Ned-Land. Ich lasse die Erklärung gelten, aber ich bedauere in unserm Interesse, daß diese Oeffnung, wovon der Herr Professor spricht, nicht oberhalb des Meeresspiegels entstanden ist.
– Aber, Freund Ned, erwiderte Conseil, wäre diese Oeffnung nicht unter der See gewesen, so hätte der Nautilus nicht dahin gelangen können!
– Und ich will hinzufügen, Meister Land, die Wasser wären dann nicht unter dem Berg eingedrungen, und der Vulkan wäre Vulkan geblieben. Ihr Bedauern ist also überflüssig.«
– Wir stiegen weiter aufwärts. Die Aufwege wurden immer steiler und enger. Mitunter wurden sie von tiefen Schluchten unterbrochen, über welche man setzen mußte. Ueberhängende Massen mußten umgangen werden. Man glitt auf den Knieen, man rutschte auf dem Bauch. Aber mit Hilfe der Geschicklichkeit Conseil's und der Kraft des Canadiers wurden alle Hindernisse überwunden.
In einer Höhe von etwa dreißig Meter änderte sich die Beschaffenheit des Bodens, ohne daß er darum bequemer zu passiren wurde. An der Stelle der Conglomerate und Trachyte traten schwarze Basalte; diese zogen theils in blasigen Streifen, theils bildeten sie regelmäßige Prismen, die sich wie eine Colonnade reiheten, auf welcher das ungeheure Gewölbe ruhte, ein staunenswerthes Muster natürlicher Architektur. Sodann schlängelten sich weithin Gänge kalt gewordener Lava mit Harzstreifen durchzogen, und stellenweise bereiteten sich weite Schwefellager. Durch den oberen Theil des Kraters fiel ein stärkeres Licht herein und übergoß mit einem Dämmerschein alle diese, für immer im Schooße des erloschenen Gebirges vergrabenen vulkanischen Auswürfe.
Doch wurde unser Aufsteigen bald auf einer Höhe von etwa zweihundertfünfzig Fuß durch unüberwindliche Hindernisse gehemmt. Die innere Wölbung ward überhängend, und wir mußten nun seitwärts um den See herum wandern. Auf dieser Stufe fing das Thierreich an mit dem Mineralreich zu ringen. Es ragten einige Gebüsche und selbst Bäume aus den Krümmungen der Wand. Ich erkannte Euphorbien und Heliotropien. Diese letzteren konnten freilich nicht sich der Sonne zuwenden, weil die Strahlen derselben nicht zu ihnen reichten; einige Chrysanthemumen wuchsen schüchtern neben Aloe mit langen, traurigen und kränkelnden Blättern. Aber zwischen den Lavagängen bemerkte ich kleine Veilchen, die noch leicht dufteten, und erquickte mich an dem köstlichen Geruch.
Wir waren zu einem Gebüsch gekommen, das mit starken Wurzeln die Felsen auseinander trieb, als Ned-Land ausrief:
»Mein Herr, ein Bienenstock!
– Ein Bienenstock! versetzte ich mit ungläubiger Miene.
– Ja! ein Bienenstock, wiederholte der Canadier, und da summen Bienen herum.«
Ich trat hinzu und mußte mich durch den Augenschein überzeugen. Es fanden sich da, an der Mündung eines Loches in einem hohlen Baume einige tausend dieser fleißigen Insecten, die auf den Canarischen Inseln sehr häufig sind, wo man auch den Honig sehr zu schätzen weiß.
Ganz natürlich wünschte da der Canadier sich mit Honig zu versehen, und er hätte mir's sehr übel genommen, wenn ich ihm hätte entgegen sein wollen. Er zündete mit seinem Feuerstahl ein Häufchen dürrer Blätter mit Schwefel vermischt an, und ließ den Rauch zu den Bienen dringen. Bald hörte das Summen auf, und die Waben lieferten einige Pfund duftenden Honig, welchen Ned-Land in seinem Ranzen barg.
»Wenn ich diesen Honig mit dem Teig vom Brodfruchtbaum menge, sprach er, bin ich im Stande, Ihnen einen schmackhaften Kuchen vorzusetzen.
– Potz! sagte Conseil, das giebt ja Lebkuchen.
– Lassen wir jetzt den Lebkuchen, sagte ich, und setzen unsern interessanten Spaziergang fort.«
Nachdem wir auf dem Pfade, worauf wir uns befanden, noch etwas weiter gegangen, lag der See in seiner ganzen Ausdehnung vor unseren Blicken. Die Leuchte ließ seinen riesigen Spiegel vollständig erkennen, wie er ohne Wellen und Runzeln war. Der Nautilus hielt sich völlig unbeweglich. Auf seiner Plattform und dem Ufer regte sich die Mannschaft gleich schwarzen Schatten, die mitten aus dem Lichtkreise sich deutlich hervorhoben.
In diesem Augenblick kamen wir um die höchste Spitze des Vordergrundes der Felsen, auf welcher das Gewölbe ruhte. Da sah ich, daß Bienen nicht die einzigen Repräsentanten des Thierreichs im Innern dieses Vulkans waren. Raubvögel schweiften und streiften hier und da im Dunkel oder flohen aus ihren Nestern auf Felsenspitzen. Es waren Sperber und schreiende Weihe. Auf den Abhängen gab's auch hübsche fette Trappen, die so schnell als ihre Läufe sie trugen, davon eilten. Man kann sich denken, wie der Canadier Lust nach einem solchen Braten bekam, und wie leid es ihm war, keine Flinte zur Hand zu haben. Er versuchte durch Steine das Blei zu ersetzen, und es gelang ihm auch, nach einigen fruchtlosen Versuchen, eins der prächtigen Thiere zu verwunden. Zwanzigmal, das ist reine Wahrheit, setzte er sein Leben daran, bis daß er es in seinen Sack zu den Lebkuchen bekam.
Darauf mußten mir uns wieder abwärts nach dem Ufer zuwenden, denn aus den Gebirgskamm konnten wir nicht gelangen. Ueber uns sah der klaffende Krater aus wie eine weite Brunnenmündung. Von dieser Stelle aus konnte man den Himmel ziemlich klar erkennen, und ich sah vom Westwind zerzaustes Gewölk ziehen, das mit seinen Nebelfetzen am Gipfel des Berges streifte, also in mäßiger Höhe, denn der Vulkan ragte nicht mehr als achthundert Fuß über den Meeresspiegel.
Eine halbe Stunde nach der letzten That des Canadiers waren wir wieder am inneren Ufer angelangt. Hier war die Flora durch ein dichtes Beet Meerfenchel repräsentirt, die kleinen Schirmpflänzchen, welche man gerne zum Einmachen verwendet. Conseil sammelt einige Büschel davon. Die Fauna zählte nach Tausenden, Schalthiere aller Art, Hummer, Krabben, Palämon, Feldspinnen, Seejungfern, und eine zahllose Menge von Muscheln, Porzellan-, Purpurschnecken, Napfmuscheln.
Hier öffnete sich eine prachtvolle Grotte. Wir genossen ein wahres Vergnügen, uns auf den feinen Sand hinzustrecken. Ihre Wände waren vom Feuer glatt emaillirt und funkelnd, ganz mit Glimmerstaub bestreut. Ned-Land betastete die Wände, als wolle er untersuchen, wie dick sie seien. Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Die Unterhaltung wendete sich ans die ewigen Entweichungsprojecte, und ich glaubte, ohne Uebertreibung, ihm die Hoffnung geben zu können, der Kapitän Nemo sei nur deshalb so weit nach Süden gegangen, um sich mit Sodium zu versehen. Ich hoffte demnach, er werde jetzt sich wieder den Küsten Europa's und Amerika's nähern; dann sei es möglich mit mehr Aussicht auf Erfolg den gescheiterten Versuch nochmals zu machen.
Seit einer Stunde hatten wir uns in dieser reizenden Grotte gelagert. Die Anfangs so belebte Unterhaltung stockte, und wir neigten zum Schlaf. Da ich gar keinen Grund sah, dieser Neigung Widerstand zu leisten, so gab ich mich tiefem Schlummer hin. Ich träumte – die Träume liegen nicht in unserer Wahl – ich träumte mein Dasein habe sich nun auf das vegetative Leben einer Molluske eingeengt. Es kam mir vor, diese Grotte bilde die doppelte Schaale meiner Muschel ...
Da weckte mich plötzlich Conseil's lauter Ruf:
»Auf! Auf! schrie der wackere Junge.
– Was giebt's? fragte ich, und richtete mich etwas auf.
– Das Wasser dringt auf uns ein!«
Ich sprang auf. Das Meer stürzte reißend wie ein Bergstrom in unsere Zufluchtsstätte, und da wir keine Molluske waren, so mußten wir allerdings flüchten.
In einigen Augenblicken waren wir in Sicherheit auf dem höchsten Punkt eben dieser Grotte.
»Was geht denn vor? fragte Conseil. Ist's ein neues Phänomen?
– Nein! meine Freunde, erwiderte ich, es ist die Fluth, nichts weiter. Der Ocean schwillt draußen an, und nach dem Naturgesetz muß auch der Wasserspiegel des See's steigen. Wir sind mit einem kleinen Bade davon gekommen. Wir wollen zum Nautilus und uns umkleiden.«
Nach dreiviertel Stunden hatten wir unseren Rundgang vollendet und kamen wieder an Bord. Die Leute der Bemannung waren eben mit dem Einladen des Sodiums fertig, und der Nautilus hätte sogleich abfahren können.
Doch der Kapitän Nemo gab keinen Befehl dazu. Wollte er die Nacht abwarten und im Stillen die unterseeische Einfahrt passiren? Vielleicht.
Wie dem auch sein mag, am folgenden Morgen fuhr der Nautilus, nachdem er seinen Zufluchtshafen verlassen, weit ab von jedem Land auf hoher See, einige Meter unter dem Spiegel des Atlantischen Oceans.
So verlief also das ganze Leben des Kapitäns Nemo im Schooße des unermeßlichen Meeres bis zum Grabe in unergründlicher Tiefe, an der stillen Stätte, wohin kein Ungeheuer des Oceans drang, den letzten Schlummer der Genossen des Nautilus zu stören, seiner Freunde, die im Tode wie im Leben fest mit einander verbunden waren! »Auch kein Mensch sollte sie da stören«, hatte der Kapitän beigefügt.
Stets dasselbe Mißtrauen, das wilde, unversöhnliche, gegen die menschliche Gesellschaft!
Ich beruhigte mich nicht bei der Annahme, welche Conseil befriedigte, der Commandant des Nautilus sei nur einer der verkannten Gelehrten, welche den Menschen ihre Gleichgiltigkeit mit Verachtung erwidern. Er hielt ihn ferner für ein unverstandenes Genie, welches der Täuschungen der Erdenwelt müde, sich in dieses unzugängliche Gebiet hatte flüchten müssen, wo den Trieben seines Geistes ein freies Wirken vergönnt war. Allein, meines Erachtens, erklärte diese Annahme nur eine der Seiten seines Charakters.
In der That, das Geheimniß dieser letzten Nacht, während deren wir im Gefängniß und durch Schlaf gefesselt waren, die so gewaltsam ausgeübte Vorsicht, mir das Fernrohr, womit ich den Horizont zu betrachten im Begriff war, von den Augen wegzureißen, die tödtliche Verwundung des Mannes, die von einem unerklärlichen Stoß des Nautilus herrühren sollte, – alles dies drängte mich in eine neue Bahn. Nein! Der Kapitän Nemo beschränkte sich nicht darauf, die Menschen zu fliehen! Sein furchtbares Fahrzeug diente nicht allein seinem Freiheitsbedürfniß, sondern vielleicht auch der Absicht gewisser fürchterlicher Repressalien.
In diesem Augenblick ist mir noch nichts mit Gewißheit klar, ich sehe in diesem Dunkel nur unbestimmten Lichtschimmer, und ich muß mich darauf beschränken zu schreiben, was mir gewissermaßen die Ereignisse dictiren.
Uebrigens sind wir durch nichts an den Kapitän Nemo gebunden. Er weiß, daß ein Entrinnen unmöglich ist. Wir sind nicht einmal auf Ehrenwort eingehalten; keine Ehrenverbindlichkeit fesselt uns. Wir sind nur Gefangene, deren Eigenschaft als solche durch einen Anschein von Höflichkeit mit der Benennung »Gaste« verdeckt ist. Demnach hat Ned-Land die Hoffnung nicht aufgegeben, wieder die Freiheit zu erlangen. Gewißlich wird er die erste Gelegenheit dazu, welche ihm das Schicksal darbietet, benutzen. Ohne Zweifel werd' ich's ebenso machen. Doch werde ich nur mit gewissem Leidwesen mit mir nehmen, was uns von den Geheimnissen des Nautilus durch das Vertrauen des Kapitäns mitgetheilt worden. Denn, kurz zu reden, muß man diesen Mann hassen oder bewundern? Ist er ein Opfer oder ein Henker? Und dann, offen gesagt, ich möchte gern, bevor ich ihn auf immer verließe, diese unterseeische Fahrt um die Welt, welche so prächtig begonnen, erst vollenden. Ich möchte gern zuvor die in den Tiefen der Meere des Erdballs vorhandenen Wunder vollständig beobachten. Ich möchte sehen, was noch kein Mensch gesehen hat, und sollte ich dieses unersättliche Bedürfnis zu lernen mit meinem Leben bezahlen! Was hab' ich bis jetzt entdeckt? Nichts, ober so gut wie Nichts, denn wir haben erst sechstausend Meilen durch den Stillen Ocean zurück gelegt!
Doch weiß ich wohl, daß der Nautilus sich den bewohnten Ländern nähert, und daß, wenn sich eins Aussicht zur Rettung darbietet, es grausam wäre, meine Gefährten meiner Leidenschaft für das Unbekannte zu opfern. Ich muß mich ihnen anschließen, vielleicht sie anführen. Aber wird sich eine solche Gelegenheit jemals ergeben? Der gewaltsam seiner freien Verfügung beraubte Mensch sehnt sich nach einer solchen, aber der Gelehrte in seinem Wissensdrang fürchtet sie.
An diesem Tage, den 21. Januar 1868, war um Mittag der Schiffslieutenant beschäftigt, den Höhestand der Sonne aufzunehmen. Ich begab mich auf die Plattform, zündete eine Cigarre an und sah der Verrichtung zu. Es schien mir klar, daß dieser Mann französisch nicht verstand, denn einigemal, machte ich laut in dieser Sprache Bemerkungen, welche ihm unwillkürliche Zeichen der Beachtung entlockt haben würden, wenn er sie verstanden hätte; aber er blieb gleichgiltig und stumm.
Während er mit dem Sextant seine Beobachtungen anstellte, kam einer der Matrosen des Nautilus – jener kräftige Mann, der uns bei unserem ersten unterseeischen Ausflug auf die Insel Crespo begleitet hatte – und reinigte die Fenster der Leuchte. Da betrachtete ich die Einrichtung dieses Apparates, dessen Wirkungskraft durch linsenförmige Ringe hundertfach verstärkt wurde, welche wie bei den Leuchtthürmen angebracht waren und das Licht in der erforderlichen Ebene hielten. Die elektrische Lampe war der Art eingerichtet, daß sie alle ihre Leuchtkraft hingab. Ihr Licht erzeugte sich wirklich im leeren Raume, wodurch seine Regelmäßigkeit und Stärke gesichert wurde. Dieser leere Raum sparte auch die Graphitspitzen, zwischen welchen die Lichtströmung sich entwickelt. Eine um so wichtigere Sache für den Kapitän Nemo, da er sie nicht leicht hätte erneuern können. Aber unter diesen Verhältnissen war ihre Abnutzung fast unmerklich.
Während der Nautilus sich vorbereitete, seine unterseeische Fahrt fortzusetzen, begab ich mich wieder in den Saal hinab. Die Lucken wurden wieder geschlossen, und es wurde gerade westliche Richtung gegeben.
Wir durchschnitten also die Wogen des Indischen Oceans, eine Fläche von fünfhundertfünfzig Millionen Hektaren Gehalt von so durchsichtigem Wasser, daß man den Schwindel bekommt, wenn man an der Oberfläche sich darüber beugt. Der Nautilus hielt sich im Allgemeinen hundert bis zweihundert Meter tief. So ging es fünf Tage lang. Jedem anderen, der nicht so große Freude am Meer hatte, wie ich, würden die Stunden gewiß langweilig und einförmig vorgekommen sein; aber dieser tägliche Spaziergang auf der Plattform, wo ich mich in der erfrischenden Seeluft erquickte, der Anblick der reichen Gewässer durch die Fenster des Salon, die Lectüre in der Bibliothek, die Ausarbeitung meines Tagebuchs beschäftigten mich die ganze Zeit über, und ließen mir nicht einen einzigen Augenblick Langeweile.
Unser Gesundheitszustand hielt sich allerseits sehr befriedigend. Die tägliche Kost sagte uns vollkommen zu, und ich meines Theils hätte ganz wohl die Abwechselung entbehren können, welche Ned-Land aus Widerspruchsgeist in dieselbe zu bringen beflissen war. Ferner war bei der gleichmäßigen Temperatur nicht einmal ein Katarrh zu befürchten. Zudem hätte das madreporische Gewächs, welches in der Provence unter dem Namen Meerfenchel bekannt ist, und wovon man einigen Vorrath an Bord genommen hatte, mit dem saftigen Fleisch seiner Polypen ein vortreffliches Mittel wider den Husten gegeben.
Einige Tage lang bekamen wir eine große Menge Seevögel zu sehen, Plattfüßer, Meerschwalben oder Seemöven. Es gelang einige zu schießen, und gehörig zubereitet gaben sie ein sehr annehmliches Seewildpret ab. Unter den Weitseglern, die allerwärtsher aus weiter Ferne verschlagen, von dem ermüdenden Flug auf den Wellen ausruhen, bemerkte ich prächtige Albatros, die so disharmonisch schreien wie ein Esel; sodann Fregatten, die in reißend schnellem Flug die Fische von dem Meeresspiegel fangen, und zahlreiche Phaeton, unter anderen den rothgesprengten von der Größe einer Taube, dessen weiße Flaumfedern mit rosa Tönen schattirt sind, welche die schwarze Färbung der Flügel hervorheben.
Die Netze des Nautilus lieferten einige Sorten Seeschildkröten, von der Karetgattung mit gewölbtem Rücken und sehr geschätzter Schale. Diese Thiere tauchen leicht unter und können sich lange unter'm Wasser halten, indem sie die fleischige Klappe an der äußeren Mündung ihres Nasenkanals schließen. Das Fleisch derselben war meist nicht viel werth, aber ihre Eier bildeten eine treffliche Erfrischung.
Die Fische erregten stets unsere Bewunderung, wenn wir bei geöffneten Läden sie bei den Geheimnissen ihres Wasserlebens belauschten. Ich bemerkte einige Arten, welche ich bisher noch nicht zu beobachten Gelegenheit hatte.
Ich hebe daraus die dem Rothen und Indischen Meer eigenthümlichen Beinfische hervor. Diese sind gleich den Schildkröten, Gürtelthieren, Meerigeln, Schalthieren, mit einem Panzer geschirmt, der weder kreideartig, noch steinartig, sondern wirklich von Knochenstoff ist. Er hat bald die Form eines dreieckigen, bald eines viereckigen Körpers. Von den dreieckigen waren manche einen halben Decimeter lang, von gesundem Fleisch und ausgesuchtem Geschmack, mit braunem Schwanz und gelben Flossen. Unter den viereckigen führe ich die mit vier Buckeln auf dem Rücken an; die Dromedare mit dicken kegelförmigen Höckern, von hartem, zähem Fleisch; ferner Trigonen, welche mit Stacheln versehen sind, die durch Verlängerung ihrer beinigen Schale entstehen, und die man ihres eigenthümlichen Grunzens wegen »Meerschweine« genannt hat.
Meister Conseil hatte in seinem Tagebuch eine sehr große Menge der schönsten und merkwürdigsten Fische verzeichnet, von denen ich noch manche anführen möchte, aber es würde allzuweitläufig sein.
Vom 21. bis 23. Januar fuhr der Nautilus im Verhältniß von zweihundertundfünfzig Lieues binnen vierundzwanzig Stunden, also fünfhundertundvierzig Meilen, oder zweiundzwanzig Meilen in der Stunde. Die mancherlei Fische, welche uns begleiteten, waren durch das elektrische Licht angelockt: die meisten blieben bald zurück, manche jedoch konnten sich eine Zeit lang bei demselben halten.
Am 24. früh bekamen wir, unter 12° 5' südlicher Breite und 94° 33' Länge, die Insel Keeling in Sicht, dieselbe ist madreporischen Ursprungs, mit prachtvollen Cocosbäumen bepflanzt, aber menschenleer und mit steilen Küsten, an welchen der Nautilus nahe vorbei fuhr. Darwin und der Kapitän Fitz-Roy hatten sie besucht. Sie verschwand uns rasch am Horizont, und wir fuhren nordwestlich auf die Spitze der Indischen Halbinsel zu.
»Civilisirte Länder, sagte damals Ned-Land zu mir. Das wird besser sein, als Papuasien, wo man mehr Wilde als Wildpret antrifft! Auf diesem indischen Land, Herr Professor, giebt's Landstraßen, Eisenbahnen, englische, französische und Hindu-Städte. Da würde man keine fünf Meilen zu machen haben, um auf einen Landsmann zu stoßen. Nun? Ist da nicht der rechte Zeitpunkt, dem Kapitän Nemo seine Höflichkeit zu vergelten!
– Nein, Ned, nein, erwiderte ich in sehr bestimmtem Ton. Der Nautilus nähert sich bewohnten Landschaften. Er kommt nach Europa zurück, mag uns dahin führen. Sind wir einmal in unseren heimatlichen Meeren, werden wir sehen, was die Klugheit uns rathen wird zu versuchen. Uebrigens nehme ich nicht an, daß der Kapitän Nemo uns gestatten wird, an der Küste von Malabar oder Coromandel auf die Jagd zu gehen, wie er in den Wäldern von Neu-Guinea erlaubte.
– Ah! Herr, kann man's nicht ohne seine Erlaubniß thun?«
Ich gab dem Canadier keine Antwort weiter; ich wollte nicht darüber hin und her reden. Im Grunde hatte ich mir vorgenommen, bis zu Ende die Wechselfälle des Schicksals mitzumachen, welches mich an Bord des Nautilus verschlagen hatte.
Von der Insel Keeling an wurde unsere Fahrt im Allgemeinen langsamer. Sie war auch launenhafter, und zog uns oft in große Tiefen hinab. Wir kamen so bis auf zwei bis drei Kilometer, aber ohne jemals die großen Tiefen dieses Indischen Meeres festzustellen, welche durch Sondiren mit dreizehntausend Meter nicht hatte erreicht werden können. Was die Temperatur der niederen Schichten betraf, so zeigte das Thermometer stets unverändert vier Grad über Null. Ich beobachtete nur, daß in den oberen Lagen das Wasser unter der Oberfläche stets kälter war als oberhalb.
Am 25. Januar, da der Ocean völlig leer war, brachte der Nautilus den ganzen Tag auf der Oberfläche zu, und seine gewaltige Schraube warf bei ihren Schlägen die Wellen hoch empor. Da konnte man ihn wohl für ein Riesenungeheuer ansehen. Ich brachte drei Viertel des Tages auf der Plattform zu. Mein Blick schweifte über dem Meer. Nichts am Horizont, als gegen vier Uhr Abends ein langes Dampfboot, welches westlich uns entgegen fuhr. Seine Masten waren einen Augenblick sichtbar, aber es konnte den Nautilus nicht sehen, weil er zu flach, über die Oberfläche des Wassers wenig hervorragte. Ich glaubte, dies Boot gehörte der Linie an, welche die Fahrten von Ceylon nach Sidney macht.
Um fünf Uhr Abends, vor der Dämmerung, welche in den Tropengegenden so kurz ist, wurden wir, Conseil und ich, durch einen merkwürdigen Anblick in Staunen versetzt.
Es giebt ein reizendes Thierchen, dessen Begegnung die Alten als ein glückliches Wahrzeichen ansahen. Sie nannten es Nautilus und Pompylius. Aber die neuere Wissenschaft hat ihm einen andern Namen gegeben; die Molluske heißt jetzt Argonaut, welcher zu derselben Familie gehört, wie der Kalmar und der Tintenfisch. Einer solchen Truppe von Argonauten, die auf der Oberfläche des Oceans wanderte, und mehrere Hunderte zählte, begegneten wir damals.
Diese zierlichen Mollusken bewegten sich vermittelst ihrer Fortbewegungsröhre rückwärts, indem sie durch diese Röhre das eingesaugte Wasser entfernen. Von ihren acht Fühlfäden schwammen sechs lange und feine oben auf dem Wasser, während die beiden andern blattförmig zusammengerollt, wie ein leichtes Segel im Winde aufgespannt waren. Ich sah genau ihre spiralförmige gefältelte Muschel, welche Cuvier richtig mit einer eleganten Schaluppe vergleicht. In der That ist's ein wirkliches Boot, worin das Thier, welches durch Absonderung dasselbe geschaffen hat, fährt, ohne daß es ihm anhängt.
Etwa eine Stunde lang schwamm der Nautilus inmitten dieser Molluskenschaar. Darauf befiel sie ein plötzlicher Schrecken. Wie auf ein Signal verschwanden auf einmal alle Segel, die Arme zogen sich ein, die Körper schrumpften zusammen, die Muscheln änderten durch Umkehren ihren Schwerpunkt und die ganze Flotille sank unter. Dies geschah in einem Augenblick und mit einer gleichen Gemeinsamkeit des Manoeuvers, wie man's bei einem Schiffsgeschwader noch nie gesehen hat.
Am folgenden Tage, den 26. Januar, durchschnitten wir unter'm zweiundachtzigsten Meridian den Aequator und kamen wieder auf die nördliche Hemisphäre.
Während dieses Tages hatten wir eine fürchterliche Schaar von Haifischen im Gefolge, Ungeheuer, die in diesen Meeren massenweise vorkommen und sie sehr gefährlich machen. Oft schossen diese gewaltigen Thiere mit beunruhigendem Ungestüm wider die Fenster des Salon. Dann hielt sich Ned-Land nicht länger, wollte auf die Oberfläche des Wassers, um die Ungethüme mit seiner Harpune zu treffen. Aber der Nautilus bekam durch Verstärkung seiner Schnelligkeit leicht einen Vorsprung vor den raschesten dieser Thiere.
Am 27. Januar, bei der Einfahrt in den ungeheuern bengalischen Golf, stießen wir mehrmals auf Leichname, die auf der Meeresoberfläche schwammen. Es waren Leichen aus den indischen Städten, welche der Ganges bis in's hohe Meer getrieben hatte, und welche die Geier, die einzigen Bestatter des Landes, nicht alle hatten verschlingen können. Die Haifische waren beflissen, sie in ihrem leidigen Geschäfte zu unterstützen.
Gegen sieben Uhr Abends fuhr der Nautilus halb unter'm Wasser mitten durch ein Milchmeer. So weit man sehen konnte, schien der Ocean aus Milch zu bestehen. War's nur Wirkung des Mondlichts? Nein, denn der Mond, erst seit zwei Tagen im Wachsen begriffen, befand sich noch unterhalb des Horizonts. Der ganze Himmel, obgleich in der Beleuchtung des Sternenlichts, schien schwarz im Gegensatz mit diesem weißen Gewässer.
Conseil konnte seinen Augen nicht trauen, und fragte mich über die Ursachen dieser auffallenden Erscheinung. Glücklicherweise war ich im Stande ihm seine Frage zu beantworten.
»Man nennt das ein Milchmeer, sagte ich, weiße Meereswellen in weitem Umfang, wie man's häufig an den Küsten von Amboina und in diesen Gegenden zu sehen bekommt.
– Aber, fragte Conseil, kann mein Herr mich darüber belehren, welche Ursache eine solche Wirkung hervorbringt, denn das Wasser hat sich nicht in Milch umgewandelt, denk' ich mir.
– Nein, lieber Junge; diese weiße Farbe, welche Dir auffällt, rührt nur von Myriaden Infusionsthierchen her, eine Art Leuchtwürmchen, die farblos sind und wie Gallerte aussehen, haardünn und nicht länger als ein fünftel Millimeter. Manche dieser Thierchen hängen meilenweit mit einander zusammen.
– Meilenweit, rief Conseil aus.
– Ja, mein Junge, und gieb Dir nicht die Mühe, die Zahl dieser Thierchen auszurechnen! Du würdest es nicht fertig bringen, denn, irre ich nicht, so sind manche Seefahrer mehr als vierzig Meilen weit über solche Milchmeere gefahren.«
Ich weiß nicht, ob Conseil meiner Mahnung Rechnung trug, aber er schien in tiefes Nachdenken versenkt, indem er ohne Zweifel auszurechnen bemüht war, wieviel Fünftheile von Millimetern in vierzig Quadratmeilen enthalten sind. Ich meines Theils fuhr fort, das Phänomen zu beobachten. Einige Stunden lang fuhr der Nautilus über solchen weißen Wogen, und ich bemerkte, daß er ganz geräuschlos durch dieses seifenartige Wasser glitt, als führe er in den Schaumwirbeln, welche mitunter zwischen den Strömungen und Gegenströmungen der Baien entstehen.
Gegen Mitternacht nahm das Meer plötzlich seine gewöhnliche Farbe wieder an, aber hinter uns bis zu den Grenzen des Horizonts schien der Himmel im Wiederschein der weißen Wogen lange Zeit mit dem unbestimmten Nordlichtschimmer überzogen.
Am 28. Februar, als der Nautilus zur Mittagszeit unter'm 9° 4' nördlicher Breite wieder an die Oberfläche des Meeres kam, befand er sich im Angesicht eines Landes, das acht Meilen westlich lag. Ich gewahrte zuerst einen Haufen etwa zweitausend Fuß hoher Berge, deren Formen sich sehr launenhaft änderten. Als die Lage aufgenommen war, begab ich mich wieder in den Salon, und erkannte auf der Karte, daß wir im Angesicht der Insel Ceylon waren, dieser Perle an der unteren Spitze der indischen Halbinsel.
Ich suchte in der Bibliothek nach einem Buch über diese Insel, die eine der fruchtbarsten der Erde ist, und fand gerade einen Band von Sir H. O. Esq., mit dem Titel Ceylon und Cingalesen. Als ich wieder in den Salon trat, erschienen gleich auch der Kapitän Nemo und sein Lieutenant.
Der Kapitän warf einen Blick auf die Karte und sprach zu mir:
»Die Insel Ceylon ist durch ihre Perlenfischereien berühmt? Würde es Ihnen angenehm sein, Herr Arronax, eine solche Fischerei zu besuchen?
– Ja wohl, Kapitän.
– Gut. Es kann leicht geschehen. Nun, sehen wir zwar die Fischereien, so können wir doch nicht die Fischer sehen. Die jährlich vorgenommene Ausbeutung hat noch nicht begonnen. Thut nichts. Ich will nach dem Golf Manaar fahren, wo wir in der Nacht ankommen werden.«
Der Kapitän sprach mit seinem Lieutenant einige Worte, der ging sogleich hinaus und der Nautilus tauchte alsbald in sein Element hinab. Das Manometer zeigte, daß er sich in einer Tiefe von dreißig Fuß hielt.
Ich suchte auf der Karte den Golf von Manaar. Derselbe findet sich im Nordwesten unter'm neunten Breitegrad, gebildet durch einen langen Streifen des Inselchens Manaar. Man mußte, um hin zu kommen, das ganze westliche Ufer von Ceylon hinauf fahren.