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Dieses eBook: "3 Essays: Zur Psychologie des Geldes + Zur Psychologie der Frauen + Philosophie der Mode" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Georg Simmel (1858-1918) war ein deutscher Philosoph und Soziologe. Er leistete wichtige Beiträge zur Kulturphilosophie, war Begründer der "formalen Soziologie" und der Konfliktsoziologie. Simmel stand in der Tradition der Lebensphilosophie, aber auch der des Neukantianismus. In einem seiner Hauptwerke, der Philosophie des Geldes, entwickelt Simmel 1900 sehr anschaulich die These, dass das Geld immer mehr Einfluss auf die Gesellschaft, die Politik und das Individuum erhalte. Die Verbreitung der Geldwirtschaft habe den Menschen zahlreiche Vorteile gebracht, wie die Überwindung des Feudalismus und die Entwicklung moderner Demokratien. Allerdings sei in der Moderne das Geld immer mehr zum Selbstzweck geworden. Sogar das Selbstwertgefühl des Menschen und seine Einstellungen zum Leben würden durch Geld bestimmt. Seine Aussage: Geld wird Gott, indem es als absolutes Mittel zu einem absoluten Zweck werde, veranschaulicht Simmel durch ein prägnantes Beispiel: Die Banken sind inzwischen größer und mächtiger als die Kirchen. Sie sind zum Mittelpunkt der Städte geworden. Alles sinnlich Wahrnehmbare hat mit Geld zu tun. Der Mensch habe jedoch die Freiheit, nach Dimensionen zu streben, die mehr als Geld sind. Dies kann durch die Bildung solidarischer Gemeinschaften, die sich mit dem Geistesleben auseinandersetzen, geschehen. Durch Handeln kann die Macht des Geldes, beispielsweise in der Kultur, eingeschränkt werden. So arbeitet ein Künstler nicht allein des Geldes wegen, sondern um sich in seiner Arbeit geistig selbst zu verwirklichen. Inhalt: Zur Psychologie des Geldes Zur Psychologie der Frauen Philosophie der Mode
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Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Jede Forschungsprovinz hat zwei Grenzen, an denen die Denkbewegung aus der exakten in die philosophische Form übergeht. Die Voraussetzungen des Erkennens überhaupt, wie die Axiome jedes Sondergebietes verlegen ihre Darstellung und Prüfung aus diesem letzteren hinaus in eine prinzipiellere Wissenschaft, deren im Unendlichen liegendes Ziel ist: voraussetzungslos zu denken – ein Ziel, das die Einzelwissenschaften sich versagen, weil sie keinen Schritt ohne Beweis, also ohne Voraussetzungen sachlicher und methodischer Natur, tun. Indem die Philosophie diese Voraussetzungen darstellt und untersucht, kann sie solche doch auch für sich nicht völlig aufheben; nur ist es hier der jeweils letzte Punkt des Erkennens, an dem ein Machtspruch und der Appell an das Unbeweisbare in uns einsetzt, und der freilich vermöge des Fortschritts der Beweisbarkeiten nie definitiv festliegt. Zeichnet der Beginn des philosophischen Gebietes hier gleichsam die untere Grenze des exakten, so liegt dessen obere da, wo die immer fragmentarischen Inhalte des positiven Wissens sich durch abschließende Begriffe zu einem Weltbild zu ergänzen und auf die Ganzheit des Lebens zu beziehen verlangen. Wenn die Geschichte der Wissenschaften wirklich die philosophische Erkenntnisart als die primitive zeigt, als einen bloßen Überschlag über die Erscheinungen in allgemeinen Begriffen – so ist dieses vorläufige Verfahren doch noch manchen Fragen gegenüber unentbehrlich, nämlich denjenigen, besonders den Wertungen und allgemeinsten Zusammenhängen des geistigen Lebens angehörigen, auf die uns bis jetzt weder eine exakte Antwort noch ein Verzicht möglich ist. Ja, vielleicht würde selbst die vollendete Empirie die Philosophie als eine Deutung, Färbung und individuell auswählende Betonung des Wirklichen gerade so wenig ablösen, wie die Vollendung der mechanischen Reproduktion der Erscheinungen die bildende Kunst überflüssig machen würde.
Aus dieser Ortsbestimmung der Philosophie im allgemeinen fließen die Rechte, die sie an den einzelnen Gegenständen besitzt. Wenn es eine Philosophie des Geldes geben soll, so kann sie nur diesseits und jenseits der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde liegen: sie kann einerseits die Voraussetzungen darstellen, die, in der seelischen Verfassung, in den sozialen Beziehungen, in der logischen Struktur der Wirklichkeiten und der Werte gelegen, dem Geld seinen Sinn und seine praktische Stellung anweisen. Das ist nicht die Frage nach der Entstehung des Geldes: denn diese gehört in die Geschichte, nicht in die Philosophie. Und so hoch wir den Gewinn achten, den das Verständnis einer Erscheinung aus ihrem historischen Werden zieht, so ruht der inhaltliche Sinn und Bedeutung der gewordenen doch oft auf Zusammenhängen begrifflicher, psychologischer, ethischer Natur, die nicht zeitlich, sondern rein sachlich sind, die von den geschichtlichen Mächten wohl realisiert werden, aber sich in der Zufälligkeit derselben nicht erschöpfen. Die Bedeutsamkeit, die Würde, der Gehalt des Rechts etwa oder der Religion oder der Erkenntnis steht ganz jenseits der Frage nach den Wegen ihrer historischen Verwirklichung. Der erste Teil dieses Buches wird so das Geld aus denjenigen Bedingungen entwickeln, die sein Wesen und den Sinn seines Daseins tragen.
Die geschichtliche Erscheinung des Geldes, deren Idee und Struktur ich so aus den Wertgefühlen, der Praxis den Dingen gegenüber und den Gegenseitigkeitsverhältnissen der Menschen als ihren Voraussetzungen zu entfalten suche, verfolgt nun der zweite, synthetische Teil in ihren Wirkungen auf die innere Welt: auf das Lebensgefühl der Individuen, auf die Verkettung ihrer Schicksale, auf die allgemeine Kultur. Hier handelt es sich also einerseits um Zusammenhänge, die ihrem Wesen nach exakt und im einzelnen erforschbar wären, aber es bei dem augenblicklichen Stande des Wissens nicht sind und deshalb nur nach dem philosophischen Typus: im allgemeinen Überschlag, in der Vertretung der Einzel Vorgänge durch die Verhältnisse abstrakter Begriffe, zu behandeln sind; andrerseits um seelische Verursachungen, die für alle Zeiten Sache hypothetischer Deutung und einer künstlerischen, von individueller Färbung nie ganz lösbaren Nachbildung sein werden. Diese Verzweigung des Geldprinzips mit den Entwicklungen und Wertungen des Innenlebens steht also ebensoweit hinter der ökonomischen Wissenschaft vom Gelde, wie das Problemgebiet des ersten Teiles vor ihr gestanden hatte. Der eine soll das Wesen des Geldes aus den Bedingungen und Verhältnissen des allgemeinen Lebens verstehen lassen, der andere umgekehrt Wesen und Gestaltung des letzteren aus der Wirksamkeit des Geldes.
Keine Zeile dieser Untersuchungen ist nationalökonomisch gemeint. Das will besagen, daß die Erscheinungen von Wertung und Kauf, von Tausch und Tauschmittel, von Produktionsformen und Vermögenswrten, die die Nationalökonomie von einem Standpunkte aus betrachtet, hier von einem anderen aus betrachtet werden. Nur daß ihre, der Nationalökonomie zugewandte Seite die praktisch interessierendste, die am gründlichsten durchgearbeitete, die am exaktesten darstellbare ist – nur dies hat das scheinbare Recht begründet, sie als »nationalökonomische Tatsachen« schlechthin anzusehen. Aber wie die Erscheinung eines Religionsstifters keineswegs nur eine religiöse ist, sondern auch unter den Kategorien der Psychologie, vielleicht sogar der Pathologie, der allgemeinen Geschichte, der Soziologie untersucht werden kann; wie ein Gedicht nicht nur eine literaturgeschichtliche Tatsache ist, sondern auch eine ästhetische, eine philologische, eine biographische; wie überhaupt der Standpunkt einer Wissenschaft, die immer eine arbeitsteilige ist, niemals die Ganzheit einer Realität erschöpft – so ist, daß zwei Menschen ihre Produkte gegeneinander vertauschen, keineswegs nur eine nationalökonomische Tatsache; denn eine solche, d. h. eine, deren Inhalt mit ihrem nationalökonomischen Bilde erschöpft wäre, gibt es überhaupt nicht. Jener Tausch vielmehr kann ganz ebenso legitim als eine psychologische, als eine sittengeschichtliche, ja als eine ästhetische Tatsache behandelt werden. Und selbst als nationalökonomische betrachtet, ist sie damit nicht am Ende einer Sackgasse angekommen, sondern selbst in dieser Formung wird sie der Gegenstand der philosophischen Betrachtung, die ihre Voraussetzungen in nicht-wirtschaftlichen Begriffen und Tatsachen und ihre Folgen für nicht-wirtschaftliche Werte und Zusammenhänge prüft.
In diesem Problemkreis ist das Geld nur Mittel, Material oder Beispiel für die Darstellung der Beziehungen, die zwischen den äußerlichsten, realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Geschichte bestehen. Der Sinn und Zweck des Ganzen ist nur der: von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richtlinie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen zu ziehen. Der abstrakte philosophische Systembau hält sich in einer solchen Distanz von den Einzelerscheinungen, insbesondere des praktischen Daseins, daß er ihre Erlösung aus der Isolierung und Ungeistigkeit, ja Widrigkeit des ersten Anblicks eigentlich nur postuliert. Hier aber soll sie an einem Beispiel vollbracht werden, an einem solchen, das, wie das Geld, nicht nur die Gleichgültigkeit rein wirtschaftlicher Technik zeigt, sondern sozusagen die Indifferenz selbst ist, insofern seine ganze Zweckbedeutung nicht in ihm selbst, sondern nur in seiner Umsetzung in andere Werte liegt. Indem hier also der Gegensatz zwischen dem scheinbar Äußerlichsten und Wesenlosen und der inneren Substanz des Lebens sich aufs äußerste spannt, muß er sich aufs wirkungsvollste versöhnen, wenn diese Einzelheit sich nicht nur in den ganzen Umfang der geistigen Welt, tragend und getragen, verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungsformen derselben offenbart. Die Einheit dieser Untersuchungen liegt also nicht in einer Behauptung über einen singulären Inhalt des Wissens und deren allmählich erwachsendem Beweise, sondern in der darzutuenden Möglichkeit, an jeder Einzelheit des Lebens die Ganzheit seines Sinnes zu finden. – Der ungeheure Vorteil der Kunst gegenüber der Philosophie ist, daß sie sich jedesmal ein einzelnes, engumschriebenes Problem setzt: einen Menschen, eine Landschaft, eine Stimmung – und nun jede Erweiterung desselben zum Allgemeinen, jede Hinzufügung großer Züge des Weltfühlens, wie eine Bereicherung, Geschenk, gleichsam wie eine unverdiente Beglückung empfinden läßt. Dagegen pflegt die Philosophie, deren Problem sogleich die Gesamtheit des Daseins ist, der Größe dieses gegenüber sich zu verengen und weniger zu geben, als sie verpflichtet scheint. Hier ist nun umgekehrt versucht, das Problem begrenzt und klein zu nehmen, um ihm durch seine Erweiterung und Hinausführung zur Totalität und zum Allgemeinsten gerecht zu werden.
In methodischer Hinsicht kann man diese Grundabsicht so ausdrücken: dem historischen Materialismus ein Stockwerk unterzubauen, derart, daß der Einbeziehung des wirtschaftlichen Lebens in die Ursachen der geistigen Kultur ihr Erklärungswert gewahrt wird, aber eben jene wirtschaftlichen Formen selbst als das Ergebnis tieferer Wertungen und Strömungen, psychologischer, ja, metaphysischer Voraussetzungen erkannt werden. Für die Praxis des Erkennens muß sich dies in endloser Gegenseitigkeit entwickeln: an jede Deutung eines ideellen Gebildes durch ein ökonomisches muß sich die Forderung schließen, dieses seinerseits aus ideelleren Tiefen zu begreifen, während für diese wiederum der allgemeine ökonomische Unterbau zu finden ist, und so fort ins unbegrenzte. In solcher Alternierung und Verschlingung der begrifflich entgegengesetzten Erkenntnisprinzipien wird die Einheit der Dinge, unserem Erkennen ungreifbar scheinend und doch dessen Zusammenhang begründend, für uns praktisch und lebendig.
Die hiermit bezeichneten Absichten und Methoden dürften kein prinzipielles Recht beanspruchen, wenn sie nicht einer inhaltlichen Mannigfaltigkeit philosophischer Grundüberzeugungen dienen könnten. Die Anknüpfung der Einzelheiten und Oberflächlichkeiten des Lebens an seine tiefsten und wesentlichsten Bewegungen und ihre Deutung nach seinem Gesamtsinne kann sich auf dem Boden des Idealismus wie des Realismus, der verstandesmäßigen wie der willensmäßigen, einer absolutistischen wie einer relativistischen Interpretation des Seins vollziehen. Daß die folgenden Untersuchungen sich auf einem dieser Weltbilder, das ich für den angemessensten Ausdruck der gegenwärtigen Wissensinhalte und Gefühlsrichtungen halte, unter entschiedenem Ausschluß des entgegengesetzten aufbauen, mag ihnen im schlimmsten Fall die Rolle eines bloßen Schulbeispiels lassen, das, wenn es sachlich unzutreffend ist, seine methodische Bedeutung als Form künftiger Richtigkeiten erst recht hervortreten läßt.
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Die Änderungen in der zweiten Auflage betreffen nirgends die wesentlichen Motive. Wohl aber habe ich versucht, durch neue Beispiele und Erörterungen, vor allem durch Vertiefung der Fundamente, eine erhöhte Chance für die Verständlichkeit und die Annehmbarkeit dieser Motive zu gewinnen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
I. Wirklichkeit und Wert als gegeneinander selbständige Kategorien, durch die unsere Vorstellungsinhalte zu Weltbildern werden. Die psychologische Tatsache des objektiven Wertes. Das Objektive in der Praxis als Normierung oder Gewähr für die Totalität des Subjektiven. Der wirtschaftliche Wert als Objektivation subjektiver Werte, vermöge der Distanzierung zwischen dem unmittelbar genießenden Subjekt und dem Gegenstand. Analogie: der ästhetische Wert. Die Wirtschaft als Distanzierung (durch Mühen, Verzicht, Opfer) und gleichzeitige Überwindung derselben.
Die Ordnung der Dinge, in die sie sich als natürliche Wirklichkeiten einstellen, ruht auf der Voraussetzung, daß alle Mannigfaltigkeit ihrer Eigenschaften von einer Einheit des Wesens getragen werde: die Gleichheit vor dem Naturgesetz, die beharrenden Summen der Stoffe und der Energien, die Umsetzbarkeit der verschiedenartigsten Erscheinungen ineinander versöhnen die Abstände des ersten Anblicks in eine durchgängige Verwandtschaf, in eine Gleichberechtigtheit aller. Allein bei näherem Hinsehen bedeutet dieser Begriff doch nur, daß die Erzeugnisse des Naturmechanismus als solche jenseits der Frage nach einem Rechte stehen: ihre unverbrüchliche Bestimmtheit gibt keiner Betonung Raum, von der ihrem Sein und Sosein noch Bestätigung oder Abzug kommen könnte. Mit dieser gleichgültigen Notwendigkeit, die das naturwissenschaftliche Bild der Dinge ausmacht, geben wir uns dennoch ihnen gegenüber nicht zufrieden. Sondern, unbekümmert um ihre Ordnung in jener Reihe, verleihen wir ihrem inneren Bilde eine andere, in der die Allgleichheit völlig durchbrochen ist, in der die höchste Erhebung des einen Punktes neben dem entschiedensten Herabdrücken des anderen steht, und deren tiefstes Wesen nicht die Einheit, sondern der Unterschied ist: die Rangierung nach Werten. Daß Gegenstände, Gedanken, Geschehnisse wertvoll sind, das ist aus ihrem bloß natürlichen Dasein und Inhalt niemals abzulesen; und ihre Ordnung, den Werten gemäß vollzogen, weicht von der natürlichen aufs weiteste ab. Unzählige Male vernichtet die Natur das, was vom Gesichtspunkt seines Wertes aus eine längste Dauer fordern könnte, und konserviert das Wertloseste, ja dasjenige, was dem Wertvollen den Existenzraum benimmt. Damit ist nicht etwa eine prinzipielle Gegnerschaft und durchgängiges Sich-Ausschließen beider Reihen gemeint; denn dies würde immerhin eine Beziehung der einen zur anderen bedeuten, und zwar eine teuflische Welt ergeben, aber eine vom Gesichtspunkte des Wertes, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, bestimmte. Vielmehr, das Verhältnis zwischen beiden ist absolute Zufälligkeit. Mit derselben Gleichgültigkeit, mit der uns die Natur die Gegenstände unserer Wertschätzungen einmal darbietet, versagt sie sie uns ein anderes Mal; so daß gerade die gelegentliche Harmonie beider Reihen, die Realisierung der aus der Wertreihe stammenden Forderungen durch die Wirklichkeitsreihe, die ganze Prinziplosigkeit ihres Verhältnisses nicht minder offenbart als der entgegengesetzte Fall. Derselbe Lebensinhalt mag uns sowohl als wirklich wie als wertvoll bewußt werden; aber die inneren Schicksale, die er in dem einen und in dem anderen Falle erlebt, haben völlig verschiedenen Sinn. Man könnte die Reihen des natürlichen Geschehens mit lückenloser Vollständigkeit beschreiben, ohne daß der Wert der Dinge darin vorkäme gerade wie die Skala unserer Wertungen ihren Sinn unabhängig davon bewahrt, wie oft und ob überhaupt ihr Inhalt auch in der Wirklichkeit vorkommt. Zu dem sozusagen fertigen, in seiner Wirklichkeit allseitig bestimmten, objektiven Sein tritt nun erst die Wertung hinzu, als Licht und Schatten, die nicht aus ihm selbst, sondern nur von anderswoher stammen können. Es muß aber das Mißverständnis ferngehalten werden, als sollte damit die Bildung der Wertvorstellung, als psychologische Tatsache, dem naturgesetzlichen Werden entrückt sein. Ein übermenschlicher Geist, der das Weltgeschehen mit absoluter Vollständigkeit nach Naturgesetzen begriffe, würde unter den Tatsachen desselben auch die vorfinden, daß die Menschen Wertvorstellungen haben. Aber diese würden für ihn, der bloß theoretisch erkennt, keinen Sinn und keine Gültigkeit über ihre psychologische Existenz hinaus besitzen. Was hier der Natur als mechanischer Kausalität abgesprochen wird, ist nur die sachliche, inhaltliche Bedeutung der Wertvorstellung, während das seelische Geschehen, das jenen Inhalt zu unserer Bewußtseinstatsache macht, ohne weiteres in die Natur hineingehört. Die Wertung, als ein wirklicher psychologischer Vorgang, ist ein Stück der natürlichen Welt; das aber, was wir mit ihr meinen, ihr begrifflicher Sinn, ist etwas dieser Welt unabhängig Gegenüberstehendes, und so wenig ein Stück ihrer, daß es vielmehr die ganze Welt ist, von einem besonderen Gesichtspunkt angesehen. Man macht sich selten klar, daß unser ganzes Leben, seiner Bewußtseinsseite nach, in Wertgefühlen und Wertabwägungen verläuft und überhaupt nur dadurch Sinn und Bedeutung bekommt, daß die mechanisch abrollenden Elemente der Wirklichkeit über ihren Sachgehalt hinaus unendlich mannigfaltige Maße und Arten von Wert für uns besitzen. In jedem Augenblick, in dem unsere Seele kein bloßer interesseloser Spiegel der Wirklichkeit ist – was sie vielleicht niemals ist, da selbst das objektive Erkennen nur aus einer Wertung seiner hervorgehen kann – lebt sie in der Welt der Werte, die die Inhalte der Wirklichkeit in eine völlig autonome Ordnung faßt. Damit bildet der Wert gewissermaßen das Gegenstück zu dem Sein und ist nun gerade als umfassende Form und Kategorie des Weltbildes mit ihm vielfach vergleichbar. Kant hat hervorgehoben, das Sein sei keine Eigenschaft der Dinge; denn wenn ich von einem Objekte, das bisher nur in meinen Gedanken bestand, sage: es existiere, so gewinnt es dadurch keine neue Eigenschaft; denn sonst würde ja nicht eben dasselbe Ding, das ich vorhin dachte, sondern ein anderes existieren. So wächst einem Dinge auch dadurch, daß ich es wertvoll nenne, durchaus keine neue Eigenschaft zu; denn wegen der Eigenschaften, die es besitzt, wird es ja gerade erst gewertet: genau sein schon allseitig bestimmtes Sein wird in die Sphäre des Wertes erhoben. Dies wird von einer der tiefstgehenden Zerlegungen unseres Denkens getragen. Wir sind fähig, die Inhalte des Weltbildes zu denken, unter völligem Absehen von ihrer realen Existenz oder Nichtexistenz. Die Komplexe von Eigenschaften, die wir Dinge nennen, samt allen Gesetzen ihres Zusammenhanges und ihrer Entwicklung, können wir in ihrer rein sachlichen, logischen Bedeutung vorstellen und, ganz unabhängig davon, fragen: ob, wo, wie oft alle diese Begriffe oder inneren Anschauungen verwirklicht sind. Wie dieser inhaltliche Sinn und Bestimmtheit der Objekte nicht von der Frage berührt wird, ob sie sich im Sein wiederfinden, ebensowenig von der anderen, ob sie eine Stelle und welche in der Skala der Werte einnehmen. Wenn es aber einerseits zu einer Theorie, andrerseits zu einer Praxis für uns kommen soll, so müssen wir die Denkinhalte nach diesem beiden fragen, und in beiderlei Hinsicht kann sich keiner einer Antwort entziehen. Von jedem vielmehr muß ein unzweideutiges Sein oder Nichtsein aussagbar sein, und jeder muß für uns auf der Stufenleiter der Werte – von dem höchsten durch die Gleichgültigkeit hindurch zu den negativen Werten – eine ganz bestimmte Stelle haben; denn die Gleichgültigkeit ist ein Ablehnen der Wertung, das sehr positiven Wesens sein kann, in ihrem Hintergrund steht immer die Möglichkeit des Interesses, von der nur gerade kein Gebrauch gemacht wird. Die prinzipielle Bedeutung dieser Forderung, die die gesamte Konstitution unseres Weltbildes bedingt, wird natürlich gar nicht dadurch alteriert, daß unsere Erkenntnismittel sehr oft zu der Entscheidung über die Realität der Begriffe nicht ausreichen und ebenso oft Umfang und Sicherheit unserer Gefühle nicht zu einer Wertrangierung der Dinge, insbesondere nicht zu einer beständigen oder allgemein gültigen. Der Welt der bloßen Begriffe, der sachlichen Qualitäten und Bestimmungen stehen die großen Kategorien des Seins und des Wertes gegenüber, allumfassende Formen, die ihr Material aus jener Welt der reinen Inhalte entnehmen. Beiden ist der Charakter der Fundamentalität gemeinsam, d. h. die Unmöglichkeit, aufeinander oder auf einfachere Elemente zurückgeführt zu werden. Deshalb ist unmittelbar das Sein irgendwelchen Dinges nie logisch erweisbar; vielmehr, das Sein ist eine ursprüngliche Form unseres Vorstellens, die empfunden, erlebt, geglaubt, aber nicht dem, der sie noch nicht kennte, deduziert werden kann. Hat sie erst einmal einen einzelnen Inhalt ergriffen, durch eine jenseits des Logischen liegende Tat, so nehmen die logischen Zusammenhänge sie auf und tragen sie, soweit sie selbst reichen. So können wir freilich in der Regel sagen, weshalb wir eine bestimmte Wirklichkeit annehmen: weil wir nämlich eine andere bereits angenommen haben, deren Bestimmtheiten mit jener inhaltlich verbunden sind. Die Wirklichkeit der ersten jedoch ist nur durch eine gleiche Zurückschiebung auf eine noch fundamentalere zu erweisen. Dieser Regreß aber muß ein letztes Glied haben, dessen Sein nur durch das unmittelbare Gefühl einer Überzeugung, Bejahung, Anerkennung oder richtiger: als ein solches Gefühl gegeben ist. Genau so verhält sich der Wert den Objekten gegenüber. Alle Beweise für den Wert eines solchen bedeuten nur die Nötigung, den für irgendein Objekt bereits vorausgesetzten und jetzt augenblicklich fraglosen Wert auch einem anderen, jetzt fraglichen Objekt zuzuerkennen. Auf welche Motive hin wir dies tun, ist später festzustellen; hier nur, daß, was wir durch Wertbeweise einsehen, immer nur die Überleitung eines bestehenden Wertes auf neue Objekte ist, dagegen weder das Wesen des Wertes selbst noch der Grund, weshalb er ursprünglich an denjenigen Gegenstand geheftet wurde, der ihn nachher auf andere ausstrahlt.
Gibt es erst einmal einen Wert, so sind die Wege seiner Verwirklichung, ist seine Weiterentwicklung verstandesmäßig zu begreifen, denn nun folgt sie – mindestens abschnittsweise – der Struktur der Wirklichkeitsinhalte. Daß es ihn aber gibt, ist ein Urphänomen. Alle Deduktionen des Wertes machen nur die Bedingungen kenntlich, auf die hin er sich, schließlich ganz unvermittelt, einstellt, ohne doch aus ihnen hergestellt zu werden – wie alle theoretischen Beweise nur die Bedingungen bereiten können, auf die hin jenes Gefühl der Bejahung oder des Daseins eintritt. So wenig man zu sagen wüßte, was denn das Sein eigentlich sei, so wenig kann man diese Frage dem Wert gegenüber beantworten. Und gerade indem sie so das formal gleiche Verhältnis zu den Dingen haben, sind sie einander so fremd wie bei Spinoza das Denken und die Ausdehnung: weil diese beiden ebendasselbe, die absolute Substanz, ausdrücken, jedes aber auf seine Weise und für sich vollständig, kann nie eines in das andere übergreifen. Sie berühren sich nirgends, weil sie die Begriffe der Dinge nach völlig Verschiedenem fragen. Aber mit diesem berührungslosen Nebeneinander von Wirklichkeit und Wert ist die Welt keineswegs in eine sterile Zweiheit zerrissen, bei der sich das Einheitsbedürfnis des Geistes niemals beruhigen würde – selbst wenn es sein Schicksal und die Formel seines Suchens wäre, sich von der Vielheit zur Einheit und von der Einheit zur Vielheit abschlußlos zu bewegen. Oberhalb von Wert und Wirklichkeit liegt, was ihnen gemeinsam ist: die Inhalte, das, was Plato schließlich mit den »Ideen« gemeint hat, das Bezeichenbare, Qualitative, in Begriffe zu Fassende an der Wirklichkeit und in unseren Wertungen, das, was gleichmäßig in die eine wie in die andere Ordnung eintreten kann. Unterhalb aber dieser beiden liegt das, dem sie beide gemeinsam sind: die Seele, die das eine wie das andere in ihre geheimnisvolle Einheit aufnimmt oder aus ihr erzeugt. Die Wirklichkeit und der Wert sind gleichsam zwei verschiedene Sprachen, in denen die logisch zusammenhängenden, in ideeller Einheit gültigen Inhalte der Welt, das, was man ihr »Was« genannt hat, sich der einheitlichen Seele verständlich machen – oder auch die Sprachen, in denen die Seele das reine, an sich noch jenseits dieses Gegensatzes stehende Bild dieser Inhalte ausdrücken kann. Und vielleicht werden diese beiden Zusammenfassungen ihrer, die erkennende und die wertende, noch einmal von einer metaphysischen Einheit umfaßt, für die die Sprache kein Wort hat, es sei denn in religiösen Symbolen. Vielleicht gibt es einen Weltgrund, von dem aus gesehen die Fremdheiten und Divergenzen, die wir zwischen der Wirklichkeit und dem Wert empfinden, nicht mehr bestehen, wo beide Reihen sich als eine einzige enthüllen – sei es, daß diese Einheit überhaupt von jenen Kategorien nicht berührt wird, in erhabener Indifferenz über ihnen steht, sei es, daß sie eine durchweg harmonische, an allen Punkten gleichartige Verflechtung beider bedeutet, die nur von unserer Auffassungsweise wie von einem fehlerhaften Sehapparat auseinandergezogen, zu Bruchstücken und Gegenrichtungen verzerrt wird.
Den Charakter des Wertes nun, wie er sich zuvor in seinem Kontrast gegen die Wirklichkeit herausstellte, pflegt man als seine Subjektivität zu bezeichnen. Indem ein und derselbe Gegenstand in einer Seele den höchsten, in einer anderen den niedrigsten Grad des Wertes besitzen kann, und umgekehrt die allseitige und äußerste Verschiedenheit der Objekte sich mit der Gleichheit ihres Wertes verträgt, so scheint als Grund der Wertung nur das Subjekt mit seinen normalen oder ausnahmsweisen, dauernden oder wechselnden Stimmungen und Reaktionsweisen übrigzubleiben. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diese Subjektivität nichts mit jener zu tun hat, der man die Gesamtheit der Welt, da sie »meine Vorstellung« ist, anheimgegeben hat. Denn die Subjektivität, die vom Werte ausgesagt wird, stellt ihn in den Gegensatz zu den fertigen, gegebenen Objekten, völlig gleichgültig dagegen, auf welche Weise diese selbst zustande gekommen sind. Anders ausgedrückt: das Subjekt, das alle Objekte umfaßt, ist ein anderes als dasjenige, das sich ihnen gegenüberstellt, die Subjektivität, die der Wert mit allen Objekten teilt, kommt dabei gar nicht in Frage. Auch kann seine Subjektivität nicht den Sinn der Willkür haben: all jene Unabhängigkeit vom Wirklichen bedeutet nicht, daß der Wille ihn mit ungebundener oder launenhafter Freiheit da und dorthin verteilen könnte. Das Bewußtsein findet ihn vielmehr als eine Tatsache vor, an der es unmittelbar so wenig ändern kann wie an den Wirklichkeiten. Nach Ausschluß dieser Bedeutungen bleibt der Subjektivität des Wertes zunächst nur die negative: daß der Wert nicht in demselben Sinne an den Objekten selbst haftet wie die Farbe oder die Temperatur; denn diese, obgleich von unseren Sinnesbeschaffenheiten bestimmt, werden doch von einem Gefühle unmittelbarer Abhängigkeit von dem Objekt begleitet – einem Gefühle, auf das uns dem Werte gegenüber die eingesehene Gleichgültigkeit zwischen der Wirklichkeits- und der Wertreihe leicht verzichten lehrt. Allein wesentlicher und fruchtbarer als diese Bestimmung sind diejenigen Fälle, in denen die psychologischen Tatsachen sie dennoch zu dementieren scheinen.
In welchem empirischen oder transzendentalen Sinne man auch von »Dingen« im Unterschied vom Subjekte sprechen möge – eine »Eigenschaft« ihrer ist der Wert in keinem Fall, sondern ein im Subjekt verbleibendes Urteil über sie. Allein weder der tiefere Sinn und Inhalt des Wertbegriffs, noch seine Bedeutung innerhalb des individuellen Seelenlebens, noch die praktisch-sozialen, an ihn geknüpften Ereignisse und Gestaltungen sind mit seiner Zuweisung an das »Subjekt« irgend zulänglich begriffen. Die Wege zu diesem Begreifen liegen in einer Schicht, von der aus gesehen jene Subjektivität als etwas bloß Vorläufiges und eigentlich nicht sehr Wesentliches erscheint.
Die Scheidung zwischen Subjekt und Objekt ist keine so radikale, wie die durchaus legitimierte Aufteilung ebenso der praktischen wie der wissenschaftlichen Welt über diese Kategorien glauben macht. Das seelische Leben beginnt vielmehr mit einem Indifferenzzustand, in dem das Ich und seine Objekte noch ungeschieden ruhen, in dem Eindrücke oder Vorstellungen das Bewußtsein erfüllen, ohne daß der Träger dieser Inhalte sich von diesen selbst schon getrennt hätte. Daß in dem aktuell bestimmten, momentan wirklichen Zustand ein Subjekt, das ihn hat, von dem Inhalt, den er hat, zu unterscheiden ist, das ist erst ein sekundäres Bewußtsein, eine nachträgliche Zerlegung. Die Entwicklung führt offenbar pari passu dahin, daß der Mensch zu sich selbst Ich sagt, und daß er für sich seiende Objekte außerhalb dieses Ich anerkennt. Wenn die Metaphysik manchmal meint, daß das transzendente Wesen des Seins absolut einheitlich wäre, jenseits des Gegensatzes Subjekt-Objekt, so findet dies sein psychologisches Pendant an dem einfachen, primitiven Erfülltsein mit einem Vorstellungsinhalt, wie es an dem Kinde, das noch nicht von sich als Ich spricht, und in rudimentärer Art vielleicht das ganze Leben hindurch zu beobachten ist. Diese Einheit, aus der sich die Kategorien Subjekt und Objekt erst aneinander und durch einen noch zu erörternden Prozeß entwickeln, erscheint uns nur deshalb als eine subjektive, weil wir an sie mit dem erst nachher ausgebildeten Begriff der Objektivität herantreten, und weil wir für derartige Einheiten keinen rechten Ausdruck haben, sondern sie nach einem der einseitigen Elemente zu benennen pflegen, als deren Zusammenwirken sie in der nachträglichen Analyse erscheinen. So hat man behauptet, alles Handeln wäre seinem absoluten Wesen nach schlechthin egoistisch, während der Egoismus doch erst innerhalb des Handelns und im Gegensatz zu dem ihm korrelativen Altruismus einen verständlichen Inhalt hat; so hat der Pantheismus die Allheit des Seins Gott genannt, von dem man doch einen positiven Begriff nur in seinem Sichabheben von allem Empirischen gewinnen kann. Diese evolutionistische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt wiederholt sich schließlich im größten Maßstab: die Geisteswelt des klassischen Altertums unterscheidet sich von der Neuzeit im wesentlichen dadurch, daß erst die letztere es auf der einen Seite zu der völligen Tiefe und Schärfe des Ichbegriffes gebracht hat – wie er sich zu der dem Altertum unbekannten Bedeutung des Freiheitsproblems aufgegipfelt hat –, auf der anderen zu der Selbständigkeit und Stärke des Objektbegriffes, wie er in der Vorstellung der undurchbrechlichen Naturgesetzlichkeit ausgedrückt ist. Das Altertum war dem Indifferenzzustande, in dem Inhalte schlechthin, ohne zerlegende Projizierung auf Subjekt und Objekt vorgestellt werden, noch nicht so weit entrückt wie die späteren Epochen.
Diese auseinanderzweigende Entwicklung scheint auf ihren beiden Seiten von demselben, aber wie in verschiedenen Schichten wirkenden Motiv getragen zu sein. Denn das Bewußtsein, ein Subjekt zu sein, ist selbst schon eine Objektivierung. Hier liegt das Urphänomen der Persönlichkeitsform des Geistes; daß wir uns selbst betrachten, kennen, beurteilen können, wie irgendeinen »Gegenstand«, daß wir das als Einheit empfundene Ich dennoch in ein vorstellendes Ich-Subjekt und ein vorgestelltes Ich-Objekt zerlegen, ohne daß es darum seine Einheit verliert, ja, an diesem inneren Gegenspiel sich seiner Einheit eigentlich erst bewußt werdend – das ist die fundamentale Leistung unseres Geistes, die seine gesamte Gestaltung bestimmt. Das gegenseitige Sichfordern von Subjekt und Objekt ist hier wie in einen Punkt zusammengerückt, es hat das Subjekt selbst ergriffen, dem sonst die ganze Welt als Objekt gegenübersteht. So hat der Mensch, sobald er sich seiner selbst bewußt wird, zu sich selbst Ich sagt, die grundlegende Form seines Verhältnisses zur Welt, seiner Aufnahme der Welt realisiert. Vor ihr aber, sowohl dem Sinne nach, wie der seelischen Entwicklung nach, liegt das einfache Vorstellen eines Inhalts, das nicht nach Subjekt und Objekt fragt, das noch nicht zwischen sie aufgeteilt ist. Und von der anderen Seite her gesehen: dieser Inhalt selbst, als logisches, begriffliches Gebilde, steht nicht weniger jenseits der Entscheidung zwischen subjektiver und objektiver Realität. Wir können jeden beliebigen Gegenstand rein seinen Bestimmungen und ihrem Zusammenhange nach denken, ohne im geringsten danach zu fragen, ob dieser ideelle Komplex von Qualitäten auch als objektive Existenz gegeben sei oder sein könne. Freilich, indem ein solcher reiner Sachgehalt gedacht wird, ist er eine Vorstellung und insofern ein subjektives Gebilde. Allein das Subjektive ist hier nur der dynamische Akt des Vorstellens, die Funktion, die jenen Inhalt aufnimmt; er selbst wird gerade als etwas von diesem Vorgestelltwerden Unabhängiges gedacht. Unser Geist hat die merkwürdige Fähigkeit, Inhalte als von ihrem Gedachtwerden unabhängig zu denken – eine primäre, keiner weiteren Reduktion fähige Eigenschaft seiner; solche Inhalte haben ihre begrifflichen oder sachlichen Bestimmtheiten und Zusammenhänge, die zwar vorgestellt werden können, aber darin nicht aufgehen, sondern gelten, gleichviel, ob sie von meinem Vorstellen aufgenommen werden oder nicht – gleichviel auch, ob sie von der objektiven Realität aufgenommen werden oder nicht: der Inhalt eines Vorstellens fällt mit dem Vorstellen des Inhalts nicht zusammen. So wenig jenes primitive, undifferenzierte Vorstellen, das schlechthin nur im Bewußtwerden eines Inhaltes besteht, als subjektiv bezeichnet werden darf, weil es in den Gegensatz: Subjekt-Objekt überhaupt noch nicht eingetaucht ist, so wenig ist dieser reine Inhalt der Dinge oder Vorstellungen etwas Objektives, sondern von dieser differentiellen Form ebenso frei wie von ihrem Gegensatz und erst bereit, sich in der einen oder der anderen darzustellen. Subjekt und Objekt werden in demselben Akte geboren, logisch, indem der rein begriffliche, ideelle Sachgehalt einmal als Inhalt des Vorstellens, ein anderes Mal als Inhalt der objektiven Wirklichkeit gegeben wird – psychologisch, indem das noch ichlose, Person und Sache im Indifferenzzustande enthaltende Vorstellen in sich auseinandertritt und zwischen dem Ich und seinem Gegenstand eine Distanz entsteht, durch die jedes von beiden erst sein vom anderen sich abhebendes Wesen erhält.
Dieser Prozeß nun, der schließlich unser intellektuelles Weltbild zustande bringt, vollzieht sich auch innerhalb der willensmäßigen Praxis. Auch hier umfaßt die Scheidung in das begehrende, genießende, wertende Subjekt und das als Wert beurteilte Objekt weder die ganzen seelischen Zustände noch die gesamte sachliche Systematik des praktischen Gebietes. Insoweit der Mensch irgendeinen Gegenstand nur genießt, liegt ein in sich völlig einheitlicher Aktus vor. Wir haben in solchem Augenblick eine Empfindung, die weder ein Bewußtsein eines uns gegenüberstehenden Objektes als solchen, noch ein Bewußtsein eines Ich enthält, das von seinem momentanen Zustande gesondert wäre. Hier begegnen sich Erscheinungen der tiefsten und der höchsten Art. Der rohe Trieb, insbesondere der von unpersönlich-genereller Natur, will sich an einem Gegenstande nur selbst los werden, es kommt ihm nur auf seine Befriedigung an, gleichviel, wodurch sie gewonnen sei; das Bewußtsein wird ausschließlich von dem Genuß erfüllt, ohne sich seinem Träger auf der einen Seite, seinem Gegenstand auf der anderen mit getrennten Akzentuierungen zuzuwenden. Andrerseits zeigt der ganz gesteigerte ästhetische Genuß dieselbe Form. Auch hier »vergessen wir uns selbst«, aber wir empfinden auch das Kunstwerk nicht mehr als etwas uns Gegenüberstehendes, weil die Seele völlig mit ihm verschmolzen ist, es ebenso in sich eingezogen, wie sie sich ihm hingegeben hat. Hier wie dort wird der psychologische Zustand von dem Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt noch nicht oder nicht mehr berührt, aus seiner unbefangenen Einheit löst erst ein neu einsetzender Bewußtseinsprozeß jene Kategorien aus und betrachtet nun erst den reinen Inhaltsgenuß einerseits als den Zustand eines dem Objekt gegenüberstehenden Subjekts, andrerseits als die Wirkung eines von dem Subjekt unabhängigen Objekts. Diese Spannung, die die naiv-praktische Einheit von Subjekt und Objekt auseinandertreibt und beides – eines am anderen – erst für das Bewußtsein erzeugt, wird zunächst durch die bloße Tatsache des Begehrens hergestellt. Indem wir begehren, was wir noch nicht haben und genießen, tritt dessen Inhalt uns gegenüber. In dem ausgebildeten empirischen Leben steht zwar der fertige Gegenstand vor uns und wird daraufhin erst begehrt – schon, weil außer den Ereignissen des Wollens viele andere, theoretische und gefühlsmäßige, zu der Objektwerdung der seelischen Inhalte wirken; allein innerhalb der praktischen Welt für sich allein, auf ihre innere Ordnung und ihre Begreiflichkeit hin angesehen, sind die Entstehung des Objekts als solchen und sein Begehrtwerden durch das Subjekt Korrelatbegriffe, sind die beiden Seiten des Differenzierungsprozesses, der die unmittelbare Einheit des Genußprozesses spaltet. Man hat behauptet, daß unsere Vorstellung von objektiver Realität aus dem Widerstand entspränge, den wir, insbesondere vermittelst des Tastsinnes, seitens der Dinge erfahren. Dies ist ohne weiteres auf das praktische Problem zu übertragen. Wir begehren die Dinge erst jenseits ihrer unbedingten Hingabe an unseren Gebrauch und Genuß, d. h. indem sie eben diesem irgendeinen Widerstand entgegensetzen; der Inhalt wird Gegenstand, sobald er uns entgegensteht, und zwar nicht nur in seiner empfundenen Undurchdringlichkeit, sondern in der Distanz des Nochnichtgenießens, deren subjektive Seite das Begehren ist. Wie Kant einmal sagt: die Möglichkeit der Erfahrung ist die Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung – weil Erfahrungen machen heißt: daß unser Bewußtsein die Sinnesempfindungen zu Gegenständen bildet – so ist die Möglichkeit des Begehrens die Möglichkeit der Gegenstände des Begehrens. Das so zustande gekommene Objekt, charakterisiert durch den Abstand vom Subjekt, den dessen Begehrung ebenso feststellt wie zu überwinden sucht – heißt uns ein Wert. Der Augenblick des Genusses selbst, in dem Subjekt und Objekt ihre Gegensätze verlöschen, konsumiert gleichsam den Wert; er entsteht erst wieder in der Trennung vom Subjekt, als Gegenüber, als Objekt. Die trivialen Erfahrungen: daß wir viele Besitztümer erst dann recht als Werte schätzen, wenn wir sie verloren haben; daß die bloße Versagtheit eines begehrten Dinges es oft mit einem Werte ausstattet, dem sein erlangter Genuß nur in sehr geringem Maße entspricht; daß die Entferntheit von den Gegenständen unserer Genüsse – in jedem unmittelbaren und übertragenen Sinne der Entfernung – sie in verklärtem Lichte und gesteigerten Reizen zeigt – alles dies sind Abkömmlinge, Modifikationen, Mischungsformen der grundlegenden Tatsache, daß der Wert nicht in der ungebrochenen Einheit des Genußmomentes entspringt, sondern indem dessen Inhalt sich als Objekt von dem Subjekt löst und ihm als jetzt erst Begehrtes gegenübertritt, das zu gewinnen es der Überwindung von Abständen, Hemmnissen, Schwierigkeiten bedarf. Um die obige Analogie wieder aufzunehmen: im letzten Grunde vielleicht drängten sich nicht die Realitäten durch die Widerstände, die sie uns leisten, in unser Bewußtsein, sondern diejenigen Vorstellungen, an welche Widerstandsempfindungen und Hemmungsgefühle geknüpft wären, hießen uns die objektiv realen, von uns unabhängig außerhalb unser befindlichen. So ist es nicht deshalb schwierig, die Dinge zu erlangen, weil sie wertvoll sind, sondern wir nennen diejenigen wertvoll, die unserer Begehrung, sie zu erlangen, Hemmnisse entgegensetzen. Indem dies Begehren sich gleichsam an ihnen bricht oder zur Stauung kommt, erwächst ihnen eine Bedeutsamkeit, zu deren Anerkennung der ungehemmte Wille sich niemals veranlaßt gesehen hätte.
Der Wert, der so gleichzeitig mit dem begehrenden Ich und als sein Korrelat in einem und demselben Differenzierungsprozeß auftritt, untersteht darüber hinaus einer weiteren Kategorie; es ist dieselbe, die auch für das auf dem Wege des theoretischen Vorstellens gewonnene Objekt galt. Dort hatte sich ergeben, daß die Inhalte, die einerseits in der objektiven Welt realisiert sind, andrerseits als subjektive Vorstellungen in uns leben, jenseits dieser beiden eine eigentümliche ideelle Dignität besitzen. Der Begriff des Dreiecks oder der des Organismus, die Kausalität oder das Gravitationsgesetz haben einen logischen Sinn, eine Gültigkeit ihrer inneren Struktur, mit der sie zwar ihre Verwirklichungen im Raume und im Bewußtsein bestimmen, die aber, auch wenn es zu solchen niemals käme, unter die nicht weiter auflösbare Kategorie des Gültigen oder Bedeutsamen gehören und sich von fantastischen oder widerspruchsvollen Begriffsgebilden unbedingt unterscheiden würden, denen sie doch in bezug auf physische oder psychische Nichtrealität völlig gleichstünden. Analog nun, mit den durch die Gebietsänderung bedingten Modifikationen, verhält sich der Wert, der den Objekten des subjektiven Begehrens zuwächst. Wie wir gewisse Sätze als wahr vorstellen, mit dem begleitenden Bewußtsein, daß ihre Wahrheit von diesem Vorgestelltwerden unabhängig ist – so empfinden wir Dingen, Menschen, Ereignissen gegenüber, daß sie nicht nur von uns als wertvoll empfunden werden, sondern wertvoll wären, auch wenn niemand sie schätzte. Das einfachste Beispiel ist der Wert, den wir der Gesinnung der Menschen zusprechen, der sittlichen, vornehmen, kraftvollen, schönen. Ob solche inneren Beschaffenheiten sich je in Taten äußern, die die Anerkennung ihres Wertes ermöglichen oder erzwingen, ja, ob ihr Träger selbst mit dem Gefühl eigenen Wertes über sie reflektiert, erscheint uns nicht nur für die Tatsache ihres Wertes gleichgültig, sondern diese Gleichgültigkeit gegen ihr Anerkannt- und Bewußtwerden macht gerade die bezeichnende Färbung dieser Werte aus. Und weiter: die intellektuelle Energie und die Tatsache, daß sie die geheimsten Kräfte und Ordnungen der Natur in das Licht des Bewußtseins hebt; die Gewalt und der Rhythmus der Gefühle, die in dem engen Raum der individuellen Seele doch aller Außenwelt mit unendlicher Bedeutsamkeit überlegen sind, selbst wenn die pessimistische Behauptung von dem Übermaß des Leidens richtig ist; daß jenseits des Menschen die Natur überhaupt sich in der Zuverlässigkeit fester Normen bewegt, daß die Vielheit ihrer Gestaltungen dennoch einer tiefen Einheit des Ganzen Raum gibt, daß ihr Mechanismus sich weder der Deutung nach Ideen entzieht, noch sich weigert, Schönheit und Anmut zu erzeugen – auf alles dies hin stellen wir vor: die Welt sei eben wertvoll, gleichviel, ob diese Werte von einem Bewußtsein empfunden werden oder nicht. Und dies geht hinunter bis zu dem ökonomischen Wertquantum, das wir einem Objekt des Tauschverkehrs zusprechen, auch wenn niemand etwa den entsprechenden Preis zu bewilligen bereit ist, ja, wenn es überhaupt unbegehrt und unverkäuflich bleibt. Auch nach dieser Richtung hin macht sich die fundamentale Fähigkeit des Geistes geltend: sich den Inhalten, die er in sich vorstellt, zugleich gegenüberzustellen, sie vorzustellen, als wären sie von diesem Vorgestelltwerden unabhängig. Gewiß ist jeder Wert, den wir fühlen, insoweit eben ein Gefühl: allein, was wir mit diesem Gefühl meinen, ist ein an und für sich bedeutsamer Inhalt, der von dem Gefühl zwar psychologisch realisiert wird, aber mit ihm nicht identisch ist und sich mit ihm nicht erschöpft. Ersichtlich stellt sich diese Kategorie jenseits der Streitfrage nach der Subjektivität oder Objektivität des Wertes, weil sie die Korrelativität zum Subjekt ablehnt, ohne die ein »Objekt« nicht möglich ist; sie ist vielmehr ein Drittes, Ideelles, das zwar in jene Zweiheit eingeht, aber nicht in ihr aufgeht. Entsprechend dem praktischen Charakter ihres Gebietes, hat sie eine besondere Beziehungsform zum Subjekt zur Verfügung, das der Reserviertheit des nur abstrakt »gültigen« Inhaltes unserer theoretischen Vorstellungen abgeht. Diese Form ist als Forderung oder Anspruch zu bezeichnen. Der Wert, der an irgendeinem Dinge, einer Person, einem Verhältnis, einem Geschehnis haftet, verlangt es, anerkannt zu werden. Dieses Verlangen ist natürlich als Ereignis nur in uns, den Subjekten, anzutreffen; allein, indem wir ihm nachkommen, empfinden wir, daß wir damit nicht einfach einer von uns selbst an uns selbst gestellten Forderung genügen – ebensowenig freilich eine Bestimmtheit des Objekts nachzeichnen. Die Bedeutung irgendeines körperhaften Symbols, uns zu religiösen Gefühlen zu erregen; die sittliche Forderung einer bestimmten Lebenslage, sie zu revolutionieren oder bestehen zu lassen, sie weiterzuentwickeln oder zurückzubilden; die pflichtartige Empfindung, großen Ereignissen gegenüber nicht gleichgültig zu bleiben, sondern unsere Innerlichkeit auf sie reagieren zu lassen; das Recht des Anschaulichen, nicht einfach hingenommen, sondern in die Zusammenhänge ästhetischer Würdigung eingestellt zu werden – alles dies sind Ansprüche, die zwar ausschließlich innerhalb des Ich empfunden oder verwirklicht werden, ohne in den Objekten selbst ein Gegenbild oder sachlichen Ansatzpunkt zu finden, die aber, als Ansprüche, in dem Ich so wenig unterzubringen sind wie in den Gegenständen, die sie betreffen. Von der natürlichen Sachlichkeit aus gesehen, mag solcher Anspruch als subjektiv erscheinen, von dem Subjekte aus als etwas Objektives; in Wirklichkeit ist es eine dritte, aus jenen nicht zusammensetzbare Kategorie, gleichsam etwas zwischen uns und den Dingen. Ich sagte, daß der Wert der Dinge zu jenen Inhaltsgebilden gehörte, die wir, indem wir sie vorstellen, zugleich als etwas innerhalb dieses Vorgestelltwerdens dennoch Selbständiges empfinden, als etwas von der Funktion, durch die es in uns lebt, Gelöstes; dieses »Vorstellen« ist nun in dem Falle, wo ein Wert seinen Inhalt bildet, genauer angesehen, eben eine Empfindung von Anspruch, jene »Funktion« ist eine Forderung, die als solche nicht außerhalb unser existiert, aber ihrem Inhalt nach dennoch aus einem ideellen Reiche stammt, das nicht in uns liegt, das auch nicht den Objekten der Wertschätzung als eine Qualität ihrer anhaftet; es besteht vielmehr in der Bedeutung, die sie durch ihre Stellung in den Ordnungen jenes ideellen Reiches für uns als Subjekte besitzen. Dieser Wert, den wir als von seinem Anerkanntwerden unabhängig denken, ist eine metaphysische Kategorie; als solche steht er ebenso jenseits des Dualismus von Subjekt und Objekt, wie das unmittelbare Genießen diesseits desselben gestanden hatte. Das letztere ist die konkrete Einheit, auf die jene differentiellen Kategorien noch nicht angewendet sind, das erstere die abstrakte oder ideelle Einheit, in deren fürsichseiender Bedeutung er wieder verschwunden ist – wie in dem allbefassenden Bewußtseinszusammenhang, den Fichte das Ich nennt, der Gegensatz des empirischen Ich und des empirischen Nicht-Ich verschwunden ist. Wie der Genuß in dem Moment der völligen Verschmelzung der Funktion mit ihrem Inhalt nicht als subjektiv zu bezeichnen ist, weil kein gegenüberstehendes Objekt den Subjektsbegriff rechtfertigt, so ist dieser für sich seiende, an sich geltende Wert nichts Objektives, weil er gerade von dem Subjekt, das ihn denkt, unabhängig gedacht wird, innerhalb des Subjekts zwar als Forderung des Anerkanntwerdens auftritt, aber auch durch die Nichterfüllung dieser Forderung nichts von seinem Wesen einbüßt.
Für die Wertempfindungen, in denen die tägliche Lebenspraxis verläuft, kommt diese metaphysische Sublimierung des Begriffes nicht in Betracht. Hier handelt es sich nur um den im Bewußtsein von Subjekten lebendigen Wert und um diejenige Objektivität, die in diesem psychologischen Wertungsprozeß als sein Gegenstand entsteht. Ich zeigte vorhin, daß dieser Prozeß der Wertbildung sich mit dem Aufwachsen eines Abstandes zwischen dem Genießenden und der Ursache seines Genusses vollzieht. Und indem die Größe dieses Abstandes variiert – gemessen nicht von dem Genuß her, in dem er verschwunden ist, sondern von der Begehrung her, die mit ihm entsteht, und die er zu überwinden sucht – entspringen nun erst jene Unterschiedenheiten der Wertbetonung, die man als subjektive und objektive auseinanderhalten kann. Mindestens für jene Objekte, auf deren Schätzung die Wirtschaft beruht, ist der Wert zwar das Korrelat des Begehrens – wie die Welt des Seins meine Vorstellung ist, so ist die Welt des Wertes meine Begehrung –; allein trotz der logisch-physischen Notwendigkeit, daß jeder Begehrungstrieb seine Befriedigung von einem Gegenstand erwarte, richtet er sich in vielen Fällen seiner psychologischen Struktur nach doch auf diese Befriedigung allein, so daß der Gegenstand selbst ganz gleichgültig ist, wenn er nur den Trieb stillt. Wenn der Mann sich an jedem beliebigen Weibe ohne individuelle Auswahl genügen läßt, wenn er alles ißt, was er nur kauen und verdauen kann; wenn er auf jeder Lagerstätte schläft, wenn sich seine Kulturbedürfnisse noch aus dem einfachsten, von der Natur ohne weiteres dargebotenen Material befriedigen lassen – so ist das praktische Bewußtsein noch ein völlig subjektives, es wird ausschließlich von dem eignen Zustand des Subjektes, dessen Erregungen und Beruhigungen, erfüllt, und das Interesse an den Dingen beschränkt sich darauf, daß sie unmittelbare Ursachen dieser Wirkungen sind. Das naive Projektionsbedürfnis des primitiven Menschen, sein nach außen gerichtetes, die Innerlichkeit selbstverständlich hinnehmendes Leben verdeckt dies zwar. Allein der bewußte Wunsch darf nicht immer als zureichender Index des wirklich wirksamen Wertempfindens gelten. Eine leichtbegreifliche Zweckmäßigkeit in der Dirigierung unserer praktischen Kräfte stellt uns oft genug den Gegenstand als wertvoll dar, während, was uns eigentlich erregt, nicht er in seiner sachlichen Bedeutung, sondern die subjektive Bedürfnisbefriedigung ist, die er uns schaffen soll. Von diesem Zustand aus – der natürlich nicht immer als der zeitlich erste, sondern als der einfachste, fundamentale, gleichsam systematisch erste zu gelten hat – wird das Bewußtsein auf zwei Wegen, die sich aber wieder vereinigen, auf das Objekt selbst hingeleitet. Sobald nämlich das gleiche Bedürfnis eine Anzahl von Befriedigungsmöglichkeiten, ja vielleicht alle bis auf eine einzige zurückweist, wo also nicht nur Befriedigung überhaupt, sondern Befriedigung durch einen bestimmten Gegenstand gewünscht wird, da ist die prinzipielle Wendung vom Subjekt weg auf das Objekt angebahnt. Man könnte freilich einwerfen: es handle sich doch in jedem Falle nur um die subjektive Triebbefriedigung; nur sei im letzteren Falle der Trieb selbst schon von sich aus so differenziert, daß nur ein genau bestimmtes Objekt ihn befriedigen kann; auch hier also werde der Gegenstand nur als Ursache der Empfindung, nicht aber an sich selbst geschätzt. Dieser Einwand würde allerdings den fraglichen Unterschied annullieren, wenn die Differenzierung des Triebes diesen wirklich auf ein einziges ihm genügendes Objekt so ausschließlich zuspitzte, daß die Befriedigung durch andere überhaupt ausgeschlossen wäre. Allein dies ist ein sehr seltener Ausnahmefall. Die breitere Basis, von der aus sich auch die differenziertesten Triebe entwickeln, die ursprüngliche Allgemeinheit des Bedürfnisses, das eben nur ein Getriebenwerden, aber noch keine Einzelbestimmtheit des Zieles enthält, pflegt auch weiterhin der Untergrund zu bleiben, an dem die Verengerungen der Befriedigungswünsche sich erst ihrer individuellen Besonderheit bewußt werden. Indem die Verfeinerung des Subjekts den Kreis der Objekte, die seinen Bedürfnissen genügen, einschränkt, hebt es die Gegenstände seines Begehrens in einen scharfen Gegensatz zu allen anderen, die das Bedürfnis an sich auch stillen würden, trotzdem aber jetzt nicht mehr gesucht werden. Dieser Unterschied zwischen den Objekten lenkt, nach bekannten psychologischen Erfahrungen, das Bewußtsein in besonders hohem Maße auf sie und läßt sie in diesem als Gegenstände von selbständiger Bedeutsamkeit auftreten. In diesem Stadium erscheint das Bedürfnis von dem Gegenstande determiniert, das praktische Empfinden wird in dem Maße, in dem der Trieb sich nicht mehr auf jede, obgleich mögliche, Befriedigung stürzt, mehr und mehr von seinem terminus ad quem statt von seinem terminus a quo gelenkt; so daß der Raum sich vergrößert, den das Objekt als solches im Bewußtsein einnimmt. Das hängt auch noch folgendermaßen zusammen. Insoweit der Mensch von seinen Trieben vergewaltigt wird, bildet die Welt für ihn eigentlich eine unterschiedslose Masse; denn da sie ihm nur das an sich irrelevante Mittel der Triebbefriedigung bedeutet, diese Wirkung zudem auch aus vielerlei Ursachen hervorgehen kann, so knüpft sich so lange an den Gegenstand in seinem selbständigen Wesen kein Interesse. Daß wir aber ein ganz besonderes, einziges Objekt bedürfen, hebt die Tatsache, daß wir überhaupt eines Objektes bedürfen, in schärferes Bewußtsein. Aber dieses Bewußtsein ist gewissermaßen ein mehr theoretisches, das die blinde Energie des nur auf sein eigenes Verlöschen losgehenden Triebes herabsetzt.
Indem die differenzierende Zuspitzung des Bedürfnisses mit der Schwächung seiner elementaren Gewalt Hand in Hand geht, wird im Bewußtsein mehr Platz für das Objekt. Oder eben von der anderen Seite gesehen: weil die Verfeinerung und Spezialisierung des Bedürfnisses das Bewußtsein zu einer größeren Hingabe an das Objekt zwingt, wird dem solipsistischen Bedürfnis ein Quantum von Kraft entzogen. Allenthalben steht die Schwächung der Affekte, d. h. der unbedingten Hingabe des Ich an seinen momentanen Gefühlsinhalt, in Wechselbeziehung mit der Objektivation der Vorstellungen, mit der Heraussetzung derselben in eine uns gegenüberstehende Existenzform. So ist z. B. das Sichaussprechenkönnen eines der mächtigsten Dämpfungsmittel der Affekte. In dem Worte projiziert sich der innere Vorgang gleichsam nach außen, man hat ihn nun als ein wahrnehmbares Gebilde sich gegenüber und damit die Heftigkeit des Affektes abgeleitet. Die Beruhigung der Leidenschaften un4 die Vorstellung des Objektiven als solchen in seiner Existenz und Bedeutung sind nur zwei Seiten eines und desselben Grundprozesses. Die Wendung des innerlichen Interesses von dem bloßen Bedürfnis und seiner Befriedigung zum Objekt mittelst verengerter Möglichkeiten der letzteren ist ersichtlich ebensogut von der Seite des Objekts aus herzustellen und zu steigern – indem dasselbe die Befriedigung schwer, selten, nur auf Umwegen und durch besonderen Krafteinsatz erreichbar macht. Wenn wir nämlich selbst ein sehr differenziertes, nur auf ganz ausgewählte Objekte gerichtetes Begehren voraussetzen, so wird doch auch dieses seine Befriedigung noch relativ wie selbstverständlich hinnehmen, solange dieselbe sich ohne Schwierigkeit und Widerstand darbietet. Worauf es ankommt, um die Eigenbedeutung der Dinge zu erkennen, das ist doch die Distanz, die sich zwischen ihnen und unserem Aufnehmen bildet. Es ist nur einer der vielen Fälle, in denen man von den Dingen hinwegtreten, einen Raum zwischen uns und sie legen muß, um ein objektives Bild von ihnen zu bekommen. Sicher ist ein solches nicht weniger subjektiv-optisch bestimmt als das undeutliche oder verzerrte bei zu großem oder zu kleinem Abstand; allein aus inneren Zweckmäßigkeitsgründen des Erkennens gewinnt die Subjektivität gerade bei den Extremen der Distanz spezifische Betonung. Ursprünglich besteht das Objekt nur in unserer Beziehung zu ihm, ist ganz in diese eingeschmolzen und tritt uns erst in dem Maß gegenüber, in dem es sich dieser Beziehung nicht mehr ohne weiteres fügt. Auch zu dem eigentlichen Begehren der Dinge, das ihr Fürsichsein anerkennt, indem es dasselbe gerade zu überwinden sucht, kommt es erst da, wo Wunsch und Erfüllung nicht zusammenfallen. Die Möglichkeit des Genusses muß sich erst, als ein Zukunftsbild, von unserem augenblicklichen Zustand getrennt haben, damit wir die Dinge begehren, die nun in Distanz von uns stehen. Wie im Intellektuellen die ursprüngliche Einheit der Anschauung, die wir noch an Kindern beobachten, erst allmählich in das Bewußtsein des Ich und des ihm gegenüberstehenden Objektes auseinandergeht, so wird der naive Genuß erst dann einem Bewußtsein von der Bedeutung des Dinges, gleichsam einem Respekt vor ihm, Raum geben, wenn das Ding sich ihm entzieht. Auch hier tritt der Zusammenhang zwischen der Schwächung der Begehrungsaffekte und der beginnenden Objektivation der Werte hervor, indem das Herabsetzen der elementaren Heftigkeit des Wollens und Fühlens das Bewußtwerden des Ich begünstigt. Solange sich die Persönlichkeit noch ohne Reserve dem momentanen Affekt hingibt, von ihm ganz und gar erfüllt und hingenommen wird, kann sich das Ich noch nicht herausbilden; das Bewußtsein eines Ich vielmehr, das jenseits seiner einzelnen Erregungen steht, kann sich erst dann als das Beharrende in allem Wechsel dieser letzteren zeigen, wenn nicht jede derselben den ganzen Menschen mehr mitreißt; sie müssen vielmehr irgendeinen Teil seiner unergriffen lassen, der den Indifferenzpunkt ihrer Gegensätze bildet, so daß also erst eine gewisse Herabsetzung und Einschränkung ihrer ein Ich als den immer gleichen Träger ungleicher Inhalte entstehen läßt. Wie aber das Ich und das Objekt in allen möglichen Provinzen unserer Existenz Korrelatbegriffe sind, die in der ursprünglichen Form des Vorstellens noch ungeschieden liegen und sich aus ihr, das eine am anderen, erst herausdifferenzieren – so dürfte auch der selbständige Wert der Objekte sich erst an dem Gegensatz zu einem selbständig gewordenen Ich entfalten. Erst die Repulsionen, die wir von dem Objekt erfahren, die Schwierigkeiten seiner Erlangung, die Warte- und Arbeitszeit, die sich zwischen Wunsch und Erfüllung schieben, treiben das Ich und das Objekt auseinander, die in dem unmittelbaren Beieinander von Bedürfnis und Befriedigung unentwickelt und ohne gesonderte Betonung ruhen. Mag die hier wirkende Bestimmung des Objekts nun in seiner bloßen Seltenheit – relativ zu seiner Begehrtheit – oder in den positiven Aneignungsmühen bestehen, jedenfalls setzt es erst dadurch jene Distanz zwischen ihm und uns, die schließlich gestattet, ihm einen Wert jenseits seines bloßen Genossenwerdens zuzuteilen.
So kann man sagen, daß der Wert eines Objekts zwar auf seinem Begehrtwerden beruht, aber auf einer Begehrung, die ihre absolute Triebhaftigkeit verloren hat. Ebensowenig aber darf das Objekt, wenn es ein wirtschaftlicher Wert bleiben soll, sein Wertquantum zu einer Höhe steigern, bei der es praktisch wie ein absolutes wirkt. Die Distanz zwischen dem Ich und dem Gegenstand seiner Begehrung kann eine so weite werden – sei es durch die sachlichen Schwierigkeiten der Beschaffung, sei es durch exorbitante Höhe des Preises, sei es durch Bedenken sittlicher oder anderer Art, die sich dem Streben nach ihm entgegenstellen –, daß es zu gar keinem realen Willensakt kommt, sondern das Begehren entweder erlischt oder zu einem schattenhaften Wünschen wird. Der Abstand zwischen Subjekt und Objekt, mit dessen Aufwachsen der Wert, mindestens in dem wirtschaftlichen Sinne, entsteht, hat also eine untere und eine obere Grenze, so daß die Formulierung, das Maß des Wertes sei gleich dem Maße des Widerstandes, der sich der Erlangung begehrter Dinge nach Natur-, Produktions- und sozialen Chancen entgegensetze – den Sachverhalt nicht trifft. Gewiß würde Eisen kein wirtschaftlicher Wert sein, wenn sich seiner Erlangung keine größeren Schwierigkeiten entgegensetzten, als etwa der Erlangung der Luft zum Atmen; aber andrerseits mußten diese Schwierigkeiten unter ein gewisses Maß sinken, damit man das Eisen überhaupt zu derjenigen Fülle von Werkzeugen verarbeiten konnte, die es wertvoll machte. Oder auch: man hat behauptet, die Werke eines fruchtbaren Malers würden, bei gleicher Kunstvollendung, weniger kostbar sein als die des minder produktiven; das ist erst oberhalb einer bestimmten Quantitätsgrenze richtig. Denn es bedarf gerade einer gewissen Fülle von Werken eines Malers, damit er überhaupt erst einmal denjenigen Ruhm erwerbe, der den Preis seiner Bilder hochhebt. So hat ferner in einigen Papierwährungsländern gerade die Seltenheit des Goldes es dahin gebracht, daß das niedere Volk überhaupt nicht mehr Gold nehmen mag, wenn es ihm zufällig geboten wird. Ja, gerade den Edelmetallen gegenüber, deren Eignung zur Geldsubstanz man auf ihre Seltenheit zu gründen pflegt, darf die Theorie nicht übersehen, daß diese Seltenheitsbedeutung erst oberhalb einer ziemlich erheblichen Häufigkeit einsetzen kann, ohne welche diese Metalle dem praktischen Geldbedürfnis gar nicht dienen und also den Wert, den sie als Geldstoffe besitzen, gar nicht erlangen könnten. Vielleicht läßt nur die praktische Habsucht, die über jedes gegebene Quantum von Gütern hinausbegehrt, und der deshalb jeder Wert zu knapp erscheint, es verkennen, daß nicht Seltenheit, sondern ein gewisses Mittleres zwischen Seltenheit und Nichtseltenheit in den meisten Fällen die Bedingung des Wertes bildet. Das Seltenheitsmoment ist, wie eine leichte Überlegung zeigt, in die Bedeutung der Unterschiedsempfindlichkeit einzurangieren; das Häufigkeitsmoment in die Bedeutung der Gewöhnung. Wie nun das Leben allenthalben durch die Proportion dieser beiden Tatsachen: daß wir ebenso Unterschied und Wechsel seiner Inhalte, wie Gewöhnung an jeden derselben bedürfen – bestimmt wird, so stellt sich diese allgemeine Notwendigkeit hier in der speziellen Form dar, daß der Wert der Dinge einerseits einer Seltenheit, also eines Sichabhebens, einer besonderen Aufmerksamkeit bedarf, andrerseits aber einer gewissen Breite, Häufigkeit, Dauer, damit die Dinge überhaupt die Schwelle des Wertes überschreiten.
Ich will an einem Beispiel, das den ökonomischen Werten ganz fern liegt und gerade deshalb die prinzipielle Seite auch dieser zu verdeutlichen geeignet ist, die allgemeine Bedeutung der Distanzierung für die als objektiv vorgestellte Wertung darstellen: an der ästhetischen. Was wir jetzt die Freude an der Schönheit der Dinge nennen, ist relativ spät entwickelt. Denn wieviel unmittelbar sinnliches Genießen ihr einzelner Fall auch jetzt noch aufweise, so beruht doch das Spezifische ihrer gerade in dem Bewußtsein, die Sache zu würdigen und zu genießen und nicht nur einen Zustand sinnlichen oder übersinnlichen Angeregtseins, den sie uns etwa bereite. Jeder kultivierte Mann wird prinzipiell mit großer Sicherheit zwischen der ästhetischen und der sinnlichen Freude an Frauenschönheit unterscheiden, so wenig er vielleicht der einzelnen Erscheinung gegenüber diese Komponenten seines Gesamtgefühles mag gegeneinander abgrenzen können. In der einen Beziehung geben wir uns dem Objekt, in der anderen gibt sich der Gegenstand uns hin. Mag der ästhetische Wert, wie jeder andere, der Beschaffenheit der Dinge selbst fremd und eine Projektion des Gefühles in sie hinein sein, so ist es ihm doch eigentümlich, daß diese Projektion eine vollkommene ist, d. h. daß der Gefühlsinhalt sozusagen völlig in den Gegenstand hineingeht und als eine dem Subjekt mit eigener Norm gegenüberstehende Bedeutsamkeit erscheint, als etwas, was der Gegenstand ist. Wie mag es nun historisch-psychologisch zu dieser objektiven, ästhetischen Freude an den Dingen gekommen sein, da doch der primitive Genuß ihrer, von dem jeder höhere ausgegangen sein muß, sich sicher nur an ihre subjektiv-unmittelbare Genießbarkeit und Nützlichkeit geknüpft hat? Vielleicht gibt uns eine ganz einfache Beobachtung den Schlüssel dazu. Wenn ein Objekt irgendwelcher Art uns große Freude oder Förderung bereitet hat, so haben wir bei jedem späteren Anblick dieses Objekts ein Freudegefühl, und zwar auch dann, wenn jetzt von einem Benutzen oder Genießen desselben nicht mehr die Rede ist. Diese echoartig anklingende Freude trägt einen ganz eigenen psychologischen Charakter, der dadurch bestimmt ist, daß wir jetzt nichts mehr von dem Gegenstande wollen; an die Stelle der konkreten Beziehung, die uns vorher mit ihm verband, tritt jetzt das bloße Anschauen seiner als die Ursache der angenehmen Empfindung; wir lassen ihn jetzt in seinem Sein unberührt, so daß sich unser Gefühl nur an seine Erscheinung, nicht aber an das knüpft, was von ihm in irgendeinem Sinne konsumierbar ist. Kurz, während uns der Gegenstand früher als Mittel für unsere praktischen oder eudämonistischen Zwecke wertvoll war, ist es jetzt sein bloßes Anschauungsbild, das uns Freude macht, indem wir ihm dabei reservierter, entfernter, ohne ihn zu berühren, gegenüberstehen. Hierin scheinen mir schon die entscheidenden Züge des Ästhetischen präformiert zu sein, wie sich sogleich unverkennbar zeigt, wenn man diese Umsetzung der Empfindungen von dem Individualpsychologischen in die Gattungsentwicklung hineinverfolgt. Man hat die Schönheit schon längst aus der Nützlichkeit ableiten wollen, ist aber in der Regel, weil man beides zu nahe aneinander ließ, in einer banausischen Vergröberung des Schönen stecken geblieben. Diese läßt sich vermeiden, wenn man die äußerlichen Zweckmäßigkeiten und sinnlich-eudämonistischen Unmittelbarkeiten nur weit genug in die Geschichte der Gattung zurückschiebt, derart, daß sich an das Bild dieser Dinge innerhalb unseres Organismus ein instinkt- oder reflexartiges Lustgefühl geknüpft hat, das nun in dem Einzelnen, auf den diese physisch-psychische Verbindung vererbt ist, wirksam wird, auch ohne daß eine Nützlichkeit des Gegenstandes für ihn selbst ihm bewußt wäre oder bestünde. Auf die Kontroverse über die Vererbung derartig erworbener Verbindungen brauche ich nicht einzugehen, da es für unseren Zusammenhang genügt, daß die Erscheinungen so verlaufen, als ob erworbene Eigenschaften erblich wären. So wäre schön für uns zunächst einmal dasjenige, was sich als der Gattung nützlich erwiesen hat, und dessen Wahrnehmung uns deshalb Lust bereitet, ohne daß wir als Individuen ein konkretes Interesse an diesem Objekt hätten – was natürlich weder Uniformität noch Fesselung des individuellen Geschmacks an ein Durchschnitts- oder Gattungsniveau bedeutet. Jene Nachklänge der generellen Nützlichkeit werden von den ganzen Mannigfaltigkeiten der individuellen Seelen aufgenommen und zu völlig unpräjudizierten Besonderheiten weitergebildet – so daß man vielleicht sagen könnte, jene Lösung des Lustgefühles von der Realität seiner ursprünglichen Veranlassung wäre schließlich zu einer Form unseres Bewußtseins geworden, unabhängig von den ersten Inhalten, die ihre Bildung veranlaßten, und bereit, jegliche andere in sich aufzunehmen, die die seelische Konstellation in sie hineinwachsen läßt. In Fällen, wo wir zu einer realistischen Lust noch Veranlassung haben, ist unser Gefühl dem Dinge gegenüber nicht das spezifisch ästhetische, sondern ein konkretes, das erst durch eine gewisse Distanzierung, Abstraktion, Sublimierung die Metamorphose zu jenem erfährt. Es ereignet sich hier nur das sehr Häufige, daß, nachdem einmal eine bestimmte Verbindung gestiftet ist, das verbindende Element in Wegfall kommt, weil seine Dienste nicht länger erforderlich sind. Die Verbindung zwischen gewissen nützlichen Objekten und Lustgefühlen ist in der Gattung durch einen vererbbaren oder sonst irgendwie tradierten Mechanismus so fest geworden, daß nun schon der bloße Anblick dieser Objekte, auch ohne daß wir ihre Nützlichkeit genössen, für uns zur Lust wird. Daraus erklärt sich das, was Kant die ästhetische Interesselosigkeit nennt, die Gleichgültigkeit gegen die reale Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine »Form«, d. h. seine Sichtbarkeit gegeben ist; daher jene Verklärung und Überirdischkeit des Schönen – diese ist durch die zeitliche Ferne der realen Motive bewirkt, aus denen wir jetzt ästhetisch empfinden; daher die Vorstellung, das Schöne sei etwas Typisches, Überindividuelles, Allgemeingültiges – denn die gattungsmäßige Entwicklung hat alles Spezifische, bloß Individuelle der einzelnen Motive und Erfahrungen längst aus diesen inneren Bewegungen hinweggeläutert; daher die häufige Unmöglichkeit, das ästhetische Urteil verstandesmäßig zu begründen, und der Gegensatz, in den es sich manchmal gerade zu dem setzt, was uns als Individuen nützlich oder angenehm ist. Diese ganze Entwicklung der Dinge nun von ihrem Nützlichkeitswert zu ihrem Schönheitswert ist ein Objektivationsprozeß. Indem ich das Ding schön nenne, ist seine Qualität und Bedeutung in ganz anderer Weise von den Dispositionen und Bedürfnissen des Subjekts unabhängig, als wenn es bloß nützlich ist. Solange die Dinge nur dies sind, sind sie fungibel, d. h. jedes andere, das denselben Erfolg hat, kann jedes ersetzen. Sobald sie schön sind, bekommen sie individuelles Fürsichsein, so daß der Wert, den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist. Wir brauchen die Genesis des Ästhetischen nicht aus diesen dürftigen Andeutungen in die Fülle ihrer Ausgestaltungen zu verfolgen, um zu erkennen: die Objektivierung des Wertes entsteht in dem Verhältnis der Distanz, die sich zwischen dem subjektiv-unmittelbaren Ursprung der Wertung des Objekts und unserem momentanen Empfinden seiner bildet. Je weiter die Nützlichkeit für die Gattung, die zuerst an den Gegenstand ein Interesse und einen Wert knüpfen ließ, zeitlich zurückliegt und als solche vergessen ist, desto reiner ist die ästhetische Freude an der bloßen Form und Anschauung des Objekts, d. h. desto mehr steht es uns mit eigener Würde gegenüber, desto mehr geben wir ihm eine Bedeutung, die nicht in seinem zufälligen subjektiven Genossenwerden aufgeht, desto mehr macht die Beziehung, in der wir die Dinge nur als Mittel für uns werten, dem Gefühle ihres selbständigen Wertes Platz.
Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil die objektivierende Wirkung dessen, was ich die Distanzierung nenne, an einem zeitlichen Abstand besonders anschaulich wird. Der Vorgang ist natürlich ein intensiver und qualitativer, so daß die quantitative Bezeichnung durch eine Distanz eine bloß symbolische ist. Es kann deshalb der gleiche Effekt durch eine Reihe anderer Momente hervorgerufen werden, wie es sich tatsächlich schon gezeigt hat: durch die Seltenheit des Objekts, durch die Schwierigkeit der Erlangung, durch die Notwendigkeit des Verzichtes. Mag nun in diesen, für die Wirtschaft wesentlichen Fällen die Bedeutsamkeit der Dinge immer eine Bedeutsamkeit für uns und deshalb von unserer Anerkennung abhängig bleiben – die entscheidende Wendung ist doch, daß sie uns nach diesen Entwicklungen wie Macht zu Macht gegenüberstehen, eine Welt von Substanzen und Kräften, die durch ihre Eigenschaften bestimmen, ob und inwieweit sie unsere Begehrungen befriedigen, und die Kampf und Mühsal von uns fordern, ehe sie sich uns ergeben. Erst wenn die Frage des Verzichtes auftaucht – des Verzichtes auf eine Empfindung