7 Super Love Stories September 2023 - Ela Bertold - E-Book

7 Super Love Stories September 2023 E-Book

Ela Bertold

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Geschichten: Sandy Palmer: Weihnachtsglanz in deinen Augen Sandy Palmer: Weine nicht, wenn alle träumen Sandy Palmer: Lichterglanz und Weihnachtsstress Sandy Palmer: Liebe, die uns hoffen lässt Sandy Palmer: Dich hat mir der Himmel geschickt Ela Bertold: Das war unsere Zeit W.A.Hary: Ich sage niemals mehr, ich liebe dich! Als ihr der Föhn aus der Hand fiel, auf die wunderschönen italienischen Fliesen krachte und fortan nur noch ein heiseres Krächzen von sich gab, brach Nadja Martens unvermittelt in Tränen aus. Sie fand ihre Reaktion selbst höchst albern, doch sie kam gegen die Tränenflut einfach nicht an. Außerdem - der nun unbrauchbare Haartrockner war ja auch gar nicht die Ursache für ihr heulendes Elend. Grund war die Einsamkeit, die Nadja gerade heute wieder auf schmerzhafte Weise bewusst wurde. Nadja hasste Sonntage. Vor allem, wenn sie so sonnig und warm waren wie dieser. Im Garten grünte und blühte es, Vogelgezwitscher drang bis hierher ins luxuriöse Bad, und wenn Nadja aus dem Fenster schaute, konnte sie drüben auf den Rheinwiesen Familien spazieren gehen sehen - ein Bild, das ihre schlechte Stimmung noch trübseliger machte. Gewiss, sie hätte etliche Möglichkeiten gehabt, sich zu zerstreuen. Zum Golfclub hinausfahren, ein paar Freunde besuchen oder mit Oliver irgendwo schick essen gehen. Aber nichts von alledem war wirklich verlockend. Im Gegenteil, einige dieser Möglichkeiten, davon war sie überzeugt, würden sie noch depressiver machen. Im Golfclub traf man in erster Linie Leute, die beim Spiel am liebsten über die gemeinsamen Geschäfte sprachen, und ihre Freunde waren allesamt mehr oder weniger glücklich verheiratet. Zumindest aber fest liiert. Oliver war eine Ausnahme. Oliver umwarb Nadja seit Jahren ebenso unverdrossen wie erfolglos. Sie mochte ihn, ohne Zweifel. Er war amüsant, gebildet, besaß gute Manieren und hatte schon die ganze Welt bereist. Leider war er leichtsinnig, er flirtete mit jeder halbwegs schönen Frau, hielt nichts von Arbeit und schon gar nichts von Zwängen - egal welcher Art. Kurz: Er war ein netter Kerl, aber als Lebenspartner für die Fabrikbesitzerin Nadja Martens völlig ungeeignet.

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Sandy Palmer, Ela Bertold, W.A.Hary

7 Super Love Stories September 2023

UUID: 5aa02fa4-3ff5-4f14-9c54-6067c7247aef
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

7 Super Love Stories September 2023

Copyright

Weihnachtsglanz in deinen Augen

1

2

3

Weine nicht, wenn alle träumen

1

2

3

4

5

Lichterglanz und Weihnachtsstress

1

2

3

4

Liebe, die uns hoffen lässt

1

2

3

4

5

Dich hat mir der Himmel geschickt

Das war unsere Zeit

Ich sage niemals mehr, ich liebe dich!

7 Super Love Stories September 2023

Sandy Palmer, Ela Bertold, W.A.Hary

Dieses Buch enthält folgende Geschichten:

Sandy Palmer: Weihnachtsglanz in deinen Augen

Sandy Palmer: Weine nicht, wenn alle träumen

Sandy Palmer: Lichterglanz und Weihnachtsstress

Sandy Palmer: Liebe, die uns hoffen lässt

Sandy Palmer: Dich hat mir der Himmel geschickt

Ela Bertold: Das war unsere Zeit

W.A.Hary: Ich sage niemals mehr, ich liebe dich!

Als ihr der Föhn aus der Hand fiel, auf die wunderschönen italienischen Fliesen krachte und fortan nur noch ein heiseres Krächzen von sich gab, brach Nadja Martens unvermittelt in Tränen aus.

Sie fand ihre Reaktion selbst höchst albern, doch sie kam gegen die Tränenflut einfach nicht an. Außerdem - der nun unbrauchbare Haartrockner war ja auch gar nicht die Ursache für ihr heulendes Elend. Grund war die Einsamkeit, die Nadja gerade heute wieder auf schmerzhafte Weise bewusst wurde.

Nadja hasste Sonntage. Vor allem, wenn sie so sonnig und warm waren wie dieser. Im Garten grünte und blühte es, Vogelgezwitscher drang bis hierher ins luxuriöse Bad, und wenn Nadja aus dem Fenster schaute, konnte sie drüben auf den Rheinwiesen Familien spazieren gehen sehen - ein Bild, das ihre schlechte Stimmung noch trübseliger machte.

Gewiss, sie hätte etliche Möglichkeiten gehabt, sich zu zerstreuen. Zum Golfclub hinausfahren, ein paar Freunde besuchen oder mit Oliver irgendwo schick essen gehen. Aber nichts von alledem war wirklich verlockend. Im Gegenteil, einige dieser Möglichkeiten, davon war sie überzeugt, würden sie noch depressiver machen.

Im Golfclub traf man in erster Linie Leute, die beim Spiel am liebsten über die gemeinsamen Geschäfte sprachen, und ihre Freunde waren allesamt mehr oder weniger glücklich verheiratet. Zumindest aber fest liiert.

Oliver war eine Ausnahme. Oliver umwarb Nadja seit Jahren ebenso unverdrossen wie erfolglos. Sie mochte ihn, ohne Zweifel. Er war amüsant, gebildet, besaß gute Manieren und hatte schon die ganze Welt bereist. Leider war er leichtsinnig, er flirtete mit jeder halbwegs schönen Frau, hielt nichts von Arbeit und schon gar nichts von Zwängen - egal welcher Art. Kurz: Er war ein netter Kerl, aber als Lebenspartner für die Fabrikbesitzerin Nadja Martens völlig ungeeignet.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Weihnachtsglanz in deinen Augen

von Sandy Palmer

Karsten und Ilona haben sich im Sommer auf Madeira kennen gelernt und ineinander verliebt. Doch da der junge Mann für einige Monate in den USA arbeiten musste, wollen sie sich am 23. Dezember wiedertreffen – in einem kleinen Dorf in den Alpen, wo Ilona zu Hause ist. Karsten ist voller Vorfreude, doch er muss eine unerwartete Weihnachtsüberraschung erleben...

1

Es regnete, als Karsten Moschauer in Frankfurt losfuhr. Er war ein wenig nervös, denn er war später dran als geplant. Doch der Flug von Kalifornien ins winterlich kalte Deutschland hatte ihn mehr mitgenommen als gedacht – er hatte fast zehn Stunden geschlafen. Zeit, die ihm jetzt fehlte!

Er warf immer wieder einen kontrollierenden Blick auf die Uhr und verfluchte das schlechte Wetter, das ihn daran hinderte, seinen Sportwagen schneller über die Autobahn zu jagen.

Zu dumm aber auch, dass er Ilonas Handynummer verloren hatte! Sie hatten vor zwei Wochen das letzte Mal miteinander telefoniert und sie hatte ihm erzählt, dass sie beruflich noch vor den Feiertagen nach Mailand fliegen müsse.

„Aber keine Sorge, mein Liebling, zum Fest bin ich zurück. Und dann machen wir es uns gemütlich bei mir daheim.“

„Ich kann’s kaum erwarten“, hatte er versichert und vorgeschlagen, von Los Angeles aus direkt nach Mailand zu fliegen. Doch das hatte Ilona abgelehnt.

„Ich hätte doch sowieso keine Zeit für dich, mein Schatz“, hatte sie gelacht. „Der Terminkalender ist voll. Ich hab drei Modenschauen, muss mir ein paar Stoffe ansehen und will noch bei Armani und Versace vorbeisehen.“

Was sollte er widersprechen? Inzwischen hatte er herausgefunden, dass Ilona ihren eigenen Kopf hatte. Sie war Mannequin und zugleich Moderedakteurin einer großen Frauenzeitschrift. „Das ist mein zweites Standbein. Für den Laufsteg bin ich bald zu alt, da ist es gut, wenn man weiß, wie man in Zukunft seine Brötchen verdient.“

„Das muss dich doch nicht kümmern“, hatte er verliebt geantwortet. „Ich verdiene gut, kann eine Frau ernähren.“

„Das tu ich lieber selbst. So war es immer – und das bliebt auch so“, hatte sie erwidert, und ein harter Zug hatte sich über ihre zarten Züge gelegt und sie für eine Weile ganz fremd erscheinen lassen. Doch schon wenige Augenblicke später hatte sie gelacht, ihn übermütig geküsst und gesagt: „Ich freu mich jetzt schon auf Weihnachten. Und zwischendurch telefonieren wir miteinander und lernen uns so noch viel besser kennen.“

Karsten war einverstanden gewesen – was blieb ihm auch anderes übrig? Er hatte in den Staaten seinen Job gemacht, als Computerspezialist war er in Silicon Valley fast daheim. Ilona flog nach Paris, war in München und Hamburg, dann wieder kurz daheim in dem kleinen Alpendorf oberhalb des Tegernsees.

Während Karsten seinem Ziel immer näher kam, fiel ihm auf, dass er nur wenig von Ilonas Zuhause wusste. Nun ja, bald würde er es kennenlernen...

2

Der Regen hatte sich in Schnee verwandelt, und je höher er fuhr, umso dichter fielen die Flocken. Der Sportwagen hatte zwar Winterreifen, doch als er jetzt auf eine Seitenstraße einbog, wünschte sich Karsten, einen Jeep mit Allradantrieb fahren zu können.

Er bemerkte die beiden Rehe, die plötzlich aus dem Wald brachen, beinahe zu spät. Im letzten Moment riss er das Steuer herum – die Tiere blieben unversehrt, doch sein Wagen landete in einer Schneewehe.

Was er auch tat, um ihn frei zu kriegen, es blieb ergebnislos.

Und Ilona wartete eventuell schon auf ihn...

Kurz entschlossen stieg er aus, holte den Ledermantel vom Rücksitz, nahm seinen kleinen Koffer in die Hand und marschierte los, immer in Richtung Westen, wo das Dorf liegen musste.

Eine kleine Ewigkeit schien vergangen zu sein, bis endlich die ersten Lichter in der Ferne auftauchten. Karstens Füße waren wie aus Eis, seine Hände gefühllos, der Atem gefror fast vor dem Mund. Zum Schneefall war jetzt auch noch ein starker Wind gekommen, der jeden Schritt zur Qual werden ließ.

Und dann, endlich, war er am Ziel! Haus Nr. 35 stand am Ortsrand, und er erkannte es sofort, schließlich hatte Ilona es ihm genau beschrieben! Zweigeschossig mit einem großen Holzbalkon, der sich über die ganze Front zog. Eine alte Haustür mit Schnitzereien, ein Wassertrog gleich neben der Tür...

Er läutete, doch nichts rührte sich innen. Also klopfte er laut, rief Ilonas Namen... Sie musste doch daheim sein! Aus dem Kamin quoll Rauch, und hinter einem der Fenster schimmerte Kerzenlicht.

Gerade als er nochmals klopfen wollte, ertönte schlurfende Schritte, dann wurde geöffnet – und Karsten sah sich einem alten Mann gegenüber, der ihn skeptisch musterte.

„Guten Abend... ich bin Karsten Moschauer. Ilona erwartet mich.“

„Die Ilona. Aha. Aber die ist net da, die ist mit ihrem Verlobten auf die Malediven geflogen.“ Das Wort Malediven sprach der Alte wie ein Schimpfwort aus.

„Ja aber... Das geht nicht! Das ist ein Irrtum! Sie müssen wissen, dass wir hier verabredet sind. Heute... am 23. Dezember!“

„Sie und die Ilona?“ Der Alte schüttelte den Kopf. „Das kann net angehen.“ Er musterte Karsten kritisch, dann forderte er ihn auf: „Komm rein, es wird sonst viel zu kalt.“ Wieder ein forschender Blick, dann die Bemerkung: „Du wirst einen kräftigen Tee mit Rum brauchen können.“

Karsten folgte der auffordernden Handbewegung und betrat die holzgetäfelte Diele. Alles war besser, als noch länger in der Kälte draußen stehen zu müssen.

„Ich bin der Korbinian Burgstaller, Ilonas Großvater.“ Der Alte streckte ihm die Hand entgegen. „Kannst mir glauben, dass sie net da ist.“

„Ja aber, wir... wir waren doch verabredet!“ Für Karsten brach eine Welt zusammen.

Der alte Mann schüttelte grimmig den Kopf. „Was die Ilona dir vorgestern versprochen hat, muss heut nimmer von Bedeutung sein. Und wenn sie dir gesagt hat, dass sie dich liebt – jetzt liebt sie diesen französischen Fotografen. Verlobt ist sie sogar mit dem!“

Während er redete, hatte er Karsten in eine Stube geführt, die bereits weihnachtlich geschmückt war. In der Ecke stand eine große Tanne, allerdings brannten ihre Kerzen noch nicht. Nur die vier dicken roten Kerzen am Adventskranz auf dem Tisch verströmten mildes Licht.

„Ich mach uns Tee“, erklärte Korbinian, und er goss eine doppelte Menge Rum in Karstens Tasse. „Trink, hast einiges runterzuspülen, glaub ich“, sagte er, als er ihm das dampfende Gefäß reichte.

Gehorsam trank Karsten, der Tee wärmte, der Rum breitete sich im Magen aus und ließ nach und nach den Kloß aus Enttäuschung und Wut verschwinden.

Nach dem zweiten Becher fühlte er sich fast schon wohl – und schlief übergangslos auf der warmen Ofenbank ein. Er merkte nicht mehr, dass der Alte ihn mit einer Decke zudeckte und dass ein junges Mädchen hereinkam, das ihn überrascht musterte.

„Das ist Karsten – ein weiteres Opfer deiner Schwester“, bemerkte der alte Mann bitter.

„Sag doch so was nicht, Opa. Ilona kann nun mal nicht aus ihrer Haut heraus. Sie flirtet gern, verspricht den Männern irgendwas – und hat’s im nächsten Moment wieder vergessen. Ich bin sicher, die Sache mit dem so genannten „Verlobten“ ist in einer Woche auch wieder erledigt. Ilona liebt nur sich, keinen anderen Menschen.“

„Jetzt bist du wenigstens mal ehrlich, Katja.“ Der alte Mann hatte den Arm um ihre schmalen Schultern gelegt. „Na ja, keiner kann aus seiner Haut heraus. „Magst einen Glühwein? Oder lieber einen heißen Kakao?“

„Danke, ich hab schon bei der alten Elli Kaffee getrunken. Es geht ihr besser, die Bronchitis heilt ab.“

„Na, ein Glück, dass du immer deinen Notfallkoffer dabei hast.“

Er setzte sich auf einen Stuhl im Herrgottswinkel. „Mei, bin ich froh, dass du dieses Jahr wieder mal frei bekommen hast in der Klinik.“

Katja lächelte. „Wenn nicht, wär ich glatt in Streik getreten. Es gibt doch nichts Schöneres als Weihnachten daheim zu verbringen. Ich freu mich auf...“

Sie unterbrach sich, denn Karsten begann heftig zu niesen, dann schlug er die Augen auf – und hatte das Gefühl, einen Engel zu sehen. Große Augen, von einem dunklen Kranz langer Wimpern umgeben, sahen ihn an. Dunkelblondes Haar, das sich in kleinen Naturlocken an den Schläfen kringelte, hing der jungen Frau weit über die Schultern. Ganz entfernt erinnerte sie Karsten an Ilona. Aber... ihre Augen schauten wärmer, ihr Lächeln war weicher, ihre Stimme sanfter.

„Da sind Sie ja wieder! Fühlen Sie sich in Ordnung?“, erkundigte sie sich.

„Aber ja. Ich... ich war nur ziemlich erschöpft von dem langen Fußmarsch. Entschuldigen Sie...“ Er wollte aufstehen, doch sie hinderte ihn daran.

„Bleiben Sie ruhig sitzen. Ich bin Katja – Ilonas Schwester.“ Sie zögerte, dann fragte sie: „Sie wissen, dass sie nicht herkommt?“

„Ja. Obwohl... ich kann’s nicht glauben. Am Telefon hatte sie mir versprochen, dass wir uns hier treffen. Und vor einem halben Jahr, auf Madeira, war ich mir sicher, dass sie mich...“ Er sprach das Wort ‚liebt’ nicht aus. Irgendetwas hinderte ihn daran. Immerzu musste er in Katjas Augen sehen. Und er wunderte sich, wie schnell Ilonas Gesicht in weite Ferne rückte...

„Sie ist ein bisschen sprunghaft, meine Schwester.“ Katja letzte sich zu ihm. „Na ja, das werden Sie wissen.“

„Ich... ich weiß sehr wenig über sie“, gestand Karsten da. „Zu wenig, wie mir scheint.“ Er legte die Decke zur Seite. „Und jetzt muss ich gehen.“

„Warum das denn?“, brummte der alte Korbinian aus seiner Ecke. „Du wolltest doch Weihnachten in den Bergen feiern, oder?“

„Ja, das schon. Aber... Ilona hat mich versetzt, und deshalb... Ich kann ja schlecht hier bleiben.“

„Warum nicht? Uns störst du net.“ Der Alte lächelte. „Platz ist genug. Und gekocht hat die Katja für mindestens sechs Personen. Lass dir ihren Entenbraten nicht entgehen, der ist ein Gedicht!“

„Großvater! Du weißt doch gar nicht, was der Herr...“ Fragend sah sie ihn an. „Ich weiß nicht mal Ihren Namen.“

„Verzeihung!“ Karsten wurde rot. „Ich bin unmöglich... Karsten Moschauer heiß ich.“

„Und ich bin Katja, Ilonas ältere Schwester.“

„Sie ist Ärztin in Nürnberg“, ließ der Korbinian den Gast wissen, und Stolz schwang in seiner Stimme mit.

Die junge Frau streckte Karsten die Hand hin. „Herzlich willkommen – und wir freuen uns, wenn Sie bei uns Weihnachten feiern wollen.“

„Dann darf ich aber bitten, dass Sie auch du sagen... wie Ihr Großvater.“

„Darauf gibt’s ein Weihnachtsschnapserl“, lachte der alte Mann.

Sie tranken, unterhielten sich, aus dem Radio erklangen alte Weihnachtslieder, und die Kerzen am Adventskranz brannten langsam nieder. Es war eine friedliche Stimmung, und Karsten gestand sich ein, dass seine Enttäuschung, Ilona nicht angetroffen zu haben, immer geringer wurde – bis sie ganz verschwand.

3

Am nächsten Morgen wurde Karsten ganz selbstverständlich in die Festvorbereitungen mit einbezogen. Mit Korbinian schmückte er den Baum, während Katja am Herd hantierte.

„Fehlt nur noch die Krippe“, meinte der alte Mann. „Holt sie doch mal zusammen vom Dachboden. Mir tut heut das Kreuz zu weh.“

Also kletterten Katja und Karsten die enge Stiege zum Dachboden hoch, wo eine alte, handgeschnitzte Krippe stand. „Die hat der Großvater selbst gemacht“, erzählte Katja. „Er ist ein sehr bekannter Holzschnitzer. Schau nur...“ Sie griff nach einer Engelsfigur. „Der Großvater... er weiß wieder zu überraschen. Er hat ja schon alles gerichtet. Hier, das Dach ist neu, die beiden Engelsflügel vom Erzengel Gabriel sind wieder angeklebt...“

Karsten hielt die Marienfigur in der Hand und sah sie nachdenklich an. „Sie sieht aus wie du“, flüsterte er und schaute Katja an.

„Ich weiß“, gab sie verlegen zurück. „Er hat’s so gewollt, ich konnte es ihm nicht ausreden. Früher sah die Maria aus wie meine Mutter, aber im letzten Jahr hat er gesagt, er müsse eine neue schnitzen.“

„Sie ist wunderschön geworden – wie du.“ Karsten griff über den Karton hinweg nach Katjas Hand. „Ich bin froh, dass ich hier sein darf.“

„Wir freuen uns auch“, gab sie leise zurück.

Kasten drückte ihre Hand ein wenig fester. „Darf ich länger bleiben?“

Katja nickte nur, und obwohl keine Kerze brannte, hatte der Mann das Gefühl, den Glanz von tausend Lichtern in ihren Augen zu sehen.

Er verbrachte mit Katja und ihrem Großvater das schönste Weihnachtsfest, an das er sich erinnern konnte. Dass er für die beiden keine Geschenke hatte, störte nicht. Er bekam von Korbinian einen kleinen Engel geschenkt, und auch dieser Engel ähnelte Katja sehr.

„Damit du dich an uns erinnerst“, sagte er mit einem Augenzwinkern.

„Danke.“ Eine Weile sah Karsten den kleinen Holzengel an, dann versank sein Blick in Katjas schönen Augen. „Aber auch ohne den Engel würde ich euch nicht mehr vergessen wollen.“ Er stand auf und nahm Katjas Hand. „Drei, vier Tage kann ich jetzt noch hierbleiben, aber ich komme wieder - wenn du willst.“

„Ich freu mich jetzt schon.“ Sie lächelt ihn an, und beiden war klar, dass es ihr schönstes Weihnachtsgeschenk war, sich kennengelernt zu haben.

ENDE

Weine nicht, wenn alle träumen

von Sandy Palmer

Erster Advent - Menschen zünden Kerzen an, schmücken Tannenzweige mit bunten Kugeln und kleinen Holzfiguren und kuscheln sich in die warme Gemütlichkeit ihres Zuhauses. Bei Ulrike jedoch will in diesem Jahr keine Stimmung aufkommen. Sie fühlt sich einsam und verlassen in der fremden Stadt, und zu allem Überfluss hat sie auch noch starkes Zahnweh. In ihrer Not klopft sie mitten in der Nacht an die Tür der Nachbarwohnung ...

1

Feiner Sprühregen lief an den Fensterscheiben entlang, vermischte sich mit dem Staub der Straße zu schmutzigen Rinnsalen.

Wie dunkel es draußen schon war! Die schwärzliche Fassade des schmalbrüstigen Hauses gegenüber, die morschen Fenster mit den vergilbten Gardinen - alles wirkte abweisend. Keine Blume irgendwo, kein Baum... Deprimierend.

Nur einen Augenblick blieb Ulrike am Fenster stehen und starrte auf die abgeblätterte Farbe. Dann wandte sie sich ab. Zum ersten Mal hatte sie heute das Gefühl, das Heimweh nicht aushalten zu können. Alles war so fremd hier! Sie kannte nicht einen Menschen, und sicher würde sie so bald auch niemanden kennenlernen. Wie auch? Dass in einer Großstadt jeder für sich lebte, anonym und darauf bedacht, nur ja die Privatsphäre des Nachbarn nicht zu verletzen, war schließlich bekannt.

Aber wie sollte man leben, ohne Freunde, ohne jemanden, der wenigstens ab und zu fragte: „’He, Uli, wie geht es dir?’“

Ach, Robby, dachte sie, deinetwegen bin ich achthundert Kilometer weit geflohen!

Ihr Herz schmerzte, als sie sich sein Gesicht vorstellte: lachend natürlich, mit blitzenden blauen Augen und jenem verwegenen Ausdruck darin, der sie so stark angezogen hatte. Leider hatte er auf Kati, Vanessa und Lia die gleiche Wirkung gehabt.

Anfangs hatte sie das nicht wahrhaben wollen. Sie hatte es stets entschuldigt, wenn Robby wieder einmal ohne Grund nicht zu einer Verabredung erschienen war. Sie hatte sich eingeredet, er sei eben ein viel beschäftigter Mann, wenn er drei Tage nichts hatte von sich hören lassen. Drei Tage, in denen sie fast nur geweint hatte.

Die warnenden Worte ihrer Mutter hatte Uli absichtlich überhört. Die Anspielungen ihrer besten Freundin hatte sie mit spitzen und verletzenden Bemerkungen wie: ’Du bist ja bloß neidisch, weil du immer noch keinen Freund hast!’ zurückgewiesen.

Robby war alles für sie gewesen, er hatte ihr Leben bestimmt - bis Uli ihn mit der anderen gesehen hatte. Eng umschlungen in dem roten Sportwagen. Nie würde sie dieses Bild vergessen!

Ulrike drehte sich um und betrachtete mit leiser Verzweiflung das Umzugschaos. Wie sollte sie das alles alleine schaffen? In der Diele türmten sich siebenundzwanzig Kartons mit ihren Habseligkeiten, auf dem altmodischen Herd in der Küche standen Farbeimer, Pinsel, Lackdosen und Terpentin, und hier, in den winzigen, ineinandergehenden zwei Zimmern, sah es aus wie in einem Trümmerfeld.

Die zarte Adventsmusik machte Ulrike nur noch trauriger.

Sie schniefte, denn Weinen konnte man das ja nicht nennen, wenn ein an bayerische Landluft gewöhntes Näschen seit drei Tagen nur noch norddeutschen Großstadtmief und Lösungsmittel einatmete ... oder doch?

Ihr Handy klingelte. Unpraktischerweise lag es gerade auf dem kleinen Schrank im Bad, dem einzigen Platz, der noch frei war.

„Ja bitte“, meldete sie sich leise.

Es gab Menschen, die brauchten nur eine Silbe zu sagen, und schon ging dem, der sie hörte, das Herz auf. Mumpsi gehörte dazu.

„Wie geht es dir, Kind? Hast du das Ärgste schon geschafft? Kennst du deine Nachbarn schon und die Straßen um deine neue Wohnung?“

Sicher war es zwecklos, dieser wunderbaren Frau zu erklären, dass in einer Stadt mit fast zwei Millionen Einwohnern niemand darauf wartete, die Ulrike aus Kirchheim kennenzulernen.

„Ich streiche gerade die Wände“, sagte Uli. „Gleich koche’ ich mir einen Kaffee und dann...“

Mumpsi gab Ratschläge und erzählte, dass in Kirchheim der erste Schnee gefallen war.

Fast hätte Ulrike nun wirklich geweint. Wenn es in Kirchheim schneite, sah ihr Heimatdörfchen aus, als hätte der liebe Gott Zuckerwatte über verträumte alte Holzhäuser ausgebreitet.

„Auf einem der Kartons steht ein großes A für Advent“, sagte Mumpsi. „Da ist Süßes für dich drin, Kind, die Krippe auch und allerlei Dekoration, du weißt schon.“

„Danke, ganz lieb von dir.“

„Ist doch selbstverständlich.“ Sie legte auf, natürlich nicht, ohne Grüße von Ulis vier Brüdern auszurichten, von Tante Frieda und Onkel Oskar, von Oma Friedrich und Opi Gerhard ... und damit also von halb Kirchheim.

„Advent fällt aus“, sagte sich Ulrike, als das Gespräch beendet war. „Advent und Umzug und Renovierung ... das geht gar nicht, und erst recht nicht in der Großstadt!“

Sie drehte am Knopf des Transistorradios, das noch aus vorelektronischen Zeiten stammte, und stellte die Ohren auf Durchzug, als sie leise Harfenmusik hörte. Wie Sphärenklänge aus einer anderen Welt erschienen sie ihr.

Nein, auch keine Adventsmusik, nichts Zartes, Sehnsüchtiges, das tief drinnen, in Ulis Herzen, nur noch mehr Chaos anrichten konnte! Fetziger Rock oder knallige Schlager halfen bestimmt besser über einen ungetreuen Geliebten und Heimweh hinweg.

Ein gerade aktueller Schlager ertönte, sie setzte rasch das Zeitungsschiffchen auf den blonden Wuschelkopf, sprang auf die Leiter, tunkte den Quast in Dispersionsfarbe und malte weiter.

Morgen würden die beiden Zimmer fertig sein. Sie konnte die zusammensteckbaren Regale aus dem Billigladen aufbauen und mit Büchern und Bildern ihre kleine, ganz persönliche Welt erschaffen. Ja, und dort, auf Großtante Philippas Fichtenholz-Sekretär, würde Robbys Foto stehen, als Erinnerung an die erste große Liebe.

Ach ja. Und übermorgen würde sie die altmodische Küche in Angriff nehmen, etwa hundertjährigen Schmutz von einstmals feinen, blauweißen Jugendstilkacheln entfernen, und überübermorgen dann... Ach ja!

2

Gegen neunzehn Uhr kam der Hunger. Uli ignorierte ihn tapfer. Gegen zwanzig Uhr hatte er sich in richtig ordinären Kohldampf verwandelt, und da Kochen unmöglich war, begann sie nach jenem Karton zu suchen, den Mumpsi eingepackt hatte. Er war der Unterste von allen und ganz besonders fest und liebevoll zugeklebt.

Als Ulrike ihn geöffnet hatte, lächelte sie. Ein Adventskärtchen lag da mit einem lieben Gruß von ihrer Familie ... und darunter stapelten sich die Köstlichkeiten aus Mutters Weihnachtsbäckerei: Lebkuchen und Printen, Kokosplätzchen und Spritzgebäck, natürlich mit Schokolade bestrichen. Und Pfeffernüsse. Und Liegnitzer Bomben. Und Vanillekipferl und Anisplätzchen und Zimtsternchen.

Aufgeregt wie ein Kind breitete sie die süßen Schätze auf Farbeimerdeckeln aus und biss heißhungrig in ein Mandelsplitter-Häufchen - da geschah es: Ein rasender, gemeiner Schmerz schoss in ihren rechten, unteren Backenzahn, dem ein eiskalter Zug folgte.

Uli schrie auf und legte beide Hände zugleich auf die rechte Wange. Das geht gleich vorüber, dachte sie. Dachte? Sie beschwor den Zahn, der ihr nicht verzieh, dass sie den längst fälligen Arzttermin des Umzugs wegen verschoben hatte.

Und nun? Mit dem Kopf gegen die Wand laufen? In den Kartons nach einem Schmerzmittel suchen? Eine Apotheke ausfindig machen, die am Samstagabend Notdienst machte?

Hin und her stolperte Ulrike. Was tat man gegen einen entzündeten Zahn? Ihn kühlen? Womit denn? Einen Eisschrank besaß sie ja noch nicht. Ihn warmhalten? Womit denn? Die Wärmflasche steckte irgendwo in Karton neunzehn oder einundzwanzig.

Ja, in Kirchheim, da waren Zahnschmerzen noch ... schön! Da rief man Dr. Peschen, über siebzig und doch zu jeder Zeit bereit, den Bohrer zu schwingen. Ja, in Kirchheim, da gab es das betagte Fräulein Insen, das Kräuter zog, die gegen alles halfen. Aber hier?

„Ich kenne keinen Menschen in der Stadt“, murmelte sie unglücklich vor sich hin, „und deshalb kann ich nicht einfach bei jemandem klingeln und um Hilfe bitten.“

Sie öffnete trotzdem die Wohnungstür, stieg die fünf Treppen hinab und wieder hinauf, um einen Namen an den Schildern zu suchen, der ihr sympathisch war.

Klingdorff klang nett. Sie drückte auf den altmodischen roten Knopf.

Ein Mann um die fünfzig öffnete, musterte das Persönchen im farbbeklecksten Overall gründlich und lächelte sogar ein wenig.

„Ich bin die Neue hier“, sagte Uli tapfer. „Ich heiße Ulrike Wobbe, bin gerade mitten im Streichen und habe furchtbare Zahnschmerzen. Bitte, ich kenn’ mich überhaupt nicht hier aus. Was mache ich denn bloß?“

Gleich würde er ihr die Tür vor der Nase zuknallen. So waren Großstädter! Jeder wusste das!

„Kommen Sie herein“, sagte Herr Klingdorff. „He, Maria, wir haben Besuch!“

Eine rundliche Frau erschien, lächelte überrascht und zog die neue Mieterin ins Wohnzimmer.

Alles war einfach, aber sehr gemütlich eingerichtet. Eine Stehlampe leuchtete über dem alten Ohrensessel. Strickzeug - vermutlich sollte es ein Puppenkleidchen werden - lag auf der Tischplatte. Dicke rote Äpfel lagen in einer selbstgemachten Keramikschale. Weihnachtskakteen blühten in verschwenderischer Pracht.

„Sie Arme“, sagte Maria Klingdorf, „Zahnschmerzen sind das Schrecklichste, was es überhaupt gibt. Dagegen ist Liebeskummer harmlos, nicht?“

In diesem Augenblick fand Uli das auch. Nichts konnte so schlimm sein wie diese Zahnschmerzen!

Maria Klingdorf verschwand, rumorte im Bad und kehrte mit einem winzigen Fläschchen zurück.

„Nelkenöl! Drei Tropfen, und Sie sind erlöst!“

Uli stöhnte, als das Kräuteröl auf ihren Backenzahn tropfte. Sie kniff die Augen zusammen und rieb todesmutig über das Zahnfleisch. Der Schmerz, der durch ihren Kiefer, ja, über das gesamte Gesicht schoss, war gemein.

„Und außerdem zwei Aspirin“, riet Maria fachmännisch.

Ihr Mann grinste. „Ich würde lieber mit Kognak spülen“, meinte er. „Aber damit wir auf Nummer Sicher gehen, laufe ich mal zu den anderen Nachbarn.“

Er stapfte laut durch das Treppenhaus, klingelte überall ... und obwohl Ulrike glaubte, fast besinnungslos vor Schmerz zu sein, hörte sie doch bald freundliches Stimmengewirr von draußen.

„Auf frischen Sellerieblättern kauen!“, riet jemand.

„Mit Schwedenbitter gurgeln!“, meinte ein anderer. Und eine lustige Altherrenstimme verkündete: „Also, Bindfaden und Türriegel kann ich auch anbieten, zur Not auch einen Hammer!“

Alle lachten, aber böse klang das Lachen nicht, auch nicht schadenfroh oder gedankenlos.

„Hereinspaziert!“, rief Herr Klingdorf, und wenige Augenblicke später war seine gute Stube voller Menschen, die Ulrike mitleidig betrachteten.

„So ein junges Ding und solche Schmerzen“, sagte Herr Hohmann - der mit dem Bindfaden-Angebot. Dabei lächelte er sie ganz lieb an. Er streichelte sogar Ulis Wange. Das durfte er, denn er war weit über achtzig und führte ganz sicher nichts Böses im Schilde.

„Sie sind ... alle sehr freundlich“, nuschelte Uli, weil sie doch an ihrem entzündeten Zahn irgendwie vorbeireden musste. „Wissen Sie, ich komme aus einem Dorf und bin ganz allein hier in der Stadt... und überhaupt...“

Der Zahn rumorte weiter. Herr Klingdorf fand eine schmale Taschenlampe, die sich in den Rachenraum einführen ließ.

„Alles rot da drinnen“ sagte er. „Ah, Fräulein Ulrike, da hilft alles nichts: Da muss ein Fachmann ’ran! Am besten, wir fahren Sie in die Uniklinik. Die haben da einen Notdienst mit lauter jungen Doktoren. Die lernen da auf Zahnarzt. Sie wissen schon!“

Nur kurz wurde debattiert, dann entschied Herr Klingdorff: „Wir nehmen mein Auto! Wer kommt sonst noch mit?“

Uli hätte gern geweint, weil alle sie begleiten wollten. Aber dann hätten sie ein Last-Taxi gebraucht und keinen ganz normalen Wagen.

„Ba, kommen Sie, Ulrike“, sagte Maria zuversichtlich. „Sie nehmen eine dicke Jacke von mir, und die Zeitungskappe, die setzen Sie wohl besser ab!“

Sie wurde durch das dunkle Treppenhaus geführt, wie ein altes, blindes Mütterchen. Das Gute an dunklen Treppenhäusern war, dass man ungestört, wenn auch lautlos vor sich hinweinen konnte.

3

Weit war es nicht zur Universitätsklinik. Der Mann in der Portiersloge des Krankenhausgeländes ließ sie durchfahren.

„Aber nur weil gleich der erste Advent ist!“, brummelte er. „Sonst kommen nämlich nur Schwerverletzte im Auto auf das Gelände!“

Ach, Advent! Wie konnte einem denn vorweihnachtlich zumute sein, wenn der Schmerz in einem so entsetzlich wütete!

Im Empfang der Zahnklinik saß niemand. Sie folgten den Schildern in die erste Etage.

„Manchmal ist es nachts brechend voll hier“, sagte Herr Klingdorff, und Uli glaubte schon, ganze Völkerscharen dickbackiger Patienten stöhnend auf und ab gehen zu sehen.

Maria stieß die Schwingtür zum Wartezimmer auf und...

An der Schwelle blieb Uli wie vom Donner gerührt stehen. Nein, es wartete niemand in dem großen Saal mit den kalkweißen Wänden. Aber aus versteckten Lautsprechern sangen helle Knabenstimmen ’Vom Himmel hoch, da komm ich her...’ Und dort, auf dem soliden Tisch, stand ein zauberhaftes Gebinde aus Tannenzweigen, roten Schleifen, Strohsternen und einer dicken Kerze, in deren flackerndem Schein die Gewänder der Rauschgoldengelchen sich spiegelten.

‚Es ist ein Ros’entsprungen’, begannen die Knabenstimmen nun, und mochte es draußen zehnmal regnen, mochte es fast Mitternacht sein und das auch noch mitten in der Großstadt: Hier drinnen war es warm wie am bullernden Ofen in Mumpsis altmodischer Wohnküche.

Uli konnte nicht anders: Sie riss ein Zweiglein Tanngrün ab und hielt es in die Flamme, bis es knisterte und herrliche Düfte durch den Wartesaal zogen.

„Hm“, machte Maria träumerisch, „ist das schön! Jedes Jahr freue ich mich wieder darauf!“

In Ulis Zahn pochte es. Sie konnte fühlen, wie ihre rechte Wange immer mehr anschwoll, und als dort hinten eine Tür geöffnet wurde, klopfte ihr Herz, als erwartete es nicht etwa einen schrecklichen Bohrer, sondern etwas Wunderschönes.

Der Mann im weißen Kittel, der ihnen entgegenlächelte, sah sympathisch aus. Die kastanienbraunen Haare fielen ihm jungenhaft in die Stirn. Graublaugrüne Augen blitzten. Mit festen Schritten kam er auf sie zu.

„Besuch um Mitternacht?“, fragte er und lächelte Uli dabei an. „Und ich dachte schon, ich müsste meinen Krimi noch einmal lesen. Mein Name ist Schreiber, und wie heißen Sie? Bitte, kommen Sie doch mit mir!“

Maria Klingdorff nickte Ulrike zu, ihr Mann tätschelte ihren Arm.

Uli stand auf, nannte brav ihren Namen und sprach vom rechten Backenzahn, den ein Mandelsplitter in Aufruhr versetzt hatte.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie sicher lächerlich aussah, in diesem farbbeklecksten Overall, der mindestens zehn Jahre alt war.

Sie setzte sich auf den furchterregenden Behandlungsstuhl und wurde per Knopfdruck in eine andere Lage versetzt. Aus dem versteckten Lautsprecher klang ‚Süßer die Glocken nie klingen’ zu ihr.

„Bitte öffnen Sie Ihren Mund, so weit Sie können“, sagte Dr. Thomas Schreiber. Sie las seinen kompletten Namen an dem kleinen Schild ab, das an seinem Kittel befestigt war.

Er hat ja ein Grübchen am Kinn, dachte Uli. Und er sieht aus, als hätte er sich seit zwei Tagen nicht rasiert. Ob Zahnärzte auch lange Wochenenddienste haben?

„Wir röntgen erst mal“, erklärte er. „Das tut nicht weh. Haben Sie Angst vor mir?“

Vor ihm? Nie! Vorm Bohren allerdings schon...

Sie stand auf und ließ sich die Röntgenschürze umbinden. Flüchtig berührten seine Fingerspitzen ihre Hand. Uli zuckte zurück.

Der Zahn schwieg für einen Moment, um dann, beim Beißen auf den Mundschutz, mit wildem Klopfen anzudeuten, dass ihm die Behandlung missfiel.

Der junge Doktor erklärte Uli ihr Gebiss und sprach von prächtigen, gesunden Zähnen, die zudem sehr gut gepflegt seien.

„Habe ich denn den einen beim Putzen übersehen?“, wollte sie wissen und wunderte sich, dass sie scherzen konnte.

Der Doktor lächelte. „Aber nein. So eine Entzündung passiert schon mal. Hatten Sie viel Stress in letzter Zeit und Kummer vielleicht auch?“

Sie dachte an Robby, der sie immer wieder betrogen hatte, an den Umzug und nickte.

„Ja, in den letzten Wochen ist einiges geschehen. Das meiste war nicht sehr angenehm.“

„Wir haben zwei Möglichkeiten“, sprach der Doktor weiter, „entweder wir reißen ihn heraus oder wir versuchen, ihn zu retten.“

„Retten wäre mir lieber.“

„Das ist aber besser so. Ich könnte eine Kräutertasche zurechtbasteln. Das schmeckt eklig, hilft aber recht gut.“

Und so geschah es dann. Mit offenem Mund und fest zusammengepressten Augen saß Uli in ihrem Sessel und ertrug das Pieksen der Betäubungsspritze ganz leicht. Die Hände von Thomas Schreiber waren sanft, die Stimme beruhigend.

Viel zu schnell war die Kräutertasche gefüllt. Ulrike blinzelte fast ein wenig bedauernd. Die graublaugrünen Augen lächelten sie an.

„Ich verschreibe Ihnen ein paar Schmerztabletten“, sagte der Doktor, „aber, bitte, nehmen Sie die nur, wenn es gar nicht anders geht, ja? Essen Sie nichts in den nächsten zwei Stunden ... und verzichten Sie auch morgen auf jede Süßigkeit. Kein Adventsgebäck! Keine Schokokringel! Keine Zimtsterne und Spekulatius!“

Tapfer nickte sie.

„Das Formular müssen Sie noch ausfüllen ... das verlangt die Krankenkasse so. Und am Montag gehen Sie dann zum Nachgucken zu Ihrem Zahnarzt. Wir sind hier nur für den Notfall da. Die weitere Behandlung machen die Praxen.“

Das war gemein! Nun zahlte man schon soviel Krankenkassen-Beiträge ... und durfte sich doch nicht dort behandeln lassen, wo es zarte Männerhände gab und eine vertrauenerweckende Stimme. Und Adventsmusik im Hintergrund.

„Ich bin ganz neu hier in der Stadt“, sagte Uli leise.

Thomas Schreiber zog die Schultern hoch. „Ja dann... Hier, das ist die Anschrift eines Studienkollegen. Den kann ich empfehlen. So gern ich Ihren Zahn behandeln möchte - ich darf es leider nicht!“

Er reichte ihr die Hand. Ulrike legte ihre Finger hinein. Sie rochen nach Terpentin und zitterten wie Espenlaub.

„Schönen ersten Advent“, wünschte er. Dann schwieg er. Es gab auch gar nichts mehr zu sagen.

4

Die Klingdorffs kamen Ulrike entgegen, kaum dass sie das Behandlungszimmer verlassen hatte.

„War’s schlimm?“ fragte Maria.

Ulrike schüttelte den Kopf. „Es war ganz wunderbar“, murmelte sie.

Später wusste sie nicht mehr recht, wie alles gekommen war. Ein Uhr nachts war es schon, als sie die Altbaustraße wieder erreichte, die trotz des Nieselregens und der schwärzlichen Fassaden plötzlich verwunschen und romantisch ausschaute.

„Sieht’s noch arg bei Ihnen aus, Fräulein Ulrike?“, wollte Herr Klingdorff wissen, und als sie nickte, meinte er: „Dann packen wir alle mit an! Wie ist es? Morgen früh um acht sind wir da!“

„Das kann ich doch nicht annehmen“, wehrte sie ab.

„Unsinn!“, antwortete er energisch. „Nachbarn müssen zusammenhalten!“

Sie schlief auf drei Wolldecken und wachte etliche Male auf, weil der Backenzahn revoltierte. Doch als sie morgens zu sich kam, fühlte sie sich nur ein wenig zittrig.

Die Klingdorffs kamen, inspizierten alles, teilten dann den jungen Jens Paulsen zum Entrümpeln ein, ließen Frau Meier mit den jungen Beinen auf die Leiter steigen und Herrn Petermann mit den alten Beinen den Vorarbeiter spielen.

Gegen Mittag strahlten die Wände blitzweiß. Punkt ein Uhr war das Regal aufgebaut, und als die Nachbarn sich verabschiedeten, weil Adventsbesuch kam, lief Ulrike zum Blumenladen am Bahnhof und erstand Tannenzweige und eine dicke, rote Kerze.

„Nehmen Sie doch noch etwas Weihnachtsschmuck dazu“, sagte die Verkäuferin, aber all das, was Uli brauchte, befand sich ja im Karton A. A wie Advent.

Ja, jetzt lief sie, als hätte sie es furchtbar eilig, noch schnell die Fenster zu putzen und unter die Dusche zu springen.

Das Radio spielte ‚Tochter Zion’, und Uli sang mit.

Der Zahn schwieg, und damit entschwand auch die letzte Hoffnung, sie könnte vielleicht noch einmal in die Klinik fahren, der Doktor wäre immer noch da und...

Warum musste sie nur immer an ihn denken? Konnte eine einzige Begegnung, dazu in einer Zahnklinik, genügen, um zu wissen, dass man jemandem ... liebte?

Ulrike versuchte, an Robby zu denken, doch - seltsam - es gelang ihr nicht. Immer wieder schob sich das Bild von Dr. Thomas Schreiben vor das von Robby.

5

Um sechzehn Uhr hatte sie die Zweiglein gebunden, fand auch die Krippe aus ihrer Kinderzeit, stellte sie auf einen Beistelltisch und beleuchtete sie mit einigen Teelichtern. Das Jesuskind schlief. Seine Mutter Maria bewachte es, und Josef, der Vater, stand auf seinen Stock gestützt da und sorgte dafür, dass die Schafe dem Gotteskind kein Leid zufügten.

Uli kochte Kaffee, wie Mumpsi es zu Hause immer tat, mit Kakao und einer Prise Salz.

Ihre Brüder riefen an, die Eltern ließen grüßen ... und dann klingelte es.

Ihr Herz raste, als sie aufstand, mit kleinen zittrigen Schritten die kleine Diele durchquerte, die Tür öffnete und...

Der Doktor! Er war es tatsächlich! Diesmal trug er keinen weißen Kittel, sondern einen grauen Anzug und darüber einen Trenchcoat. Noch größer wirkte er, noch imposanter und einfach wunderbar aussehend.

„Dies ist ein Hausbesuch“, sagte er ernst. „Ich finde, wir Ärzte müssen uns einfach mehr um jeden einzelnen Patienten kümmern.“

Sie ließ ihn eintreten. Thomas Schreiber schnupperte, weil es nach Farbe roch, nach Terpentin ... aber auch nach Tannengrün.

„Advent heißt Ankunft“, murmelte er, aber er hätte auch Chinesisch oder Suaheli sprechen können, und Uli hätte trotzdem eifrig genickt.

Aus Großmamas blauweißer Kaffeekanne schenkte sie ihm ein und servierte Mumpsis Weihnachtsbäckerei. Seine graublaugrünen Augen schimmerten. Das Kerzenlicht spiegelte sich darin.

„Was macht der Zahn?“, fragte er, aber Uli konnte nicht antworten, und Thomas erwartete wohl auch keine Antwort.

Näher kam er zu ihr herüber, und bestimmt wollte er jetzt nicht ihr Mundinneres kontrollieren, die Kräutertasche zurechtrücken oder nach ihrem Krankenschein fragen.

„Ich glaub’, ich bin ver...,“ stotterte Ulrike. Mein Gott, was sollte er nur von ihr denken? Nicht einmal einen klaren Satz brachte sie in seiner Nähe zustande.

Sanft lächelte er. „Ich auch“, flüsterte er. „Ganz aufgeregt und unkonzentriert war ich, als mein nächster Nachtpatient kam. Fast hätte ich ihm einen gesunden Zahn herausgezogen und den vereiterten nicht.“ Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Da wusste ich: Ich musste dich wiedersehen! Du bist wunderschön mit deiner geschwollenen Wange, weißt du das? Dass du mir ja keinen dieser göttlichen Kekse isst! Wer hat sie gebacken? Deine Mutter vielleicht? Ich liebe sie jetzt schon!“

Er fragte und erzählte. Er streichelte und küsste sie, als müsste er in diesem Augenblick all die Zeit nachholen, die sie sich nicht gekannt hatten.

Ulrike fühlte, dass in diesen Minuten etwas von ihr abfiel: die tiefe Verzweiflung, die sie nach Robbys Betrug empfunden hatte. Alle Männer sind so! hatte sie sich eingeredet. Doch seit gestern - seit sie Thomas Schreiber kannte - wusste sie, dass das nicht stimmte.

„Man hat dir einmal sehr weh getan, nicht wahr?“, fragte Thomas leise, als hätte er ihre Gedanken erraten.

Uli nickte. „Ja, manchmal habe ich schon geglaubt, daran zu verzweifeln. Achthundert Kilometer bin ich geflohen, um all das Schlimme zu vergessen. Ich habe alles aufgegeben, meine Familie zurückgelassen und meine Freunde.“ Ein Leuchten trat in ihre Augen, das direkt von ihrem Herzen zu kommen schien. „Aber was gestern war, ist heute nicht mehr wichtig. Ich freue mich wieder auf die Zukunft.“

„Kannst du dir eine Zukunft mit mir vorstellen?“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. „Ich weiß, wir kennen uns kaum, aber ich bin sicher, dass wir füreinander bestimmt sind. So etwas spürt man gleich, nicht wahr?“

Uli nickte nur.

„Ich würde dich so gern glücklich machen.“ Sanft küsste er sie.

„Ich kann mir meine Zukunft nur mit dir vorstellen“, antwortete sie leise, aber sehr überzeugend, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten.

Draußen dunkelte es langsam. Feiner Sprühregen rann an den nun blitzblanken Fensterscheiben hinunter, und die Fassade des schmalbrüstigen Hauses gegenüber sah geheimnisvoll dunkel aus.

Der heilige Josef guckte seine Maria liebevoll an ... und der Doktor seine Patientin. Die Glocken der nahen Kirche begannen zu läuten.

„Advent heißt Ankunft ... der Liebe“, sagte Thomas leise. „Weißt du das, Ulrike?““

„Ich hatte es vergessen“, flüsterte sie und schmiegte sich in seine Arme, die sie ganz fest umfingen. „Aber jetzt weiß ich es wieder.“

ENDE

Lichterglanz und Weihnachtsstress

von Sandy Palmer

Für Johanna Ammer hatte der Gedanke an Weihnachten nichts Friedliches und Festliches. Für sie war es reiner Stress, nach Hause zu ihrer großen Familie fahren und dort in reiner Harmonie machen zu müssen. Aber in diesem Jahr war alles anders. Und daran war ein charmanter Fremder schuld...

1

„Warum tue ich mir das jedes Jahr wieder an?“, murmelte Johanna Ammer vor sich hin, während sie nicht sehr systematisch ihre Reisetasche füllte.

Einen Rock und die weiße Seidenbluse für Heiligabend, das war heute. Das gute blaue Kleid für den ersten Feiertag, und für den zweiten... ach was, das musste genügen. Sie fuhr schließlich nicht zu einer Modenschau. Auf jeden Fall mussten die Jeans mit und ihr geliebter, schon leicht abgetragener roter Pullover.