Ergreifende Liebesgeschichten Februar 2023 - Ela Bertold - E-Book

Ergreifende Liebesgeschichten Februar 2023 E-Book

Ela Bertold

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Der Geliebte der schönen Ärztin(Sandy Palmer) Nach Paris - der Liebe wegen (Alfred Bekker & W.A.Hary) Das war unsere Zeit (Ela Bertold) Das Herz des Grafen (Sandy Palmer) Verführung auf Sylt (Sandy Palmer) Erste Liebe (Alfred Bekker) Isabella und der Schatz im Klavier (Konrad Carisi) Mit ernstem Gesicht sah Dr. Sven Kayser seine Patientin an. "Ich mache mir Sorgen um Sie, Frau Fischer. Eine werdende Mutter sollte froh und glücklich sein, sich sorglos auf die Geburt vorbereiten können. Sie aber ..." "Mir geht es gut", fiel Jasmin Fischer dem Arzt ins Wort. "Ehrlich, Herr Doktor. Ich will nur nicht, dass der Vater meines Kindes von meinem Zustand erfährt. Er hat sich in eine andere verliebt. In ein junges, höchst rätselhaftes Mädchen, das mir irgendwie merkwürdig vorkommt." Als der Arzt sie fragend anschaute, fuhr sie fort: "Diese Tamara spricht nicht über sich und ihre Herkunft, sie ist richtig seltsam, das sagt jeder. Und ihre Augen … in ihnen liegt manchmal unendliche Qual, dann wieder ein Funkeln, das mir Angst einflößt..."

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Sandy Palmer, Alfred Bekker, Konrad Carisi, Ela Bertold,

Ergreifende Liebesgeschichten Februar 2023

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Inhaltsverzeichnis

Ergreifende Liebesgeschichten Februar 2023

Copyright

Der Geliebte der schönen Ärztin

Nach Paris – der Liebe wegen

Das war unsere Zeit

Das Herz des Grafen

Verführung auf Sylt

Erste Liebe

Isabella oder der Schatz im Klavier

Ergreifende Liebesgeschichten Februar 2023

Sandy Palmer, Alfred Bekker, Konrad Carisi, Ela Bertold,

Dieser Band enthält folgende Romane:

Der Geliebte der schönen Ärztin(Sandy Palmer)

Nach Paris - der Liebe wegen (Alfred Bekker & W.A.Hary)

Das war unsere Zeit (Ela Bertold)

Das Herz des Grafen (Sandy Palmer)

Verführung auf Sylt (Sandy Palmer)

Erste Liebe (Alfred Bekker)

Isabella und der Schatz im Klavier (Konrad Carisi)

Mit ernstem Gesicht sah Dr. Sven Kayser seine Patientin an. „Ich mache mir Sorgen um Sie, Frau Fischer. Eine werdende Mutter sollte froh und glücklich sein, sich sorglos auf die Geburt vorbereiten können. Sie aber ...”

„ Mir geht es gut”, fiel Jasmin Fischer dem Arzt ins Wort. „Ehrlich, Herr Doktor. Ich will nur nicht, dass der Vater meines Kindes von meinem Zustand erfährt. Er hat sich in eine andere verliebt. In ein junges, höchst rätselhaftes Mädchen, das mir irgendwie merkwürdig vorkommt.” Als der Arzt sie fragend anschaute, fuhr sie fort: „Diese Tamara spricht nicht über sich und ihre Herkunft, sie ist richtig seltsam, das sagt jeder. Und ihre Augen … in ihnen liegt manchmal unendliche Qual, dann wieder ein Funkeln, das mir Angst einflößt...”

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Der Geliebte der schönen Ärztin

Arztroman von Sandy Palmer

Der Umfang dieses Buchs entspricht 112 Taschenbuchseiten.

Gräfin Elvira von Waldheim ist eine arrogante, überhebliche und launische Frau, die ihrem Mann das Leben zur Hölle macht. Da ist es kein Wunder, dass er ein Verhältnis mit Dr. Susanne Andergast beginnt, das genaue Gegenteil seiner Frau. Als er sich zur Scheidung entschließt, passiert etwas, das ihn zwingt, bei seiner Frau zu bleiben.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Die Hauptpersonen des Romans:

Dr. Martin von Waldheim – Chirurg.

Elvira – Seine Frau.

Dr. Susanne Andergast – Assistenzärztin

Dr. Andreas Radloff – Ihr Kollege.

1

Wilhelmine Bender suchte verzweifelt das medizinische Lexikon, als das Telefon auf ihrem Schreibtisch läutete.

Ärgerlich griff das ältere Fräulein, zu dem der Name Wilhelmine ausgezeichnet passte, nach dem Hörer.

„Vorzimmer Dr. von Waldheim, guten Tag“, meldete sie sich höflich, doch ihr Gruß wurde recht unfreundlich erwidert.

„Hier ist Gräfin von Waldheim! Ich will sofort meinen Mann sprechen, Fräulein Bender.“

„Der Herr Chefarzt befindet sich noch im Operationssaal, Frau Gräfin“, bedauerte Wilhelmine Bender. Sie verzog unwillkürlich das Gesicht, als sie den Titel aussprach, auf den Elvira Gräfin von Waldheim so großen Wert legte. „Ich kann Ihren Gatten unmöglich stören.“

„Das zu beurteilen müssen Sie schon mir überlassen“, protestierte die unsympathische Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. „Wenn ich meinen Mann sprechen will, dann haben Sie mich zu verbinden, egal, wo er sich aufhält.“

Wilhelmine Bender wollte gerade der Frau ihres Chefs erklären, dass es eine Zumutung sei, Dr. von Waldheim von einer Operation weg ans Telefon zu holen, als sich die Tür zum Sekretariat öffnete und der Klinikchef das Zimmer betrat.

Gott sei Dank, atmete Fräulein Bender auf, ist es mir erspart geblieben, den Chef zu stören. Das Telefongespräch mit seiner Frau kann ich ihm jedoch nicht ersparen.

„Im Augenblick kommt Ihr Gatte herein, Frau Gräfin“, sagte sie und winkte Dr. Martin von Waldheim zu. „Ich verbinde Sie.“

„Geben Sie mir schon den Hörer rüber“, flüsterte der Mann im weißen Kittel.

Wilhelmine reichte ihm den Hörer und verließ diskret das Zimmer. Sie wusste aus langjähriger Erfahrung, dass die Gespräche zwischen den Eheleuten nicht immer höflich waren.

„Bitte, meine Liebe, was kann ich für dich tun?“, erkundigte sich Dr. Martin Graf von Waldheim.

„Vor allen Dingen könntest du Anweisungen geben, dass ich jederzeit mit dir verbunden werde“, beschwerte sich seine Frau recht ungnädig. „Es ist eine Zumutung von dieser Person, die in deinem Vorzimmer sitzt, mich nicht mit dir zu verbinden.“

„Aber Elvira, du weißt doch, dass es unmöglich ist, im OP zu telefonieren! Wie oft soll ich dir das denn noch erklären?“ Dr. von Waldheims Stimme klang ungehalten. Er ärgerte sich immer wieder über die Verständnislosigkeit und Rücksichtslosigkeit, die seine Frau seinem Beruf gegenüber an den Tag legte. Dabei hatte sie es vor Jahren nicht erwarten können, den jungen, vielversprechenden Arzt zu heiraten.

Woran der gutaussehende Mann im Augenblick nicht dachte, war die Tatsache, dass sich seine Frau, die vor ihrer Heirat eine einfache Elvira Bluchen gewesen war, auch von seinem Grafentitel hatte locken lassen.

Er war mit ausschlaggebend gewesen, dass die sehr reiche Elvira den jungen, vielversprechenden Chirurgen geheiratet hatte.

Martin von Waldheim selbst hatte Elvira damals ehrlich, aufrichtig und von Herzen geliebt. Er hatte geglaubt, in ihr die ideale Partnerin gefunden zu haben, mit der er auch seinen Lebenstraum, eine eigene Klinik, verwirklichen konnte.

Erwartungsgemäß hatte ihm Elvira gleich nach der Hochzeit das erforderliche Kapital zur Verfügung gestellt, um eine moderne Klinik errichten zu können. Sie hatte das jedoch nicht getan, um ihrem Mann eine Freude zu machen, sondern um Martin für immer an sich zu ketten. Gleichzeitig wollte sie ihren Freundinnen gegenüber angeben: Mein Mann besitzt eine eigene Klinik!

Lange hatte Martin von Waldheim gebraucht, ehe er den wahren Charakter seiner Frau erkannte. Elvira ließ ihre Maske erst fallen, als ihr Vater, ein liebenswerter, älterer, ewig kränkelnder Mann, gestorben war. Von da an versäumte sie keine Gelegenheit, ihren Ehemann zu erinnern, dass sie ihn erst zu dem gemacht hatte, was er nun war.

Auch bei diesem Telefongespräch trumpfte sie wieder auf: „Warum ist es nicht möglich, dass ich mit dir telefonieren kann, wenn ich es wünsche? Du vergisst immer wieder, dass es schließlich mein

Geld ist, mit dem die Klinik gebaut wurde, und ohne mich hättest du gar nicht die Gelegenheit erhalten, in deinem eigenen Operationssaal zu stehen!“

Martin von Waldheim seufzte und schwieg. Elvira war bei ihrem Lieblingsthema. Da war es angebracht, sie reden zu lassen.

Der Klinikchef setzte sich etwas bequemer auf die Schreibtischkante, denn er ahnte, dass Elvira mit ihren Tiraden nicht so schnell fertig sein würde.

Aber heute schien sich die Regel nicht zu bestätigen. Nachdem sie ihrem Mann drei Minuten lang vorgehalten hatte, dass er sie nur ausnutze und von ihrem Geld lebe, kam sie endlich zum Grund ihres Anrufes.

„Eben kam eine Einladung zum Frühlingsfest bei den Pasenows“, berichtete sie, und ihre Stimme, die in den letzten Monaten einen recht schrillen Klang bekommen hatte, wurde noch schreiender. „Stell dir vor, endlich sind wir bei den Pasenows eingeladen!“

Martin von Waldheim verzog das Gesicht.

Die Pasenows! Martin schüttelte verständnislos den Kopf. Wie konnte Elvira nur danach trachten, mit diesen angeberischen Industriellen zu verkehren! Der Mann hatte mit Schrott seine ersten Millionen verdient. Er hatte es mit Härte und, zugegeben, auch mit Fleiß zu einer Metallwarenfabrik gebracht.

Er hatte sich aber nicht daran gewöhnen können, dass er nicht mehr auf seinem Schrottplatz stand. Sein Benehmen war primitiv und aufdringlich. Seine Frau stand ihm darin in nichts nach.

Aber sie hatten Geld, demzufolge auch Einfluss. Aus diesem Grund war es für Elvira erstrebenswert, bei diesen Leuten zu verkehren.

Martin verstand seine Frau wieder einmal nicht, doch er sagte nichts. Wozu auch? Es hätte nur zu einem neuen Streit zwischen ihnen geführt.

„Wann ist dieses Fest denn?“, fragte er mit mäßig interessierter Stimme.

„Am Samstag!“, antwortete Elvira ganz aufgeregt. „Stell dir vor, so bald schon! Ach, ich muss gleich heute noch in die Stadt fahren und sehen, ob ich ein Kleid finde. Ich habe ja überhaupt nichts anzuziehen!“

Dr. von Waldheim verdrehte die Augen. Er stellte sich den riesigen Wandschrank seiner Frau vor, in dem ein Kleid neben dem anderen hing. Elvira jedoch hatte, wenn man sie fragte, nie etwas anzuziehen.

Sie würde also heute wieder einmal in die Stadt fahren, sämtliche Modesalons heimsuchen und mit einem Kleid zurückkommen, das ihm gewiss nicht gefiel.

Obwohl Elvira inzwischen achtunddreißig Jahre alt war, konnte sie sich nicht daran gewöhnen, damenhaftere Kleider zu tragen. Sie bevorzugte nach wie vor jugendliche Modelle, die ihr vor fünfzehn Jahren wesentlich besser gestanden hätten.

Hin und wieder machte Martin den Versuch, seine Frau zu dem Kauf eines eleganten, aber dezenten Kleides zu überreden, doch Elvira ließ sich in keiner Weise beeinflussen.

„Ich weiß selbst, was mir steht“, pflegte sie zu sagen. „Martin, du hast von Mode doch nicht die geringste Ahnung. Bitte, verschone mich mit deinen Ratschlägen, die doch nur darauf hinzielen, eine alte Frau aus mir zu machen.“

Was ließ sich darauf noch sagen? Martin blieb nichts anderes übrig, als seine Frau so zu ertragen, wie sie nun einmal war.

Eigentlich hatte Dr. von Waldheim vorgehabt, den Samstag mit seiner Assistenzärztin zu verbringen, doch das ging jetzt natürlich nicht. Zuversichtlich hoffte er, dass Dr. Susanne Andergast auch diesmal für seine Situation Verständnis haben würde.

„Wir reden heute Abend weiter über das Fest, Elvira“, versuchte er das Gespräch zu beenden. „Ich muss jetzt noch auf die Stationen und meine Visite machen. Ich bin durch die Operation sowieso viel zu spät dran. Du entschuldigst mich, ja?“

„Es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Ich muss ja immer zurückstehen! Du interessierst dich ja wesentlich mehr für fremde Menschen als für deine eigene Frau, der du alles zu verdanken hast!“

Eine Antwort auf diese Bosheit wartete Gräfin Elvira nicht mehr ab. Nachdem sie wieder einmal ihr Gift verspritzt hatte, legte sie den Hörer auf die Gabel zurück.

Elvira wurde immer unerträglicher. Ihre Launen waren nicht mehr auszuhalten. Martin von Waldheim hatte nur einen Wunsch, sich endlich von ihr zu trennen.

Niemand konnte ihm deshalb einen Vorwurf machen. Er hatte sich bemüht, mit Elvira eine gute Ehe zu führen. Das war jedoch mit dieser herrschsüchtigen, egoistischen und zänkischen Frau nicht möglich.

Es war daher nicht überraschend, dass er sich ein wenig Liebe und Zuneigung anderweitig suchte.

Martin von Waldheim fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, wenn er an sein Verhältnis zu Dr. Andergast dachte. Es lag ihm nicht, Versteck zu spielen, eine Frau zu betrügen.

Aber was tat er? Er betrog zwei Frauen, und das nur, weil er eine Aussprache mit Elvira scheute.

Dr. von Waldheim war nicht feige, er ging keiner Entscheidung aus dem Weg. Im Zusammenleben mit seiner streitsüchtigen Frau jedoch hatte er gelernt, vorsichtig und zurückhaltend zu sein. So verschob er die klärende Aussprache, die bestimmt zu einem Skandal führen würde, von Tag zu Tag.

Susanne Andergast, die junge, schwarzhaarige Assistenzärztin, die seit einem Jahr an der Klinik Martin von Waldheims arbeitete, hatte sehr viel Verständnis für den heimlich geliebten Mann. Sie verstand sogar, dass er nicht sofort eine klärende Aussprache mit Elvira führen konnte.

Doch inzwischen wurde sie ungeduldig. Sie war sich zu schade dafür, ihre Tage als Geliebte eines Mannes zu verbringen, der an eine egoistische Frau gebunden war.

Gern war Susanne bereit gewesen, dem liebenswerten Martin von Waldheim ihr Herz zu schenken. Sie hatte sich schon in ihn verliebt, als sie zum ersten Einstellungsgespräch in seine Klinik gekommen war.

Als er ihr dann nach vier Monaten Zusammenarbeit gestand, dass er viel für sie empfand, war sie, trotz aller moralischen Bedenken, sehr glücklich gewesen.

Diese Bedenken hatte Martin mit der Zeit verscheucht. Dabei hatte ihm der Klinikklatsch sehr geholfen.

Schon nach wenigen Wochen wusste die junge Ärztin, dass Gräfin Elvira ein Biest war, wie die Oberschwester sie respektlos nannte.

„Der Chef kann einem aufrichtig leid tun“, hatte Schwester Maria eines Tages zu der neuen Assistenzärztin gesagt. „Er hat es wirklich nicht verdient, von einem solchen Biest traktiert zu werden. Zwar hat seine Frau das Geld mit in die Ehe gebracht. aber ich meine, das berechtigt sie noch lange nicht, so zu tun. als sei Dr. von Waldheim ihr Sklave.“

„Ist das nicht ein wenig übertrieben?“, hatte Susanne Andergast damals gefragt.

„Eher noch untertrieben“, war Schwester Marias Kommentar gewesen. „Wir bekommen doch nur Bruchstücke des Ehedramas mit. Ich möchte wirklich nicht wissen, was der arme Mann daheim auszustehen hat. Er sollte sich scheiden lassen.“

Susanne hatte die grauhaarige Schwester daraufhin forschend und auch erschrocken angesehen.

Was wusste Schwester Maria? Was und wie viel ahnte sie? Hatte sie, Susanne Andergast, zu deutlich ihre Gefühle für den Chefarzt gezeigt?

Nein, als sie die Schwester mit einen prüfenden Blick musterte, erkannte Susanne, dass Schwester Maria ihre Bemerkung ohne irgendwelche Hintergedanken gemacht hatte. Unmissverständlich hatte sie ihre ehrliche Meinung zum Ausdruck gebracht.

Mit der Zeit hatte Susanne festgestellt, dass Gräfin Elvira überall unbeliebt war, und dass dem Chefarzt und Klinikleiter die allgemeine Sympathie und auch das allgemeine Bedauern galt.

Schon oft hatte sie die Bemerkung gehört: „Diese Frau hat er wirklich nicht verdient.“ Oder: „So ein netter Mann, und dann ist er mit einem solchen Drachen geschlagen.“

Susanne hatte Gräfin Elvira kennengelernt und konnte sich davon überzeugen, dass die Frau des Klinikchefs tatsächlich recht unsympathisch war.

Dennoch empfand die junge Ärztin Schuldgefühle, weil sie sich heimlich mit Martin von Waldheim traf.

Dr. Susanne Andergast war gerade im Ärztezimmer der Chirurgischen Station, als der Chefarzt eintrat.

„Gut, dass ich dich hier noch sehe, Susanne“, sagte er leise und strich ihr mit einer liebevollen Geste über das dunkle, schimmernde Haar. „Es ist etwas geschehen …“

Ängstlich sah die junge Ärztin ihn an. „Etwas … mit deiner Frau?“, wollte sie wissen.

Martin von Waldheim nickte. „Sie hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass wir am Samstag zu einem Frühlingsfest eingeladen sind. Sie besteht darauf, hinzugehen.“

„Ich verstehe.“

Susanne gab sich alle Mühe, die Enttäuschung zu verbergen, doch es wollte ihr nicht gelingen. Martin von Waldheim kannte sie inzwischen so gut, dass er ihre Empfindungen zu deuten vermochte.

„Ich weiß, wie entsetzt du jetzt bist, Liebling“, tröstete er sie. „Glaub mir, ich bin auch sehr traurig, dass aus unserer Fahrt in den Schwarzwald nichts wird.“

„Weiß die Gräfin denn nicht, dass du am Wochenende einen Kongress im Schwarzwald besuchen wolltest?“, fragte Susanne.

„Nein“, antwortete der Mann. „Ich habe es ihr nicht gesagt. Sie interessiert sich doch nicht im Geringsten für meine Arbeit, da wäre es sinnlos, mit ihr darüber zu reden. Außerdem – glaubst du im Ernst, sie hätte darauf Rücksicht genommen? Nein!“, gab er sich selbst schon die Antwort. „Elvira würde unter allen Umständen verlangen, dass ich sie zu diesem lächerlichen Fest begleite.“

„Schade. Es wäre schön gewesen, einmal zwei Tage mit dir allein zu sein. Dann werde ich eben, wenn du einverstanden bist, allein fahren“, erklärte Susanne. „Dann haben wir beide zwar nichts voneinander, aber ich kann dir wenigstens die Aufzeichnungen von der Tagung übermitteln.“

„Ein schwacher Trost“, bedauerte Martin von Waldheim. „Aber, du hast recht, es hilft uns beiden nicht, wenn du auch hierbleibst. Ach, Susanne, wenn ich doch endlich eine Gelegenheit fände, mit Elvira zu reden …“

Er seufzte tief. Susanne hatte wieder einmal Mitleid mit ihm. Wie gern hätte sie ihm anvertraut, dass es ihr nichts ausmachte, noch jahrelang weiter zu warten.

Aber das konnte sie nicht mehr. Seit vier Tagen hatte sie nicht mehr das Recht dazu, für sich allein zu entscheiden. Denn vor vier Tagen hatte ihr ein Kollege von der Gynäkologie bestätigt, was sie schon geahnt hatte …

2

Kokett drehte sich Verena Geldermann vor dem Spiegel hin und her und lächelte ihrem eigenen Spiegelbild zu. Sie gefiel sich in dem neuen Kleid, das sie heute trug, und sie hoffte sehr, dass es auch die Zustimmung ihres Freundes finden würde, mit dem sie sich zu einem Stadtbummel verabredet hatte.

Verena war die einzige Tochter des Konzernmanagers Werner Geldermann. Da ihr Vater Geld in Hülle und Fülle verdiente, kannte das junge Mädchen keine Pflichten, sondern nur ihr Vergnügen.

Sie verkehrte in einer Clique junger Leute, die ebenfalls keine materiellen Sorgen hatten. Alle bummelten heiter und unbeschwert in den Tag hinein, da sie von daheim reichlich Taschengeld erhielten.

Auch Tim van Drosten, Verenas derzeitiger Favorit, war einer jener Playboys, die außer ihrem Sportwagen, einer Segelyacht und ihren oft wechselnden Freundinnen keine Interessen hatten.

Verena störte das nicht. Für sie war Tim interessant, weil er stets munter und vergnügt war und voller Ideen steckte. Nie war es in seiner Gegenwart langweilig.

Als das junge Mädchen an Andreas Radloff dachte, den sie vor drei Wochen auf einer Party kennengelernt hatte, und der ihr recht intensiv den Hof gemacht hatte, verzog sie angewidert das Gesicht. Wie langweilig, ernst und humorlos erschien ihr Andreas im Gegensatz zu Tim!

Nein, der junge Mann sollte es sich aus dem Kopf schlagen, sie eines Tages für sich gewinnen zu können. Außerdem – was war er denn schon? Nichts als ein kleiner Doktor, der dazu noch angestellt war, nicht einmal eine eigene Praxis hatte.

Verena stellte fest, dass sie sich zu ärgern begann, und schnell verbannte sie den Gedanken an Dr. Radloff. Sie wollte sich die gute Laune nicht verderben lassen. Was sollte sonst Tim von ihr denken?

Mit einer abrupten Bewegung warf Verena das lange, blonde Haar in den Nacken und griff nach ihrer hell-beigen Handtasche.

Sie sprang die mit wertvollem Teppichboden belegten Stufen hinab, die in die große Eingangshalle ihres Elternhauses führten.

Aus dem kleinen Salon drang heiteres Stimmengewirr. Verena fiel ein, dass ihre Mutter heute ihr Damenkränzchen abhielt.

Obwohl Verena nicht wusste, was sie mit den sogenannten Freundinnen ihrer Mutter reden sollte, die allesamt nur Freundlichkeit heuchelten, um später über alles ausgiebig klatschen zu können, ging sie doch in den kleinen Salon, um den Damen einen guten Tag zu wünschen.

„Ach, Verena, wie nett, dass Sie sich auch einmal bei uns sehen lassen“, begrüßte sie die spitznasige Frau Geheimrat Sedelmeier. „Ich sehe, Sie gehen mit der neuesten Mode, Verena. Entzückend steht Ihnen dieses Kleid.”

Verena lächelte höflich zu den Worten der Frau Geheimrat.

„Nun, mein Kind, hast du wieder eine Verabredung?“, erkundigte sich Frau Geldermann bei ihrer Tochter. „Mit wem denn heute?“

Im Grunde interessierte sie sich nicht allzu sehr dafür, was ihre Tochter den Tag über trieb. Verena war längst volljährig. Schon lange ging sie ihre eigenen Wege und ließ sich von den Eltern kaum noch Vorschriften machen. Wenn sich Frau Geldermann jetzt nach dem Vorhaben ihrer Tochter erkundigte, dann geschah dieses nicht aus mütterlicher Besorgnis. Sie wollte nur vor ihren Freundinnen prahlen, wie begehrt ihre schöne Tochter war.

„Tim van Drosten holt mich ab“, antwortete Verena. „Wir wollen in die Stadt fahren.“

„Dann viel Spaß, Kind“, wünschte ihre Mutter.

„Ist das der Sohn des Reeders Drosten?“, erkundigte sich eine der anwesenden Damen. „Ich habe gehört, dass er hier in der Stadt leben soll.“

„Ja“, nickte Verena. „Tim stammt eigentlich aus Hamburg, aber er studiert hier.“

Dass Tim Student war, wurde nur durch seinen Ausweis bewiesen. Die Universität sah er selten von innen, und sein Studium interessierte ihn im Moment nicht im Geringsten.

Er hatte sich vorgenommen, diesen Zustand beizubehalten, solange sein Vater nicht protestierte gegen seinen ungezwungenen Lebenswandel.

Im Augenblick war daran nicht zu denken. Tim war ein halbes Jahr in der Stadt. Nicht ein einziges Mal hatte sich sein vielbeschäftigter Vater nach ihm erkundigt.

„Also, ich muss jetzt fort“, verabschiedete sich Verena von den Damen. Mit beschwingten Schritten entfernte sie sich, was die meisten der Anwesenden veranlasste, ihr neiderfüllt nachzuschauen.

Frau von Ziebel sprach aus, was die anderen dachten: „Noch einmal so unbeschwert jung sein können“, seufzte sie. „Ach, die Zeit kommt nie zurück.“

„Jedes Alter hat seine schönen Seiten“, besänftigte die Frau Geheimrat. „Man muss nur das Beste daraus machen.“

Diese Bemerkung veranlasste die übrigen Damen zu einem ironischen Lächeln, da alle von dem großen Geheimnis der Frau Geheimrat wussten. Sie hielt sich seit einiger Zeit einen wesentlich jüngeren Verehrer, der ihr wohl die Tage verschönerte.

Verena wartete darauf, dass Tim endlich mit seinem schnittigen Sportwagen vor der Villa vorfahren würde. Sie hasste Unpünktlichkeit. Sie selbst verspätete sich nie, und sie erwartete von anderen, dass sie ebenfalls die Verabredungen pünktlich einhielten.

Tim van Drosten schien sich jedoch nicht an diese Regel zu halten. Verena musste über eine Viertelstunde warten, bis der junge Mann endlich vorfuhr und mit quietschenden Bremsen vor dem schmiedeeisernen Gitter der Villa Geldermann hielt.

Das junge Mädchen war inzwischen zornig geworden. Noch niemand hatte es bisher gewagt, Verena Geldermann warten zu lassen. Tim sollte dies nicht ungestraft getan haben!

Als der junge Mann klingelte, öffnete ihm Verena ungnädig die Tür. „Auch schon da!“, fauchte sie ihn an.

„Du hast doch nicht etwa auf mich gewartet?“, erkundigte sich Tim erstaunt.

Dass er sich nicht einmal entschuldigte für seine Verspätung, machte Verena noch zorniger.

„Auf dich habe ich nicht gewartet und werde ich auch nie warten“, erklärte sie.

„Wie darf ich das verstehen?“ Tim van Drosten, der annahm, dass sich Verena nur interessant zu machen versuchte, lächelte von seiner stattlichen Höhe von eins-neunzig auf die zierliche Verena herab.

„Du kannst allein in die Stadt fahren“, verkündete ihm das Mädchen. „Ich lege keinen Wert darauf, mitzukommen.“

„Aber … was soll denn das auf einmal, Veri?“ Nun war Tim doch erstaunt. War Verena wirklich so kleinlich, wegen einer Viertelstunde Verspätung eine Verabredung platzen zu lassen?

„Ich dachte, wir würden um drei Uhr in die Stadt fahren“, meinte Verena. „und jetzt sind es zwanzig Minuten nach drei. Also fahren wir nicht.“

„Fünf Minuten debattieren wir hier schon ‘rum“, murrte Tim. „Los, Veri, sei nicht so kleinlich. Es passiert auch nicht wieder. Komm mit raus, dann siehst du, warum es etwas später geworden ist.“

Er versuchte, die Hand des jungen Mädchens zu ergreifen und Verena mit sich zu ziehen, doch jäh riss sich Verena los.

„Du brauchst mir nicht unbedingt noch weh zu tun“, zischte sie. „Ich komme auch so mit … bis zur Straße“, fügte sie einschränkend hinzu. „Ich bin nur gespannt auf deinen Entschuldigungsgrund.“

Was sie dann kurze Zeit später zu sehen bekam, entlockte sogar der verwöhnten Tochter des Konzernmanagers Geldermann einen bewundernden Ausruf.

Am Bordstein parkte ein schnittiger. schneeweißer Sportwagen.

„Was ist das für ein Modell?“, erkundigte sich das Mädchen und trat interessiert näher.

Verena war eine leidenschaftliche Autofahrerin. Mit ihrem kleinen Kabriolett brauste sie stets lautstark durch die stille Villenstraße, in der ihr Elternhaus stand.

„Das ist ein Lamborghini“, erklärte ihr Tim voller Stolz. „Der Alfa hat ja schon längst ausgedient.“

Dies war zwar eine maßlose Übertreibung, denn der kleine rote Zweisitzer. den Tim bisher gefahren hatte, war gerade zwei Jahre alt gewesen, doch Verena widersprach ihrem Freund nicht.

Interessiert betrachtete sie sich den neuen Sportwagen, der eine luxuriöse Innenausstattung hatte und verlockte, ausprobiert zu werden.

„Nun, kannst du mir jetzt meine Verspätung verzeihen?“, fragte Tim mit einem Lächeln.

„Warum denn das?“ Sofort verflog Verenas Lächeln. „Was hat dein neues Auto damit zu tun. dass du mich warten lässt?“

„Ich habe den Wagen gerade erst bekommen“, erklärte Tim. „Die Formalitäten haben länger gedauert, als ich zunächst angenommen hatte.“

„Na gut“, meinte das junge Mädchen gnädig und warf das lange blonde Haar in den Nacken. „Die Sache ist vergessen. Aber nun lass uns losfahren.“

„Nichts lieber als das!“

Tim half seiner schönen Begleiterin galant in den tiefen Wagen.

Als Verena einstieg, bemerkte er: „Du hast dich ja auch ganz neu eingekleidet. Schick siehst du aus, obwohl mir die Minimode auch sehr gut gefallen hat. Da bekam man wenigstens was zu sehen.“

„Ahnen soll auch recht interessant sein“, entgegnete das Mädchen lächelnd und lehnte sich bequem in die Polster zurück.

Tim verzichtete darauf, die Fahrertür zu öffnen. Mit Schwung setzte er über die niedrige Tür und landete sofort in seinem Sitz.

Einen kurzen Blick warf er auf Verena, doch die schien seine sportlichen Kunststücke nicht zu registrieren. Wenigstens wirkte sie keineswegs beeindruckt. Tim zuckte die Schultern, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und startete.

Nur kurz tippte er auf das Gaspedal, und schon schoss der hochtourige Wagen davon.

Verena genoss die Fahrt, wenn sie es auch nie eingestanden hätte. Gar zu gern hätte sie selbst gesteuert. Sie liebte es, durch die Straßen zu rasen, den Fahrtwind zu spüren, der sich in ihrem Haar verfing …

Als sie die große Ausfallstraße erreicht hatten, die den kleinen Villenvorort, in dem Verena wohnte, mit dem Stadtzentrum verband, hielt Tim am Straßenrand an.

„Was ist los?“, erkundigte sich Verena und strich sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht. „Warum bremst du plötzlich? Ist etwas mit dem Wagen?“

„Nein“, lächelte Tim. „aber ich kenne doch deine Vorliebe für schnelle Wagen. Möchtest du nicht ein Stück fahren?“

Freudig überrascht sah Verena den Freund an. Mit einem solchen Angebot hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste, dass Tim nur höchst ungern einen anderen an das Steuer seines Wagens ließ. Dass er ihr jetzt anbot, sogar den neuen Wagen zu fahren, war fast unglaublich. Oder wollte er sie auf diese Weise versöhnen? Wollte er sich für die Verspätung entschuldigen?

Das junge Mädchen gab es auf, einen Grund für dieses großzügige Angebot zu suchen, schnell nickte sie zustimmend.

„Mit dem allergrößten Vergnügen!“ Sie rutschte auf den Fahrersitz, den Tim van Drosten inzwischen freigemacht hatte. „Du machst mir damit eine große Freude, Tim.“

„Ich weiß, Kleines. Und ich hoffe, dass du dich zu bedanken weißt.“ Tim grinste, als er sich wieder ohne die Tür zu öffnen, auf den Beifahrersitz schwang.

Verena gab ihm auf seine Bemerkung keine Antwort, sie konzentrierte sich darauf, das Armaturenbrett eingehend zu erkunden und den Wagen probeweise im Stand laufen zu lassen.

„Unheimlich, das satte Summen des Motors“, meinte sie begeistert.

„Schwärm nicht, fahr los!“, befahl Tim lachend. „Dann erst wirst du das wahre Fahrgefühl erleben.“

Nur zu gern kam Verena dieser Aufforderung nach, und geschickt startete sie den rassigen Wagen.

Alles ging gut. Verena passte auf den nur mäßigen Verkehr auf. Tim unterhielt sie mit Anekdoten aus seiner Schülerzeit. Beide waren recht heiterer Stimmung.

Bis zu dem Augenblick, als Tim erzählte, wie er seinem Mathematiklehrer einen Streich gespielt hatte. Da musste Verena so herzhaft lachen, dass sie sekundenlang nicht auf die Fahrbahn achtete.

Unglücklicherweise befand sich der weiße Sportwagen gerade vor der Einmündung einer kleineren Seitenstraße. In diesem Moment kam ein Lastwagen aus dieser Straße.

Ehe Verena noch reagieren konnte, ehe sie die Geschwindigkeit des Sportwagens drosseln konnte, war das Unglück auch schon geschehen: Blech knirschte. Glas splitterte. Metall fraß sich in Metall …

3

Am Morgen des nächsten Tages sahen sich Dr. Martin von Waldheim und Dr. Susanne Andergast erst bei der Visite, die auch der junge Oberarzt mitmachte. So war es den beiden Liebenden nicht möglich, ein privates Wort miteinander zu wechseln.

Schwester Maria, die unter dem Arm eine Mappe mit den verschiedenen Krankenblättern trug, ging dem kleinen Zug voraus in jedes der Krankenzimmer.

„Frau Zanden ist in dieser Nacht erst eingeliefert worden“, berichtete der Oberarzt, bevor sie in das Krankenzimmer Nr. 9 auf der inneren Station traten. „Der Hausarzt hatte eine schwere Gallenkolik festgestellt. Ich habe der Patientin sofort schmerzstillende Mittel gegeben. Ich glaube, dass wir um eine Operation nicht herumkommen.“

„Dann hätten Sie Frau Zanden direkt auf die Chirurgische verlegen sollen“, meinte Martin von Waldheim. „Hier ist sie ja dann falsch.“

„So einfach ist die Sache nicht, Herr Chefarzt“, mischte sich Schwester Maria ein, noch ehe der Oberarzt etwas antworten konnte. „Wenn Sie die Frau gleich selbst sprechen, werden Sie es schon merken.“

Sie zwinkerte Dr. Radloff nach diesen Worten munter zu, denn auch sie hatte heute früh schon einen Vorgeschmack von der Freundlichkeit dieser Patientin bekommen.

Der Leiter der Klinik sah seine Mitarbeiter fragend an und zuckte mit den Schultern. Er nahm sich vor, Frau Zanden näher anzusehen.

Nachdem er kurz angeklopft hatte, betrat er, gefolgt von seinem Stab, das freundlich eingerichtete Zweibettzimmer.

Im ersten Bett, gleich an der Tür, lag Frau Gründerberg, die wegen eines leichten Herzfehlers behandelt wurde. Sie war eine sehr nette, angenehme Patientin, die den Schwestern die Arbeit nicht unnötig erschwerte.

Im anderen Bett, direkt am Fenster, lag eine Frau mittleren Alters, die neue Patientin.

„Guten Tag, Frau Zanden“, begrüßte sie der Chefarzt freundlich und näherte sich dem Bett. „Ich bin Dr. Waldheim, der Leiter dieses Hauses.“

„Es wird auch Zeit, dass Sie kommen“, antwortete Frau Zanden. „Schließlich bezahle ich hier ein kleines Vermögen jeden Tag. Da kann man wohl erwarten, dass sich der Chef persönlich um einen kümmert und die Arbeit nicht seinen Angestellten überlässt.“

„Davon kann nicht die Rede sein“, meinte Martin von Waldheim höflich. obwohl er dieser arroganten Dame am liebsten eine andere Antwort gegeben hätte. Dachte sie vielleicht, sie sei die einzige Kranke, die dieses Haus beherberge?

„Also, was wollen Sie unternehmen, um mich endlich von diesen Schmerzen zu befreien?“, begehrte Frau Zanden auf und sah den Chefarzt herausfordernd an.

„Zunächst einmal müssen Sie sich ein paar Untersuchungen unterziehen“, erwiderte Martin ruhig. „Erst dann, wenn diese Ergebnisse ausgewertet worden sind, kann ich Ihnen mehr sagen.“

„Unsinn! Zeit wollen Sie schinden! Jeder Tag ist für Sie doch nur ein Geschäft! Aber mit mir nicht! Mit mir macht man nicht was man will.“

„Das hat auch niemand hier vor, Frau Zanden. Ich darf vielleicht in aller Bescheidenheit betonen, dass ich es nicht nötig habe, auf Patientenfang zu gehen. Mein Haus ist stets gut belegt, und es gibt viele Kranke, die warten tagelang darauf, dass ein Bett frei wird.“

Gut geantwortet, Martin, dachte Dr. Susanne Andergast. Vielleicht wird diese Frau jetzt ein wenig umgänglicher.

Tatsächlich hörte Frau Zanden mit ihrer Nörgelei auf. Sie ließ sich von Martin kurz untersuchen. Sie sprach auch nicht dazwischen, als der Chefarzt sich leise mit seinem Oberarzt und Dr. Andergast beriet, was weiterhin mit der Patientin zu geschehen habe.

Erst als Dr. Radloff halblaut bemerkte: „Meiner Meinung nach werden wir um eine Operation nicht herumkommen“, empörte sich Frau Zanden.

„Dazu gebe ich nie im Leben meine Einwilligung! Ich lasse mir nicht den Bauch aufschneiden! Dazu bin ich nicht hergekommen! Wenn Sie nicht fähig sind, mir auf andere Art zu helfen, dann will ich sofort wieder hier raus!“

Nicht überraschend, dass diese Giftspritze es an der Galle hat, dachte Susanne Andergast, während sie die keifende Patientin beobachtete und gespannt auf die Reaktion Martin von Waldheims wartete.

Der Chef blieb nach wie vor ruhig und freundlich, als er erwiderte: „Wenn wir Ihnen wirklich und wirksam helfen sollen, Frau Zanden, dann werden Sie sich schon nach unseren Anordnungen richten müssen. Glauben Sie mir, hier meint man es nur gut mit Ihnen. Falls Sie sich jedoch gegen meine Anweisungen sperren, muss ich Sie leider bitten, sich in eine andere Klinik verlegen zu lassen.“

Die renitente Patientin war im ersten Augenblick so verwirrt, weil es jemand wagte, ihr energisch die Meinung zu sagen, dass sie keine Widerrede mehr wagte.

„Warten wir es ab“, lächelte Martin von Waldheim versöhnlich, dann nickte er der Patientin zu und verließ mit seinem Stab das Krankenzimmer.

Als er draußen auf dem Flur war. wandte er sich lächelnd an seine Mitarbeiter und meinte: „Soweit kommt es noch, dass wir uns von den Patienten Vorschriften machen lassen. Wenn sich Frau Zanden weiterhin gegen ärztliche Anordnungen zur Wehr setzen sollte, muss sie die Konsequenzen aus ihrem Verhalten ziehen.“

Im nächsten Zimmer lagen zwei Frauen, die am Vortag operiert worden waren.

Die eine, die im ersten Bett lag, hatte eine Magenoperation mitgemacht, die andere ein Zwölffingerdarmgeschwür entfernt bekommen. Beiden ging es den Umständen entsprechend gut. Die Ärzte waren zufrieden mit den Ergebnissen, die auf den Krankenkarteien eingetragen waren.

Erst am Ende der Visite kam Dr. von Waldheim dazu, privat mit Susanne Andergast zu sprechen.

Der Oberarzt und die Schwester hatten sich schon entfernt.

Leise fragte Martin von Waldheim: „Wenn du gleich Zeit hast, kommst du dann in mein Büro?“

Susanne blickte ihn forschend an: „Ist etwas passiert?“

„Nein, nein. Ich will dich nur ein paar Minuten für mich haben.“

Flüchtig, doch sehr zärtlich, drückte Martin von Waldheim die schmale Hand der Ärztin, dann gingen sie in verschiedenen Richtungen auseinander.

Sie hatten sich vorgenommen, darauf zu achten, dass in der Klinik niemand von ihrer privaten Beziehung zueinander erfuhr. Sie wollten Klatsch, Tratsch und Gerüchte vermeiden, deshalb achteten sie darauf, nie allzu lange beieinander zu sein und sich außerdienstlich zu unterhalten.

Nachdem Dr. Susanne Andergast ihre Station verlassen hatte, begab sie sich hinunter in den ersten Stock, wo sich das Büro des Klinikchefs befand.

Sie klopfte kurz an die palisandergetäfelte Tür, und schon ertönte von innen die Stimme Martin von Waldheims „Herein, bitte.“

Susanne, die eine Akte unter dem Arm trug, betrat das elegant eingerichtete Büro. Dicker, flauschiger beigefarbener Teppichboden lag auf dem Boden, darauf noch einige wertvolle Perserbrücken.

Martin von Waldheim saß hinter seinem großen Schreibtisch, der ebenfalls aus Palisanderholz war.

„Da bist du ja endlich, mein Schatz“, begrüßte er Susanne. Er stand auf und ging auf sie zu.

Als er sie in seine Arme nehmen wollte, bemerkte er die Akte, die Susanne unter dem Arm trug.

„Gibt es noch etwas Dienstliches zu besprechen?“, erkundigte er sich.

„Nein. nein“, lachte die junge Frau. Ihre Augen strahlten den geliebten Mann an. „Das ist mein Alibi, falls jemand unverhofft hereinkommt.“

„Mein übervorsichtiger Liebling!“

Martin von Waldheim küsste Susanne erst auf die Augen, dann auf die Lippen, die sie ihm willig bot.

„Du weißt doch, dass niemand überraschend mein Büro betrifft“, sagte er, nachdem er sie wieder freigegeben hatte.

„Du kannst es nicht wissen“, meinte Susanne. „Besser ist besser.“

„Du hast ja recht“, stimmte ihr Martin von Waldheim zu. „Aber jetzt leg die Akte endlich beiseite. Ich will dich wenigstens heute für ein paar Minuten für mich allein haben.“

Susanne dachte ebenfalls daran, dass sie morgen allein in den Schwarzwald zum Ärztekongress fahren würde. Traurigkeit beschlich sie, denn sie hatte sich sehr auf die gemeinsamen Tage mit Martin gefreut.

Heimlich hatte sie gehofft, dass sie während dieser Zeit auch eine Gelegenheit finden würde, Martin von ihrem süßen Geheimnis zu unterrichten.

Wie würde er die Nachricht wohl aufnehmen, dass sie ein Kind erwartete? Wie darauf reagieren, dass er Vater wurde?

Würde er sich dann endlich von seiner ungeliebten Frau trennen? Oder musste sie das Kind ihrer Liebe allein aufziehen, allein alle Verantwortung für das kleine Wesen tragen?

„Worüber denkst du nach, Liebes?“, fragte Martin von Waldheim lächelnd. „Du siehst so nachdenklich aus.“

„Es ist nichts“, meinte Susanne. „Mach dir keine Gedanken.“

Martin von Waldheim führte sie zu der ledernen Sitzgruppe.

Dort saßen sie sich dann gegenüber, sahen sich in die Augen und fühlten sich auch ohne Worte innig miteinander verbunden.

„Morgen fährst du also“, begann Martin endlich die Unterhaltung. „Ach, Liebling, wie gern würde ich mit dir fahren.“

„Ich glaube es dir.“ Susanne beugte sich vor und strich ihm zärtlich über den Arm. „Aber was nicht geht, geht eben nicht. Sei nicht allzu traurig.“

„Bist du es denn nicht auch?“, fragte Martin und sah der geliebten Frau in die Augen.

Er ängstigte sich. Liebte Susanne ihn nicht mehr? Machte es ihr nicht mehr viel aus, ohne ihn fahren zu müssen? War sie das Warten auf ihn leid? Hatte er sie zu lange im Ungewissen gelassen?

Jetzt, da er Angst hatte, die geliebte Frau zu verlieren, nahm sich Martin von Waldheim fest vor, bald mit Elvira zu sprechen.

Ihr Eheleben war doch keines mehr. Von Liebe war schon seit Jahren nicht mehr die Rede. Auch die Zuneigung hatte sich durch Elviras ewige Zankereien mit der Zeit abgenutzt. Was Martin für seine Frau empfand, war Gleichgültigkeit und etwas Mitleid, weil er als empfindsamer Mensch und Arzt spürte, dass sie selbst mit ihrem unausgefüllten Dasein unzufrieden war.

„Ich wollte dir noch einmal versichern, wie gern ich dich habe, Susanne“, erklärte Martin aus diesen Gedanken heraus. „Du bist die einzige Frau, die ich liebe. Das musst du mir glauben!“

„Aber das weiß ich doch auch, Martin“, versicherte Susanne Andergast ein wenig verwundert. „Nie habe ich daran gezweifelt, dass deine Gefühle für mich aufrichtig und ehrlich sind.“

Dr. von Waldheim seufzte heimlich auf. Er fühlte sich regelrecht erleichtert.

„Dann bin ich beruhigt, Liebes“, freute er sich.

„Ich hatte schon Angst, du wärest es leid, auf mich zu warten.“

Bei diesen Worten sah er Susanne erwartungsvoll an. Er hoffte, die junge Ärztin würde ihm widersprechen.

Doch Susanne schwieg.

Deshalb fuhr Martin von Waldheim nach einem tiefen Atemzug fort: „Ich habe mir vorgenommen, an diesem Wochenende mit Elvira zu reden. Sie muss einer Scheidung zustimmen! Und ich bin sicher, sie wird einsehen, dass es so nicht weitergehen kann mit uns. Von Gemeinsamkeit kann keine Rede mehr sein. Wir sind uns fremd geworden in den letzten Jahren.“

Susanne Andergast schwieg noch immer. Was sollte sie auch zu diesen Worten sagen? Sie wusste, dass Martins Ehe zerstört war. Schon seit Jahren. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte sie ihm nie ihre Gefühle offenbart, wäre es nie zu einer Beziehung zwischen ihnen gekommen.

„Du sagst ja gar nichts?“, fragte Martin von Waldheim enttäuscht.

Susanne lächelte ein wenig. Es war ein etwas trauriges, nachsichtiges Lächeln. Dann strich sie sich mit einer anmutigen Bewegung, die typisch für sie war, eine Strähne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht und meinte: „Was soll ich denn dazu sagen. Martin? Du weißt, dass ich dich sehr liebe und gern mit dir für immer zusammen wäre. Du weißt aber auch, dass ich dich nie zu etwas drängen oder zwingen würde.“

„Sicher weiß ich das“, nickte der Mann. „Aber es ist mein freier Entschluss, mich von Elvira zu trennen. Im Grunde hast du damit nicht einmal etwas zu tun. Ich könnte mit meiner Frau auch nicht mehr zusammenleben, wenn es dich nicht in meinem Leben gäbe.“

„Und du glaubst, sie wird zustimmen?“, wollte Susanne wissen. Obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, klang ihre Frage sehr skeptisch.

So, wie die junge Ärztin Martin von Waldheims Frau bisher kennengelernt hatte, würde Gräfin Elvira nie im Leben etwas hergeben, auf das sie einen Besitzanspruch zu haben glaubte.

Hatte sich Martin nicht in die Hand seiner Frau gegeben, als er von ihrem Geld diese hervorragend eingerichtete Klinik baute?

Susanne konnte ihre Bedenken nicht für sich behalten. Sie teilte sie Martin von Waldheim mit.

Der Arzt winkte jedoch ab. „Deswegen mach dir keine Sorgen. Die Klinik hat in den letzten Jahren so viel abgeworfen, dass ich Elvira alles Geld, das sie mir damals gegeben hat, zurückzahlen kann.“

Er lächelte und haschte nach Susannes Hand, die sie ihm überließ.

„Wir wollen heute aber nicht mehr von diesen Dingen reden“, wechselte der Mann das Thema. „Ich möchte dich damit nicht belasten, Liebling. Das ist eine Sache, die ich ganz allein durchstehen und mit Elvira ausfechten muss.“

„Du hast recht“, nickte Susanne. „Den letzten Abend vor meiner Reise wollen wir nicht mit dem Wälzen von Problemen zerstören. Trotzdem können wir uns hier nicht ungezwungen unterhalten. Kannst du nicht gleich noch für eine Weile zu mir kommen? Ich bin heute dienstfrei und kann jetzt nach Hause fahren.“

„Einverstanden. Bei dir ist es wesentlich gemütlicher als hier im Büro. Dann bis nachher, mein Schatz. Ich bin, wenn mir nichts mehr dazwischen kommt, in einer halben Stunde bei dir.“

Zum Abschied gab er Susanne noch einen innigen Kuss, dann verließ die junge Ärztin das Büro des Klinikchefs.

Im Ärztezimmer der chirurgischen Station wechselte sie den weißen Ärztemantel gegen eine schicke Wildlederjacke aus, und fünf Minuten später bestieg sie auf dem Parkplatz, der hinter dem Klinikgebäude angelegt war, ihren kleinen zitronengelben Wagen.

In wenigen Minuten hatte Susanne Andergast ihr Zuhause erreicht. Sie bewohnte ein kleines, aber sehr geschmackvoll eingerichtetes Apartment in einem Hochhaus.

Eifrig bereitete sie alles für Martins Besuch vor. Sie wollte die kurze Zeit, die sie mit dem geliebten Mann zusammen sein konnte, so gemütlich und harmonisch wie nur möglich gestalten.

In ihrer kleinen Küche bereitete sie einen delikaten Toast vor, von dem sie wusste, dass Martin von Waldheim ihn besonders gern aß.

Eine gute Flasche Wein wurde bereitgestellt.

Dann räumte die junge Ärztin das Wohnzimmer auf.

Als dies getan war, dachte Susanne an sich. Schnell machte sie sich frisch, zog sich ein bequemes, elegantes Hauskleid an, vertauschte die sportlichen Schuhe, die sie den Tag über in der Klinik getragen hatte, mit weichen Wildledersandalen, legte ein dezentes Make-up auf und erwartete den geliebten Mann.

Eine Stunde saß Susanne Andergast in ihrem Sessel.

Inzwischen war der Toast kalt geworden. der Wein schon lange aus dem Eisschrank geholt, die vierte Langspielplatte aufgelegt.

Und Martin von Waldheim war immer noch nicht da …

Was war geschehen?

Wodurch war er abgehalten worden, zu ihr zu kommen?

Waren neue Patienten eingeliefert worden? Oder hatte Martin es sich anders überlegt?

4

Tim van Drosten war zuerst aus der Ohnmacht erwacht. Verwirrt blickte er sich um. Was er erkennen konnte, war so schrecklich, so furchtbar und entsetzlich, dass er es vorzog, ganz schnell wieder die Augen zu schließen.

Da hörte er die Stimme eines Mannes.

„Ich glaube, der kommt langsam zu sich.“

Daraufhin versuchte Tim noch einmal, die Augen zu öffnen, mochten die Bilder, die sich ihm darboten, auch noch so grauenvoll sein.

Diesmal war sein Blick ganz klar, als er sich umsah und erkannte, was von seinem Sportwagen, den er zwei Stunden hatte, übriggeblieben war: Ein Trümmerhaufen, reif für den Schrottplatz!

„Was ist denn nur geschehen?“, murmelte er. „Wie konnte es zu diesem Totalschaden kommen?“

Er versuchte sich aufzurichten, doch es gelang ihm nicht.

Erst jetzt stellte er fest, dass er immer noch in dem Unfallwagen saß, dass er von dem verbogenen Metall eingequetscht worden war.

Als er einen Blick nach links warf, traf ihn ein neuer Schock.

Verena Geldermann, die hinter dem Steuer saß, hing leblos in ihrem Sitz. Das schwarze Haar war blutverkrustet, ihr Gesicht leichenblass.

„Verena! Verena! Mädchen, so gib doch Antwort!“ Tims Stimme überschlug sich. Panische Angst ergriff ihn. Verena war doch nicht etwa tot? Nein, das durfte nicht sein, das konnte nicht sein!

„Bleiben Sie ganz ruhig“, erklang wieder die fremde Männerstimme, die Tim schon gehört hatte. „Wir tun alles, um Ihnen und Ihrer Begleiterin zu helfen. Der Wagen ist so verzogen, dass die Feuerwehr ihn auseinanderschweißen muss.“

Als Tim eine halbe Drehung machte, konnte er ein Gesicht sehen, das zwischen den Metallteilen seines Wagens hindurchsah. Es war ein gutes, vertrauenerweckendes Männergesicht, und jetzt sagte der Fremde: „Ihrer Freundin geht es zwar nicht ganz so gut wie Ihnen, das habe ich schon festgestellt, soweit ich eine Untersuchung unter diesen Umständen vornehmen konnte, aber noch lebt sie.“

„Gott sei Dank“, stöhnte Tim. Dann fragte er: „Wer sind Sie?“

„Ich heiße Martin von Waldheim und bin Arzt“, erklärte der Fremde, „Ich kam aus Zufall hier vorbei. Da Ihre Begleiterin verletzt ist, blieb ich hier, um sie sofort behandeln zu können, wenn die Feuerwehr den Wagen auseinandergeschweißt hat.“

„Das ist gut“, sagte Tim leise, „dann bin ich beruhigt.“

Nachdem er das gesagt hatte, wurde ihm wieder schwarz vor Augen, und er fiel erneut in Ohnmacht.

Dr. von Waldheim wunderte sich nicht darüber, denn so, wie Tim in dem Unfallwagen hing, war anzunehmen, dass er eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen hatte.

Über ihn machte sich Martin von Waldheim jedoch die wenigsten Gedanken. Mehr Sorgen bereitete ihm Verena, deren Hautfarbe zusehends fahler wurde.

Die Platzwunde am Kopf, die zwar schlimm aussah, trotzdem aber verhältnismäßig harmlos war, bereitete dem Arzt keine Sorgen. Die Atmung und die Pulsfrequenz erschienen ihm jedoch bedenklich. Er vermutete, dass die Verletzte einen schweren Schock und innere Verletzungen davongetragen hatte. Noch konnte er aber keine präzise Diagnose stellen, weil Verena ebenfalls noch nicht aus dem Auto herausgehoben werden konnte.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis die Feuerwehrmänner die beiden jungen Menschen befreit hatten.

Sofort kümmerte sich Dr. von Waldheim um das junge Mädchen, dessen Zustand als sehr kritisch bezeichnet werden musste.

„Ich halte es für das Beste, wenn die beiden sofort in eine Klinik befördert werden“, äußerte sich der Arzt einem Polizeibeamten gegenüber. „Ich kann ihnen hier auf der Straße nicht helfen, zumal ich außer meiner Bereitschaftstasche nichts dabei habe.“

„Dann nichts wie los“, meinte der Beamte und winkte den Sanitätern, die mit ihrem Wagen warteten.

„Meine Klinik ist hier ganz in der Nähe“, sagte Martin von Waldheim. „Wenn Sie nichts dagegen haben, könnten wir die Verunglückten dorthin schaffen.“

„Von uns aus steht dem nichts im Wege“, meinte einer der Sanitäter. „Es sieht wirklich so aus, als ginge es bei dem Mädchen jetzt um Minuten.“

„Da könnten Sie recht haben“, nickte Martin von Waldheim.

„Ich habe ihr zwar ein kreislaufstärkendes Mittel injiziert, doch viel hat es nicht genutzt. Sie scheint innere Verletzungen zu haben und muss so schnell wie möglich auf den Operationstisch.“

Während sie sprachen, war Verena auf der Trage angeschnallt und in den Unfallwagen gehoben worden. Martin von Waldheim stieg zu ihr und kontrollierte laufend ihren Puls und die Augenreflexe.

Die Fahrt zu seiner eigenen Klinik, die unter normalen Umständen zehn Minuten gedauert hätte, legte der Krankenwagen in der Hälfte der Zeit zurück.

Vor dem Krankenhausportal angekommen, sprang der Klinikchef sofort heraus, lief in die Eingangshalle und rief der Pfortenschwester zu: „Rufen Sie im OP an, Schwester Renate. Ein Notfall. Alles soll sofort einsatzbereit gemacht werden. Ich ziehe mich nur schnell um!“

Damit eilte er auch schon weiter und überließ es den Sanitätern und den Schwestern, die Verletzte in den Operationssaal zu bringen und Tim van Drosten in den Ambulanzraum zu fahren.

Der Klinikchef selbst stand schon im Waschraum und desinfizierte sich die Hände. Dabei wies er eine Schwester an: „Rufen Sie den Oberarzt auf seiner Station an. Er wird hier gebraucht. Frau Dr. Andergast wird wohl schon daheim sein. Sie muss auch her. Allein schaffe ich es nicht, die beiden Verunglückten zu behandeln. Das Mädchen scheint ein schwerer Fall zu werden.“

Als Martin von Waldheim endlich fertig war, war auch Verena soweit vorbereitet, dass der Arzt sie untersuchen konnte.

„Verflixt“, murmelte er, nachdem er fertig war und sich aufrichtete. „Ich habe zwar gern recht, und ich freue mich immer, wenn meine Diagnosen stimmen, doch in dem Fall wäre es mir lieber gewesen, ich hätte mich einmal geirrt.“

„Was fehlt ihr denn?“, erkundigte sich die OP-Schwester. die dabei war, den Instrumententisch zu ordnen.

„Wahrscheinlich eine Nierenquetschung. Von dem Schock, unter dem die Patientin steht, gar nicht zu reden“, erläuterte Dr. von Waldheim. „Ich muss sofort aufmachen.“

„Dr. Radloff ist gekommen. Er wäscht sich noch“, berichtete der Pfleger, der sich im Hintergrund des großen Operationssaales aufhielt und darauf wartete, dass der Chef noch Anweisungen für ihn hatte.

„Das ist gut“, meinte Martin. „Ich brauche jetzt jeden. Hoffentlich kommt Dr. Andergast bald. Um den jungen Mann, der mit im Wagen saß, muss sich nämlich auch noch jemand bemühen. Er hat eine schwere Commotio.“

„Frau Doktor ist schon benachrichtigt“, meldete eine junge Schwester. Martin von Waldheim nickte beruhigt und begann, mit der schwersten Operation, die er jemals ausgeführt hatte.

Das ahnte er aber noch nicht.

5

Dr. Susanne Andergast sah alle paar Minuten zur Uhr. Sie konnte es nicht verstehen, wo Martin so lange blieb. Wenn in der Klinik etwas vorgefallen wäre, was ihn am Kommen gehindert hätte, hätte er gewiss angerufen.

Ob er es sich anders überlegt hatte? Ob er Angst hatte, zu ihr zu kommen und mit ihr über seine Situation zu sprechen? Ob er glaubte, dass sie ihn zur Scheidung zwingen wollte?

Susanne wischte sich mit einer müden Geste über die Augen. Nein, auf diese Art und Weise würde sie nie um den geliebten Mann kämpfen. Entweder kam Martin freiwillig zu ihr und bekannte sich zu seiner Liebe, oder er blieb bei seiner Frau, die er schon lange nicht mehr liebte.

Als sie mit ihren Gedanken an diesem Punkt angelangt war, musste Susanne mit aller Gewalt die Tränen bekämpfen, die ihr in die Augen getreten waren.

Sie dachte daran, dass sie Martins Kind unter dem Herzen trug, und sie stellte sich vor, wie ihr Leben aussehen würde, wenn sich der Geliebte nicht zu ihr und zu ihrem Kind bekennen würde.

„Nein!“ Susanne sagte es laut, wie um ihren Worten dadurch mehr Nachdruck zu verleihen. „Nein, soweit darf es nie und nimmer kommen!“

Aber welche Möglichkeit hatte sie, um Martin von Waldheim zu kämpfen?

Plötzlich schrillte das Telefon.

Susanne sprang auf und nahm den Hörer ab.

„Ja bitte, hier Dr. Andergast“, meldete sie sich. Sie konnte es nicht verhindern, dass ihre Stimme ein wenig aufgeregt klang.

„Hier ist Schwester Margret! Entschuldigen Sie bitte die Störung, Frau Doktor, aber Sie müssen sofort kommen. Ein Unfall. Der Chef ist mit zwei Verletzten in die Klinik gekommen. Er bittet Sie, sofort zu kommen, weil er und Dr. Radloff es nicht allein schaffen.“

Am liebsten hätte Susanne Gott sei Dank gesagt, als sie jetzt hörte, was Martins Ausbleiben erklärte.

„Selbstverständlich komme ich sofort, Schwester. Ich muss mich nur noch umziehen. Sie können dem Chef melden, dass ich in einer Viertelstunde in der Klinik bin.“

„Danke, Frau Doktor“, sagte Schwester Margret.

Fünf Minuten nach dem Anruf von Schwester Margret saß die junge Ärztin in ihrem kleinen Auto und fuhr zur Klinik Dr. von Waldheims.

Unterwegs kam sie auch an der Kreuzung vorbei, wo der schwere Unfall geschehen war. Noch immer stand der weiße Sportwagen am Straßenrand, beziehungsweise das, was von ihm übriggeblieben war.

Susanne Andergast wurde es abwechselnd heiß und kalt, als sie den Metallhaufen sah, von dem man nicht mehr sagen konnte, dass er ein Auto war.

Hoffentlich kann Martin die jungen Leute, die in diesem Wagen gesessen haben, noch retten, dachte die Ärztin, während sie weiterfuhr.

Auf dem Klinikparkplatz angekommen, nahm sie sich nicht mehr die Zeit, ihren Wagen abzuschließen.

„Sie werden schon sehnlichst erwartet, Frau Doktor“, empfing sie die Pfortenschwester. „Einer der Verletzten liegt noch im Ambulanzraum, die verunglückte junge Frau operiert der Chef.“

„Danke Ihnen, Schwester“, sagte Susanne und eilte in den Ambulanzraum, wo sich eine Schwester um den noch immer bewusstlosen Tim van Drosten kümmerte.

„Gut, dass Sie da sind, Frau Doktor“, wurde Susanne Andergast auch hier empfangen. „Ich bin schon seit einiger Zeit ganz allein mit dem Patienten, weil der Chef und Dr. Radloff eine schwierige Operation vornehmen. Alles ist im OP versammelt?“

„Na, viel können wir ja für den jungen Mann nicht tun“, meinte Susanne und griff nach einem weißen Kittel, der an einem Haken neben der Eingangstür hing. „Wenn der Mann tatsächlich eine schwere Gehirnerschütterung hat, dann muss die Zeit heilen.“

„Da haben Sie auch recht“, nickte die Schwester. „Aber trotzdem bin ich froh, dass Sie da sind und ich die Verantwortung los bin.“

Susanne verkniff sich ein Lächeln und beugte sich über Tim van Drosten. Sie untersuchte ihn rasch, aber sehr gründlich, und sie kam zu derselben Diagnose, die auch schon Martin von Waldheim an der Unfallstelle gestellt hatte: Der junge Mann war bis auf die Gehirnerschütterung unverletzt geblieben!

„Wir werden vorsichtshalber noch eine Röntgenaufnahme des Schädels machen“, wandte sich die Ärztin an die Schwester, nachdem sie mit ihrer Untersuchung fertig war. „Ich will nichts versäumen.“

„Wird sofort gemacht, Frau Doktor“, versprach die Schwester und schob das fahrbare Bett, auf dem Tim lag, hinüber in den angrenzen den Röntgenraum.

Dr. Susanne Andergast selbst nahm die Röntgenaufnahme vor. Es waren keine Verletzungen des Schädelknochens zu entdecken.

„Der Patient bekommt einen Eisbeutel, der alle drei Stunden gewechselt werden muss. Ansonsten strikte Bettruhe“, ordnete die Ärztin an. „Sonst braucht er gar nichts. Lassen Sie ihn von einer Schwester der Station hier abholen. Ich gehe in den Operationssaal. Vielleicht werde ich dort noch gebraucht.“

„In Ordnung, Frau Doktor“, sagte die Schwester, ging zum Telefon und bat darum, dass der Patient abgeholt werden sollte.

Susanne Andergast fuhr mit dem Lift hinauf. Schon von Weitem sah sie das rote Licht über der großen Glastür leuchten. Und obwohl sie noch nicht erkennen konnte, was dort stand, wusste sie es ganz genau: Eintritt verboten!

Sekundenlang ging ihr durch den Kopf, wie viele Menschen sie schon vor dieser Tür hatte stehen sehen, deprimiert, hoffnungsvoll, demütig wartend. Alle hatten sie immerzu wie gebannt auf diese beiden Worte gestarrt: Eintritt verboten!

Es musste furchtbar sein, hier draußen stehen zu müssen, wenn dort, hinter den hohen Milchglasscheiben, ein geliebter Mensch auf dem Operationstisch lag.

Während ihr diese Gedanken blitzartig durch den Kopf gingen, hatte Dr. Susanne Andergast den Vorraum zum Operationssaal erreicht. Ohne zu zögern ging sie bis zu der Glastür, die den Vorbereitungsraum vom eigentlichen Operationssaal trennte.

Nur einen kurzen Blick brauchte die Ärztin in das Gesicht Martin von Waldheims zu werfen, dann wusste sie, dass er einen verzweifelten Kampf gegen den Tod ausfocht.

Zwar war die untere Partie seines Gesichtes durch den sterilen Mundschutz verdeckt, doch seine Augen, die konzentriert auf das Operationsfeld blickten, und seine leicht gerunzelte Stirn verrieten Susanne genug.

Schnell ging sie hinüber zu einem der Waschbecken, griff nach der desinfizierten Seife und begann sich vorschriftsmäßig zu waschen.

Eine junge Hilfsschwester kam hinzu und nahm von den Haken, die an der gekachelten Wand angebracht waren, einen sterilen Kittel und eine grüne Kappe, die sie Susanne auf das dunkle Haar setzte.

Nach zehn Minuten war die junge Ärztin fertig mit ihrer Waschung. Nachdem sie ihre Hände noch einmal in eine blaue Desinfektionsflüssigkeit getaucht hatte, ließ sie sich von der Schwester in die Gummihandschuhe helfen.

Dann war sie bereit, in den Operationssaal zu gehen.

Als Martin von Waldheim bemerkte, dass jemand den OP betrat, schaute er kurz von seiner Arbeit auf. Er hasste es, wenn ihn jemand bei einer Operation störte, und er hatte schon ein zurechtweisendes Wort auf den Lippen. Als er jedoch Susanne erkannte, leuchteten seine Augen.

„Gut, dass Sie da sind, Kollegin“, begrüßte er sie. „Im Augenblick wird hier jede Hand gebraucht.“

„Was hat die Patientin sich bei dem Unfall denn zugezogen?“, fragte Susanne, da sie auf die Entfernung noch nicht erkennen konnte, was Martin von Waldheim tat.

„Bis jetzt wissen wir nur, dass die ganze Bauchhöhle voller Blut ist“, erklärte der Chirurg. „Seit zwanzig Minuten bemühen wir uns, die Patientin soweit herzustellen, dass wir überhaupt mit einer Operation beginnen können. Aber sie war schon so schlimm dran, dass wir erst einmal alles tun mussten, um den Kreislauf halbwegs wieder hinzukriegen. Sie hat schon die dritte Blutkonserve laufen. Schlimm, wie es in der Bauchhöhle aussieht.“

„Dann ist wohl irgendwo etwas gerissen“, vermutete Susanne.

„So ähnlich wird es sein“, antwortete der Operateur, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Diese bestand im Moment noch darin, die Bauchhöhle halbwegs vom Blut zu reinigen. Immer neue sterile, in Kochsalzlösung getauchte Tücher ließ er sich von der OP-Schwester reichen. Schließlich gelang es ihm, das Operationsfeld übersichtlich zu machen.

„Endlich kann ich etwas sehen“, atmete er erleichtert auf. „So etwas wie dieser Fall ist mir auch noch nicht vorgekommen. Das Blut war schon richtig verklebt. Sie müssen bedenken, meine Herrschaften, dass die Verletzte schon über eine halbe Stunde in dem Unfallwagen steckte, bevor sie befreit werden konnte. Die Zeit ist von uns kaum noch aufzuholen.“

„Sie werden es schon schaffen, Chef“, sagte Andreas Radloff. Alle, die es hörten, blickten erstaunt auf den jungen Arzt.

So belegt, so heiser hatte die Stimme des jungen Oberarztes noch nie geklungen. Fast schien es so, als nähme er persönlichen Anteil an dem Schicksal des jungen Mädchens, das hier vor ihnen auf dem Tisch lag.

Dr. Radloff sprach weiter: „Sie müssen es schaffen, Herr Chefarzt! Sie müssen Verena Geldermann retten!“

„Sie kennen die Patientin?“ Überrascht blickte Martin von Waldheim hoch und sah seinen Oberarzt an.

„Sie wissen doch, dass es ein ungeschriebenes Gesetz bei uns gibt: Operiere nie einen Menschen, der dir nahesteht!“

„Sie haben ja recht, Herr Chefarzt“, nickte Andreas Radloff. „Aber was sollte ich tun? Sollte ich Sie allein lassen? Wer hätte Ihnen assistiert, solange unsere verehrte Frau Kollegin nicht da war? Jetzt ist die Situation anders, jetzt kann ich den Platz des Assistenten für Frau Dr. Andergast freimachen.“

„Kennen Sie die Verunglückte näher“, erkundigte sich Susanne teilnahmsvoll.

„Nicht allzu nahe“, gab Dr. Radloff zu, „aber ich gestehe, dass ich unsere Beziehungen gern vertieft hätte.“ Er holte tief Atem, dann fuhr er fort: „Dies wird jedoch ein Traum bleiben, denn eine Verena Geldermann gibt sich nicht mit einem kleinen Arzt ab. Sie verkehrt in anderen Kreisen als ich.“

„Aber trotzdem kennen Sie sie“, wandte Susanne ein.

„Das war ein Zufall“, erwiderte der junge Arzt. „Allerdings“, er stockte einen Augenblick. „Da fällt mir etwas ein. Wenn mich nicht alles täuscht, hat mir Fräulein Geldermann einmal beiläufig erzählt, dass sie als Kleinkind an den Nieren operiert worden ist. Komisch, dass ich da eben nicht dran gedacht habe!“

„Das könnte wichtig werden“, warf Dr. von Waldheim ein, der während der Unterhaltung weitergearbeitet hatte. „Hoffentlich hat sie noch ihre beiden Nieren. Und hoffentlich ist die Verletzung, die sie sich zugezogen hat, irgendwo anders. Sonst sehe ich schwarz …“

Erschrocken blickte Dr. Radloff auf seinen Chef. Daran hatte er nicht gedacht! Wenn Verena tatsächlich nur noch mit einer Niere gelebt hatte, dann durfte sie jetzt nicht an dieser verletzt sein, denn das würde ihr Todesurteil bedeuten!

6

Mit einem triumphierenden Lächeln verließ Gräfin Waldheim die Praxis des bekannten Frauenarztes. Es bedeutete für sie eine ungeheure Genugtuung, was sie eben erfahren hatte, nämlich, dass sie ein Kind erwartete!

In den ersten Jahren ihrer Ehe mit Martin von Waldheim hatte sie sich erfolgreich dagegen gewehrt, ein Kind zu bekommen, obwohl sie wusste, wie sehr sich Martin danach sehnte.

„Du bist verrückt“, hatte sie ihm jedoch stets geantwortet, wenn er von einem Kind sprach. „Meinst du, ich verderbe mir für immer meine Figur? Nein, das ist ein Kind nicht wert. Außerdem, was hätte ich dann noch vom Leben? Nichts mehr! Immerzu müsste ich Rücksichten auf das Kind nehmen, denn du weißt ja, wie schwer heutzutage Personal zu bekommen ist. Kindermädchen gibt es kaum noch.“

Schließlich hatte Martin nicht mehr von diesem Thema gesprochen. Er hatte resigniert. In diesem Punkt, wie in so vielen anderen. Mit Elvira war nicht zu diskutieren. Wenn sie etwas nicht wollte, dann wollte sie nicht.

Aber in der letzten Zeit hatte Gräfin von Waldheim ihre Ansichten geändert. Seit sie feststellen musste, dass ihr Martin mehr und mehr zu entgleiten drohte, machte sie sich Gedanken, wie sie ihn an sich binden konnte.

Mit Geld allein ging es nicht mehr, darüber war sich Elvira im Klaren. Martin war inzwischen so bekannt, seine Klinik lief so gut, dass er auch ohne sie auskommen würde.

Also musste sie sich etwas anderes einfallen lassen.

Nach längeren Überlegungen war sie zu der Überzeugung gelangt, dass es nur ein Mittel gab. Martin zu fesseln: Sie musste ein Kind bekommen.

Doch an diesem Punkt ihrer Überlegungen angelangt, sah sie sich vor ein neues Problem gestellt: Wie sollte sie es anstellen, Martin in ihr Schlafzimmer zu locken? Schon seit geraumer Zeit schliefen sie getrennt, und seit Monaten schon war Martin nicht mehr bei ihr gewesen.

Wie also sollte sie ihn dazu bewegen, noch einmal eine Nacht mit ihr zu verbringen?

Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Sie verwirklichte einen teuflischen Plan, wie ihn nur ein Mensch ausdenken kann, der alle Skrupel über Bord geworfen hat.

Es war an einem Sonntagabend. Wieder einmal waren Graf und Gräfin Waldheim zu einer Party eingeladen, und wieder einmal hatte sich Martin vergeblich gesträubt, seine Frau zu begleiten.

Martin von Waldheim mochte die Gastgeber nicht. Es waren in seinen Augen Menschen, mit denen man besser keinen Kontakt pflegte, auch wenn sie über Millionen verfügten.

Es wurde gemunkelt, dass sich Gerhard Unger dieses Vermögen auf ungesetzliche Weise verschafft hatte. Durch Rauschgift und andere dunkle Geschäfte.

Elvira jedoch störten diese Gerüchte nicht. Diese Leute waren reich, also konnte man sich von ihnen einladen lassen und mit ihnen verkehren.

Was ihr feinfühliger Mann empfand, war ihr egal. Sie suchte nur ihr eigenes Vergnügen. Rücksichtnahme kannte sie nicht.

Martin von Waldheim wusste später nicht mehr zu sagen, wie es geschehen war. Plötzlich spürte er, wie sein Kopf schwer wurde, wie seine Gedanken erlahmten, seine Willenskraft immer mehr schwand. Nur verschwommen sinnierte er, dass man ihm etwas in seinen Drink getan haben könnte. Er war jedoch schon zu sehr benebelt, als dass er diese Überlegung weiter hätte verfolgen können.

Wie konnte er auch ahnen, dass es seine eigene Frau gewesen war, die ihm ein Rauschmittel in den Drink gemixt hatte!

Der Gastgeber, der tatsächlich ein Mitglied der Unterwelt war, hatte zu Elvira gesagt: „Gräfin. Ihr Gatte gefällt mir heute Abend gar nicht. Er arbeitet zu viel, er kann wohl nicht mehr abschalten und sich seines Lebens freuen.“

„Wie recht Sie haben, mein lieber Herr Unger“, hatte Gräfin Elvira daraufhin geseufzt. „Wenn es nur ein Mittel gäbe, Martin etwas aus seiner Reserve zu locken!“

„Nichts leichter als das!“ Gerhard Unger griff unauffällig in seine Tasche und gab Elvira ein kleines, weißes Briefchen. „Geben Sie Ihrem Mann das in seinen nächsten Drink“, ermunterte er sie. „Sie werden sehen, er wird nach kurzer Zeit aus sich herausgehen.“

In Elviras Augen blitzte es auf. Genau das hatte sie gewollt! Nicht umsonst hatte sie die Gesellschaft dieses zwielichtigen Herrn Unger gesucht. Nun hatte sie von ihm, was sie wollte!

Wenn sie Glück hatte, gelang es ihr noch heute Abend, Martin zu überrumpeln!

Und es kam, wie es so oft im Leben kommt! Elvira hatte Erfolg. Martin, der nicht mehr wusste, was er tat, folgte seiner Frau willig, als sie ihn in ihr Schlafzimmer lockte.

Bei der Untersuchung hatte Elvira erfahren, dass ihre seinerzeitige Intrige Erfolg gehabt hatte! Sie war schwanger! Martin würde sie nicht mehr verlassen können, denn sie erwartete ein Kind von ihm!

Am liebsten wäre sie sofort zu ihm in die Klinik gefahren, um ihm diese Neuigkeit, die ihn ganz gewiss nicht erfreuen würde, unter die Nase zu reiben, doch sie beherrschte sich.

Nein, nicht in der Klinik wollte sie es ihm sagen, sondern daheim. Dort brauchte sie keine Rücksicht zu nehmen, konnte tun und sagen, was sie wollte und wie laut sie es wollte.

Heute Abend sollte Martin erfahren, dass er für immer an sie gefesselt war!

Mit einem teuflischen Grinsen setzte sich Elvira hinter das Steuer ihres Wagens und fuhr nach Hause.

7

Nach einer Viertelstunde wussten die Ärzte, dass Verena Geldermann tatsächlich nur noch eine Niere hatte. Und die war bei dem Unfall schwer verletzt worden. Sie war am Stiel abgerissen.

Was das für die junge Patientin folgerte, war den Ärzten, die im OP waren, sofort klar: Das junge Mädchen war rettungslos verloren!

„Ist sie nicht noch mit einer künstlichen Niere zu retten?“, wandte sich Andreas Radloff fragend an seinen Chef. Er konnte und wollte nicht einsehen, dass dieses junge Leben für immer zu Ende sein sollte.

„Das würde in diesem Fall auch nur eine Verzögerung bedeuten“, erwiderte Martin von Waldheim. „Abgesehen davon, dass wir keine künstliche Niere besitzen und die Patientin den Transport in die Universitätsklinik nicht überstehen würde.“

„Dann ist sie also zum Sterben verurteilt?“, fragte Susanne Andergast. Sie bedauerte das Mädchen, das schwer verletzt vor ihnen auf dem Operationstisch lag, von ganzem Herzen.

„Theoretisch sehe ich keine Möglichkeit mehr, ihr zu helfen“, bangte Martin von Waldheim. Aber nach einer kurzen Pause erinnerte er sich: „Ich habe vor einigen Jahren einmal von einem Experiment gelesen, das ein amerikanischer Kollege durchgeführt hat. Damals hatte er auch einen Fall, bei dem die Patientin nur noch über eine Niere verfügte. Er hat das andere Organ einfach transplantiert.“

Sekundenlang herrschte Schweigen in dem grün gekachelten Operationssaal. Zu phantastisch erschien Susanne Andergast und Andreas Radloff die Möglichkeit, die Martin von Waldheim da aufgezeigt hatte.

Schließlich sagte die junge Chirurgin leise: „Warum sollten wir es nicht versuchen? Zu retten ist die Patientin nicht mehr, darüber sind wir uns alle im Klaren. Es gibt nur noch eine vage Chance: die, die uns der Chef eben erklärte. Ich bin dafür, dass wir es versuchen.“

„Es ist eine naheliegende Lösung“, stimmte Dr. Radloff zu.

„Dann verbinden Si£ mich ganz schnell einmal mit den Eltern des Mädchens, Schwester“, wandte sich Dr. von Waldheim an eine junge unsterile Schwester, die im Hintergrund gestanden und dem Gespräch der Ärzte angestrengt gelauscht hatte. „Ich möchte den Eingriff nicht ohne Zustimmung der Angehörigen vornehmen.“

Wenige Augenblicke später war die Verbindung zu der Villa Geldermann hergestellt. Dr. von Waldheim berichtete Frau Geldermann, was sich zugetragen hatte, und was er von ihr wollte.

Im ersten Augenblick war Verenas Mutter nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen, doch Martin von Waldheim gab ihr keine Gelegenheit, in Weinen und Wehklagen auszubrechen.

„Bitte, gnädige Frau, es ist höchste Eile geboten“, warnte er. „Wenn ich Ihrer Tochter helfen soll, müssen Sie sich sofort entscheiden. Für Verena geht es um Sekunden!“

Diese ernsten, doch mit ruhiger Stimme vorgetragenen Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Frau Geldermann riss sich mit aller Gewalt zusammen und sagte: „Tun Sie, was Sie für richtig halten, Herr Doktor! Ich flehe Sie nur an: retten Sie mein Kind.“

„Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht“, versicherte Martin von Waldheim, dann gab er der jungen Schwester ein Zeichen, den Hörer zurück auf die Gabel zu leben.

„Also, wagen wir es!“, sprach er sich selbst Mut zu und griff mit ruhiger Hand nach einem feinen Operationsmesser. Susanne Andergast hatte inzwischen sämtliche Tücher aus der Wundhöhle herausgenommen und sie der OP-Schwester überreicht, die sie gewissenhaft zählte, damit man sich später nicht den Vorwurf zu machen brauchte, eventuell ein Tuch in der Bauchhöhle vergessen zu haben.