900 MEILEN - S. Johnathan Davis - E-Book

900 MEILEN E-Book

S. Johnathan Davis

5,0

Beschreibung

John ist ein Killer. Das war er nicht immer. Er war ein Geschäftsmann - vor der Apokalypse. Als sich die Toten plötzlich erheben, ist er in New York gefangen und es beginnt ein grauenvoller 900-Meilen-Wettlauf gegen die Zeit, als John versucht, zu seiner Frau zu gelangen. Schnell muss er feststellen, dass die Zombies das Geringste seiner Probleme sind. Hautnah erlebt er die Schrecken, die Menschen verbreiten, wenn es plötzlich keine Regeln mehr gibt; wenn abscheuliches Handeln keine Konsequenzen birgt und der Tod allgegenwärtig ist. John verbündet sich mit Kyle, einem ehemaligen Armeepiloten. Gemeinsam fliehen sie aus New York. Auf ihrer Flucht treffen sie einen Mann, der behauptet, die Schlüssel zu einer Untergrundfestung namens Avalon zu besitzen … Werden sich die beiden in Sicherheit bringen können? Werden Sie es zu Johns Frau schaffen, bevor es zu spät ist? Machen Sie sich bereit, John und Kyle in diesem rasanten Endzeit-Thriller zu begleiten. ---------------------------------------------------------- "Ich habe mir diesen Roman in nur einer Sitzung komplett einverleibt. YEAH! Ich würde mich gerne blitzdingsen lassen, um ihn noch einmal zu lesen." [Lesermeinung] "Entweder man kann einen richtig guten Zombie Roman schreiben oder man kann es nicht. Mr. Davis kann es und dass richtig gut. Absolut empfehlenswert." [Lesermeinung] "Tolles Buch! Für mich ist S. Johnathan Davis der nächste große Zombie-Autor!" [Zombie Guide Magazine] Lust auf noch mehr Nervenkitzel? Dann lesen Sie den Fortsetzungsroman: 900 MINUTEN

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900 MEILEN

S. Johnathan Davis

Title: 900 Miles © 2013 Scott Davis. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2013. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

Überarbeitete Ausgabe Originaltitel: 900 MILES Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Katrin Fahnert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-353-4

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Für Hayden und Olivia

Inhaltsverzeichnis

900 MEILEN
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Danksagung

Kapitel 1

Das Leben erschien uns hart.Wir machten uns Gedanken darüber, dass wir den Job nicht bekamen, den wir unbedingt wollten, und waren angepisst, wenn Politiker sinnlose Gesetze erließen. Das Schlimmste, was uns passieren konnte, war, dass der Barista unseren Venti Coffee verhunzte, oder dass unsere Lieblingsfernsehserie abgesetzt wurde. Wir lebten gedankenlos vor uns hin.

Banale Aufgaben in einer banalen Welt.

Was zur Hölle wussten wir schon?

Wir bettelten ja förmlich, dass es aufhörte …

Ich befand mich in einem Meeting. Schon wieder. Um mich herum saßen zehn der überbezahltesten, aber wertlosesten Menschen dieses Planeten. Ich starrte auf die Uhr über der Tür. Der Sekundenzeiger tickte wie in Zeitlupe. Ich schaute wieder nach unten und beobachtete angewidert, wie mein Boss ein weiteres glasiertes Gebäckstück hinunterschlang.

Zu diesem Zeitpunkt schlug die erste Meldung ein. Keiner von denen würde das überleben, so viel war klar. Die mit dem überteuerten Hummer und den Tausend-Dollar-Anzügen hatten keine Chance.

Ich war nicht immer so zynisch. Ich hatte zwar den Job und das Geld, fuhr jedoch keinen Hummer. Aber ich hatte einen verdammt coolen Anzug und war damit beschäftigt, mich bis zur Spitze der Karriereleiter hoch zu kämpfen.

»Du hast eine große Zeit vor dir«, hatten sie mir prophezeit. Ich sei ein aufgehender Stern … belanglose Worte.

Als die Meldung reinkam, dachte ich, es sei ein schlechter Scherz. Wir schauten uns für einen Moment an, dann brachen wir in Gelächter aus, als Josh, der mir gegenübersaß, den Text laut vorlas. Die Meldung kam auf seinem zweihundert Dollar teuren Smartphone als CNN-Newsflash herein:

DIE TOTEN STEHEN WIEDER AUF: BLEIBEN SIE IN IHREN HÄUSERN. SCHALTEN SIE IHRE FERNSEHGERÄTE EIN.

Mein Boss sprang auf. Krümel fielen von seiner Krawatte herunter. Er stolperte wie ein Zombie mit erhobenen Armen durch den Raum und sagte mit grunzender Stimme, dass er Joshs Gehirn verschlingen wolle.

»Sie kommen, um dich zu holen, Barbara«, witzelte Josh in einer plumpen Anlehnung an Romeros ›Night of the Living Dead‹. Die Gruppe kicherte. Es war aber gar nicht komisch. Tote Fische schwimmen mit dem Strom.

Josh sah mich an und fragte: »John, kannst du Videos streamen, die sich hinter der firmeninternen Firewall befinden?«

Ich konnte, und so rief ich CNN.com auf. Die Tatsache, dass sich mein Boss im selben Raum befand, ignorierte ich.

Warum nehmen wir das überhaupt ernst, dachte ich. Die Homepage hatte Ladeprobleme. Tatsächlich dauerte es mir zu lange und so tippte ich Yahoo.com in den Webbrowser ein. Die Seite zeigte die typischen aufgeblasenen Mainstream-Mediengesichter von Prominenten, Sportnachrichten und Wirtschaftsnews. Auferstandene Tote wurden nicht erwähnt.

Wir kamen zu dem Schluss, dass CNN gehackt worden sein musste und amüsierten und köstlich über den Scherz.

Doch ich konnte die ganze Sache nicht wirklich genießen, denn ich musste immerzu an den Streit von heute Morgen denken.

»900 Meilen weit weg von deinen Problemen«, hatte sie zu mir gesagt.

Um die Wahrheit zu sagen: Ich hasste diese Meetings, und Flugzeuge hasste ich noch viel mehr. Ich hoffte aber, dass ich die Gelegenheit bekommen würde, mich zu entschuldigen.

Endlich beendeten wir das Meeting. Die Meldung über lebende Tote war längst vergessen. Als wir den Konferenzraum verließen, fühlte ich eine seltsame Stimmung in der Luft. Für mich war die Situation nicht greifbar. Der typische Bürolärm … wie abgehackt. Überall sah ich hektische Bewegungen, als die Leute ihre Laptops, Jacken und Handtaschen auf dem Weg zu den Aufzügen einpackten. Ich lehnte mich in eins der abgeteilten Separees, um ein paar Sekretärinnen zuzuhören, die sich um den Arbeitsplatz von irgendjemandem drängten. Sie sahen sich einen Videostream an, der bei YouTube hochgeladen worden war.

So ein verlauster Restauranttester hatte seine Kritik über ein Diner in East-Manhattan gefilmt und streamte diese. Bei dem Diner handelte es sich um eins dieser richtig protzigen Restaurants mit Tischen aus Mahagoniholz, in dem die Kellner alle einen Smoking und blendend weiße Hemden tragen mussten.

In dem Video war ein Typ zu sehen, der aussah wie ein Anwalt mit einem perfekt gelegten Hundert-Dollar-Haarschnitt. Er hatte wohl zu viel von seinem Steak gefressen und war am Tisch tot umgekippt.

Der Computer im Büro hatte keine Lautsprecher, aber man konnte die Situation aufgrund der gestochen scharfen Bilder auch ohne Ton erfassen.

Als einige Kellner dem Typen zur Hilfe eilten, wachte der Vielfraß plötzlich wieder auf. Ein Kellner wollte ihm gerade auf den Rücken klopfen. Der Anwalt schnellte herum und biss dem armen Kerl ein Stück Fleisch aus dem Hals. Das Blut sah nicht so aus, wie Filmblut. Es war dunkel, fast schwarz und sprudelte in rhythmischen Fontänen über die Reste des Steaks. Der Kellner fiel sofort zu Boden und eine Lache breitete sich über die Fliesen aus. Sein Smoking wurde durch diese Sauerei besudelt und sein Hemd war nun nicht mehr weiß.

In diesem Augenblick gab es ein vorsichtiges Lachen unter denen, die um den Computer herumstanden. Es hörte sich an, als ob die Lachende damit hinterfragen wollte, ob das Gesehene wirklich echt war.

Die Aufzeichnung brach ab. Vorher konnten wir noch sehen, wie der Anwalt auf eine Gruppe Frauen zustürmte, die schreckensstarr hinter ihm saßen. Zur selben Zeit konnte man in der rechten unteren Ecke des Videos den mit seinem eigenen Blut besudelten Kellner erkennen. Dieser setzte sich plötzlich auf und starrte den Mann hinter der Kamera mit wildem Blick an.

Nun strömten die Meldungen von überall herein. Es war nicht wie in den Filmen. Es gab keine herumstolpernden und verrotteten Leichen, die aus ihren Grabstätten krochen, und auch keinen Haufen Verrückter in Sonntagsgewändern. Es war das alltägliche Sterben, das diesen Shitstorm losgetreten hatte.

Ich hatte mal irgendwo gelesen, dass in New York hundertfünfzig Menschen pro Tag starben. Fahrradunfall, Autounfall, hohes Alter oder durch sonst was.

An diesem Tag kehrten sie zurück. Und sie kehrten schnell zurück. Die Rigor Mortis hatte noch nicht einmal Zeit, die Gliedmaßen erstarren zu lassen.

Als die Scheiße anfing, schienen diese Bastarde fliegen zu können, und sie rissen jeden auseinander, den sie erwischen konnten. Diese Toten würden wiederum erwachen und noch mehr Leute auseinanderreißen. Es war eine Art Virus, der sich rasend schnell ausbreitete und jeden infizierte, der gebissen wurde.

Die Schwachen und die Langsamen traf es an diesem ersten Tag am härtesten. Man konnte sagen, dass jeder, der auf einem Scooter durch ein Lebensmittelgeschäft fahren musste, weil er sich zweihundert Pfund zu viel angefressen hatte, geliefert war.

***

Ich spürte, wie mein Mobiltelefon in meiner Anzugtasche vibrierte.

Nur noch halbe Akkuleistung, dachte ich, während ich mit einem Fingerwisch das Telefon entriegelte und den Anruf entgegennahm.

»Bist du immer noch in New York?«, fragte meine Frau Jenn verzweifelt.

»Ja. Etwas geht da draußen vor sich.«

Ich merkte selbst, dass meine Stimme merkwürdig klang.

»O mein Gott. Nein. Es ist überall in den Nachrichten.«

»Was?«

»Die Toten leben, John. Sie wissen nicht wie oder warum, aber die Toten stehen auf. Sie töten andere Menschen. Es fing in New York an. Du musst sofort zum Flughafen. Verschwinde aus der Stadt. John? John!«

Diese Nachricht schockierte mich zutiefst. Ich antwortete, dass ich am Bürofenster stehen würde, das der Straße zugewandt war. Ich sah ein umgedrehtes Auto und konfus umherlaufende Leute und versuchte zu verstehen, was passierte.

»Da unten sieht es nicht gut aus, Jenn. Ich … ich denke nicht, dass ich es bis zum Flughafen schaffen werde.«

»Du brauchst ein Auto! Oder suche dir einen anderen Weg, um da rauszukommen!«, kreischte sie.

Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Plötzlich spürte ich Dringlichkeit und umklammerte das Handy noch fester. »Es tut mir leid, Jenn«, platzte es aus mir heraus, »wegen heute Morgen, wegen unseres Streits.«

»Das ist jetzt bedeutungslos. Komm einfach nach Ha…«

Das Gespräch wurde plötzlich unterbrochen. Ich versuchte, ein Signal zu bekommen. Versuchte, sie zurückzurufen. Hatte aber kein Glück. Nicht einmal einen Wählton. Nur Rauschen. Erstaunlich. Alles brach bereits zusammen und ich wusste noch kaum etwas davon.

Ich konzentrierte mich wieder auf meine Umgebung und steckte das Handy zurück in die Tasche. Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass die Etage menschenleer war. Niemand verließ seinen Schreibtisch, um auf die Toilette zu gehen, mit der Sekretärin zu flirten oder nach draußen zu schleichen, um eine zu rauchen.

Der Ort war buchstäblich ausgestorben.

Mit einer Ausnahme. Eine junge Frau tippte vorne im Empfangsbüro auf einer Computertastatur herum. Jeder Tastendruck hallte von den absurd stillen Wänden wider. Ich rannte zu ihr und bellte: »Was tun Sie da? Sie müssen hier raus!«

»Ich mache noch dieses Memo fertig. Ich werde nicht gehen, bis ich die Memos fertig habe.« Ihre letzten Worte drifteten ab. Sie starrte unentwegt auf den Computerbildschirm. Sie sah mich nicht einmal an, als ich rückwärts zur Aufzugtür ging.

Engagement? Wohl eher Schock.

Es war erstaunlich, wie viele Menschen zu Beginn dieser Scheiße in einen Schockzustand gerieten. Sie reagierten nicht. Sie erkannten nicht, was vor sich ging. Es war, als ob ihre Sicherungen durchbrannten und damit ihren schwachen Geist lahmlegten, wodurch sie noch nutz- und schutzloser wurden.

Banale Aufgaben in einer banalen Welt.

Als ich aus dem Aufzug stieg, sah ich, wie sich einige Leute gegen das Fensterglas der Lobby pressten und auf die Straße starrten. Ich erblickte Josh und meinen fetten Boss neben der Eingangstür. Es schien, als wollten die beiden das Gebäude verlassen. Sogar in dieser Situation blieb Josh ein Schoßhündchen, das sich darauf vorbereitete, meinen fettleibigen Boss zu seinem Hummer zu eskortieren, der in der Garage auf der anderen Straßenseite geparkt war. Josh tat alles, um die Karriereleiter hochzusteigen.

Ich blieb im Hintergrund und suchte mir eine Stelle, von der aus ich über die Meute hinweg nach draußen sehen konnte. Sofort erkannte ich, dass dort die Hölle ausgebrochen war. Das umgestürzte Auto brannte mittlerweile. Ehemals noble und ruhige Polizeipferde sprangen in wildem Galopp panisch umher. Ihren Reiter hatten sie längst abgeworfen und den lebenden Toten zum Fraß vorgeworfen. An den Pferdehälsen sammelte sich schaumiger Schweiß und in den sonst so sanften Augen glühte wilder Schrecken.

Ich erblickte einen Feuerwehrmann, der einen nahegelegenen Hydranten anzapfte. Gerade als er die Düse aufdrehte, wurde er von zwei lebenden Toten angesprungen. Die Angreifer waren ein Mädchen in einem blauen Sommerkleid und ein Obdachloser in einem zerfetzten ›NY Mets‹-T-Shirt. Der Penner wollte dem Feuerwehrmann ins Gesicht beißen, seine Zähne rutschten aber am heruntergeklappten Visier des Helms ab. Beim Kampf verrutschte der Schutzmantel des Brandmeisters. Ich sah nackte Haut. Die Zähne des Mädchens gruben sich in den Oberarm des Mannes und rissen ein Stück Fleisch heraus.

So viel dazu, in dieser Situation anderen helfen zu wollen.

Mein übergewichtiger Boss und sein Schoßhündchen beschlossen, dass dies ihre Chance war. Sie versuchten den Durchbruch zur anderen Straßenseite, während die Toten abgelenkt waren.

Josh war der Erste, der fiel. Sie rannten einem Hünen in die Arme, der gerade um die Ecke kam. Der Untote war über zwei Meter groß und überragte Josh um Längen. Joshs Gesichtsausdruck schrie: Infiziert.

Ich erschauderte bei diesem Anblick.

Josh zögerte. Sein Fehler. Mein fetter Boss ließ ihn zurück. Er rannte einfach den Bürgersteig runter, dabei stürzte er fast über eine umgeworfene Mülltonne.

Josh stolperte rückwärts, als der Hüne auf ihn losging. Er stürzte zu Boden, verlor dabei einen Schuh. Sein Handy schlitterte über den Bürgersteig. Der Hüne biss Josh nicht einfach und ließ ihn dann liegen, so wie ich es bei anderen gesehen hatte. Er packte Josh und hob ihn mühelos über seinen Kopf. Joshs Schreie wurden schriller, während der Hüne ihn mehrmals auf den Bürgersteig rammte. Dann wirbelte er ihn durch die Luft. Mühelos, als würde er den Müll rausbringen, warf er Josh gegen die Fassade des Gebäudes, in dem wir uns befanden. Josh’s Körper prallte gegen das Glas. Zum Glück zerbrach es nicht. Uns packte das blanke Entsetzen, als wir sahen, wie sein zermatschtes Gesicht am Schild ›Keine Schuhe, kein Hemd, kein Einlass.‹ herunterrutschte.

Du hättest deinen Schuh nicht verlieren sollen, Josh.

Der Goliath stampfte herüber. Er beugte sich über Josh. Immer und immer wieder schlug er auf ihn ein, bis Josh nur noch eine fleischige und blutige Masse war. Dann begann der Hüne, Stücke aus dem zerschundenen Körper zu reißen und in seinen grotesken Mund zu stopfen.

Das Schluchzen einer Frau zerriss die Stille im Raum.

Zum Glück hatten die hohen Tiere der Firma etwas richtig gemacht, als sie dieses Gebäude hochziehen ließen: Sie hatten venezianische Fensterscheiben einbauen lassen. Wir konnten von innen den Hünen beobachten, er konnte aber nicht in das Gebäude sehen. Das ist wahrscheinlich der einzige Grund, warum ich heute in der Lage bin, diese Geschichte zu erzählen.

Kapitel 2

Es wurde gesagt, dass es sich bei dem Plan um eine Liste von Dingen handelt, die sowieso niemals passieren. Wir hätten unser schreckliches Scheitern nicht besser planen können.

Als wir realisierten, dass diese Dinger da draußen uns nicht sehen konnten, kam ein zögerliches Flüstern auf, und innerhalb weniger Augenblicke wurde wieder in normaler Lautstärke gesprochen. Dann platzten die Pläne aus den Leuten heraus. Circa fünfzehn von ihnen versuchten zu bestimmen, wie wir als Nächstes vorgehen sollten.

Ich bin ja ein Freund gemeinsamer Ideenfindung, aber die Buchhalterin Patty schmiedete Pläne, ohne sich ansatzweise über die Risiken im Klaren zu sein. Nun, ehrlich gesagt war keiner von uns in der Lage, die Situation richtig einzuschätzen.

Die Pläne reichten von einfach weglaufen bis zur Idee, mit der U-Bahn zu fliehen. Jeder hatte irgendwelche Geistesblitze, die alle darauf hinausliefen, dass wir zu den Toten rausmussten. Blieb uns überhaupt etwas anderes übrig?

Lasst uns doch einfach das nächste Taxi rufen, dachte ich, als ich wieder einen Blick auf mein Telefon warf. Ich hatte noch immer keinen Empfang.

Irgendein Typ tat sich mit leicht erhobener Stimme aus der Menge hervor. Er trug eine perfekt sitzende Halbglatze als Frisur. Wahrscheinlich war er zu eitel, sich auch die restlichen Haare abzurasieren. Ich hatte ihn schon mal im Gebäude gesehen. Er war entweder Vorstandsvorsitzender oder Filialleiter. So oder so, bevor das hier passierte, war er für seine eigene kleine Welt verantwortlich gewesen. Ein Alphamännchen, das sich sicher war, immer die richtigen Antworten parat zu haben.

Mr. Halbglatze plapperte darüber, dass wir das Hafenviertel ansteuern sollten. Er meinte, es wäre nur vier Blocks entfernt. Wir könnten uns ein Boot nehmen und so an den Zombiehorden vorbei aus der Stadt gelangen. Das wäre kein Problem.

Plötzlich wurde unsere Aufmerksamkeit wieder nach draußen gelenkt. Wir hörten ein paar Pistolenschüsse, die in den Häuserschluchten widerhallten, gefolgt von Schreien. Wir konnten nicht ausmachen, von wo die Geräusche kamen, jedoch war es anscheinend nah genug für den Gebäudewachmann. Er löste sich aus der Gruppe und verriegelte endlich die Vordertür des Gebäudes.

Es begann eine Diskussion darüber, wie man sicher zum Hafen gelangen könnte, als ein weiterer Typ vorschlug, das Ganze einfach auszusitzen. Das hier wäre eine typische Notfallsituation. Wir wären in einem Bürogebäude. Hilfe würde schon kommen. Wir könnten durchhalten.

In den Filmen machten die Gruppen so etwas immer. Sie nagelten die Türen zu, versteckten sich im Keller und hofften, dass bald Hilfe käme. Diese Arschlöcher wurden immer gefressen. Die Realität war jedoch, dass jeder jemanden hatte, zu dem er zurückkehren wollte. Egal, ob es sich um die Kinder, die Ehefrau, andere Familienmitglieder oder Freunde handelte. Niemand wollte einfach nur so herumsitzen.

900 Meilen weit weg. Immer noch keinen Empfang.

Mr. Halbglatze brachte Schwung in die Sache. Er hatte bereits einige Anhänger um sich versammelt. Zwei von ihnen trugen typische Hausmeister-Kleidung. Einer schwang den Griff eines Mopps.

Der Mann neben mir sagte: »Wegen dieses Typen werden hier alle sterben. Das weißt du, oder?«

Ich nickte und erwiderte: »Yeah, werde mich wohl nicht damit beschäftigen, mir die Namen aller Leute hier zu merken.«

Er streckte mir seine Hand entgegen und sagte: »Ich bin Kyle.«

Ich zögerte, lächelte wegen der Ironie und griff seine Hand: »John.«

So hatte ich einen der besten Männer getroffen, die ich jemals kennengelernt habe oder jemals kennenlernen würde.

Kyle arbeitete bei der firmeneigenen Security. Seine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, die Dienstausweise zu überprüfen und einschüchternd auszusehen. Ich sollte später dankbar dafür sein, dass er keine sinnvollere Arbeit hätte finden können, nachdem er sechs Monate zuvor aus dem Irak zurückgekehrt war.

Er war ein großer Kerl, höher gewachsen als ich. Ein ehemaliger Hubschrauberpilot der US Army. Ich weiß einen Scheiß über Ränge oder den militärischen Status, aber ich hatte sofort das Gefühl, dass Kyle durch und durch Soldat war und viele Bodeneinsätze und Luftkämpfe erlebt hatte. Er war ein ausgebildeter Einzelkämpfer – und das war es, was im Augenblick zählte.

»Hast du irgendwelche Waffen hinter deinem Schreibtisch?«, fragte ich.

»Nur die hier«, entgegnete er und hielt mir seine beiden ziegelsteingroßen Fäuste entgegen.

»Nicht schlecht, aber ich erhoffte mir ein paar Pistolen oder zumindest einen Gummiknüppel.«

»Wir halten Anzugträger wie dich davon ab, den Fahrstuhl zu betreten. Wir fangen keine Schwerverbrecher.«

»Ein gutes Argument.« Ich zuckte mit den Achseln.

Um Mr. Halbglatze standen ein halbes Dutzend Gefolgsleute. Sie liebäugelten gerade lautstark mit der Idee, über die Hausdächer von Gebäude zu Gebäude zu springen. Das musste man ihnen lassen: Sie zogen wirklich jede Möglichkeit in Erwägung, ganz egal wie selbstmörderisch diese auch war.

Er schaffte es, die Menge anzustacheln. Und sogar Patty, die Buchhalterin, war nur einen Herzschlag davon entfernt, seine Nummer-Eins-Cheerleaderin zu werden.

Genau in diesem Moment hörten wir eine Detonation auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Patty gab einen kurzen Schrei von sich. Alle wirbelten herum, um nach draußen zu blicken.

Der Benzintank des auf dem Dach liegenden und brennenden Autos war explodiert. Wir richteten unsere Blicke auf das gegenüberliegende Gebäude und sahen, dass die Glasscheiben der Türen durch die Explosion zerbrochen waren. Sechs Leute liefen dort heraus auf die Straße. Sie mussten wie wir, einem Spiegelbild gleich, einfach dort gesessen und sich ihre nächsten Schritte überlegt haben, als alles um sie herum zusammenfiel.

Sobald sie auf der Straße waren, wurden sie von circa zwanzig dieser … Dinger überrannt. Der Erste, der angriff, war der Feuerwehrmann. Dieser befand sich nun in den Reihen der Toten. Der Hüne, der Josh zerschmettert hatte, schob die anderen Zombies zur Seite, um zu den Opfern zu gelangen. Offensichtlich würden sich sogar Zombies gegenseitig übervorteilen, um einen Preis zu bekommen.

Das Ganze war vorbei, bevor es überhaupt erst angefangen hatte.

Mr. Halbglatze sprang gleich darauf an. Mit erhobener Stimme forderte er die Aufmerksamkeit von allen. »Das hätten wir sein können! Wir müssen aufbrechen!«

Ich konnte nicht widersprechen. Wir mussten aufbrechen!

Meine Augen drifteten wieder nach draußen. Das Chaos auf der Straße nahm noch weiter zu. Auf dem mit Blut bedeckten Bürgersteig neben unzähligen verstümmelten Leichen erregte einer der wandelnden Toten meine besondere Aufmerksamkeit. Es war mein ehemaliger Boss. Sah so aus, als hätte er es nicht bis zu seinem Hummer geschafft. Stolpernd bewegte er sich auf unser Gebäude zu. Seine Gedärme waren herausgerissen und seine Krawatte lag locker über dem geöffneten Hohlraum seines Bauches. Ich verstand nicht, wie er überhaupt noch aufrecht gehen konnte.

Eine Frau, die vorne in der Gruppe in der Nähe der Glasscheiben stand, stieß einen Schrei aus. Dieser brach jäh ab, als eine andere Person ihr die Hand über den Mund schlug.

Kyle sah meinen Ex-Boss auch. Wir tauschten einen schnellen Blick aus. Fetter Fresssack bekam den Magen herausgefressen. Wir sagten nichts, aber ich wusste, er erkannte die Ironie der Situation.

Einige andere erkannten ihn plötzlich auch. Er ging auf die Tür zu.

»Erinnert er sich daran, dass wir hier drin sind?«, fragte der Hausmeister, der den Stiel des Mopps hielt, mit einem rauen Flüsterton. Die gesamte Gruppe sah zu, wie mein Zombie-Boss langsam zu den Glastüren hinaufstieg, die Kyle zuvor verschlossen hatte.

Als der einstige fette Bastard am Türgriff rüttelte, sahen wir plötzlich, wie sich sein Schoßhund, Josh, bewegte. So verstümmelt sein Körper mit fehlendem Bein und zertrümmertem Rumpf auch war, er hob immer noch seinen Kopf, um zu sehen, was vor sich ging.

Ich bemerkte, dass mein Boss noch immer die Schlüssel seines Hummers fest in der Hand hielt. Auch im Tod konnte er seine Besitztümer nicht loslassen.

Ich ließ einen schnellen Blick durch die Lobby schweifen. Ein Sicherheitspult, ein metallener Wegweiser mit einem Schild, auf dem stand: ›Zeigen Sie ihren Ausweis‹, und ein unechter eingetopfter Baum. Das war alles.

Das Rütteln am Türgriff erregte unerwünschte Aufmerksamkeit.

Zwei weitere Kreaturen schlurften schwerfällig zu unserem Gebäude herüber. Mr. Halbglatze wich von der Scheibe zurück. Seine Augen waren vor lauter Angst weit aufgerissen. Die Hausmeister begannen, um den Besenstiel zu kämpfen. Sie beschlossen, ihn entzweizubrechen. Die Dummköpfe hatten es allerdings versaut: Ein Teil war viel kürzer als der andere. Als sie lautstark darum kämpften, wer welches Stück bekommen sollte, drängten sich weitere Kreaturen vor der Glastür.

Die meisten Leute blieben einfach stehen und sahen zu, wie die Toten anfingen, gegen die Scheibe zu drücken. Kyle lief zu dem Schild hinüber und brach die Stange ab, wodurch er sich eine schöne Metallwaffe sicherte.

Ich zog meinen Anzugmantel aus und warf ihn auf den Boden. Sie kamen, und wir wussten das verdammt noch mal.

Patty, die Buchhalterin, stieß einen Schrei aus, als die Scheibe schließlich nachgab. Die Toten fluteten durch die zerbrochene Tür und breiteten sich in der kleinen Lobby aus. Ich sah, wie die Hausmeister die Horde angriffen, als handelte es sich um eine verdammte Schlägerei in einer Bar. Sie boxten, prügelten und schlugen ihnen mit ihren behelfsmäßigen Waffen auf die Köpfe. Nicht wirklich effektiv. Eine Kreatur zerbiss einfach einen uniformierten Arm. Der Hausmeister plumpste zu Boden und musste fassungslos mit ansehen, wie der Zombie mir seinen Arm entgegenschleuderte. Die Hand umkrallte noch immer das Stück des Moppstiels. Der Arm hinterließ blutige Schlieren auf dem polierten Boden und stoppte genau vor meinen Füßen.

Mr. Halbglatze nutzte die Ablenkung für seine Flucht. Er startete in Richtung Aufzug.

Ich werde niemals erfahren, ob er die beiden Idioten absichtlich in den Tod schickte, um seinen eigenen Arsch zu retten. Ich weiß nicht einmal, ob das wirklich von Bedeutung ist.

Die meisten Anführer der Weltgeschichte waren nur um ihrer selbst willen auf der Erde. Die Erkenntnis dieser traurigen Wahrheit bezahlten diese beiden Idioten mit ihrem Leben. Es war eine Wahrheit, die ich in den kommenden Wochen selbst lernen würde.

Unsere Zivilisation war reif für die Ernte. Schwäche hatte sich von Generation zu Generation in unserem Gewebe verankert. Jede Art von ursprünglichem Überlebensinstinkt wurde vor langer Zeit aus unserem Genpool herausgezüchtet. Andererseits sind Überlebensinstinkte eine launische Hure, denn letzten Endes war es die kleine Patty, die sich am meisten zur Wehr gesetzt hatte. Während die anderen nur teilnahmslos herumstanden, als die Horde über sie herfiel und auseinanderriss, sprang Patty zu meinem Erstaunen zur Seite, rollte sich in Richtung der Topfpflanze ab und riss den kleinen Plastikbaum von seinem Sockel. Sie stieß damit zu, schleuderte das Ding herum und trieb dadurch die Masse der leblosen Kreaturen zurück.

Kurz bevor zwei der Bastarde ihr ein Beinchen stellten und das weiche Fleisch an ihrem Hals zerrissen, dachte ich noch, dass wir es zur Vordertür herausgeschafft hätten, wenn mehr von uns wie die kleine Patty gekämpft hätten.

Tatsächlich hatten wir uns alle an diesem ersten Tag einer speziellen Prüfung unterzogen. Der Test wurde bestanden oder nicht bestanden. Mein Test kam, als mich zwei Tote auf den Rücken warfen und mich an den Füßen durch die Lobby zogen, während ich trat, strampelte und um mein Leben kämpfte. Kyle eilte mir zu Hilfe. Mit tödlicher Präzision schaltete er einen von ihnen mit der Metallstange aus. Der zweite Zombie drückte mich zu Boden. Adrenalin schoss durch meine Venen. Ich griff den Besenstiel, den die Hand des toten Hausmeisters noch festhielt, und stieß ihn vorwärts, trieb ihn ins Gesicht der Kreatur. Das Holz zerschlug den Knochen der linken Augenhöhle. Die Wucht des Hiebes und das Knacken des Knochens hallten noch überall in meinem Körper nach. Meine Hand schlug gegen das Gesicht des Zombies, wodurch ich ungewollt nach hinten gedrückt wurde und den Besenstiel zurückzog. Das Holz kam heraus und machte ein hörbares Geräusch, als das zerquetschte Auge aus seiner Höhle gerissen wurde. Die Kreatur sank zu Boden. Schwer keuchend schob ich mich zurück, um unter ihr hervorzukommen.

Ich hatte den Test bestanden.

Ich war zu einem Killer geworden.

Kapitel 3

Wenn etwas auf dem Spiel steht, müssen wir schwere Entscheidungen treffen. Manchmal haben diese Entscheidungen den gewünschten Erfolg. Manchmal nicht.

Ich saß noch auf dem Boden, war nicht sicher, ob ich mich auf den Beinen halten konnte. Ich zitterte heftig und packte den Besenstiel voller Verzweiflung. Kyle fasste mich am Hemdkragen und zog mich zum Aufzug. Er war blutbesudelt, aber bei dem Blut handelte es sich nicht um sein eigenes.

Ich kämpfte um Halt, als ich eine Bewegung hinter uns wahrnahm. Ich drehte mich um, rutschte mit meinem Schuh durch eine Blutlache und fiel hin. Plötzlich stand mein Ex-Boss über mir. Unsere Bewegungen gefroren für den Bruchteil eines Wimpernschlags. Wir hatten Blickkontakt. Einen Moment lang hätte ich schwören können, dass ein flüchtiges Zeichen des Wiedererkennens in seinen Augen zu sehen war. Dann streckte er seine Hände nach mir aus, um mich zu packen.

Dunkle Blutspritzer schossen über die Aufzugtür, als Kyle Schwung nahm und die Metallstange durch seinen Schädel krachen ließ. Der Körper des Zombies schlug leblos auf dem Boden auf. Ich nickte Kyle dankbar zu und krümmte die starren Finger meines fettleibigen Chefs auseinander, um an die Schlüssel des Hummers zu gelangen. Ich hatte kein Auto, und er würde keins mehr brauchen.

»Danke für drei großartige Jahre«, entfuhr es mir.

Der Aufzug läutete und wir sprangen hinein. Die Tür schloss sich gerade in dem Moment, als eine Horde Zombies auf uns zustürmte. Wir konnten die dumpfen Schläge hören, als sie dagegen rannten. Schreie aus der Lobby machten deutlich, dass die Zombies nun den Rest unserer Gruppe erledigten.

Man konnte nichts machen, sagte ich zu mir selbst. Man konnte nichts machen.

Wir nahmen Kurs auf den oberen Teil des Gebäudes. Es war sieben Stockwerke hoch und gehörte damit bei Weitem nicht zu den höchsten Gebäuden New Yorks. Der Fahrstuhl ging nur bis zur sechsten Etage, darum mussten wir eine Reihe steiler und dunkler Stufen bis zum Hausdach hinaufsteigen. Die Sonne ging gerade unter, als wir die Metalltür öffneten und frische Luft auf dem Dach einatmen konnten.

Mr. Halbglatze drehte sich zu uns um. In seiner Faust hielt er einen Knüppel, den er höchstwahrscheinlich aus einem zerbrochenen Bürostuhl hergestellt hatte. Er war offensichtlich überrascht, uns zu sehen, oder eigentlich überhaupt irgendjemanden. Er sah schuldig aus, als ob er etwas Falsches getan hätte. Wir wechselten kein Wort mit ihm. Jeder glotzte für einen kleinen Moment in die Richtung des anderen, um dann getrennter Wege zu gehen.

Ich folgte Kyle zum Rand des Gebäudes und blickte über den Vorsprung. Dutzende dieser Dinger wandelten auf den Straßen umher. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich atmete bewusst langsamer. So versuchte ich zu verhindern, dass ich das Bewusstsein verlor. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Langsam sammelte ich mich wieder.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter uns. Ich wirbelte herum. Dann beruhigte ich mich etwas, als ich sah, wie Mr. Halbglatze ein anderes Teil des kaputten Stuhls zwischen den Türgriff und ein Metallrohr klemmte, das in der Wand neben der Tür eingelassen war. Dadurch würde er uns etwas Zeit verschaffen, falls diese Dinger herausfanden, wie man Treppen hinaufstieg. Das stellte sich als das Klügste heraus, das ich ihn je tun sah. Letztendlich hat es aber einen Scheiß gebracht.

Wir gingen das gesamte Dach ab und suchten nach einer Feuertreppe. Vergeblich. Allerdings konnten wir feststellen, dass sich direkt neben uns ein Parkhaus befand. Eine schmale Gasse, angefüllt mit Mülltonnen und Müllsäcken, stand zwischen unserem Gebäude und einer möglichen Flucht. Mit dem richtigen Wind und ein bisschen Glück wären wir vielleicht in der Lage, hinüberzuspringen. In einer derartigen Situation zieht man jede Möglichkeit in Erwägung – auch die selbstmörderischsten.

Es kam uns unendlich vor, wie wir schweigend nebeneinander auf dem Dach standen und das Chaos unterhalb betrachteten. Es war still in den Straßen, wenn die Toten jedoch neue Opfer aufstöberten, drangen die jämmerlichen Schreie der Sterbenden bis zu uns herauf.

Mr. Halbglatze stand in der Nähe der Tür, als wir etwas hörten, das wie Artilleriefeuer klang. Es hörte sich weit entfernt an. Mir schien es, als ob es aus der Stadtmitte kam. Lichtblitze zuckten durch die Straßen und tauchten die Gebäude in einen surrealen Schimmer. Die Jungs von der Army fuhren wirklich harte Geschütze auf. Wir konnten sehen, wie vier Hubschrauber über das Kampfgebiet flogen. Zwei von ihnen erkannte ich als grüne Militärhubschrauber. Die anderen beiden sahen eher aus wie Nachrichten-Helikopter.

Kyle äußerte sich gerade über das Kaliber der Kugeln, als ich bemerkte, dass sich die Straßen zu unseren Füßen allmählich leerten. Die hirnlosen Kreaturen torkelten in Richtung des Lärms. Wie Mäuse, die dem Geruch von Käse folgten. Während der Kampf weitertobte, erwähnte Mr. Halbglatze, dass wir besser auf Hilfe warten sollten. Irgendwie war das eine etwas andere Taktik als die, über die er noch in der Lobby gesprochen hatte.

Kyle spekulierte darüber, welche Strategie die Army wohl verfolgte. Er war der Meinung, dass sie ein stetiges Sperrfeuer legen würden. Wenn die Zombies vernichtet auf der Straße lägen, würden sie eine Weile warten, bis sich die Straßen wieder mit den Dingern füllten. Dann würde die Army erneut feuern. Machte Sinn, war aber nur eine Vermutung.

Die Sonne verschwand hinter den Gebäuden, Dunkelheit brach herein. Wir beschlossen, auf dem Dach auszuharren. Keiner von uns wollte in der Dunkelheit umherwandern.

Ich wusste nicht, ob Teile des Stromnetzes ausgefallen oder ob die Leute einfach zu ängstlich waren, um ihre Lampen einzuschalten. Gab es überhaupt noch Leute, die sie einschalten konnten? Mit Ausnahme der Ampeln, die rhythmisch ihre Farben änderten, gab es in diesem Viertel kein elektrisches Licht. Das konstante Artilleriefeuer der Army und die Brände, die allerorts wild loderten, erzeugten jedoch genug Helligkeit, um die umherwandelnden Schrecken sehen zu können.

Meine Hand glitt in meine Tasche. Ich beschloss, das Telefon auszuschalten, um so viel Akkuleistung wie möglich zu sparen. Dann drehte ich mich um und ließ mich an der Wand zum Treppenhaus hinabgleiten. Ich fühlte mich immer noch benommen und mochte nicht daran denken, was uns noch bevorstehen würde.

Kyle gesellte sich zu mir und äußerte, dass auch er eine Pause bräuchte. Ich blickte kurz auf, als Mr. Halbglatze mit zögernden Schritten zu uns herüberkam. Widerwillig bewegte ich mich und machte ihm Platz. Ich erkannte in diesem Moment jedoch, dass eine größere Gruppe mehr Sicherheit bot.

Als wir drei so zusammensaßen, erfuhr ich, dass Mr. Halbglatze eigentlich Ron Chauffer hieß. Er war Geschäftsführer eines Versicherungsunternehmens und handelte mit Versicherungspolicen für Naturkatastrophen wie Hurrikans und Erdbeben. Er machte einige abfällige Bemerkungen darüber, dass sein Unternehmen die ganzen Schadensforderungen der Versicherungsnehmer, die durch dieses Ereignis entstünden, nicht würde abdecken können.

Wir Glücklichen, dachte ich voller Abscheu. Jetzt sitzen wir zu allem Überfluss mit einem ganz besonderen Hurensohn auf diesem Dach fest.

Chauffer schlief schließlich ein. Sein Stuhlbein hielt er fest umklammert.

Kyle und ich blieben wach und beobachteten den Schein, der von den Straßen zu uns heraufdrang. In Gedanken war Kyle bei seinem Militärdienst. Er erklärte mir, dass er sich so bald wie möglich wieder verpflichten würde. Er hatte keine Familie, mit der er diese Entscheidung absprechen musste, außer einem Vater, mit dem er sich zerstritten hatte und der irgendwo in San Francisco wohnte. Es schien ihm egal zu sein, ob sein Vater noch lebte oder längst tot war. Ich war mir nicht sicher, ob diese Gleichgültigkeit seinem Vater oder ihm selbst galt. Ich drängte auch nicht darauf, den Grund dafür zu erfahren.

Jersey sei sein Zuhause, sagte Kyle, weil es zu teuer war, in der Stadt zu wohnen. Nun ist es wohl nicht mehr zu teuer, dachte ich mir, als ich auf den Schein des Feuergefechts hinausblickte.

Ich beschloss, zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu viel über mich preiszugeben. Ich erzählte ihm nur das Offensichtliche. Und zwar, dass ich geschäftlich in New York wäre. Ich redete ein bisschen über meine Frau Jenn, die immer noch in Atlanta war, und erzählte ihm, dass ich irgendwie zu ihr zurückkehren musste.

Als ich Atlanta erwähnte, drehte sich Kyle zu mir um und sagte, dass er sechs Monate im Fort Gordon in Augusta stationiert gewesen war. Augusta war eine Stadt an der Grenze von Georgia und South Carolina, circa zwei Autostunden östlich von Atlanta. Von Zeit zu Zeit waren sie vom Hartsfield-Jackson Flughafen in Atlanta aus geflogen. Einige seiner besten Kumpel wären noch dort unten stationiert.

Er erzählte mir eine Geschichte darüber, wie drei von ihnen in irgendeinem Jahr nach Atlanta gegangen wären, um sich dort das Peach Drop anzuschauen, eine alljährliche Feier am Silvesterabend. Nachdem sie zu viel gefeiert und eine verdammte Menge Alkohol intus gehabt hatten, wäre einer der Typen mit drei Prostituierten im Bett gelandet. Laut Kyle sollte es die beste Nacht im Leben dieses Burschen gewesen sein.

Das brachte uns zum Lachen und half dabei, die Anspannung und Angst des Tages zu vergessen. Danach saßen wir schweigend da. Wir beobachteten und lauschten dem Feuergefecht, das nur einige Blocks entfernt tobte.

Ich saß einfach nur da und spielte nervös mit meinem Ehering. Meine Frau hatte mich immer angeschrien, wenn ich mit dem Ding herumfuchtelte. Ich tendierte dazu, mit ihm zu spielen, wenn es zu einer Situation kam, in der ich nervös wurde. Ich denke, dass die letzten Stunden dazuzählten. Fast die ganze Nacht betrachtete ich mal mehr und mal weniger aufmerksam den Himmel. Ich bemerkte, dass dunkler Smog die Sterne verdeckte. Von Zeit zu Zeit riss die Wolkendecke auf und enthüllte einen fast vollen Mond. In den frühen Morgenstunden fiel ich schließlich in einen tiefen Schlaf. Selbst in meinen Träumen wanderten die Toten umher.

Als die Sonne zwischen den Gebäuden hindurchspähte, wurde klar, wie wir unsere Flucht bewerkstelligen konnten. Chauffer war über einen roten Werkzeugkasten gestolpert, als er in der Nacht pissen gehen wollte. Diesen hatte er zu unserem Schlafplatz gebracht. Wir schätzten, dass jemand ihn zurückgelassen hatte, als er den hauseigenen Sendemast reparieren wollte und das Gemetzel unten begann. Der Mast ragte ungefähr drei Meter über die Spitze des Daches hinaus.

Kyle hatte einen Plan ausgearbeitet. Er wollte die Werkzeuge dazu nutzen, die Verankerung des Mastes zu lösen, um die Kluft zwischen dem Bürogebäude, auf dem wir uns befanden, und dem Parkhaus nebenan zu überbrücken. Wir drei waren überzeugt davon, dass wir in der Lage sein würden, den Mast niederzureißen. Er sah lang genug aus, um bis auf die andere Seite der Gasse zu reichen. Es könnte zwar knapp werden, aber wir waren sicher, dass es klappen würde. Wir mussten einfach sicher sein. Es war unsere einzige Chance.

Während Kyle und Chauffer die Schrauben lösten, verschaffte ich mir erneut einen Überblick über die Umgebung. Die Sonne stand inzwischen im Zenit und erleichterte es mir, das Ausmaß der Zerstörung zu erkennen. In der Ferne konnten wir noch immer Pistolenschüsse hören. Der Kampf war also noch nicht vorbei. Immer noch wankten Kreaturen auf der Straße herum. Größtenteils waren sie unorganisiert und es erschien, als würden sie plündern. Ich bemerkte, dass sie sich nicht mehr so schnell wie gestern Nachmittag bewegten. Ich tippte darauf, dass die Mehrzahl der Untoten weiterhin vom Lärm des Feuergefechts angezogen wurde.

Im Süden erblickte ich das Ufer des Battery Parks. Von dort fuhr die Fähre zur Freiheitsstatue oder Ellis Island. Chauffer hatte recht; wir waren wirklich nicht allzu weit vom Wasser entfernt. War man einmal an den paar Blocks vorbei, die mit Autos zugestellt waren, war da nichts als eine offene grasbedeckte Fläche, die uns eine relativ gefahrlose Flucht ermöglichte.

Kyle kam zu mir und sein Blick folgte meinem. Wir sahen Schiffe, die flussaufwärts und flussabwärts fuhren. Ein Schiff nahm Kurs auf die Anlegestelle und es sah so aus, als würde es dort anlegen, um Passagiere aufzunehmen.

»Es ist doch nicht möglich, dass der Fährdienst immer noch in Betrieb ist«, murmelte Kyle ungläubig. Genau das war auch mein Gedanke.

Wir sahen, wie Besatzungsmitglieder von der Fähre sprangen und eine kleine Verteidigungslinie am Kai bildeten. Als Leute zum Boot rannten, sicherten die Besatzungsmitglieder die Flüchtenden mit unregelmäßigen Schüssen ins Nirgendwo ab. Sie schossen, bis die Leute sicher an Bord waren.

So nah und doch so fern, dachte ich und blickte hinunter zur Straße. Es tauchten noch immer mehr Zombies auf. In diesem Moment erregte Chauffer meine Aufmerksamkeit.

»Wenn diese Scheiße über New Yorks Grenzen hinausreicht, dann sollten wir aufs Land flüchten. Weniger Einwohner bedeutet auch weniger Zombies.«

Ich nickte zustimmend und sagte: »Yeah. Wir müssen nur einen Weg heraus finden. Zwischen hier und Sticksville liegt eine stark bevölkerte Gegend.«

Kyle hob unschlüssig sein Kinn. Dann fragte er, ob ich behilflich sein könnte. Er sagte, dass ich mich unter den kleinen Sendemast stellen sollte. Er und Chauffer würden ihn zu mir herablassen. Ich griff den Mast an der Spitze und war überrascht, wie leicht er war. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Art Titan. An meinem Ende war der Turm einen halben Meter breit, er verbreiterte sich nach hinten und es gab eine Leiter, die die ganze Länge hinaufreichte.

Chauffer fragte: »Ist dieses Ding überhaupt stabil genug?«

Mir ging die gleiche Frage durch den Kopf. Ich hoffte, dass wir es nicht herausfinden würden.

»Endlich, ein Glücksfall«, sagte Kyle, als wir den Mast in Position gebracht hatten. Er war gerade lang genug, um die Kluft zwischen den beiden Gebäuden zu überbrücken.

Wir bewunderten unser Werk. Ich griff nach unten, um mir einen Hammer aus dem Werkzeugkasten zu nehmen. Er hatte einen traditionellen Holzgriff mit einem überdimensionalen Metallkopf. Kerben und Macken machten deutlich, dass dieses Werkzeug seine besten Zeiten schon hinter sich hatte. Er lag gut in der Hand, wie für mich gemacht. Ich klemmte ihn in meinen Gürtel.

Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Hammer mir noch mehr als einmal das Leben retten würde.

Kapitel 4

Der Feind meines Feindes ist nicht immer mein Freund.

Die Schüsse wurden lauter und zogen unsere Aufmerksamkeit wieder auf sich. Anscheinend hatte die Army nun richtig schweres Geschütz aufgefahren. Dem dumpfen Dröhnen der Artillerie folgten sofort wieder peitschende Schüsse. Staub und Feuer stiegen über dem Kriegsgebiet auf. Kyle starrte in diese Richtung. Ich studierte seinen Gesichtsausdruck und hoffte zu erfahren, welchen Plan er wohl herbeizaubern würde.