Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Marcel ist sechzehn und einer der besten Spieler in seinem Fußballverein. Sein Leben passt zu dem eines gutaussehenden jungen Fußballers - er ist beliebt, wird in seinem Freundeskreis geachtet und keine Schwierigkeiten eine Freundin zu finden. Die Beziehung mit seiner Klassenkameradin Nadja, die schon eine Weile ein Auge auf ihn geworfen hat, scheint gut zu funktionieren.Doch es gibt da noch Patrizio, der seit Beginn der neuen Saison in Marcels Mannschaft spielt.Durch die ständigen Annäherungsversuche des jungen Italieners fühlt sich Marcel erst genervt, nimmt dann mit der Zeit aber Patrizios Freundschaftsangebot an. Auf einer einwöchigen Reise nach Berlin mit der Mannschaft bei der sich die beiden ein Zimmer teilen, geht es sogar noch weiter als Freundschaft und Marcel erlebt sein erstes Mal - mit Patrizio. Aus diesem Erlebnis entwickelt sich zunächst eine rein sexuelle Beziehung zwischen den beiden Jungen. Mit ihren Gefühlen für einander wachsen auch die Probleme der Beiden, denn niemand in ihrem Umfeld scheint sie so akzeptieren zu können, wie sie sind. Vor allem Patrizios konservativ eingestellte Eltern können es nicht ertragen, einen schwulen Sohn zu haben und so wird die aufkeimende Liebe der beiden Jungen auf eine harte Probe gestellt. Eine Pflichtlektüre nicht nur für junge schwule Fußballfans.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 315
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Benjamin Wagner
Himmelstürmer Verlag
eBookMedia.biz
Copyright © 2010 Himmelstürmer Verlag
eBook ISBN ePub: 978-3-942441-60-5
Hergestellt mit IGP:FLIP von Infogrid Pacific Pte. Ltd.
Ich rannte so schnell ich konnte, ohne den Ball aus den Augen zu verlieren. Dieser komische Kerl mit dem bösen Blick klebte mir schon das ganze Spiel über an den Fersen, also rechnete ich gar nicht mehr damit, dass es diesmal anders sein würde.
Ich hatte zwar keine Zeit, auf die Uhr zu schauen, aber ich wusste, dass wir schon weit über die 80. Minute hinaus waren. Da war ich nicht der Einzige, der langsam merkte, wie seine Kräfte nachließen. Aber ich schien immerhin noch mehr Power zu haben als mein Schatten. Als ich die gegnerische Hälfte erreicht hatte, lag er bestimmt schon drei Meter hinter mir. Dumm nur, dass zwei andere von denen auf mich zukamen, mit Gesichtsausdrücken, die nicht unbedingt auf friedliche Aktionen schließen ließen.
Es war also der einzige Moment, der mir noch blieb, um aus diesem Ball noch etwas zu machen. Ich zielte in die Mitte des gegnerischen Strafraums, in der Hoffnung, dass dort jemand auf meinen Ball wartete, denn die Zeit, mir in Ruhe eine Anspielstation auszusuchen, blieb mir nicht mehr. Gerade noch, bevor die beiden mich angreifen konnten, spielte ich ab, und zwar so fest, dass der Typ, der direkt vor mir stand, vorsichtshalber zur Seite sprang.
So konnte man ja auch kein Spiel gewinnen, dachte ich, sah dann nur noch, wie der gegnerische Torwart vergeblich durch die Lüfte flog und dann zappelte der Ball schon im Netz und die gut hundert Leute, die in unserem Fanblock saßen, jubelten uns zu.
„Korrekte Vorlage, danke, Alter", sagte Marco schnell atmend, als er auf mich zugerannt kam und mir seine Hand hinhielt, die ich geistesabwesend abklatschte.
3 : 1 für uns, 88. Minute. Damit müsste das Ding erledigt sein. Bis der Ball wieder im Mittelkreis war und das Spiel für noch mal vielleicht drei Minuten weiter gehen konnte, hatte ich ein paar Sekunden zum Durchatmen. Einerseits war ich froh, dass Dirk, unser Trainer, mich direkt beim ersten Spiel in der neuen Saison 90 Minuten durchspielen ließ, andererseits war das aber auch ziemlich anstrengend.
Ich hatte mich nach dem letzten Treffer nicht mehr viel bewegt und der Schlusspfiff nach fast 92 Minuten kam mir sehr entgegen. Während die anderen sichtlich enttäuscht zügig den Platz verließen, feierten wir noch mit Umarmungen und Jubelgesten den gelungenen Saisonstart.
Auch unser Trainer schien durch und durch zufrieden zu sein.
„Super gemacht, Jungs", freute er sich, als er über den Platz ging und dabei einigen auf die Schulter klopfte und anderen über den Kopf strich. Ich persönlich fand dieses Rumtätscheln eher albern als in irgendeiner Weise förderlich. Mit Zwölfjährigen konnte man das ja durchaus machen, aber wir waren alle fünfzehn oder sechzehn und Dirk war mit Mitte dreißig auch nicht so alt, dass wir auf ihn wie Kleinkinder gewirkt hätten.
„Tolle Leistung, macht weiter so!", hörte ich ihn aus der Ferne, als er an den anderen aus unserem Team vorbeiging - natürlich nicht ohne väterliche Berührungen. Einige aus unserm Team hatten sich ihre vollgeschwitzten Trikots ausgezogen und zeigten ihre völlig unterschiedlichen Körper - vom mittleren Bauch bis zum ausgeprägten Sixpack war jedes Niveau in unserem Team vertreten. Ich war gutes Mittelmaß, aber ich wollte besser werden und arbeitete daran. Abgesehen davon hatte ich die Theorie, dass den meisten Mädchen ein natürlicher Körper lieber ist als einer, aus dem die Muskeln förmlich rausquellen.
„Is' doch gut gelaufen", meinte jemand von hinten zu mir. Ehe ich mich umgedreht hatte, stand er schon neben mir und drückte mir eine Wasserflasche in die Hand, die ich dankend annahm. Es war einer von denen, die erst dieses Jahr aus der C-Jugend zu uns in die B-Jugend gewechselt waren.
Ich musste ein paar Sekunden nachdenken, bis ich wieder auf seinen Namen kam: Patrizio. Mit meinem Gedächtnis für Namen und Nummern war es sowieso nicht weit her und dann noch ein ausländischer Name - das war schon eine Herausforderung. Er war Italiener, oder hatte zumindest italienische Wurzeln, das hatte ich mittlerweile rausgekriegt. Aber ich konnte ja nicht alle aus dem Team gleich gut kennen, obwohl ich mir das immer vorgenommen hatte. Einige von ihnen waren auf der gleichen Schule wie ich, dem Adenauer-Gymnasium, andere kannte ich schon seit der Kindheit aus dem Verein, immerhin spielte ich schon mit acht Jahren Fußball, aber von manchen wusste ich kaum mehr als Name, Rückennummer und vielleicht noch, auf welche Schule sie gingen oder ob sie eine Freundin hatten, aber ich hoffte, dass sich das allmählich bessern würde.
Als wir uns dann so nach und nach in der Kabine versammelt hatten, zögerten die meisten nicht, sich innerhalb weniger Sekunden die restlichen Klamotten runter zu reißen und nackt unter die kalte Dusche zu hüpfen.
Ich hatte das gleiche vor, aber ließ mir etwas mehr Zeit. Ich setzte mich erst mal auf die Bank, zog mir in Ruhe die Schuhe und die Strümpfe mit den Schienbeinschonern aus und sah mir meine Unterschenkel an, die ordentlich unter dem Spiel gelitten hatten, aber wenigstens hatte es sich gelohnt.
Die meisten anderen standen schon unter der Dusche und mittlerweile fühlte ich mich auch dahin gezogen, denn der Schweiß lief nur so an mir runter. Ich zog mir die weiße Hose mit der kleinen blauen Nummer 7 an der Seite, die Nummer mit der ich spielte seit ich denken konnte, und die völlig zerknitterte Boxershorts aus und warf sie auf den Boden. Woanders hätten sie nur die Luft verseucht.
Im Duschraum hätte man wirklich denken können, wir wären gerade mal zwölf oder noch jünger. Da flogen Seifen und Duschgelflaschen durch die Gegend. Einige besonders witzige Sportsfreunde drückten mit beiden Händen die Duschköpfe zu, so dass das rausspritzende Wasser auch den Raum oberhalb der Duschköpfe, der eigentlich zum Trockenbleiben gedacht war, unter Wasser setzte.
In einer Ecke schienen sich ein paar von uns recht ausführlich mit ihren Schwänzen zu beschäftigen. Jan und Robin waren noch dabei die Länge zu vergleichen, während Marco schon eine Stufe weiter war.
Ich wusste, dass dieses Rudelwichsen unter der Dusche schon zur Tradition gehörte, dennoch konnte ich dem nichts abgewinnen. Natürlich wichste ich selber auch regelmäßig - sogar fast täglich. Das war auch nicht anders, als ich letztes Jahr mal für ein paar Monate eine Freundin gehabt hatte. Aber ich wichste lieber abends vor dem Schlafen in Ruhe in meinem Bett.
Also genoss ich einfach das erfrischende Gefühl des kalten Wassers, das an meinem Körper runterlief. Ich schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Nur leider konnte ich diese angenehme Empfindung nur wenige Sekunden genießen. Ein Stück Seife traf mich, nicht gerade sanft, nur ein paar Zentimeter neben meinem Schwanz. Blitzartig öffnete ich die Augen. Patrizio stand maximal zwei Meter seitlich neben mir und grinste.
Der war ganz schön frech, dafür, dass wir uns kaum kannten.
„Für die Entfernung aber ziemlich schlecht getroffen", konterte ich seinen körperlichen Angriff.
„Gut, dass wir hier nicht beim Handball sind."
Erst auf den zweiten Blick sah ich, dass sich bei Patrizio zwischen den Beinen ordentlich was aufgebaut hatte.
Ich hob das Stück Seife auf, rieb mir ein bisschen davon in die Hände und ins Gesicht, warf einen suchenden Blick in die Runde und warf dann die Seife zu Sven, der gerade erst als letzter in den Duschraum gekommen war. Natürlich ließ er die Seife elegant an sich vorbeifliegen. Es war mir nach wie vor ein Wunder, wie der Trainer ihn überhaupt noch ins Tor stellte. Er war mit Abstand der dickste von uns, der mit dem kleinsten Schwanz, wie mir in solchen Momenten immer wieder auffiel und der Unsportlichste sowieso. Wenn wir wenige Gegentore kassierten, war das sicher nicht sein Verdienst, sondern der von Murat oder Robin oder wer sonst noch in der Abwehr treue Dienste leistete.
Ich hatte gehofft, noch ein, zwei Minuten in Ruhe duschen zu können, aber da schien Patrizio offenbar schwer gegen zu sein.
„Noch nie unter der Dusche gewichst?", fragte er mich von der Seite und als ich mich umdrehte, sah ich wie sehr seine rechte Hand mit seinem Stängel beschäftigt war.
Er hatte recht, das war das Normalste auf der Welt, nach dem Training, und erst recht nach dem Spiel, unter der Dusche zu wichsen, völlig unabhängig davon, wer zuguckte oder mitmachte.
„Doch, aber nicht hier."
Sowas hatte ich noch nie erlebt. Da stand ein anderer Junge, etwa in meinem Alter keine zwei Meter neben mir unter der Dusche, holte sich völlig schamlos einen runter und unterhielt sich dabei mit mir.
„Komm, probier's mal, is'n geiles Gefühl." Der schien nicht zu kapieren, dass ich keinen Bock auf Massenmasturbation hatte.
„Nein!" Deutlicher konnte ich kaum werden.
Aber das schien ihn nur noch mehr zu provozieren. Er rückte noch einen Schritt näher ran und stieß mich ein paar Mal leicht von der Seite an.
„Los, mach mit! Wer als erster kommt ..."
Der Typ machte mich wahnsinnig. Aber ich bekam so langsam tatsächlich Lust zu wichsen. Die ersten waren zwar schon fertig mit Duschen und was so dazugehörte, aber davon ließ ich mich nicht ablenken.
„Komm, Marcel, mach mit", flüsterte er fast. Immerhin schien er keine Probleme gehabt zu haben, sich meinen Namen zu merken.
Ich drehte die Dusche eine Stufe wärmer, sonst hätte ich ja ewig gebraucht. Ein paar Mal knetete ich meinen Schwanz und meine Eier und spürte förmlich, wie das Blut, das da reinschoss, meinen Schwanz immer größer und dicker werden ließ.
„Siehste, geht doch." Patrizio ließ seinen langen Schwanz immer noch langsam durch seine Finger gleiten.
„Und jetzt mal Gas geben." Er selbst bewegte dabei seine Hand immer schneller und griff fester um seinen Schwanz.
Da stand ich unter der Dusche, holte mir vor den Augen von Patrizio und den anderen einen runter und als wär dieser kleine Spinner neben mir nicht schon aufdringlich genug, meinte der jetzt auch noch, mir eine Anweisung zum Wichsen geben zu müssen.
Ich hörte ihm allerdings nicht mehr zu, sondern schloss die Augen und ließ meine Latte durch meine Hand gleiten, immer vor und zurück und wieder vor und zurück.
Er hatte recht, es war irgendwie ein geiles Gefühl nach einem anstrengenden Spiel unter der kalten, oder inzwischen mittelkalten, Dusche eine ordentliche Ladung Saft aus seinem Schwanz raus zu schleudern.
Als ich fertig war, konnte ich nur noch sehen, wie sich die Reste von meinem Saft mit dem Duschwasser vermischten und den Ausguss runterflossen. Ich sah zur Seite und stellte fest, dass Patrizio wohl schon lange fertig war.
„Du brauchst noch einiges an Übung", grinste er, als er das Wasser abstellte und in die Kabine zurückging. Ich fühlte mich irgendwie verarscht. Der Typ war fast ein Jahr jünger als ich und hielt sich für den besten Wichser der Welt. Der hatte wahrscheinlich nicht mal halb so viel Übung wie ich, allerhöchstens was das Wichsen unter der Dusche nach einem Fußballspiel angeht. Da hatte ich heute in der Tat Premiere.
Ich folgte Patrizio aus dem Duschraum in die Kabine. Wir gehörten zu den letzten, die mit Duschen fertig waren. Nur Sven stand immer noch unter dem Wasserstrahl und ich fragte mich, ob es möglich war, unter der Dusche im Stehen einzuschlafen.
In der Kabine hatten sich die meisten schon wieder angezogen und ihre Sporttaschen gepackt. Ich beeilte mich und kramte eine frische Boxershorts und die Jogginghose, die ich schon vor dem Spiel anhatte, aus meiner Tasche und sorgte schnell dafür, dass nicht mehr jeder mein Gehänge sehen konnte. Das Wichsen unter der Dusche war zwar was Natürliches, auch was Geiles, wie ich heute feststellen durfte, aber es machte mich noch lange nicht zum Exhibitionisten. Mit dem T-Shirt ließ ich mir auch nicht mehr sehr viel Zeit, denn die meisten waren schon draußen.
Ich verließ zusammen mit Sven als Letzter die Kabine und wir gingen zusammen zum Tor des Sportplatzes. Die mehr oder weniger hundert Zuschauer, die wir hatten, saßen zum größten Teil im Vereinsheim und soffen sich zu.
„Warte mal", hielt Sven mich auf. Er kramte eine Zigarette aus einer Seitentasche seiner Sporttasche und schon brannte sie zwischen seinen Lippen.
„Lass das nicht den Trainer sehen", warnte ich ihn.
„Willst du auch eine?", reagierte er darauf.
„Nein."
Marco, der auch außerhalb vom Fußballplatz ein guter, wenn nicht sogar mein bester Freund war, und auch zusammen mit mir in eine Klasse ging, verabschiedete sich nur knapp. Er saß schon auf seinem Fahrrad, als ich an den Fahrradständern vor dem Sportplatz ankam.
„Ciao, wir sehn uns Montag."
Offensichtlich wollte er noch zu seiner Freundin. Er war erst seit ein paar Wochen mit ihr zusammen, aber es war mindestens seine dritte in diesem Jahr. Ich zählte da nicht mehr mit.
Auch ich öffnete mein Fahrradschloss und hatte gehofft, mich zügig nach Hause absetzen zu können, aber schon wieder hielt Patrizio mich auf. Der Typ ging mir auf die Nerven, anders konnte man es nicht sagen.
„Ciao, Marcel. Bis Dienstag dann", grinste er zu mir rüber, während er selber sein Fahrradschloss entriegelte.
Am Dienstag war das nächste Training und ich hoffte von Herzen, Patrizio würde mich jetzt nicht bis in alle Ewigkeit in den Wahnsinn treiben.
„Ihr seid ja mal wieder richtig erfolgreich gewesen, hab ich gehört", begrüßte Nadja mich und Marco, als wir am Montagmorgen auf dem Schulhof standen.
„Ich wollte ja eigentlich zu dem Spiel kommen, aber ich hatte wieder Stress zu Hause und so", begann sie zu erklären, warum sie unserem 3:1 am Samstag nicht beiwohnen konnte. Mir persönlich war es egal, ob sie mir beim Fußballspielen zusah. Lange Zeit hatte ich sogar die radikale Meinung vertreten, Frauen hätten bei Fußballspielen grundsätzlich nichts verloren.
Marcos Freundin Janine war bei fast jedem Spiel dabei und feuerte uns mit albernen Fangesängen an, aber solange ich keine Freundin hatte, brauchte ich auch niemanden, der für mich auf der Tribüne saß, außer vielleicht meine Eltern, die aber nur hin und wieder mal dabei waren.
Nadja legte unauffällig ihren Arm um mich, nicht klammernd, sondern eher locker, freundschaftlich, aber ich wusste recht gut, dass es nicht so kumpelhaft gemeint war, wie es vielleicht aussah.
In letzter Zeit hatten mich einige Klassenkameraden - Jungen wie Mädchen - darauf hingewiesen, dass Nadja möglicherweise weitergehende Gefühle für mich haben könnte. Ich stand nicht so auf diese Kuppelaktionen, die offenbar in unserem Alter noch immer gang und gäbe waren, wie schon in der sechsten Klasse.
Wenn Nadja auf mich stand, dann sollte sie mir das sagen und dann würde ich mir das mal überlegen, denn sie war eins der attraktivsten Mädchen in unserer Klasse und Single. Einige der Jungen rissen sich um sie - bisher erfolglos.
Als wir uns eine Minute vor acht zusammen auf den Weg ins Klassenzimmer machten, wollte Nadja ihre Umarmung nicht lösen. Ich konnte ihr nur durch zwei unerwartet schnelle Schritte entkommen, blieb dann aber stehen und wartete, bis sie wieder neben mir stand und legte dann selber kurz meinen Arm um sie, worauf ich von ihr ein versöhnliches Grinsen geschenkt bekam.
Marco war in der ersten großen Pause so schnell verschwunden, dass ich nicht die geringste Chance hatte, ihn zu fragen, wo er hin wollte. Ich war mir allerdings sehr sicher, dass er sich mit Janine traf, die auf der benachbarten Realschule in die achte Klasse ging.
„Hey, warte mal." Nadja hielt mich an der Schlaufe meiner Schultasche fest, so wie man das aus der Grundschule kannte.
„Was ist?", fragte ich sie in einem vielleicht nicht ganz so freundlichen Ton. Diese Art angesprochen und aufgehalten zu werden, machte mich nun mal leicht aggressiv.
„Wo willst du hin?"
Ich war der Meinung, dass diese Frage eigentlich gar keine Antwort verdient hätte. „Mal überlegen, in die Pause vielleicht? Immerhin hat es geklingelt."
„Lass uns mal auf den Parkplatz hinter der Realschule gehen." Das war keine Frage, das war eine Aufforderung und dazu noch eine sehr ungewöhnliche.
Ich hatte noch nie eine Pause mit Nadja alleine verbracht. Meistens standen wir mit ein paar Kumpels aus unserer Klasse in irgendeiner Ecke des Schulhofes oder ich begleitete Marco zu seiner Janine und führte dann mehr, meistens aber weniger geistreiche Gespräche mit den beiden.
„Was hast du vor?" Ich hatte keine großen Bedenken mit Nadja an einen Ort zu verschwinden, der schon längst nicht mehr zu unserem Schulgelände gehörte, denn die Gefahr, von ihr in einen Hinterhalt gelockt und erstochen zu werden, sah ich als sehr gering an. Eigenartig kam mir die ganze Geschichte dennoch vor.
Ich bekam von einem Klassenkameraden, der offenbar halb mitgehört hatte, im Vorbeigehen einen fragenden Blick zugeworfen, den ich nur mit einem solchen erwidern konnte.
Es war das altbekannte Spielchen, nicht von irgendeinem Lehrer beim Verlassen des Schulgeländes gesehen zu werden. Ich ging Nadja hinterher, die es offenbar eilig hatte, ihr Ziel zu erreichen.
Wir gingen quer über den Parkplatz, der nur halb mit Autos gefüllt war, dafür aber umso voller mit Schülern von uns und von der Realschule, von denen die meisten rauchten, und einige nicht nur Tabak.
Auch Nadja packte eine schon recht zerknitterte Schachtel Zigaretten aus ihrem Rucksack hervor und ließ einen Glimmstängel in ihrem Mund aufflammen. Ich hatte überhaupt nicht gewusst, dass sie rauchte. Wir waren zwar schon seit über fünf Jahren in einer Klasse, aber das war ja das gleiche wie mit den Jungs aus dem Verein. Man konnte nicht alle gleich gut kennen.
„Willste auch eine?" Es schien sich also auch noch nicht durch die ganze Klasse gesprochen zu haben, dass ich zumindest außerhalb von Diskos oder sonstigen Partys nicht rauchte.
„Nein", sagte ich ganz entschieden und überlegte, wie ich ein einigermaßen sinnvolles Gespräch im Gange halten könnte.
„Gehst du immer hierhin?", war mein erster Beitrag dazu. Immerhin begleitete ich sie grundlos zum Rauchen, da konnte sie mir auch ein bisschen über sich erzählen.
„Ja, aufm Schulhof kann man ja schlecht rauchen, ne?"
„Hast du keine anderen Raucherfreunde?" Die meisten, die ich hier so sah, standen in kleinen Gruppen oder zumindest zu zweit in den Ecken.
„Ne, ich bin immer alleine hier. Da kann ich immer 'n bisschen nachdenken und so."
Bei allem Respekt hatte ich Nadja nie für einen Menschen gehalten, der viel nachdachte. Zumindest galt das für die Schule. Es traf eigentlich immer sie, wenn jemand die Hausaufgaben nicht gemacht hatte oder irgendjemand mal eine sechs in einem Test hatte. Es war sowieso ein Wunder, dass sie es ohne sitzenzubleiben in die zehnte Klasse geschafft hatte.
„Worüber denkst du denn nach?", fragte ich etwas spaßhaft, da mich eine ernsthafte Antwort überhaupt nicht interessierte.
„Ach, keine Ahnung."
Sowas gefiel mir. Leute, die nicht wussten, worüber sie nachdachten, mussten meiner Meinung nach glückliche Menschen sein.
Daran, dass das Papier ihrer Zigarette schnell abbrannte, sah ich, dass sie sehr kräftige Züge nahm.
Ich selber hatte das Rauchen auch mal ausprobiert und sogar einige Wochen durchgehalten. Aber ich hatte an meinem eigenen Körper gemerkt, dass es wahr war, dass Rauchen die sportlichen Leistungen beeinflusste und das war es mir wiederum nicht wert.
Zwar rauchten einige in unserem Verein, allen voran Sven, der es sicher auf eine Schachtel am Tag brachte, aber von denen wusste ja auch niemand, wie gut sie ohne Zigaretten spielen würden.
„Wollt einfach mal 'n bisschen mit dir labern."
Ich hatte für einen winzigen Moment vergessen, dass Nadja neben mir stand, wobei ich natürlich niemals alleine sinnlos auf einem Parkplatz rumstehen würde.
„Und worüber?" Ich wurde langsam neugierig, auch wenn ich mir das selber noch nicht eingestehen wollte.
Unsere Blicke trafen sich und blieben aneinander kleben. Sie hielt meine Augen mit ihren fest und nahm wie nebensächlich einen Zug von ihrer Zigarette. Sie hatte schöne, tiefbraune Augen, die einen netten Kontrast zu ihren hellblond gefärbten Haaren abgaben. Das alles fiel mir so zum ersten Mal auf.
Sie nahm noch einen tiefen Zug an der fast ausgebrannten Zigarette und schnippte sie dann in hohem Bogen weg. Den Rauch allerdings blies sie mir ungebremst ins Gesicht, denn sie war mir ein wenig näher gekommen, nicht aufdringlich nah, aber doch so, dass sie ohne Verrenkungen ihre Hand über meine Schulter gleiten und ihre Finger mit meinen Haaren spielen lassen konnte.
Sie hatte mir zwar immer noch nicht meine Frage beantwortet, aber es schien, als wären wir beide der Auffassung, eine Antwort sei nicht mehr nötig.
Auch ich streckte einen Arm aus und war schon kurz davor, ihr auch durch die Haare zu streicheln, aber ich wusste aus Erfahrung, dass die meisten, wenn nicht sogar alle Mädchen, übertrieben empfindlich waren, was ihre Haare anging. Stattdessen schlang ich meinen Arm um ihren Rücken und es schien ihr zu gefallen, denn sie rückte noch näher an mich heran, so nah, dass sich unsere Füße fast berührten und so gut wie nichts mehr zwischen uns gepasst hätte.
Der Raucher- und Kifferparkplatz stand zwar weit hinten auf der Liste der romantischsten Orte der Stadt, aber wenn ich schon kurz davor war, mir eine neue Freundin zu schnappen, dann musste ich diese Gelegenheit doch ausnutzen.
Nadja gefiel mir seit einiger Zeit immer mehr, das konnte ich nicht leugnen. Ich hatte nur etwas Probleme, damit klarzukommen, wie sie von sich aus versuchte, sich an mich ranzumachen. Ich verstand nicht, was die Mädchen auf dieser Welt so kompliziert daran fanden, einen Jungen, der ihnen gefiel, anzusprechen.
Aber wie es aussah hatten wir beide einen eleganten Mittelweg gefunden - einen, der ohne viele Worte auskam.
Langsam - wie durch magnetische Kräfte gesteuert - näherten sich unsere Lippen und ich küsste zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit ein Mädchen und das direkt mit Zunge.
Inzwischen hatte ich sie mit beiden Armen fest umklammert und hatte kein großes Interesse daran, diesen Kuss zu beenden. Nur mein Zeitgefühl sagte mir, dass die dritte Stunde allmählich begann und wir, so traurig das war, zurück zu den anderen mussten.
In der dritten Stunde hatten wir Physik. Dieses Fach hatte die Eigenart an sich, dass die Leute sich in jeder Stunde woanders hinsetzten, was durch die Größe des Raumes und die Dummheit des Lehrers gefördert wurde. Da konnten Nadja und ich unauffällig nebeneinander in der letzen Reihe Platz nehmen und uns interessanteren Dingen als den Elektromagneten widmen.
Natürlich nahmen die anderen das zur Kenntnis, aber irgendwann würden eh alle wissen, dass Nadja und ich auf der Zielgeraden waren, ein Paar zu werden und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwen in der Klasse gab, der uns das nicht gegönnt hätte.
Die meisten unserer Mitschüler konnten ständig über ihre Freunde oder Freundinnen berichten, nur Nadja und ich waren die ewigen Singles in der Klasse und das obwohl zumindest sie ganz gut aussah. Und dass es spätestens seit Schuljahresbeginn vor einigen Wochen zwischen uns geknistert hatte, war selbst den Verschlossenen unter ihnen aufgefallen.
„Hast du heute Nachmittag Zeit oder musst du zum Training?", fragte Nadja mich flüsternd, während Dr. Scharmüller vorne am Tisch gefährlich aussehende Geräte aufbaute.
„Nein, montags haben wir kein Training. Morgen Abend erst wieder."
„Also hast du Zeit?"
„Ja."
Wir sahen kurz hoch, ob wir leise genug redeten, denn wir hatten keinen Bock, zwangsweise auseinander gesetzt zu werden.
„Eiscafé San Martín, 17 Uhr?", schlug sie vor.
„Ja, super."
Wir sahen beide wieder hoch und begannen eine komplizierte Zeichnung von der Tafel abzumalen. Es sollte sich dabei wohl um einen Schaltkreis handeln, wobei ich persönlich es eher als schlechte Skizze eines Fußballfeldes interpretierte.
„Sag mal, Alter, läuft da was?" Durch verschiedene Umstände kam ich erst nach der sechsten Stunde wieder dazu, mit Marco zu sprechen und das erste, was er zu mir sagte, war genau das, was ich erwartet hatte. Dementsprechend hatte ich mich vorbereitet.
„Kein Plan, ich treff mich heut' Nachmittag mit ihr."
„Oh ... bei dir oder bei ihr?", fragte er mich mit einem Froschgrinsen und zeigte dabei eine eindeutige Gestik mit seinen Fingern. Er gehörte nun mal zu der großen Gruppe von Menschen, für die das Eine auch das Einzige war.
„Im Café."
„In welchem?"
„Das wüsstest du wohl gerne." Das fehlte mir noch, dass irgendwelche spätpubertären Klassenkameraden oder noch schlimmer Vereinskameraden mir bei meinem ersten Date mit meiner potentiellen zukünftigen Freundin auflauerten. So einigen Jungs aus meinem Umfeld war nach wie vor alles zuzutrauen.
„Aber morgen erzählst du mir die spannenden Details, o.k.?"
Ich hatte zwar nicht vor, irgendetwas Spannendes an diesem Nachmittag passieren zu lassen, konnte Marco aber mit einem „Mal schauen" zufriedenstellen.
„Na endlich", begrüßte Nadja mich mit einem vorwurfsvollen Ton, als ich eine Minute nach fünf auf dem Fahrrad angedüst kam.
„Hey, beschwer dich nicht. Ich bin mit über dreißig durch die Fußgängerzone gerast, ich hab was riskiert für dich", antwortete ich und rundete die Begrüßung mit einem Kuss auf ihren Mund ab.
Arm in Arm quetschten wir uns durch die Glastür ins Eiscafé, nur um festzustellen, dass es warm genug war, um sich draußen auf die Terrasse zu setzen. Deswegen war ja auch niemand drinnen und bestimmt 50 Leute draußen. Ich sah es schon kommen, dass wir mindestens eine Stunde auf den Kellner warten mussten. Einen freien Tisch hatten wir immerhin abbekommen.
„So, was darf ich euch bringen?", fragte die junge Kellnerin mit einem meiner Meinung nach etwas übertriebenen Lächeln zehn Sekunden, nachdem wir uns hingesetzt hatten und zückte in weniger als einer zehntel Sekunde ihren Block und ihren Stift.
Ich hätte mir eigentlich gerne in Ruhe die Karte angeguckt und vielleicht irgendwas Ausgefallenes bestellt. Aber ich sah mich unter Druck gesetzt.
„Ein Becher Erdbeer, bitte."
Nadja hatte es doch geschafft, einen kurzen Blick auf die nicht ganz übersichtliche Karte zu werfen und bestellte einen Eisbecher, dessen Namen ich nie auszusprechen gewagt hätte.
Als die Kellnerin sich alles notiert hatte und verschwunden war, kramte Nadja in den Tiefen ihrer Handtasche und fischte ihre Zigaretten hervor. Nachdem sie sich selber eine Kippe zwischen die Lippen geschoben hatte, hielt sie mir die Schachtel hin.
„Dein Kurzzeitgedächtnis müssen wir aber noch ein bisschen trainieren", sagte ich schmunzelnd. Wenn sie schon mit mir zusammen sein wollte, sollte sie wenigstens wissen, dass ich nicht rauchte.
„Ach, sorry, hatte ich verwechselt", entschuldigte sie sich.
„Mit wem könntest du mich denn verwechseln?", wollte ich wissen. Immerhin ging ich davon aus, dass ich der Einzige war, auf den sie stand.
„Ich verwechsel immer die ganzen Leute, also wer raucht und so", beendete sie die Diskussion.
Sie zog genussvoll an ihrer Zigarette und blies den Rauch in den Himmel. Währenddessen schien sie kein Interesse zu haben, mit mir zu sprechen und um zu verhindern, dass bei mir Langeweile aufkam, sah ich mich auf der Terrasse um, wer sonst noch alles hier war.
An einigen Tischen saßen Familien mit kleinen Kindern, an anderen kleine und große Rentnergruppen, wieder woanders ein paar Leute in unserem Alter.
An einem Tisch, vielleicht zehn Meter von uns entfernt, saßen zwei Jungs und zwei Mädchen und tranken verschiedenfarbige Milchshakes aus lustig geformten Gläsern.
Ich schaute wieder in mein näheres Umfeld und musste feststellen, dass Nadja immer noch mit dem Inhalieren ihres Suchtmittels beschäftigt war und schaute dann ganz unbewusst und ungewollt wieder zu dem Vierertisch rüber. Irgendwas schien in meinem Hinterkopf Aufmerksamkeit erregt zu haben, ich musste nur noch rausfinden was.
Die Mädels sahen irgendwie schlampig aus. Gut, es war noch Spätsommer, aber das war doch kein Grund, Röcke zu tragen, die kurz unterm Arsch schon aufhörten, und Tops, die noch nicht einmal die Titten komplett verdeckten. Das roch für mich irgendwie nach Hauptschule und diese Vermutung wurde noch mehr unterstützt, als ich mir die beiden Jungs ansah.
Da wurde mir auch klar, warum mein Blick an diesem Tisch hängen geblieben war. Einer von den beiden Jungs war Patrizio. Ich kannte ihn bisher nur im Trikot oder in Trainingsanzug. Mit Jeans, T-Shirt und gestylten Haaren hatte ich ihn noch nie gesehen und so wusste ich auch endlich, was es mit der blonden Strähne in seinen sonst pechschwarzen Haaren auf sich hatte. Wenn er sich die Haare mit Gel oder Wachs hochstylte, sah es so aus, als würde sich ein schmaler blonder Streifen durch seine ganze Frisur ziehen. Irgendwie interessant. Ich selber hatte mich nie getraut, große Experimente mit meinen Haaren zu machen. Ich benutzte zwar auch Wachs, weil ich einfach fand, dass ich so cooler aussah und Nadja schien meine Gesamterscheinung auch zu gefallen, aber über Farbe oder andere Spielchen hatte ich nie nachgedacht.
Auf der anderen Seite gefiel mir der Gedanke nicht so ganz, dass diese wichsende Nervensäge bei meinem halbwegs romantischen Date mit meiner neuen Freundin in Sichtweite saß, und deshalb sah ich unauffällig zurück in meine natürliche Blickrichtung.
Die Kippe im Porzellanaschenbecher glimmte noch etwas und die letzten Rauchschwaden kamen aus Nadjas Mund. Gleich danach lehnte sie sich zu mir rüber und ihre Lippen sagten mir, dass sie mich unbedingt küssen wollte.
Küsse mit der Geschmacksrichtung L&M extrastark waren zwar nicht unbedingt mein Fall, aber Küsse von meiner Nadja schon.
Unter dem Tisch wanderten ihre Finger langsam über meinen Oberschenkel und meine Finger kreuzten diese Finger. Wenn das so weiterging, konnte ich bald das Eis mit meinen Blicken zum Schmelzen bringen.
Die nette Kellnerin kam mit dem Tablett auf uns zugeeilt und platzierte die Eisbecher gekonnt vor uns auf dem Tisch - mein kleiner Becher mit zwei Kugeln Erdbeer und Nadjas Riesenmonstrum, das wohl so ziemlich alle der Welt bekannten Farben enthielt.
Heimlich machte es mir etwas Sorge, dass Nadja so viel in sich reinstopfen konnte. Noch war sie ein hübsches, schlankes Mädchen, aber mir war bewusst, dass sich so was in kurzer Zeit ins Gegenteil verkehren konnte.
Ich löffelte meinen Eisbecher betont langsam, um nicht zu lange vor Nadja damit fertig zu sein. Ich wollte ihr nicht das Gefühl von Hektik vermitteln, nicht bei unserem ersten Date.
Während ich das leicht kitzelnde Gefühl von schmelzendem Eis im Mund genoss, warf ich noch mal einen schielenden Blick in Richtung Patrizio.
Super, er war mit seinen Hauptschüler-Freunden beschäftigt und darüber hinaus hoffte ich, dass er mich aus seiner Perspektive überhaupt nicht richtig sehen konnte.
Zur Sicherheit sah ich noch mal rüber, was ich aber besser gelassen hätte, denn Patrizio sah genau zu mir. Ich konnte also nicht mehr so tun, als wär ich nicht da. Also winkte ich grüßend rüber, wartete aber nicht mal mehr seine Reaktion ab und wandte mich wieder angenehmen Dingen zu, wie dem Kuss von Nadja, der diesmal nach einer Mischung von Vanille, Stracciatella und irgendetwas Undefinierbarem schmeckte.
„Wer war das?"
Ich hatte zwar keinen Bock, diese Frage zu beantworten, aber dem süßen Blick von Nadja konnte ich doch keinen Wunsch verwehren.
„Einer ausm Verein. Ich kenn den kaum, der ist erst diese Saison aus der C-Jugend gekommen." Ich überlegte kurz, ob Nadjas Frage damit zur Genüge beantwortet war, aber mir fiel nichts über Patrizio ein, das noch von Bedeutung hätte sein können. Dass er einen großen Schwanz hatte und gerne unter der Dusche wichste, gehörte ja wohl kaum hier hin.
„Ach so. Ich glaub nächsten Samstag komm ich mal zu 'nem Spiel von euch."
„Mach das. Unterstützung können wir immer gebrauchen." Wenn es sich dabei um meine Freundin handelte, hatte ich selbstverständlich nichts gegen Frauen auf der Tribüne eines Fußballplatzes.
„Was habt ihr eigentlich für Trikotfarben?" Ich wusste zwar nicht, was für eine Bedeutung das hatte, aber solche Fragen entstanden wohl, wenn man Frauen mit Fußball konfrontierte.
„Dunkelblau oder weiß. Auswärts halt meistens weiß."
Ihr Blick verriet mir, dass sie durch den Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspielen schon überfordert war. Ich musste in diesem Moment in mich hineinlachen, als ich mir vorstellte, Nadja die Abseitsregel oder gar den Sinn einer Abseitsfalle erklären zu sollen. An den allgemein bekannten Vorurteilen über Frauen und Fußball fand ich persönlich immer wieder etwas Wahres.
„Ey, alles klar?" Eine Hand knallte mit mittlerer Geschwindigkeit auf meinen Rücken und blieb dort liegen. Vor Schreck ging mir ein größeres Stück Eis als ganzes den Hals runter und ließ mich ein paar Sekunden mit dem Schmerz kämpfen.
Patrizio stand seitlich neben mir und grinste. Meine Befürchtungen hatten sich also bewahrheitet.
„Ja." Ich hatte kurz nach einer coolen Reaktion gesucht, aber mir wollte einfach keine kommen.
Ich lehnte mich weit nach vorne, um irgendwie seine Hand abzuschütteln, die immer noch auf meiner Schulter klebte.
„Is' das deine Freundin?" Eigentlich hatte ihn das gar nicht zu interessieren und während ich noch ernsthaft überlegte, ob ich ihn überhaupt darüber in Kenntnis setzen sollte, hatte Nadja schon für mich geantwortet.
„Ja, bin ich. Und? 'n Problem damit?"
„Nö. Also, wir sehen uns morgen beim Training, hau rein."
Halbherzig klatschte ich seine Hand ab und sah zufrieden zu, wie er Leine zog - alleine. Seine drei Kumpels saßen immer noch an ihrem Tisch.
Er drehte sich noch ein paar Mal um und irgendwann schaute ich gar nicht mehr hin.
„Sorry, gibt halt komische Leute", entschuldigte ich mich bei Nadja für Patrizio.
Der Typ sollte ja nicht auf den Gedanken kommen, dass ich außerhalb des Fußballplatzes irgendwas mit ihm zu tun haben wollte. Er war sicher ein guter Fußballer, aber mehr interessierte mich nicht.
„Hauptschüler halt", stimmte sie mir zu.
Schon wieder küssten wir uns und spielten mit unseren Händen.
Später gingen wir dann noch einmal die Fußgängerzone auf und ab - Hand in Hand und ohne irgendeiner weiteren unangenehmen Person zu begegnen. Ich stand geduldig daneben, als Nadja sich scheinbar ziellos im Klamottenladen umsah und nahm sie nachher tröstend in den Arm, als sie nichts gefunden hatte.
Es war schon nach acht, als wir zurück an unseren Ausgangsort kamen. Die Terrasse vom Eiscafé war schon deutlich leerer und ein leichter und irgendwie angenehmer Abendwind kam auf.
Wir schlossen unsere Fahrräder auf und standen uns noch ein paar Augenblicke schweigend gegenüber.
„Hast du mich lieb?", fragte sie mich leise und mit einem leicht übertrieben lieb guckenden Blick.
Auch das war eine Frage, die meiner Meinung nach nur ein Mädchen stellen konnte, das sich in den meisten Fällen die Antwort eh selber denken konnte. Doch ich hatte mich ja entschlossen, Nadja jede noch so dumme Frage zu beantworten.
„Ja", sagte ich also und wir küssten uns lange und intensiv.
Nachdem Nadja und ich uns den ganzen Tag eindeutige Blicke zugeworfen hatten und ich sie in beiden Pausen zur Lungenschädigung begleitet hatte, dürfte jedem Mitschüler klar geworden sein, dass es ein neues Paar in der Klasse gab. Aus einigen Richtungen kamen Fragen, doch weder Nadja noch ich gaben irgendwelche Statements. Es war doch ganz allein unsere Sache, dass wir uns verliebt hatten und endlich zusammen gekommen waren.
Besonders penetrant war Marco. Selbst im Unterricht fragte er mich alle fünf Minuten, was denn jetzt mit mir und Nadja sei, immer etwas anders formuliert und immer ging die Diskussion auf die gleiche Weise aus.
„Ich sag niemandem was, verstanden?"
„Aber deinem allerbesten Freund?", kam es dann fast bettelnd.
„Nein."
„Naja gut, dann sagst du's mir heut Nachmittag."
Auch das hatte ich nicht vor. Nadja und ich hatten uns vorgenommen, unsere Beziehung erst mal ein paar Tage, vielleicht eine Woche, wachsen zu lassen, bevor wir in der Schule oder im Verein davon erzählen oder uns gegenseitig die Eltern vorstellen.
„So, jetzt erzähl doch endlich mal. Bist du jetzt mit der zusammen oder nicht?", fragte Marco wie erwartet, als ich vor dem Sportplatz stand und auf ihn und ein paar andere wartete und er mit seinem uralten Billigfahrrad angetuckert kam.
„Vielleicht." Damit hatte ich immerhin schon mehr gesagt, als in der Schule.
„Wenn es so sein sollte, wirst du es bald wissen, o.k.?" Ich hoffte, er würde sich damit irgendwie zufriedenstellen lassen.
„Das heißt, ihr seid zusammen, wollt aber erst mal gucken, ob es auch mit euch klappt und dann erzählt ihr überall rum, wie verliebt ihr seid, hab ich recht?"
Verdammt, er hatte alles kapiert. Er war nicht so dumm, wie er des Öfteren wirken konnte.
„Hi Leute!" Patrizio machte eine so starke Vollbremsung, dass das Hinterrad seines Mountainbikes kurz vom Boden abhob und er maximal zwanzig Zentimeter vor mir und Marco zum Stehen kam.
„Hi, Alter", begrüßte Marco ihn.
„Tag", sagte ich bewusst schnell und undeutlich, um ihm gar nicht erst das Gefühl zu geben, großes Interesse an einem Gespräch mit ihm zu haben.
„Na, wie geht's?" Er hatte den Subtext offensichtlich nicht verstanden, deswegen antwortete ich noch einmal in demselben Ton.
„Gut."
„Und deiner Freundin?" Bevor ich irgendetwas tun konnte - sei es Patrizio zu antworten oder ihm eins auf die Fresse zu hauen, mischte sich Marco überdurchschnittlich laut ein.
„Wie? Dem hast du's erzählt und mir nicht? Was soll das denn?"
Zu Patrizio gewandt sagte ich diesmal laut und deutlich:
„Auch gut, danke der Nachfrage."
„Komm", sagte ich danach etwas gedämpfter zu Marco und drückte ihn etwas zur Seite. Er ging mit mir langsam in Richtung Tor, während Patrizio da stehen blieb, wo er gestanden hatte.
„Ich hab diesem Spinner nichts erzählt", klärte ich Marco auf.
„Der Typ ist die absolute Nervensäge, der hat mich und Nadja gestern in der Stadt gesehen und uns angesprochen. Ich kann nichts dagegen machen, dass der hier im Verein ist, aber sobald ich vom Platz runter bin, will ich nichts mehr mit dem zu tun haben."
„Na, jetzt stifte mal keine Feindschaft im Verein", warnte Marco mich.
„Ja, mein Gott. Sei froh, dass der dich nicht so nervt."
Auf der Bank vor dem Eingang zu den Kabinen saßen Sven, Orhan und Chris, alle drei in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen eine Flasche Cola.
„Die optimale Vorbereitung...", meinte ich scherzhaft.
„Solang der Trainer das nicht mitkriegt...", erwiderte Chris.
„Willste auch eine?", fragte Orhan.
Ich schüttelte nur den Kopf. Die Frage war es mir irgendwie nicht wert, den Mund dafür aufzumachen.
„Ey, Jungs, Kippen weg!", kam es sehr energisch von hinten.