Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Schon seit einiger Zeit hat der sechzehnjährige David das Gefühl, dass seine Bezie-hung mit Lara, einem Mädchen aus seiner Klasse, ihn nicht mehr richtig glücklich machen kann. Zwar haben die beiden immer noch ein ausgefülltes Sexleben, doch aus Davids Sicht ist die Liebe abhanden gekommen.Ganz unverhofft kommt eine neue Liebe in Davids Leben, als er in der Schule den etwas jüngeren Henning kennenlernt, mit dem er sich schnell anfreundet.Zunächst merkt er gar nicht, wie seine Gefühle für Henning jeden Tag wachsen, doch als seine Beziehung mit Lara in die Brüche geht, muss er einsehen, dass er sich ver-liebt hat.Dieses Bekenntnis ist für David erst der Anfang eines harten Weges, auf dem mehr Fallen und Hindernisse auf ihn warten, als er je zu träumen gewagt hätte. Er wird von seiner Ex-Freundin gnadenlos verfolgt und es gipfelt in der Anschuldigung, er hätte sie vergewaltigt! Doch unerwartet kommt Hilfe.Eine ungewöhnliche Stalker Geschichte unter Jugendlichen!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 197
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Benjamin Wagner
Himmelstürmer Verlag
eBookMedia.biz
Copyright © Himmelstürmer Verlag
www.himmelstuermer.de
Originalausgabe, Frühjahr 2009
Coverfoto: (c) C.Schmidt / www.CSArt Photo.de
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de
eBook ISBN ePub: 978-3-942441-92-6
Hergestellt mit IGP:FLIP von Infogrid Pacific Pte. Ltd.
„Na, endlich mal wieder Bock auf Sex?“, fragte sie mich und schob langsam ihre linke Hand unter mein T-Shirt und machte sich mit ihrer rechten an meinen Boxershorts zu schaffen.
„Nein, heute nicht“, antwortete ich so unwirsch wie es irgendwie ging. Ich hatte keine Sekunde an Sex gedacht, als meine Freundin mich darum gebeten hatte, den Abend bei mir verbringen zu können. Erst wollte sie nur ein bisschen plaudern und Spaß haben, dann war ihr auf einmal nach kuscheln und jetzt das.
Als sie mich mit einem aufgesetzt verführerischen Blick ansah, schüttelte ich energisch den Kopf und als ihre Hände immer weiter wanderten, sah ich mich gezwungen, sie mit einer gewissen Kraft zur Seite zu schieben.
Natürlich ließ sie eine solche Abwehrhandlung nicht auf sich sitzen und setzte ebenfalls ungeahnte Kräfte ein, um wieder die Macht über mich und meinen Körper zu übernehmen.
Hatte ich doch tatsächlich gedacht, mich von ihr losreißen zu können, wie aus den Fängen eines Raubtieres, aber das war ein Irrtum.
Für einen Augenblick sah sie mich hilflos an. Aber das war sie nicht, denn sie atmete nur einmal tief durch und dann startete sie den nächsten Anschlag auf meinen Körper. Unversehens warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf mich, so dass ich rücklings auf das Sofa fiel.
Sie griff damit aber nicht nur meinen Körper an. Es war nicht nur so, dass ich im Nu völlig ausgeliefert unter ihr lag. Ich hatte das Gefühl, sie hätte vollends Besitz von mir ergriffen und mich zu einem Teil von ihr gemacht. Mit dieser Kraft, mit dieser Bestimmtheit, mit der sie gegen mich ankämpfte, hätte sie die Welt aus den Angeln heben können. Aber stattdessen konzentrierte sie sich nur auf mich. Ich war das Zentrum ihrer geballten Energie. Kein Wunder, dass sie es sogar in Windeseile schaffte, mir das T-Shirt auszuziehen und zur gleichen Sekunde selbst nicht viel mehr als ihren BH zu tragen.
Aber ich entschloss mich, den Kampf zu Ende zu kämpfen und wenn nötig, wie ein Held zu fallen.
Verzweifelt begann mein Verteidigungsschlag. Ich drehte mich zur Seite und versuchte mich aus ihren Fängen zu befreien, so wie jemand, der mit seinen allerletzten Kraftreserven gegen eine Giftschlange um sein Leben kämpft.
Doch als sie anfing, mit ihrer spitzen Zunge meine Brustwarzen abzulutschen, entschied ich zu kapitulieren. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich mich in einer solchen Situation fand.
Sie wollte Sex? Dann sollte sie ihn haben.
„Kannst mir ja einen blasen, wenn du so scharf auf mich bist.“
Den unterkühlten Ausdruck in meiner Stimme hatte ich inzwischen wirklich gut trainiert. Der war allerdings auch lebensnotwendig, um es mit solch einer Freundin wie meiner aushalten zu können.
„Dass du immer so unromantisch bist“, erhielt ich als Bestätigung.
Aber meine Freundin schien es tatsächlich nötig zu haben und keine zwei Sekunden später hatte sie mir die Boxershorts bis zur Kniekehle runtergezogen und machte sich daran, meinem völlig schlappen Schwanz auf die Sprünge zu helfen.
Tatsächlich schaffte sie es, dass sich bei mir da unten etwas regte. Sie war absolut in ihrem Element. Sie drückte sanft, aber dennoch mit einer bestimmenden Kraft meine Oberschenkel auseinander und tauchte mit ihrem Kopf in meinen tiefsten Intimbereich ein. Ich konnte zwar nicht guten Gewissens sagen, dass ich in diesen Momenten glücklich war, allerdings musste ich gestehen, dass es mir gefiel, mit welch einem Geschick sie mich befriedigte. Mein inzwischen stocksteifer Schwanz war völlig zwischen ihren Lippen versunken.
Ich hatte einiges an meiner Freundin auszusetzen, aber es gab etwas, das man ihr lassen musste. Sie konnte so gut blasen, dass sie mich immer wieder zum Staunen und Stöhnen brachte.
Ihre langen schwarzen Haare kitzelten mich am Bauch und zwischen den Beinen und machten alles nur noch erotischer. Ich spürte langsam aber sicher, wie sich bei mir der Orgasmus aufbaute.
Ich spannte alle Muskeln an, atmete schwer und genoss die zehn, vielleicht zwölf Sekunden dieses intensiven und wohltuenden Gefühls.
Dann ließ ich mich fallen, fühlte mich entspannt und frei von allen Sorgen.
Sie hatte es ein weiteres Mal geschafft, mir dieses Gefühl zu geben. Dafür liebte ich sie, auch wenn es das einzig Liebenswerte an ihr war. Hin und wieder hatte ich es einfach nötig, nicht von meiner eigenen Hand sexuell befriedigt zu werden
„Na, wie war ich?“, fragte sie provokant, als ob sie es geradezu als ihre Lebensaufgabe betrachten würde, mich glücklich zu machen. Ob sie das schaffte, sei mal dahingestellt, aber mich befriedigen - das konnte sie.
„War schon mal besser“, antwortete ich ihr mit soviel Gleichgültigkeit, wie ich irgendwie in meine Stimme bringen konnte. Sie sollte nicht den Eindruck kriegen, ich wäre in irgendeiner Weise auf ihre Künste angewiesen. Mit den richtigen Fantasien machte das Wichsen nämlich fast genau so viel Spaß.
Ich zog meine Boxershorts wieder dahin, wo sie hingehörte. Dann streifte ich mir das T-Shirt über und drehte ich mich zur Seite.
Meine Freundin Lara lag neben mir und umschlang mich mit ihren dünnen, aber starken Armen, was mir allerdings nicht das Gefühl von Geborgenheit und Wohlbefinden geben konnte, was man in einer solchen Situation erwarten könnte.
Der Sex mit ihr - was für eine Art von Sex es auch immer war - hatte mir immer gefallen. Allerdings war es nur der Sex und nicht das Vorspiel und das Kuscheln danach, auf das sie immer so scharf war, während es mir schlichtweg auf die Nerven ging. Vielleicht ist es irgendein genetischer Fehler, dass Mädchen nicht zur Sache kommen können.
Und oft genug hatte ich schon auf den Sex verzichtet, um mir das Drumherum zu sparen.
„Du darfst gehen“, sagte ich zu ihr. Ich war sexuell befriedigt, das bedeutete, dass ich sie nicht mehr brauchte.
„Schon? Ich dachte, ich könnte endlich mal wieder über Nacht bleiben.“ Dieser Hauch von Enttäuschung in ihrer Stimme fiel mir auf, hatte allerdings keinen Einfluss auf mich.
„Du weißt, dass meine Mutter das nicht gern hat. Wenn die nach Hause kommt, will sie ins Bett und sich nicht noch mit fremden Leuten im Haus rumplagen.“
Doch da hatte sie das passende Gegenargument parat. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wäre gar nicht so blöd, wie sie wirkt.
„Aber ich bin doch längst nicht mehr fremd. Ich gehör' doch fast schon zur Familie“, antwortete sie, während sie mir mit ihren ekelig langen Fingernägeln durch die Haare fuhr.
Das hätte die wohl gerne.
Bloß weil da zwei Teenager über ein Jahr zusammen waren, war das für niemanden ein Grund, Hochzeitspläne zu schmieden. Außerdem wollte ich überhaupt keine größere Familie als den Zwei-Personen-Haushalt von mir und meiner Mutter.
„Du hast so wunderschöne Haare“, hauchte sie mir ins Ohr. Ich hatte zwar ganz normale dunkelblonde Haare, die ich ab und zu mit Gel in eine etwas ansehnlichere Form brachte, aber für meine Freundin schien alles an mir wunderschön zu sein.
Auf der einen Seite schmeichelte mir das, auf der anderen nervte es mich. Ich brauchte meinen Freiraum, aber der war in ihrer Planung nicht vorgesehen.
Wie sie dann so neben mir lag, verstand sie irgendwann meine durchdringenden Blicke, stand auf, und fing an, sich anzuziehen. Ihre bewusst erotischen Bewegungen ignorierte ich. Allerdings fiel mir auf die Entfernung wieder auf, dass sie gar nicht mal so unattraktiv war. Sie hatte kräftiges, tiefschwarzes Haar und ein recht süßes Gesicht mit dezenter Schminke und Lippenstift. Sicher gab es einige Jungen, die mich um sie beneideten.
„Sehen wir uns am Montag in der Schule?“, fragte sie mich.
Was sollte diese bescheuerte Frage. Wir waren beide sechzehn und schulpflichtig.
Trotzdem musste ich angemessen darauf reagieren, so wie sie es von mir gewohnt war.
„Wenn du nicht vorher tot umkippst, dann gehe ich schwer davon aus.“
Sie kannte mich inzwischen gut genug, um zu wissen, wann es sinnvoller war, mich in Ruhe zu lassen und schätzte diesen Moment absolut richtig als solchen ein.
Ich begleitete sie zur Tür, wobei man dieses Begleiten genauso gut als Schubsen interpretieren könnte und verabschiedete mich von ihr.
„Schade, dass du nicht mal länger Zeit für deine geliebte Freundin hast.“
Aber auch diese gespielt vorwurfsvolle Stimme zog bei mir schon lang nicht mehr.
Ihre Intentionen, sich mit einem Kuss von mir zu verabschieden, erstickte ich im Keim und sobald sie auf der anderen Seite der Tür war, knallte ich diese zu und konnte endlich befreit aufatmen.
Halb elf.
Wenn meine Mutter am Wochenende Spätdienst hatte und danach noch mit ihren Kollegen auf ein bis drei alkoholische Getränke loszog, kam sie selten vor Mitternacht heim.
Sie wusste halt mit fast fünfzig immer noch das Leben zu genießen.
Ich machte den Kühlschrank auf, nahm die erste Bierflasche heraus, die mich anstarrte, öffnete sie an der Tischkante und begann zu trinken.
Nachdem ich mehr als den halben Abend mit meiner strapaziösen Freundin verbracht, oder, um es anders zu sagen, ihn einfach ‚weggeworfen' hatte, war ein kaltes Bier eine willkommene Abwechslung.
Nachdem ich vorsorglich eine weitere Bierflasche mitgenommen hatte, um nachher nicht noch mal aufstehen zu müssen, ließ ich mich im Wohnzimmer auf die Couch fallen. Ich lehnte mich ein Stück zur Seite, um die Kommode zu erreichen, aus der ich ein Feuerzeug und eine halb volle Schachtel Zigaretten fischte. Ich zündete mir eine an und von da an zog ich abwechselnd an der Zigarette und nahm einen Schluck Bier.
Nicht, dass meine Mutter nichts dagegen gehabt hätte, aber da sie selber fünfzig Zigaretten am Tag rauchte und gerne mal halb volle Schachteln und randvolle Aschenbecher im Haus rumliegen ließ und die geweißten Wohnzimmerwände ohne Probleme als gelb bezeichnet werden könnten, fiel es nicht auf, wenn ich ab und zu mal eine rauchte.
Und der Anzahl der vollen und leeren Bierflaschen schenkte meine Mutter ebenfalls keine Beachtung. Ich wusste nicht, ob es daran liegt, dass mein Vater, der meine Mutter vor acht Jahren wegen einer anderen Frau verließ, ein starker Biertrinker war, oder daran, dass sie selber nur Rotwein und harte Sachen trinkt.
So saß ich also da und nachdem ich das Fernsehprogramm mit ‚Läuft nichts' abgehakt hatte, fing ich an - wie ich es manchmal tat - über den Sinn meines Lebens zu philosophieren. Ich dachte über meine Freundin nach, wie wir zusammen gekommen waren und wie sich unser Verhältnis immer weiter verändert hatte.
Wir kannten uns schon seit der fünften Klasse, anfangs fanden wir uns gegenseitig einfach nur ‚doof' - so wie damals alle Jungs die Mädchen und umgekehrt.
Aber als wir dann älter wurden, haben wir uns immer mehr gemocht.
Erst hatten wir uns nur angefreundet, haben öfter zusammen etwas unternommen und seit der Klassenfahrt im neunten Schuljahr waren wir ein Paar. Ich habe sie am Anfang wirklich gern gehabt und ich mochte es, mit ihr zusammen zu sein. Aber mit der Zeit hat sich das geändert. Der Sex mit ihr war immer noch o.k., aber auch darauf hatte ich selten richtig Bock.
Täglich dachte ich daran, Schluss zu machen. Warum ich das noch nicht gemacht hatte, durfte man mich nicht fragen.
Am Montag sahen wir uns in der Schule wieder.
Wir gingen beide in dieselbe Klasse, in die zehnte. Lara war eine der Schlechtesten in der Klasse und so hegte ich insgeheim Hoffnungen, dass sie uns am Ende des Schuljahres verlassen würde.
Sie und Abitur - absurdere Vorstellungen hatte ich selten.
„Huhu! Hier bin ich“, rief sie mir vom Eingang her quer über den Schulhof zu, als ich am Morgen eine Minute vor acht am Außentor ankam. Als ob ich sie gesucht hätte.
„Schön für dich!“, rief ich auf halber Strecke zurück. Bloß weil ich auf sie zuging, hieß das noch lange nicht, dass ich was von ihr wollte. Ich musste nun mal irgendwie ins Gebäude reinkommen.
Zehn Meter bevor ich bei ihr und ihren ausgebreiteten Armen, die bei mir plötzlich die Assoziation ‚Tintenfisch' aufkommen ließen, ankam, zwang mich jemand abrupt, stehen zu bleiben.
Ein Junge, der es offenbar um ein Wesentliches eiliger hatte als ich, ins Schulgebäude zu kommen, kreuzte rennend meinen Weg.
„Sorry!“, rief er zurück und drehte sich kurz um. Er war vielleicht ein halben Kopf kleiner als ich.
Ich wusste nicht warum, doch meine Augen verfolgten ihn. Ich sah ihn mir genau an, bis er hinter der Eingangstür verschwunden war.
Obwohl es erst Frühling war, hatte er eine frische, sommerliche Gesichtsfarbe mit einigen winzigen Sommersprossen um die Nase, so als sei er viel an der Sonne gewesen. Ich bemerkte seine hellblauen Augen und goldblonden Haare, die er sich lässig in die Stirn gekämmt hatte. Irgendwie wirkte er sehr sympathisch auf mich. Ich hatte ihn zwar schon hin und wieder mal auf dem Schulhof gesehen, aber so aufgefallen war er mir noch nie, dass ich sogar seine Augenfarbe registrierte.
Ich sah ihm noch kurz hinterher, als er ins Schulgebäude lief und ging dann auf meine Freundin zu.
„Kommst du heute noch, oder muss ich dich bei der Gerling entschuldigen?“
Laras Art mich zu ermahnen, gefiel mir fast nie.
Die Gerling war unsere Deutsch- und Klassenlehrerin. Sie gehörte zu den Lehrern, mit denen man klarkommen konnte, wenn man ein paar essentielle Regeln befolgte.
Das bedeutete, dass man zu tun hatte, was sie von einem verlangte, dass man es sich nicht leisten konnte, mehr als null mal die Hausaufgaben zu vergessen und dass man ihre Gebrechen jederzeit zu ignorieren hatte. Sie war fast sechzig, hatte ein künstliches Knie und Bandscheibenprobleme, wodurch öfter eine allzu witzig aussehende Gangart entstand.
Im Klassenzimmer saßen ich und Lara nebeneinander. Wir waren eins von nur zwei Paaren innerhalb der Klasse. Das andere Paar war mein bester Freund Lukas und Laras allerbeste Freundin Christin.
Unter dieser Konstellation hatte ich zu leiden. So entstand nämlich eine Art Viererclique, die ich mehr nervend als nützlich fand.
Was hatte ich denn davon, ein, zwei, drei Mal die Woche irgendwelche ach so lustigen Unternehmungen zu machen, mal Shoppen, mal Eis essen gehen, mal Filme gucken, mal Disko?
Also bitte, wenn ich Klamotten brauche, dann lass ich mir von meiner Mutter hundert Euro geben und komm mit einer neuen Jeans und drei T-Shirts wieder nach Hause. Wenn ich ein Eis essen will, hol ich mir eins aus'm Kühlschrank. Filme gucken kann ich besser ohne Mädels, die einen ständig von der Seite anquatschen, weil sie dies nicht und das nicht verstanden haben. Und wenn ich mich besaufen will, hol ich mir 'ne Flasche Schnaps.
Für all das brauchte ich weder Lukas, den ich persönlich für einen der geistesschwächsten Menschen der Welt halte, noch seine Christin, die - sobald in der dritten Person von ihr gesprochen wurde - überall immer nur „die Schlampe“ war. Lukas war ihr fünfter Freund in zwei Jahren. Es hatte mich immer gewundert, dass die beiden es solange miteinander aushielten.
Die Deutschstunde unterschied sich von allen zuvor erlebten Deutschstunden insofern nicht, da sie genau so langweilig war.
Ich erwähnte ja schon, dass es möglich war, mit unserer Frau Gerling zurecht zu kommen. Dass ich zu den Schülern gehörte, mit denen sie am wenigsten klarkam, hatte ich wohl noch verschwiegen.
„Träumst du?“, fragte Lara mich von der Seite. Nicht, dass sie selber furchtbar am Unterricht interessiert war, sie war einfach nur zu blöd, abzuschalten, die dumme Kuh da vorne labern zu lassen und in Gedanken an wesentlich angenehmeren Orten zu sein.
„Selbst wenn, von dir bestimmt nicht.“
Eine bessere Antwort hatte ich einfach nicht parat. Es hätte sich doch schon mehr als eigenartig angehört, wenn ich ihr gesagt hätte, dass meine Gedanken für wenige Sekunden bei diesem Jungen waren, der mich vor dem Eingang beinahe über den Haufen gerannt hätte. Ich fragte mich, wie er wohl heißen würde und in welcher Klasse er sei.
Er war etwas jünger als ich, also war er vielleicht in der neunten oder in der achten.
Das war mal wieder ein Beispiel dafür, auf was für sinnlose Gedanken man kommt, wenn man unter quälender Langeweile leidet.
Was hatte ich denn bitte schön mit diesem Jungen zu tun?
„David!“
Obwohl ich in der Klasse der Einzige war, der diesen Namen trug, war ich in Gedanken gerade zu weit weg, als dass ich sofort auf das Ansprechen meiner Lehrerin hätte reagieren können.
„Entschuldigen Sie. Er war gerade im Traumland.“
Ich hätte Lara die Fresse einschlagen können, entschied mich aber, es mit der Strafe für diesen dämlichen Kommentar bei einem kräftigen Tritt vors Schienbein zu belassen. Das konnte man unauffällig unter dem Tisch durchführen und ohne die gespielte Gereiztheit der Lehrerin in eine echte umzuwandeln.
„David, wenn du nicht in der Lage bist, meinem Unterricht zu folgen, müssen wir überlegen, wie wir dein Verhalten ändern können. Kommst du nach der Stunde zu einem Gespräch zu mir?“
Dass dieser Satz als Frage verkleidet war, hieß natürlich nicht gleich, dass man Auswahlmöglichkeiten zur Antwort gehabt hätte. Ich nickte nur, lehnte mich zurück und hatte die Stunde bereits um Viertel nach acht abgehakt.
Lukas versuchte ich mit Blicken zu sagen: ‚Hör auf so blöd zu grinsen!'
Aber meine Blicke zu verstehen, dazu war er nicht fähig.
„David, wenn du dir keine Mühe gibst, in meinem Unterricht mitzuarbeiten, dann sehe ich deine Versetzung gefährdet.“
Und wenn schon, hätte ich am liebsten gesagt. Aber ich war klug genug, das sein zu lassen.
Mir war sowieso schon der ganze Schultag versaut.
Ich hatte diesen komischen Typen im Kopf, meine Freundin nervte mich und mit meiner Klassenlehrerin hatte ich es mir ein weiteres Mal verscherzt.
Das war Grund genug, mich nach der vierten Stunde abzusetzen. Montags hatten wir eh nur fünf Stunden und die fünfte auch nur Biologie bei irgendeiner Referendarin, deren Name ich mir mal zu merken versucht hatte.
Also kein Anreiz für mich, länger da zu bleiben. Diese Woche hatte meine Mutter Frühschicht, also hatte ich bis zwei Uhr Ruhe vor ihr. Sie arbeitet übrigens bei der Polizei.
Ich stand an der Bushaltestelle, so dass mich niemand vom Schulgelände aus sehen konnte. Beim Schwänzen erwischt zu werden macht immer einen schlechten Eindruck.
Ich steckte mir eine Zigarette an und wartete auf den Bus.
Ich dachte an nichts Böses mehr, bis ich auf einmal jemanden um die Ecke kommen sah, mit dem ich in diesem Moment nicht gerechnet hätte. Es war der Junge vom Morgen. Zu allem Überfluss stellte er sich auch noch neben mich an die Bushaltestelle.
„Hi“, sagte er.
„Hallo. Schule schon vorbei?“
„Nö“, sagte er. „Keinen Bock mehr.“
Mensch, der hat sogar was mit mir gemeinsam.
„Geht mir genauso“, meinte ich.
Er sah mich an, ob fragend oder zustimmend, wusste ich nicht.
„Machst du das öfters?“, fragte er mich.
„Nur wenn ich 'nen Grund habe.“
Dann wollte er natürlich wissen:
„Was ist denn heute dein Grund?“
„War halt 'n Scheiß Tag. Meine blöde Freundin nervt, hab mal wieder Stress mit meiner Klassenlehrerin und ... ja, das war's.“
Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich ihn seit dem Morgen nicht mehr aus dem Kopf kriegte und nicht wusste, warum.
„In welcher Klasse bist du denn?“
Will der mich jetzt interviewen, oder was?
„In der zehnten. Und du?“
„Achte.“
„In der Achten fängt man schon an, mit Schule schwänzen?“ Das interessierte mich wirklich. Ich hatte erst am Ende der Neunten damit angefangen und es ist immer die Ausnahme geblieben. Es waren insgesamt vielleicht fünf Stunden im Monat.
„Naja, wenn man 'nen Grund hat.“
„Was ist denn dein Grund?“
„Ich will so 'nem Scheiß Vokabeltest entgehen. Latein. Ich hab' nichts gelernt.“
Gut, das ist 'n Grund.
Zum Glück kam mein Bus. Natürlich hätte ich mich noch gerne weiter mit ihm unterhalten, aber ich hatte Sorgen, dass mir die Themen ausgehen und er 'nen schlechten Eindruck von mir kriegen würde. Er wirkte genauso sympathisch auf mich wie am Morgen. Nicht nur, dass er richtig gut aussah, er hatte auch eine angenehme, liebenswerte Stimme.
Ich verabschiedete mich von ihm.
„Ich fahr' mit der anderen Linie. Also, man sieht sich.“
„Alles klar, tschüss.“
Ich stieg in den Bus und drehte mich noch einmal zu ihm um.
Hatte er mir zugezwinkert?
Entweder leide ich unter Wahnvorstellungen oder dieser Junge ist richtig süß. Wahrscheinlich beides.
„Schule schon aus?“
Kaum hatte ich zu Hause die Tür aufgeschlossen, traf mich der Schlag.
Silke, meine Mutter, stand vor mir - so wie ich sie kenne und liebe: Zigarette in der Hand, hektischer Gesichtsausdruck und gerade dabei, aus einem Stapel Akten etwas herauszusuchen.
„Ja, die fünfte ist ausgefallen.“
Silke gehörte nicht zu den übereifrigen Müttern, die sich mit einem solchen Hinweis nicht zufrieden gegeben hätten.
„Ich bin dann auch gleich wieder weg.“
Damit hatte ich auch gerechnet.
„Ich such nur kurz .... Ich hatte doch irgendwo ...“
Irgendwann hatte sie dann aus dem gigantischen Stapel Akten die gesuchte herausgefischt.
„Bin schon wieder weg. Heute Nachmittag bin ich ja da.“
„Schön.“
Was hätte ich sonst sagen sollen?
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und machte den Fernseher an.
Es war gerade zwölf und das war ja im Allgemeinen die Zeit am Tag, wo sich das Fernsehprogramm auf dem untersten Niveau bewegt. Ich glaube, dass genau die Sorte Mensch, die in gewissen Talkshows zu sehen ist, zu dieser Zeit vor dem Fernseher sitzt und nichts anderes tut, als sich wiederzuerkennen.
Nachdem ich mich mal wieder davon überzeugt hatte, schaltete ich den Fernseher wieder aus und machte nichts.
Also nicht wirklich nichts. Ich lag auf meinem Bett, starrte die Decke an und überlegte.
Das blöde daran war nur, dass ich schon wieder an diesen Jungen dachte.
Ich wusste immer noch nicht, wie er heißt und zum ersten Mal seit langem freute ich mich, am nächsten Tag wieder in die Schule zu gehen, und das nur, um ihn wiedersehen zu können.
Letztendlich lief es darauf hinaus, dass ich die paar Stunden, die mir bis zur Rückkehr meiner Mutter noch blieben, damit verbrachte, an ihn zu denken, bis ich dann irgendwann so wie ich auf meinem Bett lag, einschlief und von ihm träumte.
Ich träumte, wie wir uns begegneten.
Es war ein warmer Sommertag. Die Sonne schien und überall blühten die schönsten Blumen.
Ich stand im Park hinter unserer Schule. Ich stand mitten auf der Wiese und sah in die Ferne, ohne irgendeinen Menschen erkennen zu können.
Doch dann spürte ich eine Hand, die sich sanft von hinten auf meine Schulter legte. Ich drehte mich um und sah diesen Jungen. Er lächelte mich an und seine blauen Augen strahlten wie der Himmel.
Seine Hand streichelte sanft über meine Wange.
„Hi, David, schön dich zu sehen“, flüsterte er mir ins Ohr.
„Hi“, antwortete ich. Selbst im Traum fiel mir nichts Besseres ein.
Er griff sanft nach meiner Hand und ging mit mir ein Stück über die Wiese.
„Komm, setz dich“, hauchte er mir mit einer verführerischen Stimme ins Ohr. Wir standen neben einer kleinen Bank am Rande der Wiese und ich setzte mich. Er folgte mir und setzte sich direkt neben mich, wobei er sich an mich kuschelte.