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Acht Romantic Ann Murdoch Thriller: Geschichten um Liebe und Grauen E-Book

Ann Murdoch

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Beschreibung

Der Umfang dieses Buchs entspricht 815 Taschenbuchseiten.

Das Buch enthält folgende acht Romane:

Vampire in der Botschaft

Der Schatz im Gewölbe

Das Geheimnis des Pharaonengrabs

Sieben Siegel bis zum Tod

Sprechende Steine

Erscheinungen aus dem Totenreich

Ein uralter Bannfluch

Ein Deal mit dem Teufel

Steve Huntly, Jurist und Botschafter in Rumänien, bittet seinen Freund Sir Thomas Harding, ordentlicher Professor für Psychologie und nebenbei Parapsychologe, ihn dringend in Rumänien zu besuchen, denn in der Botschaft soll es zu mysteriösen Vorfällen gekommen sein, die mit Vampiren zu tun haben.

Die Reporterin Helen Jefferson, die der Sache sehr misstrauisch gegenübersteht, begleitet Sir Thomas. Dort erleben beide, wie Steve in der Nacht angegriffen wird ...

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Ann Murdoch

Acht Romantic Ann Murdoch Thriller: Geschichten um Liebe und Grauen

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Acht Romantic Ann Murdoch Thriller

Der Umfang dieses Buchs entspricht 815 Taschenbuchseiten.

 

Das Buch enthält folgende acht Romane:

Vampire in der Botschaft

Der Schatz im Gewölbe

Das Geheimnis des Pharaonengrabs

Sieben Siegel bis zum Tod

Sprechende Steine

Erscheinungen aus dem Totenreich

Ein uralter Bannfluch

Ein Deal mit dem Teufel

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Vampire in der Botschaft

von Ann Murdoch

Steve Huntly, Jurist und Botschafter in Rumänien, bittet seinen Freund Sir Thomas Harding, ordentlicher Professor für Psychologie und nebenbei Parapsychologe, ihn dringend in Rumänien zu besuchen, denn in der Botschaft soll es zu mysteriösen Vorfällen gekommen sein, die mit Vampiren zu tun haben.  

Prolog

1

In ganz London nieselte es. Das Wetter legte sich auf die Stimmung der Bewohner, verstärkte Spannungen machten die Menschen depressiv und gereizt. Aus harmlosen Neckereien wurden Streitigkeiten, aus schlechten Meldungen Katastrophen ungeheuren Ausmaßes. Auch Sir Thomas Harding, ordentlicher Professor für Psychologie und nebenbei Parapsychologe, nahm sich von dieser allgemeinen Wetterfühligkeit nicht aus, auch ihm ging das trübe Wetter empfindlich auf die Stimmung, was sich noch dadurch verstärkte, dass seine Studenten äußerst unkonzentriert wirkten.

Etwas missmutig fuhr er nach der Vorlesung nach Hause, wo ihn ein Brief seines Studienkollegen Steve Huntly erwartete. Das zumindest war eigentlich eine gute Nachricht, denn Steves Briefe waren stets hochinteressant und aufschlussreich.

Der brillante Jurist hatte rasch Karriere gemacht und war mittlerweile Botschafter an einem der Brennpunkte der Weltpolitik, zumindest war es einer der Brennpunkte gewesen, bis vor kurzer Zeit, nämlich in Rumänien.

Die britische Regierung hatte den intelligenten Mann in die richtige Position gestellt, denn sein Fachwissen und die Jurisprudenz, gepaart mit einem nicht zu weichen Herzen und viel Verstand, wurde hier mehr als gefordert. Er leitete dieses Amt sehr feinfühlig und doch überaus sicher. Er schrieb Sir Thomas regelmäßig über Dinge, die nicht der Geheimhaltung unterlagen, und Harding genoss diese Briefe aus einer für ihn manchmal völlig unverständlichen Welt. Huntly schilderte Menschen und ihre Ansichten, Geschehnisse und Begebenheiten mit solcher Ausdruckskraft, dass Harding schon häufig gedacht hatte, dass an dem Freund ein begnadeter Schriftsteller verlorengegangen sei. Aber vielleicht war es ja noch nicht zu spät, viele Menschen begannen erst im Alter zu schreiben.

Dieser Brief zumindest war ein Lichtblick an diesem sonst so trüben Tag, und Harding riss ihn hocherfreut auf.

Es war, wie fast immer, ein sehr langes Schreiben, aber der interessanteste Teil befand sich diesmal am Schluss. Auf den letzten beiden Seiten schilderte Huntly einen Fall, der die Botschaft unmittelbar anging und doch nicht geheim war, im Gegenteil, Huntly fragte sogar an, ob er, Harding, sofort kommen könnte.

Das verwunderte den Wissenschaftler. Bei der Dringlichkeit des Falles hätte er angenommen, dass Steve ein Telegramm schicken würde.

Aber dann entdeckte er, was ihm vorher entgangen war. Der Brief war mit der offiziellen Botschaftspost mit einem Kurier gekommen. Harding überlegte nun nicht mehr lange. Er führte einige Telefongespräche, von denen eines weniger erfreulich war, und dann glitt ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht, und er griff noch einmal zum Telefon.

Es dauerte einige Zeit, bis sich am anderen Ende der Leitung jemand meldete.

»Helen, ich erwarte Sie in einer halben Stunde hier«, sagte er nach kurzer Begrüßung.

»Heute?«, fragte die Frau am anderen Ende der Leitung entsetzt. »Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich habe heute Hausputz, und hier sieht es aus, als hätte gerade eine Bombe eingeschlagen. Verschieben wir das Ganze auf morgen? Ich nehme doch an, dass Sie eine Partie Schach mit mir spielen wollen?«

»Das und einiges mehr«, erwiderte er. »Und ein Nein lasse ich heute sowieso nicht gelten. Außerdem, wer macht bei solchem Wetter schon Hausputz? Ist das nicht schon deprimierend genug? Und ich habe Neuigkeiten, die Sie bestimmt interessieren werden.«

»Meine Neugier ist eigentlich für diesenTag gestillt«, gab sie unwillig zurück. »Und ...«

»O nein, müssen Sie unbedingt mit mir diskutieren, wenn ich Ihnen sage, es ist wichtig? Werfen Sie Ihren Besen in die Ecke, und kommen Sie sofort her!«

»Ich glaube es ja nicht«, fauchte Helen. »Ich bin keine Ihrer willenlosen Untergebenen, und außerdem steht mir heute Abend noch ein langweiliges Eishockeyspiel bevor, mit dem Genuss des besten Hotdogs von ganz London. Die Einlösung eines Versprechens, Sie erinnern sich?«

Er musste unwillkürlich lächeln. Helen hatte ihren Kollegen bei einem Abenteuer dazu gebracht, in London Recherchen anzustellen, und dafür musste sie nun eine Einladung seinerseits annehmen. Das war alles bei ihrem letzten gemeinsamen Fall gewesen, und eigentlich hatte Harding die Sache bereits ad acta gelegt. Er bedauerte Helen ein wenig, aber er konnte ihr zumindest in diesem Punkt helfen.

»Wenn ich dafür sorge, dass Dennis Sie an diesem Abend nicht vermisst, sind Sie dann bereit, in einer halben Stunde hier zu sein?«, fragte er fast gottergeben.

»Das ist eine gemeine, hinterlistige Erpressung«, erwiderte Helen. »Aber die beste, die ich heute gehört habe. Ich bin unterwegs.«

Sir Thomas lachte kurz auf. Er kannte seine mittlerweile sehr gute Freundin und Schachpartnerin Helen Jefferson recht genau. Die Frau arbeitete als Journalistin beim Weekly Mirror, und sie hatten sich anlässlich von Hardings Erhebung in den Adelsstand kennengelernt. Bereits damals hatten sie zusammen ein haarsträubendes Abenteuer erlebt, denn sie beide schienen mysteriöse Fälle anzuziehen, wie das Licht die Motten. Und dieser Fall, den Huntly seinem Freund geschildert hatte, schien ebenfalls mehr als mysteriös zu sein. Er war einfach unglaublich. Und hier war eindeutig Hardings Können und Wissen gefragt. Da er Helen allerdings als Frau mit einem überaus klugen Verstand kennen und schätzen gelernt hatte, die außerdem in der Lage war, ungewöhnliche Ereignisse anschließend in ansprechender Form für die Zeitung aufzubereiten, wollte er sie gern dabei haben. Nur wusste Helen noch nichts von ihrem Glück.

2

Die Frau, an die Harding gerade dachte, legte den Hörer auf, fuhr sich mit den Händen durch das kurz geschnittene braune Haar, in dem sich bereits die ersten grauen Fäden zeigten, die Helen jedoch eher interessant als älter erscheinen ließen. Sie betrachtete das Chaos, in dem sie sich jetzt eigentlich putzenderweise abreagieren wollte und musste. Hochgestellte Stühle, aufgerollte Teppiche und was alles sonst noch dazugehörte. Aufseufzend stellte sie den Staubsauger beiseite, ließ alles andere so, wie es war, griff nach ihrer Handtasche und suchte den Autoschlüssel. Irgendwie freute sie sich doch auf das Schachspiel mit Harding. Er war ein sehr starker Spieler, und sie musste regelmäßig all ihre Kunst aufwenden, um ihn zumindest ab und zu auch mal zu schlagen oder wenigstens ein Remis zu erreichen.

Aber sein Anruf hatte auch ziemlich dringlich geklungen. War etwas vorgefallen, oder, der Himmel mochte es verhüten, handelte es sich gar wieder um eine mysteriöse Angelegenheit?

Diesmal, so schwor sie sich, würde sie sich in gar nichts hineinziehen lassen. Bisher war jeder Fall, an dem sie sich zusammen mit Harding versucht hatte, zu einem fast tödlichen Fiasko geworden.

Helen war weder schreckhaft noch ängstlich, sie stand fest mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen, was auch kein Wunder war, wenn man bedachte, dass sie sich nach ihrer Scheidung ein völlig neues Leben hatte aufbauen müssen. Die attraktive Achtunddreißigjährige hätte es möglicherweise leichter haben können, aber sie hatte zurückgegriffen auf ihre frühere journalistische Ausbildung und hatte beim Weekly Mirror angefangen. Sie kämpfte sich durch die Schwierigkeiten, die ihr Chefredakteur ihr häufig machte, hindurch, lehnte gewisse Angebote einiger Kollegen diplomatisch, aber bestimmt ab und gestaltete sich ihr Leben so, wie sie es haben wollte. Sie hatte wieder Spaß am Leben gefunden, und wären da nicht die gelegentlichen Ausflüge in gefahrvolle Abenteuer gewesen, hätte sie zufrieden sein können.

Nun fuhr sie aber auf den Straßen Londons zu Professor Thomas Harding, den sie schätzte, mit dem sie gern stritt und dem sie jetzt im Augenblick doch nicht über den Weg traute. Was konnte denn so wichtig sein, dass er kein Nein von ihr akzeptierte?

Mit vorsichtigem Misstrauen stellte sie den Wagen ab und läutete. Jenkins, der Butler, schien sie erwartet zu haben, denn die Tür wurde unglaublich schnell geöffnet.

»Guten Abend, Madam«, begrüßte er die ihm mittlerweile schon sehr vertraute Gestalt.

»Jenkins, was will Sir Thomas eigentlich von mir?«, fragte Helen nach der Begrüßung.

»Ich nehme an, Schach spielen, Madam«, erwiderte der Butler, der die Frau sehr wohl schätzte.

Helen zog eine Grimasse.

»Sie wissen mehr, als Sie sagen. Das ist nicht fair.«

Ein flüchtiges Lächeln flog über das sonst äußerst beherrschte Gesicht des Mannes.

»Sir Thomas erwartet Sie«, wich er einer Antwort aus.

Er führte die Besucherin in die Bibliothek, die Helen immer wieder entzückte. Ringsum an den hohen Wänden befanden sich gut gefüllte Regale, in einem offenen Kamin brannte ein Feuer, und auf dem Schachtisch, nahe beim Kamin, war bereits das Spiel aufgebaut.

Sir Thomas saß in einem der bequemen Sessel, die unvermeidliche Pfeife im Mundwinkel, und schaute ihr fast ungeduldig entgegen. Dieser Blick ließ alle Alarmglocken in Helen schrillen. Das bedeutete höchste Gefahr. Nicht zum ersten Mal hatten sie beim Schachspiel regelrechte Duelle miteinander ausgefochten.

»Sie kommen spät, Helen«, sagte Harding zur Begrüßung.

»Zu viel Verkehr um diese Zeit«, gab sie etwas schnippisch zurück.

»Weiß beginnt«, eröffnete er ohne ein weiteres Wort das Spiel, und Helen setzte einen Bauern zwei Felder voran.

Wenige Minuten später hatte Jenkins ihr einen Kaffee und Kekse gebracht. Harding hatte dagegen ein Glas seines geliebten Maltwhiskys auf dem Beisteiltischchen stehen, und beide waren ins Spiel vertieft.

»Ich bekam heute einen Brief aus Bukarest«, sagte Harding irgendwann ganz nebenbei.

»Wie schön für Sie«, gab Helen trocken zurück.

»Wie schön für uns«, korrigierte er sie sanft.

»Für uns?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, aber eindeutig misstrauisch zurück.

»Wir fliegen morgen früh«, erklärte er wie selbstverständlich.

Helen fuhr auf, ihre Augen blitzten, ihre Miene drückte eindeutige Abwehr aus, und ihre Hände streckten sich abwehrend aus, so als wollte sie eine unbekannte Gefahr von sich abhalten.

»Sie fliegen vielleicht«, sagte sie deutlich, aber beherrscht. »Ich für mein Teil bleibe hier.«

Er lächelte eigentümlich.

»Mr. Brody, ihr Redakteur, ist bereits informiert. Er heißt die Geschichte gut. Helen, wir sind einer heißen Sache auf der Spur.«

Er nahm den Brief seines Freundes Huntly aus der Brusttasche seines Jacketts und gab ihr die letzten Blätter.

»Lesen Sie, dann wollen wir unser Spiel beenden, und Sie fahren nach Hause, um zu packen. Ich hole Sie morgen früh ab.«

Helen war völlig überrumpelt von der Selbstverständlichkeit, mit der Harding einfach über ihren Kopf hinweg bestimmte. Dennoch griff sie wie in Trance nach dem Brief und begann zu lesen.

Der eigentliche Anlass für diesen Brief, las Helen erstaunt, ist aber folgender: Vor drei Tagen kam ein Mann in die Botschaft, der ausgesprochen gehetzt wirkte. Er flehte uns an, ihm Asyl zu gewähren, und zwar nicht politisches, sondern menschliches Asyl. Nun wirst du dir sicher vorstellen können, dass das meine Möglichkeiten weit übersteigt, denn allein schon, um die diplomatischen Beziehungen nicht zu beeinträchtigen, kann ich solche Entscheidungen gar nicht fällen. Aber bisher haben wir häufig durch geschickte Intervention für einzelne Bürger etwas erreichen können. Dieser Mann erschien mir aber als etwas Besonderes, etwas Eigentümliches. Nachdem der erste Botschaftssekretär ihm eine abschlägige Antwort beschieden hatte, erzählte er plötzlich eine wilde Geschichte über Vampire und Verfolgung. Harry war der Meinung, der Mann gehörte wohl eher in eine Anstalt als in eine Botschaft, und griff nach dem Telefon, um die Wachen zu informieren, dass sie diesen Mann wegbringen sollten. Aber der rastete in diesem Moment völlig aus. Er warf sich auf den armen Harry und versuchte ihn in den Hals zu beißen. Ich kam rein zufällig dazu und erschrak bis ins Innerste, denn der Mann sah jetzt furchterregend aus. Außerdem entwickelte er Bärenkräfte, und es bedurfte der vereinten Anstrengungen dreier Wachen, um ihn einigermaßen zu beruhigen und in Schach zu halten. Dieser Vorfall versetzte mich derart in Schrecken, dass ich anordnete, ihn nicht den rumänischen Behörden auszuliefern, sondern ihn in einer Zelle im Keller der Botschaft einzusperren. Es ist etwas Seltsames an ihm, das mich hindert, ihn einfach abzuschieben.

Ich wäre dir nun sehr verbunden, wenn du dich schnellstens auf den Weg machen könntest, um hierherzukommen und den Fall zu klären. Denn seit dieser Mann hier ist, häufen sich auch die unerklärlichen Vorfälle. Im Augenblick bist du der einzige, dem ich wirklich noch vertraue.

Helen hatte den Brief einigermaßen fassungslos gelesen. Nun ließ sie das letzte Blatt sinken, und ihr Blick drückte Abwehr und größtes Misstrauen aus.

»Was habe ich denn in der Geschichte zu suchen? Mit Vampiren will ich nichts zu tun haben. Ich gehe sowieso regelmäßig zur Blutspende.«

»Werden Sie jetzt nicht sarkastisch«, mahnte Harding. »Steve ist ein äußerst rational denkender Mensch. Er würde nie eine wilde Geschichte in die Welt setzen, und schon gar keine solche.«

»Ich werde auf gar keinen Fall mitkommen«, wiederholte Helen mit deutlicher Betonung.

»Machen Sie doch keine Geschichten. Ihr Redakteur hat Sie damit beauftragt. Es ist eine dienstliche Anweisung.«

»Davon weiß ich nichts. Und außerdem muss ich schließlich nicht jeden Auftrag annehmen.«

»Sie haben Angst, stimmt’s?«, wollte er wissen.

»Natürlich«, gab sie unumwunden zu. »Nach allem, was ich bisher mit Ihnen erlebt habe, werde ich um jedes Abenteuer mit Ihnen, und wenn es nur eine kurze Fahrt in die Stadt ist, einen großen Bogen machen.«

Sir Thomas lachte amüsiert auf. Ihm schien es großen Spaß zu machen, wie Helen sich sträubte. Er war sich seiner Sache völlig sicher.

Sie setzte nun ihre Dame auf dem Spielbrett.

»Schach«, bot sie, und Harding blickte einige Minuten sinnierend auf das Spielbrett, dann warf er seinen König um.

»Ich gebe auf«, erklärte er. »Und Sie fahren jetzt packen und noch etwas schlafen.«

Helen zog eine Grimasse.

»Sie sind ein ...«

»... arroganter, selbstherrlicher Widerling«, assistierte er ihr schmunzelnd. »Habe ich etwas ausgelassen bei der Aufzählung?«

»Nicht ganz so krass, aber es kommt der Wahrheit ziemlich nahe«, kommentierte sie. »Und ich weiß wirklich nicht, was ich verbrochen habe, dass ich mit Ihnen so gestraft bin.«

»Weil sonst Ihr Leben eintönig und langweilig wäre«, grinste er.

»Über die Langeweile würde ich gern selbst bestimmen«, fauchte sie. »Vielleicht würde es mir ja schon reichen, ins Kino zu gehen und einen Gruselfilm anzuschauen.«

»Ohne selbst dabei mitzumischen? Das ist dann wirklich Langeweile. Und nun seien Sie ein braves Mädchen und fahren heim.«

3

Steve Huntly selbst holte seine Gäste am Flughafen ab. Er geleitete sie im Schutz diplomatischer Immunität sicher bis zum Botschaftsfahrzeug. Erst hier begrüßten sich die beiden Männer aufs Herzlichste.

Huntly war fünfundvierzig Jahre alt, hatte leuchtend blondes Haar, ebenso leuchtend blaue Augen und ein schmales, gut geschnittenes Gesicht. Seine Bewegungen waren sparsam und beherrscht, und doch strahlte er eine unglaubliche Energie aus.

Helen war auf den ersten Blick fasziniert von diesem Mann, was Harding mit einem leichten Stirnrunzeln vermerkte.

Steve sah jetzt trotz der offensichtlichen Freude über das Wiedersehen mit Sir Thomas angespannt aus, ja, fast sogar beunruhigt. Und so wartete Harding auch nicht lange, bis er zur Sache kam. Er stellte Helen vor, was Steve mit Befriedigung vermerkte, und fragte dann: »Also, schieß los, alter Freund! Was ist eigentlich passiert?«

»Dir kann man nichts vormachen, wie?«, fragte Huntly mit einem etwas verunglückten Grinsen.

»Ich hoffe nicht«, erwiderte Harding trocken.

Huntly wurde übergangslos ernst.

»Harry ist tot«, sagte er leise.

»Wie bitte?«, entfuhr es Helen.

»Du solltest mir jetzt vielleicht alles erzählen«, forderte Harding.

»Es hört sich gar nicht gut an.«

Der Wagen war bereits unterwegs, und Helen zog ein wenig die Vorhänge beiseite, um etwas von der Stadt zu sehen. Bukarest war großzügig angelegt, fand sie, bis Steve, der ihren Blicken gefolgt war, sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte.

»Der damalige Diktator ließ hier ganze Straßenzüge einebnen und die prächtige Allee bauen. Auf Kosten und mehr oder weniger auch auf den Knochen der Rumänen«, erklärte der Botschafter.

Helen erschrak.

»Lassen Sie sich nur nicht von Steve in ein Gespräch über die Rumänen, ihre Geschichte, Kultur und frühere Staatschefs verwickeln«, warf Harding dazwischen. »Steve ist Jurist und ein flammender Streiter für das Recht, und er ist in der Lage, stundenlange Vorträge darüber zu halten. Ich denke allerdings, es gibt jetzt Wichtigeres zu tun.«

Fast schuldbewusst schob sie die Vorhänge wieder zu, während der Wagen sich jetzt durch schmalere Straßen bewegte.

»Harry, mein Botschaftssekretär, war bei dem erwähnten Angriff leicht verletzt worden«, begann Huntly zu berichten. »Nichts Bemerkenswertes, ein paar Kratzer, nicht mehr. Aber innerhalb weniger Stunden schwollen seine Gelenke an, die Wunden entzündeten sich, und keines der Medikamente, über die wir verfügen, schlug an. Da es auf den Zeitfaktor ankam, wäre es auf jeden Fall zu spät gewesen, Harry auszufliegen, nach Deutschland etwa, was natürlich das Naheliegende gewesen wäre, und auch vom Botschaftsstatus aus so vorgesehen ist.«

»Was heißt das?«, fragte Helen.

»Nun, es ist bei fast allen westlichen Botschaften so, dass erkrankte Angehörige auf keinen Fall in eines der hiesigen Krankenhäuser eingeliefert werden. Geheimhaltung, verstehen Sie? Im Koma, in Narkose oder Bewusstlosigkeit könnten ja Staatsgeheimnisse ausgeplaudert werden.«

»Ach so, aber ist das nicht ziemlich gefährlich? Allein schon bei einer Blinddarmentzündung kann doch der Zeitfaktor ausschlaggebend sein.«

»Wir achten, soweit es uns möglich ist, darauf, akute Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen. Lieber einmal zu viel jemanden ausfliegen, als einmal zuwenig. Was nun Harry angeht, war es auf jeden Fall zu spät, weil seine Erkrankung in rasender Eile voranschritt. Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Ich erteilte also die Erlaubnis, ihn in das hiesige Uniklinikum zu bringen, das bekanntermaßen über hervorragende Ärzte verfügt. Zwei Wachen würden ständig bei ihm bleiben. Nur, als Harry dort ankam, war er schon nicht mehr zu retten. Die Ärzte kämpften zwar noch einige Zeit, aber er verfiel unter ihren Händen. Er selbst hat es wahrscheinlich gar nicht mehr gespürt.«

Harding hatte noch aufmerksamer zugehört als Helen. Er zog die Erzählung seines Freundes mit den Informationen aus dem Brief zusammen.

»Was habt ihr nun mit dem Mann gemacht?«, wollte er dann wissen.

Huntly leistete sich ein schiefes Grinsen.

»Eigentlich hätten wir ihn den rumänischen Behörden übergeben sollen und müssen, aber er hat immerhin einen britischen Botschaftsangehörigen angegriffen und dadurch indirekt auch getötet.«

»Das ist aber trotzdem nicht mehr als ein bedauerlicher diplomatischer Zwischenfall«, warf Harding an.

»Sie sind richtig zynisch«, rief Helen. »Wir reden hier von einem Menschenleben.«

»Richtig, und doch ist es nicht mehr als ein Zwischenfall. Das Übliche und Normale wäre eine Auslieferung an die Behörden des Gastlandes sowie eine diplomatische Note. Warum nicht, Steve?«

»Ich weiß es nicht,Thomas«, antwortete der Botschafter etwas niedergeschlagen. »Da ist irgendetwas an dem Mann, was mich daran hindert, etwas schwer Fassbares, etwas Mysteriöses, kaum mit Worten zu beschreiben und doch fast greifbar.«

Harding schaute sein Gegenüber prüfend an. Hatte Huntly vielleicht getrunken? So benahm er sich doch sonst nicht. Als Jurist waren ihm korrekte und konkrete Verhaltensweisen seit frühester Jugend vertraut.

»Sieh es dir selbst an«, brachte der Botschafter schließlich heraus. »Ich kann es dir nicht erklären.«

Helen fühlte bei diesen Worten einen seltsamen Schauder über den Rücken gleiten. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf, und sie saß seltsam angespannt in dem bequemen Autositz. Sie konnte es sich nicht erklären. Harding legte beruhigend seine Hand über die ihre, aber es schien eindeutig so, dass auch er etwas gefühlt hatte.

Der Wagen hielt nun an, und die Tür wurde geöffnet. Steve Huntly stieg als Erster aus. Helen kam als Nächste, und was sie sah, gefiel ihr auf den ersten Blick und nahm sie gefangen.

Das Botschaftsgebäude war ein großer weitläufiger Bau, fast schon ein Schloss, mitten in einem Park gelegen. Sie sah Gitter als Außenbegrenzung, aber innerhalb dieser Grenzen herrschte ein wunderbarer Zustand. Uralte Bäume, vom Wind gebeugt, säumten die Auffahrt, blühende Büsche waren auf dem gut gepflegten, exakt geschnittenen Rasen angesiedelt worden, und auch das Gebäude selbst war mit rankenden Gewächsen stellenweise zugewachsen. Steve war sichtlich stolz darauf.

»Wir haben einen guten Gärtner, der sich um all das kümmert. Immerhin repräsentieren wir hier die britische Krone«, erklärte er.

Huntly führte seine Gäste die breite Eingangstreppe hinauf. Innen wurde gerade die Tür geöffnet, und ein älterer Mann mit einem etwas gequälten Gesichtsausdruck kam eilig auf Huntly zu.

»Sir, wir haben eine codierte Depesche bekommen. Darf ich um eine Entschlüsselung bitten?«

Entschuldigend drehte Steve sich um.

»Das ist eigentlich Aufgabe des ersten Botschaftssekretärs, nun aber meine Sache geworden. Obwohl, die meisten Angelegenheiten werden augenblicklich von David O’Brien hier wahrgenommen.«

Der ältere Mann deutete eine Verbeugung an. Er war etwas dicklich für seine Größe, aber er schien behände im Verstand zu sein.

»Sir Thomas«, sagte er respektvoll.

»Mrs. Jefferson«, stellte Harding seine Begleiterin vor.

O’Brien griff nach der Hand der Reporterin.

»Ich habe von Ihnen gelesen, Madam«, sagte er dann.

Huntly begab sich sofort auf den Weg zum Funkraum, gefolgt von O’Brien, blieb dann aber noch einmal stehen.

»Gregorio kommt sofort. Er weist euch eure Zimmer an. Und später kümmern wir uns um alles andere.«

Harding nickte zustimmend, dann war er mit Helen allein. Er setzte sich in einen der alten unbequemen Stühle, die aus der Zeit Königin Victorias stammten.

»Hier stimmt etwas nicht«, stellte er dann fest.

»Einiges«, stimmte Helen ihm zu.

»Steve ist – nun - aufgeregt, nein, das ist das falsche Wort«, begann der Wissenschaftler nachdenklich.

»Ich fand ihn eigentlich eher ruhig«, warf Helen ein.

Harding stutzte.

»Er gibt sich den Anschein, in Wirklichkeit wühlt ihn etwas schwer auf, und wir werden feststellen müssen, was es ist«, bestimmte er.

»Sie werden, ich beobachte«, korrigierte ihn Helen.

»Ach, kommen Sie, wenn es etwas zu entdecken gibt, sind Sie doch immer ganz vorne mit dabei.«

»Mir ist das, glaube ich, viel zu gefährlich. Haben Sie nicht auch, seit Sie hier sind, das Gefühl einer nahezu greifbaren Gefahr?«

»Sie sind sehr empfindsam«, stellte Harding fest. »Ich wollte, Sie könnten sich endlich entschließen, sich im Institut testen zu lassen.«

Er leitete in London das Institut für Parapsychologie, und Helen hatte bereits mehrmals abgelehnt, sich dem Test zu unterziehen, ob sie vielleicht zu den Menschen gehörte, die auf besondere Art begabt waren. Harding kam von Zeit zu Zeit immer wieder auf diesen Punkt zurück, doch sie blieb in dieser Sache äußerst hartnäckig.

Jetzt wollte sie noch irgendetwas sagen, aber vorher begann ein fürchterliches Heulen, das aus dem ganzen Bau zu kommen schien, durchbrach die Stille, die vorher geherrscht hatte, mit dem Ton von Qual und Verzweiflung. Das Geräusch schwoll an, bis buchstäblich jeder und alles erfüllt davon war.

Helen hatte entsetzt in einem Reflex die Hände ausgestreckt, und Harding war wie erstarrt stehengeblieben, doch er schien dieser gequälten Stimme wie gebannt zu lauschen.

4

»Mein Gott«, sagte Helen erschüttert. »Das ist doch kein normaler Mensch.«

Sie und Harding standen zusammen mit Huntly vor dem Guckloch zu der Zelle, in der der seltsame Mörder untergebracht war. Er saß auf seinem Bett, stierte an die Wand, stieß von Zeit zu Zeit unverständliche Laute hervor, nur um dann plötzlich schrill aufzuschreien. Nun hatte er registriert, dass jemand zu ihm hereinsah. Langsam stand er auf und kam auf die Tür zu, in deren kleiner Guckklappe er die Gesichter von drei Menschen erkennen konnte.

»Ich möchte Sie bitten, mir Asyl zu gewähren«, sagte er vollkommen vernünftig in korrektem Englisch. »Sie können mich hier ruhig eingesperrt lassen. Hier kann mir niemand etwas tun. Aber ich brauche unbedingt Asyl, sonst bin ich tot, denn der Herr der Vampire ist unterwegs. Und wenn er mich findet, muss ich ihm folgen. Er wird allerdings nicht hierherkommen, das weiß ich genau.«

Diese so vollkommen klaren Aussagen, die durch das Vampirgerede allerdings erheblich abgewertet wurden, brachte er in ruhigem Tonfall vor. Dann ging er zurück zu seinem Bett, setzte sich wieder und starrte ins Leere.

Huntly drehte sich um, machte dem Wächter ein Zeichen, alles wieder zu verriegeln, und zog seine Gäste mit sich.

»Was hältst du davon?«, fragte er Harding.

Sir Thomas ließ sich mit der Antwort Zeit.

»Ich weiß noch nicht, ich müsste ein paarmal mit ihm reden und versuchen, mehr herauszubekommen. Helen, machen Sie mit? Sie könnten für mich die Rolle der Assistentin übernehmen.«

Sie zog eine Grimasse.

»Sie und ich mit einem Vampir? Wer spendet denn zuerst seinen Lebenssaft?«

»Machen Sie keine Witze über diese Dinge. Es gibt pathologische Einbildungen, eigentlich eine Form der Hysterie, die bedingen, dass sich jemand für ein Monster, einen Werwolf oder meinetwegen auch für einen Vampir hält.«

»Hast du solche Dinge selbst schon erlebt?«, warf Steve fragend ein.

»Nicht ganz, und schon gar nicht in dieser seltsamen Form, Steve. Dieser junge Mann hier macht einen wachen und intelligenten Eindruck, spricht sehr sauber und gepflegt Englisch und scheint doch alles andere als normal zu sein. Ein interessanter Fall.«

»Dieser interessante Fall ist für meine Leser so aktuell wie Mottenkugeln aus dem letzten Jahr«, erklärte Helen trocken.

Harding lachte kurz auf.

»Dann wird es Zeit, dass wir die Motten endlich erlösen, Helen. Ich denke, wir sollten jetzt essen gehen.«

Ein Gong ertönte, durch das ganze Haus hörbar, und rief zur Mahlzeit. Steve Huntly aß mit seinen Gästen und dem engsten Mitarbeiterstab in einem der Salons. Das Essen selbst war ausgesucht gut, bestückt mit frischen Gemüsen und Früchten aus der Markthalle.

»Wir lassen uns eigentlich nur das Fleisch und gewisse Spezialitäten aus London einfliegen«, erklärte Huntly während des Essens. »Die Versorgung mit Lebensmitteln ist für die verschiedenen Botschaften und Konsulate eigentlich kein größeres Problem, was sicher auch daran liegt, dass bei uns genug Geld vorhanden ist. Der einfache rumänische Bürger hingegen hat es schwer, und viele Leute müssen hungern.«

»Aber es hat sich doch auch etwas getan, Sir«, wagte David O’Brien einen zaghaften Widerspruch vorzubringen.

»Das Meiste in den Taschen der Regierung, ja«, erwiderte Huntly bitter. »Wir sind hier unter uns, und Mrs. Jefferson wird diesen Abend taktvoll übergehen, aber es bleibt eine Tatsache, dass der einfache Bürger, wenn er nicht gerade ein Schwarzhändler oder ein Ganove ist oder ein bisschen Land hat, von dem, wofür er tagtäglich hart arbeiten geht, nicht leben kann. Und so nimmt die Kriminalität zu, werden Menschen in das Verbrechen oder auch als Wirtschaftsflüchtlinge ins Ausland getrieben. Und gewisse Geschäftemacher verdienen auch noch daran.«

Huntly hatte sich in Eifer geredet, doch ein Zeichen Hardings stoppte ihn.

»Du hast recht«, gab der Botschafter dann zu. »Diese Probleme sind zwar vorhanden, aber im Augenblick für uns nicht wichtig. Wann willst du mit Niko reden?«

»Niko?«

»Ach so, ja, Nikolai Tempesto heißt unser Vampir.«

»Hm, gut. Heute Abend lieber nicht mehr. Helen und ich brauchen etwas Ruhe nach der anstrengenden Reise. Aber morgen früh werde ich versuchen, etwas herauszubekommen und kann vielleicht ein erstes Urteil abgeben. Die Möglichkeit von Spionage oder Attentat habt ihr völlig ausgeschlossen?«

»Thomas, ich habe einen ganzen Stab von Mitarbeitern hier, der drei Tage lang nichts anderes getan hat, als die Hintergründe, Möglichkeiten und das Vorleben Nikos aufzuschlüsseln. Spionage schließe ich aus, das lohnt heutzutage in einer Botschaft nicht mehr. Ein Attentat, ja, auf wen sollte es denn verübt werden? Glaubst du wirklich, dass zum Beispiel ich als britischer Botschafter wichtig genug wäre?«

»Natürlich, wenn es ein Signal für den noch immer lebenden Widerstand oder die Securitate oder versprengte Roma oder Sinti ist. Steve, ein Botschafter ist immer ein lohnendes Objekt. Tu mir also den Gefallen und halte dich nach Möglichkeit fern von unserem Kellerkind!«

»Sie sind schon wieder ziemlich zynisch«, warf Helen verärgert ein.

»Aber nein, Helen, nur weil ich Kellerkind sage, qualifiziere ich doch niemanden ab. Ihnen zuliebe also auch Niko, auch wenn er immerhin im Keller steckt.«

Sie schwieg nun, es war auch sinnlos, auf diesen Kleinigkeiten weiter herumzureiten.

Sie unterhielt sich nach dem Essen noch ein wenig mit Michael McBridge, einem sympathischen Schotten, der im Funkraum arbeitete. Mike lachte gern und viel, und er ließ sich auch nicht durch O’Brien stören, der sich ungefragt ins Gespräch drängte und immer wieder auf verschiedene Reportagen Helens hinwies, wie um zu zeigen, dass er seine Hausaufgaben ordentlich gemacht hatte. Helen mochte den Sekretär nicht, wollte dies jetzt aber auch nicht allzu offen zeigen.

Michael erzählte gerade, wie toll er es fände, in einer anderen Stadt zu leben, und wie viel Spaß ihm seine Arbeit machte.

»In einigen Jahren kann ich dann weiter aufsteigen«, strahlte er.

»Und wer weiß, eines Tages ...«

»Das ist ein langer Weg, Mike«, warf O’Brien ein. »Sie sehen es ja an mir. Ich bin schon über fünfundvierzig und noch immer zweiter Botschaftssekretär, was nicht viel mehr als einen Laufburschenjob bedeutet.«

»Das kann ich kaum glauben«, warf Helen ein.

»Aber es ist eigentlich so«, erwiderte David. »Die meiste Arbeit bleibt bei der Nummer zwei liegen, der erste Botschaftssekretär trägt nur nominell die Verantwortung und natürlich die Schlüssel«, setzte er sarkastisch hinzu.

Helen wurde von Harding weggezogen, bevor sie sich weiter den Klagen des unzufriedenen Mannes aussetzen musste.

»Sie sehen nicht sonderlich glücklich aus«, bemerkte er.

»Ich habe Ihnen schon in London gesagt, dass mir das Ganze nicht gefällt«, sagte sie. »Aber jetzt bin ich leider hier.«

5

Helen wurde geweckt durch eine Alarmsirene, die grell und unbarmherzig durch das ganze Gebäude gellte. Erschreckt sprang sie aus dem Bett hoch und griff nach ihrem Morgenmantel und der Handtasche, um sich notfalls, ziemlich leicht bekleidet, aber immerhin mit Papieren, in Sicherheit zu bringen.

»Was ist denn passiert?«, rief sie vor der Tür einem Wachmann zu, der gerade vorbeihastete.

»Bitte, bleiben Sie in Ihrem Zimmer, Madam, und schließen Sie Fenster und Türen! Der Vampir ist ausgebrochen.«

»O nein, ich hab’ ja gewusst, dass etwas schiefgehen musste«, stieß sie wütend, aber auch ein wenig verängstigt, hervor.

Gerade als sie zurück in ihr Zimmer ging, kam Sir Thomas. Er klopfte nicht einmal an, sondern drückte die Tür einfach weiter auf. Helen, die ihn nicht sofort gesehen hatte, erschrak und hob die Hand zum abwehrenden Schlag.

»He, langsam, junge Frau!«, lachte Harding und fing die Hand auf.

»Ach, Sie sind es«, sagte Helen ein wenig erleichtert. »Haben Sie schon gehört? Niko ...«

»Ja, ausgebrochen. Ziemlich unglaubhaft, finden Sie nicht? Er suchte Schutz, und jetzt soll er sich dessen selbst berauben? Wissen Sie was? Ziehen Sie sich an! Wir gehen mal nachsehen.«

Helen war mittlerweile auch neugierig geworden. Was Harding da sagte, hatte Hand und Fuß.

Kurze Zeit später stand sie fertig da und folgte dem Wissenschaftler in den Keller, den sie ungesehen erreichten.

»Hier können eine Horde Nilpferde ausgebrochen sein und herumlaufen, und kein Mensch würde sie bemerken«, sagte Harding sarkastisch.

Er untersuchte das Schloss der Zelle, in der Niko eingesperrt gewesen war.

»Hm«, machte er dann bedeutungsvoll.

6

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Helen verständnislos. »Ich denke, er ist ausgebrochen?«

Harding blickte aufmerksam, fragend, forschend in das Gesicht des Mannes am Boden. Dann streckte er die Hand aus, griff nach dem anderen und zog ihn behutsam hoch.

»Kommen Sie, Niko!«, sagte er sanft. »Ich glaube, wir müssen uns einmal unterhalten.«

Harding führte ihn hinaus und wandte sich dabei an Helen.

»Geben Sie Bescheid, dass Steve den Alarm getrost abblasen kann. Ich ziehe mich inzwischen mit dem jungen Mann zurück.«

Helen nickte, dann lief sie hinaus. Sir Thomas aber zog Niko mit sich in ein ungenutztes Zimmer. Dort ließ er den Mann sich setzen. Aufmerksam und prüfend betrachtete Harding sein Gegenüber.

Niko mochte Ende zwanzig sein. Seine Hände wirkten gepflegt und zeugten nicht von sonderlich harter Arbeit. Hinter dem betont ausdruckslosen Gesicht sah der Wissenschaftler allerdings mehr. Die Augen blickten intelligent, aber unstet, eine Augenbraue zuckte von Zeit zu Zeit nervös nach oben, der Mund wurde fast krampfhaft zusammengepresst, die gestrafften Schultern zeigten an, dass er sich deutlich in der Defensive fühlte. Er schien nur darauf zu warten, dass Harding ihn, wie auch immer, angreifen würde. Aber Sir Thomas setzte sich rittlings auf einen Stuhl, verschränkte die Arme auf der Lehne und legte den Kopf darauf.

»Erzählen Sie mir, wo Sie so hervorragend Englisch gelernt haben!«, forderte er ruhig.

Niko hob überrascht den Kopf.

»In England«, sagte er dann spontan.

Harding begann nun langsam ein vertrauensvolles Gespräch aufzubauen, indem er den jungen Mann immer wieder mit Fragen verblüffte, die dieser überhaupt nicht erwartet hatte. Und schließlich drang Sir Thomas auch zum Kern vor, nämlich zu der abstrusen Geschichte über die Vampire. Doch da versagten alle seine Künste, Niko zog sich voll zurück, gab auf keine Frage mehr eine Antwort, stammelte schließlich nur noch und war im Endeffekt nicht mehr ansprechbar.

Sir Thomas versuchte zwar auf mehrere Arten den Mann zu beruhigen, doch dieser setzte sich zusammengekrümmt in eine Ecke und schaltete ab. Harding verließ den Raum und schloss von draußen ab.

Helen hatte unterdessen das Gebäude durchquert, auf der Suche nach Steve Huntly. Mehrmals liefen ihr bewaffnete Männer über den Weg, beachteten sie jedoch nicht, denn sie strebten scheinbar alle eilig einem bestimmten Ziel zu. Helen schlug ebenfalls diese Richtung ein. Etwas weiter den Gang entlang befanden sich dann viele Personen, die sich alle vor einer Zimmertür drängelten. Helen schob sich einfach dazwischen, bis sie den Grund für die Aufregung herausfand.

Sie stand in derTür zu einem geschmackvoll eingerichteten Raum. Alte Gemälde schmückten die Wände, ein teurer Aubussonteppich bildete den Mittelpunkt des Raumes. Ein zierlicher Sekretär stand links am Fenster, rechts war ein Bett, und eine Sofagarnitur bildete den krönenden Abschluss.

Auf einem der Sessel saß Steve Huntly, kreidebleich, und hielt sich mit der rechten Hand den linken Arm, während aus den zupressenden Fingern Blut quoll. Neben ihm stand einer der Botschaftsangehörigen und suchte wie blind in einem Verbandskasten herum, konnte mit dem Inhalt aber offensichtlich nur wenig anfangen.

»Gibt es denn hier keinen Arzt?«, entfuhr es Helen, als sie dieses wilde, sinnlose Hantieren sah.

»Der ist zu einem Empfang der Italiener«, kam von irgendwoher die Antwort.

»Einer Italienerin«, warf jemand spöttisch ein.

»Das darf ja wohl nicht wahr sein«, schimpfte sie, drängte sich nun rücksichtslos in den Raum hinein und nahm den Verbandskasten entschlossen in die Hand.

»Sie sollten nicht hier sein«, presste Huntly zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

»Wer war das?«, fragte Helen, ohne auf die Bemerkung Huntlys einzugehen.

»Nun, ich denke, Niko, wer sonst?« gab der Botschafter zurück.

Sie schüttelte den Kopf.

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte sie.

»Der Alarm ging los, ich schrak im Dunkeln auf, spürte den Einstich eines Messers, dann hörte ich hastende Schritte und griff nach der Klingel. Gleich darauf kam O’Brien in mein Zimmer und erklärte mir, dass Niko verschwunden sei.«

Sie schüttelte wieder den Kopf, denn an der ganzen Geschichte stimmte etwas nicht, wie sie spürte.

»Blasen Sie den Alarm ab!«, sagte sie. »Sir Thomas ist bei Niko, und mir scheint, wir werden einige Fragen zu klären haben.«

Unterdessen hatte sie fachmännisch die Wunde versorgt.

»Das hätte unser Doc nicht besser gekonnt. An Ihnen ist wirklich eine Ärztin verlorengegangen«, lobte Huntly.

Bevor Helen etwas darauf erwidern konnte, tauchte Harding auf. Huntly hatte den Alarm zurückgezogen, und es standen jetzt nur noch zwei Wachen vor derTür.

Sir Thomas blieb wie vom Donner gerührt stehen, als er sah, dass sein Freund verwundet war. Doch er fasste sich schnell wieder.

»Sie sollten zur Krankenschwester umsatteln, Helen.«

»Und Sie sollten dem Botschafter erzählen, was mit Niko ist. Hier geht nämlich eine große Schweinerei ab.«

»Helen«, rief er empört. »Wir sind hier nicht in Ihrer Redaktion.«

»Nein«, gab sie kalt zurück. »Leider nicht, da geht es in der Tat gesitteter zu.«

Steve Huntly, Thomas Harding und Helen Jefferson hatten sich mit Dan O’Brien in ein abhörsicheres Zimmer zurückgezogen.

»Also, jetzt möchte ich gern wissen, was hier überhaupt los ist«, forcierte Huntly energisch.

Harding winkte ab.

»Erzähl zuerst deine Version«, sagte er. »Dann erzähle ich dir, was wir erlebt haben.«

Steve seufzte auf, berichtete dann aber noch einmal, was ihm widerfahren war, so wie er es Helen auch schon erzählt hatte.

»Du hast den Mann nicht gesehen, der auf dich eingestochen hat?«, fragte Harding noch einmal nach.

»Nein, aber wer sonst, außer Niko, sollte es denn gewesen sein?«, fragte Huntly ungeduldig.

»Niko war die ganze Zeit über in seiner Zelle«, sagte Harding.

»Unmöglich!«, fuhr O’Brien auf.

»Da kommen wir zum Kernpunkt der Angelegenheit«, sagte Sir Thomas.

»Woher wussten Sie eigentlich, dass Niko ausgebrochen war? Wer hat das gemeldet? Und wieso waren Sie schon so schnell beim Botschafter?«

O’Brien hielt inne.

»Das ist doch ganz klar«, begann er und schwieg dann.

»Was ist daran klar?«, wollte Huntly nun wissen.

»Eine der Wachen meldete, dass die Zelle leer war, und daraufhin habe ich mich gleich auf den Weg zu Ihnen gemacht.«

Das klang mehr als lahm, und keiner der drei anderen glaubte ihm ein Wort. Harding blickte ihn äußerst kritisch an, und O’Brien kam sich mit einemmal völlig nackt vor. Hastig stand er auf und murmelte etwas von einer Routinemeldung. Huntly wollte ihn aufhalten, doch Sir Thomas winkte nur ab.

7

»Und wie kam es nun zur Ablösung des Botschaftspersonals?«, fragte Rodney Brody, der Chefredakteur des Weekly Mirror ungehalten.

»Es gibt Dinge, die man auch mir nicht erzählt«, erwiderte Helen trocken. »Ich weiß es schlicht und ergreifend nicht.«

»Dann ist Ihr Bericht nicht mehr als lächerliche Makulatur«, tobte er.

Helen zögerte. Natürlich wusste sie, dass Huntly und Harding etwas im Außenamt gedreht hatten, ja, dass sie dabei sogar bis zum Premierminister gegangen waren.

Niko befand sich jetzt in sicherem Gewahrsam und wurde von Sir Thomas gewissenhaft betreut, der ihn täglich in sein Institut bringen ließ. Die Angehörigen der Botschaft waren zu ihren Familien oder in ihre bisher leerstehenden Wohnungen zurückgekehrt und schrieben lange Berichte über die Vorkommnisse, wie sie sie erlebt hatten oder auch nur am Rande bemerkten.

Und Helen hatte einen Artikel fertiggestellt. Natürlich nicht mit allen Einzelheiten, die sie wusste, denn immerhin gab es genug, was unter die Geheimhaltungspflicht fiel. Und sie war nicht die Frau, die sich an solche geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetze nicht halten würde. Sie hatte ein sehr ausgeprägtes Rechtsbewusstsein und würde nur unter extremen Umständen dagegen verstoßen. Deswegen hatte sie jetzt Probleme mit ihrem verärgerten Chefredakteur.

»Das ist keine Makulatur«, widersprach sie ruhig. »Und lächerlich schon gar nicht. Das ist eine heiße Story mit einem offenen Ende. Wenn sich mehr ergibt, können wir, kann ich eine Fortsetzung schreiben.«

»Eine Fortsetzung?«, ächzte Brody. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass unsere Leser sich für diese schwache Geschichte auch nur im Entferntesten erwärmen werden?«

»Und wie!«, grinste Helen plötzlich spitzbübisch.

Sie hatte Brody durchschaut. Der Redakteur wehrte sich gerade deswegen dagegen, weil die Story gut war und er ihr auf keinen Fall einen Erfolg gönnen wollte. Helen hätte nach seinem Willen nicht einmal nach Rumänien fahren dürfen, und nur der Intervention von James Doohan, dem Herausgeber, und der Fürsprache von Sir Thomas war es zu verdanken gewesen, dass sie diese Story überhaupt hatte an Land ziehen können. Überlegen lächelte sie.

»Es ist eine tolle Story, und das wissen Sie sehr gut. Und die Zeitung kann damit ihre Auflagen steigern, und auch das wissen Sie, Brody. Und wenn es Ihnen nicht gefällt, dann schmeißen Sie mich doch raus. Sie wissen, dass ich bei der Konkurrenz jederzeit mit Kusshand genommen werde.«

Mal abgesehen davon, dass Doohan dir dann die Hölle heißmacht, setzte sie in Gedanken hinzu.

Und Brody lächelte plötzlich ebenfalls breit.

»Aber sicher, Helen. In der nächsten Ausgabe bringen wir die Geschichte, und wenn es sich ergibt, auch eine Fortsetzung.«

Sie nickte. Im Grunde war ihr die ganze Sache zuwider. Es behagte ihr nicht, dass sie so auf ihrem Recht bestehen musste. Sie war eine gute Reporterin, und auch das wusste Brody. Aber solange sie seinem fast unverhüllten Werben um sie nicht nachgeben würde, hatte sie einfach schlechte Karten bei ihm. Irgendwann hatte sie einmal mit Harding darüber gesprochen. Und dieser, der Brody aus alten Zeiten in schlechter Erinnerung wusste, hatte dem Redakteur freundlich gedroht. Daraufhin war es für einige Zeit besser geworden, aber immer wieder verfiel Brody dieser Angewohnheit, Helen herunterzuputzen und sie klein zu machen, obwohl sie wirklich eine hervorragende Arbeit leistete.

Jetzt verließ Helen mit einem Seufzer das kleine abgetrennte Büro des Chefredakteurs, machte bewusst leise die Tür hinter sich zu und zog eine Grimasse.

Dennis, ihr Kollege, kam grinsend auf sie zu.

»Na, hast du dich wieder mal gegen unseren oberen Hüter durchsetzen müssen?«

»Ach, zum Teufel mit Brody«, murmelte Helen ziemlich ungehalten. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und begann mit flinken Fingern die Story erneut in den Computer einzugeben, diesmal allerdings gleich ins Layout, welches von den Setzern übernommen wurde. Es war heutzutage nicht mehr ganz so wie früher. Eine Zeitung zu machen, ging fast nur noch über die modernen technischen Massenkommunikationsmittel, und es dauerte nicht mehr lange, Artikel zu setzen und auszudrucken. So konnte man auch in letzter Minute noch Meldungen einbauen, andere löschen und bekam dennoch eine komplette, gut ausgestattete Zeitung.

»Du hast überhaupt ziemlich einflussreiche Freunde«, fuhr Dennis jetzt ungerührt fort. »Dein famoser Professor hat für dich sogar unsere Verabredung abgesagt. Du müsstest dringend mit ihm etwas besprechen. War das wirklich wichtiger als unsere Verabredung?« Er sprach ruhig, aber in seinem Blick lag etwas Lauerndes, und Helen verfluchte Harding, der sie in diese scheußliche Situation gebracht hatte. Es wäre besser gewesen, die Verabredung wahrzunehmen und endlich hinter sich zu bringen. So stand sie immer noch in seiner Schuld. Fast zaghaft blickte sie nun auf, schenkte Dennis aber trotzdem ein strahlendes, wenn auch um Entschuldigung bittendes Lächeln.

»Wir mussten unsere Reise nach Rumänien im Detail besprechen, Dennis. Du weißt doch, dass ich am nächsten Morgen abgereist bin. Und es ist nicht so ganz einfach, so etwas übers Knie zu brechen. Aber wenn du möchtest, habe ich an diesem Wochenende noch nichts vor. Ich gehe gern mit dir zum Eishockey. Und du hast mir schon so oft von den besten Hotdogs Londons erzählt, dass ich sie nun endlich kennenlernen will.«

Dennis blickte erfreut auf. Ein strahlendes Lachen glitt auf sein Gesicht, und er redete eifrig auf seine Kollegin ein.

»Ich habe Karten für das Spiel der Spiele, Helen. Und ich verspreche dir einen wahren Hochgenuss. Und außerdem kannst du so viele Hotdogs essen, wie du schaffst. Hauptsache, du gehst nur mit.«

Es half ja nichts. Helen lächelte ergeben und nickte. »Selbstverständlich, ich bin es gewohnt, meine Versprechen zu halten. Am Samstag also.«

8

Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Helens Arm tastete über den Nachttisch, noch bevor sie die Augen geöffnet hatte. Sie nahm den Hörer und knurrte ungnädig und überaus undeutlich etwas in die Muschel.

»Helen, sind Sie da?«, fragte am anderen Ende der Leitung die Stimme von Sir Thomas.

Was, um alles in der Welt, wollte der Mann um diese Zeit von ihr? Die Leuchtanzeige des Weckers stand auf zwei Uhr fünfundvierzig.

»Was gibt es?«, wollte sie widerwillig von ihm wissen. »Wenn Sie mich nur anrufen, um mir eine gute Nacht zu wünschen, sind Sie damit ein paar Stunden zu spät dran.«

»Nun spielen Sie bitte nicht die beleidigte Leberwurst, Helen. Ziehen Sie sich an und kommen Sie sofort zu Scotland Yard raus.«

»Was soll ich mitten in der Nacht bei der Polizei? Geht es Ihnen vielleicht nicht gut, Sir Thomas?«

»Sie stellen einfach zu viele Fragen, Helen. Heben Sie sich die besser für später auf!«

Damit legte er einfach auf. Helen schimpfte wie ein Rohrspatz. Das half ihr im Augenblick, wach zu werden. Der einzige Vorteil, den diese nachtschlafende Zeit bot, war der, dass die Straßen frei waren. Mühelos kam sie durch die Stadt.

Der Pförtner am Eingang von Scotland Yard fragte sie nach ihrem Namen, und als er ihn hörte, griff er zum Telefon. Kurze Zeit später kam Sir Thomas und holte sie ab. Er sah äußerst müde aus. Hatte er überhaupt schon geschlafen?

»Was soll das alles hier?«, fragte Helen drängend und ärgerlich.

»Kommen Sie mit, ich werde Sie Inspektor Harper vorstellen«, lautete die knappe Antwort.

Harper war ein schlanker, sehniger Mann in den Vierzigern, der allerdings eine etwas ungesunde Gesichtsfarbe hatte. Wahrscheinlich war er überarbeitet, denn bei Scotland Yard gab es weder eine Vierzigstundenwoche noch einen geregelten Feierabend. Er bot Helen einen Stuhl und einen starken schwarzen Kaffee an. Harding setzte sich in einen anderen Stuhl. Der Inspektor bevorzugte die Kante seines Schreibtisches.

»Es ist eine etwas ungewöhnliche Zeit für ein Gespräch«, begann Harper. Er hatte eine harte, metallische Stimme, gab sich jetzt aber offensichtlich Mühe, freundlich zu sprechen. »Und es wäre mir nie in den Sinn gekommen, ausgerechnet eine Reporterin hinzuzuziehen. Aber Professor Harding hat darauf bestanden, und so freue ich mich zumindest persönlich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nun ist aber leider der Anlass nicht von erfreulicher Bedeutung. Sie kennen Nikolai Tempesto?«

Helen nickte.

»Er ist seit gestern Morgen spurlos verschwunden.«

Sie starrte ihn an, fassungslos, blickte dann zu Harper hinüber.

»Und warum haben Sie mich nicht angerufen und mir Bescheid gesagt?«, fragte sie kühl.

»Wir waren voller Hoffnung, ihn schnell wieder zu haben«, sagte der Professor mit einem unbehaglichen Schulterzucken.

»Und Sie haben ihn nicht!« Das war eine missbilligende Feststellung, keine Frage.

»Wir haben die Botschaftsleute angerufen, ob er dort vielleicht irgendwo aufgetaucht ist. Immerhin spricht er gut Englisch und ist auch nicht dumm. Abgesehen davon hat er früher schon in England gelebt.«

»Nein, dumm ist er nicht, nur ein Vampir«, entfuhr es Helen.

»Damit kommen wir zum Hauptgrund Ihres Hierseins, Mrs. Jefferson.«

Harper sprach weiter, wirkte aber plötzlich sehr angespannt.

»Zunächst möchte ich Sie darauf hinweisen, dass alles, was in diesem Raum gesprochen wird, der strengsten Geheimhaltung unterliegt. Ich erwarte also nicht, dass irgendetwas davon in Ihrer Zeitung auftaucht. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.«

»Ich hab noch nie etwas geschrieben, das ich nicht voll verantworten konnte«, fuhr Helen sichtlich empört auf.

»Ist gut, meine Liebe, ich weiß das«, sprach Harding dazwischen.

»Also würde mir jemand jetzt etwas wirklich Wichtiges sagen?«, fauchte Helen aufgebracht.

»Am späten Abend wurde die Leiche des zweiten Botschaftssekretärs David O’Brien in seiner Wohnung gefunden. Der Körper wies am Hals zwei kleine Wunden auf, außerdem eine Platzwunde am Hinterkopf. Möglicherweise wurde er niedergeschlagen oder fiel bei einem Kampf gegen etwas. Außerdem, und das ist das Relevante, war er ziemlich blutarm.«

Harper hatte gefühlsarm gesprochen, so, als verlese er Nachrichten, und Helen hatte fassungslos mit großen Augen und offenem Mund zugehört. Harding nahm ihre linke Hand und drückte sie sanft. Sie kehrte unvermittelt in die Wirklichkeit zurück.

»O’Brien?«, murmelte sie. »Ich kenne - kannte ihn. Ich habe ihn zwar nicht gemocht, aber immerhin schien er auf seine Art sehr tüchtig zu sein. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn ein Mensch, den man kennt, auf so grauenvolle Weise aus dem Leben gerissen wird. Und - es klingt, verzeihen Sie, Mister Harper, als würden Sie geradewegs aus einem Dracula-Roman vorlesen. Sie meinen doch nicht, dass Nikolai etwas damit zu tun haben könnte?«

Harper sah ernst aus, fast gequält, und auch Harding blickte nicht sehr glücklich drein.

»Sie wissen, als was wir Niko kennengelernt haben, Helen. Es deutet leider alles darauf hin.«

»Und das sagen Sie als nüchterner Wissenschaftler?«, fragte Helen empört. »Sie haben Niko kennengelernt, mit ihm gesprochen, ihn untersucht, Sir Thomas. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie ihn verdächtigen.«

»Ich muss ihn verdächtigen, denn seine Intelligenz und seine Bildung, seine Auffassungsgabe und seine teilweise vorhandene Vernunft werden eindeutig unterdrückt und überlagert durch den aufgepfropften Glauben, dass er ein Vampir sei.«

»Könnten Sie sich vorstellen, dass er O’Brien in den Hals beißt und dann das Blut trinkt?« Helen schüttelte sich unwillkürlich.

Harding schüttelte den Kopf.

»Das kann und will ich mir nicht vorstellen. Und doch sprechen die Fakten dagegen - oder vielmehr dafür, dass Niko der Täter ist.«

»Sie sind sehr schnell mit Vorverurteilungen bei der Hand«, bemerkte Helen bitter. »Vielleicht will ihn ja einfach jemand vorschieben.«

»Derjenige müsste in der Botschaft gewesen sein und über alles genauestens Bescheid wissen«, warf Harper zweifelnd ein. »Das würde heißen, es müsste ein Botschaftsangehöriger gewesen sein. Das klingt doch äußerst unwahrscheinlich, finden Sie nicht?«

»Das glaube ich auch nicht«, meinte Harding. »Steve würde doch sicherlich ...«

»Mr. Huntly hatte wenig Einfluss auf die Zusammensetzung des Personals«, erklärte Helen. »Und wie gerade Ihnen bekannt ist, kann man Menschen nur vor den Kopf sehen, nicht hinein. Auch wenn Sie als Psychologe das gern versuchen. Warum sollte nicht einer von ihnen der Mörder sein?«

»Helen«, sagte Harding fast beschwörend, »alles deutet auf Niko hin.«

»Das ist mir einfach zu offensichtlich«, beharrte die Reporterin.

»Nun, im Moment können wir ohnehin nur einfach darüber diskutieren, es ist aber müßig. Zunächst müssen wir Niko finden, dann können wir ihn danach befragen«, wiegelte Harding ab.

»Gut, versuchen wir nachzuvollziehen, wie der junge Mann abgehauen ist«, stimmte Helen ihm zu.

»Professor«, wandte sich der Inspektor jetzt auffordernd an Harding.

»Wie jeden Morgen haben wir ihn aus der abgesicherten Zelle im Keller des Instituts nach oben in die Behandlungsräume geholt.«

»Eine Zelle?«, wunderte sich Helen.

»Wir haben sie einbauen lassen, extra für Niko. Aber sehr komfortabel. Also, anwesend waren ein Polizist und einer der Assistenten. Niko war nicht gefesselt, das haben wir tunlichst vermieden. Er sollte unbefangen sein.«

»Wie sollte ein Mörder ...?«, warf Harper ein.

»Warum Mörder?«, rief Helen empört. »Sie haben überhaupt keine Beweise.«

»Und was geschah in Bukarest mit dem ersten Botschaftssekretär?«

»Das ist auch noch nicht geklärt«, widersprach sie heftig.

»Gut, klammern wir das jetzt einmal aus«, gab der Beamte nach.

»Die drei Personen«, fuhr Sir Thomas fort, »gingen über die Treppe in den oberen Stock, als Niko dem vor ihm gehenden Assistenten einen Schlag versetzte und nach hinten den Polizisten die Treppe hinunterschubste. Dann rannte er davon, durch den Ausgang und den Park und verschwand spurlos.«

»Ist ihm denn niemand nachgelaufen?«, fragte Helen sachlich.

Ein verweisender Blick aus Harpers Augen traf sie.

»Selbstverständlich hat der Beamte den Flüchtigen verfolgt, aber es war leider weit und breit nichts mehr von ihm zu sehen.«

»Wahrscheinlich hat Niko sich im Park versteckt. Das widerspricht allerdings den Polizeiregeln, deswegen hat der Beamte Niko nicht gefunden«, warf Helen etwas spöttisch ein.

»Madam«, fuhr Harper auf.

»Streiten wir uns doch nicht«, warf Sir Thomas begütigend, aber unverhohlen ebenfalls spöttisch lächelnd ein. »Es geht doch jetzt darum, dass Helen deswegen informiert wird, um eine vernünftige Berichterstattung in der Presse zu gewährleisten. Mal abgesehen davon, dass ich sie in diesem Fall als eine Art Assistentin betrachte. Wir wollen keine Panikmache in den Massenblättern, müssen aber auf irgendeine Art Niko wiederfinden.«

»Und was soll ich Ihrer Meinung nach schreiben? Entlaufener rumänischer Vampir gesucht?«, fragte Helen sarkastisch.

»Genau die Schlagzeile wollen wir ja vermeiden«, sagte Harper scharf.

»Und wie stellen Sie sich das vor?«

»Nun, zunächst einmal denke ich, sollten wir, wider unseren Verdacht, jede Verbindung zwischen dem Mord an O’Brien und dem jungen Rumänen vermeiden. Also werden wir den üblichen Polizeibericht herausgeben, ohne jedoch dabei auf Einzelheiten einzugehen. Und dann können Sie, mit der gebotenen Vorsicht natürlich, einen Suchbericht veröffentlichen.«

»Ich wüsste nicht, wie«, sagte Helen etwas ratlos. »Ich habe meinen Bericht in der Zeitung veröffentlicht. Wie soll ich jetzt eine Suchmeldung ausschreiben, die Leute werden dann voreilige und sicherlich ebenso falsche Schlüsse ziehen wie Sie.«

»Helen«, sprach Harding bittend auf sie ein und legte eine Hand auf ihren Arm. »Formulieren Sie es einfach anders! Das können Sie doch gut. Wir müssen Niko unbedingt finden.«

»Heute Nacht noch?«, fragte sie zornig und hilflos.

Harding lächelte. »Sie wissen besser als ich, wann beim Weekly Mirror Redaktionsschluss ist.«

Helen seufzte hörbar auf. »Also, im Laufe des Tages. Und wie erkläre ich das Brody?«

»So, wie ich ihn kenne, wird er darauf regelrecht anspringen. Immerhin ist das ein Knüller, den keine andere Zeitung bringt. Ein Exklusivbericht, Helen! Bedenken Sie das!«

9

Brody hatte die Neuigkeit zunächst gnädig aufgenommen, dann aber hellte sich sein Gesicht auf, als er plötzlich erkannte, dass der Weekly Mirror die Geschichte ganz für sich allein hatte. Helen hatte längere Zeit darüber herum gerätselt, wie sie die Suchmeldung formulieren sollte. Dann schrieb sie, verwarf und begann wieder neu. Irgendwann hatte sie endlich einen Bericht fertig, mit dem sie dennoch nicht recht zufrieden war, den sie aber trotzdem ins Layoutprogramm gab. Sie drückte gerade die Bestätigungstaste, als unvermittelt das Telefon klingelte. Michael McBride meldete sich am anderen Ende der Leitung.

»Welch angenehme Überraschung!«, sagte Helen erfreut.

»Ich würde gern mit Ihnen zu Abend essen«, kam Michael ohne Umschweife zur Sache.

»Gern, und wann?«

»Heute passt es gut. Ich könnte einen Tisch bei Jamie’s bekommen.«

Jamie’s war ein neues Restaurant, das in der gehobenen Mittelschicht wie eine Bombe eingeschlagen hatte. Wer das nötige Kleingeld besaß und etwas auf sich hielt, aß jetzt dort. Dabei war das Essen nicht einmal besonders gut, aber die Aufmachung des Lokals war eben außergewöhnlich. Wie in einer alten Gruselburg war das Innere angelegt. Ritterrüstungen standen an den Wänden, die Tische und Stühle waren grob und rissig, das Essen wurde auf Blech oder Silbertellern serviert, je nachdem, wie viel der Gast zu zahlen bereit war. Helen hatte schon viel von diesem Lokal gehört. Silvia, ihre Kollegin, hatten einen längeren Bericht darüber geschrieben, und fast alle in der Redaktion hofften darauf, mal eine Einladung dorthin zu bekommen.

Helen überlegte nicht lange, diese Chance würde sie sich nicht entgehen lassen.

»Ich komme gern mit«, erwiderte sie voller Vorfreude. »Aber sagen Sie mal, was zieht man zu Jamie’s eigentlich an?«

»Alles, was Sie wollen, Helen. Und wenn Sie im Bikini kämen, wäre es auch in Ordnung. Es geht nicht darum, wie man hinkommt, sondern, wie man geht. Also, bis heute Abend dann.«

Das waren etwas rätselhafte Worte, deren Sinn Helen nicht sogleich verstand.

Später stand sie dann vor dem Kleiderschrank und überlegte fieberhaft, entschied sich dann für eine enganliegende schwarze Hose, eine weiße, sehr weite Bluse und einen silbernen Kettengürtel.

Pünktlich um sieben Uhr stand McBride unten vor dem Haus, und als er Helen sah, entfuhr ihm ein bewundernder Pfiff.

»Sie sehen wirklich phantastisch aus«, rief er überschwänglich. »Wir werden also aufpassen müssen.«

»Was soll das heißen?«, fragte sie leicht verwirrt.

»Lassen Sie sich überraschen!«, lächelte Michael geheimnisvoll.

Er trug Jeans und einen teuren Pullover, sah aber eher lässig als elegant damit aus.

Jamie’s sah von außen schon nicht wie die meisten Restaurants aus. Ein sauber angelegtes Bruchsteinmauerwerk überdeckte die vorher einmal katastrophal hässlich gewesene Fassade. Der Türsteher trug einen Kettenpanzer und eine stumpfe Hellebarde, und er begutachtete die Leute sehr genau, die hineinwollten, und nur die wenigsten fanden Gnade vor seinen Augen. In der Regel brachte er vor, dass das Lokal bereits voll war. Michael raunte ihm einen Satz zu und wurde dann mit einer großzügigen Handbewegung hineingewiesen.

»Was war das?«, wollte Helen wissen.

Mike lachte. »Wer reserviert, bekommt eine Parole, die täglich wechselt. Nur damit kommt man an dem edlen Ritter draußen vorbei.«

Das Innere allerdings sah wirklich wie ein alter Rittersaal zu König Artus’ Zeiten aus. Und eine Menge Gäste saßen tatsächlich an einer riesigen Tafelrunde, und niemand beachtete die guten Tischsitten. Man aß mit den Fingern und warf Knochen und geleerte Teller hinter sich auf den Boden, wie es früher einmal üblich gewesen war.

Helen war zunächst ein wenig angeekelt davon, denn das war eigentlich nicht der Stil, den sie bevorzugte. Warum hatte Silvia nicht darüber geschrieben oder zumindest erzählt? Aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und ließ sich neben Michael auf die Bank sinken.

Erst jetzt sah sie, dass über einem offenen Feuer ein ganzer Ochse briet, von dem immer wieder fertige Stücke abgeschnitten wurden. Auch sie und Michael erhielten auf silbernen Tellern riesige Stücke davon, und es schmeckte wider Erwarten gut. Dennoch hatte Helen Schwierigkeiten damit, die Knochen einfach hinter sich zu werfen, und dann suchte sie auch vergeblich eine Serviette. Mike lachte und hielt ihr einen Zipfel des Tischtuchs entgegen. Ein wenig verlegen griff sie danach. Mike bemerkte ihren unglücklichen Gesichtsausdruck.

»Es gefällt Ihnen nicht?«, fragte er.

»Es - ist ungewöhnlich«, sagte sie zögernd.

»Beim nächsten Mal suchen Sie das Lokal aus«, meinte er versöhnlich.

Sie unterhielten sich über eher unpersönliche Themen wie Kunst, Musik, Ausstellungen, als vermieden es beide geflissentlich, das Gespräch auf etwas Persönliches zu bringen. Helen fühlte sich auch befangen in der Gegenwart des etwas jüngeren Mannes. In der Botschaft in Bukarest war das anders gewesen, aber jetzt baute sich eine etwas seltsame Spannung zwischen ihnen auf, und eine Wand stand plötzlich zwischen ihnen, die sie aber beide nicht einreißen wollten.

Helen konnte sich gut vorstellen, was Sir Thomas jetzt dazu sagen würde, und innerlich lachte sie sogar über sich selbst. Sie war eine gestandene, geschiedene Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand. Und sie saß hier in einem ungewöhnlichen Restaurant mit einem jüngeren Mann, der sie offenkundig anhimmelte, und wusste nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Und bei allem spukte ihr im Hinterkopf der verschwundene, junge Rumäne herum und außerdem der tote David O’Brien, der bei dem letzten Zusammentreffen noch dabei gewesen war.

Helen war urplötzlich der Spaß an Jamie’s vergangen. Das Lokal kam ihr schrecklich vulgär vor, ein Spielzeug für verwöhnte, überverwöhnte Leute, die nicht recht wussten, wohin mit ihrem Geld. Die sich nicht um Nachbarn und andere Menschen kümmerten, es sei denn, die wären vielleicht noch berühmter oder reicher als sie.

Michael schien ihren Stimmungsumschwung zu spüren. Er stand auf. Am Ausgang zahlte er mit seiner Kreditkarte und geleitete Helen zum Auto.

»Es hat Ihnen nicht gefallen!« Das war eine Feststellung.

»Nicht so sehr«, sagte Helen fast erleichtert.

Mike fuhr sie nach Hause.

»Haben Sie schon Neuigkeiten von dem verschwundenen Niko?«, fragte er urplötzlich.

Helen erschrak, dann jedoch atmete sie auf. Es war klar, dass Mike Bescheid wusste, natürlich, die Polizei hatte doch mit den Botschaftsangehörigen gesprochen, um zu fragen, ob Niko möglicherweise irgendwo aufgetaucht war.

»Nein«, sagte sie ehrlich. Wusste Mike über den Mord an O’Brien schon Bescheid?, fragte sie sich, entschied sich dann aber für ein Nein. Er hätte sonst sicher das Gespräch darauf gebracht. Also sah sie auch gar keine Veranlassung, selbst darauf zu sprechen zu kommen.

Es hatte leicht zu nieseln begonnen, und die Scheibenwischer unterbrachen in kurzen Intervallen das erneute Schweigen zwischen den beiden.

McBride hielt den Wagen vor Helens Wohnung an, beugte sich ein wenig zur Seite und zog Helen an der Schulter zu sich und küsste sie zögernd, dann fordernder auf die Lippen. Sie erwiderte den Kuss zart, schob den Mann dann aber energisch von sich.

10

Mike fuhr nach Hause. Er fand Helen äußerst attraktiv und sympathisch, und ihn störte der Altersunterschied zwischen ihnen überhaupt nicht. Er war sich nicht ganz im Klaren, was die Reporterin mit Sir Thomas Harding verband. Es schien, als gehörten die beiden auf irgendeine schwer fassbare Weise zusammen, und doch waren sie auch wieder meilenweit voneinander entfernt. Ein merkwürdiges Gespann, dachte Mike unwillkürlich.

Dann endlich war er zu Hause. Er duschte, schlüpfte in einen seidenen Pyjama und schlug die Bettdecke zurück.

Mike war der Sohn eines erfolgreichen Börsenmaklers und kannte keine Geldsorgen, außerdem verdiente er in Staatsdiensten in einer Botschaft auch nicht schlecht. Sein Appartement war teuer und großzügig ausgestattet. Mike liebte den Hauch von Luxus sehr.

11

Wieder klingelte mitten in der Nacht das Telefon bei Helen Jefferson, und mehr als ungnädig brummte sie in den Hörer. Dann aber setzte sie sich wie elektrisiert auf.

»Wiederholen Sie das!«, forderte sie, plötzlich hellwach geworden.

Am anderen Ende der Leitung war Inspektor Harper, der ihr in trockenen Worten mitteilte, dass in dieser Nacht Michael McBride das Opfer des umhergeisternden Vampirs geworden war.

»Ist er – tot?«, fragte sie tonlos.

»Nein, er lebt noch«, erwiderte der Beamte. »Aber es geht ihm ziemlich schlecht. Wir haben ihn unter Polizeischutz ins Krankenhaus bringen lassen. Wenn Sie wollen, kommen Sie her und sehen uns bei der Spurensicherung zu. Ich erfülle damit nur das Versprechen, dass Sie die Rechte für die Exklusivstory haben«, setzte er etwas widerwillig hinzu.

»Dafür bin ich Ihnen auch dankbar«, meinte Helen trocken und stand schon vor dem Bett, wo sie nach ihrer Hose angelte. In Windeseile hatte sie sich angezogen, griff nach ihrer Tasche und den Autoschüsseln und war dann auch schon auf dem Weg zu Michaels Haus. Diese Story war so heiß, dafür wäre sie sogar mit gebrochenen Beinen noch angelaufen gekommen. Aber die Sache wurde trotzdem immer rätselhafter für sie.

Als Helen eintraf, bemerkte sie draußen auf der Straße den Bentley von Sir Thomas. Also war der Wissenschaftler auch schon hier. Warum eigentlich? Was hatte Harding mit dem ganzen Fall überhaupt zu tun, dass er schon fast weisungsberechtigt gegenüber der Polizei war?

Aber nicht nur Sir Thomas war hier, auch Steve Huntly, wie Helen schnell feststellte, als sie die Wohnungstür selbst öffnete, nachdem auf ihr Klopfen niemand reagiert hatte. Sie stand zunächst in einem Flur, von dem aus verschiedene Türen in die Zimmer abzweigten. Hinter einer derTüren hörte sie erregte Männerstimmen und öffnete diese sofort zielstrebig. Dahinter sah sie Inspektor Harper, Sir Thomas, Steve Huntly und einen anderen Mann, die erregt miteinander diskutierten.

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte Helen trocken.

Die Männer fuhren herum. Auf Hardings Gesicht zeichnete sich etwas wie Freude ab, Huntly blickte erstaunt, Harper dagegen missmutig, und der vierte Mann starrte sie an, als hätte sie gerade die Kronjuwelen gestohlen.

»Was suchen Sie hier?«, fuhr er die Reporterin an. »Niemand hat hier Zutritt.«

Helen setzte ein siegessicheres, überlegenes Lächeln auf und wollte ihm gerade passend antworten, als Harper sich einschaltete.

»Das ist Mrs. Jefferson, von der ich Ihnen schon erzählt habe, Sir«, sagte er ergeben.

»Ach, die Reporterin, die auf Ihren Wunsch eingeschaltet wurde?«, wandte sich der Mann an Harding.

Sir Thomas nickte. »Das ist Commissioner Wilbur Crandell«, stellte er Helen den Mann vor.

Sie begriff, das war der zur Zeit oberste Polizeichef von London, und er sah nicht so aus, als würde es leicht sein, mit ihm ins Gespräch zu kommen.

»Sie werden vorerst kein Wort von dem veröffentlichen, was hier geschehen ist«, sagte er statt einer Begrüßung.

»Vielleicht sollte ich erst mal wissen, was überhaupt passiert ist. Dann kann ich selbst darüber entscheiden«, erwiderte Helen eiskalt. Sie war auf keinen Fall gewillt, sich von einem Polizeibeamten, und mochte er noch so viel Einfluss und Macht haben, Vorschriften machen zu lassen. Noch gab es immerhin die Pressefreiheit, und außerdem hatte sie bereits ihr Wort gegeben, nur äußerst verhalten über die Geschichte zu berichten.

Harding zog sie beiseite.

»McBride ist im Schlaf angefallen worden. Mit letzter Kraft hat er sich befreien und retten können und sogar noch selbst die Polizei gerufen«, erklärte er in knappen Worten.

»Und?«, fragte Helen misstrauisch. »Das ist doch noch nicht alles?«

»Nein, Helen. Es tut mir leid, aber es sieht wirklich so aus, als wäre Niko wieder unterwegs. McBride hat eindeutig Bisswunden am Hals, und seiner Beschreibung des Täters nach könnte es tatsächlich Niko gewesen sein.«

»Ich glaube das einfach nicht«, rief sie aus.

»Es spricht aber immer mehr für seine Täterschaft, Helen. Auch wenn Ihnen das nicht gefällt.«

»Wo ist Michael jetzt?«, wollte sie wissen.

»Im Krankenhaus. Sie können noch nicht mit ihm reden«, mischte sich Harper jetzt ein, der unbemerkt dazugekommen war. Er räusperte sich und sagte scheinbar verlegen: »Es tut mir leid, dass mein Chef etwas unfreundlich zu Ihnen ist. Aber in diesem Stadium der Untersuchungen ist es sehr heikel, die Presse dabeizuhaben. Und da es nur auf Wunsch von Sir Thomas geschieht, ist der Commissioner entsprechend ärgerlich, weil er sich nicht dagegen wehren kann.«

»Aber ich habe doch nicht vor, irgendetwas zu schreiben, was Sie oder ihn in Verlegenheit bringen könnte. Ich denke, wir sollten alles genau miteinander absprechen, was ich veröffentliche«, sagte Helen versöhnlich.

»Dafür muss ich Ihnen schon fast dankbar sein«, erwiderte Harper.

»Wann ist es - ich meine, wann hat sich der Überfall auf Michael zugetragen?«, fragte Helen nun.

»Es muss gegen Mitternacht gewesen sein.«

»Also kurz nachdem er zu Hause war«, sinnierte die Reporterin.

»Woher wissen Sie das?«, fragte Harding scharf.

»Wir waren gemeinsam zum Essen aus«, gab sie zurück.

»Dann sind Sie die Letzte, die ihn noch gesehen hat?«

»Ich weiß nicht. Möglich, ja.«

»Dann brauche ich Ihre Zeugenaussage, Mrs. Jefferson«, bestimmte Harper eindringlich.