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Dietmar Wischmeyer hat sich auf die Suche begeben: Gibt es das überhaupt - menschliches Leben? Oder haben wir es nicht vorrangig mit Wichtigtuern, Nervbratzen und anderen Bekloppten zu tun? Zumindest könnte dieser Eindruck entstehen, wenn man dem Großmeister der ätzenden Satire durch sein neuestes Werk folgt. Darin begegnen wir unter anderem: Glasermeistern, Online-Helden, Agro-Rentnern, Tierfreunden, Hochzeitsgästen, Landbewohnern und Vorstadt-Strizzis.
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Das Buch
Er ist der Tunnel am Ende des Lichts:Dietmar Wischmeyer. In seinem neuesten Werk macht sich der Satiriker auf die Suche nach menschlichem Leben. Gibt es das überhaupt? Wollen wir es zulassen? Und wo führt es hin? Dabei begegnen ihm rauchende Männer auf Balkonen, dauerknipsende Selfie-Addicts und Artgenossen, die sich selber Eiskübel über den Kopf schütten. Er durchleuchtet spektakuläre Phänomene unserer Zeit wie das Work-Life-Blending und das Internet der Dinge, er widmet sich öden öffentlichen Räumen und analysiert scharfsinnig die sogenannte Schwarm-Demenz. Neue hinreißend niederträchtige Geschichten von einem der erfolgreichsten Protagonisten der deutschen Humorwirtschaft.
Der Autor
Dietmar Wischmeyer, Radiomacher (u.a. »Wischmeyers Schwarzbuch« bei radio eins rbb), Autor und TV-Kolumnist (heute-show im ZDF), zählt zu den erfolgreichsten Komikern Deutschlands. Er erfand das legendäre Frühstyxradio, schuf die beliebte Comedy-Serie »Der kleine Tierfreund« und tourt jedes Jahr mit wechselndem Programm durch Deutschland.
DIETMAR WISCHMEYER
Achtung Artgenosse
Auf der Suche nach menschlichem Leben
ullstein extra
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ISBN 978-3-8437-1173-9
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015Fotos im Innenteil: Dietmar WischmeyerUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: Jens Schmidt
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Achtung, lieber Leser, ich weiß, du bist nicht so doof wie ein Facebook-User, aber um ganz auf Nummer sicher zu gehen, sage ich dir: Die Texte, die du hier liest, sind SATIRE, sie geben weder meine Meinung wieder noch die des Verlages, und schon gar nicht haben sie irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun. Ich habe mir die darin geäußerte Meinung nur aus Langeweile und Geldgier aus dem Arsch gezogen, um anständige Menschen mit unheilbarer Ironie-Unempfindlichkeit vor den Koffer zu scheißen. Damit auch wirklich jeder merkt, dass es sich nicht um seriöse Beiträge handelt, habe ich zur Sicherheit soeben die Wörter »Arsch« und »scheißen« kunstvoll in den Text eingewoben. Trotzdem noch einmal der Hinweis: Achtung, Achtung, es folgen satirische Texte, die nicht der veröffentlichten Wahrheit entsprechen müssen. »Satirisch« ist im Übrigen das Adjektiv zu dem Subjekt »Satire« und sagt in etwa dasselbe, nur in einer anderen Funktion im grammatikalischen Aufbau des Satzes: »Adjektiv« heißt auf der Bretterpenne auch »Wie-Wort« und Subjekt ist ein »Hauptwort«. Was »grammatikalisch« heißt, müsste ich jetzt selber bei Fickimedia nachgucken. Hast du’s gemerkt? Schon wieder eine satirische Überspitzung, in Wahrheit heißt die Internet-Enzyklopädie nämlich Wikipedia, hättest du’s gewusst? Dort kann man auch den Begriff »Satire« nachschlagen: »Satire ist eine Spottdichtung, die Zustände oder Missstände in sprachlich überspitzter und verspottender Form thematisiert. Im heutigen Sprachgebrauch versteht man darunter aber meist einen künstlerisch gestalteten Prosatext, in dem Personen, Ereignisse oder Zustände verspottet oder angeprangert werden.« Ich finde, dass Facebook blöd und speziell die doofe Sau, die das erfunden hat, ein menschenverachtender Pissesäufer ist. Sooo, das musste mal raus und ist hoffentlich genug geprangert, allein es fehlt die künstlerische Gestaltung des Prosatextes, deshalb noch mal als Kunst: »Glutrot versank die Sonne am Horizont, als meine Gedanken um den Gründer des beliebten sozialen Netzwerks kreisten und dem Schluss nicht zu widerstehen vermochten, dass es sich bei ihm um einen zutiefst verachtenswerten Golden-Shower-Aktivisten handele. Sofort stieg mir die Schamesröte ins Gesicht ob meiner düsteren Gedanken.« So, haben wir jetzt alles zusammen: Prangern, Kunst und überspitzt. Fertig ist die Satire. Schön, dass Facebook jetzt auch auf alle seine Seiten den Achtung-Satire-Button klebt – ich dachte schon, den Mist gibt’s wirklich.
Kommunikation mit einem Außerirdischen
+ Mobile Solutions and More, Sie sprechen mit Gandalf Zalitta. Um unseren Kundenservice zu verbessern, wird jedes dritte Gespräch aufgezeichnet, wenn Sie damit nicht einverstanden sind, dann nennen Sie mir bitte die Hauptstadt von Transnistrien.
# Öh, von was?
+ Vielen Dank für Ihr Einverständnis. Was kann ich für Sie tun?
# Hallo, ich rufe an, um mich nach der bei Ihnen bestellten Bimsi-Box zu erkundigen, ich hatte ja schon im Vorfeld über Zahli-Prompt die Rechnung beglichen, und das ist jetzt drei Wochen her … äh … mindestens …
+ Würden Sie mir bitte Ihre Kundennummer, den Bestellcode und die letzten achtundzwanzig Ziffern der Identification-Number geben?
# Der was?
+ Die Identification-Number finden Sie auf der hinteren Rückseite des Gerätes im unteren Drittel der Vorderansicht, ganz klein neben der KBNO.
# Aber ich hab das Gerät doch noch gar nicht bekommen.
+ O.k.! Dann rufen Sie mich bitte wieder an, sobald das Gerät bei Ihnen eingetroffen ist. Vielen Dank, dass Sie mit Mobile Solutions and More zufrieden waren, mein Name war Gandalf Zalitta.
# Halt, halt, deshalb rufe ich doch an, weil das Gerät noch nicht bei mir eingetroffen ist.
+ Können Sie dann bitte Ihre Kundennummer, den Bestellcode und die letzten achtundzwanzig Ziffern der Identification-Number über die Tastatur Ihres Telefons eingeben?
# Ich habe hier nur erst mal meine Kundennummer rausgesucht, DW08736489PQ54672926331
+ Bitte ohne Leerstellen eingeben!
# Was? Na gut. DW08736489PQ54672926331
+ Moment! … Aha! … Hier habe ich Sie: Frau Bernstorff!
# Ich bin nicht Frau Bernstorff.
+ Doch, ich habe Sie hier auf meinem Rechner: Frau Gundula Bernstorff, wohnhaft Kleine Bumse 43 in 42640 Solingen. Ihre Bimsi-Box ist in der 26. KW durch unseren Logistic-Partner PLP abgeholt worden. Sie können Ihre Sendung verfolgen unter www. PLP Punkt com slash shipment minus tracking. Geben Sie dort bitte im unteren Identify-Feld die Identification-Number ein, die finden Sie oberhalb der KBNO …
# Wie gesagt: Ich hab das Gerät noch nicht, deshalb rufe ich ja an.
+ Aber Sie sind Frau Gundula Bernstorff?
# Nein, ich bin auch nicht Frau Bumsula Wermouth … oder wie die heißt.
+ Kein Problem, ich buchstabiere: Golf, Uniform, November, Delta, Uniform, Lima, Alpha, neues Wort, Bravo, Echo, Romeo, November, Sierra, Tango, Oscar, Romeo, Foxtrott, Foxtrott.
# WAS?
+ Gundula Bernstorff, Ihr Name!
# Ich bin das aber nicht.
+ Kein Problem. Sie können eine elektronische Vollmacht von Frau Bernstorff über unseren Verschlüsselungspartner zertifycon punkt com an uns schicken. Dafür müssen Sie sich nur dort registrieren und einmalig die Verschlüsselungs-Software zertfiy-XP2374 herunterladen. Sie werden dann automatisch innerhalb der nächsten vierzehn Tage freigeschaltet. Das Ganze ist für Sie kostenfrei, und mein Name ist Gandalf Zalitta.
# Und mein Name ist Gundula Bernstorff, und ich hab eine Bimsi-Box bei Ihnen bestellt.
+ Guten Tag, Frau Bernstorff, willkommen bei Mobile Solutions and More, mein Name ist Gandalf Zalitta.
# Hallo, Gandalf, alte Socke, nenn mich Gundula!
+ Uns ist es nicht erlaubt …
# Schon klar, ich möchte auch nur eine kleine Bestell-änderung durchgeben: Die Lieferadresse ist jetzt Gundula Bernstorff c/o Dietmar Wischmeyer, Am Klärwerk 3 in 30163 Hannover. Ich storniere den Betrag bei Zahli-Prompt und möchte, dass alle Rechnungen an meine Heimatadresse Frau Gundula Bernstorff, Kleine Bumse 43 in 42640 Solingen gehen.
+ Alles notiert, Frau Bernstorff, einen schönen Tag noch, vielen Dank, dass Sie mit Mobile Solutions and More zufrieden waren, mein Name ist Gandalf Zalitta.
# Meiner auch! Auf Wiederhören!
(Telefonklingeln)
# Wer kann das denn noch sein, um diese Zeit. Hoffentlich ist nix passiert.
# Hier Dietmar Wischmeyer bei der Arbeit.
+ Guten Abend, Frau Bernstorff …
# Ach du Scheiße, Zalitta …
+ Hier ist Mobile Solutions and More, Ihre Service-Hotline, mein Name ist Gandalf Zalitta, was kann ich für Sie tun?
# Wie? Was? Ich habe Sie überhaupt nicht angerufen.
»Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen«, ist auch nur ein Spruch.
+ Natürlich nicht, denn wir sind eine Reverse-Hotline, nicht Sie rufen uns an, wenn Sie Probleme haben, sondern wir Sie …
# … damit ich welche bekomme?
+ Ein gelungener Scherz, Herr Bernstorff!
# FRAU Bernstorff, so viel Zeit muss sein.
+ Wir von Mobile Solutions and More haben uns diesen ganz besonderen Service für unsere Prepaid-Kunden ausgedacht, um Probleme schon im Vorfeld gar nicht erst entstehen zu lassen. Wir von Mobile Solutions and More wollen immer besser werden, deshalb untersuchen wir, wie ist der Satisfaction-Index bei Ihrer Bimsi-Box auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 die höchste Zufriedenheit bedeutet?
# Minus fünf!
+ Bitte antworten Sie innerhalb der Skala, mein Name ist Gandalf Zalitta.
# Na gut: zehn.
+ Vielen Dank. Möchten Sie zusätzlich zu Ihrer Box noch einen Muffin oder ein Croissant?
# Nein danke!
+ Darf ich Sie dann über die neuen Produkte aus dem Hause Bimsi Technologies kurz informieren?
# Nein.
+ Gut, dann hole ich etwas weiter aus. Mein Name ist Gandalf Zalitta. Die Herbstkollektion von Bimsi Technologies offeriert Ihnen die beliebte Bimsi-Box in fünf neuen Trendfarben: Dazzling Ocean Blue, Violet Tulip, Dead Chicken Cunt, Foot-Mushroom Yellow und Deep Grizzly Asshole Black.
# Danke nein, ich bin nicht an bären-arschlochfarbenen Bimsi-Kästen interessiert.
+ Kennen Sie denn schon Bimsi-Kid, die Bimsi-Box für unsere Kleinen? Hallo, Bimsi, sag mal guten Tag.
++ Hallo, Onkel Bernstorff, wie geht es dir, ich bin der kleine Bimsi und koste nur 35 Euro monatlich, huhu, Onkel Bernstorff!
# Mir reicht’s jetzt, ich hab die Schnauze voll.
++ Möchtest du dazu vielleicht noch einen Muffin oder ein Croissant?
# NEINDANKE!
Wenn die Balkone Trauer tragen
Sie stehen einfach da und rauchen. Sonntagmorgens. Männer auf Balkonen. Sie tragen, noch von der Nacht, labbrige T-Shirts mit den Motiven vergessener Popgrößen. Den Intimbereich regiert die bollerige Jogginghose. So stehen sie da, glotzen vor sich hin und rauchen. In der Wohnzelle hinter dem Balkon rasselt ein dazugehöriger weiblicher Vorstadt-Primat durch den noch jungen Vormittag. Der Mann auf dem Balkon überlegt kurz, sich in die Tiefe zu stürzen, dann schaut er auf die halbaufgerauchte Marlboro Light und denkt: »Wäre schade drum.« Das Kleinhirn sendet stattdessen einen Befehl an die rechte Hand, der in unserer Sprache etwa lauten würde: »Sofort am Sack rumfummeln.« Unten, von der Straße aus, sieht ein anderer Mann im selben Moment den Raucher in grau-beiger Jogginghose auf einem winzigen Balkon stehen und sich am Sack rumfummeln. Den Umweg übers Bewusstsein weglassend, wühlt auch der Straßenmann jetzt in seinem Testikelvorrat und schmort sich mit brennender Zigarette ein Loch in den Outdoorschlüpfer. Vor Wut tritt er nach seinem struppigen Fixköter an der Flexileine. Vier oder fünf rauchende Männer sind es um diese Zeit, die zwischen den Wohntürmen ihre kleinen Hunde zum Kacken auf den Spielplatz führen. Von den Balkonen schauen ihnen die anderen rauchenden Männer zu. Bestimmt hätten sie sich viel zu erzählen, die Raucher da oben und die da unten, doch sie begegnen sich nie. So wissen sie nicht, wie es den anderen dabei geht, seit Jahrzehnten mit einem Riesenwombat in einer Drei-Raum-Zelle zu leben, oder wie man damit klarkommt, dass man immer älter wird und an nichts mehr Freude hat, nur noch an den paar Minuten ganz für sich, wenn man mit den ersten Sonnenstrahlen auf den noch nachtfeuchten Balkon hinaustritt und raucht – ganz allein und in Gedanken. Die Männer da unten rauchen, während ihre Hunde kacken, und auch sie genießen jeden Moment des Alleinseins. Begegnen sich zwei von ihnen, dann begrüßen sich nur deren Hunde, die Männer zerren an den Flexileinen und rauchen. Für Außenstehende mag es wie eine Allegorie auf die Traurigkeit des Lebens erscheinen, all diese einsamen rauchenden Männer am Sonntagvormittag. Aber wer weiß schon, was wirklich in ihnen vorgeht. Vielleicht sind sie in diesen Momenten glücklicher als im ganzen Rest der Woche – was an sich noch trauriger wäre.
Der letzte Mohikaner unter den ehrlichen Wörtern
Es wundert einen ja schon nichts mehr, was im Namen von wem auch immer der Sprache angetan wird: Verweiblichungs-Geschwurbel, Solution-Gefasel einer Arschgeigen-Group, und besonders die Politik verbreitet nur noch euphemistisches Gewäsch – es treibt einen schier in den Wahnsinn. In der freien Zausel-Republik BaWü heißt die Jagd neuerdings »Wildtier-Management«, da fühlt sich die Ricke doch gleich viel besser angesprochen. In all diesem Irrsinn hat es ein Wort geschafft, sich gegen die selbsternannten Anwälte der Gerechtigkeit zu behaupten: Der Verbraucher. Oder noch schöner: »Der Endverbraucher«, dem der Endsieg über das Neue immer wieder gelingt. Zwar hat sich in der Pissetrinker- und Pissetrinkerinnen-Welt immerhin das Gefussel von den »Verbrauchern und Verbraucherinnen« durchgesetzt, nicht jedoch eine weibliche Normalverbraucherin anstelle ihres männlichen Kollegen Otto. Aus Sicht der Sprach-Taliban gäbe es allerdings gute Gründe, dem Verbraucher den Garaus zu machen. Er ist gleichzeitig Mensch und Kaffeemaschine oder was man sonst noch alles mit Strom betreiben kann. Das Menschen-Wort ist von geradezu altmodischer Schonungslosigkeit wie Krüppel oder Schwachsinniger. Es reduziert die Krone der Schöpfung auf sein Wesen als Transformator von Edlem und Wertvollem in Scheiße – Nachhaltigkeit ist was anderes. Kann man Kameldung sogar noch zum Heizen verwenden und selbst mit Hühnerkot den Acker düngen, verwandelt der Verbraucher egal, ob fettige Fritten oder glasierten Hummer in ein und dieselbe Scheiße – um es noch mal ganz deutlich zu sagen. Gleich, was diesem Großvernichter in den Schlund gerät oder in die Hände fällt, ist danach nur noch Schei … nein, nicht noch mal: Müll, Abfall und Schrott. Eine Waschmaschine würde wahrscheinlich Jahrhunderte überleben – doch kaum hantiert Ottilie Verbraucherin daran herum, ist sie nach ein paar Jahren kaputt. Mittlerweile liegt der ganze Planet voll mit dem ausgefurzten Dreck der Vollstrecker des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Dennoch gibt es ganze Ministerien, die sich dem Schutz des Verbrauchers widmen. Da wundert sich die verfolgte Malaria-Mücke, die weit weniger Unheil anrichtet und mit etwas Glück sogar den Verbraucherbestand regional ausdünnt. Mich hingegen wundert, dass sich dieses ehrliche Wort in einer Welt des schönfärberischen Gelabers noch immer hält und nicht zum Beispiel durch »Kuluttaja« ersetzt wurde – so heißt der End-Vernichter auf Finnisch, und wer würde schon einem niedlichen Kuluttaja unterstellen, dass er die ganze Welt zuscheißt.
Hochsitz für Jäger im ersten Lehrjahr.
Wenn der Weltgeist leise »Servus« sagt
Vor vielen, vielen Hunderten von Jahren lebte ein Volk auf dem südlichen Balkan, das man die Griechen nannte. Sie erfanden die Liebe ohne Sex, die Irrationalität der Quadratwurzel aus zwei, ein hohles Pferd aus Holz und ganz nebenbei auch noch die Demokratie – das sind Ahnen, wie wir Deutschen sie auch gerne hätten, statt der biersaufenden Zeckenzüchter, die zur selben Zeit durch unsere Breiten stiefelten. Drum erfand der deutsche Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel ein Fabelwesen namens »Weltgeist«, welches den Genius der antiken Griechen in die nördlichen Sumpfgermanen implantierte. Wir Deutschen sind demnach die legitimen und alleinigen Nachfahren der alten Schlauberger vom Balkan. Das leuchtet auch jedem sofort ein, denn wir geilen uns an Primzahlen auf und gestalten unsere Vorgärten nach der euklidischen Geometrie. Zeitgleich zur Weltgeist-Transplantation in den teutonischen Volkskörper hat sich im ursprünglichen Verbreitungsgebiet der alten Griechen ein quittungsresistenter Mob angesiedelt, der seinerseits behauptet, legitimer Nachfahre der antiken Bildungsbürger zu sein – eine historische Lachnummer, die jeder Beschreibung spottet, bestenfalls vergleichbar der Bezeichnung »Sachsen« für die Primaten am Oberlauf der Elbe. Krampfhaft versuchen die selbsternannten Neugriechen schon seit 150 Jahren, das Erbe der Antike anzutreten: Sie schreiben mit eckigen Buchstaben, wissen alle, wann die Keilerei bei Issos stattfand, sogar wer gegen wen, und zwangen sogar ihre Bewohner bis 1976, eine pseudogriechische Kunstsprache zu erlernen. Allein, es half nichts, die orientalischen Grundrechenarten Behumsen und Bescheißen setzten sich immer wieder durch. »Trick siebzehn mit Selbstüberlistung« wurde zur allgemein anerkannten Wirtschaftstheorie, und wer nach zwei Monaten Regierungszeit nicht mit vollen Taschen aus dem Amte schied, galt allgemein als Volltrottel. Für die jeweilige Regierung besteht die Bevölkerung noch heute aus eigenverantwortlichen Privatpersonen, mit denen man nichts zu tun haben will. Das griechische Wort für »Privatperson« lautet übrigens »Idiot«. Wenngleich also die im südöstlichen Europa aufgeführte Tragödie allmählich in ihren dritten Akt eintritt, sind deren Laienschauspieler noch immer guten Mutes und hoffen auf ein heiteres Satyrspiel zum Schluss. Trost und Gewissheit spendet ihnen der Parthenon oben auf der Akropolis: Vor zweieinhalbtausend Jahren erbaut, vor dreihundert Jahren zusammengeschossen, nie aufgeräumt oder repariert, und siehe, die Möwen scheißen noch genauso gern hinein wie ehedem.
Wir sind die Diepholzer
Das Universum! Seit zig Milliarden Jahren eine Baustelle, und keine Aussicht, dass es irgendwann mal fertig wird. Wir wissen nicht mal, ob es noch im Aufbau ist oder schon die Abrissphase läuft. Seit dem Urknall explodiert oder implodiert der ganze Mist, und soweit wir bisher wissen, sehen die allermeisten Planeten so aus wie der Braunkohletagebau in der Lausitz. Trotzdem glauben viele Menschen, dahinter stecke ein göttlicher Plan. Klar, ein Gott, der den Flughafen »Gurkensumpf international« zugelassen hat, warum soll der nicht auch das Universum erschaffen haben – auf eine Pleite mehr oder weniger kommt’s doch wirklich nicht an. Aber warum existiert dann nur in einem superwinzigen Teil dieses Riesenuniversums Leben? Darüber können sich die gepimpten Planetenaffen auf Erden nicht genug wundern. Was ist daran rätselhaft? Vielleicht existiert auf allen anderen Planeten Sagrotan, und deshalb kann da nix überleben, nicht mal die klitzekleinste Bazille. Aber noch hat der Idiot auf Erden die Suche nach einem Kumpel im Weltall nicht aufgegeben. Sonden und Satelliten kreisen durch den unendlichen Raum und gucken, ob einer guckt. Kapseln mit einem Zettel drin, auf dem die Formel für Coca-Cola und die Körbchengröße von Pamela Anderson aufgeschrieben stehen, werden ins Nirgendwo geschossen in der Hoffnung, dass sie jemand fände und ein Zeichen zurücksende. Pausenlos morsen, fiepen und blinken Erdstationen Signale hoch in den Himmel. Doch niemand antwortet. Sind wir tatsächlich allein im Universum, oder will einfach nur keiner etwas mit uns zu tun haben? Ich bin sicher, Letzteres entspricht der Wahrheit. Das ganze Weltall ist voller Leben, es wuselt an allen Ecken, quiekt und schleimt aus jeder Ritze. Doch sobald von hier unten eine Raumkapsel hochgeschossen wird oder nur das Hubble-Weltraumteleskop vorbeifliegt, springen alle hinter den nächsten Asteroiden und piepen sich zu: Versteckt euch, die Doofen kommen zu Besuch. Im Weltall ist’s wie Weihnachten früher bei uns zu Haus: Mein Bruder saß am Fenster und hielt Wache. Sobald sich ein grüner Opel näherte, rief er in die Stube hinein: Alarm, die Diepholzer, Tante Warzennase und Onkel Laberarsch! Und schon rasselte die Jalousie herunter, und wir alle waren mucksmäuschenstill. Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Für die da draußen sind wir die Diepholzer.
Schaler Trost der Zukurzgekommenen
Machen wir uns nichts vor: Kein Geld zu haben oder auch nur wenig ist kein Spaß. Je geringer allerdings die Chance, an die Fleischtöpfe zu gelangen, desto kritischer gerät der Blick auf die Welt der Begüterten. Am liebsten schaut man von der untersten Sprosse der Leiter hinauf zum total verkrebsten Multimillionär, den es nach zig Therapien dann doch dahingerafft hat. »Das ganze schöne Geld, es hat ihm nichts genützt.« Als wären die Chancen, dem Krebs zu entgehen, größer, wenn man ein armer Schlucker ist. »Mag wohl sein, trotzdem: Das ganze schöne Geld, es hat ihm nichts genützt.« Voller Häme ergötzt sich der kleine Mann am Schicksal des Gebeutelten. Schon aus der Bibel kennt man den verarschenden Trost für die Armen: »Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.« Dafür hat der Reiche aber sein eigenes irdisches Reich, in dem er so viele Nadelöhre in Kamelgröße bauen kann, wie er lustig ist. Die Armen und Betrogenen aufs Jenseits zu vertrösten, ist so alt wie der Betrug selbst. Seitdem allerdings der jenseitige Lohn höchstens noch den Selbstmordattentäter hinterm Kamel hervorlockt, schafft es der säkularisierte Penner unserer Tage, sich selbst zu verarschen: »Das ganze schöne Geld, es hat ihm nichts genützt.« Wohlig räkelt sich die stumpfe Krampe auf dem Billigsofa, als sie vom plötzlichen Herztod des Milliardärs erfährt. Dass unzählige andere Reiche und Mächtige schon den x-ten Infarkt überlebt haben, gerade weil sie über die entsprechende Valuta verfügten, blendet das sich selbst bescheißende Ich großzügig aus. Es wäre wohl zu viel verlangt, sich einzugestehen, dass das Leben zwar von Gott gegeben, aber vom Menschen genommen sein kann. Die Wahrscheinlichkeit schäbigen Abkratzens korreliert durchaus signifikant mit der Ebbe im Portemonnaie und den damit einhergehenden Ohnmächten. Damit das nicht so auffällt, werden in der Verblödungsindustrie immer wieder Schicksale als Roman oder Film entworfen, in denen die Schönen und Reichen auf links durchs Nadelöhr gezogen werden. Da grinst das von Gicht gebeugte Mütterchen, wenn es vom grausamen Schicksal des Hochadels liest, wo schon in dritter Generation die Gebärende noch auf dem Kindbett im eigenen Blut ertrank. Ogottogottogott. »Das ganze schöne Geld, es hat ihnen nichts genützt.« Doch, damit kann man zum Beispiel solche Filme drehen, um die Leute zu verarschen, damit sie einem nicht das schöne Geld wegnehmen.
Endlich brummte das Geschäft. Der alte Name »Siggis Skalpierservice« war’s irgendwie nicht.
Wahre Dichtung des Volkes
»Tritt näher, er ist kürzer, als du denkst!« Das las man früher an der gefliesten Wand, als man noch in die Pinkelrinne strullte und noch nicht in den Urimaten. Seither ist’s vorbei mit den guten alten Lokussprüchen, und man darf sich beim Schiffen über die Vorzüge der gebremsten Inkontinenz mittels Granufink informieren. »Auf diesem Lokus sitzt ein Geist«, raunte es einst in der Abferkelbox, »der jedem, der zu lange scheißt«, im zweiten Vers deutete sich das Unheil schon an, und dann kam’s: »von unten in die Eier beißt«. Wir ahnen, das Poem war den Kabinen der Herrentoilette vorbehalten, und man fand genau diese Verse an nahezu jeder Toilettentür. Obwohl schon tausendmal gelesen, musste man immer wieder schmunzeln – genau wie über den gestrichelten Penis nebst haarigen Testikeln untendran. Doch wieso freute man sich immer wieder aufs Neue? An der Originalität des Werkes lag es wohl kaum, es war die Vorstellung von jemandem mit heruntergelassener Hose auf der Schüssel, der dort hockte und mit gestrecktem Arm einen Pimmel an die Tür krickelte. Das Heitere liegt dabei in der absoluten Sinnlosigkeit der Tat und in der kindlichen Freude, heimlich etwas Versautes zu hinterlassen. Es ist eines der ältesten Zeugnisse menschlicher Phantasie überhaupt, so alt wie die Zeichnungen in der Höhle von Lascaux. Heute sind die kleinen Verse auf den Toiletten verschwunden, abgelöst entweder durch Werbung oder durch dumpfe Sachbeschädigung. »Die Bonbons in den Pissbecken bitte nach dem Lutschen nicht wieder hineinspucken. Vielen Dank.« Am meisten konnte ich mich immer über das angehängte »Vielen Dank« amüsieren, antizipierte es doch den stattgefundenen Vollzug – so wie es diese selbstgefälligen Autobahn-Baustellenschilder tun: »Ausbau der A7 bis Ende 2034 – Vielen Dank für Ihr Verständnis« – als ob das je einer haben würde. Doch zurück zur Scheißhauswand. Besonders angetan hatten es mir stets jene Weisheiten, die das Medium selbst reflektierten: »Wer dies liest, steht in meiner Pisse«: ein Klassiker der kritischen Literatur, deren Absicht es schon immer war, auf das Verhalten der Menschen positiv Einfluss zu nehmen. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren Standard, der auf jedem Lokus früher zu finden war: »Was suchst Du den Witz an der Wand, den größten hältst Du in der Hand.« Leider ist diese Volksdichtung der Säuberung zum Opfer gefallen und wird von mir jedes Mal schmerzlich vermisst, wenn ich zum x-ten Mal beim Pinkeln auf Bilder von Kaminöfen starren muss.
Pissesäufers paradise
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