Adam Coon - Ein letztes Wiedersehen mit dem Tod, Band 4 - Vantell J. LaRoche - E-Book

Adam Coon - Ein letztes Wiedersehen mit dem Tod, Band 4 E-Book

Vantell J. LaRoche

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Beschreibung

Die Vergangenheit wiederholt sich. Die Leute verändern sich. Aus Feindschaften werden Freundschaften. Neue Machtverteilungen. Und Europa mischt sich auch noch ein. Sommer 2018. Das Ende einer Ära beginnt, doch nicht jeder soll seinen Frieden finden. Denn Adam Coon gerät mal wieder in eine missliche Lage und das Team um Ermittlerin Melinda Grant darf es ausbaden. Während sie nicht sonderlich erfreut über das unschöne Wiedersehen ist, wird Coon endgültig von seiner Vergangenheit eingeholt und ist verdammt dazu, sie am eigenen Leibe zu wiederholen. Er hat noch längst nicht mit ihr abgeschlossen.

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WIDMUNG

Wie man sich täuschen kann,

wenn man sich täuschen will in einem Menschen.

Wie man ihn zu etwas Besonderem macht,

wenn man etwas Besonderes braucht.

Wie man sich Illusionen machen kann,

wenn man die Wahrheit nicht wahrhaben will -

bis sie dann wie der Blitz einschlägt in die Galerie

der Wunschbilder und nichts hinterlässt

als Schall und Rauch.

Hans Kruppa „Schall und Rauch“

An alle Optimisten und Pessimisten da draußen.

DER AUTOR

Vantell J. LaRoche. Ein Pseudonym, hinter dem sich ein junger Schreiberling versteckt - im wahrsten Sinne.

Denn Vantell wurde 2002 in der kleinen Stadt Görlitz geboren.

Im Jahre 2012 fand der Schreiberling die Liebe zur Literatur und Fremdsprachen und verfasst seither auch eigene Werke.

Das bislang größte Projekt dabei ist die Buchreihe um Adam Coon. Mit abertausenden Worten, Sarkasmus und schlechten Witzen wird das Leben des Coons mit Höhen und Tiefen gestaltet.

WERKE

Adam Coon - Der Tod serviert mit Essig, Band 1

Adam Coon - Der Tod im Klärwerk, Band 2

Adam Coon - Der Tod in Person, Band 3

Adam Coon - Ein letztes Wiedersehen mit dem Tod, Band 4

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

25. Juni, 2018.

KAPITEL EINS

26. Juni, 2018.

KAPITEL ZWEI

27. Juni, 2018.

KAPITEL DREI

28. Juni, 2018.

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

29. Juni, 2018.

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

02. November, 2018 - Luxemburg

EPILOG

PROLOG

25. Juni, 2018.

Wie ein Falke in seinem Horst beobachtete er das dürftige Treiben in New Yorks Straßen. Er löste die Manschettenknöpfe an seinem Hemd, ließ sie in seine Westentasche gleiten. Abwesend krempelte er die Ärmel hoch. Sein Atem zitterte. Er war angespannt, überarbeitet, gelangweilt von sich selbst. Mit Daumen und Zeigefinger rieb er seinen Ringfinger. Seit zwei Jahren erschwerte ihn kein Ring mehr, doch das würde sich bald ändern.

Er hatte gewusst, was die Wall Street sagte und auch, was Donald Trump anstellte. Solange ich das Geld habe, hatte er sich gesagt, werde ich es bis aufs Letzte ausreizen. Wenn er jetzt daran dachte, würde er sich am liebsten die Haare ausreißen. Wie war er nur auf die Idee gekommen? Zu wenig Geld hatte er ins Ausland gebracht oder in Immobilien investiert und eindeutig zu viel für Autos ausgegeben. Für ihn waren die Autos nur noch Staubfänger in der Garage. Er lehnte seine kaltschweißige Stirn gegen das warme Fensterglas und schloss die Augen. Stille. Ruhe. Einsamkeit. Das laute Hämmern einer nervösen Stimme an seiner Tür ließ seine Schultern verkrampfen. „Scheiße, was!“, fluchte er. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und eine kleine Frau schlüpfte in das Büro. Mit großen Augen schaute sie ihn an.

Hatte er sie eingeschüchtert? Wahrscheinlich.

„Es … I-ich ...“, stammelte sie.

„Reißen Sie sich am Riemen, Miranda. Sie wissen, ich hasse dieses Gestotter.“

„Die sind hier. Ich weiß nicht, warum -“

„Wer ist hier? Miranda, wie oft soll ich es Ihnen noch sagen, damit Sie es endlich in Ihr kleines Hirn hineinkriegen? Ich bestehe darauf -“ Das Auffliegen seiner Tür unterbrach ihn.

Eine Handvoll Menschen stürmte mit gezogenen Waffen sein Büro und vier Dutzend weitere filzten den kompletten Tower. Sein Herz setzte einen Schlag aus, rückwärts stolperte er gegen den Tisch.

„D-E-A! Hände hoch und keine Bewegung.“ Er runzelte die Stirn. DEA? Was sollte das? Was wollten die von ihm oder seiner Firma? Er hatte nichts mit Drogen zu tun. „Ich sagte, Hände hoch!“ Er zuckte mit keinem Muskel. Nichts dergleichen würde er tun. Dieser Idiot von Agent wusste wohl nicht, vor wem er stand. Mit seinem stillen Protest kam er nicht weit. Die Agents packten ihn grob an den Armen und legten Handschellen an. „Sie sind Beschuldigter in einem Strafverfahren bezüglich illegalen Drogenbesitzes, Handels, einschließlich der Herstellung. Sie sind festgenommen.“

„Wollen Sie mich verarschen?“, keifte er, das Blut in seinen Adern brodelte. Er bewegte sich ruckartig, versucht darauf, losgelassen zu werden. „Wollen Sie mich verarschen!“, wiederholte er aggressiv. „Lassen Sie mich, verdammt nochmal, los. Ich habe mit der Scheiße nichts zu tun!“ Die Agents schüttelten die Köpfe und führten ihn aus seinem Büro heraus. Er sah, wie einer der Beamten einen ganzen Karton voller weißer Päckchen zum Fahrstuhl trug. Seine Angestellten und ein paar wenige Geschäftspartner starrten ihn geschockt an. „Wichser!“, zischte er. „Alles nur kleine, erbärmliche Wichser hier. Wenn ich herausbekomme, wer dafür verantwortlich ist, wer mir diesen Scheiß anhängen will … Ich bringe euch um! Nein, besser, ich lasse euch umbringen, damit ich genüsslich zuschauen kann!“ Er spuckte die Worte förmlich aus, bevor er sich mit dem Gesicht zur glänzenden Wand im Fahrstuhl wiederfand.

Der Konvoi der DEA hatte nicht nur neugierige Passanten, sondern auch sensationsgeile Reporter und Journalisten angelockt. Erhobenen Hauptes ließ er sich zu einem der Wagen abführen. Verstecken hätte keinen Sinn ergeben. Es wusste eh schon jeder, was passiert war. Wenn nicht, dann spätestens in zehn Minuten durch die TV-Nachrichten. Ein neuer Skandal, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Die Fahrt verlief ruhig. Er war in eine Art Passivmodus verfallen, die Bilder und Stimmen zogen an ihm vorbei.

Seine neue Anwältin war bereits von Nolan informiert worden. Sie verzog das Gesicht, als er ermüdet und verschwitzt durch das heiße Wetter in den Verhörraum verfrachtet wurde. „Du siehst aus, als wärst du im Arsch“, stellte sie fest.

Er funkelte sie eisig an. „Wenn du mir nur irgendwelche dummen Sprüche an den Kopf knallen willst, dann kannst du gleich wieder gehen. Heute ist schon beschissen genug.“

„Uh, da hat wohl jemand seine Tage.“

„Carly, bitte! Ich möchte das geklärt haben. In den nächsten Stunden noch, wenn möglich.“

„Du weißt, ich geb' mein Bestes, aber ich kann für nichts versprechen.“ Sie musterte ihn. Die Rädchen in ihrem Hirn ratterten, eine Idee entwickelte sich. „Wir könnten das 17te anrufen. Die boxen dich in Nullkommanichts raus - zumindest aus diesem Verhörraum.“

Er schnarrte verächtlich auf. „Wenn ich kastriert werden möchte, gehe ich vorzugsweise zum Arzt.“

„Gut, dann gibt es immer noch Plan B.“ Skepsis machte sich in ihm breit, er hob eine Augenbraue. „Wir können dich als psychisch krank abstempeln.“

Er grunzte und klatschte Beifall, soweit die Fesseln es ermöglichten. „Brillant. Wirklich, brillant. Unzurechnungsfähigkeit, genau das braucht mein Image jetzt. Falls du es noch nicht bemerkt hast oder falls ich nicht den Anschein mache … Ich habe mich verspekuliert sowohl in der einen als auch in der anderen Sache. War zu spendabel. Zwar läuft es noch gut für mich, aber ich muss Abstriche machen. Ich hoffe ja, dass die Umsätze nach der Hochzeit wieder ansteigen, aber das wird kaum möglich sein, wenn du jetzt so etwas deklarierst – am besten noch vor der Presse.“ Die Anwältin nahm seine Hände und malte mit ihren Daumen kleine Kreise auf die Handrücken. Seine Schultern senkten sich, die Anspannung schwand. Sie wusste, was er meinte, wovon er sprach. Sie wusste, warum seine Launen in den letzten Wochen und Monaten schwankten. Sie suchte seinen Blick. Nur widerwillig schaute er ihr in die Augen. Er verstand, was sie wollte.

Merkte, wie seine Hände wieder kaltschweißig wurden.

Wollte er Plan A? Nein. Hatte es eine andere Option gegeben? Unwahrscheinlich. Nicht bei dem geringen Zeitpensum.

Er nickte ihr zu und legte seinen Kopf auf den Tisch. Migräne. Das vierte Mal innerhalb der letzten paar Tage. Mitte vierzig und er fühlte sich wie achtzig. Sein Haar verlor auch immer mehr Farbe. Die Ansätze sahen deutlich grauer aus.

Gleiches galt für seinen Bart. Und das Funkeln in seinen Augen verringerte sich ebenfalls von Tag zu Tag.

„Zehn Minuten“, sagte die Anwältin leise. „Dann wirst du vorläufig in eine Zelle aufm 17ten verlegt. In der Zwischenzeit klären sie hoffentlich die Tatvorwürfe.“

„Großartig“, brummte er gegen die Tischplatte. Er verspürte keinen Drang, den Sarkasmus in seinem Ton zu verstecken.

Das konnte ein Spaß werden.

KAPITEL EINS

Er wusste nicht, was angenehmer war. Mit Handschellen in einem Verhörraum zu sitzen oder nun in einer Zelle zu vergammeln? Wenigstens ist es hier kühl, dachte er und bequemte sich auf die Zellenbank. Seine Augen fixierten willkürlich einen Punkt an der Decke. Welcher Idiot hatte die hirnrissige Idee, Drogen in seiner Firma zu deponieren? Er atmete geräuschvoll aus und überlegte. „Wow, ich dachte wirklich, Max verarscht mich.“ Er erkannte die Stimme. Keinen Zentimeter bewegte er sich. Nur sein Adamsapfel ging rauf und runter, als er schluckte. „Unsere erste Begegnung nach anderthalb Jahren und du hockst in einer Zelle. Also, ich find's äußerst interessant. Du nicht?“ Er schloss die Augen und versuchte, seine Nerven beisammenzuhalten. Ganz freiwillig war er nicht hier. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass Max das Telefonat angenommen und sich die Umstände bereitet hat, dich hierherzubringen. Ich hätte dich der DEA überlassen. Was soll der Bullshit eigentlich? Drogenhandel, ist das dein Ernst? Machst du mit FINK Geschäfte oder wie darf ich die Aktion verstehen?“ Ruhig atmen. Fassung bewahren. Stark bleiben. Ruhig atmen.

Fassung bewahren. Stark bleiben. Mantraartig wiederholte er es in seinem Kopf. „Ach nein, warte. Ich versteh'. Das ist das neue Verkaufsmodell deiner Verlobten.“ Er schnellte nach oben, stöhnte auf und hielt sich den Kopf. Verdammte Migräne. „Sie hat damit rein gar nichts am Hut, Melinda. Genauso wenig wie ich.“

„Wie war ihr Name noch gleich … Vicky?“ Er hielt die Luft an, wissend, was als Nächstes kommen würde. Er schaute einfach auf seine Schuhe, Augenkontakt wäre sein Todesurteil gewesen. Grant gab ein komisches Geräusch von sich fast wie ein verbittertes Lachen. „Tut mir leid. Nicht Vicky. Vicky war ja nur die Hure.“

Freundlich lächeln, sagte sie sich, als sie Coons Dienstboten begegnete. Keiner von denen musste sehen, wie es ihr in Wirklichkeit ging. Das Training zum Captain raubte ihr die letzten Nerven.

Dann kam noch das ganze Tam-tam um Coon hinzu. Ja, er hatte sein Gedächtnis zurück. Ja, es war anfangs etwas merkwürdig zwischen den beiden. Und ja, er war des Öfteren griesgrämig dank der ständigen Migräne. Aber seien wir mal ehrlich, warum musste die Presse davon wissen? Sie konnte nicht einmal mehr in Ruhe Tampons einkaufen, ohne dass sie über ihn ausgefragt wurde. Zumal sie sagen konnte, was sie wollte, die Presse drehte sich eh immer alles zurecht. So hieß es seit Wochen, Coon würde sie betrügen. Fortwährend mit anderen Frauen anbändeln. Nichts als Gerüchte. Sie betrat ihr Ankleidezimmer, warf Jacke und Tasche achtlos auf den Boden. Raus aus der Arbeitskleidung und rein in etwas Bequemes und Legeres. Einen Tee würde sie sich später machen. Erst einmal im Badezimmer frisch machen und dann Coon suchen. Vermutlich war er in seinem Arbeitszimmer und bereitete sich auf Konferenzen am nächsten Tag vor. Sie flocht ihr Haar zu einem einfachen Zopf und wusch ihr Gesicht. Der Stress spiegelte sich in ihm wider. Tiefe, dunkle Augenringe, unschöne Falten. Grant hielt sich nicht länger an ihrem Spiegelbild auf und machte sich auf den Weg zum Arbeitszimmer. Sie liebte das Anwesen, auch wenn es manchmal unnötig groß schien und der Weg zum Revier mindestens dreimal so lang war als sonst. Sie war es einfach nicht gewohnt gewesen, so großzügig zu leben und wahrscheinlich war das der Reiz, warum sie es liebte. Nichtsdestotrotz war es zu ihrem neuen Zuhause geworden. Wie Coon. Bei ihm fühlte sie sich geborgen, egal, wie schlecht gelaunt er war. Wenn sie an ihn dachte, breiteten sich warme Gefühle in ihr aus. Und das ist auch richtig so, dachte sie.

Die kurze Liaison mit Austin Karéy hatte sie Coon gegenüber nie erwähnt – niemand hatte davon gewusst, außer natürlich sie und Karéy selbst.

„Miss Grant“, rief ein Dienstbote. „Miss Grant, einen Moment bitte.“ Grant schaute hinter sich und sah, wie er den Gang entlang joggte.

„Was gibt’s?“, fragte sie.

„Euh. Ich-ich wollte nur in Erfahrung bringen … was, euh ...“ Der Dienstbote rieb sich verlegen den Hals und lief rot an. Grant runzelte die Stirn, guckte ihn fragend an. Was war mit dem Kerl los, er stotterte doch sonst nie. Irgendetwas stimmte nicht, sie konnte nur noch nicht sagen, was. Hinter ihnen ging eine Tür auf. Coon trat aus dem Zimmer heraus. Er sah ziemlich überrascht aus und ausgepowert noch dazu.

„Was ist denn mit dir los?“, wollte sie wissen. „Und warum schwitzt du so?“ Coon schaute zwischen ihr und dem Dienstboten hin und her. Wie ein Fisch öffnete und schloss er seinen Mund.

Grant musterte ihn eindringlich. „Puh, euh“, er grinste sie an, „Pila-tes.“ Der Dienstbote schluckte und ergriff die Flucht, er wollte nicht als Puffer in dem Ganzen enden.

„Pilates in Jeans? Der Fitnessraum ist doch auch … hier ist doch unser Schlaf -“ Sie schubste ihn zur Seite und rannte in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Ihr stockte der Atem. Doch nicht bloß Gerüchte.

„Melinda, bitte.“ Halb nackt flüchtete die Frau aus dem Raum.

Wieder waren es nur die zwei. Grant kannte die Frau, hatte sie eigentlich gemocht. Sie kehrte ihm den Rücken zu. Auf keinen Fall sollte er sie weinen sehen. Er hatte ihre Tränen nicht verdient.

Nicht dieser Abschaum. „Wie lange?“ Mehr brachte sie nicht über die Lippen. Ihre Stimme klang zittrig, traurig, aber vor allem enttäuscht.

„Mel“ - „Wie lang treibst du's schon mit deiner „Pilatestrainerin“?“

„Es begann bereits während meiner Amnesie. März, April.“

„Willst du nicht noch was sagen? Tut mir leid oder so?“

„Wohl kaum“, sagte er und kam ihr näher. „Würde es mir ehrlich leidtun, hätte ich es erst gar nicht getan.“ Grant presste die Lippen zusammen und stieß Luft durch ihre Nase aus. Mit den Handballen wischte sie sich die Tränen aus ihrem Gesicht. Sie drehte sich um und wollte, musste hier weg. Im Vorbeigehen murmelte sie: „Na wenigstens bist du in dem Punkt ehrlich“ und schlug die Tür hinter sich zu.

Wie paralysiert stand Coon da. Das ging ihm alles zu schnell. Ihm war klar gewesen, irgendwann wäre die Affäre aufgeflogen. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass irgendwann heute wäre. Und dann auch noch in flagranti.

„Fuck!“, brüllte er und schlug mit geballten Fäusten gegen die Tür. Warum hatte er mit Vicky geschlafen? Er war sich nicht sicher. Es hatte Spaß gemacht – sehr viel Spaß. Aber wenn er es sich recht überlegte, hatten die kleinen Abenteuer und Eskapaden mit Grant ebenso viel Spaß gemacht. Er war ein Arsch. Ein elender Wichser, der etwas wie Monogamie anscheinend nicht kannte.

„Ihr Name lautet Juliette“, korrigierte er und lief auf sie zu. Seine Hände klammerten an den Gitterstäben der Zelle. Er hatte Mut gefasst, traute sich endlich, ihr in die Augen zu schauen. „Und von allen Menschen solltest du doch am besten wissen, dass dieses ganze Hochzeitstheater eine reine PR-Aktion ist. Publicity. Die neue Partnerschaft mit Wade wird nicht allzu offenherzig angenommen, wie gedacht. Juliette ist seine Schwester. Heiraten wir, wird es hoffentlich glaubwürdiger und die Partnerschaft ernster genommen. Mit Glück laufen dann auch die Geschäfte besser.“

„Adam, es ist mir so dermaßen egal. Verlobt ist verlobt. Basta.“ Er deutete ihren Blick, ihren Ton. Sie war eifersüchtig, bestürzt? Er setzte an, um etwas zu erwidern, doch kam nicht dazu. Ein anderes bekanntes Gesicht tauchte neben Grant auf.

Maxwell O'Connor warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor er Grant ins Ohr flüsterte: „Die DEA lässt ihn vorerst frei, meint aber, wir dürfen ihn auch noch in Gewahrsam behalten. Gründe wären gegeben.“

„Du hast ihn hierhergeholt, die Verantwortung liegt bei dir.“

„Du hast das Befehlskommando, wie du es immer ausdrückst.“

„Du bist der Deputy. Du hast dieselben Rechte und Pflichten wie ich.“ Ohne ein weiteres Wort und ohne nochmal zu Coon zu schauen, ging sie. Einfach so. O'Connor schaute ihr verdutzt nach. Damit hatte er bestimmt nicht gerechnet. Er wandte sich langsam zu Coon und fischte die Zellenschlüssel aus seiner Hosentasche. Er schloss die Zelle auf, wartete, bis Coon draußen war und lief los – Coon würde ihm folgen. Fast schon selbstverständlich nahm er sich einen Stuhl und setzte sich an O'Connors Schreibtisch. Er verfolgte jede seiner Bewegungen und dachte nach. Der Ire hatte sich kaum verändert, handelte in gewissen Momenten vielleicht bewusster. Er nahm sich einen Augenblick und beobachtete das restliche PD. Alte Gesichter. Neue Gesichter. Das übliche Gewusel. „Sie ist nicht immer so bissig, glaub mir. Selbst wenn, ist sie noch immer besser als Captain Black.“ Er war also tatsächlich weg, und Grant der neue Captain des 17ten Reviers. „Es sind einige im letzten Jahr gegangen. Zum Beispiel Slown und Smith und -“

„Tico!“ O'Connor nickte. „Wo ist er?“

„Er ist mit Alexa und dem Kleinen nach Virginia gezogen.“

„Kann ich noch annehmen, dass ich Curtis' Pate bin?“ Coon kannte die Antwort, schon bevor „Eher nicht“ seine Ohren erreichte.

„Bist du jetzt ein Ein-Mann-Squad oder gibt es Mitstreiter, die in deiner Präsenz leben?“

„Da gibt es in der Tat einen Mitstreiter.“

„Mister Monday. Nicholas. In Ihrer Bewerbung gaben Sie besondere Fähigkeiten an. Wir suchen momentan unter anderem einen Phantombildzeichner. Können Sie zeichnen?“

„Ich kann nicht zeichnen, nein.“

„Sicher? Kein unentdecktes Talent?“

„Sehen Sie das S da unten in meiner Unterschrift, sieht aus wie 'ne Fünf, nicht wahr?“

„Ja? Irgendwie ja … Wie dem auch sei, was-was stellen Sie sich denn unter Ihren besonderen Fähigkeiten vor?“

„Ich erziele immer Bestleistungen bei sportlichen Aktivitäten. Und ich kann auch sehr gut Sprüche klopfen.“ O'Connor schaute perplex drein, ganz langsam nickte er. Der Kerl war schon eine Nummer für sich. Schien gleichzeitig jedoch nicht sehr redselig, brachte seine Argumente nicht in großer Ausführung. War kein aufgeblasener Schönling wie aus den Modemagazinen. Er trug einen gepflegten Drei-Tage-Bart, hatte dunkle kurze Haare, die trotzdem lang genug waren, um dass sie ihm ins Gesicht fielen. Er hatte etwas an sich – eine doch charismatische Aura. Bewerbung und Lebenslauf waren, abgesehen von den besonderen Fähigkeiten, ebenfalls tadellos. Was konnte man heutzutage mehr verlangen? O'Connor lachte auf. „Ich glaube, ich hab' da 'nen guten Partner für Sie, Nicholas.“ Monday blinzelte ihn neugierig, aber auch erwartungsvoll an. „Mich, um es kurz zu machen. Wohl oder übel bin ich kein Vollzeit-Deputy. Wohl oder übel fehlt mir selbst ein Partner. Und schenken Sie mir Glauben oder nicht, ich denke einfach, wir werden uns verdammt gut verstehen.“

Coon nickte zufrieden gestimmt. Was blieb ihm auch übrig? Er konnte nicht auf die Barrikaden gehen und protestieren, Tico solle zurückkehren und O'Connors Partner bleiben. Er kannte den Neuen nicht. Noch nicht. „Jackson, in mein Büro sofort!“

„Nicht immer so bissig, sagtest du?“, scherzte Coon, nachdem Grants boshafte Stimme durch das PD hallte.

„Halt die Klappe. Sie ist nur angespannt oder so. Karéy ist die Woche nicht da, das kam ziemlich kurzfristig.“ Coon wurde hellhörig. Er setzte sich aufrecht in seinen Stuhl und schaute seinen Gegenüber interessiert an. Wer, um Himmels willen, war Karéy? Der Name klang nicht gänzlich unbekannt, er sagte ihm etwas. Nur was? Es fiel ihm nicht ein und O'Connor redete schon weiter. „Eigentlich ist es mir ja egal.

Ich will mir das Theater nicht antun. Mal Karéy. Mal Monday. Jetzt kommst du noch ins Spiel … Verstehst du, was ich meine?“ Coon starrte ihn ausdruckslos an. Natürlich verstand er nicht, was er meinte. Wie auch? Anderthalb Jahre Funkstille und er sollte binnen Minuten die Welten seiner ehemaligen Kollegen, Freunde nachvollziehen können. Ganz sicher nicht, dachte er und räusperte sich. „Ich komme in niemandes Spiel. Sobald alles geklärt ist, meine Weste wieder etwas weißer, setze ich mich mit Wade zusammen. Spätestens zum Ende der Woche bin ich dann weg. Soll Juliette hinterherkommen.“ Der Plan bestand bereits seit längerem. Der Konzern COON sollten nach Europa expandieren. Dabei hatten sie sich explizit für Luxemburg als Hauptsitz entschieden.

Coon würde dort hinziehen, alles fertig einrichten und sich letzten Endes lokal um die europäischen Aktien-Geier kümmern, während Wade in den Staaten verbleiben würde.

O'Connor zuckte nichtsahnend mit den Schultern und fragte nicht weiter. Coon erhob sich und strich seine Weste glatt. Er schmunzelte und klopfte O'Connor auf die Schulter. Der Ire stand mit ihm auf und umarmte ihn plötzlich.

„Nicholas hin oder her. Dein „Charm“ fehlt echt, Mann.“

„Tja“, murmelte Coon und warf einen Blick in Grants Richtung.

„Wir bleiben in Kontakt, oder? Diesmal wirklich.“ Ein Griff in seine Hosentasche und eine kleine, elegante, schwarze Visitenkarte klemmte zwischen Coons Fingern. Ein nötiges Übel, wenn tausend andere Zahlen im Kopf herumschwirrten. „Das hier ist kein Abschied, huh?“ Coon schüttelte den Kopf. „Abschiede sind für den Arsch. Du kannst dich bei mir verabschieden, wenn ich tot bin“, lachte er beherzt, O'Connor stieg mit ein.

„Genau das meine ich, Mann!“ Es freute Coon, dass der Ire nach wie vor der Alte war, trotz Veränderungen, die das Leben nun mal mit sich brachte. In seinem Augenwinkel vernahm er eine Bewegung in Grants Büro. Vorsichtig stierte er über seine Schulter in die besagte Richtung. Sie stand in der Tür, beobachtete ihn und ihren Deputy. Grau traf Braun. Ihr Blick war alles andere als herzerwärmend. Er war eisig, voller Zorn. Coons Miene verhärtete sich selbst. Er hatte einen Fehler gemacht, aber gerade reichte es ihm. „Angenehmen Tag noch“, verabschiedete er sich abrupt und war weg. Wenn sie die Zicke vom Dienst sein wollte, bitte. Aber nicht jedes Mal wollte er sich als den Bastard hinstellen lassen, wie er oft plakatiert wurde.

Am Abend saß er in seinem Arbeitszimmer. Seit Stunden hatte er sich dort verbarrikadiert. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, zum Abwägen und zum Ausschließen. Da wurde man einmal verhaftet und schon brach ein Armageddon in den Firmen aus. Obwohl er zugeben musste, einen netten Eindruck hatte er während der Verhaftung nicht hinterlassen. Ja, manchmal taten ihm seine Angestellten leid, wenn er sich mal wieder sein arschiges Verhalten eingestand. Was so gut wie jede Woche der Fall war. Der Titel Bastard war echt nicht weithergeholt.

Genervt stöhnte er auf. Er konnte sich glücklich schätzen, dass diese „Lappalie“ keinen größeren Einfluss auf die Geschäfte genommen hatte. Er schwenkte das Glas in seiner Hand. Die Farbe des Bourbons erinnerte an Honig. Flüssiges Gold. Bourbon war in den letzten Jahren zu seinem Hauptnahrungsmittel mutiert. Aber keineswegs war er Alkoholiker. Er verglich die Beziehung zu dem Zeug eher mit einer tiefgründigen Freundschaft. Freundschaft. Seine Finger krallten förmlich in das Glas, die Knöchel weißer als die Wolken, die heut am Himmel schwebten. Womit hatte er das verdient? Warum tat er sich so etwas immer an? Ständig irgendwelche belanglosen Gefühlsdilemma. Er nahm einen letzten Schluck, bevor er das Glas mit aller Kraft schmiss. Es zerbärste an der Wand, die Scherben flogen in alle Richtungen. Ein gequälter Schrei erfüllte den Raum. Er senkte seinen Kopf und verschränkte die Arme über ihm. Seit Jahren war er mit seinem Latein am Ende, doch noch nie war er so durcheinander gewesen. Nicht einmal als Kate und Grace gestorben waren. Er nahm sein Telefon und öffnete den Chat mit seiner „Verlobten“. Er begann zu tippen: ,Juliette, sag deinem Trottel von Bruder, er soll seinen Arsch zum Anwesen bewegen. Er soll gleich die Papiere mitbringen und den guten Stift zum Unterschreiben.' Er drückte auf Senden. Keine Minute später hatte sie ihm geantwortet. ,Also doch Luxemburg. Ich sag es ihm. Er wird sich freuen. Hast du morgen Abend schon was vor? Wenn nicht, hätte ich da eine Idee ;)' ,Kann ich mir vorstellen, ich habe ihn lang genug zappeln lassen. Nein, ich habe noch nichts vor. Und bitte hör mit diesen Smileys auf, ich weiß auch ohne sie, was du meinst.' Er legte das Telefon beiseite und streckte sich. Er würde sich zeitig schlafen legen, immerhin brauchte er morgen einen klaren Kopf. Eine ordentliche Mütze Schlaf würde Stimmungsschwankungen und Unausgeglichenheit prävenieren.

26. Juni, 2018.

Er nahm die Brille von der Nase und rieb sich die Augen. Er hatte gewusst, der Vertrag wäre umfangreich, aber das, was vor ihm lag, nahm ganz neue Dimensionen an. Zweihundert Seiten beidseitig bedruckt. Tausende schwarze, millimetergroße Buchstaben. Frustriert strich er eine weitere Nebenklausel. Ganz bestimmt nicht, würde er sich dazu verpflichten, alle firmeninternen Ausgaben offen darzulegen. Nicht, wenn Wade sich ebenfalls weigerte. So viel zum gegenseitigen Vertrauen. Er erinnerte sich an den Tag, als Wade bettelnd zu ihm gekrochen kam, als wäre es gestern gewesen.