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Die Frauen lieben Adam, weil er ihnen Kleider schneidert, die sie schön und begehrenswert machen. Adam liebt schöne Frauen. Wenn sie erst seine Kleider tragen, begehrt er sie alle, und abgesehen davon liebt er Evelyn. Die ertappt ihn eines heißen Augusttages 1989 in flagranti mit einem seiner Geschöpfe. Statt mit Adam fährt Evelyn gemeinsam mit einer Freundin und deren Westcousin nach Ungarn an den Balaton. Adam setzt sich mit seinem alten Wartburg dem roten Passat auf die Spur. Für Evelyn würde er bis ans Ende der Welt fahren - und vielleicht muss er das auch, denn Ungarn will die Grenze gen Westen öffnen. Plötzlich ist die verbotene Frucht greifbar, und alle müssen sich entscheiden. In der Ausnahmesituation jenes Spätsommers 1989, dem Schwebezustand plötzlicher Wahlfreiheit, entdeckt Ingo Schulze die menschliche Urgeschichte von Verbot und Verlockung, Liebe und Erkenntnis und nicht zuletzt der Sehnsucht nach dem Paradies. Doch wo ist das zu finden? In der Verheißung des Westens, der Ungebundenheit eines endlosen Feriensommers am Plattensee oder doch im vertrauten Amtsstubenduft einer frisch geöffneten Brotkapsel und dem eigenen Garten? Im Spiel mit dem biblischen Mythos von Adam und Eva gelingt Ingo Schulze eine grandiose Tragikomödie. Mit seinem ironisch gebrochenen Begriff vom Sündenfall findet er eine Chiffre für den Eintritt in unsere heutige Welt.
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Veröffentlichungsjahr: 2010
INGO SCHULZE
ADAM UND EVELYN
Roman
Berlin Verlag
.
Die Motti entstammen dem Band Czesław Miłosz, »Mein ABC.
Von Adam und Eva bis Zentrum und Peripherie«, aus dem Polnischen
von Doreen Daume, Carl Hanser Verlag, München, Wien 2002,
bzw. Kurt Flasch, »Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos«,
Verlag C.H. Beck, München 2004
© 2008 BV Berlin Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Erscheinungstermin dieser eBook-Ausgabe: Oktober 2009
Datenkonvertierung eBook: psb, Berlin
ISBN 978-3-8270-7014-2
www.berlinverlage.de
www.greifswalder207.de
www.ingoschulze.com
www.adamundevelyn.de
.
Für
Clara und Franziska
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Inhalt
1
Dunkelkammer
2
Lilli
3
Adam, wo bist du?
4
Der Auszug
5
Warum lügt Adam schon wieder?
6
Der Morgen danach
7
Der Aufbruch
8
Umwege
9
Die erste Grenze
10
Einer kommt durch
11
Der Verdacht
12
Eine neue Frau
13
Verhandlungen
14
Das Wagnis
15
Mit leeren Händen
16
Heldenleben
17
Vorbereitungen für den Abschied
18
Misslungener Abschied
19
Wildes Camping
20
Erstes Wiedersehen
21
Eine Art Einladung
22
Ein neuer Versuch
23
Berichte vom ersten Tag
24
Ein Schatz
25
Der große Knall
26
Paare
27
Adam arbeitet
28
Schattenspiele
29
Weiber
30
Abend in Blaulicht
31
Eine gemeinsame Fahrt
32
Arbeit für die Ewigkeit
33
Damenwahl
34
Ein Märchen
35
Im Schlepptau
36
Ein Sonntag
37
Freudenfeuer
38
Noch eine Autofahrt
39
Das Missverständnis
40
Bettlektüre
41
Abschied
42
Erkenntnisse
43
Zwei Anträge
44
In der Telefonzelle
45
Spione
46
Spione, zum zweiten
47
Ein Küchengespräch
48
Nach dem Anruf
49
Zwei Frauen
50
Juwelen
51
Zürichsee und grünes Licht
52
Bruder und Schwester
53
Missglückte Rückkehr
54
Letzte Dinge
55
Feuer
.
Im tiefsten Inneren unseres Wesens sind wir überzeugt davon, daß wir ewig leben sollten. Wir empfinden unsere Vergänglichkeit und Sterblichkeit als etwas, das uns mit Gewalt aufgezwungen wurde. Nur das Paradies ist authentisch, die Welt ist es nicht – und sie besteht auch nur temporär. Deshalb spricht auch die Erzählung vom Sündenfall unsere Gefühle so an, als ob sie eine alte Weisheit wieder in unser schlummerndes Gedächtnis zurückriefe.
Aus »Mein ABC« von Czesław Miłosz
Die Kirchenväter, nicht allein Augustin, erklärten es für Häresie, zu behaupten, Adam und mit ihm Eva seien für immer verdammt worden. Sie wurden also Heilige; ihr Ehrentag fiel auf den 24. Dezember. Sie avancierten schließlich zu Schutzpatronen, zwar nicht, wie man erwartet haben könnte, der Obstbauern, wohl aber der Schneiderzunft. Schließlich waren sie die ersten Menschen, die Kleider getragen haben. Und ihre Kleider hatte Gottvater selbst genäht.
Aus »Eva und Adam« von Kurt Flasch
.
1
Dunkelkammer
Plötzlich waren sie da, die Frauen. Sie erschienen aus dem Nichts, angetan mit seinen Kleidern, Hosen, Röcken, Blusen und Mänteln. Manchmal war ihm, als träten sie aus dem Weiß hervor oder als wären sie einfach aufgetaucht, als hätten sie endlich die Oberfläche durchbrochen und sich gezeigt. Er musste nur die Schale mit der Entwicklerflüssigkeit etwas ankippen, mehr brauchte er nicht zu tun. Erst war nichts und dann etwas, auf einmal war es da. Doch der Augenblick zwischen dem Nichts und dem Etwas ließ sich nicht fassen, ganz so, als gäbe es ihn nicht.
Das große Blatt glitt in die Schale. Adam wendete es mit der Plastezange, stupste es tiefer, wendete es abermals, starrte auf das Weiß – und betrachtete dann so andächtig das Bild einer Frau im langen Kleid, das eine Schulter frei ließ und sich spiralförmig um den üppigen Körper wand, als wäre ein Wunder geschehen, als hätte er einen Geist gezwungen, seine Gestalt zu offenbaren.
Adam hielt das Foto mit der Zange kurz hoch. Die schwarze Fläche des Hintergrunds war jetzt heller, ohne dass Kleid und Achselhöhle an Kontur verloren. Vom Rand des Aschenbechers nahm er die Zigarre, sog daran und blies den Rauch über das nasse Bild, bevor er es ins Stoppbad tauchte und von da in die Schale mit dem Fixierer.
Das Quietschen der Gartenpforte machte ihn unruhig. Er hörte die lauter werdenden Schritte, drei Stufen hinauf, sogar das dumpfe Geräusch der Einkaufstasche, als sie beim Aufschließen gegen die Haustür schlug.
»Adam, bist du da?«
»Ja!«, rief er gerade so laut, dass sie ihn hören musste. »Hier!« Ihre Absätze gingen über seinen Kopf hinweg, während er das Negativ anhauchte, mit einem Lederläppchen putzte und wieder in den Vergrößerungsapparat einlegte. Er stellte das Bild scharf und machte das Apparatlicht aus. In der Küche wurde der Wasserhahn auf- und wieder zugedreht, die Schritte kehrten zurück – plötzlich hüpfte sie auf einem Bein, sie zog ihre Sandalen aus. Die leeren Flaschen in dem Korb, der hinter der Kellertür stand, klirrten.
»Adam?«
»Hm.« Er nahm ein Blatt aus der Verpackung, 18 mal 24, und schob es im Vergrößerungsrahmen zurecht.
Stufe für Stufe stieg Evelyn hinunter. Ihre Finger würden wieder staubig sein, weil sie mit der Hand die niedrige Decke entlangtastete, um nicht anzustoßen.
Noch einmal nahm er kurz die Zigarre und sog mehrmals daran, bis er ganz in Rauch gehüllt war.
Die Zeitschaltuhr stellte er auf fünfzehn Sekunden und drückte den großen rechteckigen Knopf – das Licht ging wieder an, die Uhr begann zu brummen.
Als würde Adam etwas verrühren, bewegte er über dem Kopf der Frau einen plattgeklopften Aluminiumlöffel, zog ihn katzenhaft schnell zurück, streckte seine Finger vor, die, als plätscherten sie im Wasser, den Körper der Frau beschatteten, und nahm sie wieder zurück, bevor das Apparatlicht ausging, das Brummen verstummte.
»Puah! Das stinkt. Mensch, Adam, musst du hier auch noch rauchen?!«
Adam tauchte das Papier mit der Zange in den Entwickler. Er mochte es nicht, wenn man ihn bei seinen Bildern störte. Nicht einmal ein Radio duldete er hier.
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