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Adel verpflichtet – auch zu Mordermittlungen. Ein neuer Fall für Lady Georgie
Der neue Cosy-Krimi von Bestsellerautorin Rhys Bowen
London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, oder kurz Lady Georgie, ist immer noch pleite. Und als ob das nicht schon genug wäre, drückt ihr die Queen auch noch eine Prinzessin aus Deutschland aufs Auge. Natürlich kann sie dieser kaum etwas bieten und zu allem Übel soll sie auch noch Prinzessin Hanni mit dem Sohn der Queen verkuppeln. Doch bevor Lady Georgie sich erneut in die Intrigen und Spielchen der Queen verwickeln lassen kann, geschehen zwei Morde und eine Hauptverdächtige ist schnell gefunden: Hanni, die deutsche Prinzessin …
Erste Leserstimmen
„Rhys Bowen hat mich mit ihrem unterhaltsamen und humorvollen Schreibstil sofort gewonnen“
„Eine gelungene Fortsetzung der Reihe mit Lady Georgie“
„Von Anfang an war mir die Protagonistin sympathisch“
„eine Adlige, die zur Spionin wird – nur die Bestsellerautorin Rhys Bowen kann das humorvoll und spannend umsetzen!“
Weitere Titel dieser Reihe
Die königliche Spionin (ISBN: 9783960878117)
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Seitenzahl: 469
London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenie, oder kurz Lady Georgie, ist immer noch pleite. Und als ob das nicht schon genug wäre, drückt ihr die Queen auch noch eine Prinzessin aus Deutschland aufs Auge. Natürlich kann sie dieser kaum etwas bieten und zu allem Übel soll sie auch noch Prinzessin Hanni mit dem Sohn der Queen verkuppeln. Doch bevor Lady Georgie sich erneut in die Intrigen und Spielchen der Queen verwickeln lassen kann, geschehen zwei Morde und eine Hauptverdächtige ist schnell gefunden: Hanni, die deutsche Prinzessin …
Deutsche Erstausgabe September 2019
Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96087-812-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-122-7
Copyright © 2008 by Janet Quin-Harkin. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: A Royal Pain
Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Übersetzt von: Sarah Schemske Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven vom © brebca/depositphotos.com, © Raftel/shutterstock.com, © Vectorpocket/shutterstock.com, © Veronika/stock.adobe.com, © zatvor/depositphotos.com und © oxie99/stock.adobe.com Korrektorat: Dorothee Scheuch
E-Book-Version 23.08.2023, 12:10:18.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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Adel verpflichtet – auch zu Mordermittlungen. Ein neuer Fall für Lady Georgie Der neue Cosy-Krimi von Bestsellerautorin Rhys Bowen
Dieses Buch ist meinen drei Prinzessinnen gewidmet:
Elizabeth, Meghan und Mary.
Und meinen Prinzen: Sam und T. J.
Rannoch House, Belgrave Square, London W.1.
Montag, 6. Juni 1932
Der Wecker klingelte an diesem Morgen zu einer unchristlichen Zeit: um acht Uhr früh. Einer der Lieblingssprüche meines Kindermädchens war „Morgenstund hat Gold im Mund“. Mein Vater stand immer früh auf und was hatte er davon? Er starb ohne einen Penny im Alter von neunundvierzig Jahren.
Meiner Erfahrung nach gab es nur zwei gute Gründe, um im Morgengrauen aufzustehen: Entweder man ging zur Jagd oder man musste den Flying Scotsman von Edinburgh nach London erwischen. Ich hatte nichts dergleichen vor. Die Jagdsaison war vorbei und ich war bereits in London.
Ich tastete nach dem Wecker auf dem Nachttisch und schlug so lange auf ihn ein, bis er Ruhe gab.
„Königliche Bekanntmachung vom sechsten Juni“, verkündete ich einem imaginären Publikum, während ich aufstand und die schweren Samtvorhänge zurückzog. „Lady Georgiana Rannoch stellt sich einem weiteren hektischen Tag voller sozialer Verpflichtungen. Mittagessen im Savoy, Tee im Ritz, ein Besuch bei Scapparelli zur Anprobe ihres neusten Ballkleids, dann Dinner und Tanz im Dorchester – oder nichts davon“, fügte ich hinzu. Um ehrlich zu sein, war es lange her, dass ich irgendwelche Veranstaltungen in meinen Kalender eingetragen hatte, und mein Leben war kein Wirbel aus aufregenden gesellschaftlichen Anlässen. Mit fast zweiundzwanzig Jahren konnte ich keine einzige Einladung auf meinem Kaminsims vorweisen. Mir kam der schreckliche Gedanke, dass ich einsehen musste, dass der Zug abgefahren und ich zu einem Leben als alte Jungfer verdammt war. Vielleicht war meine einzige Möglichkeit, dem Vorschlag der Königin nachzugeben und die Kammerzofe der einzigen überlebenden Tochter von Königin Victoria zu werden – die zufällig meine Großtante war und im tiefsten Gloucestershire lebte. Ich stellte mir vor, wie ich lange Jahre damit verbrachte, Pekinesen auszuführen und Strickwolle zu halten.
Ich sollte mich wohl vorstellen, bevor ich weitererzähle. Ich bin Victoria Georgiana Charlotte Eugenie von Glen Garry und Rannoch, aber meine Freunde nennen mich Georgie. Ich stamme vom Haus Windsor ab, bin die Cousine zweiten Grades von King George V, die vierunddreißigste in der Thronfolge und im Moment völlig pleite.
Oh, Augenblick. Ich hatte noch eine andere Möglichkeit: Prinz Siegfried von Rumänien, aus der Hohenzollern-Sigmaringen-Linie – mein geheimer Spitzname für ihn lautete Fischlippe. In letzter Zeit war das Thema zum Glück nicht aufgekommen. Vielleicht hatte nicht nur ich herausgefunden, dass er eine Vorliebe für Männer hatte.
Es sah aus, als würde heute einer dieser englischen Sommertage werden, an dem man Lust auf einen Ausritt über schattige Landstraßen, Picknick im Grünen mit Erdbeeren und Schlagsahne und Krocket und Tee auf dem Rasen bekam. Selbst mitten in London zwitscherten die Vögel wie verrückt. Die Sonne glitzerte in den Fenstern rund um den Square und eine leichte Brise bewegte die Gardinen. Der Postbote überquerte pfeifend den Platz. Und was hatte ich vor?
„Ach du liebes bisschen“, rief ich aus, als mir plötzlich einfiel, warum ich den Wecker gestellt hatte, und verfiel in hektische Betriebsamkeit. Man erwartete mich in einem Wohnsitz in der Park Lane. Ich wusch mich, zog mir etwas Ordentliches an und ging nach unten, um Tee und Toast zu machen. Man merkte, wie wunderbar häuslich ich in nur zwei Monaten geworden war. Als ich unser Schloss in Schottland im April fluchtartig verließ, wusste ich nicht einmal, wie man Wasser kochte. Jetzt brachte ich Baked Beans mit Ei zustande. Zum ersten Mal in meinem Leben kam ich ohne Bedienstete zurecht, da ich kein Geld hatte, um sie zu bezahlen. Mein Bruder, der Duke von Glen Garry und Rannoch, von allen Binky genannt, hatte versprochen, ein Dienstmädchen von unserem schottischen Anwesen herzuschicken, aber bisher war noch keines aufgetaucht. Ich hatte den Verdacht, dass keine gottesfürchtige, presbyterianische schottische Mutter ihre Tochter in den Sündenpfuhl schicken wollte, für den man London hielt. Was die Bezahlung eines Dienstmädchens aus der Gegend anging – nun ja, Binky war genauso pleite wie ich. Es war nämlich so: Als unser Vater sich nach dem Börsencrash von 1929 erschoss, erbte Binky das Anwesen und musste horrende Erbschaftssteuern zahlen.
Also schlug ich mich ohne Bedienstete durch und war, ehrlich gesagt, verdammt stolz auf mich. Das Wasser kochte. Ich machte mir einen Tee, bestrich meinen Toast mit Cooper’s Oxford-Marmelade (ja, ich wusste, dass ich sparsam sein sollte, aber es gab einfach Standards, die man nicht aufgeben durfte) und fegte die Krümel eilig beiseite, während ich in meinen Mantel schlüpfte. Es würde zu warm werden, um überhaupt eine Jacke zu tragen, aber ich konnte nicht riskieren, dass jemand in Belgravia sah, was ich darunter trug, wenn ich vorüberging. Belgravia war eine unglaublich elitäre Gegend von London, direkt unterhalb des Hyde Parks, wo unser Stadthaus lag.
Ein Chauffeur, der neben einem Rolls Royce wartete, salutierte elegant, als ich vorbeiging. Ich zog meinen Mantel enger um mich und überquerte den Belgrave Square, ging den Grosvenor Crescent entlang und blieb stehen, um sehnsüchtig über die grüne Weite des Hyde Parks zu blicken, bevor ich mich in das Getümmel an der Hyde Park Corner stürzte. Ich hörte das Klipp-Klapp von Hufen und sah zwei Reiter die Rotten Row entlangkommen. Das Mädchen ritt einen prächtigen Schimmel und war elegant gekleidet, in schwarzem Bowler und gutsitzender Reitjacke. Ihre Stiefel waren so blankgewienert, dass sie geradezu glänzten. Ich schaute ihr neidisch nach. Das hätte ich sein können, wäre ich zu Hause in Schottland geblieben. Ich war früher jeden Morgen mit meinem Bruder ausgeritten. Ich fragte mich, ob meine Schwägerin, Fig, nun auf meinem Pferd ritt und sein Maul ruinierte. Sie neigte dazu, an den Zügeln zu zerren, und wog einiges mehr als ich. Dann fiel mir auf, dass einige Leute an der Kreuzung herumlungerten. Diese Männer machten schwere Zeiten durch. Sie trugen Schilder oder Tafeln, auf denen stand: Ich brauche Arbeit. Arbeite gegen Essen. Habe keine Angst vor schwerer Arbeit.
Ich war behütet aufgewachsen und nicht mit der harten Realität dieser Welt in Berührung gekommen. Jetzt wurde sie mir tagtäglich vor Augen geführt. Wir steckten mitten in einer Wirtschaftskrise und die Leute reihten sich für Brot und Suppe ein. Ein Mann, der unter dem Wellington Arch stand, machte einen vornehmen Eindruck, seine Schuhe waren gewienert und er trug nicht nur Mantel und Krawatte, sondern sogar Abzeichen. An der Somme verwundet. Nehme jede Arbeit an. Ich konnte die Verzweiflung in seinem Gesicht erkennen, seinen Abscheu, zu etwas Derartigem gezwungen zu sein, und ich wünschte mir, ich besäße die Mittel, um ihn sofort einzustellen. Aber eigentlich saß ich im selben Boot wie die meisten von ihnen.
Dann blies ein Polizist in seine Trillerpfeife, der Verkehr stoppte und ich rannte über die Straße zur Park Avenue. An den Standards der Park Lane gemessen war die Nummer 59 recht bescheiden – ein typischer georgianischer Wohnsitz eleganter Leute aus roten Ziegeln mit weißen Rändern. Stufen führten zur Eingangstür hinauf und ein Geländer säumte den Graben um das Kellergeschoss, in dem der Dienstbotentrakt lag. Es war dem Rannoch House nicht unähnlich, obwohl unser Londoner Haus um einiges größer und eindrucksvoller war. Anstatt zur Eingangstür zu gehen, stieg ich vorsichtig die Treppe zum Dienstbotentrakt hinunter und fand den Schlüssel unter einem Blumentopf. Ich schloss die Tür zu einem trostlosen, schäbigen Flur auf, in dem der Geruch von Kohl in der Luft lag.
Also gut, nun kennt ihr mein schreckliches Geheimnis. Ich verdiente mein Geld damit, die Häuser anderer Leute zu putzen. Meine Anzeige in der Times pries mich als Coronet Haushaltshilfen an, empfohlen von Lady Georgiana von Glen Garry und Rannoch. Ich erledigte keine schweren Putzarbeiten. Ich schrubbte keine Böden oder, Gott bewahre, Toilettenschüsseln. Ich hatte keine Ahnung, wie man das anstellte. Ich bereitete Londoner Häuser für ihre Bewohner vor, die sich auf ihren Landsitzen aufhielten und die Kosten scheuten, ihre Bediensteten vorauszuschicken, um diese Aufgabe zu verrichten. Es beinhaltete Staubbezüge auszuschütteln, zu fegen und Staub zu wischen. Das schaffte ich, ohne dass allzu oft etwas zu Bruch ging – denn ihr solltet außerdem wissen, dass ich gelegentlich dazu neigte, tollpatschig zu sein.
Es war eine Arbeit, die ab und zu Gefahren mit sich brachte. Die Häuser, in denen ich arbeitete, gehörten Leuten aus meiner gesellschaftlichen Schicht. Ich würde vor Scham sterben, wenn ich einer anderen Debütantin oder, schlimmer noch, einem Tanzpartner über den Weg liefe, während ich auf Händen und Knien war und eine kleine weiße Haube trug. Bisher kannten nur meine beste Freundin Belinda Warburton-Stoke und ein unzuverlässiger Schuft namens Darcy O’Mara mein Geheimnis. Und Darcy erwähnte man lieber so wenig wie möglich.
Bevor ich mit dieser Arbeit anfing, hatte ich mir nie viele Gedanken darüber gemacht, wie die gewöhnlichen Leute lebten. Meine eigenen Erinnerungen daran, nach unten zu gehen und bei den Bediensteten vorbeizuschauen, beschränkten sich auf die große, warme Küche, in der der Duft von Gebäck lag, und darauf, den Teig auszurollen und den Löffel abzuschlecken.
Ich fand den Besenschrank und holte einen Eimer mitsamt Putzlappen, einen Staubwedel und einen Teppichreiniger heraus. Zum Glück war es Sommer und man musste keine Feuer in den Schlafzimmern entzünden. Kohle drei Stockwerke hinauf zu schleppen war nicht meine Lieblingsbeschäftigung, ebenso wenig, wie mich in das Kohlenloch, wie mein Großvater es nannte, zu wagen, um die Kohleneimer zu füllen. Mein Großvater? Oh, entschuldigt. Ich habe ihn wohl noch nicht erwähnt. Mein Vater war der Cousin ersten Grades von King George und der Enkel von Queen Victoria, aber meine Mutter war eine Schauspielerin aus Essex. Ihr Vater lebte noch immer in Essex, in einem kleinen Haus mit Gartenzwergen im Vorgarten. Er war ein echter Cockney und außerdem Polizist im Ruhestand. Ich bewunderte ihn sehr. Er war die einzige Person, mit der ich über wirklich alles reden konnte.
In letzter Sekunde fiel mir ein, meine Dienstmädchenhaube aus meiner Manteltasche zu ziehen, und ich stülpte sie über mein widerspenstiges Haar. Dienstmädchen ließen sich nie ohne Haube sehen. Ich drückte die mit Fries bespannte Tür auf, die zum Hauptteil des Hauses führte, und stolperte über einen großen Gepäckstapel, der prompt mit einem Krachen umfiel. Wer um alles in der Welt kam auf die Idee, Gepäck vor der Tür zum Dienstbotentrakt zu stapeln? Bevor ich die verstreuten Koffer aufsammeln konnte, hörte ich einen Ruf und eine ältere Frau, die ganz in Schwarz gekleidet war, tauchte in der nächstgelegenen Tür auf und wedelte mit einem Stock in meine Richtung. Sie trug eine altmodische Haube, die sie unter ihrem Kinn festgeknotet hatte, und einen Reisemantel. Mir kam der schreckliche Gedanke, dass ich mich in der Hausnummer geirrt oder es nicht richtig aufgeschrieben hatte, und mich nun im falschen Haus befand.
„Was ist hier los?“, fragte sie auf Französisch. Sie warf einen Blick auf meine Kleidung. „Vous êtes la bonne?“ Es war seltsam, in London auf Französisch danach gefragt zu werden, ob man das Dienstmädchen sei, da die meisten Bediensteten schon mit korrektem Englisch Probleme hatten. Zum Glück war ich in der Schweiz zur Schule gegangen und mein Französisch war recht gut. Ich antwortete, dass ich in der Tat das Dienstmädchen sei und von dem Haushaltshilfendienst geschickt worden war, um das Haus herzurichten. Man hätte mir mitgeteilt, dass die Bewohner erst am nächsten Tag eintreffen würden.
„Wir sind früher gekommen“, sagte sie, noch immer auf Französisch. „Jean-Claude hat uns mit dem Auto von Biarritz nach Paris gefahren und wir haben den Nachtzug erreicht.“
„Jean-Claude ist der Chauffeur?“, fragte ich.
„Jean-Claude ist der Marquis de Chambourie”, sagte sie. „Er ist außerdem Rennfahrer. Wir haben den Weg nach Paris in sechs Stunden zurückgelegt.“ Dann fiel ihr auf, dass sie mit einem Dienstmädchen sprach. „Wie kommt es, dass Sie für eine Engländerin passables Französisch sprechen?“, fragte sie.
Ich widerstand der Versuchung, zu sagen, dass mein Französisch sogar sehr gut war, und murmelte etwas von Reisen mit meiner Familie an die Côte d’Azur.
„Sollte mich nicht wundern, wenn Sie sich mit französischen Matrosen rumgetrieben haben“, sagte sie gedämpft.
„Und Sie, sind Sie die Haushälterin von Madame?“, fragte ich.
„Ich, meine liebe junge Frau, bin die Gräfinwitwe Sophia von Liechtenstein“, sagte sie, und falls ihr euch wundert, warum eine Gräfin eines deutschsprachigen Landes auf Französisch mit mir sprach, sollte ich anmerken, dass adlige Ladys ihrer Generation normalerweise Französisch sprachen, ganz egal, was ihre Muttersprache war. „Mein Dienstmädchen versucht gerade, mein Schlafzimmer vorzubereiten“, fuhr sie fort und wies mit der Hand die Treppe hinauf. „Meine Haushälterin und der Rest meiner Angestellten werden morgen wie geplant mit dem Zug ankommen. Jean-Claude fährt einen motorisierten Zweisitzer. Mein Dienstmädchen musste auf dem Gepäck hocken. Ich glaube, es war höchst unangenehm für sie.“ Sie hielt inne, um mir einen strengen Blick zuzuwerfen. „Und mir ist es höchst unangenehm, dass ich mich nirgendwo hinsetzen kann.“
Ich war mir nicht ganz sicher, was das Protokoll des Hofes von Liechtenstein verlangte und wie man eine Gräfinwitwe dieses Landes ansprach, aber ich hatte festgestellt, dass man sich nach oben orientieren sollte, wenn man sich nicht sicher war. „Es tut mir leid, Eure Hoheit, aber mir wurde gesagt, dass ich heute kommen soll. Hätte ich gewusst, dass Sie einen Verwandten haben, der Rennfahrer ist, hätte ich das Haus gestern vorbereitet.“ Ich versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken, während ich das sagte.
Sie runzelte die Stirn, während sie vermutlich überlegte, ob ich vorlaut gewesen war. „Hmmpf“, war alles, was sie herausbrachte.
„Ich werde für Ihre Hoheit die Staubbezüge von einem bequemen Stuhl entfernen“, sagte ich, betrat einen großen, dunklen Salon und zog den Bezug von einem Sessel, was eine Staubwolke aufwirbelte. „Danach werde ich Ihr Schlafzimmer als erstes herrichten. Ich bin mir sicher, dass die Überfahrt ermüdend war und Ihr Euch ausruhen möchtet.“
„Was ich brauche, ist ein schönes heißes Bad“, sagte sie.
Ah, das könnte ein kleines Problem werden, dachte ich. Ich hatte meinem Großvater dabei zugesehen, wie er den Boiler im Rannoch House angezündet hatte, aber ich hatte keinerlei persönliche Erfahrung mit Boilern. Vielleicht kannte sich das Dienstmädchen der Gräfin mit solchen Dingen aus. Schließlich musste sich irgendwer damit auskennen. Ich überlegte, wie man „Von Boiler steht nichts in meinem Vertrag“ auf Französisch sagte.
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, antwortete ich mit einer Verbeugung und verließ das Zimmer. Dann holte ich mein Putzzeug und stieg die Treppe hinauf. Das Dienstmädchen sah ebenso alt und schlecht gelaunt wie die Gräfin aus, was verständlich war, wenn sie den ganzen Weg von Biarritz auf dem Gepäck hatte hocken müssen. Sie hatte für ihre Herrin das beste Schlafzimmer gewählt, das auf der Vorderseite des Hauses lag und einen Blick auf den Hyde Park bot. Außerdem hatte sie bereits die Fenster geöffnet und die Staubbezüge von den Möbeln entfernt. Ich versuchte mit ihr auf Französisch und dann auf Englisch zu sprechen, aber es sah so aus, als würde sie nur Deutsch verstehen. Mein Deutsch reichte lediglich für „Ich hätte gern ein Glas Glühwein“ und „Wo ist der Skilift?“ aus. Also gab ich ihr pantomimisch zu verstehen, dass ich das Bett beziehen würde. Sie setzte eine zweifelnde Miene auf. Wir fanden Bettbezüge und machten das Bett zusammen. Das war ein Glück, denn sie war sehr penibel, was das Falten der Ecken anging. Sie suchte außerdem ungefähr ein Dutzend weiterer Decken und Federbetten aus Zimmern auf demselben Stockwerk zusammen, da die Gräfin in England anscheinend fror. Das zumindest konnte ich nachvollziehen.
Als wir fertig waren, war das Bett einer Prinzessin auf der Erbse würdig.
Nachdem ich unter dem strengen Auge des Dienstmädchens abgestaubt und den Boden gefegt hatte, gingen wir zusammen ins Badezimmer und drehten die Wasserhähne auf. „Heiß Bad für … Gräfin“, sagte ich unter Aufbietung meiner gesammelten Deutschkenntnisse. Wie durch ein Wunder ertönte ein lautes „Wumm“ und aus einer dieser kleinen Springbrunnen-Armaturen über der Badewanne sprudelte heißes Wasser. Ich fühlte mich wie ein Zauberer und marschierte triumphierend nach unten, um der Gräfin mitzuteilen, dass ihr Zimmer für sie bereit war und sie jederzeit ein Bad nehmen konnte.
Als ich den letzten Treppenabsatz hinabstieg, hörte ich Stimmen aus dem Salon. Mir war nicht bewusst gewesen, dass noch jemand im Haus war. Ich zögerte auf dem Treppenabsatz. In diesem Moment hörte ich die Stimme eines Mannes auf Englisch mit starkem Akzent sagen: „Mach dir keine Sorgen, Tante. Erlaube mir, dir behilflich zu sein. Ich werde dir persönlich beim Transport deines Gepäcks auf dein Zimmer helfen, wenn du denkst, es wäre zu viel für dein Dienstmädchen. Ich verstehe allerdings nicht, warum du ein Dienstmädchen mitnimmst, das nicht einmal die einfachsten Aufgaben erledigen kann. Es ist deine eigene Schuld, wenn du darauf bestehst, dir das Leben schwer zu machen.“ Ein junger Mann kam aus dem Zimmer. Er war schlank, blass und hielt sich äußerst gerade, was ihm das geisterhafte, totenkopfähnliche Aussehen eines zum Leben erwachten Hamlets verlieh. Sein Gesichtsausdruck war ausgesprochen hochmütig – als ob er einen üblen Geruch in der Nase hätte, und er schürzte seine breiten, dorschähnlichen Lippen, während er sprach. Es war niemand anders als Prinz Siegfried, besser bekannt als Fischlippe – der Mann, den ich heiraten sollte.
Es dauerte einen Moment, bis ich reagierte. Ich war vor Schreck zur Salzsäule erstarrt und konnte meinen Körper nicht dazu bringen, mir zu gehorchen, obwohl mein Kopf ihm befahl, wegzulaufen. Siegfried bückte sich, hob eine Hutschachtel und einen lächerlich kleinen Kulturbeutel auf und begann die Treppe hinaufzusteigen. Wäre ich in der Lage gewesen, logisch zu denken, hätte ich mich auf den Boden fallen lassen und vorgeben können zu putzen. Aristokraten schenken Hausangestellten bei der Arbeit keine Beachtung. Aber sein Anblick hatte mich völlig aus der Fassung gebracht, also tat ich das, was meine Mutter erfolgreich mit so vielen Männern getan hatte – ich drehte mich um und lief davon.
Ich rannte die Treppe in den zweiten Stock hinauf, als Siegfried bemerkenswert behände im ersten Stock ankam. Nicht in das Schlafzimmer der Gräfin, wenigstens konnte ich noch so klar denken. Ich öffnete eine Tür im hinteren Teil des Flurs, stürzte hinein und schloss sie so leise wie möglich hinter mir. Es war eines der Schlafzimmer, aus denen wir die zusätzlichen Decken geholt hatten.
Ich hörte Siegfrieds Schritte auf dem Flur. „Sie hat dieses Schlafzimmer ausgewählt?“, hörte ich ihn sagen. „Nein, nein. Das ist ganz und gar unpassend. Zu laut. Der Verkehr wird sie die ganze Nacht wachhalten.“
Zu meinem Grauen hörte ich, wie Schritte in meine Richtung kamen. Ich sah mich im Zimmer um. Es enthielt keinen richtigen Schrank, nur eine hohe Kommode. Wir hatten die Staubbezüge von der Kommode und dem Bett genommen. Es gab keinen Ort mehr, an dem ich mich verstecken konnte.
Ich hörte, wie ganz in der Nähe eine Tür geöffnet wurde. „Nein, nein. Viel zu hässlich“, sagte er.
Ich eilte zum Fenster und öffnete es. Es lag hoch über dem winzigen Garten, aber neben dem Fenster war eine Regenrinne und darunter ein kleiner Baum, ungefähr zehn Fuß tiefer, den man erreichen konnte. Ich zögerte keine Sekunde. Ich schwang mich aus dem Fenster und hielt mich an der Regenrinne fest. Sie fühlte sich recht stabil an, also begann ich an ihr hinunterzuklettern. Meiner Ausbildung in einem Schweizer Internat sei Dank. Das einzige, was ich außer Französisch und der Tischordnung für einen Bischof gelernt hatte, war, wie man Regenrinnen hinunterkletterte, um sich mit Skilehrern in der örtlichen Kneipe zu treffen.
Die enge Dienstmädchenuniform schränkte mich ein und die schweren Röcke wickelten sich um meine Beine, als ich versuchte, an der Regenrinne hinunterzurutschen. Als ich mit dem Fuß Halt suchte, fühlte ich, wie etwas zerriss. Siegfrieds Stimme drang laut und deutlich aus dem Zimmer über mir. „Mein Gott, nein, nein, nein. Dieses Haus ist katastrophal. Völlig katastrophal. Tante! Du hast eine Katastrophe gemietet – und es gibt noch nicht einmal einen nennenswerten Garten.“
Ich hörte, wie sich die Stimme dem Fenster näherte. Ich glaube, ich habe bereits erwähnt, dass ich unter Stress dazu neigte, tollpatschig zu sein. Irgendwie rutschten meine Hände von der Regenrinne ab und ich stürzte. Ich spürte, wie Äste mein Gesicht zerkratzten, als ich mit einem lauten Kreischen in den Baum fiel. Ich klammerte mich verzweifelt an dem Ast fest, der mir am nächsten war. Der ganze Baum schwankte bedenklich, aber zwischen den Blättern war ich sicher. Ich wartete, bis die Stimmen außer Hörweite waren, dann ließ ich mich zum Boden hinab, rannte durch die Seitentür, schnappte mir meinen Mantel aus dem Flur des Dienstbotentrakts und ergriff die Flucht. Ich würde die Gräfin anrufen müssen, um ihr mitzuteilen, dass das junge Dienstmädchen, das ich zu ihr geschickt hatte, plötzlich krank geworden war. Es schien allergisch auf den Staub reagiert zu haben.
Ich war auf der Park Lane erst ein paar Yards weit gekommen, als jemand meinen Namen rief. Einen furchtbaren Moment lang dachte ich, dass Siegfried aus dem Fenster geschaut und mich erkannt hatte, aber dann fiel mir ein, dass er mich nicht Georgie nennen würde. Nur meine Freunde riefen mich so.
Ich drehte mich um und meine beste Freundin, Belinda Warburton-Stoke, lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Sie war eine Augenweide in türkisfarbener Seide mit Besätzen in grellem Rosa und weiten Ärmeln, die im Wind wehten, während sie rannte, was ihr den Anschein verlieh, als würde sie fliegen. Das ganze Ensemble wurde durch einen kleinen rosafarbenen Hut abgerundet, der mit Federn besetzt war und ihr gewagt schief auf dem Kopf saß.
„Schätzchen, du bist es“, sagte sie und ihre Umarmung hüllte mich in eine Wolke französischen Parfums. „Es ist eine Ewigkeit her. Ich habe dich schrecklich vermisst.“
Belinda war das völlige Gegenteil von mir. Ich war groß, rotblond und hatte Sommersprossen. Sie war klein und dunkelhaarig mit großen braunen Augen, elegant und sehr verrucht. Ich hätte mich nicht freuen sollen, sie zu sehen, tat es aber doch.
„Ich bin nicht diejenige, die eine Spritztour ans Mittelmeer unternommen hat.“
„Meine Liebe, wenn man dich zu zwei Wochen auf einer Jacht eingeladen hätte und der Besitzer der Jacht ein traumhafter Franzose gewesen wäre, hättest du da abgelehnt?“
„Wahrscheinlich nicht“, sagte ich. „War es denn so traumhaft, wie du gehofft hattest?“
„Traumhaft, aber merkwürdig“, antwortete sie. „Ich hatte angenommen, dass er mich eingeladen hat, weil er, du weißt schon, auf mich stand. Und da er traumhaft reich und außerdem ein Duke ist, dachte ich, dass sich etwas entwickeln könnte. Und du musst zugeben, dass Franzosen fantastische Liebhaber sind – so verwegen und zugleich so romantisch. Tja, es stellte sich heraus, dass er nicht nur seine Frau, sondern auch seine Mätresse eingeladen hatte und pflichtbewusst verschiedene Kajüten in verschiedenen Nächten aufsuchte. Ich musste mit seiner zwölfjährigen Tochter Gin Rommé spielen.“
Ich kicherte. „Und hast du mit den Matrosen geflirtet?“
„Schätzchen, die Matrosen waren alle über vierzig und hatten Bierbäuche. Es war kein einziger gutaussehender Kerl darunter. Als ich zurückkam, hatte ich Sex-Entzug und musste feststellen, dass alle ansprechenden Männer London verlassen haben, um entweder aufs Land oder den Kontinent zu reisen. Also erhellt deine Anwesenheit mein tristes Leben. Aber, Georgie, Liebling“ – nun starrte sie mich an – „was hast du nur angestellt?“
„Wonach sieht es denn aus?“
„Als ob du im Dschungel mit einem Löwen gekämpft hättest.“ Sie betrachtete mich missbilligend. „Liebes, du hast einen üblen Kratzer auf der einen Wange, Schmutz auf der anderen und in deinem Haar stecken Blätter. Oder war es ein wildes Stelldichein im Park? Sag schon, ich komme um vor Neugier und wenn es Letzteres war, werde ich vor Neid vergehen.“
„Ich musste wegen eines Mannes überstürzt aufbrechen“, sagte ich.
„Dieser Barbar ist auf dich losgegangen? Am helllichten Tag?“
Ich musste lachen. „Nein, so war es nicht. Ich habe mir meine Brötchen auf die übliche Weise verdient und ein Haus für Leute, die vom Festland angereist sind, vorbereitet. Aber dann sind die neuen Bewohner einen Tag zu früh angekommen und einer davon war niemand anderes als der gefürchtete Prinz Siegfried.“
„Fischlippe persönlich? Wie unglaublich furchteinflößend. Was hat er zu dir gesagt, als er dich in Dienstmädchenkleidern gesehen hat? Und viel wichtiger, was hast du zu ihm gesagt?“
„Er hat mich nicht gesehen“, sagte ich. „Ich bin geflohen und musste von einem Fenster im oberen Stock hinunterklettern. Zum Glück haben wir in Lex Oiseaux so viel Übung darin bekommen, an Regenrinnen herumzukraxeln. Daher stammen die Kratzer und die Blätter in meinem Haar. Ich bin in einem Baum gelandet. Alles in allem ein sehr anstrengender Morgen.“
„Meine liebe arme Georgie – was für eine Tortur. Komm her.“
Sie pflückte die Blätter aus meinen Haaren, zog dann ein Spitzentaschentuch aus ihrer Handtasche und betupfte meine Wange. Eine Woge von Chanel hüllte mich ein. „Schon etwas besser, aber du brauchst eine Aufmunterung. Ich weiß es, lass uns zusammen irgendwo zu Mittag essen. Du entscheidest.“
Ich wollte liebend gern mit Belinda zu Mittag essen, aber meine Mittel waren im Moment sehr begrenzt. „Es gibt ein paar kleine Cafés an der Oxford Street, oder eines der Kaufhäuser?“, schlug ich vor. „Die bieten doch Lunch für Ladys an, oder?“
Belinda verzog das Gesicht, als hätte ich vorgeschlagen, eingelegten Aal in der Old Kent Road zu essen. „Ein Kaufhaus? Schätzchen, solche Dinge sind für alte Frauen, die nach Mottenkugeln riechen, und Hausfrauen aus Coulsden, deren Ehemänner ihre Weibchen einen Ausflug in die Stadt machen lassen, um einen Tag lang einzukaufen. Leute wie du und ich würden zu viel Aufsehen erregen, wenn wir dort auftauchten – wie ein Pfau im Hühnerstall. Es würde sie geradezu von den Socken hauen. Also, wo sollen wir hingehen? Das Dorchester würde im Notfall gehen, schätze ich. Das Ritz ist um die Ecke, aber meiner Meinung nach ist dort nur der Tee gut. Das gleiche gilt für das Brown’s – nur alte Ladys in Tweedkostümen. Es hat keinen Sinn, Essen zu gehen, wenn man dabei nicht von den richtigen Leuten gesehen wird. Ich glaube, es muss das Savoy sein. Wenigstens kann man sichergehen, dort ordentliches Essen zu bekommen –“
„Warte kurz, Belinda.“ Ich unterbrach sie mitten im Satz. „Ich putze immer noch Häuser für einen Hungerlohn. Ich kann es mir einfach nicht leisten, an einem solchen Ort essen zu gehen.“
„Ich lade dich ein, Schätzchen“, sagte sie und wedelte großzügig mit einem türkisfarbenen Handschuh. „Die Jacht hat ein paar Nächte in Monte Carlo angelegt und du weißt, wie gut ich am Spieltisch bin. Außerdem habe ich tatsächlich eine meiner Kreationen für bares Geld verkauft.“
„Belinda, das ist wunderbar. Erzähl mir mehr davon.“
Sie hakte sich bei mir ein und wir gingen wieder die Park Lane hinauf. „Nun, erinnerst du dich an das lilafarbene Kleid, das ich dieser furchtbaren Mrs Simpson verkaufen wollte, weil ich dachte, dass sich eine Amerikanerin so den königlichen Stil vorstellt?“
„Natürlich“, sagte ich und der Gedanke an das Fiasko meiner kurzen Mannequin-Karriere ließ mich erröten. Ich hatte das Kleid vorführen sollen und … nun, nicht so wichtig.
„Also, Schätzchen, ich traf eine andere amerikanische Lady im Crockford’s – ja, ich gebe es zu, ich fürchte, ich spiele wieder – und ich erzählte ihr, dass ich eine aufstrebende Schneiderin wäre und für das Königshaus Kleider entwerfen würde. Sie besuchte mein Studio und kaufte das Kleid, einfach so. Sie bezahlte sogar an Ort und Stelle und –“ Sie unterbrach sich, als sich eine Haustür öffnete und ein Mann heraustrat, der mit einem zutiefst geringschätzigen Gesichtsausdruck auf der Schwelle stehen blieb.
„Das ist Siegfried“, zischte ich. „Er wird mich sehen. Lauf.“
Es war zu spät. Er blickte in unsere Richtung, während er die Stufen vor der Eingangstür herabstieg. „Ah, Lady Georgiana. So begegnen wir uns wieder. Was für eine angenehme Überraschung.“ Sein Gesicht erweckte nicht den Eindruck, dass ihm die Überraschung auch nur im Mindesten angenehm war, aber er deutete eine Verbeugung an.
Ich griff nach meinem Mantel und zog ihn eng um mich, damit meine Dienstmädchenuniform nicht zu sehen war. Ich war mir des Kratzers auf meiner Wange und meines zerzausten Haars nur zu bewusst. Ich musste furchterregend aussehen. Nicht, dass ich gewollt hätte, dass Siegfried mich attraktiv fand, aber ich hatte meinen Stolz.
„Eure Hoheit.“ Ich nickte würdevoll. „Darf ich Euch meine Freundin Belinda Warburton-Stoke vorstellen?“
„Ich glaube, wir hatten bereits das Vergnügen“, sagte er, obwohl seine Stimme den zweideutigen Tonfall vermissen ließ, den die meisten Männer, die Belinda kannten, anschlugen. „In der Schweiz, glaube ich.“
„Natürlich“, sagte Belinda. „Sehr erfreut, Eure Hoheit. Besucht Ihr London länger?“
„Meine Tante ist kürzlich vom Festland angereist, also musste ich ihr natürlich einen Pflichtbesuch abstatten, obwohl das Haus, das sie gemietet hat … Was für ein Desaster. Kaum mehr als eine Hundehütte.“
„Wie schrecklich für Euch“, sagte ich.
„Ich werde es irgendwie überleben“, sagte er und sein Ausdruck legte nahe, dass er lieber die Nacht in den Kerkern unter dem Tower of London verbringen würde. „Und wohin sind die Ladys unterwegs?“
„Wir gehen zum Mittagessen ins Savoy“, sagte Belinda.
„Das Savoy. Das Essen dort ist nicht schlecht. Vielleicht werde ich Sie begleiten.“
„Das wäre wundervoll“, sagte Belinda süßlich.
Ich grub meine Finger in ihren Unterarm. Ich wusste, dass ihr das Spaß machte. Mir machte es ganz sicher keinen. Ich beschloss, mein Ass auszuspielen.
„Wie freundlich von Euch, Eure Hoheit. Wir haben so viel Gesprächsstoff. Seid Ihr in letzter Zeit ausgeritten – seit Eurem unglücklichen Unfall, meine ich?“, fragte ich unschuldig.
Ein irritiertes Zucken lief über sein Gesicht. „Ach“, sagte er, „mir fiel gerade ein, dass ich einem Freund versprochen habe, ihn im Club zu treffen. Tut mir so leid. Vielleicht ein andermal?“ Er schlug die Hacken auf seine merkwürdige europäische Art zusammen und beugte ruckartig den Kopf. „Ich muss Ihnen Lebewohl sagen. Lady Georgiana. Miss Warburton-Stoke.“ Und damit marschierte er die Park Lane hinunter, so schnell ihn seine Stiefel tragen wollten.
Belinda sah mich an und fing an zu lachen. „Was sollte das denn?“
„Er ist das letzte Mal, als wir zusammen waren, von seinem Pferd gefallen, bei dieser Hausparty“, erklärte ich. „Nachdem er damit geprahlt hatte, was für ein guter Reiter er wäre. Ich musste etwas sagen, um ihn davon abzuhalten, mit uns Mittagessen zu gehen. Was hast du dir nur dabei gedacht?“
Belindas Augen funkelten. „Ich weiß, es war sehr ungezogen von mir, aber ich konnte nicht widerstehen. Du in deiner Dienstmädchenuniform mit Prinz Siegfried im Savoy – wie schrecklich unterhaltsam.“
„Und ich dachte, du wärst meine Freundin“, sagte ich.
„Das bin ich, Liebes, das bin ich. Aber du musst zugeben, dass es zum Brüllen komisch gewesen wäre.“
„Es wäre mein schlimmster Albtraum gewesen.“
„Was kümmert es dich, was dieser fürchterliche Mann von dir hält? Ich dachte, der Plan war, sicherzustellen, dass er sich lieber in sein Schwert stürzt, anstatt dich zu heiraten.“
„Weil er bestimmt dem Palace Bericht erstattet, vor allem, wenn ihm auffällt, dass ich wie ein Dienstmädchen gekleidet bin, und vor allem, wenn er zwei und zwei zusammenzählt und ihm aufgeht, dass er soeben gesehen hat, wie ich sein Haus geputzt habe. Und wenn der Palace Wind davon bekommt, werde ich aufs Land verfrachtet, um die Kammerzofe der einzigen noch lebenden Tochter von Queen Victoria zu werden und den Rest meiner Tage umgeben von Pekinesen und Strickwolle zu verbringen.“
„Oh, ich schätze, das ist ein gutes Argument.“ Belinda bemühte sich, ihr Lächeln zu unterdrücken. „Ja, das war ziemlich taktlos von mir. Komm mit, nach einem ausgezeichneten Mittagessen im Savoy wirst du dich besser fühlen.“ Sie zog mich die Park Lane entlang. „Wir nehmen ein Taxi.“
„Belinda, in diesem Aufzug kann ich nicht ins Savoy gehen.“
„Kein Problem, Schätzchen.“ Belinda zerrte mich zur Seite in die Curzon Street. „Mein Salon ist um die Ecke. Wir machen einen kurzen Abstecher und ich leihe dir etwas zum Anziehen.“
„Ich kann doch keines deiner Kleider anziehen. Was, wenn ich es beschädige? Du kennst mich doch. Ich werde es vermutlich bekleckern.“
„Sei nicht albern. Du würdest mir sogar einen Gefallen tun. Du kannst eine lebende Werbetafel für meine Kreationen sein, wenn du dich mit deinen königlichen Verwandten triffst. Das wäre ein großer Fang, nicht wahr? Die königliche Hofschneiderin?“
„Aber nicht den Hosenanzug“, sagte ich eilig. Mein letztes Modedesaster saß mir noch in den Knochen. „Ein normales Kleid, das ich tragen kann, ohne darüber zu stolpern oder mich zum Affen zu machen.“
Belinda lachte ihr fröhliches, glockenhelles Lachen. „Du bist so süß, Georgie.“
„Süß, aber tollpatschig“, sagte ich düster.
„Ich bin sicher, dass sich deine Tollpatschigkeit irgendwann auswachsen wird.“
„Das hoffe ich“, sagte ich. „Es ist ja nicht so, als ob ich immer tollpatschig wäre. Es ist nur so, dass ich immer am falschen Ort und zur falschen Zeit vor den falschen Leuten tollpatschig bin. Es muss mit meinen Nerven zu tun haben, schätze ich.“
„Warum solltest du denn nervös sein?“, fragte Belinda herausfordernd. „Du bist die heiratsfähigste junge Frau in ganz Großbritannien, du bist sehr attraktiv und du hast diesen herrlich frischen, jungfräulichen Charme – wo wir schon beim Thema sind, gibt es an dieser Front etwas Neues?“
„Zu meiner Jungfräulichkeit, meinst du?“
Zwei Nannys, die Kinderwagen schoben, drehten sich mit entsetzten Gesichtern nach uns um.
Belinda und ich grinsten einander an. „Dieses Gespräch sollten wir an einen weniger öffentlichen Ort verlegen“, sagte ich und schob sie in den Eingang des Gebäudes, in dem sich ihr Salon befand. Sobald wir oben in ihrem kleinen Zimmer waren, ließ sie mich mehrere Kleider anprobieren, bevor wir uns auf ein hellbraunes Georgette-Kleid mit einem glänzenden kurzen Goldcape einigten.
„Capes sind gerade sehr in Mode und es passt so gut zu deinem Haar“, sagte sie. Sie hatte recht. Als ich mich in dem Ganzkörperspiegel betrachtete, fühlte ich mich wie ein anderer Mensch. Ich war nicht länger unbeholfen, sondern hochgewachsen und elegant – jedenfalls bis auf meine Schuhe. Ich trug vernünftige schwarze Dienstmädchen-Schnürschuhe.
„Diese Schuhe müssen weg“, sagte Belinda. „Wir können unterwegs im Russel und Bromley vorbeischauen.“
„Belinda – ich habe kein Geld, versteh das doch.“
„Die Schuhe müssen zum Kleid passen“, sagte sie unbekümmert. „Außerdem kannst du mir das Geld zurückzahlen, sobald du Königin von Wer-weiß-wo geworden bist. Man weiß nie, vielleicht heiratest du irgendwann einen Maharadscha, der dir dein Gewicht in Diamanten schenkt.“
„Und mich dann in seinen Harem sperrt. Nein, danke. Ich denke, ich gebe mich mit einem weniger wohlhabenden Engländer zufrieden.“
„Wie langweilig, Liebes. Und so völlig ohne Sex.“ Belinda trat auf die Straße hinaus und winkte ein Taxi heran, das mit quietschenden Reifen neben ihr zum Stehen kam. „Zuerst ins Russell und Bromley“, sagte sie, als wäre es das Normalste der Welt. Für sie war es das. Für mich fühlte es sich immer noch an, als wäre ich Aschenputtel.
Belinda benötigte eine halbe Stunde, um ein Paar goldener Pumps für mich auszusuchen, dann ging es zum Savoy. Sie plauderte fröhlich und ich merkte, wie meine Laune sich besserte. Das Taxi bog in den wundervollen, modernen, stromlinienförmigen Säulengang des Savoys ein und ein Portier sprang vor, um uns einzulassen. Ich trat ein und fühlte mich elegant und glamourös, endlich eine Frau von Welt. Zumindest, bis sich mein Cape beim Eintreten in der Drehtür verfing. Ich wurde zurückgerissen, bekam keine Luft mehr und musste schamhaft stehen bleiben, bis mich die Portiers befreit hatten. Belinda kicherte.
„Wusstest du, dass du gefährliche Kleidungsstücke kreierst?“, beschwerte ich mich, als wir zum Savoy-Grill-Restaurant gingen.
„Sie haben reserviert, Miss?“, fragte der Maître d’.
„Ich bin Belinda Warburton-Stoke und ich bin hier, um mit Lady Georgiana Rannoch zu speisen“, sagte Belinda liebenswürdig, während sie ihm diskret einen Geldschein in die Hand drückte. „Es tut mir schrecklich leid, aber wir haben keine Reservierung … aber ich bin mir sicher, dass Sie ein wahrer Engel sind und irgendwo ein Eckchen für uns finden werden …“
„Willkommen, Mylady. Es ist in der Tat eine Ehre.“ Er verbeugte sich vor mir und führte uns zu einem wunderschönen Tisch für zwei. „Ich werde den Koch zu Ihnen schicken, damit er Ihnen seine Empfehlungen geben kann.“
„Ich muss zugeben, dass es nützlich ist, einen bekannten Namen zu haben“, sagte ich, als wir uns setzten.
„Das solltest du öfter ausnutzen. Du könntest zum Beispiel überall, wo du willst, anschreiben lassen.“
„Oh nein, ich verschulde mich nicht. Du kennst doch unser Familienmotto: Tod vor Ehrlosigkeit.“
„Schulden sind nichts Unehrenhaftes“, sagte Belinda. „Denk an die Erbschaftssteuern, die dein Bruder zahlen musste, nachdem sich dein Vater erschossen hatte.“
„Ja, aber er musste die Hälfte des Anwesens, das Familiensilber und unsere Immobilie in Sutherland verkaufen, um sie abzubezahlen.“
„Wie langweilig anständig von ihm. Ich bin froh, dass ich nur Landadlige und keine Aristokratin bin. Die Erwartungen seiner Vorfahren lasten weniger auf einem. Mein Ururgroßvater war nur ein Kaufmann. Deine feinen Leute wollten sich nicht mit ihm abgeben, obwohl er sie alle hätte aufkaufen können. Jedenfalls weiß ich die Laster der unteren Klassen zu genießen – und wo wir von Lastern sprechen, du hast mir noch nicht erzählt …“
„Dir was erzählt?“
„Deine Jungfräulichkeit, Schätzchen. Ich hoffe, du hast endlich etwas getan, um sie loszuwerden. Eine solche Last.“
Leider fällt es bei meiner hellen Haut stark auf, wenn ich rot werde.
„Du hast es endlich getan, oder?“, fragte sie in ihrer lauten, glockenhellen Tonlage, die faszinierte Blicke von allen Nachbartischen anzog. „Sag mir nicht, dass du es nicht getan hast! Georgie, was ist los mit dir? Besonders, da du jemanden hast, der nur allzu bereit dafür ist.“
Der arme junge Mann, der uns Wasser einschenkte, hätte beinahe den Krug fallen lassen.
„Belinda“, zischte ich.
„Ich gehe davon aus, dass der verwegene Darcy O’Mara noch im Spiel ist?“
„Ehrlich gesagt, Nein.“
„Oh nein, was ist passiert? Ihr beiden wart wie Pech und Schwefel, als ich euch das letzte Mal gesehen habe.“
„Wir hatten keinen Streit, nichts dergleichen. Er ist einfach verschwunden. Kurz nach der berüchtigten Hausparty. Er hat einfach nicht mehr angerufen und ich habe keine Ahnung, wo er sich aufhält.“
„Hast du denn keine Nachforschungen angestellt?“
„Das kann ich unmöglich tun. Wenn er mich nicht will, dann werde ich ihm nicht nachlaufen.“
„Ich würde es tun. Er ist eindeutig einer der interessantesten Männer Londons. Und um ehrlich zu sein gibt es davon nicht viele, oder? Im Moment vergehe ich geradezu vor sexueller Frustration.“
Der Koch, der nun neben unserem Tisch stand, gab vor, das Besteck gerade auszurichten. Belinda bestellte alle möglichen leckeren Gerichte – Endiviensalat mit Räucherlachs und gegrillte Lammkeule, begleitet von einem herrlich süffigen Bordeaux, gefolgt von süßem Brot-und-Butter-Pudding, der einfach himmlisch war. Wir waren gerade mit dem Pudding fertig und man hatte uns Kaffee gebracht, als ein wieherndes Lachen durch den Grill schallte, eine Art „Harharhar“. Von dem Tisch, an dem das Lachen erklungen war, erhob sich ein junger Mann, der sich noch immer vor Lachen schüttelte. „Zum Brüllen“, sagte er, dann kam er auf uns zu.
„Jetzt weißt du, was ich damit meine, dass es in London keine interessanten Männer gibt“, murmelte Belinda. „Das ist die aktuelle Krone der britischen Männlichkeit. Seinem Vater gehört ein Verlag, aber er ist völlig nutzlos im Bett.“
„Ich glaube nicht, dass ich ihn kenne“, sagte ich.
„Gussie Gormsley, meine Liebe“, sagte sie.
„Gussie Gormsley?“
„Augustus. Sein Vater ist Lord Gormsley. Es überrascht mich, dass er nicht auf deiner Liste von möglichen Heiratskandidaten steht. Liegt wohl an den Verlagsverbindungen. Man möchte keinen Kaufmann in der Familie haben und so weiter.“ Sie winkte ihm zu. „Gussie. Hier drüben.“
Gussie war ein massiger, blasser junger Mann, der einen idealen Rugbystürmer abgegeben hätte. Sein Gesicht erhellte sich vor Freude, als er Belinda erkannte.
„Na, Belinda, altes Haus“, sagte er. „Lange nicht gesehen.“
„Gerade zurück vom Mittelmeer, Schätzchen. Kennst du schon meine liebe Freundin Georgiana Rannoch?“
„Doch nicht Binkys Schwester? Grundgütiger.“
„Warum ‚Grundgütiger‘?“, fragte ich.
„Ich dachte immer – nun, er hat uns immer erzählt, du wärst ein schüchternes, zurückgezogenes kleines Ding, und hier stehst du und bist von Kopf bis Fuß glamourös.“
„Georgie ist wahrscheinlich der beste Fang in ganz Großbritannien“, sagte Belinda, bevor ich eine Antwort stottern konnte. „Die Männer schlagen sich geradezu um sie. Ausländische Prinzen, amerikanische Millionäre.“
„Kein Wunder, dass Binky dich geheim gehalten hat“, sagte Gussie. „Ich muss dich dem alten Lunghi vorstellen.“ Er drehte sich um und winkte seinem Ecktisch zu.
„Lunghi wer?“, fragte Belinda.
„Lunghi Fotheringay, altes Haus.“ Natürlich sprach er den Nachnamen „Fungy“ aus. Wie man es eben so tut.
„Lunghi Fungy? Das ist ja zum Schreien“, sagte Belinda. „Warum heißt er Lunghi?“
„Er kam erst vor kurzen aus Indien zurück, müsst ihr wissen. Hat uns einen Schnappschuss gezeigt, auf dem er mit einem kleinen Tuch um die Lenden zu sehen ist und jemand fragte, wie man das nennt, woraufhin er sagte, ein Lunghi, und dann merkten wir, wie lustig das ist. Und so wurde er zu Lunghi Fungy.“ Er winkte wieder. „Hier rüber, alter Knabe. Hier sind ein paar köstliche junge Dinger, die ich dir vorstellen muss.“
Ich spürte, wie ich unter den Augen aller Gäste des Savoys errötete, aber Belinda lächelte strahlend, als Mr Fotheringay auf uns zukam. Er war schlank, dunkelhaarig und wirkte ernst. Eigentlich sah er gar nicht so übel aus.
Wir wurden einander vorgestellt, dann sagte Gussy: „Schaut mal, nächste Woche findet bei uns eine kleine Party statt. Wollt ihr zwei nicht vorbeischauen?“
„Sehr gern, wenn wir Zeit haben“, sagte Belinda. „Werden dort interessante Leute sein?“
„Außer uns, meinst du?“, fragte der düstere, schweigsame Lunghi, der sie mit ernstem Blick betrachtete. Es bestand kein Zweifel, für welche von uns er sich interessierte. „Ich kann euch versichern, dass wir momentan die interessantesten Männer von ganz London sind.“
„Leider scheint das tatsächlich der Fall zu sein“, stimmte Belinda zu. „London fehlt gerade jegliche Faszination. Wir nehmen die Einladung an, nicht wahr, Georgie?“
„Warum nicht?“, gab ich zurück und versuchte den Anschein zu erwecken, dass solche Einladungen eine alltägliche Angelegenheit wären.
„Dann sehen wir uns dort. Ich werde Einladungen per Post versenden, damit es offiziell ist und so weiter. Es ist in der Arlington Street – dieser große, weiße Wohnblock in der Nähe von Green Park. St. James Mansions. Ihr werdet es an den Jazzklängen und an den verärgerten Gesichtern der Nachbarn erkennen.“
Belinda und ich erhoben uns, um zu gehen. „Siehst du, wenn du mit mir zusammen bist, passieren tolle Sachen“, sagte sie, während sie die Rechnung ohne zu zögern bezahlte. „Du scheinst Eindruck auf ihn gemacht zu haben, nicht?“
„Eher deine Kleider“, sagte ich. „Aber es könnte lustig werden.“
„Einer von ihnen könnte derjenige sein.“
„Derjenige?“
„Der dir deine Jungfräulichkeit nimmt, Schätzchen. Also wirklich, manchmal bist du außerordentlich schwer von Begriff.“
„Du hast gesagt, dass Gussie nutzlos im Bett ist“, erinnerte ich sie.
„Für mich. Für dich könnte er ganz ordentlich sein. Du wirst nicht so hohe Erwartungen haben.“
„Vielen Dank“, sagte ich, „aber ich habe beschlossen, auf die wahre Liebe zu warten. Ich will nicht so enden wie meine Mutter und immer wieder abhauen.“
„Wenn man vom Teufel spricht“, sagte Belinda.
Ich blickte auf und sah, dass meine Mutter den Raum betreten hatte.
Sie stand im Eingang des Savoy Grill und gab vor, den Raum zu überblicken, aber in Wahrheit wartete sie darauf, dass jeder der Gäste ihre Anwesenheit bemerkte. Ich musste zugeben, dass sie in ihrem Gewand aus fließender Seide mit gerade so viel Rot, dass es gewagt war, aussah wie eine himmlische Erscheinung. Der Glockenhut, der ihr zartes Gesicht umrahmte, war aus weißem Stroh, in das rote Wirbel eingewoben waren. Der Maître d’ sprang vor. „Euer Gnaden, welche Ehre“, murmelte er.
Meine Mutter ist schon seit vielen Ehemännern nicht mehr „Euer Gnaden“, aber sie lächelte lieblich und verbesserte ihn nicht. „Hallo, François. Wie schön, dich wiederzusehen“, sagte sie mit ihrer melodischen Stimme, die das Publikum in Theatern auf der ganzen Welt verzaubert hatte, bevor mein Vater sie entdeckt hatte. Sie durchquerte den Raum und ihr Blick fiel auf mich. Ihre großen blauen Augen weiteten sich vor Überraschung.
„Gütiger Himmel, Georgie. Du bist es! Ich hätte dich kaum erkannt, Liebling. Du siehst zur Abwechslung ganz zivilisiert aus. Du musst einen reichen Liebhaber gefunden haben.“
„Hallo Mummy.“ Wir küssten die Luft neben unseren Wangen. „Ich wusste nicht, dass du in der Stadt bist. Ich dachte, um diese Jahreszeit wärst du noch im Schwarzwald.“
„Ich bin hergekommen, um einen … Freund zu treffen.“ In ihrer Stimme schwang etwas Verhaltenes mit.
„Und bist du noch mit Wie-heißt-er-noch-gleich zusammen?“
„Max? Nun, ja und nein. Er glaubt es. Aber es ist so ermüdend, nicht ab und an mit jemandem plaudern zu können. Ich meine, der Sex ist immer noch traumhaft, aber ein gutes Gespräch ist auch nicht zu verachten und aus irgendeinem Grund kann ich einfach kein Deutsch lernen. Und Max spricht immer nur davon, auf Dinge zu schießen. Also habe ich einen kleinen Ausflug nach London gemacht. Ah, da ist er ja.“ Ich sah, wie am anderen Ende des Restaurants eine Hand zum Gruß erhoben wurde. „Muss los, Schätzchen. Lebst du noch in diesem trostlosen alten Rannoch House? Wir müssen uns bald zum Tee verabreden. Ciao!“
Und schon war sie fort und ließ mich mit der gewohnten Enttäuschung und Frustration zurück. So vieles war ungesagt geblieben. Ihr habt sicher schon vermutet, dass sie als Mutter nicht gerade geeignet gewesen war. Belinda nahm meinen Arm. „Ich weiß nicht, warum du so versessen darauf bist, nicht so zu werden wie deine Mutter. Für den Inhalt ihres Kleiderschranks würde ich töten.“
„Aber um welchen Preis?“, sagte ich. „Mein Großvater glaubt, dass sie ihre Seele verkauft hat.“
Ein Taxi wurde für uns gerufen. Wir stiegen ein. Ich blickte aus dem Fenster und bemerkte, dass ich zitterte. Nicht nur das Treffen mit meiner Mutter hatte mich aufgewühlt. Als wir in das Taxi gestiegen waren, hatte ich geglaubt, Darcy O’Mara auf dem Weg ins Savoy zu sehen, Arm in Arm mit einer großen, dunkelhaarigen jungen Frau.
„Du bist so still“, bemerkte Belinda auf der Taxifahrt nach Hause. „Ist dir das Essen nicht bekommen?“
„Nein, das Essen war himmlisch“, sagte ich. Ich holte tief Luft. „Dir ist nicht zufällig Darcy aufgefallen, der das Savoy betrat, als wir gegangen sind?“
„Darcy? Nein, nicht, dass ich wüsste.“
„Dann hat mir meine Fantasie einen Streich gespielt“, sagte ich. „Aber ich könnte schwören, dass er es war und dass er Arm in Arm mit einer jungen Frau ging. Einer sehr attraktiven jungen Frau.“
„Ach ja“, seufzte Belinda. „Männer wie Darcy sind nicht für ihre dackelartige Loyalität bekannt und ich bin mir sicher, dass er einen gesunden Appetit hat.“
„Ich schätze, du hast recht“, sagte ich und verbrachte den Rest der Fahrt in ausgesprochen düsterer Stimmung. Anscheinend hatte meine dumme Sturheit mich meiner Chance bei Darcy beraubt. Wollte ich ihn wirklich, fragte ich mich. Er war irisch, katholisch, arm wie eine Kirchenmaus, unzuverlässig und in jeder Hinsicht unpassend, bis auf die Tatsache, dass er der Sohn eines Adligen war. Aber die Vorstellung von ihm mit einem anderen Mädchen bereitete mir beinahe körperlichen Schmerz in meinem Herzen.
Außerdem ließen mich die flüchtigen Begegnungen mit meiner Mutter immer frustriert und niedergeschlagen zurück. Es gab so vieles, was ich ihr sagen wollte, aber nie den richtigen Zeitpunkt. Und nun sah es aus, als würde sie sich schon wieder einem neuen Mann zuwenden. Der Gedanke, zu enden wie sie, hatte mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, mich Darcy nicht so leicht hinzugeben. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir ihre wechselhafte Art vererbt hatte, aber ich hatte eindeutig die unerschütterliche Natur der Rannochs geerbt. Und unser Familienmotto lautete: Tod vor Ehrlosigkeit!
Ich betrat das Rannoch House. Ich trug noch immer Belindas modische Kleider, meine Dienstmädchenuniform und die klobigen Schuhe waren nun in einer Harrods-Einkaufstüte verstaut. Ich hatte versucht, sie davon zu überzeugen, die Kleider, die sie mir geliehen hatte, zurückzunehmen, aber sie hatte darauf bestanden, dass es gute Werbung für sie war und ich lediglich jedem, der mir ein Kompliment machte, ihre Karte geben sollte. Wahrscheinlich hatte sie nicht unrecht, obwohl sie offensichtlich annahm, dass ich meine königlichen Verwandten öfter sah, als es tatsächlich der Fall war. Soweit ich wusste, würde ich den König und die Königin erst wieder in Balmoral mit eigenen Augen sehen, wohin ich jeden Sommer eingeladen wurde, da Castle Rannoch nur einen Katzensprung entfernt war. Und in Balmoral musste man sich an die strengen Highland-Kleidervorgaben halten.
Ich trat in den düsteren Flur und bemerkte, dass ein Brief auf der Fußmatte lag. Post war eine Seltenheit, da kaum jemand wusste, dass ich in London war. Erwartungsvoll hob ich ihn auf. Dann sah ich, von wem er stammte und hätte ihn fast wieder fallen lassen. Vom Palace. Persönlich von einem Kurier überbracht.
Ein Schauer lief mir über den ganzen Körper. Der Brief stammte von dem Privatsekretär Ihrer Majestät.
Ihre Majestät hofft, dass es Ihnen möglich ist, morgen am 7. Juni zum Tee zu kommen. Sie bittet, die kurzfristige Ankündigung zu entschuldigen, aber es handelt sich um eine dringliche Angelegenheit.
Mein erster Gedanke war natürlich, dass Siegfried die Dienstmädchenuniform erkannt hatte und sofort zum Palace geeilt war, um die schreckliche Nachricht zu verbreiten. Ich würde aufs Land geschickt werden und – „Moment mal“, sagte ich laut. Sie mochte zwar die Königin von England und die Kaiserin von Indien sein, aber sie konnte mich zu nichts zwingen, was ich nicht wollte. Wir waren nicht mehr im Mittelalter. Sie konnte mich nicht köpfen oder in den Tower werfen. Ich hatte mir nichts zu Schulden kommen lassen. Ich wusste, dass Häuser zu putzen meinem Stand nicht gerade entsprach, aber ich verdiente meinen Lebensunterhalt auf ehrliche Weise. Ich bat niemanden darum, mich zu unterstützen, sondern schlug mich in schwierigen Zeiten allein durch. Sie sollte auf meinen Unternehmergeist stolz sein.
Gut, damit wäre das geklärt. Das war genau das, was ich ihr sagen würde.
Danach war mir viel leichter ums Herz. Ich stiefelte nach oben und zog Belindas Kreation aus, dann setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schrieb eine Rechnung über die Hälfte des vereinbarten Betrags an die Gräfinwitwe Sophia, mit einer Erklärung, warum das Dienstmädchen eine plötzliche Abneigung gegen den Londoner Staub entwickelt hatte.
Rannoch House
Dienstag, 7. Juni 1932
Liebes Tagebuch,
wunderschöner strahlender Morgen. Heute ist das Buck House an der Reihe. Tee mit der Königin. Erwarte nicht viel zu essen. Ernsthaft, das königliche Protokoll ist völlig albern. Werde IM ablenken müssen, um diesmal einen Happen Kuchen zu verschlingen. Frage mich, was sie will. Bestimmt nichts Gutes…
Als ich mich zum Tee im Palace anzog, fühlte ich mich nicht mehr ganz so mutig wie zuvor. Ihre Majestät war eine eindrucksvolle Frau. Sie war klein und wirkte auf den ersten Blick nicht besonders durchsetzungsstark, aber man denke nur an meine Urgroßmutter, Königin Victoria. Auch sie war klein und dennoch erzitterte ein ganzes Weltreich, wenn sie eine Augenbraue hob. Königin Mary besaß etwas weniger Macht, aber der Anblick ihres kerzengeraden Rückens und ihrer kühlen blauen Augen mit ihrem direkten, taxierenden Blick konnte selbst die stärkste Person in die Knie zwingen. Und sie schätzte es nicht, wenn man ihr zuwiderhandelte. Ich begutachtete die Kleider in meinem Schrank und versuchte zu entscheiden, welches davon den besten Eindruck hinterlassen würde. Nichts zu Mondänes, also definitiv nicht Belindas Kreation. Ich besaß einige recht elegante Abendkleider, aber meine Tagesgarderobe für den Sommer ließ leider zu wünschen übrig. Das Kleid, das mir am besten gefiel, war aus Baumwolle. Es hatte ein Bügeleisen nötig und ich hatte das Bügeln noch nicht gemeistert. Am Ende hatte es mehr Falten als am Anfang, nicht zu vergessen ein oder zwei Verbrennungen. Schließlich entschied ich mich für etwas Schlichtes und schlüpfte in ein marineblaues Kostüm und eine weiße Bluse. Dazu setzte ich meinen weißen Strohhut auf (Welten entfernt von dem modischen Hütchen meiner Mutter), zog weiße Handschuhe an und machte mich auf den Weg.
Es war ein warmer Tag und als ich die Spitze des Constitution Hills erreicht hatte, war mein Gesicht ziemlich erhitzt. Ich betupfte es mit einem parfumgetränkten Taschentuch, bevor ich die Wachen passierte. Der Besuchereingang befand sich am anderen Ende des Palace. Wenigstens konnte ein Besucher wie ich, der ohne den Vorzug einer Staatskarosse oder eines Rolls Royce ankam, durch einen Nebeneingang treten. Ich überquerte den Vorhof und hatte wie immer das Gefühl beobachtet zu werden und fürchtete, über einen Pflasterstein zu stolpern.
Ich wurde mit ausgesuchter Höflichkeit empfangen und nach oben geleitet, wo sich die königlichen Wohngemächer befanden. Zum Glück konnte ich die große Treppe mit dem roten Teppich und den Statuen vermeiden, sondern wurde über eine schlichte Hintertreppe zu einem Büro gebracht, das aussah, als könnte es einem beliebigen Londoner Anwalt gehören. Hier wartete der Sekretär Ihrer Majestät auf mich. „Ah, Lady Georgiana. Folgen Sie mir bitte. Ihre Majestät erwartet Sie in ihrem privaten Salon.“ Er machte einen fröhlichen Eindruck, ja, er wirkte geradezu heiter. Ich war versucht, ihn zu fragen, ob Ihre Majestät sich nach einer Zugverbindung ins tiefste Gloucestershire erkundigt hatte. Aber andererseits hatte sie ihm vielleicht nicht mitgeteilt, warum sie mich hatte rufen lassen. Vielleicht wusste er nichts von Tanten mit Pekinesen.
Ein Glück, dass wir nicht katholisch sind, dachte ich. Wenigstens konnte sie mich nicht ins Kloster sperren, bis sich ein passender Bräutigam fand. Das ließ mich auf halbem Weg den Flur entlang erstarren. Was, wenn ich in den Salon geführt wurde und mich dort bereits Prinz Siegfried und ein Pfarrer erwarteten?
„Hier drin, Mylady“, sagte der Sekretär. „Lady Georgiana, Ma’am.“
Ich holte tief Luft und trat ein. Die Königin saß in einem Chippendale-Lehnstuhl vor einem niedrigen Tisch. Obwohl sie nicht mehr jung war, war ihr Teint makellos und ohne eine Spur von Falten. Überdies vermutete ich, dass sie dabei nicht auf die Hilfe diverser teurer Präparate angewiesen war, die meine Mutter benutzte, um ihr jugendliches Aussehen zu erhalten.
Der Tee war bereits angerichtet, dazu gehörten eine leckere Auswahl von Kuchen auf einer zweistöckigen Etagere aus Silber und Glas. Ihre Majestät streckte die Hand nach mir aus. „Ah, Georgiana, meine Liebe. Wie schön, dass du gekommen bist.“
Als ob man einer Königin etwas abschlug.
„Sehr freundlich von Euch, mich einzuladen, Ma’am.“ Ich versuchte mich an der üblichen Kombination aus einem Knicks und einem Kuss auf die Wange und brachte es dieses Mal fertig, ohne mir die Nase zu stoßen.
„Setz dich doch. Der Tee ist fertig. Grün oder Schwarz?“
„Grün, danke.“
Die Königin schenkte den Tee selbst ein. „Und nimm dir etwas zu essen.“
„Nach Euch, Ma’am“, sagte ich pflichtbewusst, da ich ganz genau wusste, dass das Protokoll verlangte, dass die Gäste nur das aßen, was die Königin aß. Das letzte Mal war ihre Wahl auf eine Scheibe Vollkornbrot gefallen.
„Ich glaube, heute bin ich überhaupt nicht hungrig“, sagte sie, was meine Laune noch mehr trübte. War ihr bewusst, was für eine Tortur es war, dazusitzen und die Erdbeertörtchen und Eclairs anzustarren, ohne eines davon essen zu dürfen?
Ich wollte gerade sagen, dass ich auch nicht hungrig wäre, als sie sich vorbeugte. „Wenn ich es mir genau überlege, sehen diese Eclairs zum Anbeißen aus, oder? Vernachlässigen wir einmal unsere schlanke Linie, nicht wahr?“
Sie war guter Laune. Ich fragte mich warum. Sollte das ein Abschiedstee werden, bevor sie mein fürchterliches Schicksal verkündete?