Adele - Der Wind trägt dein Lächeln - Lesley Pearse - E-Book
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Adele - Der Wind trägt dein Lächeln E-Book

Lesley Pearse

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Beschreibung

Kann die Wahrheit für immer verborgen bleiben?

England, in den Dreißigerjahren: Adele ist zwölf Jahre alt, als ihre Schwester bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt. Ihre Mutter gibt Adele die Schuld und macht ihr fortan das Leben zur Hölle. Als sie in ein Kinderheim geschickt wird, reißt Adele aus und macht sich auf die Suche nach ihrer Großmutter. Die alte Dame will erst nichts von ihrer Enkelin wissen, doch schon bald entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden. Als Adele einige Jahre später den jungen Michael kennen lernt, tritt auch die Liebe in ihr Leben. Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Michael wird eingezogen, und plötzlich taucht Adeles Mutter Rose wieder auf - und droht erneut ihr Leben zu zerstören ...

Weitere Titel von Lesley Pearse bei beHEARTBEAT:

Hope - Mein Herz war nie fort. Ellie - Als wir Freundinnen waren. Camellia - Im zarten Glanz der Morgenröte.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

TEIL 1

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

TEIL 2

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

Weitere Titel der Autorin

Camellia – Im zarten Glanz der Morgenröte

Hope – Mein Herz war nie fort

Als wir Freundinnen waren

Bis dein Herz mich findet

Das Geheimnis von Carlisle

Das helle Licht der Sehnsucht

Das Mädchen aus Somerset

Den dunkel ist dein Herz

Der Wind trägt dein Lächeln

Durch stürmische Zeiten

Echo glücklicher Tage

In der Ferne ein Lied

Jeden Tag ein bisschen Zuversicht (September 2019)

Schatten der Erinnerung

Wenn tausend Sterne fallen

Wo das Glück zu Hause ist

Wo die Hoffnung blüht

Zeiten voller Hoffnung

Die Belle Trilogie:

Band 1: Doch du wirst nie vergessen

Band 2: Der Zauber eines frühen Morgens

Band 3: Am Horizont ein helles Licht

Weitere Titel in Planung.

Über dieses Buch

Kann die Wahrheit für immer verborgen bleiben?

England, in den Dreißigerjahren: Adele ist zwölf Jahre alt, als ihre Schwester bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt. Ihre Mutter gibt Adele die Schuld und macht ihr fortan das Leben zur Hölle. Als sie in ein Kinderheim geschickt wird, reißt Adele aus und macht sich auf die Suche nach ihrer Großmutter. Die alte Dame will erst nichts von ihrer Enkelin wissen, doch schon bald entwickelt sich eine zarte Freundschaft zwischen den beiden. Als Adele einige Jahre später den jungen Michael kennen lernt, tritt auch die Liebe in ihr Leben. Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Michael wird eingezogen, und plötzlich taucht Adeles Mutter Rose wieder auf – und droht erneut ihr Leben zu zerstören …

Über die Autorin

Lesley Pearse wurde in Rochester, Kent, geboren und lebt mit ihrer Familie in Bristol. Ihre Romane belegen in England regelmäßig die ersten Plätze der Bestsellerlisten. Neben dem Schreiben engagiert sie sich intensiv für die Bedürfnisse von Frauen und Kindern und ist Präsidentin des Britischen Kinderschutzbundes für die Regionen Bath und West Wiltshire.

LESLEY PEARSE

Adele

Der Wind trägt deinLächeln

Ins Deutsche übertragen vonMichaela Link

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2004 by Lesley Pearse

Published by Arrangement with Lesley Pearse

Titel der Originalausgabe: »Secrets«

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Für diese Ausgabe:

© 2007/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Der Wind trägt dein Lächeln«

Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © Richard Jenkins; © shutterstock: stocker1970

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-6990-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für meinen Vater, Geoffrey Arthur Sargent, der im Jahr 1980 gestorben ist - zu früh, um noch zu erleben, wie mein erstes Werk veröffentlicht wurde. Ihm zu Ehren habe ich seine geliebte Heimatstadt Rye als Ort der Handlung dieses Romans gewählt.

Und für meinen Onkel Bert Sargent, der bis zu seinem Tod im Jahre 2002 in Rye wohnte. Zu meinen besten Kindheitserinnerungen gehören die an die Ferien, die ich dort mit ihm, meiner Tante Dorothy und meinen Cousins verbracht habe.

Als Vorbereitung auf diesen Roman habe ich zu viele Bücher gelesen, um sie hier alle aufzuzählen. Die bemerkenswertesten davon waren Fighter Boys von Patrick Bishop; The London Blitz, A Fireman's Tale von Ceryl Demarne OBE; und London At War von Philip Ziegler. Besonders dankbar war ich Geoffrey Wellum DSO für sein anregendes Buch First Light, in dem er von seiner Zeit als Kampfpilot in der Luftschlacht um England erzählt. Und an William Third ein dickes Dankeschön dafür, dass er mir Informationen über Hastings und Winchelsea verschafft hat. Ein guter Freund ist er immer gewesen, und nun zeigt sich, dass er sich auch auf die Recherche versteht!

TEIL 1

KAPITEL 1

Januar 1931

Als Adele die Euston Road erreichte, quälten sie vom Laufen heftige Seitenstiche. Sie sollte Pamela, ihre achtjährige Schwester, nach deren Klavierunterricht auf der anderen Seite der belebten Hauptstraße abholen und hatte sich verspätet. Es war dunkel, und wie gewöhnlich herrschte um sechs Uhr dichter Verkehr. Außerdem bildete der Schnee der vergangenen Tage inzwischen schwarze, eisige Klumpen in den Rinnsteinen, sodass die Straße noch schwerer zu überqueren war als sonst.

Adele Talbot war elfeinhalb - klein, dünn, blass - und wirkte in dem abgetragenen Tweedmantel für Erwachsene, der ihr viel zu groß war, ausgesprochen verloren. Die Wollsocken waren ihr bis auf die Knöchel heruntergerutscht, und eine Strickkapuze bedeckte ihr widerspenstiges braunes Haar. Aber trotz ihres zarten Alters stand ein sehr reifer Ausdruck der Sorge in ihren großen grünlich braunen Augen, während sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen sprang und auf eine Lücke im Verkehr wartete. Eigentlich hätte ihr Vater Pamela auf dem Heimweg von der Arbeit abholen sollen, aber er hatte es vergessen, und Adele befürchtete, dass ihre kleine Schwester es müde geworden war, auf ihn zu warten, und sich allein auf den Heimweg gemacht hatte.

Immer noch keuchend von der Anstrengung, entdeckte sie vom Straßenrand aus plötzlich zwischen den Autos ihre Schwester. Sie war nicht zu übersehen - das Licht der Straßenlaternen fiel auf ihr langes blondes Haar und ihren leuchtend roten Mantel. Zu Adeles Entsetzen war Pamela bereits an den Rand des Gehsteigs getreten, als hätte sie die Absicht, die Straße allein zu überqueren.

»Bleib da!«, schrie Adele ihr wild gestikulierend zu. »Warte auf mich!«

Mehrere Busse fuhren dicht hintereinander vorbei und versperrten Adele die Sicht, bis plötzlich das Unheil verkündende Quietschen von Bremsen erklang.

Das Herz im Hals, rannte Adele zwischen einem Bus und einem Lastwagen hindurch. Als sie die Straßenmitte erreichte, fand sie ihre schlimmsten Ängste bestätigt: Zwischen einem Auto und einem Taxi lag ihre kleine Schwester reglos auf dem Boden.

Adele schrie. Der gesamte Verkehr war plötzlich zum Erliegen gekommen, und Dampf stieg wie Rauch über den Motorhauben der Autos auf. Fußgänger blieben erschrocken stehen, und alle betrachteten sie das kleine Bündel auf der Straße.

»Pamela!«, rief sie, während sie hinüberrannte, und Entsetzen, Ungläubigkeit und absolutes Grauen schienen sie zu verschlingen.

Der Taxifahrer, ein hoch gewachsener Mann mit dickem Bauch, war aus seinem Wagen gestiegen und starrte jetzt auf das Kind zwischen seinen Vorderreifen hinab. »Sie ist einfach losgerannt!«, versicherte er und sah sich, um Bestätigung heischend, mit wildem Blick um. »Ich konnte nichts mehr tun.«

Schon hatte sich eine Traube von Menschen gebildet, und Adele hatte alle Mühe, sich zwischen ihnen hindurchzudrängeln. »Du darfst sie nicht anfassen, Schätzchen«, meinte jemand warnend, als sie endlich in der Mitte des Kreises angekommen war und sich neben Pamela hockte.

»Sie ist meine kleine Schwester«, stieß Adele hervor, und die Tränen strömten ihr über die vom Wind gepeitschten Wangen. »Sie sollte warten, bis sie abgeholt wird. Wird sie wieder gesund?«

Doch noch während Adele die Frage stellte, spürte sie, dass Pamela bereits tot war. Ihre blauen Augen standen weit offen, ihre Miene zeigte Erschrecken, aber sie rührte sich nicht, sie gab keinen Laut von sich und verzog nicht einmal vor Schmerz das Gesicht.

»Der Krankenwagen ist bereits unterwegs«, hörte Adele jemanden sagen, und ein Mann trat vor, fühlte Pamelas Puls und zog dann seinen Mantel aus, um ihn über ihr auszubreiten. Aber währenddessen schüttelte er leicht den Kopf. Das und die erschütterten Mienen der Menschen um sie herum bestätigten Adeles Ängste.

Sie wollte schreien, wollte auf den verantwortlichen Taxifahrer einschlagen. Aber gleichzeitig konnte sie nicht glauben, dass Pamelas Leben vorbei sein sollte. Alle liebten sie, sie war so witzig, sprühte nur so vor Leben, und sie war zu jung, um zu sterben.

Über ihre Schwester gebeugt, strich Adele ihr das Haar aus dem Gesicht und schluchzte ihren Kummer und ihr Entsetzen hinaus.

Eine Frau mit Pelzmütze schlang ihr den Arm um die Taille und zog sie weg. »Wo wohnst du, Kleines?«, fragte sie, während sie sie dicht an ihre Brust gedrückt hielt und sie tröstend hin und her wiegte. »Sind deine Mum und dein Dad zu Hause?«

Adele wusste nicht, was sie antwortete, denn sie nahm in diesem Augenblick nur das Kratzen des Mantels, den die Frau trug, auf ihrer Wange wahr und das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen.

Aber sie musste die Frage der Frau wohl beantwortet haben, bevor sie sich losriss, um sich am Straßenrand zu erbrechen, denn später, nach der Ankunft des Krankenwagens und der Polizei, hörte sie dieselbe Frau den Männern erklären, dass die Schwester des überfahrenen Kindes Adele Talbot heiße und in der Charlton Street Nummer siebenundvierzig wohne.

Doch bis dahin nahm Adele weder die Gesichter der Menschen um sich herum wahr noch das, was sie zu ihr sagten, ja, sie spürte nicht einmal den schneidend kalten Wind. Sie war sich nur ihres eigenen Schmerzes bewusst, sah nichts als den goldenen Widerschein der Straßenlaternen auf Pamelas blondem Haar und dass der Wind über die schwarze, nasse Straße wehte, und sie hörte nur lautes, ungeduldiges Hupen.

Euston gehörte Pamela und ihr. Für andere mochte es vielleicht nur eine schmutzige, gefährliche Durchgangsstation sein, die die Menschen auf dem Weg zu anderen, sichereren und hübscheren Vierteln Londons notgedrungen passieren mussten, aber für Adele war Euston stets so harmlos wie ein Park gewesen. Die Charlton Street lag direkt in der Mitte zwischen Euston und St. Pancras; die beiden Bahnhöfe waren für sie ihre persönlichen Theaterbühnen und die Passanten die Figuren in einem Schauspiel gewesen. Sie hatte Pamela dorthin mitgenommen, vor allem wenn es kalt oder nass gewesen war, und dann hatte sie zu Pamelas Begeisterung Geschichten über die Menschen erfunden, die sie dort sahen: Eine Frau in einem Pelzmantel, die neben einem Träger hertrippelte, der ihre großen Koffer schleppte, war eine Gräfin. Ein junges Paar, das sich leidenschaftlich küsste, war durchgebrannt. Manchmal sahen sie Kinder, die mit einem Namensschild am Mantel allein unterwegs waren, und Adele spann daraus eine fantastische Abenteuergeschichte, in der böse Stiefmütter, Burgen in Schottland und Schatztruhen voller Geld vorkamen.

Zu Hause herrschte immer eine bedrückende Atmosphäre. Ihre Mutter saß oft stundenlang in mürrischem Schweigen da und nahm die Anwesenheit ihrer Kinder oder ihres Mannes kaum zur Kenntnis. Sie war immer so gewesen, daher hatte Adele diesen Zustand einfach akzeptiert, aber sie hatte es auch gelernt, die Zeichen einer drohenden Gefahr zu deuten, die den Ausbrüchen wilder Wut vorangingen, und in solchen Fällen brachte sie Pamela und sich selbst so schnell wie möglich in Sicherheit. Diese Wutanfälle konnten furchtbar erschreckend sein, denn ihre Mutter warf dann mit allem um sich, was ihr in die Finger kam. Sie schrie Schimpfworte, und sehr häufig kam es vor, dass sie nach ihrer älteren Tochter schlug.

Adele versuchte, sich einzureden, dass die volle Wucht des mütterlichen Zorns sich nur deshalb stets auf sie richtete und nicht auf Pamela, weil sie die Ältere war. Aber tief im Innern wusste sie, dass sich ihre Mum deshalb so verhielt, weil sie sie aus irgendeinem Grund hasste.

Auch Pamela hatte das gespürt und stets versucht, sie dafür zu entschädigen. Wenn sie von ihrer Mutter Geld bekommen hatte, hatte sie es immer mit Adele geteilt. Als sie zu Weihnachten ihren neuen roten Mantel geschenkt bekommen hatte, hatte es ihr zu schaffen gemacht, dass Adele leer ausgegangen war. Auf ihre stille Weise hatte sie sich nach Kräften angestrengt, diese Dinge irgendwie auszugleichen. Mit ihrem sonnigen Lächeln, ihrer Großzügigkeit und ihrem Sinn für Humor hatte Pamela Adeles Leben erträglich gemacht.

Während sie nun hilflos weinend dastand und sich nach einem Erwachsenen sehnte, der sie in die Arme nahm und ihr versicherte, dass Pamela nicht tot sei, sondern lediglich bewusstlos, war Adele sich einer Tatsache nur allzu sicher: Wenn ihre Schwester wirklich für immer fortgegangen war, dann konnte sie selbst ebenso gut auch tot sein.

Während Pamela in einen Krankenwagen gehoben wurde, griff ein stämmiger junger Polizist nach Adeles Hand. Als die Männer das kleine Mädchen auf die Bahre legten, zogen sie ihr die Decke bis übers Gesicht - eine unausgesprochene Bestätigung der Tatsache, dass sie bereits tot war.

»Es tut mir sehr leid«, sagte der Polizist sanft, dann bückte er sich, sodass er auf gleicher Augenhöhe mit ihr war. »Ich bin Constable Mitchell«, fuhr er fort. »Der Sergeant und ich werden dich gleich nach Hause bringen. Wir müssen deiner Mum und deinem Dad von dem Unfall erzählen, und du wirst uns genau erzählen müssen, was passiert ist.«

Erst da bekam Adele Angst um sich selbst. Von dem Moment an, als sie das Quietschen der Autobremsen gehört hatte, hatten sich ihre Gedanken ausschließlich um Pamela gedreht. Alle Gefühle waren in diese eine Richtung gelaufen, und nichts anderes hatte für sie existiert als der kleine Körper ihrer Schwester auf dem Boden und die Erkenntnis dessen, was sie einander bedeutet hatten. Aber bei der Erwähnung ihrer Eltern ergriff Adele plötzlich eine schreckliche Furcht.

»Ich k-k-kann nicht nach Hause gehen«, platzte sie heraus und umklammerte erschrocken die Hand des Polizisten. »Sie werden sagen, es sei meine Schuld gewesen.«

»Natürlich werden sie nichts dergleichen sagen«, erwiderte Constable Mitchell ungläubig und rieb ihre kalten Finger zwischen seinen großen Händen. »Unfälle wie dieser können jeden Menschen treffen, und du bist selbst noch ein Kind.«

»Wenn ich bloß ein klein wenig schneller gewesen wäre!«, schluchzte sie. Sein freundliches, besorgtes Gesicht rief ihr nur umso deutlicher ins Gedächtnis, wie wenig sie ihren Eltern bedeutete. »Ich bin den ganzen Weg gerannt, aber als ich hier ankam, stand sie schon am Straßenrand.«

»Deine Mum und dein Dad werden das verstehen«, versicherte er und klopfte ihr tröstend auf die Schulter.

Dann fuhr der Krankenwagen davon, und die Menge begann, sich zu zerstreuen. Nur der Taxifahrer sprach noch mit den beiden Polizisten, während Adele wartete. Alles war so schnell in die Normalität zurückgekehrt, und die ersten Autos fuhren bereits genau über die Stelle, an der nur wenige Minuten zuvor Pamela gelegen hatte. Die Zuschauer zogen sich zurück, um in den Pub zu gehen, einen Bus abzuwarten oder die Abendzeitung zu kaufen. Für sie war das Ganze nur ein Zwischenfall, wenn auch vielleicht ein trauriger, aber sie würden es vergessen haben, noch bevor sie zu Hause ankamen.

Adele war von klein auf bewusst gewesen, dass Euston ein Ort ungeheurer Ungleichheit war. Der Bahnhof, dieses riesige, Ehrfurcht gebietende Gebäude, ragte über dem Viertel auf wie eine turmhohe Kathedrale, und Hunderte von Menschen arbeiteten dort. Wer wohlhabend genug war, um zu reisen, stützte sich auf die harte Arbeit der Armen, die dafür sorgten, dass die Reisenden eine bequeme und vergnügliche Fahrt hatten.

Die Eisenbahnarbeiter lebten in den schäbigen, schmutzigen Straßen rund um den Bahnhof. Ein Träger kannte die Abfahrtszeiten eines jeden Zuges und sämtliche Bahnhöfe und Haltepunkte auf der Strecke von London nach Edinburgh, und er machte jeden Tag den Rücken krumm, um schweres Gepäck zu schleppen. Dennoch würde er niemals einen der Orte besuchen, deren Namen ihm so mühelos über die Lippen gingen. Wenn es ihm irgendwann einmal gelang, mit seiner Frau und seinen Kindern für einen Tag an die Küste zu fahren, schätzte er sich schon glücklich. Gleichermaßen hatte das Zimmermädchen, das in den eleganten Hotels, in denen die Reisenden abstiegen, die Betten bezog, auf ihrem eigenen Bett wahrscheinlich keine Laken, geschweige denn ein Waschbecken oder ein richtiges Bad in ihrem Quartier.

Adele hatte so häufig beobachtet, wie Arm und Reich hier zusammentrafen. Eine elegante Dame in einem Fuchspelz kaufte einem heruntergekommenen alten Soldaten, dem ein Bein fehlte, Blumen ab. Ein Gentleman in einem funkelnden Auto bedeutete dem Liliputaner, der Zeitungen verkaufte, mit ungeduldiger Gebärde, ihm ein Exemplar herüberzubringen. Adele wusste, dass der Liliputaner in einem Brückenbogen unter der Eisenbahn lebte. Sie hatte den alten Soldaten seine Mütze lüften und seine Kunden anlächeln sehen, obwohl er bis auf die Knochen durchgefroren war und auf seinen Krücken schwankte. Wenn die Geschäftsleute ihre Büros verließen, um nach Hause in ihre grünen Vororte zurückzukehren, kamen die Armen hervor, um hinter ihnen sauber zu machen.

Und doch hatte Adele Pamela immer geschworen, dass das Schicksal für sie beide etwas Besseres bereithielt. Ihre Geschichten hatten sich darum gedreht, dass sie eines Tages in einem vornehmen Stadtteil Londons leben und all die Orte besuchen würden, die sie auf den Anzeigetafeln in den Bahnhöfen sahen. Aber während sie jetzt darauf wartete, nach Hause zu gehen, waren all diese Träume und Ziele zusammen mit ihrer Schwester für immer untergegangen.

Der Taxifahrer stieg in seinen Wagen, und einen Augenblick lang sah er Adele so an, als wollte er ihr etwas sagen. Aber vielleicht war er selbst zu erschüttert, um zu sprechen, und als die beiden Polizisten zu ihr zurückkamen, fuhr der Mann davon.

»Wir sollten jetzt aufbrechen«, meinte Constable Mitchell. Dann umfasste er mit festem Griff ihre Hand und führte sie zu dem Streifenwagen hinüber.

Adele hatte noch nie zuvor in einem Auto gesessen, aber auch das war nur eine weitere schmerzliche Erinnerung an Pamela. Sie hatten ein Lieblingsspiel gehabt: Sie stellten zwei Stühle hintereinander, die ein Auto darstellen sollten, und Pamela war immer die Fahrerin, während Adele die Beifahrerin war, die darüber entschied, wo sie hinfahren sollten.

Die Talbots bewohnten drei kleine Zimmer im oberen Stock eines Reihenhauses in der Charlton Street. Unter ihnen lebten die Mannings mit ihren vier Kindern und im Erdgeschoss die Pattersons mit drei Kindern.

Wie in den meisten Straßen in diesem Viertel führte die Eingangstür direkt auf den Gehsteig hinaus, aber anders als in den übrigen Häusern lebten dort nur drei Familien, und sie genossen den Luxus eines gemeinsamen Badezimmers im Innern des Hauses.

Wegen der Kälte war die Haustür verschlossen, und Adele schob die Hand durch den Briefkasten und zog den Schlüssel hervor. Bevor sie ihn benutzte, drehte sie sich noch einmal zu den Polizisten um. Der jüngere, der sich als Constable Mitchell vorgestellt und entschieden hatte, sie nach Hause zu bringen, blies sich auf die Finger, um sie zu wärmen. Der ältere Polizist, den Mitchell Sarge nannte, stand ein wenig abseits und blickte an der Mauer hinauf. Beide Männer wirkten ängstlich, und dieser Umstand verstärkte Adeles eigene Furcht noch.

Während sie die Treppen zum zweiten Obergeschoss hinaufstiegen, sah Adele das Haus, so wie die Polizisten es sehen mussten, und schämte sich. Es war so schmutzig und übel riechend, die Treppen waren aus rohem Holz, und die Tünche an den Wänden war so alt, dass man keinerlei Farbe mehr erkannte. Außerdem war es hier im Flur immer ziemlich laut; das Baby der Mannings schrie Zeter und Mordio, und die anderen Kinder versuchten, es zu übertönen.

Die Wohnungstür wurde aufgerissen, noch bevor sie sie erreichten, wahrscheinlich weil ihre Eltern die schweren Männerschritte auf der Treppe gehört hatten. Adeles Mutter, Rose, blickte auf sie herab, und ihr Gesicht verzerrte sich, als sie die uniformierten Männer und Adele sah. »Wo ist Pammy?«, platzte sie heraus. »Sagen Sie nicht, dass ihr etwas zugestoßen ist?«

Adele hatte ihre Mutter stets für schön gehalten, selbst wenn sie unglücklich und gemein gewesen war. Aber in diesem Augenblick, mit dem Licht aus dem Wohnzimmer hinter ihr, sah sie sie, wie sie wirklich war: keine goldhaarige Schönheit mit Wespentaille, sondern eine müde, verlebte Frau von dreißig Jahren mit erschlaffendem Körper, grauer Gesichtsfarbe und wild abstehendem Haar. Die Schürze, die sie über ihrem Rock und dem Pullover trug, war fleckig und zerrissen, und ihre braun karierten Pantoffeln hatten über den Zehen Löcher.

»Dürfen wir hereinkommen, Mrs. Talbot?«, fragte der Sergeant. »Es hat nämlich einen Unfall gegeben.«

Rose stieß einen furchtbaren, schrillen Schrei aus, der Adele vollkommen überraschte. Der Unterkiefer klappte ihr einfach herunter, und dann kam auch schon dieses Geräusch aus ihrem Mund, das so klang wie das Brausen eines Eisenbahnzuges.

Von einem Moment auf den anderen stand auch Dad in der Tür und verlangte zu wissen, was geschehen sei, und die ganze Zeit über standen Adele und die Polizisten auf der Treppe, und in den Stockwerken unter ihnen öffneten die Leute ihre Türen, um herauszufinden, was passiert war.

»Sie ist tot, nicht wahr?«, kreischte ihre Mutter und kniff die Augen zusammen, bis sie nur noch zwei Schlitze waren. »Wer hat das getan? Wie ist es passiert?«

Daraufhin drängten die Polizisten sich beinahe mit Gewalt in die Wohnung, und Constable Mitchell schob Adele vor sich her. Der Raum diente gleichzeitig als Küche und als Wohnzimmer. Es roch nach Gebratenem, vor dem Feuer hing Wäsche zum Trocknen, und der Tisch war fürs Abendessen gedeckt. Der Sergeant drückte Rose in einen Sessel, dann begann er sanft zu erklären, was geschehen war.

»Aber wo war Adele? Sie sollte sie abholen«, unterbrach ihn Rose und warf ihrer älteren Tochter einen hasserfüllten Blick zu. »Warum hat sie Pammy erlaubt, über die Straße zu laufen?«

Adele hatte damit gerechnet, dass man ihr die Schuld geben würde, einzig deshalb, weil es immer so war, ganz gleich, was passierte. Trotzdem hatte ein kleiner Teil von ihr sich an die Hoffnung geklammert, dass ein so schrecklicher Schicksalsschlag wie dieser das gewohnte Muster durchbrechen würde.

»Ich bin den ganzen Weg gerannt, aber als ich die Euston Road erreicht hatte, versuchte Pamela bereits, die Straße zu überqueren«, erzählte Adele verzweifelt, während ihr die Tränen übers Gesicht strömten. »›Bleib stehen!‹, habe ich ihr zugerufen, aber ich glaube nicht, dass sie mich gehört oder gesehen hat.«

»Und sie ist von einem Auto überfahren worden?«, fragte Rose und blickte zu dem Sergeant auf, während ihre Augen darum flehten, dass man ihr das Gegenteil sagen würde. »Und sie ist gestorben? Meine schöne kleine Pammy ist tot?«

Der Sergeant nickte und sah Jim Talbot Hilfe suchend an. Doch Adeles Vater saß, die Hände vors Gesicht geschlagen, in sich zusammengesunken in seinem Sessel.

»Mr. Talbot.« Der Sergeant legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es tut uns sehr leid. Ein Krankenwagen war innerhalb weniger Minuten zur Stelle, aber es war zu spät.«

Adele beobachtete, wie ihr Dad die Hände sinken ließ. Er sah sie an, und für einen flüchtigen Augenblick dachte sie, er würde sie zu sich winken, um sie zu trösten. Aber stattdessen verzerrte er das Gesicht zu einer Grimasse des Zorns. »Zu spät«, brüllte er und deutete mit dem Finger auf sie. »Du bist zu spät gekommen, um Pammy abzuholen, und jetzt ist sie tot, weil du zu träge und zu faul warst, um dich zu beeilen.«

»Ich bitte Sie!«, erklärte der Sergeant tadelnd. »Es war nicht Adeles Schuld, sie konnte nicht wissen, dass Pamela versuchen würde, die Straße allein zu überqueren. Es war ein Unfall. Geben Sie ihr nicht die Schuld, sie ist selbst noch ein Kind, und sie steht unter Schock.«

Adele blieb an der Tür stehen, zu benommen und zu erschüttert, um sich auch nur einen Platz zu suchen. Sie spürte, dass sie hier nichts verloren hatte, wie eine Nachbarin, die gekommen war, um sich ein wenig Zucker auszuleihen, und dann nicht wieder gehen wollte.

Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als die beiden Polizisten versuchten, ihre Eltern zu trösten und sie Rose und Jim nannten, als würden sie einander schon lange kennen. Constable Mitchell brühte eine Kanne Tee auf und füllte einige Tassen; der Sergeant nahm ein Foto von Pamela vom Kamin und bemerkte, was für ein hübsches Mädchen sie gewesen sei. Ihr Vater drückte ihre Mutter an sich, und beide Polizisten schnalzten mitfühlend mit der Zunge, während sie sich erzählen ließen, was für ein kluges Mädchen Pamela gewesen sei.

Aber niemand achtete mehr auf Adele, nicht nachdem der Sergeant ihr eine Tasse Tee gegeben hatte. Es war, als wäre sie plötzlich unsichtbar geworden.

Vielleicht hatte sie nur fünf oder zehn Minuten dort gestanden, aber ihr kam es vor wie eine Ewigkeit. Es fühlte sich so an, als verfolgte sie ein Theaterstück und wäre durch die Scheinwerfer vor den Blicken der Schauspieler verborgen. Sie konnte ihr Entsetzen und ihre Trauer sehen, hören und fühlen, aber die Schauspieler selbst nahmen nichts von ihrem eigenen Schmerz wahr.

Sie wünschte sich so sehr, dass jemand sie in die Arme nehmen und ihr sagen würde, es sei nicht ihre Schuld und man habe Pamela unzählige Male verboten, allein die Euston Road zu überqueren.

Nach einer Weile setzte Adele sich auf einen kleinen Hocker an der Tür und legte den Kopf auf die Knie. Die Erwachsenen saßen alle mit dem Rücken zu ihr, und obwohl sie wusste, dass das größtenteils an der Anordnung der Sessel lag, kam es ihr doch so vor, als geschähe es mit Absicht. Adele konnte zwar nur aus ganzem Herzen allem zustimmen, was ihre Eltern über ihre Schwester erzählten - ein jeder hatte sie gemocht, sie hatte zu den Besten in ihrer Klasse gehört und war ein unbeschwertes kleines Mädchen mit ganz besonderen Talenten gewesen -, aber ihr schien es, als wiesen ihre Eltern mit jedem Wort darauf hin, dass Pamelas ältere Schwester genau das Gegenteil von ihr war und dass sie es als ungerecht empfanden, dass ausgerechnet sie ihnen geblieben war.

Sie redeten und weinten immer weiter und weiter. Rose wurde bisweilen hysterisch, dann beruhigte sie sich wieder, um auf eine neuerliche Begebenheit zu sprechen zu kommen, bei der Pamela sich als etwas ganz Besonderes erwiesen hatte, worauf Jim dann seinerseits etwas aus Pamelas Leben beizusteuern wusste. Und zwischendurch erklangen immer wieder die ruhigen, beschwichtigenden Stimmen der beiden Polizisten. So jung und unerfahren Adele war, konnte sie spüren, dass die beiden Männer es geschickt verstanden, mit Trauer umzugehen, wobei sie gerade das richtige Maß an Interesse, Sorge und Mitgefühl an den Tag legten, während sie gleichzeitig allmählich versuchten, ihre Eltern zu dem Punkt zu führen, an dem sie den Tod ihrer Tochter akzeptieren konnten.

Obwohl es sie berührte, dass die Polizisten so viel Mitgefühl besaßen, wünschte sich ein kleiner Teil von ihr sehr, sie hätte es gewagt, ihnen zu erzählen, dass Jim Talbots Lieblingsworte gegenüber seinen beiden Töchtern stets »Halt den Mund, ja?« gewesen waren. Dass er derjenige war, der Pamela hatte abholen sollen und es vergessen hatte. Außerdem fragte sie sich, ob die Polizisten Rose gegenüber ebenso zartfühlend gewesen wären, hätten sie gewusst, dass diese Frau meistens zu übellaunig war, um morgens aus dem Bett zu kommen. Es war immer Adele gewesen, die Pamela das Frühstück zubereitet und sie zur Schule gebracht hatte.

»Sollen wir Sie jetzt zu Pamela fahren, damit Sie sie noch einmal sehen können?«, fragte der Sergeant einige Zeit später. Rose wurde noch immer von hilflosen Weinkrämpfen geschüttelt, aber nicht mehr auf die hysterische Art und Weise, mit der sie zuvor ihrer Trauer Ausdruck verliehen hatte. »Sie muss offiziell identifiziert werden, und es könnte Ihnen vielleicht helfen zu sehen, dass sie auf der Stelle tot war und dass der Unfall keine sichtbaren Verletzungen hinterlassen hat.«

Adele hatte die ganze Zeit über schweigend auf ihrem Hocker gesessen, verloren in ihrem Unglück, aber als sie diese Worte hörte, richtete sie sich jäh auf. »Darf ich auch mitkommen?«, fragte sie spontan.

Alle vier Erwachsenen wandten ihr das Gesicht zu. Die beiden Polizisten wirkten lediglich überrascht, sie hatten offenkundig vergessen, dass Adele noch im Raum war. Doch ihre Eltern schienen die Bitte ihrer Ältesten als einen Affront zu verstehen.

»Nun, du kleines Ungeheuer«, explodierte ihre Mutter und erhob sich, als wollte sie sie schlagen. »Das ist keine Volksbelustigung, unser Baby ist tot - deinetwegen.«

»Nun, nun, Rose«, sagte der Sergeant und trat zwischen Mutter und Tochter. »Adele hat das nicht so gemeint, davon bin ich überzeugt. Das Ganze hat auch sie sehr mitgenommen.«

Sergeant Mike Cotton wäre in diesem Moment lieber überall gewesen, nur nicht in der Charlton Street Nummer siebenundvierzig. In den über zwanzig Jahren Polizeiarbeit hatte er unzählige Male Menschen besucht, um ihnen die Nachricht zu überbringen, dass ein naher Verwandter gestorben sei, und es war immer eine quälende Pflicht gewesen. Aber wenn es um den Tod eines Kindes ging, war es eine grauenhafte Aufgabe, denn es gab keine Worte, die den Schmerz lindern konnten, nichts konnte rechtfertigen, dass ein gesundes Kind ohne Vorwarnung aus dem Leben gerissen wurde. Doch dies war einer der schlimmsten Fälle, die ihm je begegnet waren, denn in dem Augenblick, als Rose Talbot die Tür geöffnet und Adele sich nicht in ihre Arme gestürzt hatte, hatte er gewusst, dass bei dieser Familie etwas ganz im Argen lag.

Während all der Zeit, in der er erklärt hatte, wie es zu dem Unfall hatte kommen können, war er sich Adeles sehr bewusst gewesen, die noch immer in der Tür stand. Er hätte sie so gern zu sich gerufen, auf den Schoß genommen und sie getröstet, aber das wäre die Aufgabe des Vaters gewesen. Geradeso, wie es seine Aufgabe gewesen wäre, seine kleine Tochter an einem dunklen, kalten Januarabend abzuholen. Die Euston Road lag nicht in einem Viertel, in dem man irgendein kleines Mädchen allein lassen sollte. Abschaum jedweder Art trieb sich dort herum - Bettler, Prostituierte und ihre Zuhälter, Freier, Diebe, die Ausschau nach irgendjemandem hielten, den sie ausrauben konnten.

Mike musste zugeben, dass die Talbots eine kleine Spur über den meisten ihrer Nachbarn in dieser Straße standen. Er kannte Familien von acht oder zehn Personen, die sich in ein einziges Zimmer zwängten, wo das Überleben davon abhing, dass die Mutter listenreich und stark genug war, um ihrem Mann ein wenig Geld fürs Essen abzunehmen, bevor er seinen Lohn in den Pub trug. Er kannte andere Familien, die wie Tiere im Schmutz lebten, und wieder andere, in denen die Mütter ihre Kinder nachts auf die Straße schickten, während sie auf dem Rücken liegend das Geld verdienten, um sie ernähren zu können. Die Wohnung der Talbots mochte schäbig sein, aber sie war sauber und warm, und es waren Vorbereitungen für ein Abendessen getroffen worden. Jim Talbot hatte auch noch Arbeit, trotz der wirtschaftlichen Depression, die das Land langsam in ihren Würgegriff nahm.

Mike dachte, dass Rose Talbot mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Mittelklasseverhältnissen stammte: Sie sprach korrektes Englisch, selbst wenn es durchsetzt war mit Londoner Slang, und sie hatte ein kultiviertes Benehmen. Ihm war aufgefallen, dass sie trotz seiner schockierenden Nachricht eilig ihre Schürze ausgezogen hatte und sich mit den Fingern durch ihr unordentliches Haar gefahren war, als schämte sie sich, so unvorbereitet mit Besuchern konfrontiert worden zu sein. Ihr Rock und der Pullover kamen eindeutig von einem Marktstand, doch der gedämpfte Blauton unterstrich ihre schönen Augen und verlieh ihr eine überraschende Eleganz.

Jim dagegen stammte offenkundig aus der untersten Gesellschaftsschicht. Obwohl er hoch gewachsen und schlank war, hatte er jene gebeugte, unbeholfene Haltung, die den Abkömmlingen der Londoner Slums stets anzuhaften schien. Er sprach mit einem nasalen, beinahe weinerlichen Londoner Akzent, und mit seinen schlechten Zähnen, dem schütteren, sandfarbenen Haar und den wässrig blauen Augen wirkte er trotz seiner zweiunddreißig Jahre vor der Zeit gealtert. Außerdem war er kein besonders heller Kopf, denn als Mike ihn gefragt hatte, wie sicher sein Job sei, hatte er die Frage zunächst nicht verstanden. Warum hatte eine attraktive, kultivierte Frau wie Rose einen Mann wie Jim geheiratet?

Aber wenn schon die Eltern schlecht zusammenpassten, bestand eine noch größere Ungleichheit in ihren Gefühlen, was ihre beiden Kinder betraf. Auf dem Sideboard standen mehrere Fotografien von Pamela, und an der Wand hing eine ihrer Zeichnungen, aber von Adele gab es nichts dergleichen. Mike war aufgefallen, dass Pamela einen guten, warmen Mantel und Fausthandschuhe getragen hatte, und sie war auf hübsche Weise rundlich gewesen. Adele dagegen war sehr dünn und blass, und ihr Mantel war ein altes, abgetragenes Stück, das offensichtlich früher einmal einer erwachsenen Frau gehört haben musste. Natürlich mochte es sich um den Mantel ihrer Mutter handeln, den sie sich rasch übergestreift hatte, um aus dem Haus zu laufen. Aber er glaubte es nicht, denn als er sich Adele jetzt unter einer hellen Lampe näher ansah, kam sie ihm unterernährt vor. Ihr ungebärdiges mausbraunes Haar war ohne jeden Glanz, und ihr marineblaues Sporthemd war, ebenso wie der Mantel, viel zu groß für sie.

Ihre äußere Erscheinung bedeutete wenig in einem Viertel, in dem Hunderte von Mädchen ihres Alters noch schäbiger gekleidet und noch schlechter ernährt waren. Dennoch war Mike sich ziemlich sicher, dass all die Mütter dieser Mädchen, selbst jene, die betrunkene Schlampen waren, es nicht fertiggebracht hätten, ein Kind zu ignorieren, das so offensichtlich ein wenig Trost und Zärtlichkeit brauchte.

Das Mädchen hatte soeben etwas mit angesehen, das selbst einem hartgesottenen Polizisten die Tränen in die Augen getrieben hätte, also konnte Rose, wie schwer dieser Schlag sie auch getroffen haben mochte, doch gewiss ihre eigenen Gefühle lange genug im Zaum halten, um sich ihrer älteren Tochter zuzuwenden?

Adele war erleichtert, als ihre Eltern endlich mit den Polizisten aufbrachen und ihr befahlen, zu Bett zu gehen. Aber sobald sie in das eiskalte Schlafzimmer trat und das Bett sah, das sie immer mit Pamela geteilt hatte, begann sie von Neuem zu weinen. Sie würde nie wieder den warmen kleinen Körper ihrer Schwester dicht an sich gekuschelt fühlen, die geflüsterten abendlichen Gespräche waren ihr für immer genommen, das Gekicher und all die kleinen Geständnisse. Mit Pamela war der einzige Mensch gestorben, dessen Zuneigung sie sich stets hatte gewiss sein können.

An die Zeit vor Pamelas Geburt hatte sie im Grunde keine Erinnerung. Das früheste Erlebnis, das ihr im Gedächtnis haften geblieben war, war ein Kinderwagen, der zu groß gewesen war, als dass sie ihn hätte vor sich herschieben können, und das Bettchen mit einem Baby darin, das ihr viel besser gefallen hatte als eine Puppe. Sie hatten damals anderswo gelebt, in einer Kellerwohnung, glaubte sie, aber sie konnte sich daran erinnern, wie sie in dieses Haus gezogen waren, denn Pamela hatte damals gerade das Laufen gelernt, und Adele hatte aufpassen müssen, dass ihre kleine Schwester nicht versuchte, die Treppe hinunterzukommen.

Während sie zitternd und weinend und mit eng an den Leib gezogenen Beinen dalag, fluteten die Erinnerungen zurück. Wie sie Pamela auf der Schaukel angestoßen hatte, wie sie ihr Bilder gemalt, ihr Geschichten erzählt und ihr beigebracht hatte, wie man auf der Straße Kästchen hüpfte.

Sie hatte immer gewusst, dass Mum und Dad Pamela lieber mochten als sie selbst. Sie lachten, wenn sie falsche Worte sagte, sie ließen sie in ihr Bett, sie bekam beim Essen größere Portionen. Pamela bekam kaum je einmal abgelegte Kleider und Schuhe, während Adele niemals neue bekommen hatte.

Pamelas Klavierstunden waren das Einzige, worum Adele sie je beneidet hatte. Alle anderen Ungerechtigkeiten hatte sie hingenommen, weil Pamela das Nesthäkchen der Familie war und weil sie sie ebenfalls liebte. Aber mit dem Klavier war das etwas anderes gewesen - Pamela hatte niemals auch nur das geringste Interesse daran gezeigt, ein Instrument zu erlernen. Sie wollte tanzen, reiten und schwimmen, aber Musik interessierte sie nicht. Adele liebte Musik, und obwohl sie es niemals gewagt hätte, direkt nach Unterrichtsstunden zu fragen, hatte sie doch ungezählte Male diesbezüglich kleine Bemerkungen fallen lassen.

Adele wusste nur allzu gut, dass England sich im Würgegriff einer Entwicklung befand, die man »Depression« nannte. Die Schlange von Männern, die nach Arbeit suchten, wurde von Woche zu Woche länger. Adele hatte die Eröffnung einer Suppenküche in King's Cross miterlebt und gesehen, wie Familien aus ihren Häusern geworfen wurden, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Ihr Vater mochte noch immer Arbeit haben, aber sie wusste, dass auch er seinen Job jederzeit verlieren konnte, daher hatte sie einen Luxus wie Klavierunterricht nicht wirklich erwartet.

Dann hatte ihre Mutter eines Tages aus heiterem Himmel erklärt, dass Pamela fortan jeden Dienstagnachmittag zu Mrs. Belling in Cartwright Gardens gehen werde, um Unterricht zu nehmen.

Adele wusste, dass ihre Mutter sich aus Gehässigkeit gegen sie dazu entschlossen hatte, denn welchen anderen Grund hätte es dafür geben sollen, wenn Pamela gar keinen Unterricht wollte? Erst vor zwei Wochen hatte Pamela Adele anvertraut, die Klavierstunden aus ganzem Herzen zu hassen. »Mrs. Belling hat gesagt, es sei sinnlos, mich zu unterrichten, wenn ich zu Hause kein Klavier habe, auf dem ich üben kann«, hatte Pammy hinzugefügt. Und jetzt war sie wegen dieser Unterrichtsstunden tot.

Einige Zeit später hörte Adele ihre Eltern zurückkommen. Sie konnte die Stimmen der beiden hören, auch wenn sie ihre Worte nicht verstand. Die Stimme ihrer Mutter schwankte zwischen einer Art schluchzendem Kummer und einem verbitterten Heulen. Die Stimme ihres Vaters war beständiger, ein wütendes, heiseres Schnarren, das hie und da durchsetzt war von einem dumpfen Aufprall, wenn er mit der Faust auf den Tisch schlug.

Vermutlich tranken die beiden, und das war noch Besorgnis erregender, denn der Alkohol führte im Allgemeinen dazu, dass sie miteinander stritten. Adele wollte aufstehen und zur Toilette gehen, aber sie wagte es nicht, denn dazu hätte sie durch das Wohnzimmer gehen müssen.

Sie fragte sich, ob man von ihr erwarten würde, dass sie am Morgen zur Schule ging. Die meisten Kinder, die sie kannten, wurden zu Hause gehalten, wenn es einen Todesfall in ihrer Familie gegeben hatte, doch andererseits war ihre Mutter nicht wie die Mütter anderer Mädchen.

Manchmal war Adele stolz auf diese Unterschiede, denn in vieler Hinsicht war Rose Talbot den übrigen Frauen überlegen. Sie legte Wert auf ihr Äußeres, und auf der Straße schrie und fluchte sie nicht wie so viele ihrer Nachbarinnen. Sie hielt die Wohnung sauber und ordentlich, und es gab jeden Abend ein warmes Essen, nicht Brot und Soße, wie so viele andere Kinder es in diesem Viertel vorgesetzt bekamen.

Aber Adele wäre Unordnung bei Weitem lieber gewesen, wenn ihre Mutter dadurch glücklich und liebevoll gewesen wäre, wie die meisten anderen Mütter es waren. Rose lachte nur selten, sie plauderte nicht einmal mit anderen, sie hatte niemals den Wunsch, irgendwohin zu gehen, nicht einmal im Sommer in den Regent's Park. Es war so, als zöge sie es vor, unglücklich zu sein, denn das war eine gute Methode, um allen anderen ebenfalls den Spaß zu verderben.

Irgendwann begriff Adele, dass sie zur Toilette gehen musste, oder sie würde ins Bett machen. Sehr leise öffnete sie die Tür und hoffte verzweifelt, sich einfach unbemerkt die Treppe hinunterschleichen zu können.

»Was willst du?«, fuhr Rose sie an.

Adele antwortete ihr und ging dann direkt zur Wohnungstür hinaus, bevor ein weiteres Wort sie zurückhalten konnte.

Da sie nur ihr Nachthemd trug und nackte Füße hatte, fror sie erbärmlich. In der Toilette stank es wieder, und der Geruch würgte sie in der Kehle. Mum stöhnte ständig darüber, dass Mrs. Manning sich niemals daran beteiligte, diesen Raum sauber zu halten - tatsächlich fand sie, dass die andere Frau doppelt so oft an die Reihe kommen sollte, da sie auch doppelt so viele Kinder hatte. Bei dem letzten Streit über dieses Thema hatte Mrs. Manning Mum Schläge angedroht. »Hochmütige Kuh«, hatte sie geschimpft. »Du glaubst wohl, deine eigene Scheiße stinkt nicht, was?«

Als Adele in die Wohnung zurückkehrte, zögerte sie. Ihre Eltern saßen in den Sesseln zu beiden Seiten des Feuers, beide mit einem Bierglas in Händen, und sie sahen so traurig aus, dass sie glaubte, etwas sagen zu müssen.

»Es tut mir schrecklich leid, dass ich nicht schneller dort sein konnte«, platzte sie heraus. »Ich bin wirklich den ganzen Weg gerannt.«

Ihr Vater blickte als Erster auf. »Es lässt sich nicht mehr ändern«, murmelte er unglücklich.

Einen flüchtigen Augenblick lang dachte Adele, sie hätten sich beide besonnen, aber das war ein böser Irrtum. Ohne jede Vorwarnung flog eine leere Bierflasche in ihre Richtung, traf sie an der Stirn und fiel dann zu Boden, wo sie auf dem Linoleum zersplitterte. »Geh mir aus den Augen, du kleines Miststück!«, kreischte ihre Mutter. »Ich habe dich nie gewollt, und jetzt hast du mein Baby getötet.«

KAPITEL 2

»Ich will sie nicht bei der Beerdigung dabeihaben«, fuhr Rose Talbot ihren Mann an.

Jim, der sich gerade die Schuhe putzte, blickte erschrocken auf. Er hatte damit gerechnet, dass Rose ihn vielleicht anschreien würde, weil er die Schuhe auf dem Tisch putzte, daher hatte er eine Zeitung darunter gelegt. Aber nicht einen Moment lang hatte er erwartet, dass sie keine zwei Stunden vor der Beerdigung etwas anderes finden würde, um sich aufzuregen.

»Warum?«, fragte Jim nervös. »Weil sie zu jung ist?« Seit Pamelas Tod hatte Rose ihn zunehmend nervös gemacht. Ihre Trauer verstand er - an den meisten Tagen wünschte er sich, er könne ebenfalls sterben und auf diese Weise den schrecklichen Schmerz abschütteln. Die Tatsache, dass sie bis zur Beerdigung zwei Wochen lang auf den Bericht eines Leichenbeschauers hatten warten müssen, hatte alles nur noch schlimmer gemacht und das Elend in die Länge gezogen, doch er verstand nicht, warum Rose Adele gegenüber einen so grimmigen Zorn an den Tag legte.

»Wenn du den Leuten erzählen willst, dass sie nicht dabei ist, weil sie noch zu jung ist, dann tu das«, gab Rose zurück und stolzierte mit vorgerecktem Kinn durch das Wohnzimmer. »Aber das ist nicht der wirkliche Grund. Ich will sie einfach nicht dabeihaben.«

»Hör mal«, begann Jim, weil er dachte, dass er stark sein und das Ganze im Keim ersticken müsse, bevor es außer Kontrolle geriet. »Pammy war ihre Schwester, deshalb sollte sie dort sein. Die Leute werden reden.«

Rose drehte sich um und bedachte ihn mit einem langen, kalten Blick. »Lass sie reden. Mir ist es egal«, erklärte sie trotzig.

Jim reagierte, wie er immer reagierte, wenn Rose schwierig war: Er ließ es dabei bewenden und putzte weiter seine Schuhe, bis sie glänzten wie Glas. Vielleicht sollte er stärker sein, aber er war sich nur allzu deutlich bewusst, dass Rose ihn nicht so liebte, wie er sie liebte, und er hatte Angst, ihr Missfallen zu erregen.

»Wenn es das ist, was du willst«, sagte er schwach, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte.

Rose stürmte in ihr Schlafzimmer; wenn sie auch nur einen Augenblick länger in Jims Nähe blieb, fürchtete sie, auch mit ihren Gefühlen, was ihn betraf, herauszuplatzen. Sie riss sich wütend die Lockenwickler vom Kopf, und das, was sie sah, als sie nach ihrer Haarbürste griff und vor den Spiegel trat, fachte ihre Wut noch weiter an.

Alles an ihr war eingefallen, sowohl ihr Körper als auch ihr Gesicht. Vermutlich war sie in den Augen der meisten Menschen noch immer attraktiv, doch in ihren eigenen Augen war sie eine verwelkte Rose, die kurz davor stand, ihre Blütenblätter zu verlieren.

Sie legte die Hände auf beide Seiten ihres Gesichts und zog die Haut straff zurück. Sofort war ihr Kinn fester, die Linien um ihren Mund verschwanden, und Erinnerungen daran, wie sie früher einmal ausgesehen hatte, stiegen in ihr auf. Die Leute hatten sich den Kopf nach ihr verdreht, mit ihrer perfekten Figur, den vollen Lippen, dem schönen blonden Haar und der Porzellanhaut, und wenn sie eine gute Ehe mit einem wohlhabenden Mann eingegangen wäre, würde sie vielleicht noch immer so aussehen.

Aber das Schicksal hatte sich von Anfang an gegen sie verschworen. Alle geeigneten jungen Männer waren in den Krieg gezogen, als sie gerade einmal dreizehn Jahre alt gewesen war, und von den wenigen, die zurückgekommen waren, waren die meisten verlobt oder auf die gleiche Art und Weise beschädigt gewesen wie ihr Vater.

Dreißig war nicht allzu alt, doch es bestand jetzt keine Möglichkeit mehr, ihr Leben zu ändern, ebenso wenig wie sie ihre verblassende Schönheit festhalten konnte.

Sie hatte Jim aus Verzweiflung geheiratet, weil sie mit Adele schwanger gewesen war. Er war für sie eine vorübergehende Zuflucht gewesen, denn sie hatte geglaubt, nach der Geburt des Babys würde etwas Besseres auftauchen. Aber stattdessen war sie in einer Falle gelandet.

Es war bittere Ironie, dass sich ihre Einstellung zu ihrer Ehe für eine Weile geändert hatte, nachdem vier Jahre später Pamela gekommen war. Sie hatte sich nichts weniger gewünscht, als durch ein weiteres Kind belastet zu werden. Trotzdem hatte sie ihre kleine Tochter geliebt, seit sie sie das erste Mal im Arm gehalten hatte.

In einem dieser kitschigen Liebesromane, die sie als junges Mädchen mit solcher Begeisterung gelesen hatte, hätte sie in diesem Moment ihre wahre Liebe zu Jim entdecken müssen, aber das geschah im wirklichen Leben nicht. Sie schickte sich einfach darein, dass sie sich mit ihm abfinden musste. Doch solange sie Pamela gehabt hatte, die ihr so ähnlich war, hatte sie noch immer eine winzige Spur von Optimismus verspürt, dass hinter der nächsten Ecke etwas Gutes auf sie warte.

Aber ohne Pamela war alles sinnlos. Sie war wieder genau dort, wo sie angefangen hatte, mit Adele, dem Grund für ihr verpfuschtes Leben, und Jim, einem Mann, den sie nicht lieben, ja nicht einmal respektieren konnte.

Als Rose ins Zimmer kam, saß Adele auf ihrem Bett und versuchte, ihr einziges halbwegs anständiges Paar Socken zu flicken.

Wie hübsch sie aussieht!, dachte sie beim Eintritt ihrer Mutter und wollte schon eine Bemerkung diesbezüglich machen. Aber sie sagte nichts dergleichen, schließlich war dies kein passendes Kompliment für jemanden, der sich für eine Beerdigung angezogen hatte. Allerdings stand ihrer Mutter Schwarz sehr gut, und die Art, wie sich ihr blondes Haar um den kleinen schwarzen Schleierhut schmiegte, hatte etwas ausgesprochen Liebreizendes.

»Müssen wir schon gehen?«, fragte Adele stattdessen. »Ich bin gerade mit dieser Socke fertig geworden. Ich brauche sie nur noch anzuziehen.«

»Die Mühe kannst du dir sparen, du wirst nicht mitgehen«, erwiderte ihre Mutter scharf. »Kinder haben bei einer Beerdigung nichts zu suchen.«

Eine Welle der Erleichterung schlug über Adele zusammen. In den zwei Wochen seit Pamelas Tod hatte sie mit absolutem Grauen an die Beerdigung gedacht. Pamela hatte sich immer vor Friedhöfen gefürchtet, und Adele wusste, dass es ein unheimliches Gefühl sein würde zuzusehen, wie ihr Sarg in die Erde gesenkt wurde.

»Soll ich irgendetwas tun, während du mit Daddy fort bist?«, erbot sie sich. Sie wusste, dass es anschließend kein Essen irgendeiner Art geben würde, da weder ihre Mutter noch ihr Vater Verwandte erwarteten. Aber Adele hielt es für möglich, dass sie vielleicht einige Nachbarn mit nach Hause brachten.

Die Ohrfeige verblüffte sie mehr, als dass sie ihr wehtat. »Was habe ich denn gesagt?«, murmelte sie verwirrt.

»Dir ist das alles absolut gleichgültig, nicht wahr?«, schrie Rose. »Du kleines Miststück!«

»Es ist mir nicht gleichgültig. Ich habe sie genauso geliebt wie du«, gab Adele entrüstet zurück und begann zu weinen.

»Niemand hat sie so geliebt wie ich.« Rose beugte sich vor, sodass ihr Gesicht unmittelbar vor dem ihrer Tochter war, und ihre Augen waren so eisig wie das Wetter draußen. »Niemand! Bei Gott, ich wünschte, du wärst an ihrer Stelle gestorben. Seit du auf der Welt bist, bist du ein Stachel in meinem Fleisch.«

Ihre Mum musste wahnsinnig geworden sein, dass sie so etwas Schreckliches sagte - anders konnte es für Adele nicht sein. Aber so sehr Roses Bemerkung sie erschreckt hatte, konnte sie ihre Worte nicht hinnehmen, ohne sich zur Wehr zu setzen. »Warum hast du mich dann überhaupt bekommen?«, gab sie zurück.

»Gott weiß, dass ich mir alle Mühe gegeben habe, dich loszuwerden«, fauchte ihre Mutter, und ihre Augen glitzerten hasserfüllt. »Ich hätte dich irgendeinem wildfremden Menschen auf die Schwelle legen sollen.«

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Jim kam herein. »Was ist hier los?«, wollte er wissen.

»Nur ein paar Wahrheiten, die längst fällig waren«, erwiderte Rose, während sie aus dem Raum stolzierte. Jim folgte ihr.

Adele saß lange Zeit wie betäubt auf ihrem Bett. Sie wollte glauben, dass ihre Mutter nach dem Verlust Pamelas lediglich an irgendeiner Art von Krankheit litt und ihre Worte nicht wirklich ernst gemeint hatte. Trotzdem sagten die Menschen solche Dinge nicht, nicht einmal im größten Schmerz, es sei denn, sie entsprachen der Wahrheit.

Adele saß noch immer so reglos wie eine Statue da, als sie hörte, dass ihre Eltern zu der Beerdigung aufbrachen. Sie verabschiedeten sich nicht von ihr, sondern gingen wortlos fort, als wäre sie ein Nichts. Adeles Zimmer lag im hinteren Teil des Hauses, sodass sie von dort aus keinen Blick auf die Straße hatte. Sie wartete, bis Jim und Rose den untersten Treppenabsatz erreicht hatten, ging ins Schlafzimmer ihrer Eltern, zog die geschlossenen Vorhänge einen Spaltbreit zurück und sah den Leichenwagen, der unten wartete.

Niemand in der Charlton Street besaß ein Auto, sodass es ein echtes Ereignis war, wenn eins in der Straße hielt, und alle Jungen kamen herbeigeeilt, um es zu betrachten, während die Erwachsenen darüber diskutierten, wem der Wagen gehören mochte und aus welchem Grund er in ihrem Viertel aufgetaucht war.

Leichenwagen riefen jedoch eine andere Art von Reaktion hervor, und das Verhalten der Menschen an diesem Tag war charakteristisch. Die Nachbarn, die an der Beerdigung teilnehmen würden, hatten sich zu einer kleinen Gruppe zusammengefunden und waren in ihren ordentlichen schwarzen Kleidern kaum zu erkennen.

Weiter unten in der Straße verfolgten die Frauen von ihren Haustüren aus das Geschehen. Die Männer, die vorbeikamen, nahmen ihre Hüte ab. Alle Kinder, die nicht in der Schule waren, hatte man entweder ins Haus gebracht oder veranlasst, in ehrfürchtigem Schweigen stillzustehen.

Während es tröstlich für Adele war zu denken, dass man ihrer Schwester den gleichen Respekt zollte wie einem Erwachsenen, war ihr die Vorstellung, dass Pamela in dem glänzenden Sarg lag, unerträglich. Pammy war stets so aus sich herausgegangen, war lebhaft und so redselig gewesen! Es gab kaum ein Haus in der Straße, das sie nicht irgendwann einmal betreten hatte - sie war neugierig gewesen, witzig und so liebenswert, dass selbst die verknöchertsten alten Leute ihrem Charme erlegen waren.

Trotzdem gab es nicht allzu viele Blumen. Die Nachbarn hatten zusammengelegt, um einen Kranz zu kaufen; Adele hatte ihn gesehen, als er am Morgen gebracht worden war. Es war nur ein kleiner Kranz, weil niemand viel Geld erübrigen konnte, und da Blumen im Januar rar waren, hatte der Kranz überwiegend aus immergrünen Pflanzen bestanden. Das Gesteck der Lehrer von Pamelas Schule war größer, wie ein gelbes Kissen, und Mrs. Belling, die Klavierlehrerin, hatte einen sehr hübschen Strauß geschickt.

Auch der Kranz von Mum und Dad war klein, doch zumindest hatten darin einige rosafarbene Rosen gesteckt. Er war sehr schön, und Adele hatte das Gefühl, dass er Pamela gefallen hätte.

Kurze Zeit später sah sie ihre Eltern, die jetzt hinter den Leichenwagen traten, und Mr. und Mrs. Patterson aus dem Erdgeschoss bedeuteten den anderen Nachbarn, sich ihnen anzuschließen.

Dann setzte der Leichenwagen sich langsam in Bewegung und kroch förmlich die Straße hinauf zur Kirche, während die Menschen, die ihm folgten, die Köpfe gesenkt hielten.

Dann gab es nichts mehr zu sehen, und Adele blieb nichts anderes übrig, als abermals über die schrecklichen Worte nachzudenken, die kurz zuvor gefallen waren, und sie begann von Neuem zu weinen. Hatte ihre Mutter wirklich in Betracht gezogen, sie auf einer Türschwelle auszusetzen? Aber gewiss liebten doch alle Mütter ihre Kinder?

Zwei Monate später, im März, trottete Adele müde von der Schule nach Hause. Jeder einzelne Tag seit Pamelas Tod war die pure Qual gewesen, aber als sie heute Netzball gespielt hatten, hatte Miss Swift, ihre Lehrerin, sie vor der ganzen Klasse gefragt, wie sie zu den Striemen auf ihren Beinen gekommen sei.

Adele hatte das Erste gesagt, was ihr eingefallen war: »Ich weiß es nicht.«

»Das ist ja lächerlich«, hatte Miss Swift erwidert, aber ihr wissender Blick hatte verraten, dass sie eine sehr genaue Vorstellung davon hatte, woher diese Striemen stammten.

In Wahrheit hatte Rose sie am Morgen des vergangenen Samstags mit dem Schüreisen geschlagen. Sie hatte danach gegriffen, als Adele vor dem Kamin gehockt hatte, um ein Feuer zu entfachen, und auf sie eingeschlagen, weil ihr Asche auf den Teppich gefallen war. An diesem Tag war Adele kaum in der Lage gewesen zu gehen. Aber am Montagmorgen war der Schmerz einigermaßen erträglich gewesen, und glücklicherweise war ihr Turnkleid lang genug, um die Striemen zu verbergen. Allerdings hatte sie nicht daran gedacht, dass man es zum Netzball auszog und in kurzen Hosen spielte.

Wenn Adele allein gewesen wäre, als Miss Swift sie nach ihren Verletzungen gefragt hatte, hätte sie der Lehrerin vielleicht die Wahrheit anvertrauen können, doch in Gegenwart all der anderen Mädchen war ihr das unmöglich gewesen. Viele von ihnen wohnten ebenfalls in der Charlton Street, und Adele wollte nicht, dass sie alle nach Hause liefen und ihren Müttern erzählten, Rose Talbot sei verrückt geworden.

Das war keine Übertreibung, das wusste Adele, weil ihr Vater genau das in letzter Zeit unzählige Male gesagt hatte. Rose hatte nicht nur sie geschlagen, sie schlug auch Jim, wenn sie betrunken war. Sie trank inzwischen ständig, und alles um sie herum brach auseinander. Sie kochte nicht mehr, kaufte keine Lebensmittel ein, hielt die Wohnung nicht mehr sauber und besorgte auch keine Wäsche mehr. Sie war nie da, wenn Adele zum Abendessen nach Hause kam, und wenn das Kind nachmittags von der Schule heimkehrte, schlief sie meist ihren Rausch aus.

Adele übernahm das Putzen, und ihr Vater schickte sie, wenn er von der Arbeit kam, für gewöhnlich aus dem Haus, um Fish and Chips zu kaufen. Wenn er sich darüber beklagte, dass es nichts zu essen gab, begann ihre Mutter entweder zu weinen, oder sie wurde bösartig, und häufig lief sie dann aus der Wohnung und ging in den Pub, und Jim folgte ihr, um sie wieder nach Hause zu holen.

Es war alles so schrecklich. Adele war mit den düsteren, wortlosen Launen ihrer Mutter aufgewachsen - sie waren ebenso sehr ein Teil ihres Lebens wie die Schule oder ihre Ausflüge in die öffentlichen Bäder, wo sie im Waschsalon die Wäsche wusch. Aber Rose war nicht länger schweigsam, sie schrie und fluchte, und häufig warf sie mit irgendwelchen Dingen um sich, und Jim war bald genauso schlimm.

Er war immer ein so stiller Mann gewesen, und wenn Rose ihn hatte beleidigen wollen, hatte sie ihn gern als Schwächling bezeichnet. Aber jetzt reizte Rose ihn bis aufs Blut und schalt ihn dumm und gewöhnlich, woraufhin er beinahe genauso boshaft wurde wie sie. Erst vor einigen Tagen hatte er mit einem Plätteisen nach ihr geschlagen.

Adele wusste sehr gut, dass ihr Vater ein wenig langsam war, er konnte nur die einfachsten Worte lesen, und man musste ihm alles sehr genau erklären, bevor er es verstand. Aber er konnte recht ordentlich rechnen, und er wurde zunehmend wütend über die Menge an Geld, die Rose für Alkohol ausgab. Adele hatte gehört, wie er ihrer Mutter erklärt hatte, dass sein Lohn gekürzt worden sei, weil sein Boss nicht mehr genug Aufträge hatte. »Ich werde meine Arbeit vielleicht ganz verlieren«, sagte er immer wieder, aber nicht einmal diese Drohung drang zu Rose durch.

Als Adele das Haus betrat, öffnete Mrs. Patterson ihre Tür, und ihr finsterer Blick und die Art, wie sie die Hände in die Hüften stemmte, ließen keinen Zweifel daran, dass sie wütend war.

»Deine Mum hat sich wieder mal danebenbenommen«, platzte sie heraus. »Ich kann das nicht mehr lange ertragen, ganz gleich, wie leid mir die Sache mit deiner Schwester tut.«

Mrs. Patterson war eine nette Frau. Sie hatte drei eigene Kinder, aber sie war stets ausgesprochen freundlich sowohl zu Adele als auch zu Pamela gewesen, und in der Vergangenheit hatte sie sie häufig zum Tee eingeladen, wenn ihre Mutter anderweitig Besorgungen hatte erledigen müssen. Sie war eine kleine, drahtige Frau mit pechschwarzem Haar, das sie sich wie eine Krone um den Kopf flocht. Adele und Pamela hatten sich oft gefragt, wie lang ihr Haar wohl sein mochte, wenn sie es offen ließ. Pamela war davon überzeugt gewesen, dass es ihr bis zu den Füßen reichen musste.

»Was hat sie getan?«

»Sie hat durchs Treppenhaus Ida Manning angeschrien.« Mrs. Patterson verdrehte die Augen und blickte zu der Wohnung über ihnen hinauf. »Angeblich hat Ida eine Tüte mit Lebensmitteln gestohlen, die sie im Flur hat stehen lassen. Deine Mum ist niemals auch nur in die Nähe eines Lebensmittelladens gekommen; der einzige Laden, in dem sie einkauft, ist der Schnapsladen.«

»Das tut mir leid«, antwortete Adele schwach. Sie wusste, dass Mrs. Patterson mit ihrer Weisheit am Ende sein musste, wenn sie sich bei ihr beschwerte. Normalerweise war sie immer so freundlich. Aber Adele wagte es nicht, länger stehen zu bleiben und mit ihr zu reden, denn ihre Mutter würde ihr bei lebendigem Leib die Haut abziehen, wenn sie sie dabei erwischte, wie sie mit den Nachbarn über sie sprach.

»›Tut mir leid‹ reicht nicht mehr. Das ist auch alles, was ich von deinem Dad noch zu hören bekomme«, entgegnete Mrs. Patterson und hob drohend den Zeigefinger. »Dieses Haus ist voller Kinder. Wir wollen keine Trunkenbolde hier haben, die Tag und Nacht herumschreien. Wir haben nach Pamelas Tod alle versucht, ihr zu helfen, doch bisher hat deine Mutter nur jeden vor den Kopf gestoßen, der ihr die Hand reichen wollte.«

»Ich kann nichts tun«, murmelte Adele und begann zu weinen. Sie glaubte, es nicht länger ertragen zu können. Ihr graute es davor, nach Hause zu gehen.

»Ach, Kind, weine nicht«, seufzte Mrs. Patterson, und die Härte, die zuvor in ihrer Stimme gelegen hatte, verschwand. Sie ging auf Adele zu und tätschelte ihr die Schulter. »Du bist ein braves Mädchen, du hast all das nicht verdient. Aber du musst mit deinem Dad reden. Wenn er nicht bald dafür sorgt, dass das aufhört, wird man euch alle aus dem Haus werfen.«

Adele war allein im Wohnzimmer, als ihr Vater später am Abend von der Arbeit zurückkam. »Wo ist sie?«, wollte er wissen.

»Sie ist vor ungefähr einer halben Stunde weggegangen«, berichtete Adele und begann abermals zu weinen. Als sie von der Schule nach Hause gekommen war, hatte ihre Mutter im Bett gelegen, und sie hatte sie für eine Weile in Ruhe gelassen. Später hatte sie ihr dann eine Tasse Tee ins Schlafzimmer gebracht und einen Schlag ins Gesicht bekommen, als sie sich erkundigt hatte, was es zum Essen gebe. »Es gibt nichts zu essen, aber vielleicht ist sie ja weggegangen, um etwas einzukaufen«, fügte sie hinzu.

Jim stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich, ohne den Mantel auszuziehen, in einen Sessel sinken. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, bekannte er hilflos. »Du machst die Sache auch nicht besser, du regst sie nur auf.«

»Ich tue nichts, und ich spreche nicht einmal mit ihr«, gab Adele entrüstet zurück. »Es ist allein ihre Schuld.«

Sie hatte solchen Hunger, dass ihr übel war, und im Schrank lag nicht einmal ein Stück Brot. Obwohl sie sich inzwischen daran gewöhnt hatte, dass ihr Vater ihr die Schuld an allem gab, war sie diesmal nicht bereit, es zu akzeptieren.

Wütend erzählte sie ihm von dem Gespräch mit Mrs. Patterson. »Kannst du denn gar nichts tun, Dad?«, fragte sie flehentlich.

Sie hatte eine Ohrfeige erwartet, doch zu ihrer Überraschung blickte Jim lediglich bekümmert drein. »Sie hört nicht auf mich, egal, was ich auch sage«, gestand er und schüttelte langsam den Kopf. »Sie benimmt sich, als wäre ich der Grund für ihre Probleme.«

Das Ausmaß des Schmerzes und des Kummers in seiner Stimme erschütterte Adele. Er war nie wie die Väter in ihren Büchern gewesen, er benahm sich nicht wie das Familienoberhaupt, und meistens schlich er durch die Wohnung, als wäre er bloß ein Untermieter. Er redete nicht viel, zeigte nur selten seine Gefühle, und Adele wusste herzlich wenig über ihn, da er sie die meiste Zeit nicht einmal beachtete. Aber nach dem, was sie von anderen Männern wusste, war Jim Talbot kein schlechter Vater. Er mochte ungeschliffen sein und ein wenig langsam im Kopf, doch er gab nicht viel Geld für Schnaps oder Glücksspiele aus, und er ging jeden Tag zur Arbeit.

Aber Pamelas Tod und das riesige Loch, das sie in der Familie hinterlassen hatte, hatte Adeles Aufmerksamkeit mehr als je zuvor auf ihren Vater gelenkt. Die boshaften Bemerkungen, die ihre Mutter über ihn fallen ließ, wollte sie nicht wahrhaben, auch wenn die meisten dieser Dinge zutrafen. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass er nicht einmal die einfachsten Probleme lösen konnte. Tatsächlich war er wie ein großes, starkes Kind, und daher verband sie ein gewisses Mitgefühl mit ihm, denn sie wusste, wie es war, ständig verspottet zu werden.

»Wie kannst du der Grund für ihre Probleme sein?«, protestierte sie.

»Keine Ahnung«, erwiderte er schulterzuckend. »Ich habe immer alles getan, was sie wollte. Aber sie ist tiefgründiger als die Themse. Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorgeht.«