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Ein bewegendes Frauenschicksal im Zweiten Weltkrieg - der in sich abgeschlossene dritte Teil der großen Belle-Saga!
Um Schaden von ihrem guten Ruf abzuwenden, wird Mariette nach einer Liebelei von ihren Eltern zu Freunden nach London geschickt. Die junge Frau fühlt sich wie in eine andere Welt versetzt: Lebte ihre Familie in Neuseeland in einfachen Verhältnissen, ohne elektrischen Strom und fließend Warmwasser, so ist ihr neues Zuhause im Herzen der Großstadt mit allen Annehmlichkeiten der Zeit ausgestattet. Doch als kurz vor ihrer geplanten Rückkehr nach Neuseeland der Zweite Weltkrieg ausbricht und sie auf der Insel festsitzt, weiß Mariette nicht, was sie tun soll - bis ein Agent des Britischen Geheimdienstes sie bittet, bei einer gefährlichen Aktion zu helfen ...
Lesetipp: "Matilda - Wo das Glück zu Hause ist" - der bei Lesern beliebteste Roman von Bestsellerautorin Lesley Pearse!
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Seitenzahl: 812
Cover
Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Danksagungen
Titel der Autorin
Die Belle-Trilogie:
Band 1: Doch du wirst nie vergessen
Band 2: Der Zauber eines frühen Morgens
Band 3: Am Horizont ein helles Licht
Camellia – Im zarten Glanz der Morgenröte
Adele – Der Wind trägt dein Lächeln
Beth – Das Echo glücklicher Tage
Ellie - Als wir Freundinnen waren
Glorias Geheimnis
Hope – Mein Herz war nie fort
Matilda - Wo das Glück zu Hause ist
Bis dein Herz mich findet
Das Geheimnis von Carlisle
Das helle Licht der Sehnsucht
Das Mädchen aus Somerset
Den dunkel ist dein Herz
Der Wind trägt dein Lächeln
Durch stürmische Zeiten
In der Ferne ein Lied
Jeden Tag ein bisschen Zuversicht
Schatten der Erinnerung
Wenn tausend Sterne fallen
Wo die Hoffnung blüht
Zeiten voller Hoffnung
Weitere Titel in Planung.
Über dieses Buch
Ein bewegendes Frauenschicksal im Zweiten Weltkrieg – der in sich abgeschlossene dritte Teil der großen Belle-Saga
Um Schaden von ihrem guten Ruf abzuwenden, wird Mariette nach einer Liebelei von ihren Eltern zu Freunden nach London geschickt. Die junge Frau fühlt sich wie in eine andere Welt versetzt: Lebte ihre Familie in Neuseeland in einfachen Verhältnissen, ohne elektrischen Strom und fließend Warmwasser, so ist ihr neues Zuhause im Herzen der Großstadt mit allen Annehmlichkeiten der Zeit ausgestattet. Doch als kurz vor ihrer geplanten Rückkehr nach Neuseeland der Zweite Weltkrieg ausbricht und sie auf der Insel festsitzt, weiß Mariette nicht, was sie tun soll – bis ein Agent des Britischen Geheimdienstes sie bittet, bei einer gefährlichen Aktion zu helfen …
eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.
Über die Autorin
Lesley Pearse wurde in Rochester, Kent, geboren und lebt mit ihrer Familie in Bristol. Ihre Romane belegen in England regelmäßig die ersten Plätze der Bestsellerlisten. Neben dem Schreiben engagiert sie sich intensiv für die Bedürfnisse von Frauen und Kindern und ist Präsidentin des Britischen Kinderschutzbundes für die Regionen Bath und West Wiltshire.
Lesley Pearse
Am Horizont ein helles Licht
Aus dem britischen Englisch von Britta Evert
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:Copyright © 2014 by Lesley PearsePublished by Arrangement with Lesley PearseTitel der englischen Originalausgabe: »Survivor«Originalverlag: Penguin Books Ltd.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover
Für diese Ausgabe:Copyright © 2015/2021 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dorothee Cabras, GrevenbroichCovergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © mammuth /iStockphoto; Nataliwing/iStock/Getty Images PluseBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-1536-2
be-ebooks.delesejury.de
Für meine wunderschöne Enkeltochter Sienna Marie,geboren am 9. Dezember 2012, Schwester von Harley,die meiner Tochter Jo, ihrem Partner Otis undder ganzen restlichen Familie so viel Freude macht.
RUSSELL, NEUSEELAND, 1931
»Mariette ist so …« Miss Quigley verstummte und schürzte die schmalen Lippen, während sie nach dem passenden Adjektiv für ihre fehlgeleitete Schülerin suchte. »So aufsässig!«
Belle widerstand der Versuchung, über die Beschreibung ihrer elfjährigen Tochter zu lächeln. Das Gleiche hatte man oft von ihr behauptet, als sie noch ein Kind gewesen war.
Es war gegen halb fünf, und Miss Quigley hatte Belle nach Schulschluss aufgesucht.
Belle hatte die Lehrerin als Zeichen ihrer Hochachtung in den Salon gebeten, war aber entschlossen, ihr keinen Tee anzubieten, da sie die Frau nicht ermutigen wollte, länger als nötig zu bleiben. »Ich glaube, was Sie an ihr feststellen, ist lediglich ein Anzeichen für einen starken Charakter. Was genau hat sie denn angestellt?«
»Ich könnte keinen speziellen Vorfall anführen, doch sie stellt einfach alles, was ich sage, infrage. Erst unlängst, als ich in der Klasse erzählte, wie viele Soldaten aus Neuseeland im Krieg ihr Leben gelassen haben, verkündete sie, dass Frankreich ein Viertel seiner Männer verloren habe.«
»Aber das ist wahr«, sagte Belle. »Ich würde es nicht aufsässig nennen, darauf hinzuweisen – zumal ihr Vater Franzose ist und für sein Land gekämpft hat.«
Es war verlockend hinzuzufügen, dass Etienne für seinen Mut mit dem Croix de Guerre ausgezeichnet worden war, doch es würde ihm nicht gefallen, wenn sie damit prahlte.
Miss Quigley verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber sie hat zu allem und jedem eine eigene Meinung! Außerdem stört es mich, dass sie den anderen Kindern fragwürdige französische Redewendungen beibringt.«
»Ich denke, Sie werden feststellen, dass an ihnen nichts Fragwürdiges ist; Mariette mag einfach den Klang der Sprache. Ich bezweifle, dass es um mehr als ›Gib mir bitte den Bleistift!‹ oder ›Wie warm es heute ist!‹ geht. Ihr Vater und ich wünschen beide, dass sie zweisprachig aufwächst, und wir freuen uns sehr über ihre Fortschritte.«
Miss Quigleys missbilligendes Schnauben deutete an, dass sie es für anstößig hielt, einem Kind Französisch beizubringen. »Sie ist übermäßig selbstbewusst.« Sie stieß das letzte Wort hervor, als wäre es eine Beleidigung. »Immer ist sie die Erste, die sich meldet und bei allem die Führung übernimmt.«
»Ich bedaure sehr, dass Sie das beunruhigend finden.« Belle fand, dass diese vertrocknete alte Jungfer von Lehrerin sich darauf konzentrieren sollte, die weniger begabten Kinder in ihrer Klasse zu fördern, und froh sein müsste, wenigstens eine Schülerin zu haben, die gern lernte. »Ich hätte gedacht, dass eine Lehrerin einen derartigen Enthusiasmus gern sieht – immerhin ist es ein Kompliment für ihren Unterricht.«
»Hochmut kommt vor dem Fall«, gab Miss Quigley verschnupft zurück. »In diesem kleinen Teich mag sie ein großer Fisch sein, aber wie wird sie damit umgehen, wenn sie es mit noch größeren Fischen zu tun hat?«
»Ein Kind mit Selbstvertrauen kommt schon zurecht.« Belle wurde allmählich ärgerlich. »Nun, wollen wir nicht über ihre Fortschritte in der Schule sprechen? Deshalb sind Sie doch gekommen, nehme ich an?«
»In Lesen und Schreiben ist sie sehr gut«, gab Miss Quigley widerwillig zu. »Auch im Rechnen ist sie fix. Aber sie lenkt die anderen Kinder ab, wenn sie mit ihren Aufgaben fertig ist, und hindert sie daran, die ihren zu beenden.«
»Indem sie mit ihnen redet?« Belle hatte das Gefühl, endlich weiterzukommen.
»Ja.«
»Dann sage ich ihr, dass sie das lassen muss. Doch vielleicht könnten Sie ihr mehr Aufgaben geben oder eine andere Beschäftigung für sie finden.«
Belle hatte schon vor einer ganzen Weile festgestellt, dass Miss Quigley voreingenommen gegen Mariette war, und ihrer Meinung nach hatte es nichts damit zu tun, dass das Mädchen schneller oder aufgeweckter als andere Kinder seines Alters war. Es lag nur daran, dass weder Mariette noch Belle sich je derartig bei ihr einschmeichelten, wie es viele andere Kinder und Mütter in Russell taten.
Miss Quigley, eine unscheinbare, schmächtige und reservierte Frau Ende vierzig, hatte ihren Posten als Lehrerin in Russell ungefähr zur selben Zeit angetreten, als Belle und Etienne geheiratet hatten. Es ging das Gerücht, sie wäre nach Russell gezogen, um Silas Waldron, einem Witwer aus Kerikeri, den sie in Auckland kennengelernt hatte, näher zu sein. Vielleicht hatte sie gehofft, aus ihrer Freundschaft würden Liebe und Ehe entstehen, aber das schien nicht der Fall zu sein.
Es war nicht leicht für eine alleinstehende Frau ohne Freunde oder Familie, sich nach dem Leben in der Großstadt in einer abgeschiedenen Gemeinde wie Russell einzufügen. Miss Quigley hatte kaum etwas mit den Müttern ihrer Schüler gemeinsam, Frauen, deren Leben sich um ihre Männer und Kinder drehte und die in den Augen der Lehrerin vermutlich reichlich rückständig waren.
Es machte die Sache nicht leichter, dass sie so steif und zugeknöpft war. Miss Quigley redete wenig und lächelte kaum – geschweige denn, dass sie lachte –, und falls sie gehofft hatte, unter den wohlhabenden Männern, die im Sommer zum Hochseefischen herkamen, einen Ehemann zu finden, hatte sie Pech gehabt. Belle konnte sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen Gefallen an einer nicht sehr ansehnlichen Frau in mittleren Jahren finden würde, die immer so aussah, als hätte sie gerade in eine Zitrone gebissen.
»Wenn ich ganz offen sein darf, Mrs. Carrera, ich finde wirklich, Sie sollten Mariettes Übermut dämpfen, indem Sie sie anregen, einem etwas weiblicheren Hobby als dem Segeln zu frönen. Auf dem Weg hierher habe ich gesehen, wie sie ein Boot vom Anlegesteg abstieß und dabei ihr Kleid in einer höchst unschönen Art und Weise gerafft hatte.«
Belle war plötzlich ganz Ohr. Erschrocken sah sie die Lehrerin an. »Sie haben Mari beim Boot gesehen? War ihr Vater denn nicht bei ihr?«
»Nein, sie war ganz allein und brüllte jemandem am Ufer etwas zu wie ein Fischweib.«
»Warum haben Sie mir das nicht gleich erzählt?« Belle nahm hastig die Schürze ab und lief zur Tür. »Glauben Sie wirklich, wir würden einer Elfjährigen erlauben, allein segeln zu gehen?«
»Was ich sage – sie ist aufsässig«, begann Miss Quigley, doch ihr Schuss ging ins Leere, da Belle bereits zur Tür hinaus war.
Wie der Wind rannte Belle am Ufer entlang zum Steg. Ihr Herz pochte laut vor Furcht. Etienne hatte versprochen, Mariette heute nach der Schule im Dingi eine Segellektion zu erteilen, falls er früh genug mit seiner Arbeit fertig wurde. Aber wenn man Miss Quigley Glauben schenken durfte, fand Mariette, dass sie schon genug gelernt hatte, um das Boot allein zu beherrschen.
Es war ein schöner, sonniger Oktobertag und der Wind gerade stark genug, um für ideales Segelwetter zu sorgen, doch Mariette war weder stark noch erfahren genug, um eigenhändig ein Segelboot zu steuern. Das hatte ihr Vater ihr schon Dutzende Male gesagt. Eine plötzliche Bö konnte das Boot zum Kentern bringen oder die Rahe an ihren Kopf krachen lassen. Obwohl Mariette gut schwimmen konnte, war das Wasser jetzt, am Ende des neuseeländischen Winters, in der Bucht noch sehr kalt, und an einigen Stellen gab es gefährliche Strömungen.
Als Belle ein Stück weiter vorn Charley Lomax sah, rief sie ihm zu: »Mari ist allein mit dem Boot rausgefahren. Kannst du Etienne suchen gehen? Und sag bitte auch Mog Bescheid, falls du sie siehst!«
Charley Lomax war einer von Russells Charakterköpfen, ein Mann um die fünfzig, der hart arbeiten konnte, aber immer wieder auf Sauftouren ging, die Tage dauern konnten. Er hauste in einer elenden Baracke im ärmlicheren Teil der Stadt, aber Etienne mochte ihn und arbeitete oft mit ihm zusammen.
Der Mann schwenkte die Hand, um Belle zu bedeuten, dass er sie verstanden hatte, und flitzte so schnell los, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass er heute nüchtern war.
Belle musste einen Moment stehen bleiben, weil sie Seitenstiche hatte. Sie schirmte mit einer Hand die Augen vor der Sonne ab und starrte auf die Bucht hinaus. Ihr Dingi hatte ein rotes Segel, und als Etienne es gekauft hatte, hatte Belle oft genau an dieser Stelle gestanden und beobachtet, wie es über die Wellen hüpfte. Sie hatte sich Sorgen gemacht, als er anfing, Mariette mitzunehmen, um ihr den Umgang mit einem Segelboot beizubringen, und erlaubte ihm immer noch nicht, Alexis oder Noel an Bord zu nehmen, weil die Jungen erst acht beziehungsweise sieben Jahre alt und keine besonders guten Schwimmer waren. Aber bei Mariette hatte sie nachgegeben, da das Mädchen alles liebte, was mit dem Meer und mit Booten zu tun hatte, und gern allein etwas mit dem Vater unternahm.
Auf einmal entdeckte Belle weit draußen in der Bucht das Dingi, das ziemlich gute Fahrt machte. Mariette, nur als winzige Gestalt erkennbar, lehnte sich auf ihrem Sitz weit nach hinten, um das Boot im Gleichgewicht zu halten. Belle befürchtete, dass ihre Tochter nicht genug Kraft in den Armen hatte, um das Dingi zu wenden, und sie steuerte direkt auf das offene Meer und hohen Wellengang zu.
»Belle!«
Belle drehte sich um, als sie ihren Namen hörte, und sah, wie Mog, die Alexis und Noel fest an den Händen gepackt hielt, auf sie zugelaufen kam. Mog holte die Jungen fast täglich von der Schule ab, weil ihr Unterricht eine halbe Stunde früher endete als Mariettes, und ging gewöhnlich noch mit ihnen spazieren, damit sie sich ein bisschen austoben konnten.
Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Belle gestaunt, dass eine Frau von neunundsechzig mit einem leichten Hinken noch so schnell laufen konnte. Aber heute konnte sie nur daran denken, in welcher Gefahr ihre Tochter schwebte.
»Mari ist allein da draußen!«, rief sie Mog zu und zeigte auf das weit entfernte Boot. »Weißt du, wo Etienne ist?«
Jetzt war Mog bei ihr. Sie hielt sich die Seite, so sehr hatte das Laufen sie angestrengt. »Charley geht ihn gerade holen. Etienne ist bei den Baxters«, keuchte sie. »Bestimmt fährt er direkt zum Steg und nimmt das andere Boot, um eure Tochter zu holen. Fahr lieber mit, um ihm zu helfen!«
»Wenn das Boot da draußen kentert, wird sie ertrinken«, stieß Belle mit bebender Stimme hervor, während sie zum Steg weiterliefen. »Wie oft habe ich ihr gesagt, wie gefährlich die See sein kann! Warum muss sie immer alles ausprobieren?«
»Nur die Ruhe, Belle!«, sagte Mog. »Es ist natürlich sehr ungezogen von ihr, dir nicht zu gehorchen. Aber solange das Boot nicht kentert, gibt es keinen Grund zur Panik. Etienne ist bestimmt im Handumdrehen hier.«
Mog hatte recht. Als sie den Steg erreichten, kündete eine Staubwolke Etiennes Ankunft in seinem alten Laster an.
Er war inzwischen einundfünfzig, aber die Zeit war milde mit ihm umgegangen, und er war immer noch so schlank und drahtig wie an ihrem Hochzeitstag. Die Fältchen um seine blauen Augen waren mehr geworden, und sein Haar war eher weiß als blond, doch er hatte nach wie vor die Macht, Frauenherzen schneller schlagen zu lassen – insbesondere Belles Herz.
Wie sie erwartete hatte, hielt er sich nicht damit auf, sich Erklärungen, Beschuldigungen oder Vorschläge anzuhören, sondern befahl Alexis, nach Hause zu laufen und eine warme Decke zu holen. Er bat Mog, bei Noel zu bleiben und zu warten, packte dann Belle an der Hand und rannte mit ihr den Steg hinunter zu der Stelle, wo ihr kleiner Fischkutter vertäut war. Er sprang hinein und ließ den Motor an; Belle löste hastig die Leinen und hüpfte an Bord. Etienne stieß das Boot mit einem Bootshaken ab, und innerhalb weniger Sekunden nahmen sie Kurs auf das Dingi.
Etienne starrte das kleine Gefährt in der Ferne an. »Sie kommt gut damit zurecht«, stellte er mit einem Anflug von Stolz fest, bemerkte dann aber Belles entsetztes Gesicht. »Wir konnten nicht erwarten, sanftmütige, gehorsame Kinder zu bekommen, Belle! Mari hat das Schlechteste und das Beste von uns beiden geerbt.«
Belle lag auf der Zunge, dass er das Dingi nie hätte kaufen sollen und dass sie ihm niemals verzeihen würde, wenn Mari irgendwie zu Schaden kam oder gar ertrank, doch sie schwieg, weil sie wusste, dass Etienne es sich selbst nie verzeihen würde, wenn seiner Tochter etwas zustieß. Außerdem war auch sie der Meinung gewesen, dass alle Kinder, die am Meer lebten, schwimmen und segeln lernen sollten, und somit genauso verantwortlich wie er.
Keiner von beiden sagte etwas; beide schienen den Fischkutter mit schierer Willenskraft zwingen zu wollen, schneller zu fahren. Als sie näher kamen, konnten sie deutlich erkennen, dass Mariette mit dem starken Wind, der die Segel blähte, zu kämpfen hatte.
»Sie hält mit aller Kraft die Leine und denkt nicht daran, das Ruder herumzureißen«, sagte Etienne beunruhigt. Wenn seine Tochter so weitermachte, würde sie bald im offenen Meer sein.
Während sie weitertuckerten, kam eine plötzliche Sturmbö auf, und vor ihren entsetzten Augen kippte das kleine Dingi um und Mariette wurde wie eine Stoffpuppe ins Wasser geschleudert. Sie sahen sie fallen und hörten das Platschen, doch schon im nächsten Moment war das Mädchen verschwunden.
»Wo ist sie? Ich kann sie nicht sehen!«, keuchte Belle.
Das Wasser in der Bucht war ganz friedlich gewesen, aber hier draußen war die See kabbelig, und der Schock, plötzlich in eiskaltem Wasser zu landen, erschwerte jedem das Schwimmen, ganz besonders einem kleinen Mädchen.
»Mari!«, brüllte Etienne aus voller Kehle. »Kannst du mich hören?«
Sie hatten noch ungefähr fünfzig Meter zurückzulegen, bevor sie das gekenterte Boot erreichten, und Belle war außer sich vor Angst, als sie in den Wogen Ausschau nach ihrer Tochter hielt. Sie warf Etienne einen Blick zu. Mit grimmiger Miene verlangsamte er das Tempo, um jederzeit ins Wasser springen zu können.
»Nimm das Steuer und zieh ganz langsam weite Kreise um das Dingi«, sagte er und zerrte sich die Stiefel von den Füßen. »Du musst sofort schreien und das hier schwenken, wenn du sie siehst«, fügte er hinzu und reichte ihr einen roten Stofffetzen.
Er machte einen Kopfsprung ins Wasser und tauchte gut zehn Meter vom Kutter entfernt wieder auf.
Belle tat wie geheißen und umkreiste langsam das gekenterte Boot, während sie gleichzeitig Mariettes Namen rief und mit den Augen die Wasseroberfläche absuchte. Etienne suchte unter Wasser nach seiner Tochter und kam nur gelegentlich kurz zum Luftholen nach oben, um gleich darauf weiterzutauchen.
Schieres Entsetzen drohte Belle zu überwältigen, als sie sich ausmalte, wie Etienne mit dem leblosen Körper ihres Kindes auftauchte. Sie versuchte, ihre Panik zu unterdrücken, indem sie sich sagte, dass Mariette nicht von der Rahe getroffen worden und somit nicht bewusstlos war und dass sie schwamm wie ein Fisch. Aber mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Tochter ertrunken war, größer.
»Bitte, lieber Gott, lass sie leben!«, flehte Belle inbrünstig, als Etienne erneut untertauchte.
Und dann, als wäre ihr Gebet erhört worden, entdeckte sie Mariette. Ein verängstigtes kleines Gesicht lugte aus einer Welle, und Belle sah, dass das Mädchen einen Arm nach dem Kiel des gekenterten Dingis ausstreckte.
»Bleib, wo du bist, Mari!«, schrie Belle und schwenkte hektisch das kleine rote Tuch. »Papa ist gleich bei dir! Halt dich fest!«
Etienne tauchte auf der anderen Seite des Rumpfs auf.
»Auf dieser Seite! Sie ist auf dieser Seite des Bootes!«, rief Belle und wies mit dem Finger auf die besagte Stelle.
Etienne hob zum Zeichen, dass er verstanden hatte, eine Hand, und während er um das Dingi herumschwamm, lenkte Belle den Kutter näher heran.
Es dauerte nicht länger als ein paar Minuten, bis Etienne bei Mariette war. Er packte sie, schwamm mit ihr zum Fischkutter und hob sie in Belles Arme.
»Ich will nur noch schnell das Dingi aufrichten. Wir können es mit an Land ziehen. Wirf mir eine Leine zu!«, rief er ihr aus dem Wasser zu, bevor er das Tau auffing, sich umdrehte und zurückschwamm.
»Oh, Mari, du bist so ein ungezogenes Mädchen!«, rief Belle, während sie ihre Tochter hastig aus den durchnässten Sachen schälte und eine alte Jacke von Etienne um sie schlang, die auf dem Boden des Kutters gelegen hatte. »Ich hatte solche Angst um dich! Du hättest ertrinken können!«
»Papa hat mir gesagt, dass ich immer beim Boot bleiben soll, wenn ich mal kentere«, brachte Mariette hustend und würgend heraus. »Aber ich konnte nur Wellen sehen, und ich hatte solche Angst! Ich bin in die falsche Richtung geschwommen, doch ich hab mich umgedreht, und dann hab ich es gesehen.«
Belle brachte es nicht übers Herz, ihrer Tochter jetzt eine Standpauke zu halten; sie war viel zu erleichtert, dass Mariette nichts passiert war. Sie drückte sie fest an sich und beobachtete, wie Etienne das Dingi aufrichtete und die Schleppleine daran befestigte. Es gab nicht viel über Boote, was er nicht wusste – er hatte schon als kleiner Junge in Marseille segeln gelernt und war sehr gefragt bei den Bootseignern in Russell, sowohl als Besatzung als auch für Reparaturen. Aber von Kindern verstand er nicht viel, und Belle war böse auf ihn, weil er eine Elfjährige in dem Glauben bestärkt hatte, sie wüsste genug vom Segeln, um sich allein aufs offene Meer zu wagen.
Wenn Miss Quigley nicht zufällig gesehen hätte, wie Mariette das Dingi in die Bucht steuerte, wäre vielleicht eine Stunde oder mehr vergangen, bevor sich Belle auf die Suche nach ihrem Mädchen gemacht hätte. Außerhalb der Bucht hätte die Strömung das Boot sofort mitgerissen, und Mariettes Leiche wäre vielleicht nie gefunden worden.
Aber davon sagte sie nichts zu ihrer Tochter, die ohnehin einen tüchtigen Schreck bekommen hatte. Im Moment wollte sie ihr Kind nur fest in den Armen halten und aufwärmen.
Etienne hatte recht damit, dass ihre Tochter sowohl das Schlechteste wie das Beste von ihren Eltern geerbt hatte. Sie war furchtlos wie ihr Vater und zielstrebig wie ihre Mutter. Außerdem war sie schlau, dickköpfig und ungehorsam. Auch ihr Aussehen war eine Mischung beider Eltern. Ihr Haar war rotblond, aber lockig wie Belles. Sie hatte Etiennes hohe Wangenknochen, doch die tiefblauen Augen und den sinnlichen Mund ihrer Mutter. Mariette war nicht direkt hübsch, aber ihre Züge waren so fesselnd wie Etiennes.
»Bist du sehr böse auf mich?«, fragte Mariette kleinlaut, als ihr Vater wieder an Bord war und seine nassen Sachen abstreifte.
»Ja, das bin ich«, antwortete Etienne grimmig. »Ich habe dir Dutzende Male gesagt, dass du niemals allein mit dem Boot rausfahren darfst. Ich fasse es nicht, dass du mir nicht gehorcht hast. Du hast großes Glück gehabt, dass wir rechtzeitig erfahren haben, wo du bist. Egal, wie gut man schwimmen kann, das Meer ist eiskalt, und selbst ein erwachsener Mann wie ich kann im Handumdrehen im Wasser vor Kälte erstarren. Weißt du eigentlich, was du deiner Familie angetan hättest, wenn du ertrunken wärst?«
»Ihr wärt alle sehr traurig gewesen.« Mariette ließ den Kopf hängen und versuchte, sich noch tiefer in die alte Jacke zu verkriechen, in die Belle sie gewickelt hatte.
»Nicht nur traurig, sondern zutiefst verzweifelt«, sagte er und kauerte sich vor seine Tochter. »Du bist noch ein kleines Mädchen. Du hast vielleicht genug gelernt, um bei einer sanften Brise in ruhigen Gewässern zu segeln, aber du hast nicht genug Muskelkraft, um bei starkem Wind ein Boot zu lenken. Du musst lernen, deiner Mutter und mir zu gehorchen, Mariette. Wir verbieten dir solche Sachen nicht, weil wir gemein sind, sondern um dich zu beschützen.«
»T-t-tut mir leid«, stammelte sie, zum Teil vor Kälte, zum Teil, weil sie in der Klemme steckte. »Ich wollte, dass du stolz auf mich bist, weil ich so gut segeln kann.«
»Wir hätten viel mehr Grund, stolz auf dich zu sein, wenn du folgsamer wärst«, sagte Belle und stand auf, um den Motor anzulassen. »Wenn Miss Quigley dich nicht gesehen hätte, wären wir viel zu spät gekommen, um dir zu helfen. Ich hoffe, dass es dir eine Lehre ist und du nie wieder irgendetwas unternimmst – ob mit einem Boot, einem Wagen oder zu Fuß –, ohne vorher deinen Vater und mich um Erlaubnis zu bitten.«
»Bestimmt nicht«, schluchzte das Kind. »Seid mir bitte nicht mehr böse!«
Belle sah ihre Tochter an. Mariette hatte sich an Etienne gekuschelt, genau wie früher, als sie fünf, sechs Jahre alt gewesen war. Damals war ihr Haar noch blond gewesen, aber in den letzten Jahren war es immer rötlicher und lockiger geworden, und Belle musste es zu strammen Zöpfen flechten, um es zu bändigen. Mariette hatte von klein auf die Kunst beherrscht, andere aus großen Augen anzuschauen, so unschuldig, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Es war ein Blick, den Belle und Etienne einerseits bezaubernd, andererseits beunruhigend fanden, weil sie ihre Mitmenschen damit spielend um den kleinen Finger wickeln konnte. Jetzt empfand sie aufrichtige Reue, aber Belle war durchaus bewusst, dass Mariette ein Kind war, das nie brav und fügsam werden würde. Schon beim nächsten Mal, wenn sie sich etwas in den Kopf setzte, würde sie die heutige Lektion vergessen haben.
Als sie einen Namen für sie gesucht hatten und Etienne Mariette vorgeschlagen hatte, weil es der Name seiner Mutter war, hatte er lachend hinzugefügt, dass er »die Widerspenstige« bedeute. War etwa der Name schuld an ihrem Verhalten?
Nie war ein Kind sehnlicher erwartet worden. Als Belle während der Ehe mit Jimmy Reilly, ihrem ersten Mann, eine Fehlgeburt erlitten hatte, war ihr gesagt worden, dass sie wahrscheinlich nie mehr Kinder bekommen könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass Jimmy im Krieg schwer verwundet worden war, und angesichts all der Probleme, die seine Behinderung mit sich brachte, hatte sich Belle damit abgefunden, nie Mutter werden zu können, und sich bemüht, jeden Gedanken an Kinder zu verbannen. Aber ganz gelungen war es ihr nie. Es war immer ein wunder Punkt in ihrem Inneren gewesen, ein ständiger Quell des Kummers.
Dann war gleich nach Kriegsende in England die Spanische Grippe ausgebrochen, und wie zigtausend andere steckte Jimmy sich an und starb, und auch sein Onkel Garth, Mogs Ehemann, fiel der Epidemie zum Opfer.
Belle und Mog gingen nach Neuseeland, um neu anzufangen. Obwohl Belle damals noch sehr jung war, rechnete sie nicht damit, sich noch einmal zu verlieben. Sie schnappte einmal auf, wie jemand Mog und sie als »die zwei englischen Witwen« bezeichnete, und ging davon aus, dass sie allgemein so genannt wurden. Damals glaubte sie, dass sie ihren Lebensunterhalt als Modistin verdienen, zusammen mit Mog alt werden und Kindern nicht näher kommen würde, als ein gelegentlicher Blick auf die Sprösslinge der Nachbarn erlaubte.
Doch dann tauchte Etienne auf, der Mann, den sie geliebt und von dem sie geglaubt hatte, er wäre in Frankreich gefallen. Bis zu jenem Tag, der für sie immer noch ein Wunder war, hatte sie sich damit abgefunden, dass es für sie nie wieder Liebe und Leidenschaft geben würde.
Sie hatte die braven Bürger von Russell schockiert, weil sie nicht einmal versucht hatte, ihr Verlangen nach dem galanten Franzosen zu verbergen, aber das hatte sie nicht gekümmert. Sie war überzeugt, dass Gott – oder das Schicksal – eingegriffen hatte, um sie für all das Unglück in ihrem Leben zu entschädigen. Sie war im vierten Monat schwanger, als sie heirateten, und keine Braut war je stolzer und glücklicher zum Altar geschritten.
So viel war seit damals passiert – es hatte Strapazen, Enttäuschungen, Zeiten großer Not gegeben. Und doch, mit Etienne an ihrer Seite und dem Glück, das mit jedem ihrer drei schönen, kerngesunden Kinder kam, verloren selbst die größten Probleme an Bedeutung.
Aber als Belle jetzt wieder zu ihrer Tochter sah, wurde ihr bewusst, dass Kinder noch größeren Schmerz bringen konnten als die schlimmsten Schicksalsschläge, die ihr selbst in der Vergangenheit widerfahren waren. Mariette war viel zu tollkühn und verwegen, als gut für sie war, und genauso eigensinnig wie ihr Vater und ihre Mutter. Wenn sie erst einmal fünfzehn, sechzehn war, würden ihr Wagemut und ihre Abenteuerlust sie wahrscheinlich gegen das ruhige, friedliche Leben hier in Russell aufbegehren lassen und dazu führen, dass sie in die weite Welt hinauszog. Belle kannte die Gefahren, die auf junge Mädchen lauerten, nur zu gut, und allein bei dem Gedanken, Mariette könnte in ähnliche Situationen geraten wie sie selbst, erstarrte ihr das Blut in den Adern.
Mog hatte die Jungen nach Hause gebracht und zwei Decken auf dem Steg liegen lassen. Etienne wickelte Mariette in eine davon ein, legte die andere um ihre Schultern und trug sie in seinen Armen heim.
Zu Hause in der Robertson Street warteten Mog und die Jungen auf der Veranda. Das Fernglas auf dem Tisch verriet, dass sie die Rettungsaktion von der Küste aus verfolgt hatten und erst nach Hause gegangen waren, als sie wussten, dass Mariette in Sicherheit war.
Mog, die nicht zu dramatischen Auftritten neigte, streckte bloß die Arme nach dem zitternden Kind aus und verkündete: »Ich habe ein heißes Bad für dich vorbereitet, mein Schatz. Und dein Vater sollte nach dir auch gleich in die Wanne steigen.
»Kriegt sie jetzt den Po versohlt?«, fragte der siebenjährige Noel beinahe hoffnungsvoll.
Beide Jungen hatten Belles dunkles Haar, und ihre Augen waren kobaltblau und noch dunkler als ihre, aber den Gesichtsausdruck – wachsam und argwöhnisch – hatten sie vom Vater. So abenteuerlustig wie ihre Schwester war keiner der beiden. Etienne lachte immer, wenn die Rede darauf kam, und meinte: »Lasst ihnen ein bisschen Zeit!«
»Sei nicht albern, Noel«, sagte Alexis. »Es reicht doch, dass sie schrecklich Angst gehabt hat, weil sie fast ertrunken wäre.«
Belle lächelte über seinen herablassenden Ton, den er oft anschlug, um Noel klarzumachen, dass er der Ältere war. Mit seinen scharf geschnittenen Zügen und der manchmal frostigen Art erinnerte er Belle an Annie, ihre verstorbene Mutter. Aber zum Glück war Alexis ein vernünftiger Junge, und man konnte sich immer darauf verlassen, dass er tat, was ihm gesagt wurde.
Später am Abend, als die Kinder ihr Abendbrot gegessen hatten und im Bett lagen, holte Mog die Flasche Brandy, die sie in der Vorratskammer verwahrte, und schenkte drei Gläser ein.
Sie saßen in der Küche. Das Geschirr war abgewaschen und längst weggeräumt, und vor einer Weile war es dunkel geworden, aber der goldene Schein der Öllampe schuf eine behagliche Atmosphäre.
»Ich weiß, dass ihr zwei euch Sorgen um Mari macht«, sagte Mog und reichte Belle und Etienne jeweils ein Glas Brandy. Die beiden waren beim Abendessen verdächtig still gewesen, was alle drei Kinder registriert hatten und sich daraufhin ohne die üblichen Verzögerungstaktiken ins Bett verzogen hatten. »Aber vielleicht war es ganz gut, dass sie heute einen Mordsschreck bekommen hat. Ich glaube, so ein Risiko wird sie so bald nicht wieder eingehen.«
Mog hatte das kleine Schindelhaus gekauft, als Belle und sie nach Russell gekommen waren, doch Etienne hatte es seit seiner Heirat mit Belle beträchtlich erweitert. Auf elektrischen Strom wartete man in Russell immer noch, aber die Küche war jetzt wesentlich größer, und es gab ein separates Waschhaus mit einem Ofen, mit dem sie fürs Baden und für die große Wäsche Wasser aufheizen konnten. Außerdem hatte Etienne für Mog zwei Zimmer angebaut, die sie entweder vom Flur aus oder über die Veranda, die an der Vorderfront verlief, betreten konnte. Über Mogs Räumlichkeiten befanden sich zwei Schlafzimmer, eines für die beiden Jungen und eines für Mariette.
Sie hatten den Leuten erzählt, dass Mog Belles Tante war – eine weit einfachere Erklärung als die Wahrheit. Tatsächlich hatte Mog als Dienstmädchen für Annie Cooper, Belles Mutter, gearbeitet und Belle großgezogen. Jahre später hatte Mog Garth Franklin geheiratet und Bell Garths Neffen Jimmy Reilly. Abgesehen von einigen Jahren, in denen Belle in Amerika und Paris gelebt hatte, und ihrer Zeit als Rettungsfahrerin in Frankreich während des Krieges, waren Mog und sie nie getrennt gewesen. Für Belles und Etiennes Kinder war sie eine innig geliebte Großmutter, und als solche hatte ihre Meinung, was die Kinder oder auch jede andere Familienangelegenheit anging, immer Gewicht.
Etienne nickte. »Da hast du ganz recht, Mog. Einen bösen Schreck zu kriegen, ist eine der besten Methoden, Kindern etwas über Gefahren beizubringen. Zum Glück ist heute kein wirklicher Schaden entstanden – das heißt, nur bei uns Erwachsenen. Ich glaube, ich wäre lieber wieder in Ypern, als noch einmal diese grauenhaften Momente zu erleben, als ich im Wasser nach Mari gesucht habe. Ich weiß natürlich, dass es für dich am Ufer genauso schlimm war, und die arme Belle sieht immer noch angegriffen aus.«
»Wir sollten das Dingi verkaufen«, brach es aus Belle heraus. »Vielleicht hat Mari jetzt zu viel Angst, um es noch einmal zu versuchen, doch einer der Jungs könnte auf die gleiche Idee kommen.«
Etienne nahm Belles Hände in seine und lächelte sie mitfühlend an. »Wir leben an einem Ort, wo das Meer eine ständige Gefahr darstellt, und wir sind auf unsere Boote angewiesen. Genauso war es für mich als Junge in Marseille. Ich weiß, dass es sehr viel besser ist, ihnen beizubringen, die Gesetze der See zu respektieren und sachkundig mit einem Boot umzugehen, als zu versuchen, sie vom Wasser fernzuhalten.«
»So sehe ich es auch. Auf Kinder lauern überall Gefahren«, sagte Mog. »Auf Bäume klettern, Fremde, die ihnen etwas antun könnten, die falschen Beeren pflücken, ansteckende Krankheiten – die Liste ist endlos. Wir können sie nicht vor allem und jedem beschützen. Das weißt du besser als jeder andere, Belle.«
Belle seufzte. »Ja, das stimmt, aber ich habe immer geglaubt, wenn wir unsere Kinder hier an diesem wunderschönen Ort aufziehen, wären die Gefahren geringer. Wisst ihr, was Mari gesagt hat, als ich sie vorhin zugedeckt habe? ›Ich wäre gern eine Heldin wie Grace Darling oder Jeanne d’Arc. Ich will später nicht in einer Bäckerei arbeiten oder Kleider nähen.‹ Wie können wir hoffen, dass sie je einen netten, tüchtigen Mann heiratet und eine Schar Kinder bekommt, wenn sie von derartigen Dingen träumt?«
Etienne lachte. »Sie ist erst elf, Belle. Ich wette, in dem Alter hast du auch von Abenteuern geträumt.«
»Nein, nur davon, schicke Hüte zu entwerfen«, gab Belle zurück. »Ich habe mir nicht ausgemalt, Menschen mit einem Ruderboot zu retten oder ein Land in den Krieg zu führen.«
»Ich habe davon geträumt, Königin Victoria kennenzulernen«, gestand Mog. »Und du, Etienne?«
»Viel zu essen zu haben«, sagte er. »Aber damals war ich die meiste Zeit halb verhungert.«
»Eure Träume sind also in Erfüllung gegangen«, lachte Mog. »Meine nicht. Ich hatte sogar zu viel Angst vor den Menschenmassen, um zu Königin Victorias Trauerzug zu gehen. Ihr solltet euch keine Sorgen machen, weil Mari davon träumt, eine Heldin zu sein. Es schadet ihr nicht, wenn sie sich vornimmt, tapfer und gut zu sein. Und wartet ab, bis die Jungs größer sind, dann werden sie nämlich Sachen anstellen, bei denen euch die Haare zu Berge stehen! Ihr könnt eure Kinder nicht in Watte packen, ihr könnt ihnen nur die richtigen Werte beibringen, sie in die richtige Richtung lenken und beten! Eines Tages werdet ihr im Kreis zahlreicher Enkelkinder auf der Veranda sitzen und sehr zufrieden mit euch sein, weil alles gut gegangen ist.«
Wie immer war Mog die Stimme der Vernunft, und das liebten Etienne und Belle an ihr. Was auch geschah – sei es, dass Etienne bei dem Versuch, Wein anzupflanzen, scheiterte und einen Haufen Geld verlor, dass ein Brand in der Küche es nötig machte, das ganze Haus zu sanieren, oder dass die Kuh ausgerechnet an dem Tag, als sie alle gemeinsam einen Ausflug unternahmen, in den Garten hinauswanderte und fast alle Pflanzen und das Gemüse verputzte – Mog entdeckte immer einen Silberstreif am Horizont. Belle erinnerte sich, wie die Freundin nach dem Feuer gesagt hatte: »Nicht so schlimm, wir wollten ohnehin ausbauen.« Und nach dem misslungenen Versuch mit dem Weingarten hatte sie im Scherz gemeint: »Na ja, vielleicht hätten wir angefangen, zu viel Wein zu trinken, wenn etwas aus dem Vorhaben geworden wäre.«
Sie war ein schlichtes Gemüt und lebte nach der Philosophie, dass ihr nichts passieren konnte, solange sie ihre geliebte Familie um sich, genug zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopf hatte. Mit neunundsechzig hatte sie immer noch die Energie einer zehn Jahre jüngeren Frau. Sie mochte inzwischen eine Brille tragen, ihr Haar mochte schneeweiß und ihr Gesicht von Falten durchzogen sein, aber sie war nach wie vor eine starke Persönlichkeit, auf die man bauen konnte. Selbst in Zeiten wie diesen, in denen Banken Hypotheken kündigten und von einer weltweiten Depression die Rede war, blieb sie optimistisch und war überzeugt, dass ihnen nichts wirklich Schlimmes zustoßen konnte.
»Es sind die Jahre, bevor sich die Kinder häuslich niederlassen und selbst Eltern werden, die mir Sorgen machen«, gestand Belle. Doch sie sagte es mit einem Lächeln, weil sie sich mit Mog und Etienne an ihrer Seite praktisch unbesiegbar fühlte.
Während die drei ihren Brandy tranken, betrachtete Mog Belle beifällig. Mit sechsunddreißig war Belle immer noch eine sehr schöne Frau. Ihr lockiges Haar war genauso dunkel und füllig wie mit zwanzig, und die wenigen Lachfältchen um ihre Augen und die paar Pfund, die sie in den letzten Jahren zugenommen hatte, schienen sie noch schöner wirken zu lassen. Sie war eine Frau, nach der sich die Männer umdrehten, und aus diesem Grund beäugten einige der älteren Damen in Russell sie mit Argusaugen. Aber das war unnötig, denn Belles Herz gehörte allein Etienne. Auch sie konnte sich seiner sicher sein. Etienne interessierte sich nicht für andere Frauen, und nur ein Dummkopf würde es wagen, sich Etiennes Unmut zuzuziehen – ein Blick auf seine kalten blauen Augen und die dünne Narbe auf seiner Wange reichte aus, um zu erkennen, dass er ein Mann war, dem man besser nicht in die Quere kam.
Mog konnte sich nur zu gut daran erinnern, welche Vorbehalte sie gegen Etienne gehabt hatte, als er hier aufgetaucht war, um Belle zu finden. Im Krieg mochte er ein Held gewesen sein, doch die Art und Weise, wie er vorher gelebt hatte, durfte man nicht allzu genau betrachten. Aber da sie das Leuchten in den Augen ihrer Freundin gesehen hatte, wenn sie Etienne anschaute, und gespürt hatte, dass dieser Mann Belles Schicksal war, hatte sich Mog mit ihm abgefunden.
Jetzt liebte sie ihn wie einen Sohn. Und er hatte immer wieder bewiesen, was er wert war. Er war stark, zuverlässig, liebevoll und treu und hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, der ihn nicht einmal in den schwierigsten Zeiten im Stich ließ. Ob er fischen ging, um etwas zu essen auf den Tisch zu bringen, Bauarbeiten verrichtete, Land rodete oder eins der Babys in seinen Armen wiegte, bis es einschlief, er tat alles mit vollem Einsatz. Sein Plan, einen Weingarten anzulegen, mochte gescheitert sein, wie einige der boshafteren Bewohner von Russell sich voller Schadenfreude erinnerten, aber im Gegenzug hatte er immer gut für die Seinen gesorgt und war im Ort allgemein beliebt.
»Woran denkst du?«, wollte Etienne von Mog wissen und zog fragend eine helle Augenbraue hoch.
»Wie froh ich bin, dass mit euch beiden alles so gut gegangen ist«, antwortete sie. »Es war richtig von uns, nach Neuseeland auszuwandern, nicht wahr?«
»Ganz bestimmt«, sagte Belle lächelnd. »Wenn ich verzweifle, weil wir hier wohl nie in den Genuss von Elektrizität, modernen Sanitäreinrichtungen und anständigen Straßen kommen werden, denke ich daran, wie kalt und nass es jetzt daheim in England ist.«
»Doch die Zeiten werden für uns alle schwerer werden«, dämpfte Etienne sie. »Seit dem Börsenkrach sind zwei Jahre vergangen, in Amerika gibt es sieben Millionen Arbeitslose, und auch hier verschärft sich die Lage. Mit Farmern, die ihre Erzeugnisse nicht mehr absetzen können, und Fabriken, die eine nach der anderen schließen, werden auch wir die Auswirkungen bald zu spüren bekommen.«
»Aber es wird die Reichen doch nicht davon abhalten, zum Segeln und Fischen herzukommen, oder?«, fragte Belle. In den letzten zehn Jahren war die Zahl der Sommergäste ständig gewachsen, was hauptsächlich dem amerikanischen Schriftsteller und Sportler Zane Grey zu verdanken war, der 1926 nach Russell gekommen war, um Marline zu fischen. Im darauffolgenden Jahr hatten der Herzog und die Herzogin von York einige Nächte mit ihrer Jacht HMSRenown im Hafen vor Anker gelegen, und seither zog es scharenweise andere reiche und berühmte Leute hierher. Mog und Belle profitierten von diesen Besuchern vor allem dadurch, dass sie Kleidungsstücke änderten und der neuesten Mode anpassten, aber Belle hatte außerdem bereits etliche Hüte verkauft, und Mog hatte Shorts, Röcke und Blusen für Frauen angefertigt, die feststellten, dass ihre Garderobe für Russell zu formell war.
Was Etienne anging, so hatte er schon unzählige Angler auf seinem Boot aufs Meer hinausgefahren, ganze Familien mitgenommen, die an einem einsamen Strand picknicken wollten, und eine Art Fährendienst für Feriengäste eingerichtet. Früher im Jahr war die Straße von Russell nach Whangarei fertiggestellt worden, und in diesem Sommer würden Besucher sie zum ersten Mal benutzen können, auch wenn sie gewunden wie ein Korkenzieher war.
»Die Reichen kommen vielleicht immer noch, aber all die kleinen Campingplätze hier in der Umgebung bekommen es schon zu spüren, dass immer mehr Menschen in der Stadt ihren Arbeitsplatz verlieren«, wandte Etienne ein. »Vielleicht müssen auch wir bald den Gürtel enger schnallen.«
»Wir kommen schon klar«, sagte Mog überzeugt. »Wir haben vielleicht kein Geld auf der Bank, aber wir haben keine Schulden und sind alle drei imstande, kräftig zuzupacken, wenn es sein muss. Was wir allerdings im Moment überlegen müssen, ist, wie es mit Mari weitergehen soll. Schon morgen wird sie nicht mehr daran denken, wie knapp sie mit dem Leben davongekommen ist, und allein deshalb sollte sie auf eine Weise bestraft werden, die sie daran erinnert, wie ernst der Vorfall war. Außerdem ist sie ein bisschen größenwahnsinnig. Miss Quigley hat ganz recht, wenn sie sagt, dass Mari aufsässig ist, und das ist bei einer Elfjährigen nicht gut.«
»Sie ist selbstbewusst, das ist alles«, brauste Belle auf. »Ich werde sie nicht so erziehen, wie Annie und du mich erzogen habt. Ich habe praktisch wie eine Gefangene gelebt.«
»Das ist nicht fair, Belle«, wandte Etienne ein. »Mog musste dich als Kind gut behüten, weil in London alle möglichen Gefahren lauerten. Das hat sie mit Mari bestimmt nicht vor.«
»Natürlich nicht«, sagte Mog. »Sie braucht nur ein bisschen Anleitung. Seit einer ganzen Weile darf sie tun und lassen, was ihr gefällt. Sie sollte mehr im Haus helfen, kochen und nähen lernen, statt auf Bäume zu klettern und mit den Jungs Ball zu spielen. Noch vier Jahre und sie ist ein junges Mädchen, und ich muss dir nicht erst sagen, Belle, welche Gefahren das mit sich bringt.«
Belle schürzte die Lippen.
»Verschone mich mit diesem selbstgefälligen Blick!«, meinte Mog ungeduldig. »Seien wir ehrlich, wir drei wissen ganz genau, in welche Schwierigkeiten junge Leute geraten können. Hier gibt es weniger Versuchungen als in London oder Marseille, doch für junge Menschen kann es hier ziemlich langweilig sein. Und dann gibt es Ärger!«
Etienne grinste. »Du hast ja recht, Mog, wie immer. Mir wäre es auch lieber, wenn Mari davon träumen würde, einen Hutsalon zu besitzen oder Ballerina zu werden. Aber da das unwahrscheinlich ist, müssen wir sie in eine Richtung lenken, die ungefährlicher ist, als eine zweite Jeanne d’Arc zu werden.«
»Wer hat ihr überhaupt von Jeanne d’Arc erzählt?« Belle sah Etienne vorwurfsvoll an.
Er hob in einer typisch französischen Geste die Schultern. »Den Jungs erzähle ich von König Artus, also erzähle ich Mari von einem Bauernmädchen, das ihre Landsleute in die Schlacht geführt hat. Ich dachte, du bist für die Gleichberechtigung der Frau?«
»Bin ich auch. Aber wenn man eine Tochter hat, hofft man einfach, dass sie einen guten, anständigen Mann heiratet und mit ihm glücklich ist bis an ihr Lebensende.«
»Das hoffe ich auch«, gab Etienne zu. »Doch ich möchte auch, dass Mari nach höheren Dingen strebt. Sie ist intelligent, und vielleicht ist es ihr bestimmt, Ärztin oder Anwältin zu werden oder das zu schaffen, worin ich versagt habe, nämlich erfolgreich Wein anzubauen. Wir müssen alles tun, um ihre Energien in die richtigen Kanäle zu leiten.«
1938
Mog war im Arbeitszimmer damit beschäftigt, Perlen an einen Brautschleier zu nähen, als Mariette hereinkam. Anscheinend wollte sie ausgehen, denn sie trug das grün-weiß gestreifte Kleid, das Mog erst vor Kurzem für sie geschneidert hatte, und sah bildhübsch aus.
Mog hatte immer behauptet, dass aus Mariette eines Tages eine Schönheit werden würde, und sie hatte recht behalten. Mit ihren achtzehn Jahren wurde sie mit ihren ein Meter fünfundsechzig, der kurvenreichen Figur und den langen rotblonden Locken von ihren Freundinnen glühend beneidet und von den meisten Männern heiß begehrt.
»Ich finde, du solltest an einem Sonntagnachmittag nicht herumflanieren«, sagte Mog. »Ich durfte das jedenfalls nicht, als ich ein junges Mädchen war.«
Mariette lachte. »Ach, Moggy, das ist so albern und viktorianisch. Was ist schon dabei, an einem schönen Tag einen Spaziergang zu machen? Ich wette, Jesus hat sonntags auch nicht über einem Buch gebrütet.«
»Damals gab es noch keine Bücher«, entgegnete Mog. »Außerdem dachte ich, du hilfst mir. Mit dem Schleier bin ich fast fertig, aber auf das Kleid müssen noch Hunderte Perlen genäht werden.«
»Ich helfe dir, wenn ich zurückkomme. Ich brauche bloß ein bisschen Bewegung und frische Luft.«
»Aber deinen Eltern hast du gesagt, dass du nicht mit ihnen nach Paihia fahren willst, weil du mir helfen musst.« Mog musterte Mariette argwöhnisch. »Hast du etwa vor, dich mit einem jungen Mann zu treffen?«
»Nein! Warum denkt ihr bloß dauernd, dass ich mich mit Jungs treffe, du und Mum?«
Mog registrierte Mariettes gerötete Wangen und die falsche Empörung in ihrer Stimme und wusste, dass sie mit ihrem Verdacht richtig lag. »Es gibt nicht viel über junge Mädchen, das deine Mutter und ich nicht wissen«, gab sie schroff zurück.
Sie liebte Mariette abgöttisch, aber sie war nicht blind für ihre Fehler. Das Mädchen war egozentrisch und gerissen und schien weder Belles Mitgefühl noch die Tatkraft ihres Vaters geerbt zu haben.
Sie konnten alle stolz darauf sein, wie aufgeweckt sie war, und ihr hübsches Gesicht würde einen Stein zum Erweichen bringen, doch Mog hatte große Angst, dass sie eines Tages in ernste Schwierigkeiten geraten würde.
Sie hatte Dr. Crowley geholfen, Mariette zur Welt zu bringen, und von dem Moment an, als Mog sie in den Armen gehalten und in das zorngerötete kleine Gesicht gesehen hatte, hatte sie für das Kind ein Übermaß an Liebe empfunden. Sie hatte Belle genauso lieb gehabt, als sie noch ein Baby und allein Mogs Obhut anvertraut gewesen war. Aber damals war Mog nur das Hausmädchen gewesen, und weil sie gewusst hatte, dass Belles Mutter Annie sie jederzeit vor die Tür setzen könnte, hatte sie sich angewöhnt, ihre Gefühle zu unterdrücken und ihre Meinung nur dann kundzutun, wenn Annie sie danach fragte.
Doch Belle und Etienne betrachteten Mog von Anfang an als Großmutter ihres Babys, und als solche brauchte sie nichts zurückzuhalten – weder ihre Hilfe noch ihre Ansichten oder ihre Liebe zu dem kleinen Mädchen. Aber ein Kind so sehr zu lieben war ein zweischneidiges Schwert. Mog mochte in der erfreulichen Gewissheit leben, dass sie für Mariette genauso wichtig war wie ihre Eltern, aber das brachte mit sich, dass sie sich ebenso große Sorgen wie die beiden machte, dass dem Mädchen etwas zustoßen könnte.
Belle war im zarten Alter von fünfzehn von Verbrechern entführt worden, und in den zwei Jahren ihrer Abwesenheit hatte es Momente gegeben, in denen Mog das Gefühl gehabt hatte, sie würde den Verstand verlieren, so sehr hatte es sie gequält, nichts über das Schicksal ihrer geliebten Kleinen zu wissen. Es schien zwar wenig wahrscheinlich, dass Mariette Ähnliches widerfahren könnte, doch auf ein junges Mädchen lauerten genug andere Gefahren. Mog empfand es als ihre Pflicht, gut auf Mariette aufzupassen. Falls sie versagte, weil sie nicht streng genug gewesen war, würde sie es sich nie verzeihen.
Früher hatte das nur bedeutet, darauf zu achten, dass Mariette nicht an gefährlichen Stellen spielte, sich gesund ernährte und lernte, Richtig und Falsch zu unterscheiden. Aber auf einmal – und es schien über Nacht passiert zu sein – war sie zu einer jungen Frau geworden, und Mog ahnte neue Gefahren. Sie konnte eine Achtzehnjährige nicht zu Hause einsperren oder ihre weiblichen Rundungen verbergen oder ihr Lächeln weniger betörend machen.
Genauso wenig konnte sie sie vor den Übergriffen warnen, zu denen manche Männer imstande waren – nicht ohne ihr zu erklären, woher sie davon wusste. Belle glaubte, dass Mariette in Russell gut aufgehoben war und dass aus Angst vor Etienne kein Mann wagen würde, sich bei ihrer Tochter Freiheiten herauszunehmen. Vielleicht hatte sie recht, aber Mog hatte da so ihre Zweifel: Mariette war ein kleines Luder, und es bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie selbst die Initiative ergriff.
»Na ja, wenn du unbedingt ausgehen musst, dann sei wenigstens bis vier Uhr zurück!«, gab Mog widerstrebend nach. »Wir brauchen Tageslicht, um die Perlen anzunähen, doch wenn wir beide daran arbeiten, können wir es in einer Stunde schaffen.«
Mariette nickte und umarmte Mog. Und bevor sie sich noch mehr gute Ratschläge anhören und weitere neugierige Fragen beantworten musste, schnappte sie sich hastig eine Strickjacke und flitzte zur Tür hinaus.
Mariette hatte tatsächlich vor, sich mit einem Mann zu treffen. Als sie in Richtung Flag Staff Hill ging, wo sie verabredet waren, war ihr beklommen zumute. Sie hatte kein mulmiges Gefühl, weil sie Mog beschwindelt hatte – in den letzten paar Monaten hatte sie Mog und ihren Eltern so viele Lügen erzählt, dass es auf eine mehr oder weniger nicht ankam –, sondern weil sie heute mit Sam Schluss machen wollte und befürchtete, dass er unangenehm werden könnte.
Sie hatte ihn vor einem Jahr kennengelernt, als der Frachter, auf dem er arbeitete, wegen einiger kleinerer Reparaturarbeiten draußen in der Bucht geankert hatte. Die ganze Besatzung ging in Russell an Land und sorgte für reichlich Aufsehen, weil sich die Männer betranken und randalierten. Sam fiel auf, da er jung, groß, blond und sehr hübsch war. Der Rest der Crew setzte sich aus untersetzten, rauen Burschen mit schlechten Zähnen zusammen, die fast ausnahmslos mindestens dreißig Jahre alt waren.
Mariette kam zufällig mit Sam ins Gespräch. Er fragte sie, was in Paihia los sei und ob es sich lohne, mit der Fähre dorthin zu fahren. Als sie sagte, dass der Ort nicht so schön wie Russell sei, lachte er und meinte, er sei nur an hübschen Mädchen interessiert, nicht an Sehenswürdigkeiten.
Nachdem das Schiff wieder abgelegt hatte, hörte sie, wie sich ihre Eltern über das schlechte Benehmen der Crew unterhielten. Nicht nur, dass es im Duke of Marlborough zu einer Schlägerei gekommen war, bei der Stühle und Fenster zu Bruch gegangen waren, es waren auch einige Frauen und Mädchen belästigt worden, und die ganze Stadt war empört.
Ihr Vater schien ein wenig Verständnis für die Männer zu haben. »Wahrscheinlich haben sie gehört, dass Russell früher einmal auch das ›Dreckloch des Pazifiks‹ genannt wurde, und waren enttäuscht, weil es sich in eine so biedere Stadt verwandelt hat, in der es keine leichten Mädchen, nicht einmal ein Tanzcafé gibt«, meinte er.
Der hübsche Seemann, dessen Namen Mariette damals noch nicht kannte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Immer wieder musste sie daran denken, wie er sie angeschaut hatte – als könnte er durch ihre Kleider hindurchsehen – und wie prickelnd sie das gefunden hatte.
Den Rest jenes Sommers ertappte sie sich dabei, sehr viel an Jungen zu denken. Sie hatte keinen Mangel an Verehrern – schließlich war sie angeblich das hübscheste Mädchen in Russell –, aber es waren nur die Jungen, mit denen sie aufgewachsen war, und keiner von ihnen weckte in ihr die Gefühle, die der hochgewachsene, blonde Fremde hervorgerufen hatte. Sie flirtete mit einigen von ihnen und ließ sich von ihnen küssen, gewissermaßen zur Übung, doch es war nicht so berauschend, wie es in Büchern beschrieben wurde.
Mariette verschlang jedes Buch, das sie in die Finger bekam, und wegen all der Dinge, die sie über fremde Länder und große Städte las, erschien ihr Russell sehr langweilig. Ihrer Meinung nach hatte der Ort außer seiner Schönheit nichts zu bieten. Gelegentlich gab es eine Tanzveranstaltung, eine Filmvorführung oder ein Picknick, ansonsten jedoch war kaum etwas los. Wenn sie jeden Tag mit ihrem Vater hätte segeln und angeln gehen können, wäre sie glücklich gewesen. Aber er konnte sie nicht allzu oft mitnehmen, und die Besitzer der Jachten, die eine Crew brauchten, würden sich nie davon überzeugen lassen, dass sich ein Mädchen für diese Aufgabe eignete.
Was ihre alten Schulfreundinnen anging, so hatte Mariette das Gefühl, sie weit hinter sich gelassen zu haben. Sie waren damit zufrieden, ihren Müttern im Haushalt zu helfen, herumzusitzen und zu tratschen. Nicht eine von ihnen träumte wie Mariette davon, die Welt zu bereisen oder irgendetwas Aufregendes und Gefährliches zu erleben.
Sie hatte gehört, dass der Seemann Australier war, und daher nicht erwartet, ihn jemals wiederzusehen. Aber zu ihrer freudigen Überraschung war er vor zwei Monaten nach Russell zurückgekommen. Er fuhr nicht mehr zur See, sondern arbeitete als Lkw-Fahrer für eine Holzfirma, für die er Baumstämme aus diversen Wäldern der Nordinsel transportierte, die dann von Russell aus verschifft wurden.
Mariette begegnete ihm zufällig im Postamt, und sein breites Grinsen sagte ihr, dass er sich nicht nur an sie erinnerte, sondern sich freute, sie zu sehen. Sie unterhielten sich kurz, und sie flirtete mit ihm, aber da sie wusste, dass ihre Eltern ihr nie erlauben würden, mit einem erwachsenen Mann von fünfundzwanzig, der nur auf der Durchreise war, auszugehen, traute sie sich nicht, sich mit ihm zu verabreden.
Drei Tage hielt sie durch. Wenn sie ihn zufällig traf, blieb sie stehen, um mit ihm zu plaudern und zu flirten, doch erst als sie hörte, dass er am nächsten Tag weiterfahren würde, war ihr klar: jetzt oder nie!
Vor dem Duke of Marlborough lungerten am Spätnachmittag immer Männer herum und warteten darauf, dass um sechs Uhr geöffnet wurde, also zog Mariette ihr schönstes Kleid an und schlenderte an dem Lokal vorbei. Die Augen des Australiers leuchteten auf, als er sie sah, und das Prickeln in ihrem Inneren, das sie gefühlt hatte, als sie ihm vor all diesen Monaten zum ersten Mal begegnet war, machte sich stärker denn je bemerkbar. Bei ihren kurzen Unterhaltungen war sie ein wenig enttäuscht gewesen, dass er ziemlich ungehobelt war, Schimpfwörter benutzte und derbe Bemerkungen über ihre Figur und Beine machte. Sein abgetragenes kariertes Hemd und seine grobe Baumwollhose waren ein bisschen schmuddelig, aber er hatte wunderschöne blaue Augen und lange, dunkle Wimpern, und sie konnte dem Hauch von Gefahr, der aus jeder Pore seiner sonnenverbrannten Haut drang, einfach nicht widerstehen.
An jenem Tag hatte sie ihren Eltern vorsichtshalber erzählt, eine Freundin besuchen zu wollen, und willigte sofort ein, als Sam ihr vorschlug, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen. Sie war überzeugt, dass er jetzt schon von ihr bezaubert war, weil es ihm nichts auszumachen schien, dass er die erste Runde im Pub verpassen würde. Und das war doch wohl etwas, das sich nur wenige Männer entgehen lassen würden.
Sowie sie ein Stück von der Stadt entfernt und vor neugierigen Blicken sicher waren, küsste er sie, und dieser Kuss war alles, was Mariette sich je erhofft hatte, und noch mehr. In Sams Armen verlor sie jedes Zeitgefühl; ihr Herz schlug schneller, sie bekam weiche Knie, und dann war da noch dieses seltsame, aber wundervolle Ziehen in ihrem Unterleib, das sie jede Vorsicht vergessen ließ.
Aber er zog sich zurück. »Das kann ich nicht machen«, sagte er. »Du bist noch zu jung, und ich muss wieder fort. Es ist dir gegenüber nicht fair.«
Er verließ Russell am nächsten Morgen in aller Frühe, ohne zu erwähnen, ob er wiederkommen würde. Doch jene letzten Worte überzeugten Mariette, dass er im Grunde seines Herzens ein Gentleman und nur deshalb manchmal ein bisschen derb war, weil er den Umgang mit Frauen nicht gewöhnt war.
Vierzehn Tage vergingen, ehe er zurückkehrte, und in dieser Zeit hatte sie an nichts anderes als ihn und seine Küsse gedacht. Sie musste ihre Gedanken für sich behalten und mochte sie nicht einmal einer ihrer Freundinnen anvertrauen, aus Angst, sie könnte es weitererzählen.
Als Sam wiederkam, sagte er zu ihr, dass sie ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen sei und dass er sich in sie verliebt habe. Welches Mädchen hätte das nicht geglaubt? Und wie konnte sie ihm nicht erlauben, mit ihr zu schlafen, wenn sie fest davon überzeugt war, auch in ihn verliebt zu sein.
Das erste Mal passierte es oben auf dem Flag Staff Hill hinter ein paar Büschen, und schon als er sie ohne jede Rücksicht auf ihre Bequemlichkeit auf den Boden stieß, wusste Mariette, dass sie einen Fehler beging. Sie hatte sich etwas Schönes, Romantisches gewünscht, aber was sie bekam, waren Dornen in ihrem Fleisch, wunde Schenkel und ein Gefühl tiefer Enttäuschung. Als er dann kurz darauf sagte, er müsse in den Pub zurück, um dort einen Freund zu treffen, fühlte sie sich betrogen und erniedrigt.
Doch dumm wie sie war, glaubte sie, dass es besser werden würde. Sie hatte mehrere Bücher gelesen, in denen sich die Heldin beim ersten Mal genauso gefühlt hatte wie sie selbst, und am Ende war alles gut geworden. Als Sam einmal Russell verließ, ohne ihr zu sagen, wann – oder ob – er zurückkommen würde, redete sie sich ein, dass er sich nur so verhielt, weil er befürchtete, er könnte sich zu sehr in sie verlieben.
Ohne einen Menschen, dem sie sich anvertrauen konnte, und in der ständigen Angst vor Entdeckung lebte Mariette in qualvoller Unruhe. Manchmal hoffte sie sogar, dass Sam nie wieder nach Russell kommen und sie ihn einfach vergessen würde. Aber als sie eine Woche später aus ihrem Fenster schaute und ihn an einem Baum am unteren Ende der Robertson Street lehnen sah, hatte sie das Gefühl, sofort zu ihm laufen zu müssen.
Sie war so naiv zu glauben, ihn ändern zu können, wenn sie ihn dazu brachte, einfach nur mit ihr zu reden, sie zu küssen und im Arm zu halten, und ihm weiter nichts gestattete.
»Es gefällt mir nicht besonders, wie du dich mir gegenüber verhältst«, sagte sie. »Ich möchte mit dir reden, dich besser kennenlernen. Könnten wir nicht einfach spazieren gehen und uns unterhalten, ohne …« Sie zögerte, weil sie nicht wirklich wusste, wie sie es bezeichnen sollte. »Du weißt schon … es zu machen?«
Er strich ihr, wie sie fand, sehr zärtlich über die Wange. »Hör mal, Süße, ich musste seit dem letzten Mal ständig an dich denken«, sagte er ernst. »Ich will dich so sehr. Tu mir das nicht an, ja?«
Im Nachhinein betrachtet, war es klar, dass er sich nicht das Geringste aus ihr machte und nur Sex wollte. Aber damals erkannte sie es nicht; alles was sie sah, war der bittende Ausdruck in seinen Augen, und deshalb fügte sie sich seinen Wünschen.
Beim vierten Mal ging er noch ruppiger mit ihr um, stieß sie auf den Boden und stürzte sich auf sie. Als er fertig war, demütigte er sie noch mehr, indem er ihr befahl, nach Hause zu gehen, weil er noch eine Verabredung habe.
Wenn Mog plötzlich einen Menschen oder eine Sache durchschaute, pflegte sie zu sagen: »Es fiel mir wie Schuppen von den Augen.« Mariette hatte oft darüber gelacht und erwidert, dass nur Fische Schuppen hätten. Aber vor zehn Tagen, als Sam zum letzten Mal in Russell gewesen war, hatte sie endlich begriffen, was diese Redewendung bedeutete.
Er war richtig widerlich gewesen, hatte sie in einem Gebüsch auf die Knie gedrückt und war von hinten in sie eingedrungen wie ein Hund, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu küssen. Als er nachher seine Hosen zugeknöpft hatte, hatte er gesagt, sie solle am Sonntag in einer Woche hier auf ihn warten – und ja nicht zu spät kommen.
Es war, als hätte jemand einen Kübel kaltes Wasser über sie geschüttet, aber sie war endlich zur Besinnung gekommen.
Seit damals litt sie vor Scham Höllenqualen, weil sie sich so brutal hatte ausnutzen lassen. Sie hoffte inständig, Sam würde nie wieder nach Russell kommen und die Sache wäre endgültig vorbei.
Aber es sollte nicht sein. Als sie am Vortag über die Uferstraße geschlendert war, hatte Sam vor dem Duke of Marlborough darauf gewartet, dass die Kneipe aufmachte.
Er war sehr schmutzig und roch nach Schweiß, und die Tatsache, dass er ihr nicht ein Lächeln, sondern einen lüsternen Blick zuwarf, sagte alles darüber aus, was er für sie empfand.
»Vergiss unsere Verabredung für morgen nicht!«, sagte er und rieb sich vielsagend den Schritt.
Wie Mariette es sah, gab es zwei Möglichkeiten. Eine davon war, die Verabredung einfach nicht einzuhalten, doch dann bestand die Gefahr, dass er zu ihnen nach Hause kam und ihre Eltern Wind von der Sache bekamen. Die andere Möglichkeit war, ihn zu treffen und ihm zu zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Letzteres entsprach ihr weit mehr, und sie wusste, dass sie sich danach besser fühlen würde.
Aber als sie ihn jetzt vor sich sah, wie er im Gras hockte und eine Zigarette rauchte, wurde ihr fast übel vor Angst. Er wandte den Kopf, als sie näher kam, dachte jedoch nicht einmal daran, zu lächeln oder aufzustehen, um sie zu begrüßen.
»Ich bleibe nicht«, begann sie, als sie in Hörweite war. »Ich wollte dir bloß mitteilen, dass ich dich nicht mehr sehen will.«
»Ach ja?«, gab er höhnisch zurück. »Das hättest du mir gestern sagen können, dann hätte ich mir die Mühe sparen können, hier raufzumarschieren. Aber wahrscheinlich ist das bloß so eine Weibermasche, damit ich was Schnulziges sage. Keine Chance, Kleine, dafür hast du dir den Falschen ausgesucht.«
Sie trat direkt vor ihn und sah ihn an. »Das habe ich allerdings«, erwiderte sie. »Du hast mich schändlich behandelt, und ich will dich nie wiedersehen.«
Jetzt sprang er auf. »Ich hab dir doch gegeben, was du wolltest, oder?«
»Glaubst du im Ernst, irgendein Mädchen will das?« Sie war fassungslos.