ADHS bei Kindern und Erwachsenen – eine neue Sichtweise - Thomas E. Brown - E-Book

ADHS bei Kindern und Erwachsenen – eine neue Sichtweise E-Book

Thomas E. Brown

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Beschreibung

Rund 100 Jahre lang hat man ADHS hauptsächlich als Verhaltensstörung betrachtet. Neue wissenschaftliche Befunde zeigen indessen, dass ADHS als Entwicklungsstörung beschrieben werden kann. Dieses Buch nimmt eine Vorreiterrolle ein und legt die Forschungsergebnisse, die diese neue Sichtweise unterstützen, dar. Der Autor stellt sich Fragen wie - Warum können Menschen mit ADHS sich sehr gut auf manche Aufgaben fokussieren und zugleich große Schwierigkeiten mit anderen Aufgaben haben? - Wie unterscheidet sich die Entwicklung des Gehirns und seiner Funktionen bei Menschen mit ADHS von anderen Menschen? - Wie verändern sich ADHS-bedingte Beeinträchtigungen in der Kindheit im Jugend- und Erwachsenenalter? - Welche Behandlungen helfen, ADHS-bedingte Beeinträchtigungen zu verbessern? Wie funktionieren sie? - Warum haben Personen mit ADHS öfters zusätzliche emotionale, kognitive und Lernstörungen als andere Menschen? - Welche gängigen Annahmen zu ADHS wurden von der aktuellen Forschung als falsch entlarvt? Dieses Buch präsentiert eine zutiefst nützliche und aktuelle Sammlung der wichtigsten Forschungsergebnisse über ADHS und die Rolle der Exekutivfunktionen. Kliniker, Studierende und Laien werden hier viele wertvolle Informationen zu diesem Krankheitsbild finden." Russel A. Barkley, Professor der Psychiatrie und Pädiatrie, Medical University of South Carolina

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Seitenzahl: 326

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Thomas E. Brown

ADHS bei Kindern und Erwachsenen – eine neue Sichtweise

Aus dem amerikanischen Englisch von Benedikt Gers und Franz Petermann

Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Franz Petermann

ADHS bei Kindern und Erwachsenen – eine neue Sichtweise

Thomas E. Brown

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Franz Petermann, Bremen; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br.

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Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel: +41 31 300 45 00

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: iStock/krblockhin

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Der Originaltitel lautet „A New Understanding of ADHD in Children and Adults – Executive Function Impairments“ von Thomas E. Brown. Authorised translation from the English language edition published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group LLC. © 2013 Taylor & Francis.

The right of Thomas E. Brown to be identified as author of this work has been asserted by him in accordance with sections 77 and 78 of the Copyright, Designs and Patents Act 1988. All rights reserved.

1. Auflage 2018

© 2018 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95854-5)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75854-1)

ISBN 978-3-456-85854-8

http://doi.org/10.1024/85854-000

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Anmerkung:

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

|5|Das Entwirren der Komplexität hat gerade erst begonnen… Aber selbst in seinen frühen Phasen benötigt man Weitblick, wenn man irgendwo ankommen will.

Gerald M. Edelman (1992)

Bright Air, Brilliant Fire: On the Matter of the Mind

Vielleicht ist es dem Menschen besonders wichtig, an jedem Tag unseres Lebens uns und andere an unsere Komplexität, Zerbrechlichkeit, Endlichkeit und Einzigartigkeit zu erinnern.

Antonio R. Damasio (1994)

Descartes’ Error: Emotion, Reason and the Human Brain

Inhalt

Motto

Danksagung

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Einleitung

1 35 Mythen über ADHS und warum sie falsch sind

2 Eine neue Sichtweise für eine alte Störung – ADHS als Problem der Exekutivfunktionen

3 Was über die Ursachen und die Natur von ADHS bekannt ist

4 Wie die neue Sichtweise die Diagnostik der ADHS bei Kindern und Erwachsenen verändert

5 Wie man durch eine ADHS-Therapie die Exekutivfunktionen verbessern kann

6 Warum viele Lern- und psychische Störungen oft gemeinsam mit einer ADHS auftreten

Literatur

Sachwortregister

Über den Autor

|9|Danksagung

Für meine Frau Bobbie in tiefer Dankbarkeit und Liebe für alles, was du bist, was du gibst, und dass wir immer noch alles miteinander teilen. Du bist das Licht meines Lebens! Und Dank an unsere Familie, Liza, Dave, Nancy, Abel, Noah und Simone, für eure großzügige Liebe, eure Ermutigung und euer andauernder Sonnenschein. Ich bin auch Philipp Reichel dankbar, der mir als Forschungsassistent in diesem Projekt half; er bot nicht nur wissenschaftliche Unterstützung, sondern lieferte auch viele hilfreiche Vorschläge.

Dank auch an George Zimmar, meinen Verleger, für seine großzügige Ermutigung und seinen Beitrag zu diesem Projekt, an Rob Brown für die Koordinierung der Arbeit, an Lorna Hawes für ihre sorgsame Überarbeitung, an Sally Beesley für die attraktive Gestaltung des Bucheinbandes, an Jennifer Sefa-Boakye für die Koordinierung des Marketings, an Christopher Tominich für das Handhaben unzähliger Details und an alle anderen im Routledge/Taylor and Francis Team, die geholfen haben, dieses Projekt fertigzustellen und den Lesern zur Verfügung zu stellen.

|11|Vorwort zur deutschen Ausgabe

Kaum eine psychische Krankheit hat in den letzten Jahren so starke Kontroversen ausgelöst wie die Beschäftigung mit der ADHS. Es wurde in den letzten 40 Jahren mehrfach das Grundverständnis über die Ursachen und eine angemessene Therapie verändert. Es wurde kontrovers über die Bedeutung der Psychotherapie, die Wirksamkeit der Pharmakotherapie und des Eltern-Kind-Trainings im Rahmen der Behandlung von Kindern mit ADHS diskutiert. Und während dieser Jahrzehnte sind Eltern und Lehrkräfte aktiviert worden und formulierten die Notwendigkeit einer umfassenden Problembearbeitung. Im professionellen Bereich wurden Initiativen von Kinderärzten, Kinder- und Jugendpsychiatern, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Pädagogen, Ergotherapeuten usw. gestartet, die zu einer besseren Versorgung dieser Kinder und Jugendlichen beitragen wollten und auch vieles bewirkt haben. Bislang wurde noch keine umfassende Bilanz erstellt, wie der Ertrag all dieser Bemühungen zu bewerten ist.

Vermutlich ist der Eindruck nicht völlig falsch, dass die Diskussion um die ADHS nicht so wirklich vorankam. An diesem Punkt setzt das Buch von Thomas Brown an. In sehr provokanten Thesen wird eine neue Sichtweise der ADHS angekündigt, die einige Grundsätze der alten Sichtweise infrage stellt. Auch die überarbeiteten Klassifikationssysteme (DSM-5, ICD-11) vollziehen diesen Wandel zu einer neuen Sichtweise – wenn auch nur zaghaft.

Thomas Brown betrachtet die ADHS als ein komplexes Syndrom von entwicklungsbezogenen Störungen der Exekutivfunktionen, wobei es sich um eine situationsvariable Erkrankung über die Lebensspanne handelt. Eine ADHS schränkt in vielfältiger Weise die Funktionsfähigkeit der Betroffenen im Alltag ein. Die Einschränkungen im Bereich Schule, Ausbildung, Beruf und Familie werden in dem vorliegenden Buch gut beschrieben. Immer wieder wird illustriert, welche Konsequenzen Aufmerksamkeitsprobleme, Defizite im Arbeitsgedächtnis, eine eingeschränkte |12|Planungskompetenz und unzureichende Beharrlichkeit (Ausdauer) zur Folge haben. Die auffälligen Exekutivfunktionen verhindern, dass ein Selbstmanagement der Patienten gelingt. Selbstmanagement steht letztlich für eine konsequente Planung und Organisation des Alltags.

Manche Sichtweisen in diesem Buch sind neu: ADHS stellt eine Entwicklungsverzögerung der Exekutivfunktionen dar. Selbst viele etablierte pädagogische und psychotherapeutische Ansätze werden durch diese Sichtweise stark relativiert.

Thomas Brown engagiert sich in diesem Buch stark für eine medikamentöse Therapie der ADHS. Über diesen Punkt kann man streiten, jedoch sind vor dem Hintergrund gestörter Exekutivfunktionen die Überlegungen konsequent zu Ende gedacht.

Das vorliegende Buch geht auch sehr klar auf die Konsequenzen der ADHS im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter ein. Die Vielfalt der komorbiden Beeinträchtigungen und die Stabilität der ADHS werden sehr deutlich illustriert. Die Komplexität der ADHS wird dadurch unterstrichen. Man kann Thomas Brown dabei zustimmen, dass es sich bei der ADHS um eine grundlegende (fundamentale) psychische Störung über die Lebensspanne handelt.

Die vorliegende Textfassung wurde an einigen Stellen gegenüber der Originalausgabe überarbeitet und aktualisiert (z. B. im Hinblick auf das DSM-5). Die Übersetzung fertigte ich gemeinsam mit Benedikt Gers an; Paul Röhr unterstützte uns bei der Textbearbeitung.

Bremen, im Dezember 2017

Franz Petermann

|13|Einleitung

Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird in der medizinischen Literatur seit über 100 Jahren mit einer Vielzahl verschiedener Bezeichnungen beschrieben. (In diesem Buch wird der Begriff „ADHS“ verwendet, um Aufmerksamkeitsdefizitstörungen mit oder ohne Hyperaktivität zu bezeichnen.) Während eines Großteils dieser Zeit lag der Schwerpunkt auf den Verhaltensproblemen von jungen Kindern, die als überaktiv und unaufmerksam beschrieben wurden. Der Begriff „Aufmerksamkeit“ wurde bis 1980 nicht als zentraler Aspekt des Syndroms verwendet (American Psychiatric Association, 1980), zudem stand das auffällige Verhalten im Vordergrund. Heute spricht man immer häufiger von ADHS als Entwicklungsproblematik im Sinne auffälliger Exekutivfunktionen.

Dieses Buch beschreibt dieses neue Verständnis und die kürzlich gewonnenen klinischen und neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse, die diese Sichtweise belegen. Der Leser findet hier, in klarer und zugänglicher Sprache, Informationen darüber, wie die Studien zur Funktionsfähigkeit des Gehirns das Verständnis von ADHS verändert haben. Diese Diskussion beschreibt und elaboriert viele Konzepte und Erkenntnisse bezüglich ADHS, die noch nicht in die Ausführungen im DSM-5 miteinbezogen wurden. Sie geht einen Schritt weiter, als nur Problemverhalten von Menschen mit ADHS aufzulisten, und liefert eine umfassende Sicht der komplexen neurologischen Entwicklungsstörungen und der kognitiven Probleme, die dieser Störung zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Lebenslauf zugrunde liegen. Darüber hinaus wird eine Arbeitsdefinition von ADHS vorgeschlagen, die diese Entwicklungsproblematik des Self-Management im Sinne auffälliger Exekutivfunktionen kennzeichnet.

Dieses Buch fasst aktuelle Fakten zusammen, welche Experten im Bereich ADHS publiziert haben. Die Sichtweise, die es vorstellt, wurde über Jahre entwickelt, und viele Befunde wurden unabhängig voneinander in vielen wissenschaftlichen Zeit|14|schriften und Büchern in den letzten 15 Jahren veröffentlicht. Das Buch wird diese Daten und Perspektiven in ein aktuelles und leicht verständliches Paradigma integrieren.

Erkenntnisse der Neurowissenschaften und klinischer Forschung haben zur Folge, dass das traditionelle Bild der ADHS als simple Verhaltensstörung nicht mehr haltbar ist. Es wurde eine Sichtweise erarbeitet, dieses Syndrom neu einzuordnen. Die Exekutivfunktionen werden in den Beschreibungen der ADHS auch im Rahmen der neusten Versionen des Klassifikationssystems DSM-5 kaum berücksichtigt. Dennoch wird diese neue Sichtweise immer häufiger von Experten aus Psychologie, Medizin, Pädagogik und verwandten Gebieten anerkannt. Sie kann dazu dienen, bisher isolierte Stränge der ADHS-Forschung zu integrieren, vor allem, um Probleme, die Menschen mit ADHS mit der Konzentration und bei der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben aufweisen, besser zu erkennen und zu verstehen.

Weitere Forschung und die wachsende Anzahl an klinischen Erfahrungen werden letztendlich bessere Ansätze ermitteln, um ADHS zu konzeptualisieren. Aktuell bietet dieses Buch ein neues und hoffentlich hilfreiches Verständnis für Ärzte, klinische Kinderpsychologen, Kinder- und Jugendpsychiater, Kinderärzte, klinische Sozialarbeiter, Pädagogen, Behindertendienstleister sowie interessierte Patienten und deren Angehörige, um ADHS besser einordnen zu können.

Die Forschung hat immer mehr verdeutlicht, dass ADHS prinzipiell keine Verhaltensstörung darstellt und nicht auf die Kindheit beschränkt ist. Das Buch geht von der Annahme aus, dass die ADHS eine komplexe Entwicklungsstörung des Self-Management-Systems des Gehirns (der Exekutivfunktionen) darstellt, welches sich in der frühen Kindheit herausbildet, aber oft nicht erkannt wird, bis die Betroffenen den Herausforderungen des Jugendalters oder des Erwachsenseins begegnen. In manchen Fällen nehmen die ADHS-bezogenen Beeinträchtigungen im Jugendalter ab; in anderen Fällen bleibt die Störung ein Leben lang bestehen.

Dieses Buch beginnt mit einer Übersicht der bekannten, jedoch fehlerhaften Annahmen über die ADHS; es präsentiert außerdem wissenschaftliche Fakten aus Forschungsbefunden, die diese Mythen widerlegen. Aus den neuen Fakten resultiert eine neue Sichtweise, die in den vier folgenden Kapiteln beschrieben wird.

Kapitel 1 präsentiert 35 Mythen über die ADHS, die durch neue Erkenntnisse relativiert werden. Zu jedem dieser Mythen folgt eine kurze Zusammenfassung von Fakten, die jene falschen Annahmen widerlegen.

Kapitel 2 stellt eine Arbeitsdefinition vor, die auf aktueller ADHS-Forschung basiert. Dieses Kapitel beleuchtet zudem die entwicklungsbezogene Sichtweise der ADHS. Kapitel 2 beschreibt auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den alten und neuen Modellen und fasst anschließend Erkenntnisse zur Prävalenz der ADHS für die verschiedenen Altersgruppen zusammen.

|15|Kapitel 3 berichtet von Befunden, die beschreiben, wie Menschen mit ADHS in unterschiedlichen Entwicklungsphasen in ihren kognitiven Funktionen und alltäglichen Aktivitäten eingeschränkt sind. Aktuelle Befunde zu Unterschieden in der Art und Geschwindigkeit der Gehirnentwicklung münden in die Frage: „Ist das ADHS-Gehirn anders strukturiert oder verbunden?“. Kapitel 3 enthält Befunde zur Bedeutung von Emotionen und Motivation bei ADHS. Diese Befunde erklären, warum ADHS-bedingte Einschränkungen bei allen Menschen (unabhängig von ihrer Intelligenz) auftreten. Abschließend werden in Kapitel 3 genetische und umweltbedingte Faktoren zur Entstehung der ADHS diskutiert.

Kapitel 4 präsentiert Ergebnisse darüber, wie Einschränkungen durch ADHS in verschiedenen Lebensphasen angemessen erfasst und diagnostiziert werden können. Diese Sichtweise lässt Zweifel aufkommen, dass ADHS-bezogene Defizite mit traditionellen neuropsychologischen Tests der Exekutivfunktionen beurteilt werden können. Es wird auch gezeigt, wie mit klinischen Interviews und Einschätzungsskalen der neuen Sichtweise der ADHS entsprochen werden kann. Allerdings wird auch aufgezeigt, wo die Grenzen der aktuell unzureichenden Einschätzskalen liegen.

Kapitel 5 gibt eine Übersicht über anerkannte medizinische und psychotherapeutische Behandlungsansätze der ADHS. Es wird gezeigt, wie eine medikamentöse Behandlung die Hirnfunktionen verbessern kann und wie dadurch unterschiedliche Aspekte des Self-Management-Systems im Gehirn beeinflusst werden können. Es wird aber auch über die Nebeneffekte einer solchen Behandlung berichtet und darüber informiert, welche psychotherapeutischen Ansätze kognitive und verhaltensbezogene Funktionen verbessern können.

Kapitel 6 berichtet über die bei ADHS komorbid auftretenden Lern- oder psychiatrischen Störungen. Es wird davon ausgegangen, dass Einschränkungen der Exekutivfunktionen bei ADHS Dyslexie und andere Lernstörungen, Angststörungen und Depressionen, bipolare Störungen, oppositionelles Verhalten, Zwangsstörungen und Messie-Syndrom, Störungen mit Substanzmissbrauch und die Autismus-Spektrum-Störung mitverursachen. Dieses Kapitel postuliert, dass die ADHS nicht mit einem fehlerhaften Softwareprogramm vergleichbar ist, sondern ein Problem mit dem Betriebssystem darstellt, das heißt eine umfassendere, grundlegendere Schwäche, durch welche viele kognitive Funktionen beeinträchtigt sind.

|17|135 Mythen über ADHS und warum sie falsch sind

Dieses Buch beschreibt ein neues Verständnis von ADHS auf der Basis von empirischen Fakten. Die neue Sichtweise hinterfragt eine Anzahl an weit verbreiteten Mythen und falschen Annahmen über ADHS, die immer noch von vielen Laien und einigen Experten geglaubt werden. Dieses Kapitel listet 35 dieser Annahmen auf, gibt eine kurze Zusammenfassung wissenschaftlich fundierter Fakten, die jeden dieser Mythen widerlegen, und verweist den Leser auf die substanziellere Faktenlage in den Kapiteln 2 bis 6.

1

Ein Mensch, der ADHS hat, hat immer Schwierigkeiten mit Exekutivfunktionen.

Klinische Daten deuten darauf hin, dass ADHS-typische Einschränkungen der Exekutivfunktionen situationsbedingt sind; jede Person mit ADHS weist bestimmte Tätigkeiten oder Situationen auf, in denen sie keinerlei Schwierigkeiten hat, Exekutivfunktionen auszuführen. Üblicherweise sind dies Aktivitäten, in denen sie ein starkes persönliches Interesse hat oder wo sie glaubt, dass etwas sehr Ungemütliches folgen wird, sollte sie sich nicht hier und jetzt darum kümmern. Erkenntnisse weisen darauf hin, dass intra-individuelle Variabilität in der Arbeitsleistung vom Kontext abhängt. Die Leistungsfähigkeit eines Menschen mit ADHS ist hoch anfällig für kontextbezogene Faktoren (z. B. Belohnungen, interne kognitive und physiologische Faktoren).

|18|2

Alle Menschen weisen Schwächen mit den Exekutivfunktionen auf.

Obwohl alle Menschen ab und zu an Problemen mit den Exekutivfunktionen leiden, ist eine ADHS-Diagnose nur gerechtfertigt, wenn Menschen signifikante und chronische Einschränkungen aufweisen. Epidemiologische Forschung aus den USA verdeutlicht, dass circa 9 % der Kinder zwischen 6 und 17 Jahren, 8,7 % der Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren und 4,4 % aller Erwachsenen eine ADHS-Diagnose unter den gegenwärtigen diagnostischen Kriterien aufweisen. Eine weltweite Schätzung aus 102 Studien für Kinder bis zu 18 Jahren aus diversen Kulturen aus der ganzen Welt ergab einen Wert von 5,29 %. Vergleiche zwischen Menschen mit und ohne ADHS haben signifikante Auffälligkeiten in der neurobiologischen Entwicklung belegt.

3

Wenn ein Mensch mit ADHS sich wirklich konzentrieren und wirkungsvoll an einer Aufgabe arbeiten will, kann er sich selbst dazu zwingen. Die Nutzung exekutiver Funktion ist schlicht eine Frage der Willensstärke.

Da Menschen mit ADHS ihre Exekutivfunktionen bei bestimmten Aufgaben, welche sie interessieren oder wenn sie einen Misserfolg fürchten, üblicherweise sehr gut anwenden können, liegt es nahe, dass sie dieselben Funktionen genauso gut auch in anderen Situationen anwenden können, die sie als wichtig erachten – wenn sie nur die Willensstärke aufbringen.

Das neue Modell der ADHS kritisiert die bisherige Sichtweise, da die Nutzung der Exekutivfunktionen automatisch erfolgt. Aus diesem Blickwinkel sind viele Operationen der Exekutivfunktionen ebenso wenig bewusst kontrollierbar wie Erektionsstörungen. Die Steuerung erfolgt aufgrund komplexer Interaktionen gedächtnisbeeinflusster Emotionen und angeborener Reaktionsmuster, die unmittelbar umgesetzt werden.

4

Jeder, der ADHS hat, weist schon in seiner frühen Kindheit klare Anzeichen auf und wird für den Rest seines Lebens Schwierigkeiten mit Exekutivfunktionen aufweisen.

Jahrzehntelang wurde ADHS unter verschiedenen Namen als Störung der Kindheit betrachtet; die diagnostischen Kriterien des DSM-IV schrieben vor, dass wenigstens |19|ein paar der Symptome bis zum siebten Lebensjahr auffällig sein müssen, um eine Diagnose zu stellen. Es zeigte sich jedoch, dass viele Menschen mit ADHS während ihrer Kindheit ganz gut funktionieren und sich bis zum Jugendalter keine signifikanten Symptome manifestieren; erst wenn später größere Herausforderungen für die Exekutivfunktionen auftreten, werden die Probleme evident. Einige Menschen mit ADHS im Kindesalter bilden ihre ADHS-Probleme zurück, wenn sie älter werden.

5

Einschränkungen der Exekutivfunktionen werden am besten durch neuropsychologische Prüfungen der Exekutivfunktionen ermittelt.

Von Neuropsychologen verwendete Tests der Exekutivfunktionen können ADHS-bezogene Einschränkungen der Exekutivfunktionen nicht immer abbilden. Manche Menschen mit ADHS schneiden bei einigen dieser Prüfungen schlecht ab, aber viele absolvieren sie passabel oder sogar sehr gut, trotz der Beschränkungen ihrer Exekutivfunktionen. Das effektivste Mittel zur Abklärung von ADHS ist die Verwendung einer normierten ADHS-Bewertungsskala im Kontext eines semistrukturierten klinischen Interviews. Mittels dieses Vorgehens soll ermittelt werden, ob der Betroffene in der Lage ist, den Alltag zu bewältigen; zudem sollen potenzielle Ursachen der Symptomatik untersucht sowie komorbide Störungen abgeklärt werden. Während neuropsychologische Verfahren versuchen, in einem Zeitrahmen von 5 bis 20 Minuten in einem künstlichen Laborsetting Funktionsmuster zu erfassen, brauchen Einschätzungsskalen größere Zeitspannen und eine größere Auswahl von Settings und Aufgaben.

6

Es ist unwahrscheinlich, dass Menschen mit einem hohen IQ ADHS-bedingte Probleme der Exekutivfunktionen erleben, da sie intelligent genug sind, diese zu überwinden.

Aussagen zur Intelligenz, wie sie in IQ-Tests gemessen wird, unterstützen nicht die neue Sichtweise der dargelegten Probleme der Exekutivfunktionen. Studien zeigen, dass auch Kinder und Erwachsene mit extrem hoher Intelligenz an ADHS leiden und darin eingeschränkt sind, ihre kognitiven Fähigkeiten konsistent und effektiv einzusetzen. Klinische Beobachtungen weisen darauf hin, dass hochintelligente Menschen mit ADHS oft lange Wartezeiten durchleben müssen, bis sie die korrekte Diagnose und angemessene Therapie erhalten. Dies ist hauptsächlich auf unaufgeklärte Lehrkräfte, Eltern, Kliniker und auch die Patienten selbst zurückzuführen, die davon ausgehen, dass ein hoher Intelligenzquotient eine ADHS ausschließt.

|20|7

Moderne Bildgebungsverfahren (wie PET und MRT) odercomputerisierte Tests können eine Exekutivfunktionsproblematik, wie sie bei der ADHS oft vorliegt, objektivieren.

Viele behaupten, dass „objektive“ Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie (SPECT) oder die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) ermitteln können, ob ein Mensch eine ADHS hat oder nicht. Obwohl diese Verfahren in der Forschung nützlich sind, liefern sie keine valide ADHS-Diagnostik. Dieselben Einschränkungen treffen auf computerisierte Verfahren zur Aufmerksamkeitstestung und quantitative Elektroenzephalografie (EEG) zu. Diese Methoden geben nur einen kleinen Einblick in die Hirnfunktionen und erfassen die situationsbedingte Variabilität der Funktionsfähigkeit bei ADHS nicht hinreichend. Diese komplexe Störung kann nur durch ein klinisches Interview valide diagnostiziert werden.

8

Menschen mit ADHS verlieren üblicherweise die Problematik der Exekutivfunktionen bis Anfang zwanzig.

Manche Kinder wachsen sukzessive aus ADHS-bezogenen Einschränkungen heraus, sobald sie das Jugendalter erreicht haben. Für sie ist die ADHS mehr oder weniger eine Entwicklungsverzögerung. In den meisten Fällen verbessert sich die hyperaktive und/oder impulsive Symptomatik im Jugendalter, während die Aufmerksamkeitsprobleme bestehen bleiben und sich sogar verschlimmern können. Nach dieser Zeit finden einige Menschen mit ADHS ein Arbeitsverhältnis und einen Lebensraum, in dem sie ihre Stärken nutzen und Wege finden können, ihre kognitiven Schwächen zu kompensieren.

9

Die Probleme der Exekutivfunktionen sind hauptsächlich im präfrontalen Kortex verankert.

Die Entwicklung bestimmter kortikaler Regionen ist bei Menschen mit einer ADHS in folgenden Merkmalen auffällig: in der Dichte des Rindengewebes, manchen Charakteristiken der parietalen und zerebellaren Regionen, den basalen Ganglien und in den Strängen aus weißer Materie, welche wichtige Hirnregionen verbinden.

|21|10

Emotion und Motivation spielen für die ADHS-relevanten Exekutivfunktionen keine Rolle.

Ältere Studien und diagnostische Kriterien der ADHS beachten kaum die Rolle von Emotion und Motivation. Einige Studien konzentrierten sich ausschließlich auf die Probleme vieler Menschen mit ADHS, ihre Emotionen zu regulieren. Einige Befunde verdeutlichen aber auch, dass bei Menschen mit ADHS chronische emotionale und motivationale Defizite bestehen. Diese Defizite stehen mit dem Belohnungssystem im Gehirn der Menschen mit ADHS im Zusammenhang. Dies zeichnet sich durch Auffälligkeiten im „Abfeuern“ von Dopamin im Belohnungssystem aus; das erschwert es ihnen, die Motivation für Aufgaben, die keine unmittelbare und andauernde Verstärkung beinhalten, aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

11

Die Problematik der Exekutivfunktionen entsteht nur, wenn eine ADHS vererbt wurde.

Es gibt viele Wege, wie Exekutivfunktionen gestört werden können: traumatische Hirnverletzungen, Schlaganfälle und Alzheimer-Demenz. ADHS-bedingte Störungen der Exekutivfunktionen sind anders. Eine Reihe von Bildgebungsstudien haben gezeigt, dass Kinder und Jugendliche mit einer ADHS im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen eine Entwicklungsverzögerung der Infrastruktur der Exekutivfunktionen von drei bis fünf Jahren aufweisen. In manchen Fällen halten diese Verzögerungen bis ins Erwachsenenalter an.

12

Exekutivfunktionen der ADHS sind üblicherweise nur während des Schulalters problematisch. Sobald der Mensch die Schule verlassen hat, sind die Störungen der Exekutivfunktionen kaum noch ein Problem.

Störungen der Exekutivfunktionen, in Verbindung mit der ADHS, werden oft erst im Grundschulalter bemerkt, da Leistungs- und verhaltensbezogene Anforderungen innerhalb des Klassenzimmers schwierig zu bewältigen sind. Kinder mit einer ADHS meistern diese Anforderungen in den ersten Schuljahren recht gut, merken später jedoch, dass ihre Exekutivfunktionen dem stetig wachsenden Bedarf an Selbstkontrol|22|le und der Bewältigung komplexerer Aufgaben in die Quere kommen. Studien mit Kindern und Jugendlichen mit ADHS weisen jedoch darauf hin, dass auch lange nach der Schulzeit viele Probleme im Beruf, in den sozialen Beziehungen, im Schlafmuster, im Familienleben, im Strukturieren des Haushaltes, im Fahrvermögen und in vielen anderen Anforderungen des Alltags aufweisen.

13

Die neue Sichtweise der ADHS unterscheidet sich völlig von der alten.

Die neue Sichtweise der ADHS unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von älteren Modellen der Störung, die sie hauptsächlich als Cluster von Verhaltensproblemen interpretiert haben. Die neue Sichtweise betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Jugendliche und Erwachsene. Dennoch gibt es substanzielle und wichtige überlappende Merkmale der alten und der neuen Sichtweise. Viele Menschen, die die Diagnosekriterien der neuen Sichtweise erfüllen, täten dies auch nach der alten Sichtweise. Die alte Sichtweise ist deshalb überholt, weil sie nicht die Breite, die Komplexität und die Langlebigkeit des Syndroms einfangen kann.

14

Die ADHS tritt hauptsächlich bei Männern und selten bei Frauen auf.

Durchschnittlich werden pro Mädchen drei Jungs mit einer ADHS diagnostiziert. Jungs fallen mutmaßlich deshalb häufiger auf, da die Probleme von Lehrkräften und Eltern als besonders störend empfunden werden. Laut epidemiologischen Studien liegt das Verhältnis im Erwachsenenalter bei 1,6 Männern pro Frau. In Kliniken, die eine ADHS im Erwachsenenalter diagnostizieren, ist das Geschlechterverhältnis relativ ausgeglichen. In der Kindheit oder im Jugendalter diagnostizierte Mädchen leiden, so scheint es, an der genau gleichen Problematik wie Jungs. Es ist derzeit nicht bekannt, ob die Prävalenzrate sich ändern wird, wenn epidemiologischen Studien die Sichtweise, wie sie in Kapitel 2 beschrieben wird, zugrunde liegt. Da die neue Sichtweise hauptsächlich auf kognitive Störungen anstatt auf störendes Verhalten fokussiert ist, nähert sich das Geschlechterverhältnis an. Manche Studien mit Erwachsenen, die Einschätzskalen verwendeten, fanden kaum einen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern.

|23|15

Wenn ein Mensch mit einer ADHS in der Kindheit hyperaktiv und impulsiv ist, wird das auch im Erwachsenenalter der Fall sein.

Bei vielen Menschen mit einer ADHS liegt eine extreme Hyperaktivität oder Impulsivität in der Kindheit oder darüber hinaus vor. Ein erheblicher Prozentsatz der Menschen, die hyperaktiv und impulsiv in der Kindheit sind, wächst aus dieser Symptomatik bis zum frühen Jugendalter heraus. Dennoch bleiben Probleme bei der fokussierten und dauerhaften Aufmerksamkeit, dem Strukturieren und Beginnen von Aufgaben, der Emotionskontrolle, dem Arbeitsgedächtnis usw. bestehen und verschlimmern sich oft sogar mit dem Eintritt ins Jugend- und Erwachsenenalter.

16

ADHS-bezogene Störungen der Exekutivfunktionen entstehen hauptsächlich aus einer „chemischen Unausgeglichenheit“ im Gehirn.

Der Begriff „chemische Unausgeglichenheit im Gehirn“ wirdhäufig verwendet, um die Problematik der ADHS zu erklären. Dies suggeriert, dass sich chemische Substanzen in der zerebralen Rückenmarksflüssigkeit, welche das Hirn umgibt, in zu hoher Konzentration befindet. Diese Annahme ist schlichtweg falsch. Störungen der ADHS liegt kein globaler Exzess oder der Mangel einer bestimmten Chemikalie im und um das Gehirn zugrunde. Primär liegt das Problem in der Herstellung, der Freisetzung und der Verfügbarkeit von Chemikalien an den Synapsen; Synapsen sind die Trillionen unendlich kleinen Verknüpfungen von Neuronen, die wichtige Aufgaben im Management-System des Hirns übernehmen. Das Gehirn ist im Grunde ein riesiges elektrisches System mit multiplen Untersystemen, die stets miteinander kommunizieren müssen, um Aufgaben zu bewältigen. Dieses System funktioniert auf der Basis von schwachen elektrischen Impulsen, die Nachrichten von einer Nervenzelle zur nächsten in einem Bruchteil von Sekunden übertragen. Diese Nervenzellen sind jedoch nicht physisch verbunden; an jedem Verbindungspunkt gibt es Lücken. Diese Lücke muss ein elektronischer Impuls überspringen, um Nachrichten von einer Nervenzelle zur anderen zu bringen. Die Ankunft dieser Impulse verursacht winzige „Mikropunkte“ eines freisetzenden Neurotransmitters. Menschen mit einer ADHS tendieren dazu, nicht genug dieser wesentlichen Chemikalien freizusetzen, oder sie zu schnell freizusetzen und nachzuladen, sodass keine ausreichende Verbindung entstehen konnte. Eine Pharmakotherapie verbessert diesen Prozess.

|24|17

Es gibt keine Unterschiede in der Entwicklung und Funktionsfähigkeit des Gehirns zwischen Menschen mit ADHS-bezogenen Problemen der Exekutivfunktionen und Menschen ohne ADHS.

Bildgebungsverfahren haben eine Reihe an Belegen für eine unterschiedliche Entwicklung des Gehirns zwischen Menschen mit und ohne ADHS gefunden. So gibt es, obwohl die meisten Facetten der Hirnentwicklung bei Kindern mit und ohne ADHS identisch sind, mehrere spezifische Hirnregionen, die drei bis fünf Jahre länger benötigen, bis sie sich bei Kindern mit ADHS voll entwickeln; diese Regionen sind besonders für den Bereich der Exekutivfunktionen von Bedeutung. Facetten, die sich unterscheiden, beziehen sich auf die Dichte des Rindengewebes, die globalen Reduktionen der grauen Substanz und die Art der Vernetzung in Hirnregionen im Bereich der weißen Substanz. Daraus resultieren eine weniger effiziente Kommunikation zwischen bestimmten Hirnregionen und Unterschiede in der Oszillationsrate der neuroelektrischen Aktivität, die für die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Hirnregionen ebenfalls entscheidend ist. Menschen mit und ohne ADHS unterscheiden sich auch in der Fähigkeit, aus dem Ruhenetzwerk entstehende Oszillationen zu unterdrücken und diesen Zustand aufrechtzuerhalten, um Daueraufmerksamkeit herzustellen.

18

ADHS ist in manchen Fällen heilbar, sodass danach keine weitere Therapie notwendig ist.

Durch eine medikamentöse Behandlung ist die ADHS nicht heilbar. Sie gleicht nicht dem Einsatz von Antibiotika, die einen Infekt heilen, wenn sie gewissenhaft einige Tage oder Wochen eingenommen werden. ADHS-Medikamente funktionieren eher wie Brillen, die das Sehvermögen von Menschen verbessern oder sogar normalisieren, wenn sie getragen werden, aber nicht die Augenkrankheit heilen. Wenn die Brille abgenommen wird, tritt das Problem wieder auf. Der Großteil der zurzeit verfügbaren ADHS-Medikamente wirkt zwei bis zwölf Stunden und verliert dann stetig an Wirkung. Manche Menschen, die diese Medikamente einnehmen, stellen fest, dass sie sie ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu nehmen brauchen; sie sind in der Lage, auch ohne die Medikamente den Umständen entsprechend gut zu funktionieren. Dies liegt manchmal an einer altersbedingten neurobiologischen Reifung, wobei diese Prozesse bei Kindern mit ADHS etwas langsamer ablaufen. In anderen Fällen |25|ist diese Verbesserung auf eine veränderte Situation zurückzuführen: eine unterstützende Lehrkraft, ein weniger anspruchsvoller Job oder neue Ressourcen. Solche Verbesserungen ohne Medikation können temporär oder dauerhaft auftreten.

19

ADHS ist primär ein Problem in den USA.

Lange Zeit hat man angenommen, dass die ADHS ein spezifisches Problem der USA sei, da die Prävalenz in anderen Ländern wesentlich niedriger war. Es wurde jedoch deutlich, dass viele dieser Daten durch unterschiedliche diagnostische Kriterien verzerrt waren. Neuere Studien, die das Auftreten von ADHS auf der Basis ähnlicher diagnostischer Kriterien vergleichen, weisen auf etwas niedrigere, aber ähnliche Raten in vielen Ländern hin, auch wenn sich Kulturen und wirtschaftliche Lage unterscheiden. Eine Metaanalyse von 102 Studien und 171 000 Kindern aller Regionen der Welt ermittelte eine Prävalenz von 5,29 % für Kinder bis maximal 18 Jahre. Nur wenige Studien außerhalb der USA ermitteln die Prävalenzrate der ADHS bei Erwachsenen, da viele Länder die ADHS bei Erwachsenen noch nicht als Störung anerkennen. Nach aktuellen Schätzungen für die USA auf der Basis der DSM-5-Kriterien weisen 9 % aller Kinder und Jugendlichen und 4,4 % der Erwachsenen eine ADHS auf.

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Die zur Behandlung ADHS-bezogener Exekutivfunktionsstörungen verwendeten Stimulanzien machen stark abhängig und bergen ein erhebliches kardiovaskuläres Risiko.

Stimulanzien werden am häufigsten zur ADHS-Behandlung eingesetzt; manche Medikamente sind seit den 1930er-, andere seit den 1950er-Jahren verfügbar. Neuere Formen basieren auf denselben Inhaltsstoffen wie die ursprünglichen Medikamente. In den USA sind Stimulanzien als Medikamente mit einem Suchtpotenzial klassifiziert. Dies liegt daran, dass diese Mittel, wenn sie in exzessiver Menge eingenommen werden, stark suchterzeugend wirken. Die Daten zeigen jedoch, dass das Risiko extrem niedrig ist, solange die Mittel oral und nicht intravenös eingenommen werden. Große Studien mit Stimulanzien zeigen auch, dass ernste kardiovaskuläre Probleme, wie gefährlich hoher Blutdruck, Herzinfarkte oder Schlaganfälle, nicht häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung.

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Dosis und Timing der medikamentösen Behandlung sind bei Menschen in ähnlichem Alter und bei ähnlichem Körpergewicht gleich.

Obwohl manche Medikamente in einer Dosis an Alter, Gewicht und Ausprägung der Symptomatik angepasst verschrieben werden können, ist dies bei Stimulanzien nicht der Fall. Die Feinregulation von Dosierung und Timing der Einnahme ist sehr wichtig, da die optimale Dosis vom Körper des Patienten abhängt. Üblicherweise muss dies über Trial and Error ermittelt werden, wobei mit einer sehr niedrigen Dosierung begonnen und sukzessive erhöht wird, bis Nebeneffekte eintreten oder die maximale Dosis erreicht ist. Oft muss die Dosierung morgens höher sein und über den Tag reduziert werden – aber manchmal funktioniert auch das Gegenteil ideal. Manche Jugendliche und Erwachsene brauchen niedrigere Dosierungen, als für junge Kinder verschrieben werden; manche junge Kinder brauchen höhere Dosierungen als ihre Gleichaltrigen.

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Es gibt keine Belege, dass ADHS-Medikamente die Exekutivfunktionsstörungen tatsächlich verbessern oder nachhaltig wirken.

Erstens: Bildgebungsstudien haben gezeigt, dass Stimulanzien folgende Bereiche verbessern: Aufmerksamkeit, funktionelle Verbindungen zwischen exekutivfunktionsrelevanten Hirnregionen, Arbeitsgedächtnis, die empfundene Langeweile während der Aufgabenbearbeitung und Normalisierung der strukturellen Abnormitäten in bestimmten Hirnregionen.

Zweitens: Experimente, welche die Leistungsfähigkeit von Kindern mit ADHS mit Kontrollgruppen oder Kinder nach einer Medikamenteneinnahme mit einer Placebogruppe verglichen, zeigten, dass Kinder nach der Einnahme einer angemessenen Dosis auffälliges Verhalten im Klassenzimmer reduzieren. Experimente belegten auch, dass die Medikamente Menschen mit einer ADHS helfen, ihre Geschwindigkeit und Genauigkeit beim Lösen arithmetischer Aufgaben zu optimieren; die Medikamente verbessern die Ausdauer beim Lösen frustrierender Aufgaben, das Arbeitsgedächtnis und die Motivation, Aufgaben in angemessener Weise zu bewältigen. Diese Ergebnisse bedeuten nicht, dass alle Kinder mit solchen Medikamenten solche Resultate erzielen, sich aber im Durchschnitt bedeutsam verbessern.

|27|Drittens: Eine große Anzahl an klinischen Studien verglich die Effektivität von ADHS-Medikamenten mit Placebos und zeigte, dass diese Medikationen (sowohl Stimulanzien als Nichtstimulanzien) den meisten ADHS-Patienten helfen. Die meisten Studien benutzten die diagnostischen Kriterien des DSM-IV (Vgl. Kap. 2).

Auch wenn Medikamente nur kurzfristig wirken, sind bessere Leistungen im Klassenzimmer und in Tests zu beobachten; zudem sinkt die Rate der Schulabbrecher, und mehr erfolgreiche Schulabschlüsse werden erreicht. Zudem können Lernprozesse optimiert werden.

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ADHS-Medikamente stellen für Vorschulkinder ein Risiko dar.

Auch wenn viele Kinder mit ADHS keine gravierenden Probleme bis zum Grundschulalter haben, tritt Problemverhalten schon bei manchen Vorschülern zwischen drei und sechs Jahren auf. Ein Großteil der Vorschulkinder mit mittelschwerer bis schwerer ADHS kann deutlich von einer Stimulanzienbehandlung profitieren. In dieser jüngeren Altersgruppe sind Nebeneffekte etwas verbreiteter als bei älteren Kindern, auch wenn sie minimal sind. 2012 empfahl die American Academy of Pediatrics, dass Kinder zwischen vier und fünf Jahren mit einer massiven ADHS-Problematik zunächst mit Verhaltenstherapie und, falls diese innerhalb der ersten neun Monate nicht erfolgreich war, dann mit Stimulanzien behandelt werden sollten.

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Es gibt keine Belege, dass eine medikamentöse ADHS-Behandlung den Schulerfolg verbessert.

Längsschnittstudien haben gezeigt, dass Kinder mit ADHS häufiger schwächere Lesefähigkeiten besitzen, weniger häufig weiterführende Schulen besuchen, häufiger unentschuldigt die Schule schwänzen und sitzenbleiben; sie werden von ihren Lehrkräften als schwächer bewertet und brechen (unabhängig von ihrer Intelligenz) häufiger die Schule ab.

Mit Stimulanzien behandelte Kinder erzielen bessere Werte im Bereich Lesen und schwänzen seltener die Schule. Zusätzliche Faktoren, wie das Bildungsniveau der Eltern oder komorbide Störungen, wirken sich auch auf diese Ergebnisse aus. Vor allem |28|Aufmerksamkeitsprobleme zwischen Kindergarten und dem zwölften Lebensjahr führen zum Schulabbruch in der Oberstufe.

Die Dauer der medikamentösen Behandlung wirkt sich ebenfalls auf das Ergebnis aus. Schüler mit einer ADHS, die Medikamente für mindestens ein Jahr erhielten, erzielten bessere Werte in standardisierten Lese-, Schreib- und Mathematiktests und bessere Zeugnisnoten als Kinder mit einer ADHS, die keine solche Dauerbehandlung erhielten. Eine andere Studie demonstrierte, dass Kinder mit ADHS, deren Behandlung vor Schulbeginn startete, durchschnittlich besser in der Schule abschnitten als Kinder, deren Behandlung erst später in ihrer schulischen Laufbahn begann.

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Psychosoziale Maßnahmen sind genauso effektiv wie ADHS-Medikamente.

Vergleicht man Verhaltensmodifikationen und kognitive Verhaltenstherapie mit purer medikamentöser Behandlung, dann kommt dieser eine entscheidende Rolle am Behandlungserfolg zu. Eltern und Lehrkräften von jungen Kindern mit einer ADHS Techniken der operanten Konditionierung beizubringen, reduziert störendes Verhalten und verbessert Aufmerksamkeit gegenüber Aufgaben. Dennoch scheinen psychosoziale Maßnahmen Problemverhalten am nachhaltigsten zu verändern, wenn die medikamentöse Behandlung konsequent beibehalten wird. Darüber hinaus konnte nicht belegt werden, dass eine Verhaltenstherapie kognitive Störungen, zum Beispiel im Bereich des Arbeitsgedächtnisses oder der Daueraufmerksamkeit, verbessert.

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Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen oder andere psychische Probleme sind bei Menschen mit einer ADHS nicht wahrscheinlicher als bei Gleichaltrigen.

Mehrere epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Kinder und Erwachsene mit ADHS häufiger eine oder mehrere zusätzliche psychische und/oder Lernstörungen entwickeln, verglichen mit Menschen ohne eine ADHS. Eine Metaanalyse von 21 Studien zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit von Angststörungen, Depressionen oder oppositionellem Verhalten bei Kindern mit ADHS etwa 3- bis 10,7-mal (je nach Störung) höher ist als bei Kindern ohne ADHS. Unter Erwachsenen mit einer ADHS ist |29|die Wahrscheinlichkeit, eine weitere psychische Störung bis zum 44. Lebensjahr zu entwickeln, mehr als sechsmal so hoch wie bei Erwachsenen ohne eine ADHS. Diese erhöhten Raten für komorbide Störungen bei Menschen mit ADHS können teilweise auf genetische Faktoren zurückgeführt werden. Da jedoch die Probleme der Exekutivfunktionen auch bei vielen anderen Lern- und psychischen Störungen auftreten, könnte ADHS eine Störung sein, die vielen anderen zugrunde liegt.

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Lernstörungen wie Legasthenie, Dyskalkulie und Störung des schriftlichen Ausdrucks stehen nicht mit ADHS in Beziehung. Diese Störungen brauchen eine gezielte pädagogische Förderung und keine medikamentöse Behandlung.

Lernstörungen wie Legasthenie, Dyskalkulie und Störung des schriftlichen Ausdrucks wurden über Jahrzehnte als komplett unabhängig von ADHS betrachtet. Neuere Studien zeigen, dass die mit der neuen ADHS-Sichtweise verbundenen Probleme der Exekutivfunktionen eine wichtige Rolle bei jeder primären Lernstörung spielen. Kinder mit ADHS entwickeln häufiger eine oder mehrere dieser Lernstörungen. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, sich mit der Aufgabe zu beschäftigen und das Arbeitsgedächtnis optimal zu nutzen, ist entscheidend für gute Leistungen im Bereich der Sprache und Mathematik. Viele Schüler mit einer ADHS haben schlechte Schulleistungen. Bei manchen sind die Probleme so groß, dass die Diagnose „Lernstörung“ gerechtfertigt erscheint.

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Die meisten Kinder mit einer ADHS zeigen zusätzlich oppositionelles Verhalten, was üblicherweise zu dissozialem Verhalten führt.

Unter Kindern mit einer ADHS schwankt die Inzidenzrate von Störung mit oppositionellem Verhalten von 40 bis 70 %; diese hohen Raten treten bei ADHS, aber nicht bei einer Aufmerksamkeitsstörung auf. Oppositionelles Verhalten zeigt sich als ungehorsames, trotziges und/oder aggressives Verhalten gegenüber Autoritäten. Es geht oft mit Schwierigkeiten der Wutkontrolle einher und schließt impulsive Reaktionen bei Frustrationen mit ein. Typischerweise setzt oppositionelles Verhalten ab dem zwölften Lebensjahr ein, hält für circa sechs Jahre an und nimmt dann mehr und mehr ab. |30|Mehr als 70 % der mit dieser Störung diagnostizierten Kinder erfüllen niemals die diagnostischen Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens, die häufig einen Vorläufer dissozialen Verhaltens darstellt.

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Zwangsstörungen sind selten mit einer ADHS verknüpft.

Neue Studien belegen, dass Zwangsstörungen nicht in die Gruppe der Angststörungen gehören, sondern es sich primär um eine Störung der Inhibitionsfähigkeiten handelt, die den betroffenen Menschen erheblichen Stress verursachen. Betroffene kommen von festgefahrenen Sorgen oder Aktivitätenmustern nicht mehr los und haben große Schwierigkeiten, sich anderen Dingen zu widmen. Sie weisen erhebliche Schwierigkeiten auf, das große Ganze zu sehen. Unter Kindern und Jugendlichen mit einer Zwangsstörung weisen 26 bis 59 % eine ADHS auf.

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Es wurde ein Gen gefunden, das erklärt, warum Menschen mit ADHS Probleme mit Exekutivfunktionen aufweisen.

Trotz intensiver genetischer Forschung wurde noch kein einzelnes Gen oder Gene als Ursache der ADHS oder einzelner ADHS-Symptome gefunden. Neue Forschung hat zwei Auffälligkeiten identifiziert, die mit der ADHS verknüpft sind, jedoch nicht kausal interpretiert werden dürfen. Diese genetischen Auffälligkeiten sind vielversprechend auf der Suche nach genetischen Faktoren, die zur ADHS beitragen. Vermutlich ist die Komplexität der Störung nur durch Marker an Genen erklärbar, wobei jedes einzelne Gen nur einen kleinen Beitrag zur Entwicklung der ADHS leistet.

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Wenn Kinder oder Jugendliche mit einer ADHS mit Stimulanzien behandelt werden, sind sie gefährdet, eine Suchterkrankung zu entwickeln.

Es gibt stichhaltige Belege, dass ein Kind mit einer ADHS im Vergleich zu Gleichaltrigen eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit besitzt, eine Suchterkrankung zu entwi|31|ckeln. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle Menschen mit ADHS irgendwann suchtkrank werden. Die am häufigsten missbrauchten Substanzen sind Zigaretten, Marihuana und Alkohol. Das erhöhte Risiko einer Suchterkrankung scheint sowohl aus einer genetischen Vulnerabilität als auch aus einer chronischen Überforderung, mit den schulischen Anforderungen klarzukommen, zu resultieren. Eine effektive medikamentöse Behandlung der ADHS reduziert das Risiko einer Suchterkrankung.

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Eine Autismus-Spektrum-Störung und ADHS sollten nicht als

Kombi-Diagnose vergeben werden, da die Störungen völlig unterschiedlich behandelt werden müssen.

Obwohl die diagnostischen Kriterien der ADHS im DSM-IV fordern, dass eine ADHS-Diagnose nicht bei Menschen mit Autismus oder einer tief greifenden Entwicklungsstörung vergeben werden darf, wurde diese Anforderung von vielen klinischen und einigen epidemiologischen Studien angezweifelt. Studien haben gezeigt, dass viele Menschen mit einer ADHS auch Merkmale einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) aufweisen und eine solche zusätzlich diagnostiziert werden darf. Studien haben überdies gezeigt, dass ADHS-Medikamente auch Menschen mit ASS dabei helfen können, ADHS-bezogene Schwächen zu lindern. Darüber hinaus helfen ADHS-Medikamente Menschen mit ASS und einer ADHS auch dabei, einige Probleme in der sozialen Interaktion und bezogen auf empathisches Verhalten zu reduzieren.

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Ein Schlafmangel verursacht oft die mit einer ADHS verbundenen Probleme der Exekutivfunktionen.

Die chronischen Probleme der Exekutivfunktionen bei ADHS werden nicht durch einen unzureichenden Schlaf verursacht. Für die meisten von ADHS Betroffenen sind die Probleme der Schlafregulation und des nächtlichen Durchschlafens belastend. Ein Großteil der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS hat Probleme, zu einem festgelegten Zeitpunkt einzuschlafen, morgens diszipliniert aufzustehen und die Morgenroutine zu beginnen. Viele Betroffene haben auch Schwierigkeiten, über den Tagesverlauf vigilant zu sein, insbesondere wenn sie sich nicht bewegen oder viel reden können.

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Die ADHS-Problematik hält manchmal bis ins Erwachsenenalter an, aber dann lässt sie häufig bis zum mittleren Lebensalter nach.

Die Problematik der ADHS wird dann besonders auffällig, wenn die Alltagsanforderungen nicht erfüllt werden können und die Potenziale dazu nicht ausreichen. Idealerweise sollte ein Erwachsener mit ADHS einen Job haben, der zu seinen Talenten passt, und am Arbeitsplatz sollten Kollegen in der Lage sein, die für Menschen mit ADHS schwierigen Funktionen zu übernehmen. Wird jedoch ein Beruf ausgewählt, wo diese Bedingungen nicht gegeben sind, können die ADHS-Probleme noch viel deutlicher in den Vordergrund rücken. Ähnlich verhält es sich in der Partnerschaft; übernimmt der Partner/die Partnerin Aufgaben, die für Menschen mit ADHS schlecht bewältigt werden können, wird der Alltag befriedigend ablaufen und der Betroffene in anderer Weise angemessene Aufgaben übernehmen können. Fällt die Unterstützung durch Krankheit, Trennung, Scheidung oder Tod weg, wird der Mensch mit ADHS plötzlich mit vielen Problemen konfrontiert, die er sehr schwer bewältigen kann. Obwohl viele Menschen erleben, dass ihre ADHS mit dem Älterwerden weniger problematisch wird (z. B. aufgrund des Wegfalls von Anforderungen), gibt es viele, die damit lebenslang Probleme haben. Viele Menschen mit ADHS behalten ihre funktionellen Störungen bis weit ins mittlere Alter und oft darüber hinaus. Zusätzlich können körperliche Veränderungen ein spätes Auftreten ADHS-ähnlicher Probleme verursachen (z. B. bei Frauen während und nach den Wechseljahren). Die ADHS-Problematik im mittleren und späteren Alter wurde bis jetzt noch nicht hinreichend erforscht.

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ADHS ist nur eine von vielen psychischen Störungen.