Agenten aus Dreamland - Caitlín R. Kiernan - E-Book
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Agenten aus Dreamland E-Book

Caitlín R. Kiernan

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Beschreibung

Agenten aus Dreamland ist eine Lovecraft'sche Horrornovelle aus der Feder von Caitlín R. Kiernan, mehrfach ausgezeichnet für herausragende Werke im Horror-Genre. Ein als der Bahnwärter bekannter Regierungsagent steigt an einem extrem heißen Morgen in Winslow, Arizona, aus einem Zug. Wenig später trifft er sich mit einer Frau in einem Diner, um Informationen über ein Ereignis auszutauschen, das sie sich beide nicht erklären können. Auf einer Ranch am Ufer des Salton Sea versammelt ein Sektenführer die Schwachen und Leichtgläubigen – die Kinder des Next Level – und bietet ihnen eine Vision der Zukunft an, bei deren Verwirklichung sie helfen sollen. Einen Tag nach den Ereignissen auf der Ranch verliert das Johns Hopkins Laboratory die Verbindung zur interplanetaren NASA-Sonde New Horizons. Etwas jenseits der Umlaufbahn des Pluto hat Kontakt aufgenommen. Und eine außerhalb der Zeit schwebende Frau sucht in der Zukunft wie in der Vergangenheit nach Antworten, die die Menschheit retten könnten. Publishers Weekly: »Kiernans subtile, eindringliche Stimme zieht den Leser in ihren Bann.« Alle fünf Bände der 24er-Ausgabe von Cemetery Dance Germany SELECT sind von Vincent Chong illustriert, haben illustrierte Vor- und Nachsatzpapiere sowie 3 Innenillustrationen. HINWEIS Gesamtausgabe & Farbschnitt: Die fünf Bände von Cemetery Dance Germany SELECT '24 - LOVECRAFTIAN VIBES sind ebenfalls als Gesamtausgabe im Sammlerschuber erhältlich. Die Hardcover der ersten Auflage der Gesamtausgabe werden einen digitalen Farbschnitt erhalten. Ein bestehendes CDG-SELECT-Abo (direkt beim Verlag) zählt ebenfalls in Bezug auf die erste Auflage der Gesamtausgabe mit Farbschnitt.

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Seitenzahl: 123

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AgentenausDreamland

Tinfoil Dossier, Buch 1

von Caitlín R. Kiernan

Illustriert von

Vincent Chong

Aus dem Amerikanischen von

Tim Lemke

Grimma

Buchheim Verlag

2024

Deutsche Erstausgabe

ISBN: 978-3-946330-39-4

ISBN E-Book: 978-3-946330-40-0

ISBN Schuberausgabe: 978-3-946330-45-5

© 2024 Buchheim Verlag, Olaf Buchheim, Grimma

Alle Rechte vorbehalten

Cover & Illustrationen: Vincent Chong

Lektorat: Dr. Frank Weinreich

Satz im Verlag

www.buchheim-verlag.de

www.cemeterydancegermany.com

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

AGENTS OF DREAMLAND

Copyright © 2017 by Caitlín R. Kiernan

Published by Arrangement with Caitlín R. Kiernan c/o WRITERS HOUSE LLC, 120 Broadway, 22nd Floor, NEW YORK, NY 10271 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Agenten aus Dreamland

Tinfoil Dossier, Buch 1

INHALT

1. Oddfellows Local 171 (9. Juli 2015)

2. Rückwärts geschriebene Worte (29. Juni 2015)

3. Nullsumme Gethsemane (10. Juli 2015)

4. Ein Stück Himmel (17. August 1968)

5. Der letzte König der Landstreicher (Shining Road, 10. Juli 2015)

6. Der Anfang nach dem Ende (2. Juli 2015)

7. All Along the Watchtower / Midnight City (1927, 1979, 2015, 2043 et cetera)

8. Noch nicht erforscht (4. Juli 2015)

9. Das Puppenmotel (11. Juli 2015)

10. Die Verzückung als niedere Burleske (3. Juli 2015)

11. Gemeiner unterirdischer Endzeit-Blues (Revisited)

Autoren

Illustrator

Für Kathryn

Letzten Endes muss man verstehen, dass eine Antwort nicht das Gleiche ist wie eine Lösung, und eine Geschichte manchmal nur eine Ausrede.

Nic Pizzolatto

1.

Oddfellows Local 171(9. Juli 2015)

Hier das Szenario: Es ist Donnerstagabend und der Bahnwärter sitzt rauchend und eine abgestandene Dr. Pepper Zero trinkend da und gestattet es sich, einen kleinen Seufzer der Erleichterung auszustoßen, weil die Abenddämmerung endlich und gnädigerweise über die Wüste hereinbricht. Der Himmel über der West Second Street erstrahlt, als wäre es wieder 1945 und das Manhattan Project hätte aus Versehen die Trinity-Explosion einen Staat vom White Sands Proving Ground entfernt ausgelöst.

Oder, so denkt er, als wäre dies jener Moment fünfzigtausend Jahre zuvor, als ein gigantischer Meteorit aus Nickel und Eisen Herden von Mastodons, Pferden und riesigen Bodenfaultieren hat verdampfen lassen, gerade mal sechzehn Meilen südwestlich von diesem schäbigen kleinen Diner mit seinen rissigen Kunstledersitzen und den fliegenübersäten Fenstern. Beide Vergleiche passen für den Bahnwärter, so oder so setzt die Nacht ein. So oder so sind das alles nur Gedankenspiele. Er sieht wieder auf die Armbanduhr, erkennt, dass nur sieben Minuten seit dem letzten Mal vergangen sind, dann schaut er wieder durch die Fensterscheibe, wo Schatten und Feuer um die Kontrolle über die schmutzige, sonnenverbrannte Seele von Winslow, Arizona, kämpfen. Sein unfreundliches Gesicht starrt ihn aus der Scheibe heraus an, locker zehn Jahre älter als das Datum auf seiner Geburtsurkunde. Er flucht, drückt die Zigarette aus und zündet sich eine neue an.

Es geht nicht darum, dass sie zu spät ist. Es geht darum, dass der Zug aus L. A. ihn um 6:39 Uhr in dieser Grube voller Skorpione und Navajo-Nippes ausgespuckt hat, und die Gegend schon um 7:15 Uhr jeglichen Ödland-Charme, den sie vielleicht mal hatte, verlor. Was zur Hölle soll man schon zu einem Ort sagen, dessen einziger Ruhm darin besteht, mal in einem Eagles-Song erwähnt worden zu sein? Er hat ein Zimmer im La Posada, dem gefeierten Mary-Colter-Meisterwerk aus Terrakotta und Stuck, merkte dann aber, dass er nicht schlafen konnte. Er hat das Radio angestellt und versucht, ein Buch zu lesen, konnte sich jedoch einfach nicht konzentrieren und las den gleichen Absatz immer wieder. Also geisterte der Bahnwärter den ganzen Tag über die Gehsteige – ruhelos, schwitzend, halb blind von der Sonne, latschte er die Sohlen seiner JCPenney-Oxfords ab und kehrte immer mal wieder irgendwo auf eine Limo ein, um dann erneut in die Hitze zurückzukehren. Er wäre gerne betrunken gewesen, musste aber nüchtern bleiben. Die glühend heiße Luft stank nach Staub und Kreosot, und er sah den örtlichen Polizisten dabei zu, wie sie ihn beobachteten, während ihre Gehirne wie Heuschrecken klackten. Wer ist diese Vogelscheuche in dem billigen Anzug und der Sonnenbrille, den der Southwest Chief hier auf unserer Türschwelle abgeladen hat? Wenn der lange Arm der Company nicht wäre, hätten sie ihn wahrscheinlich wegen Vagabundierens oder Landstreicherei festgenommen – oder wegen irgendwas anderem. Aber all seine Papiere sind in Ordnung, blütenrein sozusagen, wie geheim und undercover dieses Treffen auch sein mag. Albany will kein Risiko eingehen, nicht heute Nacht. Nicht wenn Y es als angemessen ansieht, jemanden wie Immacolata Sexton zu einem Treffen zu holen.

Die Bedienung kommt wieder und fragt, ob sie ihm noch etwas bringen kann; vielleicht noch einen Kaffee oder ein Stück Kuchen. »Es gibt heute Zitronenkuchen mit Baiser«, sagt sie zu ihm. Es gibt auch Blaubeerkuchen. Er findet, dass sie ein hübsches Mädchen ist, trotz der hässlichen Narbe über ihrem linken Auge. Ein hübsches Mädchen, das aus Heroica Nogales, den Slums an den Berghängen, geflohen ist, um in dieser schmierigen Gringotouristenfalle Cheeseburger und Huevos Rancheros zu servieren. Aber es ist immerhin ein Job, oder? Ein besserer jedenfalls als ihn ihre Mutter jemals hatte, eine Frau, die mit 43 Jahren gestorben ist, nachdem sie 25 Jahre lang in einer Maquiladora Designerlabel an Jeans genäht hat. Der Bahnwärter kennt die Geschichte der Bedienung, genauso wie er die Geschichten der beiden Köche und des Tellerwäschers kennt oder die Namen der drei Töchter des Inhabers. Jedes kleinste Detail, das der Bahnwärter nicht kennt, ist ein toter Winkel, eine Schwäche, die er sich nicht leisten kann und nicht zulassen wird.

»Estoy bien, gracias«, sagt er, verlangt aber nicht die Rechnung. Auf ihrem Weg zurück an die Theke blickt sie über die Schulter und er bemerkt die leichte Vorsicht in ihren Augen.

Der Bahnwärter sieht wieder auf die Uhr.

Und dann klingelt die kupferne Glocke, die über der Tür des Diners angebracht ist, und er sieht auf, während eine große, bleiche Frau von der Straße hereinkommt. Für einen Moment kommt es ihm so vor, als würde ihr etwas folgen, als ob die nahende Nacht sich in ihren Schultern verfangen hätte, sich an ihre kurzen schwarzen Haare klammert und nicht mehr loslassen will. Aber dieser Eindruck geht vorüber und er setzt sich in seinem Separee etwas aufrechter hin, zupft nervös an seiner Krawatte und nickt ihr zu. Der Bahnwärter hat genug Geschichten gehört, um ein dickes Bestseller-Taschenbuch zu füllen, aber er hat niemals erwartet, dass er dieser Frau einmal von Angesicht zu Angesicht begegnen würde. Immacolata Sexton ist weit weg von zuhause.

Sie nimmt die Sonnenbrille ab und er wünscht sich, dass sie es nicht getan hätte.

»Es gibt Kuchen«, sagt er zu ihr, als sie sich auf den Sitz ihm gegenüber setzt. »Zitronenkuchen mit Baiser. Und auch Blaubeerkuchen. Willkommen in Winslow.«

Es ist Teil seines Jobs, keine Angst zu zeigen. So steht es im Kleingedruckten.

»Ich habe Sie zuerst gar nicht gesehen«, sagt sie. »Ich habe gedacht, dass man mich vielleicht versetzt hätte.«

Sie hat einen leichten Süd-Appalachen-Akzent – Nord-Alabama oder Ost-Tennessee – und sie bewegt ihre Lippen auf komische Art und Weise, sodass sie sich fast gar nicht zu bewegen scheinen. Es ist ein bisschen so, als würde man einem Bauchredner bei der Arbeit zusehen.

»Sind Sie wirklich schon mal versetzt worden?«, fragt er und drückt die halb gerauchte Zigarette in der Untertasse aus, die er zum Aschenbecher umfunktioniert hat.

»Gelegentlich«, entgegnet sie, »aber noch nie zwei Mal von der gleichen Person.« Sie zeigt auf die Untertasse und die Zigarettenstummel. »Darf man hier rauchen?«

»Niemand hat mir gesagt, dass ich es nicht tun soll, und ich sehe auch keine Schilder. Das habe ich mal als Erlaubnis gewertet.«

Die Bedienung kommt zurück und der Bahnwärter weiß, dass, was auch immer sie sieht, wenn sie in die Augen der Agentin von Y schaut, es nicht das ist, was er sieht. Zivilisten werden immer geschont. Immacolata bestellt Kaffee.

»Ich gebe zu«, sagt sie, nachdem die Bedienung gegangen ist, »ich war skeptisch, als ich hörte, dass man Ihnen diesen Fall zugeteilt. Nach Maine und alledem. Es gibt Gerüchte, dass man Ihnen die Hauptschuld an dem Durcheinander gegeben hat. Man sagt, dass Sie es waren, der zu lange damit gewartet hat, die Lage ernst zu nehmen. Und dass Sie es waren, der die eindeutigen Vorzeichen ignoriert hat.«

»Gerüchte«, sagt er. »Gehen die heutzutage bei Barbican Estate als fundierte Informationen durch?«

Sie zuckt mit den Schultern und zündet sich eine Marlboro an; der Rauch kräuselt sich vor ihrem Gesicht. »Nun, es ist das, was ich gehört habe, das ist alles.«

Natürlich fängt sie gleich mit Maine an. Ein kurzer linker Haken, um ihn aus der Balance und von Beginn an zum Taumeln zu bringen. Als ob ihr Anblick dafür nicht schon völlig ausreichen würde. Klar, er kennt selbst genug Gerüchte, die über sie im Umlauf sind, aber der Bahnwärter weiß es besser, als damit anzufangen, sie auszuposaunen. Er weiß es besser, als irgendeine der Dutzende Fragen zu stellen, die hinter seinen Augen umherschwirren.

Ist es wahr, was man über Ihre Mutter sagt?

Über Ihren Vater?

Über Berlin und die Nacht, in der die Mauer fiel?

Er reibt sich die Augen und sieht wieder durch das breite Diner-Fenster auf die letzten glühenden Reste des Sonnenuntergangs.

Auf der anderen Straßenseite stehen vor einem geschlossenen und verrammelten Kino zwei Wachmänner wie Überbleibsel aus einer Episode von Codename U.N.C.L.E. Ihre Leute, obwohl der Deal lautete, dass jeder von ihnen allein kommt; keine Begleitung, kein Back-up, kein verdammter Fanklub. Er hat seinen Teil der Abmachung gehalten, aber scheiß drauf. Es bringt ja nichts, viel Aufhebens darum zu machen, zumindest jetzt nicht mehr. Er ist da, sie ist da, und der einzige Weg da raus, Kiddo, ist mit dem Kopf voraus bis zum Morgen. Die Bedienung aus Heroica Nogales steht wieder am Tisch, spricht mit Immacolata, serviert ihr Kaffee und er zählt die nicht enden wollenden Sekunden, bis sie wieder allein sind.

»Man kann nicht vorsichtig genug sein«, sagt sie und rührt eine Packung Süßstoff in ihre Tasse. Der Löffel schlägt laut gegen das Porzellan.

Ist es wahr, was man über die Nacht sagt, in der Sie geboren wurden?

»Nun, wie war die Reise von Los Angeles?«, fragt sie. »Es ist lange her, seit ich das letzte Mal mit dem Zug irgendwo hingefahren bin.«

»Bitte entschuldigen Sie, Ms. Sexton«, sagt er und fischt die letzte Zigarette aus dem verkrumpelten Päckchen Camel Filter, das er mittags gekauft hat. »Ich war noch nie besonders gut im Small Talk. Nehmen Sie es nicht persönlich, es ist nur …«

»Entspannen Sie sich«, sagt sie und er könnte schwören, dass ihre Stimme wie Honig fließt. »Wir sind auf der gleichen Seite, oder? Vereint durch eine gemeinsame Sache?«

Was hast du für große Augen?

»Waffenbrüder?«

»So hat man es mir zumindest gesagt«, murmelt er um den Filter herum, während er die Zigarette ansteckt. Der Bahnwärter nimmt einen tiefen Zug und behält den Rauch in der Lunge, bis seine Ohren anfangen zu brummen.

»Genau. Ich habe alles mitgebracht, was wir über Standish haben«, sagt sie und ihr Gebaren ändert sich vollständig zwischen zwei Atemzügen. Die fremdartige Kreatur, die von den langsam abkühlenden Sommergehsteigen von Winslow gekommen ist, wird plötzlich geschäftsmäßig und kommt auf den Punkt, streift mühelos die eine Maske ab und zieht eine andere auf. »Wir haben eine Million fleißige Äffchen eine Million Aktenschränke durcharbeiten lassen, seit Barbican letzte Woche sein Okay gegeben hat. Also, Sie fangen an. Zeigen Sie mir ihrs, dann zeige ich Ihnen meins.«

Was hast du für große Ohren?

Er zögert nur einige Sekunden, bevor er in die Jackentasche greift und einen braunen Umschlag hervorzieht, ungefähr 18 mal 27 Zentimeter groß, mit Schweißflecken, in der Mitte gefaltet und an den Ecken abgeknickt. »Tut mir leid«, sagt er, »das meins nicht ganz so groß wie Ihres ist, aber es gibt zu wenige Äffchen …«

»… in Hollywood?« Sie grinst süffisant. »Und das soll ich Ihnen glauben?«

Der Bahnwärter entlockt sich ein halbherziges Lächeln, öffnet den Umschlag und breitet den Inhalt auf dem Tisch zwischen ihnen aus: zehn glänzende Schwarz-Weiß-Fotos, eine Tarotkarte, ein USB-Stick und eine sehr alte Goldmünze. Auf den ersten Blick könnten die Bilder von jedem beliebigen Mordtatort stammen, aufgenommen von einem Forensik-Fotografen. Aber nur auf den ersten Blick. Immacolata sieht ihn an, drückt dann ihre Marlboro in dem Ersatzaschenbecher aus und nimmt eines der Fotos in die Hand. Sie dreht es um und untersucht kurz die Rückseite, auf die mit rotem Permanentmarker ein Datum, eine Uhrzeit und eine Fallnummer gekritzelt wurden, neben einigen henochischen Symbolen. Sie legt das Bild weg und nimmt die Tarotkarte auf.

»Die Welt«, sagt sie. »Der Tänzer soll die letzte Errungenschaft des Menschen symbolisieren, die Verschmelzung von Bewusstsein und Unbewusstem und die Vermischung dieser beiden Zustände mit dem Überbewussten. Die Welt impliziert das ultimative Stadium kosmischer Erkenntnis, das letzte Ziel, zu der alle anderen Karten – des Major Arcana natürlich – hingeführt haben. Der Übergeist.«

»Ich hoffe verdammt nochmal wirklich, dass Sie etwas mehr für mich haben als das, was man im Internet nachlesen kann.«

»Sie sind ein sehr ungeduldiger Mann«, sagt sie zu ihm.

»Wir stehen hier alle unter Zeitdruck«, entgegnet er. »New Horizons wird in fünf Tagen dem Pluto am nächsten stehen. Bitte entschuldigen Sie also meine Eile, vielen Dank und bitte, bitte.«

Immacolata legt die Karte mit dem Bild nach unten zurück auf den Tisch und nimmt ein anderes Foto. Ihm fällt zum ersten Mal auf, wie lang und feingliedrig ihre Finger sind; sie wirken fast zart genug, um wie Zweige zu zerbrechen.

Vielleicht tun sie das ja. Vielleicht werde ich es eines Tages rausfinden.

»Mein Gott«, flüstert Immacolata und leckt sich über die aschefarbenen Lippen.

Was hast du für große Zähne?

Der Bahnwärter nimmt eines der Fotos, dasjenige, auf dem sein Schatten zu sehen ist, dasjenige, auf dem eine Leiche durch eine Täuschung des Lichts zu lächeln scheint. Jedes Mal, wenn er diese Bilder ansieht, jedes Mal, wenn er sie berührt, fühlt er sich unrein. Er war mit dem Rest des Einsatzteams zur Dekontamination dort, aber er muss sich diese Andenken an die Horrorshow nur ansehen, um daran erinnert zu werden, dass manche Flecken sich sofort auf die Seele legen und sich nie wieder abwaschen lassen.

»Wie sehr ist das alles unter Verschluss?«, fragt ihn Immacolata und hebt eine Augenbraue, die so gerade und dünn gezupft ist wie der Schnitt eines Blatts Papier.

»Das hier ist alles, was es gibt«, sagt er zu ihr und zeigt auf den Inhalt des Umschlags auf dem Resopaltisch.

»Nein«, sagt sie. »Ich will nicht, dass sie alles nachplappern, was die in die Berichte geschrieben haben. Ich bin nicht hergekommen, um zu betteln.«

Der Bahnwärter starrt auf die Spitze seiner Zigarette und wünscht sich, dass das hier in einer beschissenen normalen Bar stattfände, irgendwo, wo er ein Glas Johnnie Walker Black oder J&B bekommen könnte. Sein Mund ist so trocken wie die Arroyos und die Erlösung wartet da draußen direkt hinter dem Leuchten der Halogenlaternen.