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Paul Lüdicke

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Beschreibung

Bad Mord – die üblichen Verdächtigen ermitteln Die Stadt Galgen ist viel freundlicher und lauschiger, als ihr Name besagt. Und bald soll sie sogar Kurort werden. Was sehr gut wäre für Rolf Bernstein und sein Hotel Waldfrieden. Denn um das ist's finanziell nicht unbedingt gut bestellt, und da wären zahlungskräftige Kurgäste hochwillkommen. Aber das Schicksal hat andere Pläne: eine Leiche. Im Tiefkühlhaus des Hotels. Ein Desaster! Die Existenz des Hotels steht auf dem Spiel – und damit die Jobs von Katja Krassowitz, Paul Hörl und Leon Fußangel, ihres Zeichens Gärtnerin, Koch und Rezeptionist im Waldfrieden. Die drei beginnen zu ermitteln, zuerst gegen- und bald miteinander. Und geraten immer tiefer hinein in ein Netz aus Intrigen, Affären und Rivalitäten …  Ein herrlich skurriler Krimi-Spaß! 

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Aktiv sterben

PAUL LÜDICKE stammt aus Bielefeld und hat jeden Witz über diese Stadt, genauer gesagt: den einen, den es gibt, schon tausendmal gehört. Auch deswegen ist er ausgebrochen und hat als Stangentänzer, Bienenzüchter, Einsiedler, Doppelagent und Ornithologe gearbeitet. Paul Lüdicke lebt heute unter einem Pseudonym in einer anderen Stadt, hat zwei Kinder und verdient sein Geld damit, dass er Drehbücher schreibt. 

Von dem Autor sind in unserem Hause außerdem erschienen:

Sarg niemals nie • Sarg jetzt nichts

Die Stadt Galgen ist viel freundlicher und lauschiger, als ihr Name besagt. Und bald soll sie sogar Kurort werden. Was sehr gut wäre für Rolf Bernstein und sein Hotel Waldfrieden. Denn um das ist‘s finanziell nicht unbedingt gut bestellt, und da wären zahlungskräftige Kurgäste hochwillkommen. Aber das Schicksal hat andere Pläne: eine Leiche. Im Tiefkühlhaus des Hotels. Ein Desaster! Die Existenz des Hotels steht auf dem Spiel – und damit die Jobs von Katja Krassowitz, Paul Hörl und Leon Fußangel, ihres Zeichens Gärtnerin, Koch und Rezeptionist im Waldfrieden. Die drei beginnen zu ermitteln, zuerst gegen- und bald miteinander. Und geraten immer tiefer hinein in ein Netz aus Intrigen, Affären und Rivalitäten … 

Paul Lüdicke

Aktiv sterben

Ein Kur-Krimi

Ullstein

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Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka, München

Titelabbildung: © mauritius images / © Shaun Higson / Alamy Stock Photos (Hotel); arcangel images / © Roberta Murray (Landschaft); shutterstock / © Macrovector (Brunnen) ; shutterstock / © effrosyni (Struktur)

Autorenfoto: © privat

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ISBN 978-3-8437-3054-9

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

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Cover

Titelseite

Inhalt

1

1

Klaus Kindermanns Augen waren geschlossen. Ein sanftes Surren erfüllte den Raum. Darunter lag ein leises elektrisches Brummen. Wie das lang gezogene Om der Yogis. Ein einziger langer, warmer Ton in dieser dunklen Eishölle. Nur der Knopf des Thermostats leuchtete grün, flackerte ab und zu.

Die Zeit war ein einziger kontinuierlicher Brei. Kindermann lag ganz entspannt da. Trotz der Kälte. Ganz friedlich sah er aus.

In diesem Moment öffnete sich die Tür des Kühlraums, und Hamid, der marokkanische Küchenjunge, kam herein, um den Schinken und die Käseplatte für das Frühstück zu holen. Dazu noch die Eier, die Sahne und das Obst, aus dem er gleich einen Obstsalat schnippeln würde. Und eigentlich wusste er jetzt schon, dass er später die Hälfte der großen Schüssel würde entsorgen müssen oder wieder Frau und Kind mitbringen würde. Die liebten das, aber zu viele Vitamine konnten ja auch nicht gut sein. Jeden Tag Obstsalat, immer wieder. Hamid hatte manchmal das Gefühl, als ob ihm die Fruchtsäure den Magen zerfraß. Er mochte Getreide. Kohlenhydrate. Am liebsten Waffeln. Aber am allerliebsten Waffeln mit Sahne. Eine seltsame Erfindung dieser Deutschen, das hatte es zu Hause nicht gegeben, aber Hamid liebte es. Obstsalat musste er trotzdem essen, seine Frau bestand darauf. Nun ja.

Hamid tastete nach dem Lichtschalter. Er kannte sich aus, seit vier Jahren war dies sein morgendlicher Gang, und er hätte sich sogar im Dunkeln zurechtfinden können.

Das Licht im Kühlraum ging an … Hamid riss Mund und Augen gleichzeitig auf, und dann schrie er, wie er noch nie zuvor in seinem Leben geschrien hatte.

Unberührt von diesem plötzlichen Lärm blieb einzig Kindermann.

Denn Kindermann war längst tot.

2

Die Stadt Galgen war viel freundlicher und lauschiger, als der Name es vermuten ließ. Sie hatte viel Grün, es gab Alleen, mehrere Parks, eine kleine Flaniermeile. Galgen fügte sich ganz vortrefflich in das Tal einer wunderschönen bewaldeten Hügelkette ein. Der Fluss, der sich durch den Ort schlängelte, tat sein Übriges. Es gab ein kleines Museum der Stadtgeschichte, eine überraschend gut ausgestattete kleine Bibliothek und ein paar gute Restaurants. Darunter sogar eines, das ständig kurz davor war, mit einem Stern dekoriert zu werden. Galgen war eine kleine, sympathische Stadt. Und wollte man den Gerüchten, die man allerorten aufschnappte, Glauben schenken, sollte sie bald sogar Kurstadt werden.

Das Wasser in Galgen, das aus einer unterirdischen Quelle nahe der Hügel sprudelte und dafür sorgte, dass die umliegenden Felder äußerst fruchtbar waren, war von besonderer Qualität. Es besaß eine heilende Wirkung, sagte man. Das hatte mit einer besonderen Zusammensetzung von Mineralstoffen und Spurenelementen zu tun, die von dem Salzgestein unterhalb der Hügel herrührte. Ein paar Bewohner der Stadt waren der Meinung, dass in diesem Salzgestein auch ein paar heilende Steine wie Sugilit, Turmalin oder Jaspis verborgen waren, weswegen der Anteil an Salzkristalllampen und esoterischen Läden in Galgen relativ groß war. Immer im Verhältnis zur Stadtgröße gesehen, denn Galgen war eigentlich relativ klein.

Andere Bewohner wiederum waren der Meinung, dass das besondere Wasser in Galgen daher rührte, dass im Zentrum der Stadt, neben dem Brunnen, aus dem das kostbare Nass sprudelte, früher einmal der Galgen gestanden hatte. Deswegen hieß Galgen ja auch Galgen. Vielleicht waren die Bewohner im Mittelalter, als Galgen gegründet wurde, etwas fantasielos gewesen, und ihnen war nichts anderes eingefallen. Roterde, Winterdorf, Grünaue oder Fliederbusch wären auch passende und darüber hinaus viel schönere Namen gewesen, aber sie hatten sich nun mal für Galgen entschieden. Möglich, dass die Bewohner von Galgen ein besonderes Faible für handfeste Justiz gehabt hatten. Die Stadtbücher sind da etwas uneindeutig. Jedenfalls, einem Teil der Bewohner gefiel diese Erklärung, und sie führten das besondere Wasser in Galgen auf das Blut und die Tränen, auf die Seelen und die magischen Kräfte der Gerichteten zurück.

Die Stadtverwaltung unter der Leitung von Bürgermeisterin Philine Binder-Mahnke kümmerten die genauen Ursachen für das Heilwasser wenig. Was nicht weiter verwunderlich war, denn Philine Binder-Mahnke eilte der Ruf voraus, noch nie eine klare Meinung oder Position vertreten zu haben. Genau deswegen, sagten böse Zungen, war sie auch in die Leitungsposition gespült worden, glitschig wie ein Fisch, nicht zu greifen, schwer zu attackieren. Philine Binder-Mahnke wusste: Das Wasser in Galgen war etwas Besonderes und besaß Heilkräfte. Aufgrund der besonderen Wasserqualität erwog der Fachausschuss für Kur-, Erholungs- und Tourismusorte beim Regierungspräsidium die offizielle Ernennung von Galgen zu Bad Galgen.

Bad Galgen klang nicht nur viel schöner als das wenig prosaische und profane Galgen. Wer Bad Galgen hörte, der hörte auch die Kasse klingeln und malte sich schon aus, wie das etwas marode Städtchen durch den zu erwartenden Tourismus endlich modernisiert und auf gesunde finanzielle Beine gestellt werden konnte.

Was insbesondere für das Hotel Waldfrieden galt. Das Hotel war seit Jahrzehnten im Besitz der Familie Bernstein. Von all den Bernsteins, die das Haus bislang geführt hatten, war Rolf Bernstein der am wenigsten erfolgreiche. Natürlich, das Hotel war immer schon ein bisschen zu groß gewesen. Man hätte solch ein Haus wohl eher in Cannes oder an der Côte d’Azur vermutet und nicht in einem Städtchen in der Mitte Deutschlands, obendrein abseits aller touristischen Kernregionen. Das Hotel war überdimensioniert, und bei der Sanierung vor ein paar Jahren hatte Rolf Bernstein irgendwie aufs falsche ästhetische Konzept gesetzt. Die Einrichtung wirkte nicht zeitgemäß, der Innenarchitekt war ein Kind der Achtziger gewesen. Rolf Bernstein hingegen eins der Sechziger. Und die Mischung der beiden Stile und der knappe Finanzrahmen hatten dafür gesorgt, dass das Hotel schon am Tag seiner Neueröffnung nach seiner Sanierung veraltet wirkte. Die vorherrschenden Farben waren Orange und Dunkelrot. Die Zimmer waren mit Resopalmöbeln ausgestattet, und die kleinen, aber klobigen Fernseher stammten aus den Restbeständen eines ungarischen Fernsehherstellers, der wohl zu Recht pleitegegangen war, denn auf keiner der Fernbedienungen gab es die Taste »1«.

Zudem hatte Rolf Bernstein noch ein paar weitere nicht ganz glückliche Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel den Ausbau zum Wellnesshotel. Er hatte in den vergangenen zwei Jahren noch mal massiv investiert, hatte einen Sauna-Bereich und einen Pool bauen lassen, zudem den Außenbereich hergerichtet und Massageräume geschaffen. Das Hotel Waldfrieden sollte zum Wellnesstempel werden. Doch es hatte sich nicht ausgezahlt. Es gab einfach zu wenig Touristen in Galgen. Und die, die kamen, schienen aus für Rolf Bernstein unerfindlichen Gründen das Hotel Hück am anderen Ende der Straße vorzuziehen.

Die Schulden erdrückten Bernstein. Er hatte große Mühe, die Strom-, Wasser- und Personalkosten einzuspielen und die Kredite für den Umbau und die Sanierung zu bedienen. Mit anderen Worten: Das Hotel soff allmählich ab, trotz Heilwasser.

Von alldem unbehelligt, hatte der neunzehnjährige Leon Fußangel, Concierge und Rezeptionist des Hotels Waldfrieden, auch heute wieder um Punkt sechs Uhr Stellung hinterm Empfangstresen bezogen und sein morgendliches Strahlen aufgesetzt. Leon war immer guter Laune. Er liebte seinen Beruf und genoss es, als einer der Ersten wach zu sein, die Kaffeetasse mit der albernen Ich bin der Boss-Aufschrift auf den wuchtigen braunen Empfangstresen vor sich zu stellen und für einen kurzen Moment allein mit sich und seinen Gedanken zu sein. Früher hatte Leon davon geträumt, einmal in einem mondänen Hotel in der Karibik zu arbeiten. Aber das leicht in die Jahre gekommene Waldfrieden mit seinem veralteten Chic und seinen klobigen Fernsehern, die noch aus den Achtzigern stammten, war ihm ans Herz gewachsen. Die Rezeption lag links von der schweren gläsernen Eingangstür mit einem goldenen Griff, mit der manche Gäste aufgrund ihres Gewichts so ihre Schwierigkeiten hatten. An der Fensterfront standen zwei schwere dunkelbraune Sessel, daneben ein Coffeetable, auf dem Leon immer die örtliche Zeitung auslegte. Die Wände waren grün tapeziert, was dem Ganzen einen gewissen britischen Charme verlieh. Einige Grünpflanzen, Antiquitäten und Gipsstatuen schmückten die Lobby. Aus einem für Leon immer noch nicht nachvollziehbaren Grund stand ein großer hölzerner Löwe neben der Tür, der wie ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit wirkte. Große Bilder in schweren Holzrahmen hingen an den Wänden. Es war gemütlich. Und Leon liebte seine Lobby.

Er legte die Anmeldebögen vor sich auf den Tresen. Kaffeeduft stieg ihm in die Nase.

Es war halb sieben, und ein spannender Tag lag vor ihm. Ein perfekter Moment … bis er den Schrei hörte. Er spurtete sofort los. Der Schrei war aus Richtung der Küche gekommen war. Leon war alarmiert.

Hamids Schrei war sehr laut gewesen, regelrecht mark­erschütternd. Und Leon hatte berechtigte Angst, dass die Gäste in ihrer Bettruhe gestört werden könnten. Und natürlich auch, dass sich Hamid etwas getan haben könnte. Da Leon ziemlich dünn war, waren seine Schritte auf dem dicken roten Teppich mit der Goldkante kaum zu hören …

Er stürmte in die Küche, dann eilte er weiter in den Kühlraum. Dort sah er Hamid vor der Leiche. Er blieb abrupt stehen. Ihm klappte die Kinnlade herunter, denn er erkannte sofort, wer die Leiche war: Klaus Kindermann aus Zimmer 13, der vorgestern eingecheckt hatte. Er hatte dem etwas gestresst und abwesend wirkenden Mann ein gutes Zimmer gegeben, nicht Leons Lieblingszimmer Nummer 21 mit dem Erker zur Straße hin. dennoch ein helles, schönes Zimmer, in dem sich der angespannte ältere Herr sicherlich gut würde erholen und ausruhen können.

Das war jetzt nicht mehr nötig, denn Kindermann war tot. Erstochen. Mit einem Blick machte Leon mindestens drei Stichwunden aus – eine links oberhalb des Rippenbogens und zwei weitere im Bauchraum. Alles war voller Blut um die Leiche herum, die mit dem Rücken halb an einer Palette Milch lehnte. Kindermanns Mund stand offen, ein rötlicher Speichelfaden hing heraus. Seine Augen waren halb geöffnet, die Pupillen leicht nach oben gedreht.

Kindermann trug eine altmodische grün-blau gestreifte Schlafanzughose und die weißen Hotelschlappen, auf denen das Logo vom Waldfrieden in Gold prangte.

»Was ist hier los?«, fragte Leon – was auch anderes sollte man in solchen Momenten fragen.

Hamid drehte sich zu Leon um, er war leichenblass und wirkte verwirrt. Irritiert schaute er Leon an, wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

»Alles gut«, sagte Leon beruhigend. Eigentlich konnte Leon Hamid nicht wirklich leiden. Die beiden begegneten sich kaum, und wenn, dann grüßte Hamid nur selten. Aber gut, auch das war Leon gewohnt. Er wurde selten gegrüßt, außer von den Gästen am Empfang natürlich. Sonst übersah man ihn meist.

Hamid drehte sich um und rannte hinaus. Leon Fußangel dagegen kniete sich hin, in sicherem Abstand zur Leiche, er wollte schließlich keine Spuren verwischen. Er sah sich den Toten an und versuchte sich alles einzuprägen, denn er wusste genau, was zu tun war. Leon war ein begeisterter Krimi-Fan.

»WAS IST DENN DAS FÜR EINE SCHEISSE?«, brüllte es plötzlich hinter ihm. Leon fuhr herum.

3

Carlo Hörl hatte wie immer schlecht geschlafen. Sein Zimmer am Ende des Personaltrakts war eng und muffig. Vor allem aber war das Bett zu klein für seinen großen, massigen Körper. Früher war er muskulös gewesen, aber mittlerweile wölbte sich ein Bauch über den Hosenbund, der je nach Carlos innerer Tagesform Himalaja- oder Sandhügel-Größe hatte. In letzter Zeit fühlte sich Carlo meistens, was den Bauch anging, alpenmäßig. Und das machte ihm wirklich zu schaffen. Täglich stand er vor dem schmalen Spiegel in der Zimmerecke, betrachtete seinen Bauch und schwor sich, bald irgendeine Diät zu machen. Und dass er dann, aber auch erst dann, den verdammten schlierigen Spiegel putzen würde, wenn es da wirklich etwas Positives zu sehen gab.

Meistens folgte auf den Diät-Gedanken jedoch ein Trotz-Impuls. Erstens gab es niemanden, der sich dafür interessierte, welche Körperform Carlo gerade hatte. Und zweitens: Er war Koch, verdammt noch mal! Irgendjemand musste die Sachen ja abschmecken, und außerdem liebte es Carlo, zu essen.

»Was ist denn das für eine Scheiße?«, wiederholte Carlo entgeistert, als er in der offenen Tür des Kühlhauses stand und Leon vor einer Leiche hocken sah, die ihm das ganze Kühlhaus vollgeblutet hatte.

Leon zuckte zusammen und schnellte wie eine Sprungfeder hoch.

»Ich hab nichts angerührt«, sagte er schnell. »Natürlich nicht.«

»Was für eine Sauerei!«, blaffte Carlo, als er sich neben Leon aufbaute, die Hände in die Hüften stemmte und auf das Blut blickte, das neben der Kiste mit den Champignons und den Austernpilzen in einem Rinnsal in den Ausguss im Steinboden geflossen war.

»Die Pilze kann ich wegschmeißen«, erklärte Carlo grimmig.

»Bitte, was?«, fragte Leon ganz perplex.

»Und die Salate auch. Hier«, Carlo deutete auf die Gemüsekiste neben der Leiche und der Milchpalette, »da ist auch Blut.«

Leon schaute Carlo entgeistert an.

»Da ist … eine Leiche«, stammelte er.

»Sehe ich«, gab Carlo zurück. Er wirkte völlig unbeeindruckt. »Das ist doch nicht zu fassen. Ausgerechnet hier.«

»Bitte?«

»Ausgerechnet hier! In meinem Kühlhaus. In MEINEM Kühlhaus. Das gibt’s doch nicht«, polterte Carlo.

»Äh, ja«, sagte Leon verdattert. »Ich denke, also, wir sollten mal dem Chef Bescheid sagen.«

»Na dann mach mal.«

»Und der Polizei.«

»Muss ja wohl.« Carlo sah aus, als würde er das gar nicht gut finden. Aber gut, das war der Lauf der Dinge, da ging wohl kein Weg dran vorbei.

Leon ging zur Tür und drehte sich noch mal zu Carlo um. »Bitte fass nichts an. Wegen der Spuren.«

»Willst du mir in meiner Küche sagen, was ich zu tun habe?« Carlo warf dem erschrockenen Leon einen strengen Blick zu. Dann fügte er etwas milder hinzu: »Natürlich mach ich das nicht. Und jetzt hau ab hier.«

Und Leon machte, dass er rauskam.

4

Eine halbe Stunde später war die Polizei da. Die beiden Streifenbeamten sahen völlig austauschbar aus. Beide mit Kurzhaarfrisuren, ansatzweise sportlich und mit einem angespannten Zug um den Mund. Es passierte nicht sehr oft, dass sie mit einem Mord konfrontiert waren. Und wie Leon aus einer Bemerkung des einen heraushörte, war es für ihn das erste Mal überhaupt.

»Faszinierend, oder?«, fragte Leon den Polizisten. Und auf dessen befremdeten Blick hin fügte er schnell hinzu: »Also, ich meine, fürchterlich ist das. Aber auch … spannend.« Er lächelte die beiden Beamten an.

»Und … wie gehen Sie jetzt vor?«

»Zunächst einmal bitten wir Sie, den Tatort zu verlassen«, sagte der Polizist genervt.

Leon war enttäuscht. Irgendwie war es doch seine Leiche, er hatte sie gefunden. Na gut, Hamid war es gewesen, der hatte jedoch, wie es schien, kein Interesse an dem Verbrechen. Aber Leon schon.

»Was vermuten Sie denn? Ich meine, ein Kühlhaus … wie kommt ein Hotelgast ausgerechnet in ein Kühlhaus? Also beziehungsweise, warum wurde er überhaupt ermordet? Und fand das hier statt?« Es sprudelte nur so aus Leon he­raus.

Die beiden Polizisten wechselten abfällige Blicke.

»Du bist so ein Krimi-Nerd, oder?«, fragte der eine.

»Zu viel Tatort geschaut, oder?«, ergänzte der andere.

»Nee, das ist mir zu unglaubwürdig alles«, erwiderte Leon. »Ich lese.«

»Ahaa!«

»Ich kenne die Handlungen und Plots von 781 Kriminalromanen auswendig. Buch Nummer 782 liegt gerade auf meinem Nachttisch. Aber ich muss sagen, die Handlung ist ziemlich vorhersehbar. Ich bin auf Seite 211 von 390, und ich weiß jetzt schon, wer der Täter ist.«

»Und ich weiß, dass du jetzt sofort den Tatort verlässt, alles klar?! Raus hier!«, schnauzte der eine Polizist.

Düpiert verließ Leon das Kühlhaus und die Küche. Er ging in den Speisesaal. Dort lümmelte Carlo auf einem der samtbezogenen Stühle und spielte auf seinem Handy herum. Hamid saß still und aufrecht neben ihm und schaute bekümmert drein.

Ein erster Frühstücksgast kam herein. Es war der durchtrainierte Wanderer aus der 11, der nach dem Frühstück abreisen würde. Das wusste Leon, denn er kannte alle Gäste und Buchungen auswendig. Aber was sollte er jetzt mit den Frühstücksgästen tun?

Leon trat auf den Wanderer zu und bat ihn freundlich: »Entschuldigung, es gibt hier eine kleine … Unpässlichkeit. Könnten Sie erst noch mal auf Ihr Zimmer gehen? Ich komme gleich, um mit Ihnen das Frühstück zu besprechen.«

Der Wanderer warf einen irritierten Blick auf den missmutigen Carlo in seiner Kochjacke, der auf seinem Handy herumspielte. Aber schließlich drehte er sich um und ging hinaus.

Die Gäste sollten am besten nichts von der Leiche und dem Polizeieinsatz erfahren. Doch was sollte Leon jetzt tun? Ihnen stand schließlich ein Frühstück zu. Wie sollte er sie ablenken? Die Lage war angespannt. Eine Krisensituation. Und Leon merkte, wie er zu Hochform auflief. Er würde es schaffen! Er würde das regeln! Er allein – denn als er eben versucht hatte, mit dem Chef zu reden, war der völlig abwesend gewesen, unerreichbar für Leons Fragen. Rolf Bernstein, mit dem Leichenfund in seinem Hotel konfrontiert, war in eine Art Schockstarre verfallen.

»Ein Mord?«, hatte er gesagt. Und dann: »In meinem Hotel?«

Und danach hatte er gar nichts mehr gesagt. Bernstein hatte sein sonst so weiches Gesicht zu einer Grimasse verzogen. Seine grauen Haare, die er von der Seite über seine immer kahler werdende Kopfmitte kämmte, standen an diesem Morgen zu den Seiten ab und entblößten eine für Leon überraschend große Stirnglatze. Insgesamt sah sein Chef ein bisschen aus wie Einstein. Nur dass er wohl keine kreative Idee hatte. Vor allem nicht, wie sie mit dieser katastrophalen Frühstück-Polizei-Leiche-im-Kühlhaus-war-es-even­tuell-Mord-Si­tua­tion umgehen sollten.

Leon entschied autark und sehr schlau, wie er fand. Er rief das Hotel Hück an, das am Ende der Straße lag, und sprach mit der Concierge. Sie waren auf freundlich-distanzierter Augenhöhe, obwohl Leon fand, dass Carina ruhig etwas freundlicher und weniger abweisend sein könnte, schließlich machten sie beide denselben Job, und das sollte sie doch einen, Brüder im Geiste, also vielmehr, Geschwister im Geiste.

Carina vom Hotel Hück war zehn Jahre älter als er und schon ein alter Hase in dem Job. Obgleich sie irgendwie pikiert gewesen war, als er ihr das mal gesagt hatte. War es wegen der Anspielung auf ihr Alter? Oder weil er sie Hase genannt hatte? Leon wusste es bis heute nicht. In jedem Fall vereinbarten er und Carina, dass er seine Hotelgäste – es waren nur acht an diesem Morgen – rüber zu Hück schicken würde, damit sie dort frühstücken konnten. Verrechnen würden sie das später. Alles klar, vielen Dank. Und tschüs. Leon legte auf und strahlte den Gast aus Nummer 24 an, der vor ihm stand und etwas erregt war, weil er einen harten Tag vor sich hatte und verdammt noch mal ein richtiges Frühstück brauchte, und zwar schnell. Leon wies ihm den Weg zum Hotel Hück und erfand eine Ausrede für den gesperrten Speiseraum.

Wie der Wasserrohrdurchbruch im Küchentrakt mit dem deutlich sichtbaren Streifenwagen vor der Tür und dem Polizeiabsperrband vor dem Flur zum Speisesaal in Zusammenhang stand, konnte Leon zwar nicht überzeugend erklären, aber der Gast ging schließlich, und Leon blieb erleichtert zurück.

Das Gefühl der Erleichterung hätte nicht weiter von dem entfernt sein können, was Bernstein gerade durchmachte. Es half auch nichts, dass sein Sohn Samuel jetzt dazugekommen war. Verschlafen zwar, aber immerhin trug er im Gegensatz zu seinem Vater keinen Bademantel, sondern Hemd und Anzughose. Er hatte die warmen braunen Augen seines Vaters, zudem aber glücklicherweise die elegante Nase seiner verstorbenen Mutter. Und er legte seinem Vater sanft die Hand auf die Schulter, als der fassungslos in dem Speisesaal vor den Beamten stand und nicht wusste, was zu tun war.

»Wer ist der Tote?«

»Der Gast aus Zimmer 13«, sagte Bernstein.

Aber wie konnte das sein? Was war passiert?

»Das ist eine Katastrophe. Wenn das die Runde macht …«, Bernstein schluckte hart, als müsste er einen viel zu großen Kloß herunterschlucken.

»Willst du mal hochgehen und dir etwas anziehen?«, fragte Samuel seinen Vater sanft, aber bestimmt.

Bernstein warf einen hilflosen Blick auf Carlo, auf Hamid, auf den Beikoch, die Kellnerin Louise und die beiden Zimmermädchen Eleni und Maria, die aufgereiht auf Stühlen neben dem halb vorbereiteten Buffet saßen. Carlo nickte Bernstein zu, der sich daraufhin umdrehte und nach oben ging.

Kurz darauf traf die Kriminalpolizei ein, und die beiden Polizisten wirkten plötzlich noch angespannter.

»Markus Vey«, stellte sich der Kriminalbeamte der Hotelbelegschaft vor und fügte dann hinzu: »Leitender Kriminaloberkommissar.« Das schien ihm wichtig zu sein.

Markus Vey war Ende dreißig, Anfang vierzig, durchtrainiert und braun gebrannt. Sein Gesicht war scharf geschnitten, ebenso seine Haare. Er wirkte wie ein Mittelstreckenläufer, der sein Geld als Laufstegmodel verdiente. Carlo konnte ihn auf der Stelle nicht leiden.

»Sie haben die Leiche entdeckt?«, fragte Markus Vey, als er nach ein paar Minuten aus dem Kühlhaus zurückgekommen war. Er wandte sich an den Beikoch. Was Carlo sofort zeigte, dass der Bulle keine Ahnung hatte. Der Beikoch! Was für eine Schnapsidee!

Der Beikoch nickte in Richtung Carlo.

»Sie sind?«, fragte Vey.

»Der Koch.«

»Aha! Und haben Sie auch einen Namen?«

»Carlo Hörl. Alter siebenunddreißig. Sternzeichen Widder. St. Pauli-Fan. Was wollen Sie noch wissen?«

Vey lächelte ihn mit einem höhnischen Zug um die Lippen an.

»Soso. Wunderbar. Ihr Gewicht und Ihre Größe bräuchte ich noch.«

»Bitte, was???«, platzte Carlo wütend heraus.

Vey ging darüber hinweg.

»Sie haben also den Toten gefunden?«

»Nein, Hamid war’s. Unsere Küchenhilfe.«

»Aha!« Vey wandte sich an Hamid. »Und wann war das?«

»Um 06:32 Uhr«, sagte Leon, der genau in diesem Moment auf die Uhr an seiner Rezeption geschaut hatte.

»Prima, danke.« Vey wandte sich weiter an Hamid. »Haben Sie zuvor etwas Seltsames bemerkt? Haben Sie jemanden weglaufen sehen oder so was?«

Hamid schüttelte den Kopf. »Er war einfach da. Tot …«

Es nagte offensichtlich schwer an Hamid.

»Wann kann ich wieder in die Küche?«, wollte Carlo wissen.

»Wenn wir mit den Ermittlungen fertig sind.«

»Und wann wird das sein? Einfach nur, damit ich planen kann. Ich habe hier ein Hotel zu versorgen.«

»Ich gebe Ihnen Bescheid«, erwiderte Markus Vey, der Carlo mittlerweile ebenfalls nicht leiden konnte.

»Und wann wäre das?« Carlo ließ nicht locker.

»Sie sind also als Zweiter ins Kühlhaus gekommen …«, begann Vey, der offensichtlich nicht vorhatte, Carlo zu antworten.

»Als Dritter«, berichtigte Carlo.

»Kannten Sie das Opfer?«, fragte Vey.

»Bitte, was???« Carlo konnte es nicht fassen, dass dieser dämliche Beamte ihm so eine Frage stellte.

Ähnlich fassungslos schaute auch Katja Kassowitz drein, die jetzt in der offenen Terrassentür stand und nicht fassen konnte, was sie da sah. Und vor allem: wen!

5

Fünf Minuten zuvor hatte Katja Kassowitz noch im großen Hotelgarten gestanden und versucht, die widerspenstige Wurzel einer mittelgroßen Tanne aus dem harten Boden zu bekommen. Es war Spätsommer, seit Wochen hatte es nicht geregnet, und der Boden war total trocken. Sie zerrte am rissigen Holz. Vergeblich.

Katja Kassowitz war achtundvierzig Jahre alt, hatte dunkle lange Haare und trug einen Pferdeschwanz und einen Pony, den sie sich aus rein praktischen Gründen hatte schneiden lassen. Sodass ihr zum Beispiel jetzt, da sie mit der Wurzel kämpfte, keine Haare ins Gesicht fielen. Katja zog am groben Holz und stöhnte dabei laut und überraschend tief.

»Du verdammtes …!«, brüllte Katja die Tannenwurzel an, die wahrscheinlich erschrocken klein beigegeben hätte, wenn sie ein Gehirn oder Muskeln gehabt hätte, die sie hätte loslassen können, damit diese wütende Frau endlich aufhörte, an ihr zu zerren.

Katja war immer schon ruppig, verbissen und unnachgiebig gewesen. Und wenn sich diese Tannenwurzel derart sträubte, würde Katja ihr jetzt zeigen, wer der Herr beziehungsweise die Frau im Hause war. Sie stemmte beide Beine fest in den Boden, beugte die Knie und zog mit aller Kraft, keuchte auf und schnaufte. Und als sie merkte, dass sich die Wurzel immer noch nicht bewegte, brüllte sie voller Wut und Zorn los: »Waaahhhhhhhhh!«

Katja hatte sich immer schon an Widerständen gerieben. Je mehr Widerstände, desto besser. Und desto mehr hängte Katja sich rein. Sie musste gewinnen, und sie musste die Aufgabe zu einem Abschluss bringen. Koste es, was es wolle. Wenn Katja etwas tat, dann mit Haut und Haar. Und immer mit dem Kopf voran. Sie war ein verdammter Endorphin-Junkie, der seine Bedürfnisse nicht wahrnimmt und Schwierigkeiten hat, sich abzugrenzen.

Das alles stand, natürlich besser formuliert, in dem psychologischen Gutachten, das nach Katjas Burn-out ihre aktive Karriere als Kommissarin beendet hatte.

Das war nunmehr fünf Jahre her. Katja hatte ihr komplettes Leben umgekrempelt, alles weggeworfen und neu angefangen.

Seit drei Jahren arbeitete sie jetzt als Gärtnerin im Hotel Waldfrieden. Es hatte gedauert, bis sie sich darauf besonnen hatte. Ihre Großmutter, die hatte auch ein Händchen fürs Gärtnern gehabt, einen grünen Daumen. Die Pflanzen, die Natur, diese Entschleunigung, all das entspannte Katja. Und bei der Arbeit im Hotelgarten hatte sie endlich Ruhe gefunden.

Die Wurzel wollte einfach nicht nachgeben. Die Tanne hatte Katja schon kniehoch angesägt und das Erdreich um die Wurzeln gelockert, aber nichts tat sich.

Je länger der Abschied vom alten Job dauerte, je weiter der Burn-out in die Ferne rückte, je mehr Zeit Katja draußen in der Natur mit den Pflanzen verbrachte, desto besser ging es ihr. Ihre Gesichtszüge glätteten sich, ihre Haut wurde reiner, ihr Blutdruck sank.

Katja wirkte wie eine Frau, die ihren Frieden gefunden hatte.