Sarg jetzt nichts - Paul Lüdicke - E-Book

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Paul Lüdicke

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Beschreibung

Eine Leiche kommt leider allein Das Bestattungsunternehmen Pabst in Bielefeld-Jöllenbeck schreibt rote Zahlen, denn der Billig-Bestatter Asgaard gräbt Familie Pabst das Wasser ab. Zum Glück landet die neueste Leiche bei Jochen Pabst im Keller: Start-Up-Gründer Markus Beckemann ist ungebremst mit seinem Wagen gegen ein Stromhäuschen geknallt. Der Airbag war ausgeschaltet, alles deutet auf Selbstmord hin. Doch Betty Pabst sieht sich die Leiche genauer an und entdeckt Ungereimtheiten. Weil wieder niemand auf sie hören will, ermittelt sie auf eigene Faust im Hafermilch-Startup »Fika«. Dort ist alles so nachhaltig, jung, dynamisch und woke, dass Betty sich schon vorkommt wie ein alter weißer Mann. Verbergen sich hinter der glatten Fassade etwa miese Methoden? Betty weiß nur eins: Irgendjemand geht hier über Leichen. Doch sie wird ihm ein Bein stellen.

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Sarg jetzt nichts

Der Autor

Paul Lüdicke stammt aus Bielefeld und hat jeden Witz über diese Stadt, genauer gesagt: den einen, den es gibt, schon tausendmal gehört. Auch deswegen ist er ausgebrochen und hat als Stangentänzer, Bienenzüchter, Einsiedler, Doppelagent und Ornithologe gearbeitet. Paul Lüdicke lebt heute unter einem Pseudonym in einer anderen Stadt, hat zwei Kinder und verdient sein Geld damit, dass er Drehbücher schreibt.

Das Buch

Das Bestattungsunternehmen Pabst in Bielefeld-Jöllenbeck schreibt rote Zahlen, denn der Billig-Bestatter Asgaard gräbt Familie Pabst das Wasser ab. Zum Glück landet die neueste Leiche bei Jochen Pabst im Keller: Start-Up-Gründer Markus Beckemann ist ungebremst mit seinem Wagen gegen ein Stromhäuschen geknallt. Der Airbag war ausgeschaltet, alles deutet auf Selbstmord hin. Doch Betty Pabst sieht sich die Leiche genauer an und entdeckt Ungereimtheiten. Weil wieder niemand auf sie hören will, ermittelt sie auf eigene Faust im Hafermilch-Startup »Fika«. Dort ist alles so nachhaltig, jung, dynamisch und woke, dass Betty sich schon vorkommt wie ein alter weißer Mann. Verbergen sich hinter der glatten Fassade etwa miese Methoden? Betty weiß nur eins: Irgendjemand geht hier über Leichen. Doch sie wird ihm ein Bein stellen.

Paul Lüdicke

Sarg jetzt nichts

Betty Pabst ermittelt

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

ISBN 978-3-864-93212-0© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: Sabine KwaukaUmschlagmotiv: © shutterstock / VKA (Hafer), Olive Kitt (Krug), Aleutie (Frau), Oleksandr Panasovskyi (Füße), PegasuStudio (Füße 1)Autorenfoto: © privatE-Book-Konvertierung powered by pepyrus

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Social Media

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Es war früh am Morgen. Dunst und Nebel hingen dick und schwer wie eine Decke über dem Acker, dessen Erde sich in den vergangenen Tagen und Nächten mit dem Nieselregen vollgesogen hatte. Hätte man einen Fuß in die breiten Ackerfurchen gesetzt, dann hätte man die Erde schmatzen gehört, und der Fuß wäre in den tiefen schwarzen Boden gesunken, ganz wie in einem Moor. Nicht ein Vogel zwitscherte an diesem Oktobermorgen. Es war völlig still.

Das Auto auf dem einsamen Feldweg stand verlassen da. Ein kleiner blauer Farbtupfer in dem graubraunen Einheitsbrei der Landschaft. Und es wirkte wie alles hier an diesem Morgen: einsam und verloren.

Dann plötzlich ertönte ein Geräusch. Der Motor eines Traktors, der langsam hinten den Hügel heraufgetuckert kam. Als Bauer Sieker den Anstieg geschafft hatte, lag sein Rübenacker, den er umzupflügen gedachte, vor ihm. Sieker schnaufte, als er den Traktor direkt auf den blauen Wagen zusteuerte. Der stand, zugegeben, ziemlich dämlich mitten auf der Strecke, sodass er jedem den Weg versperrte. Nur dass natürlich niemand diese Route wählen würde, was wollte man hier schon? Außer seinen Rübenacker umpflügen.

Sieker verzog grimmig das Gesicht. Da hatte jemand in sein Revier gepinkelt. Metaphorisch gesehen.

Der Wagen stand da, achtlos hingeparkt. Oder … war er überstürzt stehen gelassen worden? Hatte ihn jemand dort abgestellt und sich dann in den nahen Wald geflüchtet? Oder … war da noch jemand?

Sieker fuhr langsamer und hielt dann zehn Meter hinter dem Wagen. Es war doch zu seltsam.

Der Bauer beugte sich vor, legte die fleischigen Arme auf das Lenkrad und beobachtete den Škoda, ein mittelgroßes Familienmodell, sauber geputzt, doch an den Kotflügeln klebte Erde.

Von außen war niemand im Inneren des Wagens zu sehen. Die Scheiben waren beschlagen, und der Škoda, weitab von allem, in dieser frühen Morgenstunde, ohne Fahrzeughalter, ohne ein Lebenszeichen … Das alles wirkte fast ein wenig gespenstisch … War hier vielleicht irgendetwas passiert?

Sieker runzelte die Stirn. Schließlich stellte er kurz entschlossen den Motor aus, öffnete die Tür des Traktors und sprang heraus. Seine dicken Gummistiefel versanken im Boden, die Erde schmatzte, selbst hier auf dem Feldweg. Langsam und beschwerlich setzte er einen Schritt vor den anderen.

Als er den Škoda erreicht hatte, spähte er durch das Fenster auf die Rückbank, und da war doch … da war doch … er trat noch näher heran … und stieß dann einen Schrei aus.

Betty zuckte erschrocken zusammen. Genau wie Jonas, der völlig perplex zurückwich. Sein Gesicht war gerötet, seine ordentliche Frisur, die Betty immer belächelte – er hatte sie seit seiner Jugend nicht verändert –, war völlig aus der Fasson. Nicht die kurzen Haare an den Seiten, sondern die dunkle, leicht hochgegelte Tolle. Aber nun gut, Bettys Frisur konnte man auch nicht gerade als solche bezeichnen. Ihre halblangen braunen Haare sahen eher aus wie ein Vogelnest nach dem Sturm.

Sie hatten den Bauern nicht kommen gehört. So sehr waren sie mit Rummachen beschäftigt gewesen. Genau wie damals, mit fünfzehn. Nur dass sie es diesmal in einem Auto machten.

Zugegeben, damals hatten sie nicht rumgemacht. Sie hätten gerne. Aber dann hatte sich Betty doof angestellt. Jonas hatte sich zurückgewiesen gefühlt, und Bettys beste Freundin Friederike (damals) war nur zu gerne in die Bresche gesprungen und hatte sich Jonas geschnappt. Dieses Miststück! Das zumindest war die Geschichte, auf die Jonas und Betty sich geeinigt hatten, die sie in Erinnerung behielten. Die stimmte mehr oder weniger so.

Das alles, die Gefühle, die Sehnsucht, die Zurückweisungen, das war beinahe fünfzehn Jahre her. Aber Betty und Jonas wollten immer noch miteinander rummachen. Und das, obwohl Jonas mittlerweile mit Friederike verheiratet war.

Deswegen hatte Jonas seinen Škoda am frühen Morgen mitten auf dem einsamen Feldweg geparkt, deswegen trug Betty Joggingklamotten – genauer gesagt, jetzt nur noch einen Teil davon, aber sie beeilte sich in diesem Moment sehr, den Rest wieder anzuziehen. Der Sport-BH – das verdammte Ding – saß quer und schnürte ihr die Luft ab.

»Fahrt die Karre weg!«, schnauzte Sieker und hämmerte aufs Wagendach, bevor er sich empört umdrehte und zu seinem Traktor zurückstapfte. Schmatz, schmatz.

»Wie peinlich«, sagte Betty.

»Oh Gott, wenn der uns erkannt hat«, stöhnte Jonas. Panik glomm in seinen Augen auf.

»Hat er nicht«, erwiderte Betty, leicht genervt, während sie sich jetzt in die viel zu enge Trainingsjacke quälte.

»Aber das Nummernschild …«

»Glaubst du, der macht einen Abgleich? Der ist Bauer, Jonas. Der hat keine Polizei-Datenbank so wie du und …«

»Trotzdem. Und wenn er den Wagen erkannt hat?«

Betty hatte jetzt endlich den Arm in der Jacke und funkelte Jonas böse an. »Was soll man denn hier erkennen? Ein blauer Škoda-Kombi ist genau der Wagen, mit dem ich einen Banküberfall begehen würde. Den erkennt niemand. Blau ist bei Autos, was das Beige unter den Tarnfarben ist, Jonas.«

»Wieso bist du denn so bissig?«

Tja, warum war Betty so bissig? Weil sie gerade fies überrascht und aus einem sehr schönen Moment gerissen worden waren? Das war mal Fakt. Aber mehr noch: Es störte sie, dass Jonas nicht so empört darüber war wie sie, es seine erste und größte Sorge war, dass sie vielleicht aufgeflogen waren.

Betty sah das etwas entspannter. Wäre sie etwas achtsamer, etwas reflektierter mit sich gewesen, hätte sie womöglich festgestellt, dass sie – ganz insgeheim – wollte, dass sie aufflogen. Damit sie es Friederike heimzahlen konnte, weil Jonas sich endlich für sie entschieden hatte.

Obwohl, stopp! Stoppstoppstopp! Das war viel zu weit, viel zu viel gedacht! Betty hatte keine Ahnung, was sie wollte, was sie spürte. Dieses ganze Jonas-Ding war überhaupt nicht zu Ende gedacht, ehrlicherweise war es noch nicht einmal angedacht.

Aber ja, irgendwie hatte Jonas recht. Betty hatte tatsächlich ein wenig bissig reagiert.

Obwohl sie natürlich sofort widersprach: »Ich bin überhaupt nicht bissig.«

»Komm schon. Ich kann doch nichts dafür.«

»Natürlich nicht«, fauchte Betty. Und im nächsten Moment tat es ihr leid. Sie fühlte sich wie eine dieser passiv-aggressiven Frauen, die ungerecht einen Vorwurf nach dem anderen rausblafften, weil sie mit sich nicht klarkamen und ihre ganze Wut und Enttäuschung über sich selbst an anderen ausließen. Nur dass Betty ehrlicherweise gerade ziemlich aggressiv war. Und nicht wirklich passiv. Sie wurschtelte heftig und unkoordiniert mit ihren Klamotten herum und versuchte, ein Bein in ihre schwarze Jogging-Tights zu kriegen, ohne sich die Kniescheibe am Vordersitz zu zerschmettern. Betty hatte nie gedacht, dass sie sich jemals wünschen würde, sie hätte kürzere Beine. Jetzt war es so weit.

Irgendwie schaffte sie es, einen Schuh anzuziehen, dann öffnete sie die Autotür und fiel bei dem Versuch, den anderen überzustreifen, halb vornüber aus dem Wagen.

Sie landete im Matsch des Feldwegs.

Es war eigentlich äußerst komisch. Und Jonas hätte bestimmt gelacht, wenn er nicht Bettys wütendes Gesicht gesehen hätte. So schwieg er, während Betty sich aufrappelte, sich ohne ein weiteres Wort umdrehte und versuchte, den Ort der Schande und der Scham mit Würde zu verlassen.

Es klappte nicht.

Bei dem Versuch, loszujoggen, stellte sie fest, dass ihr linkes Bein eingeschlafen war, weil sie es beim Sex so unnatürlich verbogen hatte. Demzufolge humpelte Betty davon wie ein ramponierter Kranich.

Kapitel 1

Eine Viertelstunde später erreichte Betty ihr Elternhaus, das am Ende einer Wohnstraße lag.

Die Leuchtschrift »Bestattungen Pabst« im Erdgeschoss war eingeschaltet, was bedeutete, dass ihre Eltern bisher nicht unten gewesen waren. Wahrscheinlich frühstückten sie noch. Das könnte Betty jetzt auch gut brauchen. Sie war durchgefroren, die Strecke von dem Feldweg bis nach Hause war nicht lang genug gewesen, als dass sie sich hätte aufwärmen können, und mit Jonas hatte sie nicht zurückfahren wollen. Und ja, sie war mürrisch und ziemlich unbefriedigt.

Tatsächlich – Betty dachte kurz darüber nach –, es stimmte. Sie war körperlich unbefriedigt. Und gefühlsmäßig auch.

Betty ging durch den Hintereingang. Sie wollte keinesfalls den Dreck ihrer Joggingschuhe auf dem schweren Teppich vorn im Begräbnisinstitut verteilen. Im Hausflur war sofort der Geruch ihrer Kindheit wieder da: nach warmem, weichem Holz, luftig leicht und dennoch erdig. Der Holzgeruch kam von den Kiefern und Eichen, von den schweren, großen Särgen, die vorn im Institut links und rechts aufgereiht waren.

Betty streifte sich die Schuhe auf dem Treppenabsatz ab und ging leise die Treppe hoch.

Als sie an dem kleinen Spiegel im Flur der Familienwohnung vorbeikam, sah sie kurz ihr Gesicht. Sie war ein bisschen blass, obwohl sie sich heute Morgen geschminkt hatte.

Betty kniff sich in die Wangen, damit die wieder Farbe bekamen. Niemand hätte ihr abgenommen, dass sie joggen gewesen war. Und wenn sie ihrer Mutter begegnen würde, dann würde diese auch bemerken, dass Betty sich geschminkt hatte. Zum Joggen? Betty war klar, dass keiner der Männer, weder ihr Vater Jochen noch ihr Bruder Maxi und erst recht nicht Opa Richard, das mitbekommen hätte. Nicht mal Jonas hatte das gemerkt, eben im Auto. Wahrscheinlich dachte er, dass Betty faltenfrei, mit einem ebenen, samtigen Teint und nach Parfüm duftend aus dem Bett gestiegen und nur mal gerade so in ihre Joggingklamotten gestiegen war. Aber nun ja, Männer. Die hatten ja keine Ahnung.

Als Betty um die Ecke in die Küche bog, hielt sie kurz irritiert inne. Niemand war da. Während sie auf den Kaffee auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine blickte und dann auf den Frühstückstisch, auf dem die Brote und Brötchen noch immer unangerührt standen, hörte sie ein Geräusch. Ein Geräusch, bei dem sich Betty die Nackenhaare aufstellten. Ein Geräusch, das ihr Schauder über den Rücken laufen ließ. Vor Unbehagen. Vor Peinlichkeit, vor Scham. Vor allem vor Fremdscham.

Denn von hinten aus dem Flur, irgendwo dort, kam es – das sonore, brummende Stöhnen ihres Vaters. Und da ihre Mutter nicht in der Küche war, vermutete Betty stark, dass sie bei ihrem Vater war. Mehr Vermutungen wollte Betty nicht anstellen. Es war einfach zu gruselig, was da an Bildern vor ihrem geistigen Auge auftauchte. Kein Kind wollte sich seine Eltern beim Sex vorstellen, egal wie alt das Kind – in Bettys Fall siebenundzwanzig – war.

Es war grauenhaft. Betty musste sich die Ohren zuhalten. In dem Moment kam ihr eine Idee: das Radio. Sie drehte die Lautstärke hoch, und die Stimme des extrem nervigen Moderators von Radio Bielefeld schallte durch den Raum. Gute Laune olé!

Betty setzte sich erschöpft an den Tisch. Jetzt auf dem Flur einem ihrer Eltern zu begegnen wäre noch peinlicher gewesen. Sie schnappte sich ein Brötchen, überlegte kurz, ob sie es aufbacken wollte, entschied sich dagegen und schmierte dann trotzig so viel Butter drauf, dass man drei Kuchen damit hätte backen können. Was solls?, dachte Betty, ich war joggen. Und das war ja nur eine Halblüge, oder?

Kurz darauf schob sich Jochen grinsend um die Ecke. Er strahlte, als er seine Tochter sah. Aber womöglich hätte er auch gestrahlt, wenn er einfach irgendwas gesehen hätte. Jochen war sichtlich noch nicht ganz von dieser Welt, sein Blick verklärt, seine Wangen rosig.

Ja, rosig. Und das, obwohl er bestimmt nicht hineingekniffen hatte. Betty verdrehte innerlich die Augen.

»Guten Morgen, Schatz«, sagte Jochen. Sein rundes Gesicht mit den warmen braunen Augen glänzte, genau wie seine beginnende Stirnglatze.

»Hallo, Papa«, erwiderte Betty und versuchte, ihren Vater nicht zu genau anzusehen, es war ihr alles peinlich.

Jochen bekam nichts davon mit, als er sich auf seinen angestammten Platz fallen ließ, ganz geschafft, als hätte er einen Bergaufstieg hinter sich. Betty hasste sich dafür, dass sie das jetzt bemerken musste. Und dann auch noch Jochens tiefen Seufzer. Verdammt, sie wollte nicht daran denken, dass ihre Eltern gerade Sex gehabt hatten.

Jochen griff sich seine Tasse, schenkte sich Kaffee ein, und als er gerade zur Milch greifen wollte, stellte er fest, dass dies keine normale Milch, sondern Hafermilch war, so ein modernes Hipsterding. Jochen hielt überrascht inne.

»Was ist das?«

»Hafermilch. Die normale war alle.«

»Aha.« Jochen starrte irritiert auf die Packung.

»Die ist nicht giftig, Papa.«

»Nö, aber …« Jochen grinste. Betty sah, dass sein Blick am Namen der Milch hängen geblieben war.

»Fika«, las Jochen vor. Und sein Grinsen wurde breiter.

»Oh nein, Papa! Oh nein«, beeilte sich Betty, zu sagen.

»Fika, höhöhö …«

»Du machst jetzt keine Witze über den Namen, ja? Ich bin deine Tochter …«

»… und du hast recht. Am Frühstückstisch sollte es dringend Zensur geben. Ist ja auch ziemlich deplatziert, Menschen morgens zu konfrontieren. Erst recht seine Tochter. Mit solchen unanständigen Worten.«

Betty vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Ogottogottogott. Du bist sooo peinlich, Papa.«

»Lass mich doch«, sagte Jochen zufrieden, goss sich die Fika-Milch ein und nahm einen wohligen Schluck von seinem Kaffee. Über den Tassenrand hinweg sah er seine Tochter an. »Hast du dich zum Joggen geschminkt?«

Betty erstarrte. Verdammt! »Du etwa nicht?«, fragte sie zurück.

Zu ihrem Glück entging ihrem Vater die Ironie. »Ich war ewig nicht mehr laufen. Schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Vielleicht sollte ich mal wieder damit anfangen? Du hast recht, das ist eine hervorragende Idee. Das mache ich.«

»Toll.«

»Ja, jetzt wird alles anders«, meinte Jochen.

Das hatte Betty befürchtet. Aber nachdem sie kürzlich diesen seltsamen Mordfall rund um Inka Binder-Mahnke gelöst hatte, war einiges in Bewegung gekommen. Bettys Mutter Ella hatte sich zuvor ziemlich unbeachtet gefühlt und hatte Halt und Unterstützung in dem Esoterik-Institut Lebensstrahl gefunden. Und dort Diego – einen Verehrer – gefunden. Das hatte ungeahnte Dynamiken in der elterlichen Beziehung ausgelöst, die dazu führten, dass ihre Eltern offensichtlich wieder Sex hatten und Bettys Vater plötzlich laufen gehen wollte. Es war zudem herausgekommen, dass Opa Richard, der zeit seines Lebens Menschen unter die Erde gebracht hatte, plötzlich eine eigene, heftige Angst vor dem Tod zu entwickeln begann. Und dass Bettys Bruder massive Schulprobleme hatte, weil sein Fehlzeitenregister länger war als die Blitzermeldungen der Radarfalle auf der A2 zwischen Sennestadt und Bielefeld-Zentrum. Und das war die einträglichste Radarfalle Deutschlands.

Wenn Betty sich das so ansah, dann war ihre Familie adäquat verrückt und seltsam, und eigentlich würde es total Sinn ergeben, zurück nach Berlin zu gehen. Schließlich war da auch noch Bettys Job.

»Was sagt denn eigentlich die Charité? Wie lange bleibst du noch hier?« Als hätte der Vater ihre Gedanken gelesen.

»Tja … ich muss mich da mal melden. Keine Ahnung.«

Und in Berlin war Sean.

»Vielleicht können wir ja noch mal zusammen laufen gehen, bevor du fährst?«

Aber vor allem war hier Jonas.

»Unbedingt«, sagte Betty. »Vorher fahre ich nicht.«

Kapitel 2

Die Landstraße zwischen Werther und Ascheloh schlängelte sich über einen Hügel und eine kleine Senke, an der ein übermütiger oder verzweifelter Verkehrsplaner eine Bushaltestelle installiert hatte. Eine Haltestelle mitten im Nichts, nur wenn man die kleine Stichstraße, die links von der Landstraße abging, runter ins Tal nahm, stieß man auf ein paar alte Bauernhöfe, aber die meisten der Bewohner dort waren nicht auf Busse angewiesen. Der eine Teil von ihnen war bettlägerig, der andere hatte moderne Familienkutschen-SUVs oder irgendwelche schnelleren Wagen.

Am Ende der steilen Stichstraße jedenfalls, bevor sie sich in der Talsenke nach rechts und links teilte, stand ein Stromhäuschen. Ein gemauertes, weiß gekalktes Häuschen mit einem Warnschild davor und einem erhöhten Bürgersteig, obwohl die Stichstraße kaum befahren war. Aber alles war ordentlich, alles war sauber, schließlich war dies hier Westfalen.

Etwas unsauber allerdings hatte der schwarze Mercedes vor dem Stromhäuschen geparkt. Genauer gesagt: Er hatte am Stromhäuschen geparkt, direkt mit seinem gesamten Kühler, der sich am steinharten weißen Kalk, oder eher dem Beton dahinter, zusammengeschoben hatte wie eine Ziehharmonika. Und das, obwohl die Mercedes-Leute immer davon sprachen, dass ihre Wagen sicher und beinahe unkaputtbar waren und sie in allen TÜV-Tests die besten Noten bekamen.

Der Spaziergänger, der sich dem Wagen von hinten näherte, bemerkte anfangs nichts davon. Aus seinem Blickwinkel sah alles ziemlich normal aus. Ein schwarzer Wagen vor einem weißen Stromhäuschen. Das war es. Aber der Hund zog an der Leine, der Ruck ließ den Spaziergänger aufblicken, als er gerade am Wagen vorbei war. Was war das? Ein Unfall? Schnell machte der Spaziergänger einen Schritt nach vorn, auf die gepflegte Rasenfläche vor dem Häuschen, und versuchte, in die Fahrerkabine zu spähen. Er schrie auf. Mit zitternden Händen wandte er sich ab und holte sein Handy hervor. Es entglitt ihm und knallte auf den Asphalt.

Kapitel 3

Jochen schenkte sich einen zweiten Kaffee ein und griff wieder nach der Hafermilch. Bevor er erneut einen Kommentar zu Fika ablassen konnte, sagte Betty schnell: »Bitte nicht. Du bist keine fünfzehn mehr, Papa.«

Jochen seufzte enttäuscht. Warum eigentlich? Weil er älter war oder weil er keine Witze mehr machen sollte?

»Die Frage ist, wer das eigentlich kauft? So ein Hipsterzeug hätte ich bei euch nicht erwartet«, meinte Betty.

»Was soll das denn heißen? Dass ich uncool bin?«

»So ungefähr. Ja.« Betty grinste.

Ihr Vater stieg darauf ein und lächelte ebenfalls. »Erst erklärst du mir, dass ich keine fünfzehn mehr sei, was ja schon mal ’ne Unverschämtheit ist, und dann, dass …«

»Erstens ist das gesund, zweitens soll man regional kaufen, und drittens ist dein Vater zwar keine fünfzehn mehr, aber auch kein altes Eisen, meine Liebe«, erklärte Ella, die plötzlich mitten in der Küche stand. Sie trug eine »kecke« Kurzhaarfrisur. Ihr leicht lila gefärbter Pony stand unkontrolliert in alle Richtungen ab. Sie war nicht groß, nicht dick, nicht schlank, sondern ein gestandenes, handfestes Powerbündel mit breiten Hüften und stämmigen, nicht unbedingt langen Beinen. Bestimmt hätte sie keine Probleme gehabt, ihre Beine hinter einem Autositz herauszuwurschteln.

Ogottogott, was für Gedanken?, dachte Betty beschämt.

»Da sind ein paar Fragezeichen in dem Satz«, sagte sie schnell.

»Kein einziges«, widersprach Ella.

»Figurativ, meine ich. Fangen wir allein mal damit an, was denn regional eigentlich heißt?«

»Fika kommt aus Bielefeld«, sagte Ella.

»Bitte was?«

»Unsere Gegend ist berühmt für Haferanbau …«

»Die Gegend hier ist eher berühmt für Schweinezucht und Speckstippe«, hielt Betty dagegen.

»Das auch.«

»Leider.«

»Zu Recht.«

»Erklär das mal den Berliner Hipstern.«

»Gerne«, sagte Jochen. Er drehte die Fika-Packung in seinen Händen. »Aus Bielefeld? Wirklich?«

Ella nickte. Jochen warf einen ganz neuen Blick auf das Etikett.

»Ja. Aber warum hat das dann diesen obszönen Namen?«

»Fika ist norwegisch oder so. Und heißt Kaffeepause. Was dachtest du denn?« Ella musterte ihren Mann irritiert.

»Ach, nichts.« Jochen errötete leicht. Er wirkte ein wenig enttäuscht. »Wenn’s regional ist, sollte man das auch unterstützen. Und deswegen haben wir das«, sagte er an Betty gewandt.

»Das ist ein Start-up. Die Cordula arbeitet da.«

»Welche Cordula?« Jochens Blick verfinsterte sich, und er zog ahnend die Stirn kraus.

»Die Stute.« Ella nickte in Richtung Nachbarhaus, in dem die Stutes wohnten. »Wie viele Cordulas kennst du denn?«

»Nicht mehr so viele. Schade! War ein schöner Name.«

»Echt jetzt?« Betty war baff.

»Natürlich«, sagte Jochen. »Du hättest auch fast so geheißen.«

»WAS?« Betty konnte es nicht fassen.

»Ja. Wenn der Stute sich nicht vorgedrängelt hätte.« Jochen nickte bitterböse rüber in Richtung seiner Nachbarn. Er hasste die Stutes aus tiefstem Herzen.

»Die Cordula? Wirklich?«

Jochen stellte die Fika-Packung auf dem Tisch ab, als wäre sie voll mit Eiter oder einer anderen ekelerregenden Flüssigkeit, die er nie wieder anzufassen gedachte.

Kapitel 4

Dr. Wittmann blickte auf die Leiche mit der schweren Kopfverletzung und verzog keine Miene, als er den Kopf des Toten vorsichtig mit seinen gummibehandschuhten Händen anhob, um zu sehen, wie tief genau der Schädel eingedrückt worden war.

Die gesamte Lenksäule war voller Blut, ebenso die Armaturen.

»Ich dachte, die haben standardmäßig Airbags?«, sagte Kriminaloberkommissarin Kottmeyer.

»Hat er ja auch. Aber funktioniert hat er anscheinend nicht«, brummte Wittmann.

»Hat man ihn manipuliert?«, fragte Jonas. Er hatte seinen Škoda oben auf der Landstraße vor dem Absperrband geparkt, direkt neben der Bushaltestelle, und war dann heruntergesprintet. Natürlich kam er zu spät.

»Den Fahrer?« Wittmann zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, ist zu früh, um das festzustellen.«

»Den Airbag!«, korrigierte Jonas.

»Haben Sie in Ihren Klamotten geschlafen?« Kottmeyer musterte Jonas missbilligend.

Jonas verspürte sofort den Impuls, sich die Hände vor den Körper zu halten, um sich vor den Blicken zu schützen. Oder wenigstens, um ein paar Knitterfalten glatt zu streichen. Es war leider mehr als offensichtlich, dass Kottmeyer Jonas nicht mochte. Aber warum? Weil er zu spät kam? Die fünf Minuten? Oder weil er einfach er war, Jonas.

Jonas wusste es nicht, aber es spielte auch keine Rolle. Kottmeyer fand immer einen Grund, ihn ihre Abneigung spüren zu lassen. Und sei es, weil er für ihren Geschmack zu pflichtbewusst war.

»Es ist zu früh, um festzustellen, ob der Airbag manipuliert wurde, Engels.« Kottmeyer klang sehr genervt. »Sie sehen doch, wie weit der Kollege ist. Danke übrigens, Dr. Wittmann, dass Sie so schnell hier sein konnten.«

Sie warf einen vielsagenden Blick auf Jonas, der sich einen genervten Blick seinerseits nur knapp versagen konnte.

»Sehr gerne«, sagte Wittmann. »Das wissen Sie doch.«

»Wie weit sind wir?«, fragte Jonas.

»Sobald die medizinische Erstuntersuchung durch ist, Engels, werden die Kollegen von der Spurensicherung kommen und den Wagen auf Manipulationen checken. Aber womöglich sind Sie da ein wenig zu eifrig.«

»Ich wollte nichts andeuten, aber tatsächlich ist es ja ein bisschen seltsam.« Jonas schaute sich um: Felder überall, eine einzige Stichstraße, die von der Landstraße einen Hügel herabführte und die dann am Stromhäuschen nach rechts und links abzweigte. Die ersten Häuser hier unten im Tal waren erst in einiger Entfernung hinter ein paar Bäumen auszumachen.

»Ein Unfall hier auf diesem kaum befahrenen Weg. Da könnte man …«, fuhr Jonas fort.

»… sich ja auch mal Gedanken machen, wer der Tote überhaupt ist, bevor man Spekulationen anstellt.«

»Natürlich«, sagte Jonas und ärgerte sich über sich selbst. Es lag an Bettys Neugier, die ihn bei dem Binder-Mahnke-Fall mitgerissen hatte. Und vor allem lag es an Betty selbst, die ihn auf ganz andere Art mitgerissen hatte, sodass sich Jonas frühmorgens aus dem Haus stahl, um auf einsamen Feldwegen mit Betty rumzumachen und dabei seine Frau zu betrügen. Allein diesen Gedanken zu haben, tat unaussprechlich weh. Jonas hatte ein schlechtes Gewissen, das in seinen Schläfen hämmerte und auch überall sonst im Körper. Er konnte einfach nicht mehr klar denken.

»Wer ist der Tote?«, fragte er daher ergeben.

»Markus Beckemann. Der wohnt hier die Straße runter«, antwortete Kottmeyer und deutete nach rechts. Sie musterte Jonas lange. Und dann, um dem Ganzen noch eine schöne Abrundung zu geben, sagte sie: »Was meinen Sie, bestünde die Chance, dass der arme Herr Beckemann vielleicht einfach nur nach Hause wollte, oben auf dem Berg die Kontrolle über seinen Wagen verloren hat und deswegen die Straße geradeaus heruntergefahren ist? Vielleicht war es technisches Versagen. Vielleicht war es sogar Selbstmord. Oder haben Sie einen anderen Verdacht?«

»Nun …«, begann Jonas.

»Russenmafia vielleicht?«, fragte Kottmeyer, bevor er weitersprechen konnte.

Was Jonas an Kottmeyer am wenigsten mochte, war ihr schlechter Humor. Und die Art, wie sie überheblich den Kopf drehte und sich zufrieden der Leiche zuwandte. Oder die Art und Weise, wie sie Wittmann anlächelte und nicht ihn.

Oder weil Kottmeyer einfach war, wie sie war, und weil er nicht noch mehr Schwierigkeiten in seinem Leben brauchte, als er eh schon hatte.

»Ein mexikanisches Drogenkartell, dachte ich«, sagte Jonas.

»Brillante Idee«, meinte Kottmeyer.

»Wann ist es denn passiert?«, wandte sich Jonas genervt an den Arzt.

Wittmann zuckte die Schultern. »Vor ein paar Stunden, denke ich. Sie wissen, dass man das schwer sagen kann. Aber mit sehr großer Wahrscheinlichkeit liegt er nicht schon drei Tage hier, würde ich schätzen.«

»Nicht wegen der Blutgerinnung, sondern weil der verunfallte Wagen viel früher irgendwelchen Passanten aufgefallen wäre?«, hakte Jonas eher rhetorisch nach.

»Genau.«

»Wer hat den Toten denn gefunden?«

»Ein Nachbar dahinten die Straße runter, der heute Morgen seinen Hund ausgeführt hat. Er kannte ihn. Markus Beckemann wohnt dahinten rechts. Mit seinem Vater. Auf einem Bauernhof.«

Jonas trat einen Schritt zurück und musterte den schwarzen Mercedes. Es war ein Sportmodell.

»Scheint ja gut zu verdienen, der Bauer.«

»Nach allem, was wir wissen, ist der Beckemann-Hof eher klein und wird nur vom Vater bewirtschaftet.«

»Bio?«, fragte Jonas. Er war hinter den Wagen getreten und deutete auf drei Aufkleber am Kofferraum, die so gar nicht zu dem schicken Sportmodell passen wollten: ein Peace-Zeichen, eine Regenbogenfahne und ein Aufkleber gegen Atomkraft. Es wirkte ziemlich achtzigerjahremäßig. Aber bei den jungen Menschen von heute wusste man ja auch nicht, was plötzlich cool war. Markus Beckemann war Ende zwanzig.

Der Tote trug einen schwarzen Wollpullover und, soweit Jonas bislang gesehen hatte, schwarze Hosen. Er hätte durchaus ein hippieesker Alternativ-Hippie gewesen sein können.

Kottmeyer zuckte die Achseln.

»Bio weiß ich nicht. Aber Sie können den Vater des Toten gleich befragen, wenn Sie die Todesnachricht überbringen.«

Na danke, dachte Jonas wütend.

Ständig auf dicke Hose machen und jedes Mal, wenn es unangenehm wird, die Verantwortung abschieben. Er konnte seine Chefin wirklich nicht leiden und sehnte sich nach seinem alten Chef zurück. Der war ein Urgestein der Bielefelder Polizei gewesen – massiv, väterlich und verlässlich. Aber je länger Jonas darüber nachdachte, war der Chef auch rückwärtsgewandt und absolut von sich überzeugt gewesen. Meinungen anderer hatte er nicht akzeptiert.

Es war einfach alles Mist. An jeder Front.

»Ich informiere den Vater«, erklärte Jonas. Denn erstens wollte er von Kottmeyer weg, und zweitens war es vielleicht ganz gut, wenn er sich auf den Job und nicht auf sein Privatleben konzentrierte.

Kapitel 5

Gegen Mittag legte Jochen den Telefonhörer auf und schaute auf die Liste mit den Verkaufszahlen seines Beerdigungsinstituts. Er seufzte. Dann griff er wieder zum Hörer und wählte die Nummer der Brosinskis. Es klingelte einmal, dann nahm jemand ab.

»Guten Tag, Pabst hier, von Bestattungen Pabst. Frau Brosinski, wie geht es Ihnen? Haben Sie … ach so … aber der Erlenbusch-Sarg war … ich hatte Ihnen ja gesagt, dass wir auch ein anderes Modell … sooo viel billiger?« Jochen war so erstaunt, dass ihm die Worte fehlten. »Aber … ja, auf Wiederhö…«

Sie hatte aufgelegt. Jochen starrte fassungslos auf den Telefonhörer. Dann plötzlich hämmerte er ihn wütend auf die Tischplatte, als wollte er ihn töten. Bam, bam, bam! Es brach einfach so aus Jochen heraus. Danach hielt er, verdutzt über sich, inne.

Ella kam herein und sah ihren Mann besorgt an. »Was ist los?«

»Ach, nichts.«

»Aber das Geräusch?«

»Der Telefonhörer ist mir aus der Hand gefallen.«

»Dreimal?«

Ella musterte Jochen, der den Hörer jetzt ganz sanft zurück auf die Station legte und verlegen mit der Hand darüberstrich, ganz kurz, als wollte er es wiedergutmachen.

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und massierte zärtlich seinen Nacken.

»Was ist los, Hase?«

Jochen gurrte. »So hast du mich lange nicht mehr genannt.«

»Erst heute Morgen noch«, gurrte Ella zärtlich zurück.

»Das stimmt.« Jochens Blick war verklärt, als er seine Frau liebevoll ansah. »Ich … ich könnte hier Schluss machen … und wir gehen nach oben?«

»Du Verrückter, du«, sagte Ella, bevor ihre Stimme wieder bestimmter wurde und keine Widerrede duldete. »Was ist los?«

»Ach, dieser Aasgeier von Asgaard …«

»Der Willi?«

»Urs heißt der.«

»Ja, Urs Willi.«

»Dieser Schnösel. Mit seinen verkackten Angeboten. Der schnappt uns die Kunden weg.« Jochen deutete auf seine Liste neben dem Telefon. »Brosinkis, Meyerzurheydes und die Müller. Alle waren hier, haben sich ewig beraten lassen. Bei der Müller bin ich sogar so weit runtergegangen, dass wir fast nichts verdient hätten …«

»Die hat ja auch kein Geld«, sagte Ella. »Der Alte hat die immer kleingehalten. Der war ein Geizkragen vor dem Herrn.«

»Dann müsste das Geld jetzt ja aber auch irgendwo sein. Mit ins Grab genommen hat er’s nicht. Erstens isser noch nicht unter der Erde, dafür wären wir ja zuständig gewesen, und zweitens hat sie auf ganz arme Hose gemacht.«

Ella sah Jochen an. »Vielleicht ist ihr seine Beerdigung deswegen nichts wert? Und sie will es so billig haben wie möglich?«

Jochen und Ella nickten beide. Das ergab Sinn.

»Und deswegen ist sie zum Discounter?«

»Wie ich bereits sagte. Die drei waren hier und sind dann rüber zum Asgaard. Der macht das für die Hälfte, beinahe.« Jochen schaute bekümmert auf seinen Sargkatalog vor sich. »Ich verstehe nicht, wie. Das müssen Särge aus Pressspan sein oder so was.«

»Dieser Hund«, sagte Ella.

»Ella!«

»Stimmt doch.«

Jochen nickte dann doch. »Du hast ja recht. Ich kann diesen aufgeblasenen Fatzke auch nicht ausstehen. Allein diese schmalen Anzüge. Wie so ’n Designer sieht der aus. Und nicht wie ein Bestatter.« Das Telefon klingelte. Jochen ignorierte es. »Was für ein Widerling! Und die Anzüge sind billig, aus Polyester. Wie die Särge wahrscheinlich.«

»Du bist albern«, meinte Ella.

Jochen stand auf und drehte sich zu Ella um. Er nahm sie in den Arm und begann, ihren Hals zu küssen. »Und wenn schon.«

»Jochen!« Ella gickerte und nahm den Hörer ab. »Bestattungen Pabst?«

Jochen bedeckte ihren Hals weiter mit Küssen und ließ sich nicht stören.

»Ja, wir sind sofort da.«

Jochen hielt in der Bewegung inne.

Ella legte auf. »Die Polizei. Eine Leiche. Zwischen Werther und Ascheloh. Beeil dich, Hase.«

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