Albträume der Wirklichkeit - Lukas Katzmaier - E-Book

Albträume der Wirklichkeit E-Book

Lukas Katzmaier

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Beschreibung

Wenn Yumeko einen Albtraum hat, wird dieser zur Wirklichkeit.
Zum Glück hat sie seit Jahren nicht mehr schlecht geträumt.

Wenn Tammo einen schlechten, bösen Gedanken denkt, wird dieser real.
Zum Glück schafft er es, diese Gedanken einigermaßen im Zaum zu halten.

Beide ziehen scheinbar zufällig in dieselbe Stadt, die ebenfalls alles andere als gewöhnlich zu sein scheint.
Die merkwürdige, neue Umgebung sorgt schließlich dafür, dass sowohl Yumekos als auch Tammos Fähigkeiten zu neuem Leben erwachen.
Als sie sich dann zum ersten Mal begegnen, hoffen sie sich gegenseitig Halt geben zu können.
Doch alles scheint mehr und mehr außer Kontrolle zu geraten.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Lukas Katzmaier

Albträume der Wirklichkeit

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorwort

Alle Ereignisse, Charaktere und Orte sind fiktiv.

Falls Verbindungen zu realen Personen bestehen sollten, so sind diese nicht beabsichtigt und rein zufällig.

TEIL 1:

Mauern der Stadt

 

Mauern aus Träumen,

Gedanken aus Stein,

Menschen umzäunen,

Häuser zum Schein.

 

Schwaden aus Stimmen,

Nebel aus Schritten,

Träume von Sinnen,

Gedanken sind Tritte.

 

„Grüne Oase“

Yumeko hörte noch immer den Klang seiner Stimme, so laut und voller Zorn:

„Ihr wollt verschwinden? Dann geht doch! Nur weg mit euch, ihr beschämt meine Familie, wart doch nie wirklich Teil davon!“

Und dann am nächsten Tag war er wie ausgewechselt gewesen.

„Es ist schade, dass es so kommen musste“, hatte er gesagt, während er ihnen half ihr Hab und Gut aus dem Haus zu tragen. „Ich habe für euch meine Kontakte spielen lassen, euch eine Wohnung und dir Akimi, mein Engel, eine Stelle besorgt. Ich hoffe ihr seid mir dankbar!“

Vater hatte dabei gelächelt, doch Yumeko sah längst hinter seine Fassade, sein Grinsen. Sie hatte Recht behalten sollen.

Denn dann waren die Männer gekommen, hatten sie und ihre Mutter gepackt und wie eine Ladung behandelt, als wären sie einfach eine nervige Fracht. Dann war es auf ein schaukelndes Schiff gegangen und stundenlang war nichts als Wasser zu sehen gewesen.

 

 

Zunächst hatte sich Tammo nichts dabei gedacht, er hatte sich abgewöhnt allzu viel zu denken, aber dennoch hatte er es nicht so recht glauben können: Vater hatte eine Stelle gefunden! Endlich hatte das ständige Gejammere ein Ende und vor allem der Lärm, den er in dem winzigen Garten veranstaltet hatte – da hatte ja nur noch gefehlt, dass er mit der Nagelschere das Gras stutzte. Auch Mutter verdiente nicht viel für die harte Arbeit, die sie in einer Bürgerbude ableistete.

Aber einen großen Nachteil hatte Vaters neuer Job als Förster: Er war am anderen Ende der Welt. Völlig ab von allen und jeden. Zwar in einer ansehnlichen Stadt, laut Internet zumindest, aber dennoch irgendwo in der Pampa. Und es beunruhigte ihn auch, dass er noch nie von dieser Stadt gehört hatte, geschweige denn von irgendwem, der von dort kam.

Vom Flughafen, der zwei-drei Hundert Kilometer von ihrem neuen Zuhause entfernt lag, ging es weiter mit einem klapprigen Taxi.

Aus dem Fenster des Taxis schauend ergab sich für Tammo ein Bild von Ödnis: Weit und breit kein Mensch zu sehen. Es ging vorbei an einem bedrohlich dampfenden, riesigen Vulkan, der immer noch aktiv zu sein schien. Vorbei an einer tristen Landschaft aus roter, harter Erde, wie auf einem anderen Planeten.

Dann erhoben sich gigantische Mauern aus Stein. Mutter schaute betrübt zu Boden, griff nach seiner Hand.

„Es wird schon noch schön. Es wird schon alles werden. Wirst sehen“, flüsterte sie ihm zu.

„Schon gut, Mutter!“, brummte Tammo.

„Freut ihr euch denn gar nicht für mich?“, mischte sich Vater vom Beifahrersitz des Taxis ein. Klang deutlich verärgert.

Dann ging es endlich durch das riesige Stadttor, wo grimmig dreinschauende Männer ihre Ausweise kontrollierten.

Als sie durch das Tor fuhren, offenbarte sich Tammo ein nicht zu erwartender, schöner Anblick. Sie fuhren an einem Fluss entlang, vorbei an großen, sattgrünen Bäumen, vorbei an Häuser, die wie neu gebaut aussahen und so groß wirkten. Laut Vater ging es bis an den westlichen Stadtrand, dorthin wo Wald zu sehen war. Hinter dem Wald lag wiederum nur Wasser, hatte Tammo recherchiert.

Als hätte man den Wald extra dort stehen gelassen, damit Vater dort etwas zu tun hatte, dachte er.

Am Waldrand, ab von all den anderen schönen Häusern, stand nun ihr zukünftiges Zuhause, das allerdings keine große Verbesserung zu ihrem alten Wohnort darstellte. Es war nicht viel mehr als eine besser Forsthütte, musste Tammo feststellen, als er das schon von außen nicht sehr viel versprechende Haus betrat.

„Ist doch gemütlich hier!“, hatte sein Vater gemeint.

Seine Mutter hatte ihm daraufhin einen vielsagenden Blick zugeworfen.

Das wird bestimmt nicht besser hier, wenn nicht sogar schlimmer, dachte Tammo und verfluchte sich im selben Moment dafür. Pass auf was du denkst!, sagte er sich nicht zum ersten Mal.

 

 

Aus dem Fenster der neuen Wohnung schauend, bot sich Yumeko das Bild eines Paradieses, zumindest den Anschein hatte es. Viel Wasser, viel Pflanzen, zwischen einzelnen hochmodernen Einfamilienhäusern. Klar, Vater hatte Einfluss und Geld spielen lassen, um ihnen das zu ermöglichen, doch der Schein trog. Sie war ihm keineswegs dankbar. Schon gar nicht für die elende Überfahrt. Außerdem hatte es ihr in ihrem alten Zuhause gefallen, die Wohnung war ebenso groß gewesen und dort war sie nicht aufgefallen; unter all den Millionen Menschen in ihrer alten Heimat hatte sie sich verstecken können. Hier würde ihr das kaum gelingen. Denn das hier war eine Kleinstadt, so viel hatte sie herausbekommen.

Auch hatte sie bei einem Blick auf das wenige Kartenmaterial, was es zu dieser Stadt im Internet gab, festgestellt, dass das hier eine Art grüne Oase war. Zur einer Seite das Wasser, viel Wasser, dort war sie hergekommen, am Hafen, nein Hafen war zu viel gesagt, ein, zwei kleine Boote und sonst nichts, außer das Frachtschiff, auf dem sie gekommen war und dass wohl regelmäßig dort anlegen würde. Die Stadt war von Mauern umgeben, im Westen war zudem ein Stückchen Wald, hinter dem aber wiederum nur Wasser lag. Außerdem befand sich diese Kleinstadt auf einer Halbinsel und die einzige Verbindung zum Festland ging an einem aktiven Vulkan vorbei. Von hier gab es kein Entkommen mehr, zumindest nicht auf sicherem Weg und unbeobachtet, wie es in ihrer Heimat jederzeit möglich gewesen wäre. Anscheinend war das ganze eine Art Privatsiedlung oder dergleichen.

Und das machte ihr jetzt schon eine Heidenangst. Sie würde hier bestimmt nicht gut schlafen können, das wusste sie jetzt schon. Einen Albtraum konnte sie ganz sicher nicht gebrauchen. Der letzte war Jahre her, zu all ihrem Glück.

Ein Klingeln unterbrach ihre Gedanken. Mutter öffnete. In der Tür stand ein Mann mit Glatze und schiefen Zähnen. Passenderweise brummte er:

„Ihr seid also unsere neuen Nachbarn. Na ganz große Klasse! Verschwindet lieber wieder von hier, ist besser für alle, glaubt mir!“

 

„Böse Augen“

„Wie kamst du eigentlich zu dieser Stelle - ausgerechnet hier? Hat es hier überhaupt mal einen Förster gegeben?“, fragte Tammo seinen Vater, der es sich Pfeife rauchend auf einer kleinen Holzbank vor dem Haus bequem gemacht hatte und anscheinend nicht daran dachte, beim Umzug zu helfen. Faul wie eh und je, aber das würde sich ja jetzt bald ändern, dachte Tammo. Mit leeren Augen blickte sein Vater ihn an, lächelte matt.

„Der frühere Förster hier ist gestorben und ein Ersatz musste schnell her, warum ist doch egal. Sei doch endlich mal dankbar! Ich habe eine Arbeit gefunden und gut ist!“

Tammo schüttelte nur den Kopf, ging in sein neues Zuhause hinein, um seiner Mutter zu helfen, diese lausige Hütte einigermaßen einzurichten.

 

 

Yumeko sah den glatzköpfigen Nachbarn genau in die Augen. Dieses schwarze Funkeln erinnerte sie an ihrem Vater. Böse. Böser Blick, böse Augen.

„Warum sagen Sie das? Was soll das? Was wollen Sie?“, flüsterte ihre Mutter schon fast, den Kopf gesenkt, wie immer.

„Wir sind hier gern unter uns. Hier ist es gefährlicher als es scheint und ihr macht alles nur noch schlimmer. Ich wollte nur sehen wer ihr seid, dachte, ich warne euch freundlicherweise. Geht! Hier ist es nicht sicher!“

Damit ging der Mann.

Mutter ging in die Knie, Yumeko drückte sie.

„Das ist doch nur ein Spinner! Hör nicht auf ihn! Besser als zu Hause ist es allemal.“

 

 

Tammo hatte zusammen mit seiner Mutter beschlossen, die Stadt näher anzuschauen.

Vater wollte nicht mit, sondern den Wald erkunden. Seinen zukünftigen Arbeitsplatz. Außerdem wollte er sich mit einem Angestellten der Stadt treffen, um alles zu besprechen.

Die Leute, an denen Tammo vorbeikam, beachtete er gar nicht, stellte nur fest, dass die Kleinstadt überraschend multikulturell zu sein schien.

An einem kleinen Flüsschen entlanggehend, bemerkten sie, das zudem kaum Autos auf der recht schmalen Hauptstraße vorbeifuhren, was vor allem seine Mutter freute, die wahrscheinlich sonst längst laut geschnauft hätte.

„Was machst du eigentlich jetzt? Schaust du auch wieder nach einen Job?“, fragte er sie, während sie zuerst an einem kleinen Krankenhaus und benachbarten Ärztezentrum vorbeikamen und dann endlich an dem Supermarkt anlangten, zu dem sie hatten gehen wollen.

„Vorerst nicht. Hab genug von der Bürgerbude. Ich weiß sowieso nicht, ob es hier etwas Vergleichbares gibt.“

„Wieso denn nicht, bei der Infrastruktur hier?“

Schweigend kauften sie einige wenige Dinge an, wie immer genau auf jedes Angebot schauend.

Der Rest der Stadt war dann doch etwas enttäuschend. Außer dem Supermarkt gab es lediglich noch ein kleines Kleidungsgeschäft, zwei Restaurants und einen Friseur. Zumindest fanden sie in der Fußgängerzone nicht mehr.

„So viel zum Thema Infrastruktur: Hat zwar alles, aber von allem wenig“, murmelte seine Mutter.

„Immer noch sehr viel mehr als zu Hause“, meinte Tammo.

Sie saßen auf einer Bank an einem der vielen kleinen Parks. Mutter hatte eine Pause gebraucht vom Einkauf schleppen und er vom blöden herumlaufen.

„Aber du hast schon recht: Scheint wirklich schön hier zu sein. Seltsam nur, dass man so wenig von der Stadt hört. Wäre doch schön für jegliche Touristen.“

„Ach ja? Meinst du? Bei all den Sicherheitsmaßnahmen hier, bei all den Mauern? Wahrscheinlich würden die hier richtige Touristen erst gar nicht rein lassen!“

„Weißt du Tammo: Dein Vater hat recht. Sei doch nicht immer so undankbar! Sei nicht immer so negativ. Wir sind doch erst angekommen. Lass dich erst mal ein auf alles. Es wird bestimmt schön hier.“

Das meint die jetzt nicht ernst, dachte Tammo und fluchte innerlich, seine Mutter dabei stets im Blick.

 

 

Yumeko wollte shoppen gehen, während Mutter das Essen machte.

Aber auch die anderen Menschen schienen nicht sehr freundlich zu sein. Ständig sah sie böse Augen. Böse Blicke. Viele verschiedene ethnische Gruppen scheint es zu geben. Multi-Kulti kannte sie schon von daheim. Aber die Kleinstadt hier war wirklich klein. Ein Witz. Nur ein Kleidungsgeschäft! Dafür ein Haufen Ärzte und ein, zwei riesige Bürokomplexe, die Vater sicher gefallen hätten.

Der Klamottenladen war zum Glück nicht so schlecht, wie er von außen wirkte und sie war schnell fündig geworden. Doch auch die Kassiererin hatte irgendetwas leise gebrummelt von wegen: „Noch jemand neues. Wollen die unseren schönen Ort vollends zerstören?“

Yumeko hatte es dennoch gehört, hörte immer genau hin. Sah die Zeichen wie unerwünscht sie hier war, kannte es von ihrem Vater. Wäre er nicht so... es hätte alles so schön sein können, viel besser als hier. Enttäuscht kehrte sie wieder um.

Es wurde schon dunkel, war später geworden als sie gedacht hatte.

Ihre Mutter wartete bestimmt schon sorgenvoll mit dem Essen. Würde ihr Vorwürfe machen und sie beschimpfen, weil sie wusste wie Vater reagierte … nein, der war ja nicht mehr da. Der war weg. Weg. Auf der anderen Seite des Ozeans. Keine so bösen Augen mehr. Selbst die des glatzköpfigen Nachbarn waren nicht so böse, dachte sie.

Dann hörte sie Schritte. Hinter sich.

Große, schwere Stiefel, die ganz sicher nicht zwecks Wärme getragen wurden, war warm genug hier, auch um die Uhrzeit noch.

Sie drehte sich gar nicht erst um, beschleunigte nur etwas.

Doch die Schritte wurden lauter, kamen näher und näher.

Dann roch es seltsam modrig, alt, stank fast schon.

Und der Mann war da.

Er war alt, sehr alt und doch so schnell. Mit seinem schweren Holzstock hätte er sie fast noch am Fuß erwischt, wäre sie nicht zu Seite gesprungen und hätte sich kampfbereit umgedreht.

„Platz junge Dame. Platz!“, krächzte er. „Du bist im Weg und wirst es immer sein. Du wirst Unheil bringen. Weiche! Weiche!“

Nahezu rennend entfernte sich der Greis, trotz seines Alters und trotz des Stockes.

Sie hatte es doch geahnt. Vater hatte keinen normalen Ort für sie ausgesucht. Wahrscheinlich waren hier alle so unfreundlich und vor allem so verrückt. Vater hatte das bestimmt schon vorher gewusst. Sie sah förmlich, wie er die Szenerie mit seinen bösen Augen beobachtete und lachte.

 

„Mauern“

Tammo wollte das Wasser sehen, die Küste, nicht den Wald, auf den sein Vater achten sollte.

Also ging er die lange, schmale Straße entlang, allein, Mutter hatte sich doch entschlossen sich die Restaurants anzusehen, in der Hoffnung sie würde dort vielleicht einen Job als Kellnerin oder Küchenhilfe bekommen. Woher der plötzliche Sinneswandel kam, war Tammo eigentlich egal, vielleicht war sie es ja satt, dass sie jetzt nicht mehr Vater schimpfen konnte, er sei faul und trage dazu nicht mal etwas für den Haushalt bei.

Jetzt, da Vater arbeitete, würde sich so einiges ändern. Tammo hatte fast aufgeschrien, als sein Vater gestern Abend mit seinem üblichen Holzfällerhemd und seinem gewaltigen Körper in der Tür stand, denn Vater hatte eine Axt hoch erhoben, als wäre sie eine Trophäe oder eben ein gutes Werkzeug zum Drohen.

Auf Tammos Weg ans andere Ende der Stadt, begegnete er einem sehr rüstigen Mann, der ihm trotz Stock entgegen rannte. Tammo musterte ihn kurz, runzelte die Stirn, lachte dann. Sofort blieb der Alte stehen.

„Was gibt’s zu lachen, du Lausbub? Noch eine Plage mehr in der Stadt! Verschwinde wieder, verschwindet alle! Sonst ergeht es euch wie dem alten Harald, dem Förster. Gott sei seiner Seele gnädig.“

„Wieso? Was war denn mit diesem Harald?“

Der Alte schüttelte nur den Kopf und rannte weiter, halb hüpfend.

Nichts denken!, sagte Tammo sich. Das endet nicht gut, lauf einfach weiter.

Er musste schon fast am Hafen angelangt sein, als ihn zum ersten Mal auch jemand in seinem Alter begegnete. Der Junge, dessen Scheitel kotzgrüne Haare zierten, blieb kurz stehen.

„Hi, du Riese! Bist du neu hier?“

Tammo runzelte erneut die Stirn. Er blickte auf den Jungen herab.

„Sieht man mir das an? Sprichst du Fremde immer so an?“, fragte er, kratzte sich am Kinn. Diese Stadt war so … anders, das spürte er einfach und die Menschen waren bestimmt auch alle seltsam, dachte er, verfluchte sich dafür.

Der Junge sah ihn fragend an.

„Ja, das sieht man. So viele neue kommen hier nicht her und ja ich spreche jeden so an.

Nur ein guter Rat: Falls du vorhast hier zur Schule zu gehen, gehe auch wirklich zur Schule und nicht in das Internat. Egal, was man dir sagt, egal, welchen guten Ruf es angeblich hat und was einem das für die Zukunft ermöglicht.“

„Hab ich nicht vor. Aber nur mal so: Was stimmt hier nicht? Warum habe ich noch nie zuvor irgendwo von diesem Ort gehört?“

Der Junge lachte. „Hast du nicht die Mauern gesehen? Nicht gerade einladend, oder? Hast du mal überlegt warum sie da sind, wenn doch nur Ödnis oder Wasser dahinter ist? Hast du mal überlegt, warum sie alles hier so gut bewachen? Du weißt ja gar nichts, überhaupt nichts...“

Der Junge schüttelte kurz den Kopf, schaute zu Boden, traurig, dann wieder zu Tammo.

„Es ist kein Zufall, dass hier so wenig Fremde kommen, denn das ist einfach nicht gewollt. Es ist kein Zufall, dass du hier bist.“

Dann rannte er davon, ehe Tammo nachhaken konnte.

 

 

Yumeko hallten noch immer die weinerlichen Schreie ihrer Mutter im Ohr.

„Warum, Yumi, warum tust du mir das an? Es ist schon Nacht, weißt du was ich mir für Sorgen gemacht habe?“

Sie hatte nichts gesagt, oft war das besser.

Auch am nächsten Tag hing dicke Luft im Raume, Mutter musste zur Arbeit und ließ sie sichtlich nur ungern zu Hause.

„Denk dran, dass du ab sofort Hausarrest hast, junge Dame!“, schluchzte sie mehr, das mit dem strengen Ton bekam sie nicht hin.

So sehr sie Mutter auch nicht enttäuschen wollte, wollte sie auf keinen Fall den ganzen Tag in der Stube sitzen, denn trotz der großen Wohnung fühlte sie sich hier so eingeengt.

Sie wollte die andere Seite der Stadt sehen, wollte die Landschaft sehen, die Ödnis, die Felder, die endlose Ferne, die dort sein sollte und die sich nicht so bewegte, wie der elende Ozean.

Sie kam nicht weit.

Die mächtigen Mauern sah sie schon, da begegnete sie einem Jungen mit sehr auffälligen, grün gefärbten Haaren, der ihr den Weg abschnitt.

„Na du Hübsche, wohin des Weges?“

Sie atmete einmal tief durch und versuchte mit so fester Stimme wie möglich zu sagen.

„Lass mich in Ruhe!“, heraus kam nur ein Geflüster.

„Ich tue dir nichts. Keine Sorge. Im Gegenteil, ich will dir nur einen guten Rat geben, da du offensichtlich neu hier zu sein scheinst.“

„Das sieht man mir also an? Lass mich raten: Ich soll verschwinden“, sagte sie, endlich etwas lauter, wie sie erfreut feststellte.

Der Junge lachte.

„Nein, nein. Ich meine, es wäre sicher nicht schlecht, aber ich glaube kaum, dass es so einfach ist, schon wieder wegzuziehen, vor allem von hier. Ich wollte dir nur sagen, dass du dich von dem Internat hier fernhalten solltest, egal was sie dir sagen. Das ist besser für dich, glaub mir, ist die Hölle dort“, raunte er ihr zu, ehe er einfach davonrannte, bevor sie auch nur irgendetwas erwidern konnte.

Sie sah ihm noch lange nach. Internat. Schule. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht, nicht denken wollen. Sie ahnte aber, dass sie wahrscheinlich genau auf diesem Internat, vor dem der Junge sie unbedingt hatte warnen wollen, landen würde. Ihr Vater hatte das hier organisiert, also war das doch bestimmt schon alles arrangiert worden. Zumal ihre Mutter nach dem gestrigen Tag sowieso auch nicht gut auf sie zu sprechen war und wahrscheinlich nur allzu froh war, sie dort „versorgt“ zu wissen.

Seufzend ging sie weiter, der großen, mächtigen Steinmauer immer näher kommend.

Dann sah sie das riesige Tor, zu dem die schmale Hauptstraße lief. Kein Auto war dorthin unterwegs und auch keines kam von der anderen Seite.

Sie sah sofort die uniformierten Männer, die ihr mehr als böse Blicke zuwarfen.

„Wo willst du denn hin, Kleine?“, zischte sie einer an, als sie einfach auf gut Glück den Weg raus aus der Stadt suchte. „Raus hier oder ist das ein Gefängnis?“

Ein anderer Wachmann lächelte kurz, mischte sich dann ein.

„Nein, nein, natürlich nicht.“, sagte er schnell, wedelte dabei mit den Armen.

„Aber was willst du denn da draußen, so allein? Da ist doch nichts. Außer dem Vulkan. Da ist es gefährlich.“

„Ich bin 18, ich kann tun und lassen was ich will.“

„Natürlich, nur das du nicht 18 bist, nicht? Du bist erst 17, junge Dame. Yumeko Mai Nagoka. Wir haben dich hier in unserem System, wie jeden anderen auch. Und da du neu bist, war es nicht besonders schwer, deine Daten im System zu finden“, kam eine Stimme aus einem Wachhäuschen, das in der Mauer kurz vor dem Tor zu stehen schien.

„Ich gehe trotzdem“, flüsterte sie nun wieder, senkte den Kopf und trat auf das Tor zu, das zu ihrer Überraschung zur Seite glitt.

 

 

Tammo riss sich zusammen, wollte nichts denken, vor allem nicht an den seltsamen Jungen, wollte nur weiter zum Wasser, denn er wusste, das war besser so.

Die Sonne schien heiß und hell, der Fluss plätscherte leise, wurde lauter und Tammo fand schließlich die Stelle, wo er in den Ozean mündete.

Über spitze Steine hinweg kletterte er am Wasser entlang, stellte sich Wind und Wellen entgegen und sah dann den schönsten Strand, den er je gesehen hatte. Gelb glänzte der makellose Sand, kein Müll, keine Quallen, nichts was er befürchtet hatte. Auch lagen keine Massen von Menschen auf Handtüchern dort, man konnte die Badenden an einer Hand abzählen.

Doch dann entdeckte Tammo gleich drei Uniformierte, die den Strand auf und abliefen und das traumhafte Bild etwas störten.

Eine Dame, die ihn soeben erblickte, sich durch die Haare fuhr und ihm dann entgegen zischte, was er hier zu suchen hätte und warum er nicht in der Schule war, brachte ihn dann endgültig dazu weiterzugehen. Ans Ende des Strandes. Er spürte genau, wie ihm Augen folgten, bis er schließlich ein, zwei kleine Boote und einen Landesteg sah. Ein weiterer Uniformierter stand dort, warf ihm einen finsteren Blick zu.

Auf der anderen Seite des Landestegs war nur wenig Wasser und dann eine riesige Felswand, die wie eine weitere Mauer seinen Weg versperren würde.

Das ungute Gefühl in ihm wuchs und wuchs. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Wie zur Bestätigung verschwand jegliches Licht, keine Sonne, alles dunkel, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.