Alf von Dülmen - Benedikte Naubert - E-Book

Alf von Dülmen E-Book

Benedikte Naubert

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Beschreibung

Die Geschichte Kaiser Philipps und seiner Tochter. Benedikte Naubert war eine deutsche Schriftstellerin, die – überwiegend anonym – über 50 historische Romane veröffentlichte. Sie gilt als eine der Begründerinnen des historischen Romans in Deutschland.

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Alf von Dülmen

Benedikte Naubert

Inhalt:

Benedikte Naubert – Biografie und Bibliografie

Alf von Dülmen

Eingang

Geschichte Alfs von Dülmen

Evert von Kemen an die Nachwelt

Der Kardinal Lothar an den Bischof von Kastilien.

Bernhard, Herzog zu Sachsen, an Pfalzgraf Otten von Wittelsbach.

Elise von Schwaben an die Gräfin

Alix von Toulouse.

Pabst Innozens III. an Kaiser Philippen.

Philipp an Innozens.

Pabst Innozens an den Bischof von Sutri.

Von Rom an den Erzbischof von Kölln.

Die Kaiserin Irene an ihre Tochter Elise.

Pabst Innozens an die deutschen Fürsten.

Irene an Elisen.

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Adolf,

Grafen von ***.

Der Bischoff von Sutri an den Kardinal

Guido von Präneste.

Pfalzgraf Otto an den Pabst.

Der Pabst an den Herzog von Zähringen.

Die Kaiserin Irene an ihre Tochter Beatrix.

Beatrix an ihre Mutter.

Kaiser Philipp an den Pabst.5

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Adolf,

Grafen von ***.

Nach Rom.

An den Bischof von Kastilien.

Die Kaiserin Irene an ihre Töchter.

Evert von Gemen an Adolf Grafen von ***.

Der Graf von Segni an den Bischof von Sutri.

Der Graf von Segni an den Bischof von Kastilien.

Der Unbekannte an Alf von Dülmen.

Alf von Dülmen an den Unbekannten.

Alverde an Irene.

Beatrix an Alverde.

Alverde an Alf von Dülmen.

Peter von Kalatin nach Rom.

Peter von Kalatin an den Unbekannten.

Alf von Dülmen an Alverde.

Die Fürstin von Kastelmoro an den Bischof

von Kastilien.

Alverde an den Pfalzgraf Otto von Wittelsbach.

Alix an Alverde.

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an Bernhard, Herzog von Sachsen.

Antwort.

Alf von Dülmen an den Pfalzgrafen Otto.

Alverde an den Pfalzgrafen

Otto von Wittelsbach.

Der Unbekannte an Peter von Kalatin.

Beatrix an Alverde.

Alf von Dülmen an den Pfalzgrafen.

Elise an ihre Mutter Irene.

Kunigunde, Gräfin von Segni, an ihre Schwester Elise.

Elise an ihre Mutter Irene.

Irene an Elisen.

Elise an ihre Mutter.

Alverde an die Prinzeßinnen.

Beatrix an Irene.

Irene an Beatrix.

Alf von Dülmen an den Unbekannten.

Herzog Bernhard von Sachsen an Pfalzgraf Otten von Wittelsbach.

Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, an die Prinzeßinn Elise.

Antwort.

Otto von Wittelsbach an die Kaiserinn Irene.

Anton von Hagenau, kaiserlicher Kammerherr an die Oberhofmeisterinn der Kaiserinn Irene.

Alverde an den Pater Zyrill vom heiligen Kreuze.

Die sterbende Irene an ihre Kinder.

Alverde an den Pater Zyrill.

Alverde an den Pater Zyrill.

Elise, Prinzessinn von Kastilien an ihre Freundinn Alverde.

Alverde an die Prinzeßin von Kastilien.

Beatrix an Alverde.

Kaiser Otto IV. Erklärung.

Kaiser Otto an Beatrix.

Herzog Bernhard an Peter von Kalatin.

Alverde an Beatrix.

Beatrix an Elisen.

Peter von Kalatin an den Herzog von **

Otto von Wittelsbach an Elise und Beatrix.

Beatrix an die Prinzessinn Elise von Kastilien.

Alf von Dülmen an Otto von Wittelsbach.

Jutta, Alverdens Kammerfrau, an den Bischof von Sutri.

Alverde an die Aebtißin des Cölestinerklosters zu Pamiers.

Bernhard, Herzog von Sachsen, an den Herzog von ***

Alf von Dülmens Geständnisse an die Nachwelt.

Evert von Remen, zum Beschluß

Alf von Dülmen, B. Naubert

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849632557

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Benedikte Naubert – Biografie und Bibliografie

Christiane Benedicte Eugenie N. wurde am 13. September 1756 zu Leipzig geboren. Ihr Vater war der berühmte Professor der Medizin, Dr. Johann Ernst Hebenstreit, der schon im Dezember 1757 als ein Opfer seiner Berufstreue am Lazarethtyphus starb. Die vaterlose Waise wurde von einer trefflichen Mutter in allen damals üblichen weiblichen Arbeiten, vorzüglich im Sticken unterrichtet, worin sie es zu einer solchen Geschicklichkeit brachte, dass sie ganze Gegenden mit leichter Mühe mit der Nadel aufnahm. Ihre wissenschaftliche Ausbildung leitete besonders ihr Stiefbruder, der Professor der Theologie Hebenstreit, der sie sogar in die alten klassischen Sprachen, in die Philosophie und Geschichte einführte. Die Kenntnis der französischen, italienischen und englischen Sprache verdankte sie ihrem eigenen Studium. Ihre Mußestunden waren der Musik gewidmet: sie spielte Klavier und Harfe, letztere sogar noch in ihrem Alter mit einer gewissen Virtuosität. Dieser gelehrten Bildung ungeachtet, versäumte sie nie die dem weiblichen Berufe eigentümlich angewiesenen Pflichten; sie war häuslich und lebte eingezogen, führte in früherer Zeit die Wirtschaft ihrer Mutter und war die unverdrossene Pflegerin am Krankenbette derselben. Die Schriftstellerin war zweimal verheiratet, zuerst mit Lorenz Holderieder, Kaufmann und Rittergutsbesitzer in Naumburg, mit dem sie sechs glückliche Jahre verlebte, und nachmals mit Johann Georg Naubert, einem angesehenen Kaufmann ebendaselbst, der sich später nach Leipzig wandte. Die Beschäftigung ihres regen Geistes war ihr in den frühesten Zeiten Erholung, in den späteren Jahren Bedürfnis, und als sich eine Schwäche des Gehörs und Gesichts bei ihr einstellte, konnte sie doch ihren Geist nicht zur Untätigkeit verweisen, und so diktierte sie ihre Romane. Im Herbste 1818 siedelte sie nach Leipzig über, um sich hier auf eine Operation an den Augen vorzubereiten. Eine Erkältung, die sich zunächst in einer rheumatischen Hals- und Brustentzündung äußerte, ging schnell in Lungenlähmung über, und schon nach vier Tagen machte der Tod am 12. Januar 1819 ihrem Leben ein Ende. Benedicte N. war eine äußerst fruchtbare Schriftstellerin; ihre Schriften, teils Originalwerke, teils Übersetzungen aus dem Englischen, zählen mehr als 80 Bände. Bis fast an das Ende ihres Lebens war ihr eifriges Bestreben, sich in eine dunkle Anonymität zu hüllen, von einem glücklichen Erfolge gekrönt; erst ihren Roman „Rosalba“ (II, 1817) unterzeichnete sie mit ihrem Namen. Daher kam es auch, dass ihre Romane bald dem Forstrath Cramer in Meiningen, bald dem Buchhändler Heinse in Zeitz, bald Johann C. Friedrich Wilhelm Müller (Filidor) in Leipzig, bald dem Professor Milbiller in Wien zugeschrieben wurden. Zu ihren Romanen verwertete die Verfasserin vorwiegend historische Stoffe. Sie entwickelte darin mannigfaltige historische Kenntnisse und gute Auffassung der Zeitverhältnisse, besonders des Mittelalters. Bei einer reichen und lebendigen Phantasie zeigte sie klaren Verstand in der Komposition ihrer Werke, die sich außerdem durch tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens, durch echten Sinn für alles Schöne und Gute und durch die reinste Weiblichkeit auszeichnen. Zu erwähnen wären besonders „Walther von Montbarry“ (II, 1786); „Geschichte der Gräfin Thekla von Thurn“ (II, 1788); „Hermann von Unna“ (II, 1788); „Konradin von Schwaben“ (II, 1788); „Elisabeth, Erbin von Toggenburg“ (1789); „Werner Graf Bernburg“ (II, 1790); „Konrad und Siegfried von Feuchtwangen“ (II, 1792.) u. v. a. Von ihren sonstigen Schriften sind besonders die „Neuen Volksmärchen der Deutschen“ (V, 1789–93) hervorzuheben, die man wohl hie und da für Nachahmungen des Musäus erklärt, die aber völlig freie Erfindungen sind und manchem Schriftsteller (Oehlenschläger, Hoffmann u. a.) Stoff zu seinen Dichtungen geboten haben.

Alf von Dülmen

Eingang

1393

Auf einer einsamen Reise, deren Ursach und Endzweck die Sage zu melden vergessen hat, kam Pfalzgraf Ruprecht, mit dem Zunamen der Bärtige, in eine Gegend, welche unser Urschreiber, der seine Gegenstände überhaupt hier und da geflissentlich in Dunkel zu hüllen scheint, ebenfalls ungenannt läßt. Es war ein wüstes Thal mit hohen Gebürgen umgeben, in der Mitte von einem schmalen, aber tiefgehenden und hochufrigen Bergstrom durchschnitten, der sich nordwärts von einer Felsklippe auf die andre herabstürzte, und sich schon in der Fern durch sausendes Geräusch verkündigte.

Ruprecht war in diesem Gebiet so wohl ein Neuling als wir, er hatte die umliegenden Gegenden oft bereist, wußte ihren Namen und ihren Eigener, aber in diesen Abschnitt derselben, in diesen verlassenen Winkel der Natur war er nie gekommen, hatte nie nur das Daseyn desselben gemuthmaßt, ob er gleich in der Folge sich besann, daß er jenseit dieser Gebürge zuweilen an heitern Tagen, etwas wie Thurmspitzen und Mauerzinnen auf einer der höchsten Anhöhen hatte herüberragen sehen; doch die Augen des Pfalzgrafen waren schlecht, die Ferngläser noch nicht erfunden, und wenn er in diesen Gegenden wallte, ritt ihm gemeiniglich kein hellersehender Knappe zur Seite, denn die Natur seiner Reisen wollte es, daß – er allein war.

Jetzt, da ihn ein enger Bergweg durch Zufall in die Gegend leitete, die er zuvor niemals sah, erblickte er deutlicher, was er vorher nur wie Schatten gesehen hatte. Jene Thurmspitzen und Mauerzinnen zeigten sich ihm jetzt näher, und von einer andern Seite, sie waren ein Theil einer allen halb verfallenen Burg, welche auf einem der mittlern Hügel der besagten Gegend lag, und den Hintergrund eines Gemäldes ausmachte, welches im Ganzen wenig Reiz für die Sinnen hatte. Ein ödes Thal mit unfruchtbaren Gebürgen umgränzt, ein brüllender Bergstrom, eine alte Trümmer von einem Schloß, das wahrscheinlich schon zu Karls des Großen Zeiten nicht mehr neu gewesen war, welche Gegenstände für einen müden Reisenden, über dessen Haupt sich Gewitterwolken zusammen zogen, und seine Sehnsucht nach Ruhe und Obdach vermehrten!

In dem ganzen Bezirk zeigte sich dem Auge kein lebendiges Geschöpf, als die niedrig fliegenden Vögel, welche die Ahndung des Sturms ihre Nester suchen machte. Die Luft im Thale athmete schwül, kleine Windstöße unterbrachen die bängliche Stille. Der Staub drehte sich in kurzen Kreisen, einzelne Regentropfen begannen zu fallen, und in der Ferne rollte der Donner.

Ruprecht spornte sein Pferd an, dem drohenden Sturm zu entkommen. Zwar sah er keine andere Zuflucht vor sich, als das noch ziemlich ferne Schloß, das auf seiner Höhe in der dicksten Nacht der Gewitterwolken zu liegen schien, und auf keine Art einen einladenden Anblick gab; aber er war in dem Falle, nicht wählen zu können, welcher gewöhnlich jeder Bedenklichkeit ein Ende macht.

Ehe er die Burg noch erreichen konnte, brach schon das Ungewitter mit vollem Wüthen los; der Himmel strömte, der Fluß schwoll an, die hundertjährigen Fichten, die einigen hier gedeihenden Bäume, beugten sich, und der arme Pilger sah seinen Weg wechselsweis in dichte Dunkelheit gehüllt, und in Feuer schwimmend vor sich. Der Schloßberg war jetzt erreicht, jetzt über die Hälfte zurückgelegt, der Pfad ward weniger steil; auf einem Absatz linker Hand machte ihm ein Blitzstrahl ein hohes steinernes Gebäude sichtbar; es schien kein Ort, wo man Obdach finden konnte, sondern ein altes halb verfallnes Monument zu seyn, von dem er keine weitere Notiz nahm, sondern im vollen Trabe vorübersetzte, endlich die Burg zu erreichen, wo er noch nicht wußte, ob er Menschen, oder Raben und Eulen zu Hauswirthen haben würde.

Das Thor war geschlossen; der Pfalzgraf schlug mit einer Macht an, die seinen Stand und seine Hülfsbedürftigkeit gleich stark bezeichnete. Erst auf den vierten Schlag erfolgte zur Antwort von innen die Frage: wer sich einmal in diese Gegend verirrt habe? – Ein Reisender, war die Antwort, den das Ungewitter hieher treibt. – Das merke ich, antwortete man, indem sich die Pforte öffnete; bey schönem Wetter wird hier wohl niemand einsprechen. Doch kommt herein, das Unwetter hat euch übel mitgefahren, ihr seyd naß bis auf die Knochen!

Es war ein alter Mann in ehrbarer Kleidung von gutem Ansehen, der diese Worte zu dem triefenden und keuchenden Ruprecht sagte, es war etwas Zutrauen erweckendes in seinem Tone, der Pfalzgraf, der jetzt abgestiegen war, schüttelte ihm treuherzig die Hand, und folgte ihm aus dem hochgewölbten Vorhaus, das von einer hängenden Ampel erhellt wurde, in die untere Halle, wo nach alter deutscher Sitte auf dem steinernen Tisch in der Mitte ein Krug mit Wein und ein gefüllter Becher auf den warteten, der sie leeren wollte.

Labt euch hier mit einem Trunke, sagte der Hauswirth, indeß ich Befehl gebe, daß man ein Feuer anmache, und euch trockne Kleider bringe. Ruprecht that wie ihm geheißen war, und trat denn ans Fenster, in den Sturm hinaus zu sehen, dem er eben entkommen war. Ein fürchterlicher Blitz, und ein Donnerschlag, welcher nicht anders tönte, als ob der alte Steinhaufen, in dem der Reisende eingekehrt war, über ihm zusammenstürzte, scheuchte ihn zurück. Ruprecht war eben nicht furchtsamer Art, aber die wenige Kenntniß von den Geheimnissen der Natur machte, daß man zu den damaligen Zeiten noch mehr vor dem Feuer des Himmels bebte, als heut bey Tage.

Das ist ein fürchterliches Wetter, sagte der Wirth, der jetzt wieder herein trat; dieser Schlag hat in der Nähe Baum oder Fels gespalten! Gott gnade mir und meinen armen Hause, wenigstens um des Reisenden willen, den ich eben aufgenommen habe. – Kennt ihr ihn? fragte Ruprecht, könnte er nicht etwa ein Sünder seyn, der die Rache des Himmels erst über euch brächte?

Das ist er nicht! sagte der Alte, indem er seinen Gastfreund behülflich war, die nassen Kleider gegen das mitgebrachte reine und ausgewärmte Gewand zu vertauschen; aber verzeiht, daß ihr so langsam bedient werdet; ich habe nur zwey Knechte! Vincent, eile du dort am Feuer, daß du meinen Herrn zu Tische dienen kannst; Kurds Wildpret muß, wenn er nach Hause kommt, auf Morgen aufbewahrt werden, ich hoffe die Gegenwart meines edeln Gasts mehr als einen Tag zu geniessen.

Vincent hatte im Kamin ein tröstendes Feuer angezündet, der Hauswirth, der sich seinem Gaste auf Befragen, Thomas Knebel nannte, zog ihm einen Sitz herbey, und sorgte, daß er sich mit dem Rücken nach den Fenstern kehrte, damit ihn das noch immer fortdaurende Feuer der Blitze nicht schrecke oder blende. Darauf half er seinem Knechte selbst den Tisch bereiten, der mit Wein, Brod, kaltem Wildpret und Früchten bald so gut besetzt war, daß ein hungriger Reisender volle Erquickung und Sättigung hoffen konnte.

Erlaubt, sagte Thomas, als Ruprecht sich setzte, daß ich euch gegenüber meinen Platz nehme.

Und warum erlauben? Ihr seyd Wirth, ich Gast!

Ihr habt recht, ein ehrlicher Wirth darf wohl an seines Gastes Seite sitzen, und wir sind ja weit genug von der Welt entfernt, die die scharfe Gränzlinie zwischen Fürst und gemeinen Mann gezogen hat, welche eigentlich nur zwischen den guten und bösen Menschen statt finden sollte!

Fürst? Kennt ihr mich? –

Schon vorhin meine Hoffnung, daß mir Gott um euretwillen gnädig seyn möchte, hätte euch sagen sollen, daß ich euch kenne. Ihr seyd Pfalzgraf Ruprecht der Kleine, ein wackerer biederherziger Mann, der den Fluch in kein Haus bringen wird, wo er einkehrt.

Thomas Knebel, antwortete Ruprecht, ich würde sagen, mir sey nie so fein geschmeichelt worden, wenn sich das Wort Schmeicheley zu eurem Gesicht paßte.

Ihr würdet mir in Wahrheit unrecht thun, lachte Thomas. Daß ich nicht schmeicheln und kriechen kann, zeigt euch die Art, auf welche ich mit euch spreche; die Stelle, worauf ich sitze, und der Trunk aus diesen Becher, mit welchen ich euch hier willkommen heiße.

Thomas trank, Ruprecht that Bescheid, man speißte mit Appetit, und so ganz ohne Zwang, als wenn hier der Gleiche mit dem Gleichen zu Tisch gesessen hätte, und nachdem ein halbes Dutzend Gemeinplätze z. B. über das nachlassende Ungewitter, und die Verirrung auf Reisen vorüber waren, dergleichen sich bey dem Eingang jedes Gesprächs finden, so nahm eine Unterhaltung unter beyden Platz, welche den redlichen geradsinnigen Pfalzgrafen in der Seele wohl that. Das funfzehende Jahrhundert, an dessen Grenzen sich diese Geschichte zutrug, mißte schon manchen der Vorzüge seiner Vorgänger, es war in denselben schon etwas seltnes geworden, daß ein Fürst, wenn er mit einem Niedern zusammentraf, etwas anders fand, als den Ton der Schmeicheley oder die düstre Zurückhaltung des Mißtrauens und heimlichen Neides.

Mein redlicher Thomas, sagte Ruprecht am Ende der Abendmahlzeit, indem er seine Hand über den Tisch nach seinem Wirthe ausstreckte, die seinige zu fassen. Ich werde von euch scheiden müssen, sey es gleich Morgen oder über mehrere Tage, und ich fühle, daß mir die Kenntniß eures Namens beym Andenken an euch nicht genug thun wird, laßt mich mehr von euch wissen, laßt mich wenigstens wissen, woher ihr mich kanntet.

Ich führte unter eurem Vater, antwortete er, zuerst die Waffen, wie sollte ich euch, den Sohn meines Herrn und Wohlthäters nicht kennen? Manches Jahr ist wohl seitdem entflohen, ihr seyd seitdem aus dem Jüngling zum Manne geworden, aber die Grundzüge des Gesichts, so wie die des Gemüths, sind nicht so leicht zu verlöschen, man kann in denselben nach einen halben Menschenalter noch immer seinen Bekannten wieder finden.

Aber wie ists möglich, fragte der Pfalzgraf, daß der Mann, dem ich bekannt war, der sich durch das, was mich jetzt in wenig Stunden an ihn gefesselt hat, vor Tausenden auszeichnen mußte, daß dieser mir so lang unbekannt blieb?

Glaubt denn Ruprecht, jeden Biedermann zu kennen, der ihn kannte? – Mich hat mein Schicksal Jahrelang der abendländischen Christenheit aus den Augen gerückt, und ich mußte also wohl unbekannt werden! In meinem Vaterlande erregte zu der Zeit, da ihr ein Jüngling waret, ich ein Mann wurde, eine Unthat allgemeines Aufsehen, welche zu groß für die Ahndung der öffentlichen Gerechtigkeit, den Arm heimlicher Rächer auf sich lenkte. Ein Mann, der mein Freund war, hatte sie begangen, ich war so unschuldig als unwissend in der Sache, aber die That schlängelte sich durch allerley Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten, so dicht zu mir heran, daß ich eine fast unmögliche Rechtfertigung zu Stande bringen, sterben oder fliehen mußte. Ich wählte das letzte. Palästina ist mein Vaterland gewesen bis vor wenigen Jahren, da sich eine gute Gelegenheit zeigte, den Orient zu verlassen. Die furchtbaren Unbekannten, die mich verfolgten, sind allwissend, aber Dank sey ihrem großen Oberrichter, sie sind nicht unsterblich. Ich dachte mir die Möglichkeit, keinen von ihnen mehr am Leben, oder mich durch jahrelange Mühe und Abwesenheit so unkenntlich gemacht zu sehen, daß ich nun mit Sicherheit in dem Lande leben könnte, aus welchen mich einst zu hochgespannte und übelverstandene Gerechtigkeit vertrieb. Meine Hoffnung ward erfüllt, niemand kannte meinen Namen mehr, wie hätte man sich meiner Gestalt noch erinnern sollen! Verwandte hatte ich von jeher wenig, Freunde noch weniger; die ich hatte waren gestorben, ich war allein auf der Welt. Da nahm ich die Denkmale der sarazenischen Siege, meine mühsam zu rath gehaltene, nicht mit unnöthig vergossenem Blut besudelte Beute zusammen, und kaufte mir von denen von Reinen dieses verfallene Schloß. Die Gegend, in welcher es liegt, paßte zu meiner Laune, es fehlt mir nicht an Mitteln, es auf die wenigen Jahre, die ich noch zu leben habe, für mich bewohnbar zu machen; Arbeiter zu diesem Entzweck sind auf künftigen Frühling schon bestellt; da ich nur für mich, nicht für Nachkommen zu bauen habe, so wird ihr Werk bald geendigt seyn, ich werde noch einige Jahre hier ruhig leben, und dann eben so ruhig sterben. – Wär ich nicht ein Feind auch jedes Anscheins von Augendienerey, so würde ich sagen, (und wahrhaftig, ich könnte es ohne Nachtheil der Wahrheit thun,) mir sey es Freude, euch, theurer Pfalzgraf, hier gesehen und bewirthet, und die Hoffnung zu haben, euch öfter hier zu sehen und zu bewirthen, da, wie aus euren Reden erhellt, eure Geschäfte euch oft in diese Feldmark treiben. –

Meine Geschäfte beyseite gesetzt, unterbrach ihn Ruprecht, was konnte euch bey eurer langen Abwesenheit aus dem Abendland zu so viel Vorliebe bewegen, als ihr gegen mich, einen Mann beweißt, von dem ihr nicht viel mehr kennt, als den Namen?

Eure Thaten, Herr Pfalzgraf.

Meine Thaten sind sehr unbedeutend und glanzlos.

Ich habe in meinen Leben sehr glänzende Thaten gesehen, deren Ruhm ich nicht in meinen Mund nehmen, noch vielweniger den, der sie vollbrachte, einiger Vorliebe würdigen werde. Was aber euch anbelangt, so gebe Gott dem deutschen Reiche einmal einen solchen Kaiser, wie euch, er wird ihm mehr Frommen bringen, als all die da gewesen sind, und deren glänzende Thaten zwanzig Seiten der Geschichtbücher erfüllen.

Ich weiß nicht, Thomas, wie ihr auf diesen seltsamen Wunsch kommt. Kaiser zu werden, ist mir wohl nie eingefallen, ungeachtet ich wohl oft gedacht habe, wenn ich es wär, so sollte manches anders werden.

Sahet ihr etwa auch Stätte der Gerechtigkeit, wo Gewissenlosigkeit und Uebermuth den Scepter führte, und Thränen der Unterdrückten an der Stufe des richtenden Throns? – Was ihr gesehen habt, das habe ich gefühlt und erfahren, und noch einmal, Gott gebe seinem Reiche, anstatt des trägen schwelgerischen Wenzels, einen Fürsten, wie euch, der so wenig in die Fehler dieses unwürdigen Menschen als in die seiner streitbaren und ruhmsüchtigen Vorfahren fällt, der, indem er keinen Anspruch auf glänzende Thaten macht, das Schwerd gegen den Reichsfeind nur zieht, wo er muß, und dafür lieber darauf sieht, das Schwerd der Gerechtigkeit in seinen Landen so zu lenken, daß es strafe und schone, wie es recht ist, daß es nicht, indem es sich rühmt, der Allgewalt Gottes nachzuahmen, Rechte an sich reiße, die keiner sterblichen Macht gebühren.

Ruprecht verstand den eifernden Thomas wohl. Im deutschen Reiche hatte damals die Macht jener heimlichen Rächer, welche meine Leser nicht erst aus diesen Blättern kennen lernen werden, fürchterlich überhand genommen. Alles wurde vor ihren Richterstuhl gezogen, nichts konnte ihrer Gewalt entgehen, sie richteten meistens recht, aber sie richteten zu streng, und waren oft durch einen blossen Anschein von Schuld nur allzuleicht zu täuschen. Ruprecht hatte bey dem scharfen Beobachtungsgeist, der ihn beseelte, oft Gelegenheit gehabt, Dinge wahrzunehmen, die sein Innerstes erschütterten, und deren Abschaffung einer höhern Gewalt als der seinigen vorbehalten zu seyn schien. Er seufzte zu der Aeußerung seines Wirths und schwieg, aber zum erstenmal regte sich vielleicht in seinem Herzen der Wunsch, einst auf der Stelle zu stehen, die ihm Thomas wünschte, um alles Gute ausrichten zu können, das er wollte.

Während der Pause, welche das Nachdenken des Wirths und des Gasts machte, öffnete sich die Thür, und Vincent trat herein, um seinem Herrn anzumelden, wie Kurd von der Jagd zurückgekommen sey, und keinen Schaden von dem Ungewitter gelitten habe, von welchem er übereilt worden sey. Lebhafte Freude glänzte in den Augen des Herrn und des Dieners über die Nachricht. Kurd erhielt Befehl, so durchnäßt als er war, einzutreten, und der Pfalzgraf ward nicht einmal um Erlaubniß gebeten; ein Zug, der ihn so wenig beleidigte, daß er ihm vielmehr ein neuer Beytrag zu der Treflichkeit des Mannes schien, den er vor sich hatte. Thomas trug kein Bedenken, seinen Diener vor den Augen des Fürsten zu ehren, den er vor einem Augenblicke noch im vollen Ernst einen der höchsten Throne gewünscht, und ihn schon im prophetischen Geist darauf gesehen hatte. Ruprecht ward eine Viertelstunde lang ganz aus den Augen gelassen, und der alte Konrad spielte die Hauptrolle beym Tischgespräch, er wurde um die wahrscheinliche Gefahr beym Ungewitter und beym schnellen Austreten des Flusses gefragt, und erhielt denn die Weisung, sich sogleich zu entfernen, ein Maaß Wein zu trinken, und zur Ruhe zu gehen.

Höre doch, Kurd, rief ihm Thomas nach, was mag der letzte fürchterliche Donnerschlag für Schaden gethan haben? daß er traf, glaubte ich zu hören.

Er hat des von Dülmen Säule von der Spitze bis auf die Stufen zertrümmert, war die Antwort, morgen sollt ihr mehr davon hören.

Verzeiht, Herr Pfalzgraf, sagte Thomas, da jetzt Kurd fort war, und er sich von der Freude, ihn geborgen zu sehen, wieder erholt hatte, daß ich mir in eurer Gegenwart so viel Freyheit nehme, aber meine Knechte sind mir so lieb wie meine Kinder, beyde haben mich nach Palästina und wieder heraus begleitet, Vincent war mein Reisiger und Konrad mein Knappe, dem letzten habe ich zweymal mein Leben zu danken, so wie ich auch ihm das seinige einmal rettete; noch einmal, es ist zwischen ihnen und mir das nehmliche Verhältniß, wie unter Vater und Kindern.

Wollte Gott; rief Ruprecht, jeder Fürst stünd mit seinen Unterthanen, so wie ihr mit euren Knechten; doch was wollte Konrad mit des von Dülmen Säule?

Diese Säule, Herr Pfalzgraf, ist ein altes Denkmal in diesen Gegenden, bey welchem ihr vorübergekommen seyn müßt, und das wir nicht anders zu nennen wissen, als die Säule Alfs von Dülmen, weil sein Name und der Name einer gewissen Alverde, die wohl seine Gattin gewesen seyn mag, unter andern Charakteren darauf noch lesbar war.

Und wer mag dieser von Dülmen gewesen seyn? es thut mir leid, daß ich das Monument so kurz vor seinem Untergang nur im Schimmern gesehen habe, denn ich vermuthe, es war eben das, das ich vorhin auf einem Absatz des Schloßbergs im Heraufreiten zur Seite liegen ließ; so viel mir der Schein des Blitzes zeigte, eine Gigantische Pyramide auf vier Stufen, mit einer kleinen abgestumpften Nebensäule.

Ihr habt recht gesehen, und hört, was ich euch von diesen Dingen sagen kann, so wie ich es beym Ankauf dieser Gegend aus dem Munde eines alten Bauern des jenseitigen Dorfs erfuhr. Wer die uralten Eigner dieses Schlosses gewesen sind, weiß ich nicht, ich erhielt es aus den Händen derer von Remen, die es anderthalbhundert Jahr besessen haben sollen. Der erste Ankäufer aus diesem Hause, Evert von Remen, fand Gefallen an der wilden Gegend, in welcher es lag, wie ich Gefallen daran gefunden habe, glaubte sie des Anbauens und der Verschönerung fähig, und beschloß den alten Steinhaufen, diese Burg, wie sie noch jetzt ist, zum zierlichen Schlosse zu machen. Bey seinem ersten Eintritt als Eigenthümer, warf sich ihm der Schloßbewahrer zu Füssen, und bat um Gnade wegen dessen, was er ihm jetzt, durch Noth gezwungen, bekennen müsse. Zehn Jahr, fuhr er auf Befehl fort, war ich Hüter dieses Hauses, bey Antritt meines Amts ward ich in Pflicht genommen, einen Gefangenen, welcher damals schon dreyßig Jahr in einem unterirdischen Gefängniß schmachtete, auf die Art fortan zu halten, wie er bisher gehalten worden war, und ihn, sobald dieses Schloß in fremde Hände käm, zu erwürgen. Das erste habe ich treulich gethan, das andre zu erfüllen, ist mir unmöglich. Hier sind die Schlüssel zu seinem Kerker, thut mit ihm, wie euch gefällt, nur macht mich nicht zu seinem Henker!

Evert von Remen schauderte ob den Gedanken einer vierzigjährigen Gefangenschaft, und flog, die verjährten Fesseln desjenigen zu lösen, dessen Freyheit das Schicksal so wunderbar in seine Hände gestellt hatte. Die Tradition sagt nicht genau, wie er jenen Unglücklichen gefunden habe, doch das versichert sie, daß er, ich weiß nicht ob mit mehr Freude oder Entsetzen, in ihm einen alten, lang verlohrnen, todgeglaubten, fast vergessenen Jugendfreund, eben jenen Alf von Dülmen fand, dem zu Ehren er bald darauf das Denkmal setzen ließ, welches jetzt der Donner gespaltet hat. Alf von Dülmen überlebt das Glück, seine Freyheit und seinen Freund nach vierzigjährigem Elend wiedergefunden zu haben, nur wenige Tage. Er starb in des von Remen Armen, und wurde von ihm auf der euch bezeichneten Stelle begraben.

Evert fand von nun an die Gegend, wo sein Freund so lang gelitten hatte, zu schrecklich, um sie zu bewohnen, er ließ den Bau des Schlosses, und begnügte sich, hier ein Grab gebaut zu haben. Er that nachher große Reisen nach Spanien, Frankreich und Welschland, die, wie man sagte, Beziehung auf die Geschichte seines unglücklichen Freundes hatten, welches aber diese Geschichte war, das ist nie kund worden, wirds auch wohl nie werden, bis auf jenen großen Tag, den Erklärer aller Geheimnisse. Einige behaupten, Alf von Dülmen sey sehr in die Begebenheiten von der Ermordung weiland Kaiser Philips verflochten gewesen, andere wollen, auch hier habe jene furchtbare unbekannte Macht, von welcher wir vorhin sprachen, und deren Verfolgungen auch ich gefühlt habe, die blutige Hand mit im Spiele gehabt, seine Geschichte habe in jenem furchtbaren Gericht Anlaß zu größerer Heimlichkeit und geschärften Gesetzen gegeben, als bis dahin üblich waren. Doch wer will auf diese Sagen trauen! das gemeine Gerücht ist lügenhaft, in unsern Tagen kann kein großer Herr ohne Verdacht der Vergiftung oder des Meuchelmords das Leben verlieren, und kein Privatmann unvermerkt aus dem Zirkel seiner Bekannten verschwinden, ohne daß man hier die Macht der unsichtbaren Rächer ahnde. Wie man heute denkt, so dachte man wahrscheinlich schon vor zweyhundert Jahren, zu Kaiser Philipps und Alfs von Dülmen Zeiten; die Sache sey übrigens Wahrheit oder nicht, wir werden sie nicht ergründen; doch ist jenes Denkmal der Vorzeit wohl der Wichtigkeit von euch gesehen zu werden, ehe ihr diese Gegend verlasset, sollte es auch nur in seinen Trümmern seyn.

Thomas führte seinen erhabenen Gast, nachdem noch die späte Mitternacht in Gesprächen mancherley Inhalts herangekommen war, in das beste Zimmer seines Schlosses, das den Pfalzgrafen zum Schlafgemach bereitet worden war; ein hohes schallendes Prachtgewölbe, mit Mahlereyen mancher Art, Sarazenenschlachten und biblischen Geschichten, Familienbildern und allegorischen Gemälden ausgeziert. Ruprecht war noch nicht schläfrig, und brachte, nachdem sich der Schloßherr zurückgezogen hatte, noch eine gute Stunde mit Betrachtung dessen hin, was hier einige gute lombardische Meister geliefert, einige Stümper mit krellen Farben gepfuscht hatten.

Drey Stücke zogen besonders seine Aufmerksamkeit auf sich, die er sich deutete, so gut er konnte. Das erste waren zwey Helden der Kleidung, dem gezogenen Schwerd und der Miene nach; beyde hielten das entblößte Eisen mit der Linken und die Rechte des Freundes mit der Rechten, Freunde waren sie, dies sah man nicht allein aus den fast in einander gedrückten Händen, sondern noch mehr aus den Blicken voll Liebe, mit welchen beyde an einander hingen. Das sind David und Jonathan, dachte der Pfalzgraf, der es mit der ziemlich modernen Rüstung der beyden Krieger und dem Kreuz auf dem Brustschild nicht so genau nahm. Der arme David! wie bleich! wie verfallen! er scheint eben erst aus der Höhle Asel hervorgegangen zu seyn, um mit Sauls Sohne den Todesbund der Freundschaft zu beschwören.

Ruprecht, der sich seiner Meynung nach das erste von seinen Lieblingsgemälden so wohl gedeutet hatte, war schnell fertig, aus den andern ebenfalls eine biblische Geschichte zu machen. Dieser Kerker, sagte er zu sich selbst, dieser Mann in Fesseln, und diese freundliche Gestalt, die ihm die wunden Hände loßschließt, stellen nichts anders vor, als Sankt Peters Befreyung durch den Engel; sonderbar, daß dieser Engel ohne Flügel und kein Jüngling, sondern ein bärtiger Mann ist; vermuthlich eine Grille des Mahlers, welcher etwa wähnte, die Erscheinung einer himmlischen Gestalt möchte den heiligen Apostel zu sehr geschreckt haben. Aber hier, dieses dritte Bild, das, so häßlich es gesudelt ist, meine Aufmerksamkeit doch so sehr reitzt? – Die Schöpfungsgeschichte kann es nicht seyn, denn ich sehe hier zwey Menschengestalten, die aus den Händen zweyer Schöpfer hervorgehen; das, was Geschaffen wird, ist kein Adam, sondern eine gewappnete Gerechtigkeit mit Wage und Schwerd! – Die Bildner tragen einer das kaiserliche Diadem, der andre die dreyfache Krone. – Sankt Peters Nachfolger scheint dem ersten die Künste abzusehen! – aber was er fertigt, wird keine Göttin, wird ein feyerspeyendes Ungeheuer, dessen Mißgestalt die Binde nur schlecht verbirgt. – Gott und alle Heilige, was mag das bedeuten! – In meiner Kindheit erzählte mir mein Lehrer eine heidnische Fabel von Epimetheus, der seinem Bruder das Bildnerhandwerk übel nachahmte, paßte hier nur eine der Gestalten, ich würde rathen – – doch rathen hilft hier nichts, und – setzte er gähnend hinzu, ist unnütz! was gehn mich die seltsamen Phantasien der Vorwelt an!

Noch ein Blick, auf das letzte Bild, der den Pfalzgrafen unter der einen Hauptfigur den Namen Carolus M. lesen ließ; und die Kerze wurde ausgelöscht, welche den schlaftrunkenen Forscher nicht behülflich seyn wollte, auch den andern Namen zu erkennen.

Ruprecht legte sich zur Ruhe, aber so müde er auch war, verzog doch der Pfalzgraf, seine Augen zuzudrücken. An die gesehenen Bilder dachte er zwar nicht mehr, aber andre Ideen durchkreuzten sein Gehirn, und verscheuchten den Schlummer. Die alte Geschichte dieses Schlosses, von welcher ihm der gegenwärtige Besitzer nur so unvollkommene Fragmente geliefert hatte, Alf von Dülmen, und vor allen Evert von Remen, welcher, wie Thomas Knebel ihm gesagt hatte, unter päbstlichem Bann ohne Einsegnung und Sacrament gestorben war, schwebten ihm im Sinn, und er that sich tausend Fragen hierüber, deren Beantwortung er an eben den Ort gestellt seyn lassen mußte, von welchem er die Enträthselung jenes Bilds von Epimetheus und seinem Bruder stellen mußte.

So befiel ihn endlich weit gegen den Morgen der Schlaf, welcher ihm ein Gewühl von Träumen brachte, so bunt und verworren als seine Ideen vor dem Einschlafen gewesen waren; bis zuletzt folgendes Gesicht so hell und deutlich vor ihm aufstieg, als wär es etwas mehr, als nächtliches Schattenwerk gewesen.

Eine männliche Gestalt voll Majestät und Würde, stand vor ihm. Kennst du mich? fragte sie, nachdem sie ihn eine Weile mit festem Blick angesehen hatte.

Du bist eine von den Figuren, die ich gestern sahe, erwiederte Ruprecht, bist der David jenes Jonathans!

Mein Name ist Adolf, Graf von *** oder Alf von Dülmen, wie jene Unglücksbenennung lautet, unter welcher ich den Weg zu Tod und Elend ging. Ruprecht! Ruprecht! du wirst einst Kaiser seyn! Siehe das Blut, das an meinen Händen haftet, es ist Kaiser-es ist Freundesblut! steure der blinden Gerechtigkeit, die mich mit demselben besudelte, steure ihr, daß sie nicht ganz jenem feuerspeyenden Ungeheuer ähnlich werde, das du im Bilde gesehen hast! – Was sie in meinen Tagen im Verborgenen übte, das wagt sie in den deinigen kühner, noch einmal steure ihr, so wahr du einst Kaiser seyn wirst!

Ruprecht schauerte in sich zusammen und erwachte. Er lag lange, um dem Traum nachzudenken, der ihn erweckt hatte, Gedanken stiegen in ihm auf, die seiner Deutung ziemlich nahe kommen mochten, aber immer blieb es noch dunkel vor ihm. Heller zu sehen, hätte er Alfs von Dülmen Geschichte wissen müssen, deren Enthüllung, wie vorigen Abends Thomas Knebel sagte, nur für jenen großen Tag, den Erklärer aller Geheimnisse, aufbehalten zu seyn schien.

Der Mond schien hell durch die Fenster des Schlafgemachs, der Pfalzgraf, mißtrauisch auf sein Gedächtniß, verzeichnete alle Worte seines Traums auf eine Tafel, die er bey sich zu tragen pflegte, und stand denn auf, um das Bild der beyden Freunde noch einmal zu betrachten, die er des vorigen Abends für Jonathan und David gehalten hatte. Es ward hinlänglich von dem einfallenden Mondstrahl beleuchtet, um ihm in dem letzten die volle Aehnlichkeit Alfs von Dülmen zu zeigen, so wie er ihn eben im Traum gesehen hatte; jener Petrus im Gefängniß zeigte das nehmliche.

Noch war ihm alles ein Räthsel. Ein Schauer, wie man ihn nur da fühlen soll, wo Geister uns umschweben, befiel ihn; er eilte auf sein Lager zurück, und verhüllte sich in die Decken; wo sich bald darauf ein Schlummer seiner bemächtigte, welcher so tief war, so völlige Vergessenheit alles Vergangenen mit sich brachte, daß der Pfalzgraf in der Folge mehrmal versichert hat, er habe kein anderes Denkzeichen desselben für sein Gedächtniß, als was er davon in der Nacht in sein Taschenbuch geschrieben habe.

Es war heller Tag, als der Schloßbesitzer vor sein Bette trat, und ihn zu erwecken suchte. Ruprecht fragte, indem er sich die Augen rieb, ob sein Pferd gesattelt sey, und er seine Reise weiter fortsetzen könne?

Erhebet euch, Herr Pfalzgraf, war die Antwort, um die Entscheidung eurer Frage selbst zu sehen. Ruprecht richtete sich auf, Thomas schlug den Vorhang zurück, und deutete auf die hohen Fenster, durch welche man ins Thal hinab, wie in eine wallende See sahe. Was ist das? schrie der Pfalzgraf. – Nichts, antwortete Thomas Knebel, als die Gewißheit, daß ihr heute und morgen nicht reisen könnt: der anhaltende Regen hatte schon gestern den Fluß, der bey seinen hohen Ufern doch so leicht überströmt, dermaßen angeschwellt, daß euch das Fortkommen ziemlich erschwert worden seyn möchte; gegen Morgen hat ein Sturm – (Ich glaube, daß ihr einst den jüngsten Tag verschlafen werdet, weil ihr diesen verschlafen habt) – ein Felsenstück am Eingang des Thals losgerissen, und in den Fluß gestürzt, welches uns die völlige Ueberschwemmung gebracht hat. Die Leute aus dem jenseitigen Dorfe, welche mein Haus versorgen, sind vor einer Stunde auf Kähnen angekommen, und haben diese Nachricht mitgebracht. Seyd indessen ruhig, Herr Pfalzgraf, auf unserm Berge sind wir sicher, die Fluth steht noch mehrere Ellen tiefer als Dülmens Säule, und wie hoch wir über denselben wohnen, ist euch bekannt.

Ruprecht stand auf, und ging bald darauf mit seinem gastfreyen Wirthe hinaus, die Verheerung anzusehen, welche das Wasser angerichtet hatte; es war ein schauerlicher Anblick, den sie von ihrer Höhe hatten. Der Schloßberg und seine Nachbarn, die sich ringsum noch höher als er, Himmelan thürmten, standen wie einzelne unter sich nicht verbundene Inseln in der allgemeinen Fluth, der Strom, dessen Bette in der großen Wasserfläche, durch den reißenden Zug seiner Wellen noch kenntlich war, führte Felsstücke, ausgewurzelte Bäume und Trümmer von Häusern und Fahrzeugen mit sich fort, ein schnell vorübergehendes, immer änderndes Schauspiel des Schreckens. Der Pfalzgraf und sein Freund thronten wie Götter über der allgemeinen Verheerung, aber über ihnen hing noch ein ganzer Himmel voll Ungewitter, und unter ihnen zeigte die vom Donner zerschmetterte Säule von Dülmens, wie wenig auf die Sicherheit dieses Gebürgs zu trauen sey.

Herr Pfalzgraf, sagte Thomas, nach einer gedankenvollen Pause, gefällt es euch, so wollen wir hier hinabsteigen, und sehen, was der Stral des Himmels von jenem Denkmal unversehrt gelassen hat, das mir jetzt merkwürdiger als jemals ist. –

Und warum heute mehr als sonst? fragte Ruprecht. – Nicht darum, erwiederte er, weil, wie ihr vielleicht wähnen möchtet, mir der Arm des Himmels genauere Untersuchung dessen nunmehr erschwert hat, was ich all die Zeit über, da ich hier wohne, mit so leichter Mühe hätte betrachten können, ehemals zu thun, nein, weil ich heute, eben erst heute, oder vielmehr schon gestern erfahren habe, daß das, was hier in einen Steinhaufen zusammengestürzt liegt, mehrere Betrachtung würdig ist, als die meisten Monumente, die ein Freund dem Andenken des andern weiht. Diese Steine decken nicht nur die Asche eines Menschen, der bey seinem Leben denen die ihn liebten, wichtig seyn mochte, nein, wahrscheinlich verschliessen sie Dinge, an welchen noch der Nachwelt gelegen ist, und die euch, der einst Kaiser seyn wird, besonders wichtig seyn müssen.

Ruprecht sahe seinen Begleiter bey diesen Worten mit starren Augen an, er hatte ähnliche diese Nacht im Traume gehört, dieser Traum, welcher fast gänzlich aus seinem Gedächtniß verwischt war, schwebte wie ein dunkles Bild schnell vor ihm über, dicht an denselben kettete sich die Idee, von dem was er diese Nacht niedergeschrieben hatte, auch dieses schien ihm Traum zu seyn, doch griff seine Hand maschienenmäßig nach der Tafel, die er bey sich trug, und die den Beweis enthalten mußte, was von der ganzen Sache zu halten sey.

Thomas war indessen einige Schritte vorausgegangen. Ruprecht stand still, las was er diese Nacht bey Mondenlicht von jenem Nachtgesichte aufgezeichnet hatte, das Ganze vergegenwärtigte sich seiner Seele auf einmal aufs lebhafteste, er sah Alf von Dülmen gleichsam wieder vor sich stehen, hörte die Worte, die ihm das Kaiserthum weißagten, und dachte sich einen Zusammenhang unter diesen Dingen, den er selbst noch nicht absehen konnte, den er erst aus dem Munde seines Freundes vernehmen wollte; er beschloß zu schweigen, bis er ihn erst gehört hätte, und ging vollends langsam den Abhang hinab, wo Thomas unter den Trümmern stand, und sich mit Hinwegräumung der leichtern herabgerissenen Steine beschäftigte.

Herr Pfalzgraf, rief er, als er Ruprechten herannahen sahe, indem er von seiner Arbeit abließ, Hört was mir Konrad diese Nacht von diesem Orte gemeldet hat: Der Wetterstrahl, der dieses Gebäude zertrümmerte, fiel in dem Augenblick herab, da mein Knecht auf seiner Heimkehr nicht zwanzig Schritte von hier entfernt war. Betäubt von dem Schlage, der uns viel weiter Entfernte zittern machte, stürzte er zu Boden, der Regen, welcher auf ihn troff, brachte ihn endlich zu sich selbst. – Er erhub sich und schleppte sich langsam fort, aber seine Schwäche war so groß, daß er nicht weiter kommen konnte, als bis auf die Stelle, wo der Blitz getroffen hatte; Konrad sank auf einem der herabgerißenen Steine nieder, wo er noch über eine Stunde halb sinnlos gelegen haben muß, denn völlig erholte er sich erst denn wieder, als das Ungewitter nachgelassen hatte. Er besann sich jetzt ganz auf das, was ihm wiederfahren war, und beschloß, da der Himmel sich ein wenig zertheilte, und der Mond hinter den schwarzen Wolken hervortrat, hier noch eine Weile zu ruhen, und denn den nicht kleinen Rest des Weges nach dem Schlosse vollends zurückzulegen. Hier war es, wo ihm der Mondstrahl, unter den umhergestreuten Trümmern etwas glänzendes in die Augen fallen ließ, das er, weil die Sage von vergrabenen Schätzen, die bey jedem alten Denkmal nicht fehlt, auch hier ihr Recht behauptet hat, für Gold hielt und zu sich nahm; es war dieses kleine küpferne Schild, das er mir bey seiner Heimkunft mit Erzählung des ganzen Vorgangs einlieferte, und dessen Inschrift ihr jetzt selbst lesen mögt.

Ruprecht nahm und las in Charakteren die drey halbe Jahrhunderte nicht ganz unkenntlich gemacht hatten, folgendes: »Evert von Remen setzte dieses Denkmal der Schuld und der Unschuld seines Freundes Graf Adolfs von *** – Grabe tiefer, du, dem der Arm des Himmels diese Höle öffnete, und bist du aus dem Fürstenstamme desjenigen, welcher unschuldig für Kaiser Philipps vergoßnes Blut büßen mußte, so wisse, daß du einst Kaiser seyn wirst, die Wage der Gerechtigkeit richtig wägen, und ihr Schwerd mit Schonung strafen zu lehren.«

Was ist das? rief Ruprecht, indem er die Tafel fallen ließ, und auf wen mag dies gehen?

Ich weiß nichts weiter, sagte Thomas, als daß die Welt nun zwey Seculo hindurch den durch Peter von Kalatin hingerichteten Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach für Kaiser Philipps Mörder hielt, und daß ihr, Pfalzgraf Ruprecht, einer der Urenkel jenes Fürstenhauses seyd. Nicht ohne mühsames Forschen habe ich diese Nacht über diesen kleinen Schimmer von Licht in der dunkeln Weißagung gefunden; ihr seyd weiser und gelehrter als ich, seht ob ihr mehr entdecket.

Das Vornehmste, sagte Ruprecht nach langen Schweigen, wird wohl hier seyn, nach Ausweisung der Schrift, tiefer unter diesem Gestein nachzugraben; mehrere Nachricht, auf die ich hoffe, wird uns des unnützen Grübelns überheben.

Die Arbeit, von welcher hier die Rede war, war nicht für den Pfalzgrafen und seinen Begleiter; man konnte sich auf die Treue der beyden Knechte Thomas Knebels verlassen; man sagte ihnen so viel von der Sache, als sie, die beyde nicht lesen konnten, wissen mußten, und ehe die Sonne zweymal unterging, hatten sie unter Aufsicht ihres Herrn ein kleines bleyernes Kästchen zu Tage gefördert, welches er dem Pfalzgrafen brachte.

Es ward geöffnet, und das darinn gefunden, was unsere Leser in einigen Stunden der Muße beschäftigen kann, so wie es Ruprechten und den treuen Thomas viele Tage lang beschäftigte, da sie im Lesen nicht so geübt waren wie die klügere Folgezeit, da die etwas veralteten Charaktere ihnen das Lesen erschwerten, und eine Menge zwischen eingestreuter mündlicher Anmerkungen dasselbe weiter ausdehnte als bey Personen geschehen kann, die bey diesen Dingen nicht so viel Interesse haben als der Pfalzgraf und sein Gefärthe. Sie fanden hier übrige Unterhaltung für alle die Tage, welche Ruprecht wegen der Ueberschwemmung auf dem Schlosse verweilen mußte; die Wasser verliefen sich, und sie waren mit Beherzigungen noch bey weiten nicht zu Ende, welche einen tiefen Einfluß in die Zukunft hatten. Welches ihre Betrachtungen und Plane waren, wird der Leser besser errathen können, wenn er gelesen hat was sie lasen.

Ruprecht nahm diese Schriften, als er das Schloß wieder verlassen, und seine Reise fortsetzen konnte, mit sich. O! Thomas, sagte er, was für Dinge habe ich in eurem Hause erfahren, und welche Gedanken haben sich in meiner Seele entwickelt!

Denket daran, versetzte der Alte, wenn ihr einst Kaiser seyn werdet, und erfüllt das Gute, was jetzt in eurem Herzen reifen mag.

Everts von Remen und seiner so mühsam auf Kosten seiner Ruhe und seines Lebens gesammelten Schriften werde ich wohl ewig gedenken, und die Wünsche für Gerechtigkeit und Gericht, die daher in meiner Seele entglommen, sollen nimmer erlöschen; aber ob ich je der Mann seyn werde, sie auszuführen, ob ich je Kaiser seyn werde, oder ob ich es nur seyn möchte, das ist eine Sache, die wir unentschieden lassen wollen. In allen diesen Blättern habe ich nichts gefunden, das Everten von Remen in meinen Augen das Ansehen eines Propheten geben könnte, und seine Weißagung nebst etwa einem seltsamen Traume ists doch allein, was euch und mir die Gedanken an den Kaiserstuhl in den Sinn bringen könnte.

Wir wollen die Sache Gott und der Zeit überlassen, sagte Thomas, ihr aber gedenkt in eurer künftigen Hoheit der hier verlebten Tage, der hier gefaßten Entschlüsse, und des alten Mannes, der euch jetzt nicht ohne eine Thräne von sich lassen kann!

So gewiß werde ich seiner denken, erwiederte Ruprecht, daß ich denn kommen werde, ihn zu mir zu holen, damit er mein Freund und Rathgeber sey, und mir ausführen helfe, wozu jetzt mir Menschenkräfte zu schwach dünken.

Thomas schüttelte den Kopf und meynte, dies wär schlechter Lohn für die genossene gute Bewirthung, wenn er noch auf seine alten Tage der ruhigen Einsamkeit, die sein Glück machte, beraubt und in die Welt zurückgeschleudert werden sollte!

Der Pfalzgraf lachte des Eifers, mit welchen sein Freund sprach. O wie fern, rief er mit gefalteten Händen, wie unglaublich fern sind diese Dinge noch von mir und euch! mich dünkt, ihr könntet kühnlich versprechen, wozu ihr vielleicht nie in der Würklichkeit aufgefordert werden dürftet!

Und fern, sehr fern waren würklich die Dinge noch, von welchen hier die Rede war. Mehr als zehn Jahre vergingen, und der Pfalzgraf blieb noch immer der er war, ohne an das Kaiserthum zu denken, oder, wie so viele um und neben ihm thaten, ängstlich darnach zu ringen. Die Begebenheiten bey des von Dülmen Säule schien er ganz vergessen zu haben, wenigstens hat er sie nie gegen jemand erwehnt, und sie sind erst lang nach seinem Tode, vielleicht, als wofür wir nicht stehen können, durch die Tradition ein wenig verfälscht ans Licht gekommen; aber was ihm das Schicksal beschieden hatte, erfolgte doch endlich. Nach Kaiser Wenzels Absetzung fielen alle Stimmen auf ihn; er erlangte die Würde, die ihm geweißagt worden war. Das Kriegsschwerd und andere Unruhen verhinderten ihn lange, die Verbesserungen und Beschränkungen im Gebiet der rächenden Gerechtigkeit vorzunehmen, die in den damaligen Zeiten so nöthig wurden, daß es keiner Geschichte eines Alf von Dülmen bedurft hätte, um sie zu veranlassen; aber endlich begann1 er, was erst unter Kaiser Siegmunds Regierung, und doch nicht ganz so, wie er es geendet haben würde, zu Stande gebracht wurde. Thomas Knebel ward sein Rath, so wie er bisher sein Freund gewesen war; er überlebte den edeln Mann, der es so wohl verdient hatte, Kaiser zu seyn, der verdient hätte, es noch länger zu bleiben, und war einer von denen, welche Ruprecht verordnet hatte, das Erbe unter seine Kinder zu theilen; dann kehrte er in sein einsames Schloß zurück, froh an den Gränzen eines Lebens zu stehen, das nach dem Verlust seines königlichen Freundes allen Reiz für ihn verlohren hatte.

Geschichte Alfs von Dülmen

Evert von Kemen an die Nachwelt

1252

So nimm sie denn hin, Nachwelt, diese Blätter! und du, in dessen Hände sie gerathen, bedenke, daß sie dem Sammler theuer zu stehen kamen, und nutze sie, wie du urtheilen kannst, daß er sie genutzt haben würde, hätte die Lage der Sachen es nicht gehindert.

Ich hatte im Frühling des Lebens einen Freund; ob er meiner Treue ganz so lohnte, wie er gesollt hätte, das gehört nicht an diese Stelle; von ihm, nicht von mir will ich die Folgezeit unterhalten! –

Ich hatte einen Freund, wir wurden getrennt, wie Menschen oft getrennt werden. Das Schicksal führte einen jeden seinen eigenen Weg, der meinige ging weit aus meinem Vaterlande, Abwesenheit brachte Vergessenheit, ich war ein Mensch, wie hätte nicht auch ich endlich vergessen sollen, den der mich vergaß! Doch fragte ich, als ich im späten Herbst der Jahre mein Vaterland wieder sahe: Wo ist der Freund meiner Jugend? wo ist Graf Adolf von ***? Jedermann schwieg! – Wo ist Alf von Dülmen? wiederholte ich, in der Meynung, die Nachwelt würde jenen Unglücksnamen, über dessen Annehmung wir zuerst uns entzweyten, besser kennen. – Man zuckte die Achseln! – Da ging ich hin, in irgend eine Einsamkeit, sein Andenken zu beweinen, welches der Anblick des Himmels, unter dem er und ich gebohren waren, wieder neu machte. Ich suchte einen verlassenen Winkel meines Vaterlands, dem Andenken des Verlohrnen, Vergessenen, oder Verstorbenen, ihm und noch einer, deren Namen ich nie ohne Thränen nennen kann, meine letzten Tage zu widmen. – Ich suchte, und das Schicksal ließ mich die Stelle finden, wo mir schreckliche Aufklärung all meiner Zweifel bevorstand. Ich kaufte ein Haus, und wußte nicht was ich mit ihm gekauft hatte; wußte nicht, daß ich durch den Besitz dieser verfallenen Burg Herr über Freyheit und Leben meines Verlohrnen geworden war. O warum wurde ich es nicht vierzig Jahre eher?

Länger als diese genannte Zeit hatte Alf von Dülmen in dieser Hölle die Ketten von Henkern getragen, die ich nicht nennen kann. Ich glaubte einem Unbekannten die Pflicht gemeiner Menschlichkeit zu leisten, indem ich seine lang getragnen Fesseln lößte, und der Freund meiner Jugend lag in meinen Armen. O Alf von Dülmen! wie gern hätte ich deinem Leben die Hälfte des Rests meiner Tage zugesetzt, um nur noch eine kurze, ganz kurze Zeit die Freude gehabt zu haben, dich gerettet, getröstet, erfreut, dem Grabe zuwandeln zu sehen! aber diese Freude sollte mir nicht werden. Vierzigjähriges Elend konntest du ertragen, aber die Wiederkehr besserer Tage, das Wiedersehen der Sonne, die Wiedervereinigung mit deinem Freunde tödtete dich.

Mein Wiedergefundener, mein Alf von Dülmen, starb in den ersten Tagen des Wiedersehens in meinen Armen; ich grub ihm dieses Grab, thürmte über seiner Asche diese Marmorsäule auf, grub Worte darauf, ihm zum Gedächtniß; ihm und seiner Schwester Alverde, deren Gebeine nicht hier ruhen, die einst in andern Gegenden zur ewigen Wiedervereinigung erwachen wird. Sie war mir unvergeßlich wie er, sie – doch genug von dem was sie betrifft!

Mein Freund hatte mir ein Erbtheil hinterlassen, die traurige, verhängnißvolle Geschichte seines Lebens. Nachwelt, ich bin dir sie schuldig! Leiden, wie die seinigen, dürfen nicht der Vergessenheit überlassen werden! Aber soll ich dir sie geben, wie er mir sie gab? Sie war mit der Feder des düstersten Selbsthasses geschrieben; ohne Erklärung würde sie dir einen Begriff von ihm beybringen, welcher der Wahrheit Gewalt anthät! – Alf von Dülmen war nicht unschuldig, aber er war auch der Verbrecher nicht, für den er sich selbst hielt: andere brauchten ihn zum Werkzeug ihrer finstern Entwürfe, die Schuld ihrer Verbrechen sey über ihnen! –

Die Rechtfertigung meines Freunds zu bewürken, seine Entschuldigung und anderer Bosheit aufzudecken, überwand ich die Unmöglichkeit. Ich spähte die schriftlichen Beglaubigungen beyder aus, und entriß sie der Dunkelheit, in welcher sie begraben lagen. Die Kabineter der Könige, die Archive der Klöster, selbst St. Peters Heiligthum öffneten sich mir, und gaben ihre Heimlichkeiten heraus, mir folgte Fluch und Bannstrahl, man schrie mir nach: ich sey getäuscht worden; was ich gesammelt habe, seyen Lügen! man sey unschuldig an dem, was ich nur auf meine Gefahr wagen dürfe, ans Licht zu bringen!

Gut, dem sey so! Wer kann hier über Menschen Schuld und Unschuld entscheiden! – Nicht ihre Drohungen, sondern das Gefühl weniger Macht, und die Möglichkeit, daß ich auch Ihnen unrecht thun könne, bewogen mich, das zu unterdrücken, was ich gern gegen alle vier Winde des Himmels ausschreyen möchte. Nimm es auf, heiliges Denkmal, in deine Schatten! Lieferst du es einst in die Hände eines Weisen oder Mächtigen, so nütze er es mit Klugheit. Vielleicht sind denn schon Jahrhunderte über meine und meines Freundes Asche hingeflogen, und es kümmert niemand mehr, ob Alf von Dülmen schuldig oder unschuldig war, aber seine Geschichte ist nicht ohne gute Lehre, und nachdem die Zeit ist, in welcher sie sich aus der Dunkelheit hervorwindet, nachdem wird ihr Nutzen seyn. Vielleicht groß, wenn sie Zeit genug kommt, dem Uebel zu steuern, das jetzt unter dem Namen der Gerechtigkeit Unheil stiftet, vielleicht klein, wenn sie erst in Jahrhunderten erscheint, in welchen Dinge, unter deren Druck jetzt die Welt seufzt, längst vernichtet und zur Fabel geworden sind.

Der Kardinal Lothar an den Bischofvon Kastilien.

1198.

Ich schreibe euch noch unter meinen alten Namen, ungeachtet ich schon eines neuen und glorreichern gewiß bin. Bald wird die ganze christliche Welt mich als ihr sichtbares Oberhaupt verehren, aber dem ehrwürdigen Hirten der kastilischen Heerde werde ich nie etwas anders als Freund seyn.

Noch würde ich nicht gesiegt haben, wär nicht der alte Nebenbuhler meiner Größe, der alte Feind all meiner Anschläge, wär nicht Philipp von Thuscien schnell nach Deutschland gefordert worden, daselbst seine eigenen Angelegenheiten zu betreiben; und wißt ihr, worin dieselben bestehen? in nichts geringern, als in der Erlangung des Kaiserthums. O mein Freund, bekennt die Uebermacht meiner Einsichten gegen die eurigen! – Als Kaiser Henrich Philippen die Vormundschaft über den unmündigen Friedrich auftrug, da waret ihr bereit zu wetten, der treuherzige Schwabe, wie ihr den Thuscier nanntet, würde Blut und Leben für das Wohl seines Mündels aufopfern, würde ehe sterben, als diesem Kinde die römische Krone entreißen lassen; ihr wißt was ich euch damals sagte, jetzt liegt der Erfolg meiner Behauptung am Tage. Die deutschen Fürsten mögen kein Kind zu ihrem Herrscher haben, und der ehrgeizige Philipp vergißt seine Vormundschaft so ganz, daß er sehr geneigt ist, sich in ihren Eigensinn zu fügen.

Ob es ihm gelingen, ob es meinem alten Hasser gelingen wird! – Ihm ward am nehmlichen Tage der Kaiserstuhl geweißagt, da mir jener Mönch die dreyfache Krone prophezeihte, die letzte ist mir gewiß, wird es ihm auch der erste seyn? Er hat mächtige Nebenbuhler, mir darf sich niemand entgegen setzen. Zwar dem geizigen Herzog von Zähringen könnte er wohl seine Ansprüche mit Gelde abkaufen, aber was will er gegen den weisen uneigennützigen Bernhard von Sachsen beginnen, welcher zum Kaiser gebohren zu seyn scheint? Mir wär – da doch nun einmal das Schicksal die Päbste und die Kaiser in seine Wagschalen gesetzt hat, einander das Gegengewicht zu halten, – mir wär ein solcher Gegenmann, wie Bernhard fürchterlich, und wenn ich alles betrachte, so wollte ich fast Philippen noch lieber als ihm das Diadem gönnen! – Auf jeden Fall müssen Maaßregeln genommen werden, und höret wie ich sie genommen habe:

Ich komme von dem Sterbebette der Kaiserin Konstanzia. Ich habe ihr Philipps Treulosigkeit nachdrücklich vorgestellt, und das dadurch erlangt was ich wünschte. Philipp, sagte sie, verläßt seinen Mündel, und sucht das für sich, was dem Sohn Kaiser Henrichs zukam? Wohl gut, ich muß die Sorge für dieses unglückliche Kind treuern Händen empfehlen. Ich lege sie in die eurigen, Graf von Segni, in die eurigen, ihr, den ich schon als Statthalter Christi verehre. Legt eure Hand in die meinige, und schwöret mir, daß ihr dem verlassenen Friedrich die Krone seines Vaters erhalten wollt!

Ich schwur ihr, Friedrichen die Krone seines Vaters zu erhalten, wobey ich zwar eigentlich keine andere in den Sinn nahm, als die von Sicilien; doch würde ich gar nicht dawider seyn, wenn ich ihm auch die deutsche erhalten könnte. Friedrich wär Kaiser, der Pabst sein Vormund, könnte etwas glücklichers für die Christenheit erdacht werden? – Doch dieses Unternehmen möchte wohl, wie ich besorge, zu viel Blut kosten, möchte mir auf alle Art unausführbar seyn, ich kenne den Starrsinn der deutschen Fürsten, und hütete mich daher wohl, etwas mehr zu versprechen als ich halten konnte. Die Kaiserin war nach Art aller Matronen unfähig ein Mißtrauen in die Worte eines Geistlichen zu setzen, glaubte durch mein Versprechen all ihre Wünsche gewährt, und entschlief wohl zufrieden.

Friedrich ist nun mein Mündel und König von Sicilien, aber nur auf gewisse Bedingungen, welche heute zu melden, da ich noch Graf von Segni oder Kardinal Lothar bin, lächerlich seyn würde; morgen wird der Pabst aus einem andern Tone sprechen.

Das was euch nach der Standserhöhung eures Freundes in diesem Briefe das Wichtigste seyn wird, habe ich auf die letzt verspart. Die unter uns beyden beschlossene Vermählung des kastilischen Prinzen mit der jungen Gräfin von Toulouse ist so gut als richtig; heute habe ich Nachricht von dem Beichtvater des Grafen, er hat mit ihm von der Sache gesprochen, und ihn geneigt gefunden, und ihr könnt auch nun eurem Könige davon sagen, dessen Einwilligung zu erhalten, es euch nicht an Mitteln fehlen kann.

Bernhard, Herzog zu Sachsen, an Pfalzgraf Otten von Wittelsbach.

1198.

Mit was für Herzen, mein Otto, hätte ich nach dem Kaiserstuhl streben, oder vielmehr, da er mir geboten wurde, ihn annehmen sollen? Die sichtbare und die unsichtbare Obergewalt im deutschen Reiche können und dürfen nie in einer Person vereinigt seyn, ich hätte die letzte aufgeben müssen, um die andre zu behaupten, und urtheilet ihr selbst, ob dieser Tausch vortheilhaft gewesen wär. Das höchste Gut des redlichen Mannes ist Gelegenheit und Macht, der Bosheit zu steuern und das Gute empor zu bringen. Der Stuhl,2 auf welchem ich im Verborgenen sitze, giebt mir dieser Gelegenheiten tausend, ich möchte sie nicht missen, um zehn Kaiserthrone; auch ist das Schwerd furchtbar, das ich in den Händen trage, ich möchte seine Schärfe keinen andern als den meinigen anvertrauen. Unheil damit anzurichten, wär leicht, wie sollte ich es um einen Scepter vertauschen, und dadurch den, der wie ihr wißt, nach mir der nächste ist, und der es nach mir aufnehmen würde, in Gefahr setzen, ein Tyrann zu werden.

Dinge, wie diese, versteht kein Profaner, ihr, die ihr schon auf gewisse Art zu den Wissenden gerechnet werden könnt, könnt viel davon verstehen.

Nein, mein Otto, ich neide Kaiser Philippen nicht seiner Erhöhung, und zürnen könnte ich nur aus einem Grunde mit ihm: Der Herzog von Zähringen hat sich seine Ansprüche um 12000 Mark abkaufen lassen, wie habe ich verdient, daß mir ein ähnliches geboten wurde! – Doch Philipp kennt Bernharden von Sachsen nicht, das ist seine Entschuldigung! Es ist verschmerzt, mein Zorn ist vorüber. Zum Zeichen, wie gut ich es mit dem neuen Kaiser meyne, sagt ihm, was er unmöglich noch wissen kann, (ihr wißt, keine Posten gehn schneller als die unsrigen;) sagt ihm, der nunmehrige Pabst fange an, sich ihm als einen fürchterlichen Feind zu beweisen. Die Vormundschaft über den jungen König von Sicilien hätte nicht vernachläßigt werden sollen, sie ist nun in seinen Händen. Doch dies ist eine alte Zeitung, aber diese ist neu, daß er den kaiserlichen Präfekt der Stadt Rom gezwungen hat, ihm, dem Pabst, den Eid der Treue zu schwören, daß Markgraf Markard der Mark Ankona, und Konrad von Schwaben seines Herzogthums Spoleto beraubt, nächstens in Deutschland seyn werden, daß alle lombardischen Städte sich dem furchtbaren Innozens unterwerfen, und Thuscien nächstens das nehmliche thun wird. Sehet hier eine Menge Dinge, die Philipp eilig wissen muß, um Gegenvorkehrungen zu treffen. Gehet, empfehlet euch ihm mit denselben. Er hat schöne Töchter und keinen Sohn, könnte er sich doch mit einer derselben Pfalzgraf Otten zum Sohn eintauschen, dies würde Glück für beyde seyn, mich dünkt, Philipp braucht einen Helden, wie ihr, zur Stütze seines Throns, der wahrscheinlich, besonders von Rom her, viel Erschütterungen erfahren wird, und ihr braucht eine holdselige Gattin, die euch, nachdem ihr lang genug die Mühseligkeiten des Kriegs empfandet, die Freuden des häuslichen Lebens schmecken lehre. Möchte mir doch ähnliches Glück lachen! möchte mich doch der Besitz der schönen Adila von Pohlen meinen trübseligen Wittwerstand vergessen machen! Doch sie ist noch sehr jung, und die Sache leidet Aufschub.

Elise von Schwaben an die Gräfin

Alix von Toulouse.

1198.

Ich komme wieder in deine Arme, meine Freundin! der Glanz am Hofe meines Vaters kann Elisen nicht fesseln. Du weißt, was ich fühlte, als Philipp ehemals den Aufenthalt in meinem Vaterlande dem friedlichen Schwaben mit dem stolzen Thuscien verwechselte. Die italiänischen Herrlichkeiten behagten mir nicht, ich wählte das Kloster, in welchem ich dich wußte, und söhnte dadurch meinen Vater mit meiner Wahl aus; er, der alles Ausländische liebt, ließ sich ehe gefallen, seine Tochter zu Lion an der Seite einer französischen Prinzessin erziehen zu lassen, als wenn ich Marienzell, wo meine Base Aebtißin ist, oder ein anderes deutsches Kloster zu meinem Aufenthalt erwählt hätte; dies sind Schwachheiten, die ich als Tochter vielleicht kaum bemerken sollte; – aber wie kann ich die Augen hier vor so manchem verschließen, das mich bekümmert?

O Alix, mein Vater hat sich sehr geändert! Die Kaiserwürde kann es unmöglich allein seyn, die dieses gethan hat! – Meine Mutter, die mich immer mehr als Freundin behandelte, sagt mir, Philipp habe in Welschland viel Umgang mit den Römern gepflogen; diese können wohl sein Herz verderbt haben! Eine übertriebene Freundschaft mit dem Grafen von Segni, dem nunmehrigen Pabst, hatte lange Zeit Platz genommen, sein Haus und das unsrige haben Jahrelang ein Einiges ausgemacht, man hat von nähern Verbindungen durch Vermählung einer meiner Schwestern mit einem Neffen des damaligen Grafen gesprochen, bis ein unbedeutender Wortstreit einst der Vertraulichkeit auf einmal ein Ende gemacht, und die ehemaligen Freunde in die erbittertesten Feinde verwandelt hat.